Romana Exklusiv Band 351

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STÜRMISCHES WIEDERSEHEN IN DEN HIGHLANDS von MARIAN MITCHELL
In einem verlassenen Herrenhaus sucht Rebecca Schutz vor dem Unwetter in den schottischen Highlands. Wehmütig denkt sie an ihr Büro – und ihren Boss Alan. Da löst sich ein Schatten aus dem Dunkel. Träumt sie, oder ist es wirklich Alan Fraser, der ihr gefolgt ist?

AM OZEAN DER LIEBE von MARGARET WAY
Cate ist zufrieden mit ihrer kleinen Boutique am australischen Strand. Bis ihr der attraktive Anwalt Josh Conroy eröffnet, dass sie die Alleinerbin eines Millionärs ist! Plötzlich ist Cate nicht nur steinreich, sondern wird auch bedroht. Kann Josh sie beschützen?

KÜSS MICH SO WIE DAMALS! von JESSICA GILMORE
Luca ist verheiratet – mit seiner Arbeit! Doch als Minty bei ihm in Italien auftaucht, erinnert er sich an ihre gemeinsamen Sommer, an Küsse und Liebe … Kann es sein, dass Minty in seinem Leben fehlt? Ihr verführerisches Lächeln weckt jedenfalls tiefe Sehnsucht in ihm …


  • Erscheinungstag 29.07.2022
  • Bandnummer 351
  • ISBN / Artikelnummer 9783751510806
  • Seitenanzahl 512
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Marian Mitchell, Margaret Way, Jessica Gilmore

ROMANA EXKLUSIV BAND 351

1. KAPITEL

Fassungslos und ein bisschen verwirrt starrte Rebecca auf den Baumstamm, der quer über der Fahrbahn lag. Ein Zittern durchlief ihren Körper.

Erst jetzt, nachdem der erste Schreck vorüber war, begriff sie langsam, wie knapp sie davongekommen war. Ein greller Blitz, der – wie auch in diesem Augenblick wieder – die dunkle Nacht für einen Augenblick erhellte, war ihre Rettung gewesen. Denn dadurch hatte sie das Hindernis, das die Straße versperrte, gerade noch rechtzeitig erkennen und im letzten Moment ausweichen können. Sonst wäre die Sache für sie vielleicht nicht so glimpflich ausgegangen.

Wobei das allerdings, wie sie sich zerknirscht eingestehen musste, nur für ihre körperliche Unversehrtheit galt. Denn weder der schicke rote Mini Cooper, den sie sich erst heute in Edinburgh gemietet hatte, noch ihre Sachen waren glimpflich davongekommen.

Unglücklich sah sie an sich herunter. Ihr schwarzer Rock war völlig durchnässt und dreckig, genau wie die hochhackigen Lederstiefel. Und selbst ihr froschgrüner Rollkragenpullover und die schöne bunte Cordweste aus der Secondhand-Boutique, auf die sie besonders stolz war, wiesen zahlreiche Schlammflecken auf. Aber schließlich hatte sie sich ja auch nur mühsam aus dem Wagen kämpfen können, nachdem dieser nach ihrer Vollbremsung neben dem umgefallenen Baum in den Graben geschlittert war, wo er jetzt mit verbeulter Front festsaß. Mehrfach war sie auf dem vom Regen aufgeweichten Boden ausgerutscht und hingefallen, bevor sie endlich die Asphaltdecke der Straße erreichte.

Frierend kreuzte Rebecca die Arme vor der Brust und rieb sich über die Oberarme, jedoch ohne die Hoffnung, dadurch Wärme in ihrem durchnässten Körper zu erzeugen. Tränen stiegen ihr in die Augen. Als wäre dieser Tag nicht schon schrecklich genug gewesen, dachte sie verzweifelt, doch hastig unterdrückte sie den Gedanken an das, was sie getan hatte, wieder. Erst einmal musste sie überlegen, wie es jetzt weitergehen sollte.

Das war schließlich ihre Spezialität: schwierige Situationen meistern. Damit hatte sie während der letzten anderthalb Jahres ihren Lebensunterhalt verdient. Denn wenn man als persönliche Assistentin für einen ruhelosen Boss wie Alan Fraser arbeitete, dann gehörten ständig neue Herausforderungen zum Alltag. Egal, um was es ging oder welche organisatorischen Schwierigkeiten ihr auch begegneten, sie fand fast immer eine Lösung, mit der alle zufrieden waren. Das war das Befriedigende an ihrem Job, das, was sie daran liebte.

Was du daran geliebt hast, erinnerte sie sich und spürte, wie ihr die Kehle erneut eng wurde. Das war jetzt vorbei. Sie würde das pulsierende London gegen die rauen schottischen Highlands tauschen und ganz neu anfangen.

Mit einem Anflug von Selbstmitleid blickte Rebecca auf die Rückleuchten des Mini und dann auf den umgefallenen Baum vor sich.

Was für ein Neuanfang, dachte sie und blinzelte in den Regen. Hatte sie es wirklich verdient, ganz allein im Dunkeln in einem Gewittersturm auf einer einsamen Landstraße in Schottland zu stehen, nur wenige Meilen von ihrem Ziel entfernt, aber doch zu weit weg, um es bei diesem schrecklichen Wetter zu Fuß zu erreichen – noch dazu in diesen verdammten hochhackigen Stiefeln, auf denen sie sich schon vorhin, auf ihrem Weg aus dem Graben, beinahe das Genick gebrochen hätte? Und das alles nur, weil sie den falschen Mann liebte …

Ein weiterer Blitz erhellte für einen Augenblick die Umgebung, und der direkt folgende laute Donnerschlag, der sie zusammenzucken ließ, erinnerte sie daran, dass sie dringend Schutz suchen musste. Das Gewitter war noch nicht vorbei, und weiter hier auf der Straße zu stehen machte ihre Lage nicht besser. Nur – wohin sollte sie gehen? Auf keinen Fall wieder ins Auto, das stand viel zu schräg im Graben, und der Boden war durch den Regen völlig aufgeweicht.

Aber was für Alternativen blieben ihr? Sie war seit einigen Meilen an keinem Haus mehr vorbeigekommen, und weil sie die Strecke gut kannte, wusste sie, dass vor Dunlochry auch keines mehr kommen würde. Nein, der Baum hatte sich wirklich den einsamsten Teil dieser Straße zum Umfallen ausgesucht.

Zu ihrer Linken öffnete sich jenseits des Straßengrabens nur freies Feld, und rechts lag ein Waldstück, das sich, wenn sie sich richtig erinnerte, auch noch den nahe gelegenen Hügel hinaufzog. Es gab nichts außer Bäumen und Büschen und einer überwachsenen alten Mauer, die neben der Straße entlanglief und …

Rebecca hielt inne und starrte auf die halb verfallenen, von Efeu überwucherten Steine.

Natürlich, dachte sie und spürte Erleichterung in sich aufsteigen. Warum hatte sie daran nicht gleich gedacht? Silvermill House stand zwar seit Jahren leer, aber sicher konnte sie dort Unterschlupf finden und das Ende des Unwetters abwarten. Spätestens morgen wurde die Straße bestimmt geräumt. Und bis dahin war alles besser, als weiter hier im Regen zu stehen.

Rebecca lief zur Mauer hinüber und blickte angestrengt in der Dunkelheit daran entlang. Doch erst im Schein des nächsten Blitzes sah sie, wonach sie gesucht hatte.

Das geschwungene Eisentor, das den Eingang zu dem alten Herrenhaus markierte, lag noch ein Stück weiter die Straße hinauf, einige Meter hinter der Stelle, wo der Baum den Weg versperrte. Es war verrostet und hing auf der einen Seite nur noch halb in den Angeln, sodass zwischen den beiden Teilen ein Spalt entstand, durch den sie sich zwängen konnte.

Mühsam stolperte sie über den teilweise überwachsenen Weg, der zwischen den Bäumen nur schwer auszumachen war. Die immer wieder aufzuckenden Blitze erwiesen sich jedoch erneut als Segen, denn sie halfen ihr, sich zu orientieren. Zum Glück kannte sie das Gelände auch noch ein bisschen von früher, weil sie als Kind manchmal in dem verlassenen Haus gespielt hatte.

Endlich, dachte Rebecca, als nach einer gefühlten Ewigkeit die Bäume einer Lichtung wichen und sie das Portal von Silvermill House vor sich sah. Das dreistöckige Gebäude mit der grauen Fassade und den beiden Giebeltürmen an beiden Seiten befand sich in einem besseren Zustand, als sie erwartet hatte. Das Dach war intakt, genauso wie die Fensterscheiben, hinter denen im fahlen Licht der Blitze jedoch nur unheimliche Schwärze gähnte.

Rebecca schluckte beklommen und blieb einen Moment zögernd stehen, während der Wind weiter an ihrem Rock riss und der Regen ihr über das Gesicht rann. Eigentlich hätte sie froh sein müssen, ihr Ziel endlich erreicht zu haben. Doch stattdessen spürte sie einen seltsamen Widerwillen, sich dem unheimlichen Haus noch weiter zu nähern.

Die alten Gruselgeschichten fielen ihr wieder ein, die sie als Kind über Silvermill House gehört hatte. Dass es hier spuken sollte. Weil der Geist von Duncan MacPherson, dem Erbauer des Hauses, keine Ruhe fand und darin umging. Und dass es deshalb schon so lange leer stand.

Rebecca erinnerte sich an das Bild des alten Duncan, das in der Halle von Silvermill House hing. Er war ein Vorfahr des jetzigen Lairds von Dunlochry gewesen, ein großer Mann mit tiefschwarzem Haar und einem so finsteren Gesichtsausdruck, dass sie als Mädchen davor zurückgeschreckt war.

Ein Schauer rann ihr über den Rücken, doch dann schüttelte sie energisch den Kopf, verärgert darüber, dass diese alten Erzählungen es tatsächlich noch immer schafften, ihr Angst zu machen. Das waren doch nur Ammenmärchen für die Touristen, die Dunlochry interessant machen sollten, nichts weiter. Es gab keine Geister. Punkt. Und selbst wenn, blieb ihr in ihrer momentanen Lage ohnehin nichts anderes übrig, als es mit dem alten Duncan aufzunehmen.

Entschlossen lief sie die Steinstufen zum Eingang hinauf und atmete erleichtert auf, als sie die große hölzerne Doppeltür erreichte. Der Mauervorsprung darüber war nämlich so tief, dass er den Regen abhielt, und das war zumindest ein Anfang. Jetzt musste sie nur noch ins Haus gelangen, dann hatte sie das Schlimmste überstanden.

Schnell ging sie zu dem linken der zwei steinernen Löwen hinüber, die oben auf dem Absatz zu beiden Seiten der Treppe den Eingang bewachten, und fuhr mit der Hand über die seitlichen Platten des schmalen Sockels. Eine davon war locker und ließ sich leicht zur Seite schieben, und dahinter ertastete sie erleichtert den inzwischen sehr rostigen Eisenschlüssel, der ins Schloss der großen Eingangstür passen würde. Er war also immer noch hier versteckt, so wie früher. Wie gut, dass sich manche Dinge nicht änderten!

Mit neuem Elan steckte Rebecca den Schlüssel ins Schloss und wollte ihn drehen. Doch frustriert stellte sie fest, dass er sich nur ein kleines Stück bewegen ließ und dann hakte. Sie probierte es mehrere Male, schob so fest sie konnte – ohne Erfolg. Offensichtlich war das Schloss eingerostet.

Erschöpft gab sie schließlich auf und ließ sich auf den Treppenabsatz sinken. Sie zog die Beine an und schlang die Arme fest um die Knie. Dann würde sie eben hier sitzen bleiben. Es war nicht das, was sie sich erhofft hatte, aber dieser Platz war zumindest trocken, weil der Regen sie unter dem breiten Mauervorsprung nicht erreichte. Vielleicht hätte sie einen besseren Unterschlupf irgendwo finden können, aber ihr fehlte einfach die Kraft, noch weiterzusuchen. Sie fror schrecklich in ihren nassen Sachen, und ihr war schon wieder zum Weinen zumute.

Alan musste den Brief, den sie ihm an der Hotelrezeption in Edinburgh hinterlassen hatte, inzwischen gefunden und gelesen haben. Sicher war er überrascht über ihre Kündigung, zumal sie sich eigentlich gerade gemeinsam auf einer Dienstreise befanden.

Schon am Mittwoch waren sie zusammen aus London angereist und hatten den gesamten gestrigen Donnerstag bis zum späten Abend in der Zentrale von Highland Ventures in Edinburgh verbracht. Das erfolgreiche schottische Investmentunternehmen, das Alan zusammen mit seinen beiden Freunden Rory MacKenzie und Derek Douglas gegründet hatte und dessen Londoner Filiale er seit gut einem Jahr leitete, stand kurz vor seinem zehnjährigen Jubiläum, und Alan, Rory und Derek waren zusammengekommen, um die Details für die Feierlichkeiten sowie einige anstehende Projekte zu besprechen.

Während der langen Gespräche war sie wie immer an Alans Seite gewesen, doch sie hatte sich kaum konzentrieren können. Die ganze Zeit über musste sie an das denken, was am letzten Wochenende in London passiert war, und es kostete sie eine fast unmenschliche Anstrengung, sich ihre Verzweiflung nicht anmerken zu lassen. Wenn Alan wenigstens irgendeine Regung gezeigt hätte. Aber er behandelte sie höflich und kühl, so als sei gar nichts zwischen ihnen vorgefallen – etwas, das sie nur mit Mühe ertrug.

Deshalb hatte sie auch nicht gezögert, als sie heute Morgen im Hotel überraschend auf dem Handy ein Anruf von James MacPherson, dem Laird ihres Heimatortes Dunlochry, erreichte. Es war fünf Jahre her, seit sie zuletzt miteinander gesprochen hatten, und als sie damals ging, war sie eigentlich entschlossen gewesen, nie mehr in das kleine Highland-Dorf zurückzukehren, in dem sie aufgewachsen war. Aber sie konnte dem alten Mann die Hilfe, um die er bat, nicht verweigern. Und außerdem war sein Angebot fast wie ein Wink des Schicksals, wie der Anstoß zu jenem Schritt, vor dem sie schon viel zu lange zurückschreckte.

Müde und erschöpft schloss Rebecca für einen Moment die Augen und lehnte den Kopf gegen die kalte Mauer. Sie musste einfach einen Schlussstrich unter ihre Zeit bei Highland Ventures ziehen. Denn das, was sie für ihren Boss empfand, hatte keine Zukunft, das wusste sie jetzt endgültig.

Es ist besser so, sagte sich sie sich zum tausendsten Mal. Sie musste neu anfangen, ihr Leben ganz neu ordnen. Und dafür war eine Reise nach Dunlochry ohnehin unumgänglich, auch wenn sie Angst davor hatte. Denn nur dort, in ihrem Heimatort, würde sie die Antworten finden, nach denen sie schon so lange suchte. Nur dort konnte sie endlich mit ihrer Vergangenheit ins Reine kommen.

Rebecca seufzte. Leider wollte ihr Herz ihrem Verstand bei dieser Entscheidung nicht so einfach folgen. Allein der Gedanke, Alan nicht mehr zu sehen, nicht mehr täglich in seiner Nähe zu sein, schmerzte sie mehr, als sie sich einzugestehen wagte.

Ihm hingegen würde es sicher nicht schwerfallen, sie zu ersetzen. Der Job an seiner Seite war eine gut bezahlte berufliche Herausforderung, um die sich Bewerber reißen würden. Vor allem werden sich die Bewerberinnen darum reißen, dachte Rebecca und spürte den nun schon vertrauten Stich. Für einen so attraktiven Boss wie Alan Fraser zu arbeiten war für viele sicher ein zusätzlicher Bonus. Und wenn der oder die Neue erst eingearbeitet war und alles wieder rund lief, würde Alan seine alte Assistentin bald vergessen haben.

Was war denn außerhalb der Arbeit auch schon erinnernswert an ihr? Rebecca schluckte. Schließlich gehörte sie definitiv nicht zu den Society-Schönheiten, mit denen er privat ausging. Sie war nicht groß und gertenschlank, sondern klein und eher kurvig. Das einzig Auffällige an ihren dunkelbraunen schulterlangen Locken waren die glitzernden Spangen, mit denen sie es zurücksteckte. Und mit ihrer Vorliebe für Secondhand-Klamotten in flippigen Farben konnte sie mit Alans eleganten Begleiterinnen ebenfalls nicht mithalten. Schon gar nicht, dachte sie verbittert, mit der stilsicheren und äußerst attraktiven Barbara Marsden.

Rebecca rang erneut mit den Tränen, kämpfte sie jedoch tapfer nieder. Es war einfach besser, wenn sie ging, bevor Alan ihr endgültig das Herz brach. Bevor er …

Ein Geräusch, das durch den Regen und das Heulen des Windes klang, riss sie abrupt aus ihren Gedanken. Angestrengt lauschte sie in die Dunkelheit. Spielte ihre Fantasie ihr einen Streich, oder rief da jemand ihren Namen?

Aber das war doch gar nicht möglich. Niemand wusste, dass sie hier in der Gegend war, nicht einmal der Laird. Sie hatte ihm zwar gesagt, dass sie so bald wie möglich kommen würde, aber keinen genauen Zeitpunkt genannt. Er würde heute Abend noch nicht mit ihr rechnen.

Wenn sie doch nur das Firmenhandy behalten hätte! Dann wäre sie jetzt wenigstens in der Lage, den Laird über ihre missliche Lage in Kenntnis zu setzen. Aber sie hatte es – zusammen mit ihrem Laptop – zu ihrem Kündigungsschreiben gelegt und an der Hotelrezeption in Edinburgh abgegeben. Wenn sie die Brücken schon hinter sich abbrach, dann richtig!

Eine wirklich tolle Idee, schalt sie sich selbst. Jetzt konnte sie niemanden um Hilfe rufen und saß hier fest, bis …

„Rebecca!“ Diesmal war die Stimme ganz deutlich zu hören, dunkel und dumpf klang sie über das Trommeln des Regens.

Mein Gott, dachte Rebecca verwirrt und kauerte sich noch ein wenig mehr zusammen. War sie noch bei Verstand? Wer rief sie denn da?

Der alte Duncan MacPherson, schoss es ihr durch den Kopf, und eine eisige Hand griff nach ihrem Herzen. Aber das war unmöglich. Es gab keine Geister. Sie musste sich das einbilden …

Angespannt lauschte Rebecca und wagte kaum zu atmen, doch es war nichts mehr zu hören außer dem Heulen des Windes.

Dann zuckte ein Blitz grell über den Himmel, und in seinem gespenstischen Schein sah sie einen Mann am Fuß der Treppe stehen. Groß und schwarzhaarig, genau wie auf dem Porträt in Dunlochry Manor.

Entsetzt schrie sie auf. Sie wollte zurückweichen, doch da war die Tür in ihrem Rücken. Von Panik erfasst, rutschte sie an dem glatten Holz hoch, bis sie zitternd auf den Beinen stand, den Blick immer noch auf die Stelle in der Dunkelheit gerichtet, an der sie die Erscheinung gesehen hatte.

„Rebecca?“ Die tiefe Stimme erklang erneut, diesmal viel näher – und viel menschlicher. Ein Lichtkegel tanzte die Stufen hinauf.

„Dem Himmel sei Dank“, sagte die Stimme, die Rebecca mit einem Mal schmerzhaft vertraut war, und dann stand der Mann, den sie einen Augenblick lang für den Geist von Duncan MacPherson gehalten hatte, auf dem Treppenabsatz und betrachtete sie besorgt im Schein der Taschenlampe, die er in der Hand hielt.

„Ist alles in Ordnung mit dir? Bist du verletzt?“

Rebecca schüttelte nur stumm den Kopf. Sie war viel zu sprachlos, um darauf zu antworten. Stattdessen glitt ihr Blick hinauf in das regennasse Gesicht, das sie so gut kannte, über die hohen Wangenknochen, die schöne gerade Nase und die geschwungenen Lippen, die so unwiderstehlich lächeln konnten. Aus dem tiefschwarzen Haar des Mannes tropfte Wasser auf seine hochgeschlossene dunkle Jacke.

„Alan“, hauchte sie ungläubig, als sie endlich ihre Stimme wiederfand. „Wie … wie hast du mich gefunden?“

„Ich sah deinen Wagen im Graben liegen und bin deinen Spuren gefolgt.“ Er musterte sie von oben bis unten und schien erst zufrieden, als er feststellte, dass sie bis auf ihre nassen Sachen und den Schlamm tatsächlich unversehrt war.

„Aber du wusstest doch gar nicht, wo ich hingefahren bin.“ Rebecca war immer noch fassungslos.

„Du hast der Empfangsdame im Hotel gesagt, du willst nach Hause, aber da du dir einen Wagen gemietet und nicht den nächsten Flieger nach London genommen hast, nahm ich an, dass du damit wohl den Wohnort deiner Familie meintest. Also habe ich im Büro in London angerufen und Gloria in deiner Personalakte nachsehen lassen, welcher Ort das ist. Und dann bin ich dir nachgefahren“, erwiderte Alan mit einem Schulterzucken.

Ihr Herz schlug schneller, als sie ihn anblickte. So viel Mühe hatte er sich gemacht?

„Und …“, sie schluckte, „… warum bist du gekommen?“

Alans Gesichtsausdruck verfinsterte sich und ähnelte mit einem Mal dem des alten Duncan auf dem Gemälde. Er griff in die Tasche seiner Jacke und zog den zerknitterten Umschlag mit ihrer Kündigung hervor.

„Um dich zu fragen, was das soll“, sagte er mit eisiger Stimme, aus der Mitgefühl und Sorge gewichen waren. „Ist das ein Scherz, Rebecca? Falls ja, dann solltest du mich inzwischen eigentlich gut genug kennen, um zu wissen, dass ich für diese Art von Humor nichts übrig habe.“

Langsam schüttelte sie den Kopf.

„Das ist kein Scherz“, erwiderte sie leise. „Ich kann nicht länger für dich arbeiten.“

Alan betrachtete sie für einen Moment schweigend.

„Das wirst du müssen“, meinte er dann. „Denn deine Kündigung ist hiermit abgelehnt.“

2. KAPITEL

„Aber du kannst die Kündigung nicht ablehnen!“, protestierte Rebecca. „Hast du die Ausstiegsklausel vergessen? Beide Parteien können das Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen mit sofortiger Wirkung kündigen. Und das tue ich jetzt eben.“

„Und was ist mit deinem Job? Du kannst doch nicht einfach so gehen. Wie stellst du dir das vor? Wir beide sollten jetzt schon längst wieder in London sein und dort die Verhandlungen mit Bernière vorbereiten. Hast du vergessen, dass man uns bereits am Mittwoch in Zürich erwartet?“

Rebecca spürte, wie Enttäuschung in ihr hochstieg. Für einen kurzen, verrückten Moment hatte sie wirklich geglaubt, Alan wäre ihretwegen gekommen. Weil er sie vermisste. Weil er nicht wollte, dass sie ihn verließ.

Doch es ging nicht um sie als Mensch, sondern nur um ihren Job. Er wollte nicht, dass sein effektiv organisierter Arbeitsalltag durcheinandergeriet. Das war alles. Natürlich.

Was hast du denn auch erwartet? Dass er hier im Regen auf die Knie fällt und dir seine Liebe gesteht? Nein, dachte Rebecca. Sie wusste es besser. Deshalb war sie ja gegangen. Weil es keinen Zweck hatte zu glauben, dass Alan Fraser ihre Gefühle jemals erwidern würde. Und weil sie nicht mit ansehen wollte, wie er eine andere heiratete …

Trotzig reckte sie das Kinn vor.

„Du wirst in Zürich erwartet, nicht ich“, erklärte sie. „Ich bin mir sicher, dass Gloria mich ersetzen kann, bis du eine neue Assistentin gefunden hast.“

„Ich will keine neue. Ich bin sehr zufrieden mit der alten“, erwiderte Alan, und sein Tonfall klang endgültig.

Rebecca schauderte, nicht sicher, ob es an der Kälte hier draußen lag oder an der Entschlossenheit, die sie in seinen Augen sah.

„Aber ich …“

„Lass uns das drinnen weiterdiskutieren“, schnitt er ihr das Wort ab, als er ihr Zittern bemerkte. Vorwurfsvoll musterte er noch einmal ihre schlammverschmierten Kleider. „Du bist völlig durchnässt. Wenn wir noch lange hier draußen stehen, holst du dir noch den Tod. Wieso bist du denn nicht ins Haus gegangen?“

Rebecca verschränkte die Arme vor der Brust.

„Weil das Türschloss klemmt“, erklärte sie abwehrend.

Alan betrachtete den eisernen Schlüssel für einen Moment skeptisch, dann drehte er ihn beinahe mühelos herum, drückte die Klinke herunter und stemmte sich gegen die schwere hölzerne Tür, die mit einem protestierenden Ächzen nachgab. Einen Moment später war der Weg ins Innere des Hauses frei.

„Jetzt nicht mehr“, meinte er lakonisch und bedeutete Rebecca mit einer Geste, zuerst hineinzugehen.

Mit steinerner Miene und immer noch verschränkten Armen stolzierte sie an ihm vorbei, fest entschlossen, sich nicht anmerken zu lassen, wie nervös er sie machte.

Ihre Schritte hallten unheimlich auf dem Steinfußboden der großen leeren Empfangshalle, und als der Lichtkegel von Alans Taschenlampe über die geschwungene Treppe nach oben glitt, staunte Rebecca wie jedes Mal, wenn sie das alte Herrenhaus betrat, über die aufwendigen Schnitzarbeiten an dem wuchtigen Geländer und der Holzvertäfelung, die Jagdszenen zeigten. Die zwei alten Ölgemälde, die sie noch aus ihrer Jugend kannte, hingen nach wie vor rechts und links der Treppe an den Wänden – sie zeigten den finsteren Duncan und seine Geliebte Lady Anna, die beide auf die unerwarteten Eindringlinge herunterstarrten.

„Genau wie früher“, murmelte Rebecca und dachte daran, dass sie diese Bilder schon damals unheimlich gefunden hatte – als es nicht stockdunkel draußen gewesen war.

„Früher?“, fragte Alan, der neben sie getreten war und die Taschenlampe jetzt durch den übrigen Raum gleiten ließ. „Dann kennst du dieses Haus?“

Rebecca nickte. „Ich habe als Kind manchmal hier gespielt. Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, liegt nur ein paar Meilen entfernt.“

„Dann weißt du doch sicher, wo sich das Kaminzimmer befindet.“

Sie sah ihn an und deutete dann auf die Tür direkt neben der Treppe.

„Dort ist ein Salon. Und wenn ich mich richtig erinnere, dann war da auch ein Kamin.“

Alan hielt mit der Taschenlampe auf die Türöffnung zu, und Rebecca folgte ihm rasch, weil sie nicht im Dunkeln allein bleiben wollte. Als sie wieder neben ihm stand, stieß sie erstaunt die Luft aus. Denn der Raum war nicht leer wie die Halle, sondern – zumindest teilweise – möbliert. Der Lichtkegel glitt über zwei Sideboards und eine hohe Vitrine, und in der Mitte des Raumes stand ein langer polierter Eichentisch mit geschwungenen Beinen.

„Ich dachte, das Haus wäre unbewohnt“, rief sie überrascht.

„Ist es auch“, bestätigte Alan. „Diese Möbelstücke muss der letzte Besitzer zurückgelassen haben.“ Sehr lange konnte das noch nicht her sein, denn die Staubschicht, die die Tischplatte und die Oberflächen der Schränke bedeckte, war nur dünn.

Erst in diesem Moment wurde Rebecca bewusst, wie lange sie schon aus Dunlochry fort war. Sie war davon ausgegangen, dass Silvermill House nach wie vor leer stand. Doch ob und wann in den vergangenen fünf Jahren jemand hier gelebt hatte, darüber war sie gar nicht informiert. Tante Mary hielt sie bei ihren Telefonaten zwar gelegentlich über den Dorfklatsch auf dem Laufenden, aber Rebecca konnte sich nicht erinnern, dass sie das alte Herrenhaus jemals erwähnt hätte.

„Vielleicht haben wir ja Glück, und er hat noch mehr zurückgelassen“, meinte Alan. Er leuchtete weiter suchend durch das Zimmer, und der Schein der Taschenlampe blieb an dem großen Kamin an der Schmalseite des Raumes hängen. Dort standen drei mit weißen Laken abgedeckte Möbelstücke, offenbar eine Couch und zwei Sessel.

„Gut“, murmelte er, dann drückte er Rebecca die Taschenlampe in die Hand. „Hier, halt das mal und leuchte dort drüben hin“, wies er sie an.

Er ging zu einem der Sideboards, auf dem ein alter mehrarmiger Kerzenleuchter stand, den Rebecca erst jetzt wahrnahm. Dann zischten Streichhölzer, und kurze Zeit später brannten die fünf hohen Kerzen in dem Leuchter und tauchten den Raum in ein schwaches, aber warmes Licht.

„Jetzt können wir uns wenigstens vernünftig sehen“, meinte Alan mit einem Lächeln, seinem ersten, seit er sie vor der Tür des Herrenhauses gefunden hatte. Während er mit dem Leuchter in der Hand zu ihr zurückkehrte, hielt Rebecca unwillkürlich den Atem an, unfähig, den Blick von ihm abzuwenden.

Alan Fraser kann man selbst im schlechtesten Licht nicht übersehen, dachte sie sehnsüchtig. Normalerweise stach er schon allein durch seine Größe aus der Menge heraus, und sein federnder, selbstsicherer Gang zeugte außerdem davon, was für ein athletischer und durchtrainierter Mann er war. Einer, der selbst nass geregnet noch eine gute Figur macht, fand Rebecca. Denn im Grunde wirkte er dadurch nur noch attraktiver. Sein nasses Haar, das bis an den Kragen seiner Jacke reichte, glänzte nachtschwarz im Kerzenlicht, und die vom Regen feuchten Flecken auf dem oberen Bereich seiner Jacke betonten die breiten Schultern.

Und dann waren da noch seine Augen. Dunkelgrüne Augen, mit denen er sie oft so durchdringend ansah, dass sie sich durchschaut fühlte. Genauso wie jene Geschäftspartner, die vergeblich versuchten, seinen untrüglichen Instinkt für lohnende Investitionen zu täuschen. Diesen Augen entging fast nichts. Doch sie konnten auch strahlen, wenn er lächelte, so wie jetzt. Charmant. Und absolut unwiderstehlich. Dieses Lächeln wirkte auf alle – auf zögerliche Investoren genauso wie auf die Frauen, denen er begegnete. Es war etwas, dem man sich nicht entziehen konnte.

Rebecca erinnerte sich noch genau an den Augenblick, als er sie zum ersten Mal angelächelt hatte. Sie war im langen, aber schmalen Flur des Hauptfirmensitzes von Highland Ventures in Edinburgh mit ihm zusammengestoßen, damals, als sie dort erst seit ein paar Monaten arbeitete. Ihr war eine Akte heruntergefallen, und er hatte ihr geholfen, die Blätter aufzusammeln – und gelächelt.

Dann waren sie irgendwie ins Gespräch gekommen über den Klienten, um den es in jener Akte ging. Es gab Probleme mit dem Geschäftsabschluss, und Alan war so beeindruckt gewesen von ihrem einfachen, aber sehr effektiven Lösungsvorschlag, dass er sie kurze Zeit später zu seiner persönlichen Assistentin gemacht und auch mit nach London genommen hatte, als er vor einem Jahr die Leitung der dortigen Niederlassung übernahm. Es war die Chance gewesen, auf die sie gewartet hatte, und es tat weh, das alles jetzt wieder aufgeben zu müssen.

Müsstest du auch nicht, wenn du nur deinen Job lieben würdest – und nicht auch noch deinen Boss, schalt Rebecca sich innerlich. Und wenn du ihn am letzten Wochenende nicht in einem Anflug von Schwäche geküsst hättest …

Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie erschrocken aufsah, als Alan dicht vor ihr stehen blieb. Trotz ihrer hohen Absätze überragte er sie um ein gutes Stück, und er war ihr so nah, dass sie den frischen Duft an ihm wahrnehmen konnte, der ihr inzwischen so vertraut war. Eine Mischung aus Seife, seinem herben Aftershave, das sie schon oft neu für ihn besorgt hatte, und etwas ganz Eigenem, das ihn ausmachte. Sie hätte diesen Duft immer und überall erkannt.

„Jetzt sorgen wir erst einmal dafür, dass dir wieder warm wird“, meinte er und übergab ihr den Kerzenleuchter. Dann öffnete er seine Jacke und zog sie aus.

Darunter trug er ein weißes Hemd ohne Krawatte. Natürlich ohne, dachte Rebecca und hätte beinahe geschmunzelt. Er mochte nämlich keine und vermied sie, wann immer er konnte, womit er sie schon manches Mal zur Verzweiflung getrieben hatte. Normalerweise hielt sie immer eine oder zwei „Notfall-Krawatten“ in ihrer Handtasche bereit – für den Fall, dass er wieder einmal bei einem offiziellen Termin nur mit Hemd und Sakko erschien. Sie konnte die Male gar nicht mehr zählen, in denen sie ihm in letzter Minute eine Krawatte um den Hals gebunden und zurechtgerückt hatte. Und wie oft sie dafür mit einem dankbaren Lächeln belohnt worden war …

Nur nicht sentimental werden, ermahnte sie sich dann jedoch hastig. Das würde bald die Aufgabe einer anderen sein. Damit hatte sie dann nichts mehr zu tun. Ganz egal, was Alan auch tat – sie würde nicht zurückkommen.

Doch als sie sah, was er tat, wurde ihr Mund plötzlich ganz trocken. Denn Alan zog jetzt auch sein Hemd aus, sodass sie zum ersten Mal seine durchtrainierten Brust- und Bauchmuskeln zu sehen bekam. Rebecca konnte den Blick nicht abwenden und brachte vor lauter Erstaunen kein Wort heraus. Ihre Blicke trafen sich, und sie hielt den Atem an. Wie hatte er das gemeint, als er sagte, er wolle dafür sorgen, dass ihr wieder warm wurde? Wollte er …

„Hier“, erklärte er knapp und hielt ihr das Kleidungsstück hin, dessen er sich gerade entledigt hatte. „Zieh das an. Na los“, drängte er, als sie sich nicht rührte. „Du musst unbedingt aus deinen nassen Sachen raus, und mein Hemd ist unter der Jacke trocken geblieben.“

Er streifte sich die Jacke wieder über und deutete auf die Couch vor dem Kamin. „Nimm dir am besten auch ein paar von den weißen Laken. Während du dich umziehst, sehe ich nach, ob es irgendwo Feuerholz gibt. Vielleicht bekomme ich den Kamin in Gang.“

Rebecca nickte nur schwach ihre Zustimmung und war froh, als Alan sich umdrehte und mit der Taschenlampe in der Halle verschwand. Denn sie spürte, wie ihr Gesicht flammend rot anlief.

Wie konnte sie auch nur einen Augenblick daran denken, dass Alan auf ein erotisches Abenteuer mit ihr aus war! Wahrscheinlich erinnerte er sich nicht einmal an ihren Kuss oder falls doch, dann war es ihm nicht wichtig. Er versuchte lediglich, das Beste aus ihrer misslichen Lage zu machen. Und sie sollte lieber dankbar dafür sein und sich an das halten, was er sagte, anstatt herumzustehen und ihm hinterherzustarren wie ein liebeskranker Teenager. Schließlich war sie schon vierundzwanzig. Und sie hatte sich für eine Zukunft entschieden, in der Alan Fraser keine Rolle mehr spielen würde …

Eine halbe Stunde später prasselte tatsächlich ein helles Feuer im Kamin des Salons, das den vorher so abweisenden Raum beinahe gemütlich machte.

Rebecca saß auf dem Chintz-Polstersofa, das unter dem Laken zum Vorschein gekommen war und das Alan genau wie die beiden dazu passenden Sessel dicht vor den Kamin geschoben hatte. Sie trug jetzt sein Hemd, das ihr viel zu groß war. Es reichte ihr bis zur Hälfte des Oberschenkels, und sie musste die Ärmel umschlagen. Eines der drei weißen Laken war eng um ihre Beine geschlungen, und sie spürte dankbar, wie die Wärme in ihre Glieder zurückkehrte. Draußen tobte immer noch das Gewitter, doch es schien schwächer zu werden, und im Schein des Feuers wirkte der Sturm ohnehin längst nicht mehr so bedrohlich.

Vielleicht weil ich jetzt wieder ein Dach über dem Kopf habe, überlegte Rebecca. Oder lag es daran, dass sie sich in Alans Gegenwart sicher fühlte?

Es war ein ungewohntes Gefühl, diesmal nicht zuständig zu sein. Bisher war immer sie diejenige gewesen, die alles im Griff hatte. Sie organisierte seinen Alltag, sie besorgte alles, bestellte alles, holte alles, was nötig war. Aber sie fühlte sich so schwach und müde von den Ereignissen des Tages, dass sie sehr dankbar dafür war, sich um nichts kümmern zu müssen.

Alan hatte sie angewiesen, sich umzuziehen und sich auf der Couch aufzuwärmen. Alles andere tat er, und das machte er sehr effektiv, wie sie staunend feststellte. Er hatte im Schuppen draußen nicht nur Feuerholz gefunden, sondern in der alten Küche auch noch weitere Kerzen, die inzwischen im Raum verteilt standen und ihn zusätzlich erhellten. Ihre nasse Sachen lagen auf einem der beiden Sessel zum Trocknen ausgebreitet, und gerade war Alan damit beschäftigt, eine der alten Weinflaschen, auf die er im Keller gestoßen war, mithilfe eines vergessenen Öffners aus der Küchenschublade zu entkorken.

Der dunkle Rotwein rann in die beiden Gläser, die sich ebenfalls noch in den Schränken gefunden hatten, und Alan reichte Rebecca eines davon. Dann ließ er sich in den Sessel neben der Couch nieder. Die Jacke hatte er wieder abgelegt, weil es im Zimmer inzwischen angenehm warm war, und der Schein der Flammen malte Schatten auf seine Brust.

„Hast du mit dem Handy jemanden erreichen können?“

Alan nickte. „Die Feuerwehr. Ich habe ihnen gesagt, wo wir sind und dass die Straße blockiert ist. Aber es ist nicht der einzige Schaden, den der Sturm angerichtet hat, deshalb kann es noch ein bisschen dauern, bis Hilfe kommt.“

Rebecca schluckte beklommen, als sie seinen Blick auf sich ruhen fühlte, und wappnete sich innerlich gegen die Fragen, von denen sie wusste, dass er sie ihr jetzt stellen würde. Fragen, die sie nicht beantworten wollte.

„Warum?“, meinte Alan, als habe er ihre Gedanken erraten. „Warum hast du gekündigt? Gestern war doch noch nicht die Rede davon. Was ist passiert? Erklär es mir.“

Hastig trank Rebecca einen Schluck Wein, um die Nervosität zu bekämpfen, die wieder in ihr aufstieg. Die Tatsache, dass er halb nackt war und sie sein Hemd trug, verwirrte sie ziemlich.

„Ich habe überraschend einen anderen Job angeboten bekommen, den ich gerne annehmen möchte“, erklärte sie, und ihre Stimme klang zu ihrem eigenen Erstaunen fest und sicher.

„Bei wem?“ Jetzt schwang Misstrauen in Alans tiefer Stimme mit. „Hat dich etwa jemand abgeworben? Ein Headhunter? Wer?“

„Niemand hat mich abgeworben. Zumindest nicht direkt. Es ist ein Angebot von James MacPherson, dem Laird meines Heimatdorfs. Er will sein Anwesen in ein Golfhotel umwandeln, und ich soll ihm dabei helfen.“

Rebecca dachte an den weißhaarigen Mann mit den dichten Augenbrauen und dem tiefen, immer ein bisschen heiseren Lachen, dem ihre Familie so viel verdankte. Es war der Laird gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass sie nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter die Schule beenden und eine Ausbildung anfangen konnte. Und der ihrer Tante Mary Arbeit als Köchin gab, damit sie in der Lage war, nicht nur ihren kranken Sohn Matthew, sondern auch sie, Rebecca, durchzubringen, das uneheliche Kind ihrer Schwester. Später hatte er sich zwar genauso abweisend verhalten wie die übrigen Dorfbewohner, aber dennoch war jetzt wieder er es, der ihr in einer verzweifelten Situation einen Rettungsanker bot.

Sein unerwartetes Angebot würde ihr den Neuanfang ermöglichen, nach dem sie sich sehnte. Den sie brauchte, wenn ihre unglückliche Liebe zu ihrem Boss sie nicht irgendwann zerstören sollte. Selbst wenn sie immer noch Angst davor hatte, sich ihrer Vergangenheit zu stellen.

Alan starrte sie ungläubig an.

„Und dafür lässt du einfach alles stehen und liegen? Um beim Aufbau eines Golfhotels zu helfen?“

Rasch wandte Rebecca das Gesicht ab und blickte in die Flammen. Sie wusste selbst, dass es für ihn merkwürdig klingen musste. Aber es war ja auch nicht der wahre Grund, warum sie ging. Nur konnte sie ihm den nicht sagen.

„Der Laird hat viel für meine Familie getan. Wenn er mich für dieses Projekt braucht, dann kann ich ihm das nicht abschlagen“, verteidigte sie sich.

Warum James MacPherson sich mit seiner Bitte, ihm bei der Umgestaltung seines Anwesens zu helfen, ausgerechnet an sie wandte, verstand sie zwar selbst nicht so recht, denn schließlich hatte er damals mehr als deutlich gemacht, dass auch er sie in Dunlochry nicht mehr haben wollte. Aber was der Grund für seinen unerwarteten Sinneswandel auch sein mochte, eines war jedenfalls sicher – für sie kam seine Einladung genau zum richtigen Zeitpunkt.

„Ich muss das tun“, rechtfertigte sie sich leise.

„Der Laird braucht dich, ja?“ Alan sprang auf und sah sie aufgebracht an. „Und was ist mit mir? Brauche ich dich etwa nicht?“

Rebecca kämpfte gegen den Kloß, der ihr in der Kehle steckte.

„Nein“, sagte sie dann und dachte sehnsüchtig: Ich wünschte, es wäre so. „Du brauchst eine Assistentin. Aber das muss nicht ich sein.“ Sie schluckte. „Du findest jemand anderen.“

Für einen Augenblick schwiegen sie beide, dann räusperte sich Alan.

„Hat deine Entscheidung etwas mit dem letzten Wochenende zu tun?“, fragte er, und Rebecca glaubte, Unsicherheit in seiner Stimme zu hören. Sein Gesichtsausdruck jedoch blieb hart und unergründlich. „Falls das nämlich der Fall sein sollte, dann …“

„Nein, natürlich nicht“, fiel Rebecca ihm hastig ins Wort und spürte, wie ihre Wangen flammend rot anliefen. Musste er sie an diesen Moment der Schwäche erinnern? Was hätte sie darum gegeben, wenn sie ungeschehen machen könnte, was an jenem Abend nach der Dinnerparty bei den Marsdens passiert war!

Ein Muskel zuckte in Alans Wange. Dann hob er gleichmütig die Schultern, so als sei das Thema damit für ihn abgehakt, was ihr einen Stich versetzte. Aber was war schon ein Stich gegen die tiefe Wunde, die ihr das Wissen ins Herz riss, dass er unerreichbar für sie war? Und dass ihr nur die Flucht blieb, wenn sie dem Schmerz entkommen wollte.

„Gibt es irgendetwas, mit dem ich dich umstimmen kann?“, fragte Alan nach einem weiteren Moment des Schweigens. „Willst du mehr Geld? Oder mehr Unterstützung? Ich könnte noch jemanden einstellen, der dir den Bürokram abnimmt, wenn dir das alles zu viel ist …“

„Sei nicht albern“, wehrte Rebecca ab. „Es geht mir nicht ums Geld. Und den ‚Bürokram‘ mache ich gerne, das ist doch mein Job, wieso sollte mir den jemand abnehmen? Nein, ich …“, sie zögerte, „… ich muss einfach nach Dunlochry.“

„Und was ist mit Bernière?“, beharrte er. „Du weißt, wie schwierig es war, diesen Deal einzufädeln. Wir stecken mitten in den Verhandlungen!“

„Ich weiß“, sagte Rebecca, erneut überwältigt von dem schlechten Gewissen, das sie deswegen plagte. Sie wusste, dass das Projekt Alan besonders am Herzen lag. „Aber ich bin sicher, dass Gloria für mich einspringt. Ich spreche mit ihr und werde sie über alles Wichtige informieren. Und sie findet auch bestimmt schnell Ersatz für mich.“ Das stand außer Frage, das wusste er genauso gut wie sie. Er musste vermutlich nicht mal besonders weit suchen, denn innerhalb der Firma selbst gab es genügend fähige Kandidaten, die ihre Aufgabe mit Freuden übernehmen würden.

„Aber ich will niemand anderen“, meinte Alan. „Ich will, dass du wieder zurückkommst.“

Für einen langen Moment trafen sich ihre Blicke, und Rebecca kämpfte innerlich verzweifelt gegen den Wunsch, einfach nachzugeben. Sie wollte auch nicht fort von ihm. Aber man bekam im Leben eben nicht immer alles, was man sich wünschte, das hatte sie schmerzhaft begreifen müssen. Und deshalb gab es für sie kein Zurück mehr. Nicht, wenn sie nicht ihr Leben lang mit einem gebrochenen Herzen leben wollte.

„Es tut mir leid“, sagte sie leise und wandte das Gesicht ab. „Aber mein Entschluss steht fest.“

„Rebecca …“ Alan machte einen Schritt auf sie zu, doch sie hob abwehrend die Hand. Es war schlimm genug, dass sein Hemd sie in seinen Duft einhüllte. Wenn er ihr jetzt zu nahekam, dann würde ihre Entschlossenheit vielleicht ins Wanken geraten, und sie würde ihm gestehen, was der eigentliche Grund für ihre Kündigung war. Oder schlimmer noch. Vielleicht würde sie ihn anflehen, sie noch einmal so zu küssen wie am letzten Wochenende …

„Nein, lass uns jetzt nicht mehr darüber reden, bitte“, flehte sie. „Ich muss nach Dunlochry, und du musst zurück nach London. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit mein plötzlicher Weggang kein allzu großes Problem für dich wird. Natürlich stehe ich meiner Nachfolgerin für alle Fragen zur Verfügung, und bis du jemanden gefunden hast, werde ich engen Kontakt zu Gloria halten. Aber ich komme nicht wieder zurück. Bitte akzeptiere das.“

Alan blieb stehen und fuhr sich mit einer beinahe verzweifelten Geste durchs Haar, die Rebecca tief berührte. Hastig stellte sie das Weinglas auf den Boden, drehte sich um und streckte sich auf der Couch aus, das Gesicht in die Polster vergraben.

„Können wir nicht ein bisschen schlafen? Ich bin wirklich sehr müde“, sagte sie, und das war nicht gelogen. Die Ereignisse des Tages, der Unfall, der Schreck vorhin und die Auseinandersetzung mit Alan – das alles forderte nun seinen Tribut, und sie spürte, wie eine Welle bleierner Erschöpfung sie erfasste. Sie wollte einfach nur für einen Moment die Augen schließen, sich vom Feuer wärmen lassen und nicht daran denken, dass Alan morgen ohne sie zurück nach London fahren würde. Sie wollte an überhaupt nichts mehr denken …

Alan wusste nicht mehr, wie lange er schon in diesem Sessel saß und in den Kamin starrte, in dem das Feuer inzwischen fast heruntergebrannt war. Das Gewitter draußen wurde schwächer, und manchmal, wenn Stille herrschte, konnte man Rebeccas ruhige, gleichmäßige Atemzüge im Zimmer hören.

Sie schlief jetzt, und das hätte er auch gerne getan. Aber dazu war er viel zu aufgewühlt. Und das irritierte ihn. Schließlich gab es in seinem beruflichen Umfeld ständig personelle Veränderungen, sodass die überraschende Kündigung seiner persönlichen Assistentin ihn nicht so hart hätte treffen dürfen.

Es war natürlich immer schade, wenn ein guter Mitarbeiter ging, doch die Lücke, die er hinterließ, schloss sich normalerweise schnell. Das wusste er. Natürlich wusste er das. Und trotzdem konnte er sich mit dem Gedanken, dass Rebecca nicht mehr für ihn arbeiten wollte, einfach nicht abfinden.

Diese verdammte Ausstiegsklausel, dachte er verärgert. Eigentlich hatte er sie nur in den Vertrag schreiben lassen, um selbst die Freiheit zu haben, seinen Assistenten jederzeit zu kündigen. Es war einmal zu einer unliebsamen längeren und sehr teuren Auseinandersetzung mit einer von Rebeccas Vorgängerinnen gekommen, und er wollte für solche Fälle gewappnet sein. Dass die zuverlässige Rebecca selbst jedoch eines Tages von der Klausel Gebrauch machen könnte, damit hätte er niemals gerechnet.

Es kam so plötzlich. Das war es, was ihn störte. Wieso kündigt sie aus heiterem Himmel und ohne jede Vorwarnung? Und noch dazu für einen Job, der für eine Frau mit ihren Talenten keinesfalls befriedigend sein konnte? Da musste etwas anderes dahinterstecken.

Er wandte den Kopf und betrachtete die junge Frau auf der Couch, die er so gut zu kennen geglaubt hatte. Sie hatte sich im Schlaf gedreht, und im Schein des langsam ersterbenden Feuers sah er die Spange glitzern, die das lockige braune Haar, das zu einem Seitenscheitel geteilt war, aus ihrer Stirn zurückhielt. Nachdenklich studierte er ihre entspannten Züge, das herzförmige Gesicht mit den hübschen Grübchen auf den Wangen, die nur zu sehen waren, wenn sie lachte, die schmale kleine Nase, die sich am Ende keck in die Höhe hob, und die vollen Lippen, auf denen ein rosiger Glanz lag.

Alan runzelte die Stirn, und seine Gedanken wanderten zurück zum letzten Wochenende, als diese süßen Lippen seinen mit einem Mal so nah gewesen waren. Als er sich hatte hinreißen lassen zu einem Kuss, den er bereute und der ihm dennoch nicht aus dem Kopf ging. Sein Blick glitt über ihre verführerische Figur, die sich unter dem dünnen Laken deutlich abzeichnete, und die Erinnerung daran, wie es sich angefühlt hatte, Rebecca in seinen Armen zu halten, überkam ihn plötzlich und heftig.

Doch sofort schob er diese unwillkommenen Gedanken beiseite. Das war ein ärgerlicher Fehler gewesen, der ihm nicht hätte passieren dürfen. Eine dumme kleine Schwäche, weiter nichts. Und offensichtlich auch nicht der Grund, weshalb Rebecca gekündigt hatte.

Aber warum dann? Es war so irritierend. Rebecca Reardon war seit über einem Jahr täglich an seiner Seite. Sie war ein fester Bestandteil seines Lebens, an den er sich gewöhnt hatte, und dennoch wusste er, wie er heute zu seinem Entsetzen feststellen musste, fast nichts über sie.

Nein, dachte er. Etwas wusste er schon, allerdings erst seit ein paar Stunden. Seit er den Brief mit ihrer Kündigung geöffnet hatte. Dass er nicht bereit war, auf sie zu verzichten. In der Firma, schränkte er in Gedanken hastig ein und zwang sich, nicht länger auf ihre rosigen, leicht geöffneten Lippen zu starren. Er konnte Rebecca im Büro nicht entbehren.

Unwillig fuhr er sich mit der Hand über die Augen.

Wenn sie glaubte, dass er sie so einfach gehen ließ, dann täuschte sie sich gewaltig. Er war flexibel. Und Termine ließen sich verschieben. Dann wird die Sache mit Bernière eben warten müssen, dachte er grimmig, bevor er der Müdigkeit nachgab, die ihn langsam überwältigte, und den Kopf gegen den Sessel sinken ließ. So lange, bis er Rebecca davon überzeugt hatte, zu ihm zurückzukehren.

3. KAPITEL

Rebecca träumte. Sie musste träumen, denn das, was sie zu sehen glaubte, als sie die Augen aufschlug und sich an das erste Morgenlicht gewöhnt hatte, das durch die großen Fenster in den fremden Raum fiel, konnte nur ihrer Fantasie entspringen. Direkt vor ihr, neben dem großen Kamin, der ihr nicht bekannt vorkam, sah sie Alan. Er war in die Hocke gegangen, sodass sie sein Profil betrachten konnte, und stocherte mit einem Eisenstab in der Asche auf dem Kamingrill. Und er trug kein Hemd.

Der Anblick, den er bot, war so atemberaubend, so sehr ein Traumbild, dass sie es für einen süßen, selbstvergessenen Augenblick einfach nur genoss. Was für ein Mann, dachte sie sehnsüchtig. Sein schwarzes Haar war zerzaust, aber auf eine sehr verwegene Art, und das Morgenlicht ließ es glänzen. Auf seinen Wangen lag ein dunkler Schatten, der seine kantigen Gesichtszüge noch attraktiver wirken ließ. Und während er am Kamin hantierte, konnte sie die Muskeln unter der gebräunten Haut seines Rückens und seiner Arme spielen sehen.

Er war so nah, dass sie nur die Hand hätte ausstrecken müssen, um ihn zu berühren, und für einen kurzen Moment dachte sie schläfrig darüber nach, wie es sich wohl anfühlen würde, ihre Finger sanft über seine Schultern oder seinen harten Bizeps gleiten zu lassen. Doch bevor sie es tatsächlich tun konnte, wandte Alan plötzlich den Kopf.

Ihre Blicke trafen sich, und Rebecca hielt erschrocken den Atem an, als ihr mit einem Schlag klar wurde, dass sie nicht träumte. Die Ereignisse des Vortages standen ihr plötzlich nur allzu deutlich vor Augen und damit auch der Grund, warum Alan kein Hemd trug. Das hatte nämlich immer noch sie an.

„Guten Morgen.“

Seine tiefe Stimme brach endgültig in die Traumwelt zwischen Schlafen und Wachen ein, in der sie sich für einige wenige Augenblicke befunden haben musste, und ließ ihr das Blut in die Wangen schießen.

„Guten Morgen“, erwiderte sie zaghaft, immer noch verwirrt über die Gedanken, die ihr noch vor wenigen Sekunden durch den Kopf gegangen waren, und setzte sie sich auf. Meine Güte, wie hatte sie sich nur so hinreißen lassen können! Lernte sie denn gar nichts dazu?

Sie zog das weiße Laken, mit dem sie zugedeckt war und das ihr mit einem Mal viel zu dünn erschien, bis ans Kinn und wich Alans Blick aus, in dem ein Ausdruck lag, den sie nicht deuten konnte.

Alan räusperte sich und stand auf, bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn Rebeccas Anblick aufwühlte. Ob sie irgendeine Ahnung hatte, wie sexy sie in seinem Hemd aussah? Ihre Wangen waren gerötet, das Haar vom Schlafen leicht zerzaust, und ihre süßen vollen Lippen … Herrgott, das war doch nicht normal, dass er auf einmal an nichts anderes denken konnte als daran, wie gerne er sie noch mal geküsst hätte! Sie war seine Assistentin! Oder, na gut, theoretisch war sie es im Moment nicht mehr. Aber sie wird es wieder werden, sagte er sich. Und deshalb musste er seine Hormone möglichst schnell in den Griff bekommen.

„Gut geschlafen?“, fragte er, um einen möglichst beiläufigen Tonfall bemüht.

Rebecca nickte, obwohl sie das gar nicht mit Sicherheit sagen konnte. Es war, als hätte sie erst vor ein paar Minuten die Augen geschlossen. Doch draußen hatte sich der Sturm längst verzogen und war einem strahlenden Septembermorgen gewichen. Im Zimmer war es jetzt, nachdem das Feuer aus war, zwar wieder kühl, aber längst nicht mehr so kalt wie noch in der letzten Nacht, als sie im Silvermill House ankamen.

„War die Feuerwehr schon da?“, fragte sie, um ihre Befangenheit zu überspielen.

„Nein. Aber wenn ich mich nicht irre, dann nahen unsere Retter bereits“, meinte Alan trocken. Besser für seine Selbstbeherrschung war es allemal, nicht länger mit Rebecca allein zu sein!

Stimmen erklangen jetzt vor dem Haus, und einen Moment später wurde die schwere Haustür knarrend geöffnet.

„Hallo?“, rief es durch die Halle. „Jemand hier?“

Rebecca wurde klar, dass die Leute, die offenbar nach ihnen suchten, gleich da sein würden, und erhob sich hastig. Doch beim Aufstehen verfing sie sich in dem Laken, das um ihre Beine geschlungen war, stolperte und wäre zu Boden gestürzt, wenn Alan, der immer noch am Kamin stand, nicht sofort reagiert und sie in seinen Armen aufgefangen hätte.

Für eine atemlose Sekunde lehnte sie an seiner Brust und blickte ihm in die Augen, zu fassungslos über diese unerwartete Berührung, um zu reagieren. Sie spürte seine warme Haut unter ihren Händen, fühlte die harten Muskeln darunter, die sich spannten, um sie zu halten, und glaubte, ihr Herz müsse zerspringen, so heftig schlug es gegen ihre Rippen.

Dann wurde die Salontür aufgerissen, und drei Männer in Feuerwehruniformen polterten in schweren Stiefeln ins Zimmer. Im gleichen Moment glitt das weiße Laken zu Boden, das ihr noch um die Hüften gehangen hatte, und enthüllte ihre nackten Beine, die Alans Hemd nur bis knapp oberhalb ihrer Knie bedeckte.

Verblüfft über den unerwarteten Anblick blieben die Neuankömmlinge an der Tür stehen, doch dann trat ein breites Grinsen auf ihre Gesichter. Die beiden Jüngeren stießen sich an.

„Tja, Jungs“, sagte der Älteste der drei, nachdem er sich geräuspert hatte, „wie es ausschaut, kommen wir hier eher ungelegen.“

Erschrocken löste Rebecca sich von Alan, der sie fast abrupt losließ, und verschränkte schützend die Arme vor der Brust. Sie wusste, dass ihre Wangen knallrot waren. Wie peinlich, dachte sie. So wie Alan und sie aussahen – sie in seinem Hemd, er mit nacktem Oberkörper – musste es so wirken, als hätten sie die Sturmnacht für ein heißes Rendezvous vor dem Kamin genutzt.

„Sollen wir lieber später noch mal wiederkommen?“, scherzte der Feuerwehrmann weiter, und die beiden Jüngeren kicherten albern. Doch das Lachen blieb ihnen allen im Hals stecken, als sie Alans grimmigen Gesichtsausdruck sahen.

„Nein, sollen Sie nicht“, erklärte er mit eisiger Stimme. „Wir haben hier schon lange genug ausgeharrt und auf Sie gewartet. Im Gegensatz zu dem, was Sie offenbar zu glauben scheinen, liegt eine sehr unbequeme Nacht hinter uns. Deshalb würde ich es vorziehen, wenn Sie Ihre unpassenden Bemerkungen unterlassen würden. Miss Reardon und ich sind …“

„Rebecca? Rebecca Reardon?“, fiel der älteste Feuerwehrmann ihm ins Wort. Er musterte Rebecca genauer. „Meine Güte, bist du es wirklich?“

Alan war überrascht verstummt, und Rebecca spürte die Blicke aller vier Männer auf sich ruhen. Für einen kurzen, verzweifelten Moment schloss sie die Augen.

„Hallo, Ed“, sagte sie dann tonlos und dachte: Meine Pechsträhne will aber auch gar nicht enden! Ausgerechnet Ed Morrison! Sie hatte den kahlköpfigen kleinen Mann sofort wiedererkannt und sich gewünscht, das Gleiche möge ihm nicht gelingen. Doch leider war dieser Wunsch nach gerade mal fünf Jahren Abwesenheit vergeblich gewesen – und das würde Folgen haben, darüber machte sie sich keine Illusionen.

Ed war nämlich nicht nur engagiertes Mitglied der freiwilligen Feuerwehr von Dunlochry, sondern ihm gehörte auch der Pub im Ort, und er tratschte stets alles herum, was ihm zu Ohren kam. Zuerst waren es Gerüchte über die angeblich erblich bedingte Geisteskrankheit ihres Cousins Matthew gewesen und dann jene bösen Behauptungen über ihre Mutter. Was es diesmal sein würde, konnte sich Rebecca schon denken, denn Ed Morrison ließ den Blick mit wachsender Neugier zwischen ihr und Alan hin und her wandern.

„Was machst du denn wieder hier bei uns?“, fragte er. „Ich dachte, du arbeitest jetzt in London.“

Rebecca sah bei dieser Bemerkung zu Alan auf, der vielsagend die Augenbrauen hob. Doch er schwieg.

„Ich … ich besuche den Laird“, antwortete sie ausweichend, weil sie dem geschwätzigen Gastwirt auf keinen Fall mehr Informationen als nötig liefern wollte. Es reichte völlig, wenn er aus ihr und Alan jetzt ein Paar machte.

Der Mann mit der Glatze hakte die Daumen in den Gürtel an seiner Uniform und grinste breit.

„Dem steht auch nichts mehr im Wege“, verkündete er stolz. „Wir wollten nämlich eigentlich nur Bescheid geben, dass die Straße jetzt wieder frei geräumt und passierbar ist.“ Er machte seinen Kollegen ein Zeichen, und die drei Männer wandten sich zum Gehen.

Alans Blick kreuzte noch einmal Rebeccas, dann griff er nach seiner Jacke.

„Warten Sie, ich komme mit und hole unser Gepäck, damit wir uns umziehen können“, sagte er und folgte den Feuerwehrleuten nach draußen.

Unglücklich sah Rebecca ihm nach. Sie versuchte, froh darüber zu sein, dass sie nun nicht länger hier festsaßen. Doch das Einzige, woran sie denken konnte, war der nahende Abschied von Alan. Er würde gleich nach Edinburgh und anschließend nach London zurückkehren. Und sie würde nach Dunlochry fahren – und damit anfangen müssen, ihn zu vergessen.

Zwanzig Minuten später, als Rebecca in ihrem Vintage-Kleid mit den großen aufgedruckten Blumen neben Alan, der jetzt ein frisches hellblaues Hemd unter seiner Jacke trug, auf der Straße stand, stellte sich jedoch heraus, dass zumindest sie nicht in der Lage sein würde, ihre Reise wie geplant fortzusetzen. Denn der Mini, dessen Front viel stärker beschädigt war, als sie angenommen hatte, war bereits auf einen Abschleppwagen geladen worden. Ein grimmig aussehender Mann in einem blauen Overall überprüfte gerade die Sicherungen an den Rädern.

Rebecca kannte auch ihn. Es war Harry MacPherson, der Cousin des Lairds, der die kleine Autowerkstatt in Dunlochry führte. Er griff sich zum Gruß an seine Mütze, als er Rebecca sah, doch auf seinem Gesicht erschien kein Lächeln, was sie unerwartet schmerzte.

Als sie noch ein Kind gewesen war, hatte Harry ihr stets ein Bonbon zugesteckt, wenn sie sich begegnet waren. Er war einer von den netten Menschen im Dorf gewesen, einer von denen, die Matthews Krankheit tolerierten. Doch nach dem schlimmen Unglück vor acht Jahren, als jene hässlichen Gerüchte über ihre Mutter aufkamen, hatte auch er sich von Rebecca und ihrer Familie abgewandt.

„Wieder zurück in Dunlochry?“ Seine Stimme klang nicht sehr herzlich, aber das hatte Rebecca auch nicht erwartet. „Zu Besuch bei Mary?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein, ich will zum Laird.“

Diese Information schien den Mechaniker zwar zu verwundern, doch er nickte nur knapp.

Aye. Soll ich dich mit ins Dorf nehmen?“

Sie wollte gerade zustimmen, als Alan sich einmischte.

„Das wird nicht nötig sein. Ich fahre Miss Reardon“, erklärte er mit fester Stimme. Und noch bevor Rebecca etwas einwenden konnte, ging er zu dem am Straßenrand geparkten dunkelgrünen Geländewagen hinüber, mit dem er gekommen war, und lud ihre beiden Taschen hinein. Dann hielt er ihr demonstrativ die Beifahrertür auf, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als sein überraschendes Angebot anzunehmen, wenn sie den neugierigen Feuerwehrleuten und dem grimmigen Harry MacPherson nicht noch mehr Stoff für neuen Dorftratsch liefern wollte.

„Ich hätte mit Harry mitfahren können“, erklärte sie, als sie im Auto saßen und Alan den Motor anließ. „Es ist wirklich nicht nötig, dass du mich zum Laird bringst. Dann wird sicher alles nur noch schlimmer.“

„Was wird schlimmer?“, fragte Alan, während er langsam über die Reste von Geäst und über die Sägespäne auf der Straße fuhr, die noch von den Räumungsarbeiten zeugten.

Rebecca seufzte verzweifelt auf. „Man wird uns nach der Szene vorhin im Salon für ein Paar halten, Alan. Dunlochry ist ein kleines Nest, in dem jeder jeden kennt. Und ich wette, Ed Morrison wird dafür sorgen, dass innerhalb kürzester Zeit alle über meinen Unfall Bescheid wissen. Und darüber, dass wir gemeinsam im Silvermill House übernachtet haben.“

„Und das gefällt dir nicht?“ Seine Stimme klang immer noch ruhig, etwas, das Rebecca wütend machte.

„Natürlich nicht“, erwiderte sie hitzig. Was glaubte er denn? Ihr Ruf im Dorf war schon schlecht genug. Und wenn sie für eine Weile in Dunlochry bleiben wollte, dann hatte ihr eine solche Geschichte gleich zu Anfang ihrer Zeit dort gerade noch gefehlt. „Dir etwa?“ Mit neuem Erstaunen sah sie ihn an. Musste er solche Gerüchte über eine Affäre mit ihr nicht viel mehr fürchten als sie, wenn es stimmte, was sie am letzten Wochenende in London gehört hatte?

Alan zuckte die Schultern. „Der Dorfklatsch interessiert mich nicht. Und es wäre für mich auch ganz sicher kein Grund, dich deshalb mit irgendeinem unfreundlichen Mechaniker alleinzulassen.“

Die Tatsache, dass ihm das kühle, abweisende Verhalten von Harry MacPherson ihr gegenüber nicht entgangen war, versetzte Rebecca einen Stich. Mit der Ablehnung der Leute im Ort konnte sie leben. Doch auf gar keinen Fall wollte sie von Alan deswegen bemitleidet werden. Gestern Abend mochte sie froh über seine Fürsorge gewesen sein. Aber er brauchte nicht zu glauben, dass sie nicht alleine zurechtkam.

„Harry hätte mir nichts getan, keine Sorge“, versicherte sie ihm. „Und außerdem musst du doch bestimmt zurück nach Edinburgh, wenn du heute noch einen Flug nach London bekommen willst, oder nicht?“

„Das hat Zeit“, erklärte Alan, ohne den Blick von der Straße abzuwenden.

Aufgewühlt und verwirrt starrte Rebecca ihn an. Sie war fest davon ausgegangen, dass er die Chance nutzen und zurückfahren würde, sobald das Gewitter vorbei war. Aber ganz so eilig schien er es nicht zu haben, und sie wusste nicht, ob sie sich darüber freuen oder verzweifelt sein sollte.

„Hast du das Auto eigentlich gemietet?“, wollte sie wissen, um ihre Unsicherheit zu überspielen. Es schien ein eher ungewöhnliches Modell für ein Mietfahrzeug zu sein.

Alan schüttelte den Kopf.

„Nein. Der Wagen gehört Derek. Er hat ihn mir gegeben, damit ich dir nachfahren kann.“

Oh nein, dachte Rebecca. Dann wussten seine beiden Kompagnons also bereits Bescheid – und mit ihnen bald die ganze Firma. Noch einmal wurde ihr bewusst, was sie mit ihrer Entscheidung alles aufgab. Einen so tollen Job wie den bei Highland Ventures würde sie vielleicht nie wieder finden. Und sicher auch keinen Boss wie Alan.

Sie schluckte trocken. Dass er ihr so schnell und entschlossen folgen würde, hätte sie nie im Leben gedacht. Dabei war das eigentlich typisch für ihn. Wenn er auf Schwierigkeiten stieß, handelte er sofort und versuchte sie aus dem Weg zu räumen.

Vielleicht habe ich mich deshalb so rettungslos in ihn verliebt, überlegte sie und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Weil da trotz all seiner Weltgewandtheit etwas Starkes, Ungezähmtes an ihm war, etwas, das sie von Anfang an angezogen hatte. Er mochte sich sicher durch die Konferenzräume, Galaabende und Dinnerpartys bewegen, die seinen Alltag in London bestimmten, aber er war und blieb ein echter Highlander, der gerne mit dem Kopf durch die Wand ging.

Im Geschäftsleben ließ ihn dieser Charakterzug sehr erfolgreich sein, und sie war immer beeindruckt gewesen, wie hartnäckig Alan sein konnte, wenn er etwas wollte. Nur hätte sie nicht geglaubt, es einmal selbst zu spüren zu bekommen.

Sie schwiegen für eine Weile, während der Wagen ruhig über die Landstraße fuhr, und obwohl Rebecca sich vornahm, es nicht zu tun, wanderte ihr Blick doch immer wieder verstohlen zu dem Mann an ihrer Seite hinüber. Er saß ganz entspannt am Lenkrad, den Blick nach vorn gerichtet. Seine großen sehnigen Hände hielten den Wagen sicher in der Spur, selbst wenn er über vom Sturm auf die Fahrbahn gewehte Äste fahren oder auf die Bankette ausweichen musste, so als koste ihn das alles gar keine Anstrengung.

Unwillkürlich musste Rebecca wieder an jenen Moment denken, als sie vorhin in seinen Armen gelegen und die kräftigen Muskeln unter seiner Haut gespürt hatte, die auch sie mühelos halten konnten – nur um sich diese Erinnerung gleich wieder zu verbieten. Sie war nicht gut für ihr seelisches Gleichgewicht …

Schon nach kurzer Zeit ließen sie die Heide und den Wald, die sich rechts und links der Landstraße erstreckten, hinter sich und erreichten den kleinen Ort Dunlochry. Die Hügel des Hochlandes, die ihn umgaben, leuchteten grüngelb und majestätisch in der Septembersonne und ließen auch die meist weiß gekalkten Häuschen erstrahlen, die sich aneinanderlehnten, als müssten sie sich gegenseitig stützen.

Rebecca seufzte leise, während sie durch die Straßen fuhren. Jedes einzelne Gebäude und jede Formation der heidebewachsenen Berge war ihr noch schmerzhaft vertraut. Dort drüben, hinter der Kirche, befand sich das strohgedeckte Cottage ihrer Tante, in dem sie aufgewachsen war, am Marktplatz schaukelte das vergoldete Schild des Bäckerladens der Haddocks immer noch im Wind, über der Auslage des Gemischtwarenladens von Roberta Henley spannte sich nach wie vor die alte grün-weiß gestreifte Markise, und natürlich war auch das „Shepard’s Dog“ noch da, der urige kleine Pub von Ed Morrison.

„Wir müssen dort entlang“, erklärte sie Alan und wies auf eine Abzweigung am Ende des Marktplatzes, die aus dem Dorf hinaus zu dem von großzügigen Parkanlagen eingefassten Anwesen von Dunlochry Manor führte. Über einen Kiesweg gelangten sie zum Haus und durch einen großen Torbogen in den Innenhof, wo Alan den Geländewagen neben einigen anderen dort geparkten Autos abstellte.

Er stieg aus und kam um das Auto herum, um ihr die Tür zu öffnen. Einen Augenblick später stand sie befangen neben ihm und blickte sich um.

Die Mauerfassade des Herrenhauses bestand aus Steinen von ähnlich hellgrauer Färbung wie die von Silvermill House, doch der Sitz der Lairds von Dunlochry war sehr viel größer und beeindruckender als ihre gestrige Notunterkunft. Die vier großen Türme, die die Eckpfeiler des Gebäudes bildeten, sowie zahlreiche kleinere ließen das Anwesen eher wie eine Burg wirken, und die Schießscharten auf den Außenmauern verstärkten den trutzigen Charakter. Ein Teil des Innenhofs war eingerüstet, und einige Arbeiter waren dabei, die alten Fenster gegen neue auszutauschen. Trotz dieser Renovierungsarbeiten wirkte das große Haus jedoch gut erhalten und gepflegt, genau wie die Parkanlagen, die es draußen umgaben.

Rebecca kannte das alles noch sehr gut. Sie stand da und spürte, wie die Erinnerungen zurückkehrten, die sie mit diesem Anwesen verband. Die guten und auch die weniger guten. Wie jenes Gespräch damals mit James MacPherson, bei dem ihr klar geworden war, was der Laird wirklich von ihr dachte …

„Alles in Ordnung?“ Sie schrak aus ihren Gedanken auf, als Alan sie plötzlich ansprach. Er musterte sie kritisch, und Rebecca spürte, wie sie errötete.

„Ja, ja, alles bestens“, versicherte sie ihm hastig. Doch das stimmte nicht, und für einen kurzen, verzweifelten Moment wünschte sie sich, Alan könnte noch einmal ihr Fels in der Brandung sein, so wie er es gestern Abend gewesen war.

Aber das war unmöglich, das wusste sie. Nach ihrer Kündigung konnte sie schließlich nicht ausgerechnet von ihm erwarten, dass er ihr beistand, wenn sie James MacPherson in wenigen Minuten nach all dieser Zeit wieder gegenüberstand. Das musste sie allein durchstehen.

Sie räusperte sich. „Vielen Dank, dass du mich hergefahren hast. Ich möchte dich wirklich nicht länger aufhalten. Du musst sicher zurück.“

„Und du willst mich wohl sehr dringend loswerden, wie?“

Die Intensität, mit der er sie ansah, ließ ihr Herz wild klopfen. Musste er es ihr so schwer machen, sich von ihm zu trennen?

„Nein, ich …“, sie schluckte, „… ich möchte nur nicht, dass dir meine Kündigung noch mehr Probleme verursacht. Es gibt wegen des Termins in Zürich doch noch so viel zu tun und …“

„Der Termin ist abgesagt“, erklärte Alan.

„Was?“ Rebecca starrte ihn ungläubig an. „Aber wann …?“

„Ich habe heute Morgen in Zürich angerufen und den Leuten von Bernière erklärt, dass die Verhandlungen verschoben werden müssen, weil in meinem Büro unerwartet ein Problem aufgetaucht ist, das ich erst klären muss.“

Rebecca verschränkte die Arme vor der Brust, erneut von einer Mischung aus Überraschung und Ärger erfasst.

„Und dieses Problem bin ich?“

„Allerdings. Ich habe dir doch gesagt, dass ich deine Kündigung nicht akzeptiere. So schnell wirst du mich nicht los, Rebecca. Ich will, dass du bleibst. Wenigstens, bis die Sache mit Bernière über die Bühne ist.“

„Und ich habe dir gesagt, dass der Laird mich braucht“, konterte sie. Es war kaum zu fassen, aber Alan schien tatsächlich noch viel sturer und entschlossener zu sein, als sie angenommen hatte.

„Das ist mir egal. Ich lasse dich nicht gehen.“

Alans grüne Augen blitzten, doch sie ließ sich davon nicht einschüchtern. Sie durfte nicht nachgeben, das wusste sie. Denn ob sie noch einmal die Kraft aufbringen würde, ihn zu verlassen, war fraglich. Sie musste das jetzt durchziehen.

„Dann hättest du in meinen Arbeitsvertrag nicht schreiben sollen, dass ich jederzeit gehen kann, wenn ich will“, erklärte sie ihm und versuchte, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. „Du kannst mich nicht zwingen, weiter für dich zu arbeiten. Ich will hier sein, sieh das doch ein!“

„Aber was willst du hier denn tun?“ Er deutete auf das Gerüst. „Der Umbau ist doch offensichtlich nicht einmal annähernd fertiggestellt. Es dauert bestimmt noch Wochen, wenn nicht Monate, bis das Hotel den Betrieb aufnimmt. Willst du die Arbeiten überwachen und nachsehen, ob der Zement richtig angemischt ist? Das kann nicht dein Ernst sein!“

„Zu tun gibt es immer etwas“, verteidigte sie sich hastig. Manchmal war Alans Talent, eine Situation blitzschnell überblicken und bewerten zu können, ein echter Nachteil. „Außerdem geht es doch gar nicht darum, jedenfalls nicht in erster Linie. Die Frau des Lairds ist vor Kurzem gestorben, und ich glaube, er ist einsam und braucht Beistand. Deshalb bin ich hier. Ich werde alles tun, was nötig ist, um ihn zu unterstützen. Und ich werde bleiben, ob es dir passt oder nicht.“

Trotzig hielt Rebecca Alans wütendem Blick stand und hoffte inständig, dass das, was sie sich gestern während der Fahrt hierher als Erklärung zurechtgelegt hatte, auch tatsächlich der Wahrheit entsprach. Denn eigentlich fragte sie sich immer noch, was den Laird nach fünf Jahren des Schweigens zu seinem unerwarteten Angebot bewogen haben mochte. Er musste doch wissen, dass sie und David sich dann wieder begegneten – und das konnte doch eigentlich nicht in seinem Interesse sein.

Rebecca atmete tief durch. Aber vielleicht hatte der Tod von Margaret MacPherson den alten Mann ja tatsächlich weicher gemacht. Sie hoffte es. Denn nur wenn der Laird sie freundlich aufnahm, würde Alan ihr glauben, dass sie bleiben musste. Und aufhören, nach den wahren Gründen für ihre Kündigung zu forschen.

In diesem Moment öffnete sich die große hölzerne Eingangstür des Gebäudes. Zwei schwarz braune Gordon Setter liefen heraus und kamen auf sie zu, gefolgt von einem weißhaarigen Mann mit auffallend dichten Brauen, die sich über klaren blauen Augen wölbten.

Angespannt und mit klopfendem Herzen bückte sich Rebecca, um genau wie Alan die Hunde zu begrüßen, die ihnen freudig um die Beine strichen. Dann richtete sie sich wieder auf und blickte dem Laird von Dunlochry entgegen. Die Hunde waren noch so freundlich wie früher. Aber würde ihr Herrchen sie genauso herzlich empfangen?

Ihre Sorge erwies sich als unbegründet.

„Rebecca! Wie schön!“, rief James MacPherson und streckte die Arme aus, als er näher kam. Zögernd und etwas befangen ging sie auf ihn zu und ergriff seine Hand, die er mit seinen beiden warm umschloss.

„Vielen Dank für die Einladung, Mr. MacPherson“, sagte sie mit belegter Stimme.

„Oh, bitte nenn mich James“, bat er lächelnd. „So förmlich brauchen wir nach all den Jahren, die wir uns kennen, nun wirklich nicht mehr zu sein.“

Ich war es nicht, die auf Förmlichkeit und Distanz bestanden hat, dachte Rebecca. Doch sie nickte, dankbar dafür, dass er sie vor Alan nicht herablassend behandelte.

„Ich hoffe, es geht dir gut? Du bist nicht verletzt?“, fragte MacPherson. „Ed Morrison hat eben gerade angerufen und mir erzählt, was passiert ist. Er sagte, du wärst auf dem Weg hierher, deshalb habe ich schon nach dir Ausschau gehalten.“

„Nein, nein, alles in Ordnung“, versicherte ihm Rebecca hastig und stöhnte innerlich. Sie hatte ja gewusst, dass Ed die Nachricht von ihrer Nacht in Silvermill House sofort verbreiten würde.

„Und Sie sind dann sicher der junge Mann, der Rebecca geholfen hat“, begrüßte der Laird jetzt auch Alan. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Gehen wir doch hinein und …“

Er konnte seinen Satz nicht mehr beenden, denn ein ohrenbetäubender Lärm ließ sie alle drei herumfahren. Voller Entsetzen sahen sie, wie ein Teil der oberen Ebene des Gerüsts, das an der gegenüberliegenden Seite des Innenhofs aufgebaut war und auf dem einer der Arbeiter stand, mit großem Getöse in sich zusammenbrach.

4. KAPITEL

Es staubte furchtbar, als sie die Unfallstelle erreichten, sodass man zuerst kaum etwas erkennen konnte. Die übrigen Arbeiter waren ebenfalls angelaufen gekommen, doch sie standen nur wie versteinert da und starrten hinauf zu ihrem verunglückten Kollegen, der ganz oben an einer der Eisenverstrebungen hing, an der er sich in letzter Sekunde hatte festhalten können. Das Brett, auf dem er gestanden hatte, war unter ihm weggebrochen und in die Tiefe gestürzt, genau wie einige der Verstrebungen, die das Gerüst stabil hielten. Dadurch wackelte der beschädigte Teil der Konstruktion und bog sich gefährlich weit von der Wand ab. Der Mann schrie um Hilfe, doch keiner der anderen rührte sich.

„Na los“, brüllte Alan denjenigen an, der ihm am nächsten stand. „Vorwärts! Wir müssen ihm helfen.“

„Wenn wir raufklettern, stürzt das Gerüst da oben vielleicht ganz zusammen, Mann“, antwortete der Angesprochene. „Da könnten sich doch noch andere Bretter lösen.“

Und tatsächlich schien allein der Versuch, mit mehreren Personen den jetzt instabilen oberen Teil der Konstruktion zu besteigen, zum Scheitern verurteilt.

Alan überlegte einen kurzen Moment, während sein Blick abschätzend über die Eisenstangen glitt.

„Dann bleibt zurück – ich versuche es allein!“, kommandierte er und lief auf das Gerüst zu. Er umfasste einen der Träger und begann zu dem verunglückten Arbeiter hinaufzuklettern.

„Alan, nein!“, schrie Rebecca entsetzt, als ihr klar wurde, in welche Gefahr er sich damit begab. Sie wollte zu ihm laufen, doch der Laird ergriff ihren Arm und hielt sie fest.

Wie gebannt starrten nun alle auf Alan, der sich rasch über die einzelnen Ebenen nach oben vorarbeitete. Je höher er kam, desto vorsichtiger bewegte er sich über die Bretter, so als warte er jeden Moment darauf, dass sie unter seinen Füßen nachgaben. Rebecca wagte kaum zu atmen, während sie ihn beobachtete, und ihr Herz schlug schmerzhaft schnell gegen ihre Rippen.

Doch Alan schaffte es. Er erreichte das Standbrett unterhalb der Stelle, an der der verzweifelte Mann hing, dessen Kräfte sichtlich nachließen. Erreichen konnte Alan ihn nicht, aber er redete beruhigend auf ihn ein und bewegte ihn dazu, sich zu der nächsten senkrechten Verstrebung zu hangeln und daran hinunterzurutschen. Unten fing Alan ihn vorsichtig auf, und ein Raunen ging durch die Menge, die sich inzwischen unten im Innenhof versammelt hatte, gefolgt von einem Aufschrei, als das Brett, auf dem die beiden Männer standen, ganz plötzlich mit einem heftigen Ruck unter dem Gewicht nachgab. Doch es löste sich nur die Befestigung an einer Ecke, und es gelang Alan, den Arbeiter auf das nächste Brett zu ziehen. Aber war das sicher? Das ganze Gerüst schien hier oben nicht mehr zu halten.

„Das Fenster“, brüllte der Laird und deutete auf eine Öffnung in der Mauer, wo wie fast überall auf dieser Etage, Fenster und Rahmen entfernt worden waren, um sie zu erneuern. Alan nickte kurz und bewegte sich dann, den Arbeiter stützend, darauf zu, bemüht, keine zu hastigen Bewegungen zu machen, die das Brett, auf dem sie jetzt standen, auch noch abstürzen lassen würde.

Es dauerte nicht lange, bis sie die Öffnung erreichten, doch Rebecca kam es wie eine kleine Ewigkeit vor. Sie hielt die Hände vor den Mund gepresst, während Alan dem Mann half, in das etwas höher liegende Fensterloch zu steigen. Dann drückte er sich hoch und war einen Moment später im Innern des Hauses verschwunden.

Keinen Moment zu früh.

Autor

Marian Mitchell
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