Romana Exklusiv Band 365

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KÜSSE, SO SÜß WIE ROTER WEIN von SALLY WENTWORTH
Calum Brodey bekommt, was er will. Und als ihm die hübsche Elaine vorgestellt wird, weiß er sofort: Er muss sie haben. Schade nur, dass sein Charme bei ihr nicht zu wirken scheint. Ob er Elaine mit einem romantischen Ausflug in sein Landhaus in den Weinbergen Portugals beeindrucken kann?

SO ARROGANT, SO EINFÜHLSAM, SO LIEBEVOLL ... von PATRICIA THAYER
Rancher Alex Casali sieht auf seinem schwarzen Hengst zwar umwerfend aus, gibt sich aber kühl und arrogant. Nur wenn er mit Allisons kleiner Tochter spielt, ist er so einfühlsam und liebevoll, dass auch Allison dahinschmilzt. Wie soll sie ihm nur seine Angst vor einer festen Bindung nehmen?

NUR NOCH DIESES EINE MAL ... von HELEN BIANCHIN
Mit nichts als einem Handtuch um die Hüften steht er plötzlich in ihrem Apartment: Tyler Benedict. Millionenschwerer Tycoon, unglaublich attraktiv – und Liannes zukünftiger Ex-Mann. Er will sie zurück! Doch Tyler hat Lianne betrogen. Kann sie ihm diesmal vertrauen?


  • Erscheinungstag 25.08.2023
  • Bandnummer 365
  • ISBN / Artikelnummer 9783751517379
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sally Wentworth, Patricia Thayer, Helen Bianchin

ROMANA EXKLUSIV BAND 365

PROLOG

Mit der Zeitung unter dem Arm und einer Tasse Kaffee in der Hand trat Calum auf die Terrasse des Palácio da Brodey in Porto. Der leichte Nebel vom frühen Morgen hatte sich verzogen, und nun tauchte die Sonne den Garten in ein wunderbar sanftes Licht. Jetzt im Frühling standen die Mandelbäume in voller Blüte, ein lauer Wind wehte ihren süßen Duft herüber. Calum schloss die Augen, sog ihn tief in sich hinein und seufzte. Wie er dieses Fleckchen Erde liebte! Dann setzte er sich an den Tisch und breitete die Zeitung vor sich aus. Auf der Titelseite wurde auf Seite drei ein Artikel über die Brodeys und das bevorstehende Firmenjubiläum angekündigt. Calum schlug die Zeitung auf, nahm einen Schluck Kaffee und begann zu lesen …

Zweihundert Jahre Brodey: Das berühmte Weingut feiert sein Jubiläum

Was für ein Jubiläum – was für eine Festwoche! Bereits jetzt laufen die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten des Traditionshauses auf Hochtouren. Zahlreiche Gäste, darunter Vertreter aus Politik, Wirtschaft und der Weinwelt, werden das große Ereignis in der Residenz der Familie feiern. Zauberhaft gelegen oberhalb des Rio Douro, kurz bevor dieser, aus Spanien kommend, seine Reise in der Nähe von Porto am Atlantik beendet, bietet der barocke Bau aus dem 18. Jahrhundert mit seinen prachtvollen Räumen und seinem wunderschönen Garten eine wahrlich traumhafte Kulisse.

Dabei hatte er nur Wildschweine jagen wollen, der junge Schotte Calum Lennox Brodey der Erste, als er vor zweihundert Jahren in das Tal des Rio Douro, das Tal des goldenen Flusses, kam. Doch der aufstrebende Gründer eines Weinguts auf der Blumeninsel Madeira war nicht nur fasziniert von der unberührten Natur der damals fast menschenleeren Gegend, sondern erkannte auch das Weinpotenzial der steilen Schieferterrassen. Schnell entschlossen erwarb der Winzer mehrere Hundert Hektar Land und pflanzte die ersten Rebstöcke. Von diesen bescheidenen Anfängen über die heute eindrucksvollen Kellereien bis zur weltweiten Marke für kraftvolle Portweine und edlen Madeira war es ein weiter Weg, den die Familie stets mit neuen Ideen, aber auch mit viel Bewusstsein für Tradition beschritt. Seit Generationen gehört das stetig wachsende House of Brodey zu den größten Familienunternehmen Europas und erfreut mit seiner breiten Produktpalette Gourmets auf der ganzen Welt.

Eine Familie im Festfieber

Das Traditionshaus feiert mit diesem Ereignis nicht nur ein Firmenjubiläum, sondern auch ein Familienfest. Der gesamte Brodey-Clan wird sich in Porto versammeln und die aus aller Welt anreisenden Gäste persönlich begrüßen.

Sogar der Familienpatriarch, der wie alle männlichen Erstgeborenen in seiner Ahnenreihe nach seinem Vorfahren benannte Calum Lennox Brodey, soll vom Festfieber erfasst worden sein. Old Calum, wie er in Winzerkreisen genannt wird, ist mittlerweile schon über achtzig, doch der rüstige Senior lässt sich den Spaß an der Arbeit noch nicht nehmen. Fast jeden Tag sieht man ihn zwischen seinen geliebten Rebstöcken. Obwohl er immer versucht, sich unauffällig unter die Arbeiter zu mischen, bleibt er natürlich nicht unerkannt, und sie zollen ihm noch heute großen Respekt. Seine Haltung ist kerzengerade, die Augen blicken neugierig in den Tag, während er persönlich die Qualität der Trauben prüft. Und nachmittags trifft man ihn bisweilen in der hauseigenen Kellerei in Vila Nova de Gaia – versonnen an einem Stehtisch im Schankraum lehnend und mit einem wohlverdienten Gläschen Jahrgangsportwein in der Hand.

Schatten der Vergangenheit

Das stolze Jubiläum ist sicher ein Grund zum Feiern. Doch in der Vergangenheit gab es auch im Leben der Familie Brodey nicht nur Sonnenschein. Bei einem tragischen Autounfall vor zweiundzwanzig Jahren in Spanien verlor Old Calum, der früh Witwer geworden war, seine zwei ältesten Söhne und deren Frauen. Beide Ehepaare hinterließen einen Sohn. Zum Glück hatten die etwa gleichaltrigen Jungen noch ihren Großvater, der ihnen im Palácio da Brodey ein neues Zuhause gab und nicht nur dafür sorgte, dass seine Enkelkinder behütet aufwuchsen, sondern sie auch zielstrebig darauf vorbereitete, später einmal in seine Fußstapfen zu treten. Inzwischen führen sie sein Lebenswerk fort und lenken gemeinsam die Geschicke des Familienunternehmens.

Nur bei seinem jüngsten Sohn soll der alte Herr, so munkelt man, auf Granit gebissen haben. Paul Brodey lehnte die Mitarbeit im Weingut ab, er entschied sich für die Kunst und arbeitet als Maler in Lissabon – inzwischen sogar ziemlich erfolgreich. Auch seine Frau Maria, eine Halbportugiesin, ist eine anerkannte Künstlerin. Ihr Sohn Christopher wiederum fand Gefallen am Weingeschäft, lebt in New York und kümmert sich um den Vertrieb der Produkte des Traditionshauses auf dem amerikanischen Markt.

Mittlerweile leistet nur noch einer seiner Enkel Old Calum im Palácio Gesellschaft: Young Calum, wie die Winzer ihn nennen, Kind seines ältesten Sohnes und einer der begehrtesten Junggesellen Portugals. Obwohl er schon seit einiger Zeit die Geschäftsführung übernommen hat, wird es ihm während der Feierlichkeiten Freude und Verpflichtung zugleich sein, seinem Großvater den Ehrenplatz in der ersten Reihe einzuräumen.

Heiratsgerüchte

Noch eine weitere Familientradition der Brodeys scheint gute Aussichten auf Fortführung zu haben: Von Anbeginn gingen die Söhne der Familie in England auf Brautschau – dem Land, in dem sie ursprünglich ihren meisten Portwein verkauften. Tatsächlich kehrte bisher jeder der jungen Brodeys mit einer blonden „englischen Rose“ aus dem britischen Königreich zurück. Da sowohl Calum als auch Christopher immer wieder in Begleitung von attraktiven Blondinen gesehen wurden, fragen wir uns, wann die beiden diese Tradition wohl fortsetzen werden.

Lennox, der dritte Enkel von Brodey senior, ist seinen Cousins in dieser Hinsicht schon einen Schritt voraus. Er hat bereits auf Madeira eine Familie gegründet. Seine junge Frau Stella – auch sie eine bezaubernde blonde Engländerin – erwartet gerade ihr erstes Kind.

Adele, die vornehm erzogene einzige Tochter Old Calums, ist mit dem bekannten Mäzen und französischen Millionär Guy de Charenton verheiratet. Beide haben eine Tochter: Francesca, eine atemberaubende Schönheit, die vor einigen Jahren Prinz Paolo de Viera in dessen Märchenschloss in Italien heiratete. Obwohl die Brodeys stets ausgezeichnete Kontakte zu den oberen Zehntausend pflegten, gelang es damit erstmals einem Mitglied ihrer Familie, in die Kreise des europäischen Adels aufzusteigen. Alles deutete auf eine glückliche Zukunft hin, doch schon nach zwei Jahren wurde das junge Paar geschieden. Seitdem machten immer wieder Gerüchte über eine bevorstehende neue Heirat der Prinzessin die Runde. Ihr aktueller Begleiter soll der französische Graf Comte Michel de la Fontaine sein. Auf ihren Shoppingtouren in Paris und Rom schlenderten die beiden stets Hand in Hand, und der charmante Franzose wird – wie wir aus gut unterrichteten Kreisen erfuhren – auch im Palácio da Brodey in Porto erwartet.

Zu guter Letzt möchten wir allen Mitgliedern der Familie Brodey an dieser Stelle herzlich zu ihrem stolzen Jubiläum gratulieren. Wir wünschen ihnen weiterhin viel Erfolg – und ihnen und ihren zahlreichen Gästen eine vergnügliche Festwoche.

1. KAPITEL

Das Wetter war traumhaft für die Gartenparty. Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel, der sich blau im Wasser des Rio Douro spiegelte. Passend zum Frühling schmückten Decken aus zartgrünem Organza die Tische, und auf den schönen alten Holzstühlen flatterten transparente Hussen sacht wie Blüten im Windhauch. Elaine Beresford nickte zufrieden, obwohl die Aufregung in ihr prickelte wie Champagner zum Frühstück. Sicher, alles war organisiert, und die Planung der Festwoche zum zweihundertsten Firmenjubiläum des Traditionshauses Brodey war nicht ihr erster Auftrag, den sie als Eventplanerin durchgeführt hatte, aber ihre bisher größte Herausforderung. Was, wenn sie etwas vergessen hatte? Nervös trat sie aus dem Salon auf die Terrasse und ließ ihren Blick prüfend über den parkähnlichen Garten des Familiensitzes schweifen.

Schwarz-weiß gekleidete Kellner balancierten Tabletts mit Aperitifs und köstlichen Tapas. Die hundertsechzig Gäste auf dem englischen Rasen vor der Terrasse hatten alle eine persönliche Einladung erhalten, plauderten nun mit einem Mitglied der Familie oder flanierten mit einem Glas in der Hand und genossen den Panoramablick auf die wildromantische Flusslandschaft. Elaine entspannte sich ein wenig. Einer der Gründe, warum sie ihren Beruf so liebte, war, dass sie ihre Erfolge fast sofort und unmittelbar an den Gesichtern der Auftraggeber und der Gäste ablesen konnte. Wirkten sie gelöst, dann versprach das Fest so strahlend zu werden, wie sie es geplant hatte. Auch wenn damit im Vorfeld eine Menge Arbeit verbunden gewesen war. Allein die Zu- und Absagen zu koordinieren und die Mengen an Getränken und Speisen immer neu zu berechnen – keine leichte Aufgabe. Apropos Speisen …

Elaine blickte auf ihre Armbanduhr. In gut einer halben Stunde sollte das Büfett aufgetragen werden. Gambas piri-piri, gegrillte Garnelen mit Chili-Knoblauch-Sauce, Risol de camarão, in Teig frittierte Krabben, verschiedene frische Salate und eine Caldeirada, ein portugiesischer Fischeintopf. Als Dessert sollte es Papos de anjo, Engelsbäckchen, ein gebackene Köstlichkeit aus Marzipan, geben.

Konzentriert ging Elaine die Reihe der elegant dekorierten Tische ab, um ein letztes Mal die Anzahl der Gedecke zu prüfen. Die Familie hatte sich für die Festwoche kulinarische Spezialitäten aus der Region gewünscht. Mindestens dreimal hatte Elaine die Zusammenstellung ändern müssen, um alle Sonderwünsche zu berücksichtigen. Nicht selten hatte sie dabei innerlich gestöhnt. Aber schließlich waren doch alle zufriedengestellt – zumal ihrem Team ein kreativer Spitzenkoch angehörte, der alle Gerichte vor Ort in der großzügig gestalteten Küche des Palácio da Brodey frisch zubereitete.

Wirklich: Ihre Auftraggeber waren keine einfachen Klienten, auch wenn alle sehr nett waren. Francesca Brodey – Prinzessin de Viera, wie ihr offizieller Titel lautete, kannte Elaine schon länger. Die beiden jungen Frauen hatten wenig gemeinsam – als Brodey-Erbin gehörte Francesca zum Jetset, und Elaine, die aus einem beschaulichen Dorf in Irland stammte, liebte es eher ruhig – und doch waren sich beide auf Anhieb sympathisch gewesen, als sie sich vor einigen Jahren auf einer Party in London trafen. Knapp ein halbes Jahr später hatte Francesca ihren italienischen Prinzen kennengelernt, und Elaines Ehemann Neil war bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Damals war sie am Boden zerstört gewesen und in tiefe Depressionen verfallen. Ein Zustand, den sie kaum aushielt. Doch irgendwann war ihr Kampfgeist zurückgekehrt und der Entschluss gereift, sich als Eventplanerin selbstständig zu machen. Bislang hatte sie lediglich Feiern im privaten Rahmen gestaltet. Dies aber mit großer Freude und stets perfekt. Es sprach also nichts dagegen, dass sie ihre Leidenschaft zum Beruf machte. Als Francesca davon erfuhr, hatte sie Elaine gleich damit beauftragt, das Fest anlässlich ihrer Hochzeit mit dem Prinzen zu planen. Dieses Ereignis war ein solcher Erfolg geworden, dass Elaine und ihr Team weiterempfohlen wurden. Inzwischen hatte sich ihre kleine Firma richtig gut entwickelt, und dank des House-of-Brodey-Jubiläums, das über eine ganze Woche an verschiedenen Orten und mit Gästen aus aller Welt begangen wurde, würde ihr Ruf nun vielleicht sogar weiter über die Landesgrenzen hinausdringen.

Dabei hatte sie den Auftrag anfangs sogar ablehnen wollen. Sicher, er war lukrativ, aber weder sie noch ein Mitglied ihres Teams sprach Portugiesisch. Und gerade im geschäftlichen Miteinander, etwa bei Absprachen mit regionalen Lieferanten, waren Kenntnisse der Landessprache unabdingbar, um Missverständnissen vorzubeugen.

Doch dann hatte sich Francescas Großvater, der Seniorchef, eingemischt. Die Feierlichkeiten lagen ihm sehr am Herzen, und da er für Elaine schwärmte, seit sie die Hochzeit seiner Enkelin geplant hatte, wollte er unbedingt die junge Irin mit dieser ihm so wichtigen Aufgabe betrauen. Letztendlich aber war es Calum Brodey junior, Francescas Cousin und Juniorchef, der Elaine davon überzeugte, die Herausforderung anzunehmen. Wiederholt hatte er mit ihr telefoniert, ihr seine Vorstellungen unterbreitet und auch angeboten, ihr zusammen mit seiner Cousine als Dolmetscher bei Bedarf zur Verfügung zu stehen.

In gewisser Weise sind Calum und Francesca sich sehr ähnlich – angefangen bei ihrer Hartnäckigkeit, dachte Elaine, während sie die beiden beobachtete, die sich unter die Gäste gemischt hatten. Rein äußerlich war die Familienähnlichkeit ohnehin unverkennbar. Alle Brodeys hatten blondes Haar, waren hochgewachsen und von einer Aura umgeben, die zeigte, dass sie ein stilvolles Auftreten von Kindesbeinen an gewöhnt waren.

Francesca war dabei von einer makellosen Schönheit, die Frauen neidisch werden ließ und Männer magisch anzog. Jedoch hatte das Aufsehen, das sie erregte, auch seine Schattenseiten, die besonders von der Sensationspresse gern beleuchtet wurden. Seit ihrer spektakulären Scheidung von Prinz de Viera wurde sie von Paparazzi förmlich verfolgt. Gerade ihre wechselnden Männerbekanntschaften riefen die Reporter immer wieder auf den Plan. Francescas aktueller ständiger Begleiter, der ihr auch jetzt nicht von der Seite wich, war wieder ein Adliger, diesmal ein französischer Graf.

Calum musste etwas älter sein als seine Cousine, Elaine schätzte ihn auf Anfang dreißig, und soweit sie wusste, war er nicht liiert. Was bei seinem blendenden Aussehen allerdings kaum zu glauben ist, schoss es ihr durch den Kopf, während sie einem Kellner unauffällig ein Zeichen gab, die leeren Gläser einiger Gäste gegen gefüllte auszutauschen. Obwohl … Calum Brodey kann auch sehr kühl und arrogant wirken, besonders, wenn er etwas durchsetzen will, überlegte Elaine weiter. Geradezu stählern wirkte dann der Blick aus seinen silbergrauen Augen. Vielleicht aber war er auch nur bis jetzt nicht verheiratet, weil er laut einer Familientradition angeblich nur eine Blondine aus England heiraten durfte? So etwas Ähnliches habe ich doch vor Kurzem in einem Zeitungsartikel gelesen, erinnerte sie sich, während sie ihren prüfenden Blick weiterschweifen ließ und nebenbei feststellte, dass sich unter den Gästen auffällig viele blonde junge Frauen befanden, aber keine einzige mit roten Haaren wie sie.

Wieder sah sie auf ihre Armbanduhr. Inzwischen waren es nur noch Minuten, bis das Büfett eröffnet werden sollte. Suchend schaute sie sich um, und als sie Calum Brodey entdeckte, machte sie sich auf den Weg, um ihn leise davon in Kenntnis zu setzen. Der Juniorchef reagierte sofort und bat alle – zunächst in der Landessprache und dann auf Englisch – zu Tisch.

Kurz darauf trugen die Kellner die Speisen auf. Leider kam es dabei zu einem Zwischenfall: Merkwürdigerweise musste ein Gedeck nachgelegt werden, obwohl für jeden geladenen Gast eins vorgesehen war! Natürlich konnte so etwas passieren, aber Elaine war es trotzdem peinlich, zumal sie es sich auch überhaupt nicht erklären konnte. Sie beschloss daher, im weiteren Verlauf des Festes noch aufmerksamer zu sein.

Während sie sich so diskret wie möglich im Hintergrund hielt, versuchte sie, an zwei Orten gleichzeitig zu sein: in der Küche und im Garten. Für sie war es selbstverständlich, dass sie während der gesamten Veranstaltung präsent blieb und auch die kleinen Details nicht aus den Augen verlor, die oft entscheidend zur Atmosphäre eines gelungenen Festes beitrugen. Nicht zuletzt deshalb hatte Elaine auf die Tischdekoration besondere Sorgfalt verwendet.

Passend zum maritimen Ambiente hatte sie ein Geschirr aus edlem weißem Porzellan in wellenförmigem Design gewählt, und die Servietten aus feinster Baumwolle waren kunstvoll zu Muscheln gefaltet. Die meisten staunenden Blicke der Gäste aber erntete das Herzstück der Festtafel: ein originalgetreues Modell eines Barco Rabelo inmitten eines Meers aus blauen Blüten. Auf diesen romantisch anzusehenden schmalen Kähnen mit Giebelbug und typischem Einmastsegel hatten in alter Zeit die Brodeys und andere Portweinhäuser ihre Fässer über den Douro transportiert. Auch das kleine Modell hatte sein Segel jetzt gebläht und trug darauf in goldenen Lettern den Schriftzug BRODEY. Elaine war sofort aufgefallen, wie stolz die Familie und besonders Calum auf den guten Namen des Traditionshauses waren. Kein Gestaltungsvorschlag, den sie unterbreitete, erschien zu teuer. Im Gegenteil: Das House of Brodey sollte gebührend in Szene gesetzt werden, das Beste für die Gäste war dabei gerade gut genug.

Beim Lunch selbst gab es keine weiteren Zwischenfälle, und Elaine nutzte die Gelegenheit, um sich im Gästebad frisch zu machen. Flüchtig bemerkte sie dabei auch eine zierliche Blondine, die sie, wenn sie sich recht erinnerte, kurz vor dem Essen im Gespräch mit den Cousins der Brodeys gesehen hatte.

Als sie wieder zurück in den Garten kam, wurde gerade ein Ruby Port, ein roter Portwein, als Digestif serviert. Plötzlich hörte man einen gellenden Schrei und eine laut schallende Ohrfeige. Abrupt verstummten sämtliche Gespräche, und jeder drehte den Kopf in die Richtung, aus der die Geräusche kamen.

Elaine war schon auf dem Sprung, als sie zu ihrer Erleichterung bemerkte, dass keiner ihrer Servicekräfte in die Angelegenheit verwickelt war. Nein, allem Anschein nach hatte die Blondine, der sie zuvor im Bad begegnet war, Anstoß genommen an einer Bemerkung, die einer der männlichen Gäste ihr gegenüber äußerte. Chris Brodey, ein weiterer Cousin Francescas, geleitete den betreffenden Mann bereits zum Ausgang. Calum hatte sich schützend vor die junge Frau gestellt, und jetzt gesellte sich auch Francesca dazu und ging mit der Blondine ins Haus.

Mehrere Augenblicke lang hatten die Umstehenden fasziniert die Ereignisse verfolgt, nun jedoch drehten sich alle wieder um und setzten ihre Unterhaltung fort.

Der Seniorchef, der während des Vorfalls im Haus gewesen war und ihn daher nicht mitbekommen hatte, kam in den Garten, blickte sich um, und als er Elaine entdeckte, winkte er sie zu sich. Natürlich machte sie sich sofort auf den Weg, als sie irritiert bemerkte, dass gleichzeitig auch der junge Calum Brodey auf sie zusteuerte.

„Sagen Sie meinem Großvater nichts von dem Zwischenfall“, raunte er ihr leise im Vorbeigehen zu. Elaine stutzte zwar, signalisierte aber kopfnickend, dass sie verstanden hatte, und setzte ihren Weg fort.

Dabei bewegte sie sich mit einer solchen Grazie und strahlte in ihrem dunklen Business-Kostüm und der blütenweißen Seidenbluse eine so selbstbewusste Präsenz aus, dass ihr viele bewundernd nachschauten. Wer es nicht besser wusste, zählte die junge Frau mit der anmutigen Kopfhaltung nicht nur zu den Gästen, sondern vermutete wohl auch, dass sie aus einer reichen und hochrangigen Familie stammte.

Doch so ganz traf das nicht zu: Sicher, sie hatte erstklassige Schulen besucht, nur hatten diese nicht ihre Eltern finanziert, sondern ihre Großeltern väterlicherseits. Ihr Vater war nämlich kurz nach der Geburt seiner Tochter tödlich verunglückt. Seinerzeit hatte ihre Mutter, eine junge, mittellose Schauspielerin, ihre Schwiegereltern um Hilfe gebeten. Pflichtbewusst waren diese der Bitte nachgekommen, bezahlten nicht nur Elaines Ausbildung, sondern luden sie auch häufig in den Ferien zu sich ein. Allerdings: Besonders innig wurde der Kontakt nie, da sie ihre Schwiegertochter nicht sonderlich mochten und von Anfang gegen die Heirat gewesen waren.

„Miss Beresford!“ Mit einem freundlichen Lächeln begrüßte der Seniorchef Elaine. „Die Feier ist wieder sehr gelungen, meine Liebe. Ich kann Ihnen nur gratulieren.“ Old Calum strahlte eine herzlicher Wärme aus. Seine sonore Stimme weckte Vertrauen, und sein ruhiger Blick drückte Verbindlichkeit aus.

Es entspann sich eine kurze Unterhaltung, in deren Verlauf sich die ersten Gäste verabschiedeten.

„Ich denke, für dich wird es auch Zeit, Grandpa!“ Calum Brodey junior stand plötzlich neben ihnen. „Der Tag war lang. Du weißt, was der Arzt verordnet hat“, sagte er laut, und erst dann flüsterte er Elaine zu: „Tut mir leid, wenn ich Sie eben verunsichert haben sollte. Großvater hält sich zwar noch für unverwüstlich, aber er ist nun mal nicht mehr der Jüngste, und da ihm sein Herz in letzter Zeit schon mehr als einmal Probleme bereitete, wollte ich nicht, dass er sich aufregt.“

Elaine nickte nur und lächelte Old Calum zu, der sich tatsächlich nach kurzem Protest von seinem Enkel überreden ließ, nach oben auf sein Zimmer zu gehen. Irgendwie schien der Senior auch erleichtert, die Verantwortung, die er all die Jahre getragen hatte, nun auf die Schultern seiner Enkel legen zu können, im Vertrauen darauf, dass sie das Traditionsunternehmen in seinem Sinne weiterführten.

Nach dem Lunch sah Elaine in der Küche nach dem Rechten, überzeugte sich, dass alles wieder sauber an seinem Platz stand und die Lieferanten bezahlt worden waren. Erst dann gab auch sie sich zufrieden und zog sich zurück.

Die Familie hatte ihr während ihres Aufenthalts in Porto ein Zimmer im Palácio zur Verfügung gestellt. Der zweifellos schöne Raum lag im Erdgeschoss des Seitenflügels und bot einen wundervollen Blick in den idyllisch grünen Innenhof, den man durch eine Fenstertür betreten konnte. Auch die beiden Mitglieder ihres Teams, die Elaine nach Porto begleitet hatten – der Koch Malcolm Webster und Ned Talbot, der Kellner –, waren ähnlich untergebracht und genossen nach der anstrengenden Arbeit nun ebenfalls ihre Mittagsruhe.

Froh, für eine Weile entspannen zu können, stellte Elaine sich unter die Dusche. Als sie kurz darauf in ein Badetuch gewickelt in ihr Zimmer zurückkehrte und sah, wie verlockend warm die Sonne in den Hof schien, streifte sie schnell einen leichten Rock und ein T-Shirt über. Dann nahm sie einen kleinen Sessel mit nach draußen und machte es sich mit einem Buch darin bequem. Eine ganze Weile war sowohl im Haus als auch im Innenhof weder jemand zu sehen noch zu hören.

Sie war so vertieft in ihren Roman, dass sie heftig zusammenzuckte, als plötzlich das Haustelefon in ihrem Zimmer klingelte. Seufzend stand sie auf: Zum einen, weil sie ihre spannende Lektüre unterbrechen musste, und zum anderen, weil ihre Pause jetzt wohl beendet war.

Als Elaine knapp zehn Minuten später – so viel Zeit hatte sie gebraucht, um wieder ihr Business-Kostüm anzuziehen – in Calum Brodeys Arbeitszimmer kam, begrüßte er sie mit einem entschuldigenden Lächeln. „Tut mir leid, wenn ich Sie gestört haben sollte, aber wir werden leider zum Abendessen wieder einen zusätzlichen Gast haben. Ich dachte, nach der Panne heute Mittag informiere ich Sie rechtzeitig.“

„Kein Problem.“ Elaine gab sich gelassen, obwohl ihr die Anspielung auf das fehlende Gedeck nicht entgangen war. Sicher, sie traf keine Schuld. Aber Diskussionen dieser Art mit Auftraggebern waren müßig, der Kunde war ohnehin immer König und somit im Recht. „Ist der Zusatzgast weiblich oder männlich?“, fragte sie mit professioneller Freundlichkeit und ging zu einem kleinen Schreibtisch im hinteren Teil des Raumes. Man hatte ihr die Ecke für die Dauer ihres Aufenthalts als provisorisches Büro zur Verfügung gestellt, denn in ihrem Zimmer gab es weder einen Internetanschluss noch ein Faxgerät.

„Weiblich.“ Calum erhob sich und trat zu ihr. „Nun, wo werden Sie unseren Gast platzieren?“, fragte er und deutete auf den Plan mit der Sitzordnung.

Er stand so dicht neben ihr, dass seine körperliche Nähe sie nervös machte. Dabei hatte Elaine seit drei Jahren jegliche Gefühle, die das andere Geschlecht betrafen, ebenso energisch wie erfolgreich verdrängt. Es konnte also gar nicht sein, oder?

Stopp! rief sie sich zur Ordnung. Alles Einbildung. Du bist eine erfolgreiche Eventplanerin und unabhängig. Er ist nur dein Auftraggeber und kann dir als Mann nicht gefährlich werden!

Sich auf ihre Atmung konzentrierend, bemühte sie sich, das Kribbeln auf ihrer Haut zu ignorieren, und antwortete erst, als sie sich innerlich wieder gewappnet hatte. „Hier, am Ende des Tisches, denke ich. Neben Ihrem Cousin Chris.“

Calum zog kurz die Brauen zusammen, nickte dann aber zustimmend. „Es handelt sich übrigens um die junge Frau, die vorhin in den kleinen Zwischenfall verwickelt war“, erklärte er. „Francesca … Nun, wir haben sie zum Dinner eingeladen.“

„Und wie heißt sie? Ich sollte ihr eine Tischkarte ausstellen.“

„Tiffany Dean.“

Elaine notierte den Namen und setzte sich, um mit feiner Zeichentinte und in elegant geschwungenen Lettern eine Tischkarte zu gestalten. Diese besondere Art zu schreiben hatte sie eigens für solche dekorativen Arbeiten in einem Kurs für Kalligraphie gelernt. Calum wandte sich wieder seinem Computer zu, überließ sie aber nicht sich selbst, wie sie es hoffte. Angespannt versuchte sie, sich von seiner Anwesenheit nicht ablenken zu lassen, obwohl sie deutlich spürte, dass er sie beobachtete.

„Hätte es nicht die Panne mit dem fehlenden Gedeck gegeben, könnte man die Gartenparty eigentlich als vollen Erfolg bezeichnen, was meinen Sie?“ Seine Stimme klang zwar amüsiert, sein Mienenspiel jedoch ließ alles andere als Belustigung vermuten.

Diese verflixte Panne!, fluchte Elaine. Musste er schon wieder damit anfangen? Kurz überlegte sie, ob sie sich nicht doch rechtfertigen und ihm erklären sollte, dass vermutlich ein Gast ungeladen erschienen war, sie also gar keine Schuld traf. Aber sein Blick wirkte kühl und unnahbar, schien ihr zu sagen, dass das wohl Zeitverschwendung sei. Außerdem: Im Grunde ging es doch um eine Lappalie. Und war es nicht ihre Maxime, dass der Kunde immer recht hatte? „Apropos Party“, gab sie sich also ungerührt, „demnächst steht ja die auf Ihrem Weingut …“

„Unserer Quinta“, verbesserte er provokant, wie sie fand. Gut, sie hatte nicht die korrekte portugiesische Bezeichnung benutzt, auf die ihr Auftraggeber offenbar Wert legte. Aber musste er deshalb ein so selbstzufriedenes Lächeln aufsetzen?

„Ja.“ Starr blickte Elaine ihn an, während sie sich zur Gelassenheit mahnte. „Können Sie mir inzwischen die genaue Anzahl der Gäste für die Party auf Ihrer …“, sie machte eine Kunstpause, „… Quinta nennen?“

Er schüttelte den Kopf. „Aber fragen wir doch Francesca.“ Damit stand er auf und ging zur Tür. „Was ist, begleiten Sie mich?“

Tatsächlich machten sie sich dann beide auf die Suche. Allerdings trafen sie Francesca weder in ihrem Zimmer noch im Salon an. Gedankenverloren blickte Elaine gerade von der Terrasse in den Garten, als Calum neben sie trat.

„Darf ich Ihnen von unserem frisch gepressten Orangensaft anbieten, während wir beide auf meine Cousine warten?“

Elaine nickte, wobei ihr Puls stolperte. Der Inbegriff des starken Mannes, noch dazu unglaublich gut aussehend, dachte sie bei sich, während sie Calum beobachtete, wie er elegant die kostbar geschliffene Karaffe ergriff und zwei Gläser Saft einschenkte. Und lächeln konnte er – wie ein charmanter Verführer. Aber war er das auch? Oder war es nur eine Masche? Sicher, nach außen gab er sich als der charismatische Brodey-Erbe, der alle in seinen Bann zog. Doch sie traute ihm nicht. Zu oft war er einfach zu arrogant. Im einen Moment anziehend und dann wieder nicht. War das nicht eine beunruhigende Mischung?

„Madame?“ Als Calum ihr eins der Gläser reichte, fing er Elaines Blick auf und zog leicht seine linke Braue hoch.

Hoffentlich werde ich nicht rot, dachte sie noch, aber da war es schon passiert. Sie hätte sich dafür am liebsten selbst geohrfeigt.

„Ihr Garten ist übrigens wunderschön angelegt“, stieß sie hastig hervor, um von ihrer Befangenheit abzulenken.

Er nickte lächelnd. „Er ist ja auch der ganze Stolz meines Großvaters.“

„Ihrer nicht?“

Calum zuckte mit den Schultern. „Sagen wir mal so: Ich finde es wunderbar, wenn alles grünt und blüht. Aber ich fürchte, einen grünen Daumen, wie die Gärtner sagen, habe ich nicht. Und Sie? Verstehen Sie etwas von Gartenarbeit?“

„Als ich noch in Irland lebte, hatten wir ein Cottage. Damals war ich eine begeisterte Gärtnerin“, gestand Elaine und war froh, angesichts des Themas weiter ins Grüne blicken zu können, statt in Calum Brodeys Augen. „Jetzt wohne ich in einem Apartment in London. Dort habe ich zwar eine Terrasse und auch ein paar Blumenkübel. Aber ich bin so oft nicht zu Hause, dass mir schon viele Pflanzen eingegangen sind.“

„Haben Sie denn häufig außerhalb Londons zu tun?“

„Ja. Die Auftragslage meiner Firma hat sich gut entwickelt. Meistens bin ich natürlich in England unterwegs, aber seit Kurzem habe ich auch Anfragen aus anderen europäischen Ländern.“

Elaine war überzeugt, dass Calum nur fragte, um Konversation zu machen. Umso überraschter war sie, als der junge Brodey sie unvermittelt fragte: „Stimmt es, dass Sie Witwe sind?“

Ein Schatten huschte über ihr Gesicht. „Ja!“, antwortete sie schroff. Nicht, weil sie Trauer empfand, sondern weil sie die Erfahrung hatte machen müssen, dass die meisten Männer eine solche Frage nicht aus Anteilnahme stellten. Verdammt! Sie hätte ihren Klienten nicht so interessiert mustern dürfen! Bei jedem anderen Mann hätte sie es doch auch unterlassen. Nur bei ihm war die Versuchung so groß, stöhnte sie innerlich.

Die Lippen aufeinandergepresst, rüstete sie sich, um seiner nächsten Frage, die jetzt unweigerlich kommen musste, auf jeden Fall Paroli zu bieten. Doch Calum reagierte anders als erwartet.

„Und die Idee mit der eigenen Firma? War das Ihre?“

Das klang ehrlich interessiert. Dennoch blieb sie argwöhnisch und nickte nur kurz.

„Alle Achtung! Das war bestimmt nicht einfach.“

Was zum Teufel hatte er vor? Ihr Misstrauen wollte nicht weichen. „Ja, besonders am Anfang“, antwortete sie vorsichtig.

Und? Erzählen Sie mir noch mehr?, las Elaine in seinen Augen, da kamen Francesca und Tiffany Dean auf die Terrasse. Calum setzte sein charmantes Lächeln auf und schenkte es … Tiffany, wie Elaine zu ihrer Beunruhigung mit Enttäuschung feststellte. Außerdem hatte sie den Eindruck, als wolle er plötzlich allein mit der jungen Blondine sein. Francesca schien es ähnlich aufzufassen, denn sie erklärte sich nur zögerlich bereit, sie in den Salon zu begleiten, um mit ihr die Planung des Quinta-Festes zu besprechen. Und dann setzte sie sich dort auch noch so, dass sie das Geschehen auf der Terrasse stets im Blick behielt. Noch jemand, der aus irgendeinem Grund eifersüchtig war? Das kann doch nicht sein, oder?, grübelte Elaine. Calum war schließlich Francescas Cousin. Aber was bedeutete es sonst? Sie konnte es sich nicht erklären.

„Ach, übrigens, apropos Gedecke“, versuchte sie, die Aufmerksamkeit der Prinzessin auf sich zu lenken, „haben Sie schon die Tänzer und Sänger berücksichtigt? Für die Fado-Gruppe müssten noch sechs mehr eingerechnet werden.“

Francesca zuckte zusammen wie jemand, der mit den Gedanken woanders gewesen war, und blickte alles andere als begeistert auf die Gästeliste. „Die Fado-Musiker, stimmt“, murmelte sie. Es entspann sich eine allgemeine Unterhaltung über den Gesang des portugiesischen Fado, in deren Verlauf Elaine immer wieder aus dem Augenwinkel mitbekam, wie die Prinzessin verstohlen zur Terrasse schaute. Gerade als Calum zum wiederholten Mal über einen Scherz von Tiffany lachte und Francescas Mienenspiel immer mehr von Missmut beherrscht wurde, betrat ihr Cousin Chris den Salon. Sie gab ihm durch Zeichensprache zu verstehen, dass er sich auf die Terrasse begeben solle. Im ersten Moment runzelte Chris irritiert die Stirn, doch dann signalisierte er nickend sein Einverständnis und ging nach draußen.

Elaine konnte nicht anders, auch sie musste jetzt das Geschehen auf der Terrasse beobachten. Tiffany verzog einen Moment das Gesicht, als sie Chris erblickte, aber sie hatte sich so schnell wieder im Griff, dass Calum es nicht einmal bemerkte.

Diese Blondine. Elaine hatte sie erst für so unschuldig gehalten. Dabei versuchte sie gerade, sich mit genau dieser Masche an den Brodey-Erben heranzumachen!

„Elaine?“

Diesmal war sie es, die zusammenzuckte. „Tut mir leid. Wo waren wir stehen geblieben?“

In den nächsten Minuten klärten die beiden Frauen die noch offenen Fragen, und anschließend gesellte sich Francesca zu den anderen. Elaine, die noch immer gebannt war von dem Geschehen auf der Terrasse, riss sich dennoch kurz darauf von dem Anblick los. Schließlich galt es, sich auf die Vorbereitung der Feiern zu konzentrieren. Also ging sie an ihren Schreibtisch in Calums Büro, glich die Gästeliste ab, und dabei fiel ihr auf, dass bei ihrem ortsansässigen Lieferanten für Gastronomiebedarf doch noch mehr Bestecke, Gläser und sonstiges Geschirr bestellt werden mussten als bislang geplant. Sie notierte sich die Anzahl und machte sich auf den Weg zurück in den Salon, um Francesca zu bitten, die erforderlichen Telefonate auf Portugiesisch zu tätigen.

Als Elaine dort eintraf, waren Chris und Tiffany nicht mehr da, und Calum saß auf der Terrassenbrüstung neben seiner Cousine und hatte ihr den Arm die Schulter gelegt. Näherkommend bemerkte Elaine, wie Francesca ihrem Cousin einen beinahe flehenden Blick zuwarf. Und dann küsste Calum sie. Aber nicht auf den Mund, sondern auf die Stirn – wie ein großer Bruder.

Elaine wich instinktiv einen Schritt zurück, weil sie nicht stören wollte, doch da sah Calum auf und entdeckte sie. Augenblicklich ließ er Francesca los und stand auf. „Ich glaube“, sagte er und deutete mit dem Kopf zur Terrassentür, „Elaine könnte noch deine Unterstützung gebrauchen.“ Damit ging er an ihr vorbei ins Haus. Weitere Zeit zu überlegen, was das alles zu bedeuten hatte, blieb Elaine jedoch nicht, denn Francesca eilte schon auf sie zu.

Die Telefonate waren schnell erledigt, und als Elaine noch andere Punkte geklärt hatte, ging sie in die Küche und überzeugte sich, dass die Vorbereitungen für das Abendessen nach Plan liefen. Außerdem steckte sie im Speisezimmer die Tischkarten in silberne Halter und verteilte sie entsprechend der Sitzordnung auf der festlich gedeckten Tafel. Zu guter Letzt arrangierte sie noch zart duftende Blumen aus dem Garten zu einem prächtigen Gesteck und platzierte es als Herzstück in der Mitte. Als sie fertig war, nickte sie zufrieden. Die Tafel konnte sich wirklich sehen lassen und bot den geeigneten Rahmen für das festliche Dinner.

Etliche Stunden später, die letzten Gäste des Abendessens waren kurz vor Mitternacht gegangen, inspizierte Elaine ein letztes Mal das Speisezimmer. Der Raum war wieder ordentlich aufgeräumt, sodass sie beschloss, nur noch ein paar neue Aufträge durchzusehen und dann Feierabend zu machen. Gerade wollte sie durch die Eingangshalle in den Seitenflügel gehen, in dem sich ihr Zimmer befand, da hörte sie jemanden die Haustür aufschließen. Als sie sich umdrehte, sah sie Calum. Der Chauffeur der Familie durfte heute früher frei machen, und so hatte der junge Brodey sich angeboten, Tiffany Dean nach Hause zu fahren, so viel zumindest wusste Elaine. Allerdings, wenn sie sich die beiden nebeneinander im Auto vorstellte … Allein die Vorstellung missfiel ihr. Zumal sie nicht sicher war, ob Calum nicht doch mehr als die Höflichkeit des Gastgebers dazu bewogen hatte. Obgleich er wohl nicht lang in Tiffanys Gesellschaft gewesen war, höchstens eine Dreiviertelstunde. In der kurzen Zeit konnte er nur einmal in die Stadt und wieder zurück gefahren sein. Dieser Gedanke wiederum gefiel Elaine befremdlicherweise.

„Nanu, Elaine …“, Calum warf einen fragenden Blick auf die Ordner in ihrer Hand, „… Sie wollen doch nicht etwa noch arbeiten?“

„Ich will nur kurz etwas überprüfen.“

„Etwas, das unser Firmenjubiläum betrifft? Dann lassen Sie mich Ihnen helfen.“ Er reichte ihr galant einen Arm, als wolle er sie in sein Büro führen.

„Nein“, sagte sie schnell. „Es handelt sich um Neuaufträge in England.“

„Damit könnten Sie doch auch Ihr Personal vor Ort betrauen, oder?“ Er lächelte charmant. „Kommen Sie, lassen Sie sich von mir auf einen Schlummertrunk einladen.“

Sie konnte doch unmöglich um diese Uhrzeit und mit diesem Mann … Hm. Elaine war verwirrt. Andererseits: Durfte sie ihren Auftraggeber mit einer Ablehnung verprellen? Mächtige Männer wie er bestimmten die Regeln nicht nur in ihrer Branche. Hm. Dummerweise hatte er sie vorhin dabei ertappt, wie sie ihn beobachtete. Irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass er wusste, was sie dabei dachte. Ach, verflixt. Er ist so attraktiv und so charismatisch, überlegte sie weiter, und ich glaube, dass ich ihm nicht widerstehen könnte, wenn er mich an sich ziehen und … Reiß dich zusammen, du Närrin!, ermahnte sie sich. Glaubst du wirklich, er interessiert sich für dich? Gerade hat er eine atemberaubende Blondine nach Hause gebracht, mit der er heute Nachmittag auf der Terrasse flirtete. Du hast es doch gesehen!

Kaum merklich schüttelte sie den Kopf. „Danke, aber es ist schon spät.“

Ein Lächeln umspielte seine Lippen, und Elaine hatte das Gefühl, dass er in ihr las wie in einem aufgeschlagenen Buch. Einem Buch, das er oft gelesen hatte und dessen Text er auswendig kannte. Denn dass er ein Frauenheld war, daran gab es doch keinen Zweifel, oder?

„Ja, es ist bereits spät. Aber Sie müssen ja noch arbeiten, nicht wahr?“

Sein leicht ironischer Tonfall ließ sie aufhorchen und sich hastig verabschieden. Noch ehe er etwas erwidern konnte, drehte sie sich um und eilte durch die Halle in ihr Zimmer. Beinahe aufatmend setzte sie sich an ihren Tisch. Aber konzentriert zu arbeiten – das war ausgeschlossen. Immer wieder verirrten sich ihre Gedanken zu Calum Brodey. Ob er wohl zu Bett gegangen ist, oder sitzt er jetzt noch im Salon und trinkt allein seinen Schlummertrunk? Und falls ja – denkt er an mich oder an Tiffany Dean?, grübelte Elaine. Sie stand auf und ging zum Fenster, um nachzusehen, ob im anderen Flügel noch Licht brannte. Da bemerkte sie einen Sportwagen, der auf dem Weg zur Garage durch den Hof fuhr, und erkannte Francesca hinter dem Steuer. Noch jemand, der in dieser Nacht umtriebig ist, dachte sie, wenn auch sicher nicht so verwirrt wie ich selbst.

Am nächsten Morgen wollte Elaine nach Vila Nova de Gaia in die Lodge, die Kellerei der Brodeys am gegenüberliegenden Ufer von Porto, wo am Abend mit dem Personal und wenigen handverlesenen Gästen gefeiert werden sollte. Vor einigen Tagen hatte sie schon einmal die Gewölbe inspiziert und die Dekorationen festgelegt. Nun galt es, allem den letzten Schliff zu verleihen. Nachdem sie geduscht, ihre Haare zu einem Zopf geflochten und schnell ihre Business-Hose, eine Baumwollbluse und einen Pullunder angezogen hatte, ging Elaine auf den Hof. Ihr war gesagt worden, dass dort einer der Angestellten auf sie warten und sie fahren würde. Suchend blickte sie sich um – als sie plötzlich Calum Brodey vor seinem Wagen stehen sah.

„Ich muss auch zur Lodge.“ Er lächelte auf seine charmante Art. „Wenn Sie wollen, kann ich Sie mitnehmen.“

„Das ist sehr nett, vielen Dank, wenn es Ihnen keine Umstände macht.“

„Überhaupt nicht.“

Er öffnete ihr die Beifahrertür, und Elaine setzte ihre Sonnenbrille auf, weil die Morgensonne sie blendete. Außerdem – sie sah in sein männlich attraktives Gesicht – war es ihr lieber, sich Calums Blick entziehen zu können. Um ihre Nervosität gänzlich zu überspielen, stieg sie schnell ein und machte noch eine Bemerkung über das Wetter, als er sich neben sie setzte. Zum Glück musste er sich anschließend auf den Verkehr konzentrieren, sodass er den Blick kaum von der Straße nahm, während sie plauderten, und Elaine versuchte, sich zu entspannen. Wobei sie allerdings nicht umhinkonnte, ihn immer wieder verstohlen von der Seite zu mustern. Sein markantes Gesicht wirkte sehr maskulin. Sein energisches Kinn und sein scharf geschnittener Mund zeugten wohl aber auch von einem kompromisslosen, dominanten Charakter. Genau der Typ Macho, den sie wahrlich zur Genüge kannte. Ihr verstorbener Mann Neil, ein Börsenmakler, war genauso einer gewesen.

Nervös schlug sie die Beine übereinander. Calums wohltönende Stimme am Telefon hätte sie warnen müssen. Damals bereits hat er mich mit seinem Charisma gelockt und zugleich – keinen Widerspruch duldend – auf Distanz gehalten, erinnerte sich Elaine. Als sie ihn dann in Porto das erste Mal sah, da war sie für die Begegnung überhaupt nicht gewappnet. Denn leider war seine Stimme nur ein Teil seiner unglaublichen Attraktivität.

Doch glücklicherweise hatte sie sich schnell wieder gefangen und es sogar geschafft, ihm kühl lächelnd die Hand zur Begrüßung zu reichen. Keine Frage, anderen Frauen konnte Calum Brodey mit seinem Aussehen gefährlich werden, und er wusste das wohl auch. Aber sie würde es nicht dazu kommen lassen! Seit Neils Tod mied sie Männer wie ihn, obwohl nicht gerade wenige ihr Avancen gemacht hatten. Allein bei dem Gedanken an Neils angeblich gute Freunde schüttelte es sie jetzt noch.

„Was ist los? Wollen Sie aussteigen oder im Wagen Probleme wälzen?“, fragte Calum plötzlich leicht amüsiert. Elaine zuckte zusammen.

„Was? Sind wir schon da? Entschuldigen Sie, ich war irgendwie meilenweit weg.“

„Ich frage mich, warum. Fühlen Sie sich bei uns nicht wohl?“

„Oh nein!“ Sie war auf der Hut, hatte den Eindruck, dass er sie einer Prüfung unterzog. „Es geht mir hier gut, Mr. Brodey, wirklich.“

„Calum …“, er schenkte ihr wieder sein charmantes Lächeln, „… bitte nennen Sie mich doch Calum. Mr. Brodey klingt, als wäre ich mein Großvater.“

Sie nickte höflich und stieg schnell aus. Dann folgte sie ihm in die Lodge und machte sich gleich an die Vorbereitung der Abendveranstaltung, während Calum in sein Büro ging. Bis zum Mittag ließ er sie allein, doch auf einmal stand er hinter ihr, während sie sich noch um die bestellten Tische und Stühle kümmerte, die gerade geliefert wurden.

„Kommen Sie, wir haben uns eine Pause verdient. Ich lade Sie zum Lunch ein.“

Nach kurzem Zögern blickte Elaine von dem Klemmbrett auf, das sie in der Hand hielt, und versuchte, ihre Verwirrung hinter einem erfreuten Lächeln zu verbergen. Schließlich war es doch ausgesprochen unhöflich, die Einladung eines Klienten zum Lunch abzulehnen, oder? „Wenn Sie mir zehn Minuten geben? Ich würde mir gern noch die Hände waschen.“

„Sicher. Holen Sie mich in meinem Büro ab, wenn Sie fertig sind.“

Wenige Minuten später fuhren sie die kurvige Bergstraße hinunter zur Uferpromenade, auf der sich nicht nur ein Café an das andere reihte, sondern auch zahlreiche Angler in unerschütterlicher Ruhe auf Holzbänken hockten, die in das Geländer der Promenade eingelassen waren. Nach kurzem Suchen fanden Calum und Elaine ein kleines Restaurant und zwei freie Plätze an einem der hübschen rot gedeckten Tische. Obwohl es noch Frühling war, schien die Sonne bereits sehr warm, und Licht und Schatten spiegelten sich wie funkelnde Edelsteine auf dem blau schimmernden Rio Douro.

„Die meisten Restaurants hier am Ufer haben sich auf portugiesische Küche spezialisiert und sind berühmt für fangfrischen Fisch“, erklärte Calum. „Davon müssen Sie unbedingt probieren.“

„Gern, wenn Sie mir die Speisekarte übersetzen.“

Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Sofort rückte er mit seinem Stuhl neben sie, deutete mit dem Finger auf die einzelnen Gerichte und übersetzte. Wie durch Zufall stießen ihre Knie unter dem Tisch aneinander. Elaine nahm ihre Beine zur Seite, aber die Berührung hatte ein Kribbeln ausgelöst, das sich verwirrend über ihren ganzen Körper verteilte. Tief einatmend bemühte sie sich um Fassung. Dieser Mann war nicht für sie bestimmt. Er gehörte zu Frauen à la Tiffany Dean oder Francesca. Und mich hat er bestimmt nur aus Höflichkeit eingeladen, dachte Elaine. Oder noch schlimmer: aus Verantwortungsgefühl gegenüber einer einsamen Witwe, die zufällig für ihn arbeitete. Solche Gefühle konnte er sich wirklich sparen. Schließlich war sie unabhängig und auf keinen Mann angewiesen – schon gar nicht auf sein Mitleid!

„Das … hätte ich gern“, schnitt sie ihm das Wort ab, als er nicht einmal die Hälfte der Gerichte auf der Karte erklärt hatte.

Einen Moment lang wirkte Calum überrascht. „Äh … ja, sicher. Und dazu sollten Sie einen Vinho Verde probieren. Keine Angst, es ist kein grüner Wein, wie Sie vielleicht vermuten. Normalerweise heißt verde zwar grün. In diesem Fall aber bedeutet es jung. Der Vinho Verde ist ein spritziger und alkoholarmer Wein – einer der erfrischendsten Portugals.“ Da Elaine nicht protestierte, winkte er den Kellner heran und gab die Bestellung auf.

„Wird mit den Booten dort noch gesegelt, oder liegen sie nur als Touristenattraktion vor Anker?“ Elaine blickte zu den vertäuten Barcos Rabelos, die beladen mit leeren Weinfässern friedlich auf den kleinen Wellen schaukelten. Ihre Frage hatte zwar nichts mehr mit dem vorherigen Thema zu tun, aber als Mittel, Calums forschenden Blick von sich abzulenken, fand Elaine sie passend.

„Nun, einmal im Jahr wird mit den historischen Schiffen bei einer Regatta über den Fluss um die Wette gesegelt – von hier bis zur Douromündung und wieder zurück. Alle Portweinhäuser nehmen daran teil, und in der ganzen Stadt wird gefeiert. Abends gibt es dann noch ein großes Feuerwerk.“ Erwartungsvoll sah er Elaine in die Augen. Sie gab sich unbeteiligt.

„Haben Sie denn mal gewonnen?“

Er lächelte. „Na klar. Meine Cousins reisen extra jedes Jahr zur Regatta an.“

„Und Sie sind selbst auch mit von der Partie?“

„Natürlich. Wir alle sind schon als kleine Jungen mit unserem Großvater gesegelt. Jetzt kann er nur leider aus Altersgründen nicht mehr mitmachen. Aber Sie können mir glauben, das bedauert er sehr.“

„Ja, wirklich schade“, murmelte sie.

Er nickte und lächelte plötzlich irgendwie anders. Fast verwegen, sodass ihr heiß und kalt wurde. „Auf jeden Fall kommt Grandpa immer vorbei und feuert uns vom Ufer aus an. Dabei ist er wohl ebenso mit dem Herzen dabei, als säße er selbst im Boot.“

Der Kellner brachte ihr den Wein und Calum, der ja noch fahren musste, ein Mineralwasser. Augenscheinlich steckt mehr in dem jungen Brodey, als es auf den ersten Blick den Anschein hat, schoss es ihr durch den Kopf. Was nicht hieß, dass sie ihn mögen musste. Er war ein Kunde, den sie nicht verprellen durfte, weiter nichts. Am Ende der Woche würde sie ihm ihre Rechnung präsentieren, und die sollte er begleichen. Das war alles. Obwohl, wie sie sich eingestehen musste, Calum Brodey als Mann sie doch immer mehr faszinierte.

Die Lulas recheadas, die sie bestellt hatte, entpuppten sich als Tintenfische, deren Fangarme mit fein gewürfeltem luftgetrockneten Schinken, Zwiebeln und Kräutern gefüllt waren und in einer Sauce aus frischen Tomaten serviert wurden. Elaine konnte nicht anders – davon wollte sie nichts übrig lassen. Es schmeckte einfach zu köstlich. Während des Essens erzählte Calum ihr etwas über die Geschichte der Lodge und auch über die seiner Familie. Elaine hörte aufmerksam und gespannt zu. Er schilderte so anschaulich, dass sie das Gefühl hatte, alles genau vor sich zu sehen.

Versonnen nippte sie an ihrem Wein, der wirklich sehr erfrischte. Aber sie war Alkohol nicht gewöhnt, schon gar nicht um die Mittagszeit. Das Essen im Freien hatte ihr dennoch Spaß gemacht, und sie wurde den Verdacht nicht los, dass das nicht nur an der strahlenden Sonne lag, sondern auch an ihrem Begleiter.

Calum sah auf seine Uhr. „Wenn Sie nichts dagegen haben, fahre ich Sie jetzt zurück zur Lodge. Heute Nachmittag muss ich wieder im Palácio sein.“

„Werden Sie dort in Ihrem Büro arbeiten?“, fragte Elaine. „Ich erwarte nämlich ein Fax und wollte Sie bitten, mich anzurufen, wenn es da ist.“

Er nickte. „Ich werde mich darum kümmern.“ Dann sagte er noch: „Zumindest hoffe ich, dass ich dazu komme. Denn wir erwarten Miss Dean zu Besuch.“

„Ach so. Na ja, so wichtig ist es auch nicht.“ Elaine zwang sich zu lächeln. Also hat er sich doch mit dieser Blondine verabredet, dachte sie. Allerdings: am Nachmittag und zu Hause. Eigentlich hätte sie erwartet, dass er Tiffany zum Abendessen in ein Restaurant einladen würde. Andererseits: Calum Brodey gehörte hier zur Prominenz. Sobald er sich mit einer neuen Frau zeigte, wurde bestimmt nicht nur in den bunten Blättern geklatscht. Und vielleicht wollte er sich deshalb mit Tiffany noch nicht in der Öffentlichkeit zeigen.

Zehn Minuten später setzte Calum sie bei der Lodge ab und hob nur die Hand, ehe er weiterfuhr. Reglos blieb Elaine noch einen Moment stehen und sah ihm hinterher. Er war ein sportlicher, gut aussehender Typ. Der es allem Anschein nach jetzt eilig hatte, sich mit einer schönen Blondine zu treffen. Und nicht nur weil die Familientradition es fordert, dass er eine blonde englische Rose heiratet, wie es in der Zeitung zu lesen war, sondern auch, weil er seine große Liebe gefunden hat?, fragte sie sich. Nun, eigentlich war es auch egal. Es ging sie doch gar nichts an, oder?

2. KAPITEL

Elaine blieb bis gegen vier in der Lodge. Nachdem sie alles noch einmal genau kontrolliert hatte, telefonierte sie kurz mit Malcolm Webster, ihrem Koch, der die Speisen für das Fest in der Küche eines nahe gelegenen Hotels vorbereitete. Dann bestellte sie sich ein Taxi und fuhr mit ihrem Kellner Ned Talbot zurück zum Palácio. Alles lief nach Plan, und so beschloss sie, sich vor dem Abend eine Pause zu gönnen.

Obwohl: Eine Kleinigkeit wollte sie noch erledigen. Calum hatte sie nicht angerufen – wahrscheinlich war er zu sehr mit Tiffany beschäftigt –, und nun wusste Elaine nicht, ob das erwartete Fax eingetroffen war. Als sie im Büro nachsah, fand sie es dort vor. Ein Londoner Klient wünschte einige Änderungen bei seinem bevorstehenden Event und bat um einen überarbeiteten Kostenvoranschlag, der sie für die nächste Stunde an den Schreibtisch zwang. Gerade wollte sie die Antwort faxen, als es klopfte und Ned mit einem Tablett und zwei Tassen hereinkam.

„Ich hab uns mal wieder einen guten Tee gekocht“, meinte er lächelnd. „Irgendwie können die das hier nicht richtig.“

„Haben Sie denn auch Pause gemacht, Ned?“

„Keine Sorge, ich habe schon ein Nickerchen hinter mir.“ Er reichte ihr eine der Tassen. „Hier im Haus soll es vorhin einen Eklat gegeben haben. Im Personalraum reden alle ganz aufgeregt.“

Elaine schmunzelte. Ned verstand zwar kein Portugiesisch, aber wenn irgendwo geklatscht wurde, dann bekam er das mit.

„Was ist denn passiert?“, erkundigte sie sich höflich, obwohl sie wusste, dass er dem Tratsch ohnehin nicht widerstehen konnte und sofort loslegen würde.

„Erinnern Sie sich an diesen großen Amerikaner gestern?“, platzte Ned auch gleich heraus. „Der sich eine Ohrfeige einhandelte? Die Prinzessin soll ihn heute Nachmittag in den Palácio eingeladen haben – und die junge Frau, die ihn geschlagen hat, ebenfalls. Die beiden sollen gemeinsame Sache gemacht haben. Zumindest behaupten die das in der Küche. Und angeblich haben in den letzten Jahren mehrere rassige Blondinen versucht, sich den Juniorchef zu angeln.“

„Nun, die letzte war dann ja wohl die Richtige“, warf Elaine ein.

Ned schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht. Jedenfalls musste die junge Dame im Wagen von Mr. Brodey den Heimweg antreten.“

„Begleitete er sie denn nicht?“

„Nein.“

Elaine holte tief Luft. Offenbar hat Francesca die Romanze im Keim erstickt, dachte sie, während sie den Zucker in ihrem Tee umrührte. Wie es Calum nun wohl ging? Welches Verhältnis hatte er jetzt zu seiner Cousine? Auf jeden Fall musste sie doch damit gerechnet haben, dass er es ihr übel nahm. Elaine hielt nachdenklich inne. „Hat der Amerikaner vielleicht Miss Dean begleitet?“

„Nein. Er soll erst nach ihr und mit seinem Wagen gefahren sein.“ Ned runzelte die Stirn. „Und wenn das stimmt“, schlussfolgerte er, „dann war er nicht der Komplize der guten Miss Dean, sondern diente ihr wohl auch nur als Mittel zum Zweck.“

Neds Vermutung schien der Wahrheit nahezukommen. Denn am Abend begleitete Sam Gallagher, so hieß der Amerikaner, die Brodeys zum Dinner, und Elaine musste wieder einmal in letzter Minute für ein zusätzliches Gedeck sorgen. Calum informierte sie erst mit seinem Eintreffen in der Lodge. Sie hatte schon innerlich geflucht, als er zu ihrer Überraschung und mit einem schiefen Grinsen hinzufügte: „Wenigstens können wir heute unseren Zusatzgast ganz offiziell willkommen heißen, und er schleicht sich nicht heimlich ein wie letztes Mal.“

„Letztes Mal?“

„Nun ja“, Calum seufzte, „wie es aussieht, hat sich Miss Dean auf unsere Gartenparty geschmuggelt.“ Für einen kurzen Moment wirkte er gequält, aber dann hatte er sich wieder im Griff. „Und Ihnen, Elaine, habe ich einen Planungsfehler unterstellt. Dabei konnten Sie nichts dafür. Bitte entschuldigen Sie.“

Scheinbar gleichmütig zuckte sie mit den Schultern. „Kein Problem.“

Calum lächelte flüchtig und gesellte sich zu seiner Familie in den Schankraum. Schon an normalen Tagen strahlte die Einrichtung mit ihren alten Fässern, von denen die großen als Stehtische dienten, eine besondere Atmosphäre aus. Heute Abend hatte Elaine überall silberne Leuchter mit weißen Kerzen dekoriert und als Blickfang in der Mitte ein uriges Fass üppig mit Trauben und Weinlaub geschmückt.

Nach der feierlichen Begrüßung der Gäste durch die Brodeys gab Elaine den Kellnern unauffällig ein Zeichen, die ersten Tabletts mit weißem Portwein hereinzutragen. Dann wurden Reden auf Portugiesisch gehalten, und kurz darauf folgten alle dem Seniorchef in das Kellergewölbe, in dem heute zur Feier des Tages ein Fass mit einem Jahrgangsportwein angestochen werden sollte.

Gleich beim ersten Anblick war Elaine vom Ambiente der Räume aus schwarzem Granit fasziniert gewesen und hatte sofort gewusst, wie man in der mittelalterlichen Atmosphäre stilvoll feinsten Portwein und köstliche Speisen servieren konnte: Direkt vor den mächtigen Eichenfässern war nun die festliche Tafel gedeckt, die brennenden Kerzen und die Fackeln an den Natursteinwänden ließen alles in einem geheimnisvollen Licht erstrahlen. Edles weißes Porzellan leuchtete auf roter Tischwäsche, und zu jedem Gedeck gehörte ein Kristallglas, in das Elaine das Datum des Firmenjubiläums hatte eingravieren lassen. Außerdem war für jeden Gast ein originell verpacktes Geschenk dazugelegt worden.

Während sie sich so gut wie möglich im Hintergrund hielt, versuchte Elaine, ihre Augen überall zu haben. Dirigierte die Kellner diskret, wenn leere Gläser gegen gefüllte ausgetauscht werden sollten, und achtete darauf, dass es auch während des Essens keinem Gast an etwas fehlte.

Anschließend nahm in einer Nische des Kellergewölbes eine Band lokaler Musiker Aufstellung und spielte zum Tanz auf. Männer und Frauen in bunten Trachten wirbelten über das Parkett. Irgendwann ließ sich auch Francesca von der Stimmung anstecken und schwang das Tanzbein. Ihre Cousins allerdings hielten sich zurück.

„Elaine? Würden Sie mit mir tanzen?“ Plötzlich stand Calum neben ihr. Sie war schon wieder auf dem Sprung in den Schankraum, nachdem sie im Kellergewölbe heruntergebrannte Kerzen ausgetauscht hatte.

Sie stutzte überrascht. Dachte kurz nach, registrierte, dass die Band ein langsames Stück spielte, und war überzeugt, dass Calum sie wohl wieder nur aus Höflichkeit gefragt hatte. „Danke, aber ich habe keine Zeit“, stieß sie hervor und wollte an ihm vorbei, doch er legte ihr eine Hand auf den Arm.

Und wieder dieses charmante Lächeln. „Wenigstens ein paar Minuten?“

Allein der Gedanke, von seinen starken Armen gehalten zu werden, brachte ihr Herz aus dem Takt. Gleichzeitig war sie zu stolz, um nachzugeben. „Haben Sie mich nicht verstanden? Ich habe Nein gesagt!“

Er lächelte einfach weiter. „So lasse ich mich nicht abwimmeln.“ Er umfasste ihren Arm und versuchte, sie auf die Tanzfläche zu ziehen.

Himmel, konnte dieser Mann kein Nein akzeptieren?

Die Lippen aufeinandergepresst, widersetzte sie sich ihm und machte einen Schritt in die andere Richtung. „Danke, Mr. Brodey, aber ich tanze nicht.“

Entschlossen riss sie sich los und eilte davon. Kurz vor der Tür konnte sie allerdings nicht widerstehen – sie musste sich umdrehen. Musste nachsehen, ob er gleich zu einer anderen Frau gegangen war. Zu ihrem Erstaunen stand er noch da. Hatte die Augen zusammengekniffen, ansonsten jedoch wirkte seine Miene so kühl, dass sie seinem Blick schnell wieder auswich.

Die Band spielte noch eine Weile weiter, aber Elaine begab sich erst wieder in die Kellerräume, nachdem alle gegangen waren. Schnell sah sie überall nach dem Rechten, schloss dann mit einem Hausangestellten der Brodeys die Räumlichkeiten ab und fuhr mit ihm zurück in den Palácio. Obwohl es ein anstrengender Tag gewesen war und sie sich nur nach ihrem Bett sehnte, ging sie noch einmal ins Büro, um nachzusehen, ob in der Zwischenzeit Klienten versucht hatten, sie zu kontaktieren.

Tatsächlich gab es sowohl Faxnachrichten als auch E-Mails. Und jemand hatte etwas auf den Anrufbeantworter gesprochen – ihre Schwiegermutter. Sie lud sie zu einer Familienfeier ein und fügte hinzu: „Vielleicht hast du ja Lust, das Fest zu planen.“

Elaine biss sich auf die Lippen. Konnte diese Frau nicht begreifen, dass sie nichts mehr mit der Familie ihres verstorbenen Mannes zu tun haben wollte? Und sie diesbezüglich auch zu nichts verpflichtet war, selbst wenn ihre Schwiegermutter das im Nachsatz wieder hatte suggerieren wollen?

Ärgerlich löschte sie gerade die Nachricht auf dem Band, als die Tür aufging und Calum hereinkam.

„Ich habe Licht gesehen und dachte, ich schau mal nach“, erklärte er. Er musterte sie argwöhnisch.

„Ich wollte nur überprüfen, ob es Nachrichten für mich gab.“

Calum rang sich ein entschuldigendes Grinsen ab. „Tut mir leid, ich sollte Sie ja wegen eines Fax anrufen. Nur, dann kam etwas dazwischen, und ich hab es vergessen.“ Er runzelte die Stirn. „Aber Sie haben doch sicher heute schon mal nachgesehen, oder?“

„Ja. Und das Fax auch schon gleich beantwortet. Jetzt wollte ich mich aber vergewissern, dass es keine Probleme damit gab.“ Sie stand auf, um zu gehen. „Gute Nacht.“

„Nein, warten Sie.“

Elaine hielt inne. „Gibt es noch irgendetwas?“ Ihre Stimme klang kühl.

„Nein. Ich wollte nur …“ Fragend blickte er sie an. „Nun, ich hoffe, dass ich Sie heute Abend nicht verstimmt habe mit meiner Aufforderung zum Tanz.“

„Aber natürlich nicht“, log sie.

Er ließ sie nicht aus den Augen und verzog das Gesicht, als zweifelte er daran. Elaine wurde ganz unbehaglich. „Normalerweise reagieren Frauen anders, wenn ich sie um einen Tanz bitte.“

„Ich hatte wirklich zu tun“, wich sie aus.

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe gesehen, dass Sie wütend waren. Können Sie mir das erklären?“

„Da müssen Sie sich getäuscht haben“, fertigte sie ihn ab und steuerte zur Tür.

Aber Calum verstellte ihr den Weg und machte auch keine Anstalten, beiseite zu treten. „Tanzen Sie nie?“

Große Lust, ihm zu antworten, hatte sie nicht. „Doch, natürlich“, sagte sie nur.

„Schon gut, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Und sollte ich schmerzhafte Erinnerungen in Ihnen geweckt haben, dann tut es mir sehr leid.“

Schweigend sah sie ihn an. Konnte es sein, dass er glaubte, er habe sie an ihren verstorbenen Ehemann erinnert? Betrachtete er sie so durchdringend, um auf dem Grund ihrer Seele zu lesen, ob er recht hatte? Elaine verunsicherte der Ausdruck in seinen Augen. Und noch mehr ängstigte sie seine körperliche Nähe. „Wenn Sie mich entschuldigen würden, Mr. Brodey, ich würde jetzt gern in mein Zimmer gehen.“

Er zog die Brauen hoch, trat aber zur Seite. „Natürlich.“ Doch als sie an ihm vorbeiwollte, legte er eine Hand auf ihren Arm. „Waren wir nicht übereingekommen, dass Sie mich Calum nennen?“

Sofort breitete sich wieder dieses Prickeln in ihr aus. Überdeutlich nahm sie es wahr und schaffte es gerade noch, sich zu fangen. „Dann, gute Nacht, Calum.“

„Gute Nacht, Elaine. Schlafen Sie gut.“

So schnell gelang ihr das allerdings nicht, nachdem sie zu Bett gegangen war. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu Calum. Deine Reaktion auf seine Berührung vorhin solltest du ganz schnell vergessen, ermahnte sie sich. Andererseits hätte sie zu gern gewusst, warum Calum ihr so pikiert hinterhergesehen hatte, als sie es ablehnte, mit ihm zu tanzen. War er der Typ, der es gewohnt war, dass alle Frauen seinem Charme erlagen? Sicher taten das viele. Aber sie selbst hatte für solche Supermachos nichts mehr übrig. Dafür war sie zu lange mit einem Exemplar dieser Gattung verheiratet gewesen. Nein, so ein Fiasko wie mit Neil wollte sie nicht noch einmal erleben. Dazu hatte es zu weh getan.

Doch ob sie wollte oder nicht – allein der Gedanke an ihn ließ die Erinnerungen aufsteigen. Fast zehn Jahre war es jetzt her, dass sie Neil kennengelernt hatte. Gerad...

Autor

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Ihren ersten Liebesroman „Island Masquerade“ veröffentlichte Sally Wentworth 1977 bei Mills & Boon. Nachdem ihre ersten Romane für sich stehende Geschichten waren, entdeckte sie in den neunziger Jahren ihre Leidenschaft für Serien, deren Schauplätze hauptsachlich in Großbritannien, auf den Kanarischen Inseln oder in Griechenland liegen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Donald...
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