Romana Exklusiv Band 375

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LIEBESTRAUM IN DER CHAMPAGNE von PENNY ROBERTS

Endlich bekommt Zoey ihre große Chance: Sie soll eine Glamourstory über die Champagne schreiben. Das Weingut mit dem gewissen Charme leitet jedoch ausgerechnet der arrogante, aber umwerfende Thierry Chatnoir. Wie soll Zoey bloß klar denken, wenn seine Nähe prickelt wie Champagner?

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  • Erscheinungstag 01.06.2024
  • Bandnummer 375
  • ISBN / Artikelnummer 9783751524001
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Penny Roberts, Natalie Fox, Cara Colter

ROMANA EXKLUSIV BAND 375

1. KAPITEL

Mit einem unterdrückten Fluch legte Zoey die Straßenkarte auf der Motorhaube ihres Wagens ab, dessen Lüftung lautstark brummte. Während sie das Papier mit einer Hand glatt strich, versuchte sie, mit der anderen zu verhindern, dass der frische Wind, der von Osten her wehte, es davonblies.

Ohne Karte, das wusste sie genau, wäre sie vollkommen aufgeschmissen. Fast wünschte sie sich eines dieser albernen Smartphones herbei – mit GPS, Routenplaner-Funktion und allem Drum und Dran. Doch dann musste sie an ihren Vater denken und daran, wie er wohl auf ein solches Ansinnen reagiert hätte. Sie konnte beinahe hören, wie er mit abfälliger Stimme sagte: „Immer diese technischen Spielereien … Bist du wirklich zu faul, eine richtige Karte zu lesen? Was haben deine Mutter und ich bei deiner Erziehung bloß falsch gemacht?“

Rasch fegte sie den Gedanken beiseite. Stattdessen schaute sie sich nach irgendetwas um, an dem sie ihren gegenwärtigen Standpunkt festmachen konnte. Sie stand mit ihrem Wagen an einer Wegkreuzung, die etwas erhöht auf einer Hügelkuppe lag, und ringsum fiel das Land sanft ab. Es war ein herrlicher Ausblick, zweifellos. Weite Weinberge, goldene Kornfelder und grüne Weiden, auf denen Schafherden grasten. Dunkle Wäldchen und im Sonnenschein glitzernde Weiher durchbrachen hier und da die Gleichförmigkeit der Landschaft.

Zoey riss sich von dem Anblick los. Sie befand sich an einem wunderschönen Ort mitten in der Champagne, ja – aber keineswegs zu ihrem Vergnügen und auch nicht, um die Natur zu genießen. Ein Auftrag hatte sie nach Frankreich geführt. Ein Auftrag, der die Chance darstellte, auf die sie so lange gewartet hatte. Wenn sie hier in der Champagne also alles richtig machte, konnte sie die Fehler der Vergangenheit endlich hinter sich lassen und allen zeigen, dass sie gut war in dem, was sie tat.

Allen voran ihrem Vater und ihrem Ex Michael …

Sie schaute zurück auf ihre Karte, was sie jedoch nicht weiterbrachte. Fluchend knüllte sie sie zusammen und warf sie durch das geöffnete Seitenfenster ins Wageninnere. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie das laute Tuckern des sich nähernden Traktors erst registrierte, als er schon fast bei ihr angelangt war. Sie schaute auf, trat auf die Straße und winkte dem Traktorfahrer zu.

„Hey“, rief sie. „Anhalten, bitte … äh …“ Sie kramte in ihrer Erinnerung nach den wenigen Französisch-Vokabeln, die sie in der sechsten Klasse gelernt hatte. Schließlich hatte sie einen Geistesblitz. Arrêter, s’il vous plaît.“

Das Tuckern des Motors verklang, und der Trecker stoppte. Waren die Lektionen von Mademoiselle Cachard also doch nicht ganz umsonst gewesen?

Erleichtert trat Zoey an das Gefährt heran, dessen riesige Hinterräder sie fast überragten – was nicht sonderlich verwunderlich war, da sie lediglich zierliche eins achtundfünfzig maß. Mit einem, wie sie hoffte, einnehmenden Lächeln blickte sie zu dem älteren Mann auf, der am Steuer des Traktors saß. „Bonjour!“

Als er ihr Lächeln erwiderte, entblößte der Landwirt eine Reihe unregelmäßiger gelber Zähne und fing an, in schnellem Französisch auf sie einzureden.

Hilflos schaute Zoey ihn an. Sie verstand kein Wort. „Entschuldigung“, versuchte sie es auf Englisch. „Ich spreche leider kaum Französisch. Kein français. Anglais?

Er schüttelte den Kopf. Kein Englisch also. Na, wunderbar!

„Hättest du im Unterricht wohl besser aufpassen sollen, hm?“, hörte sie die Stimme ihres Vaters erneut in ihrem Hinterkopf spotten. Doch sie weigerte sich, etwas darum zu geben. Früher hatte sie sich davon vielleicht entmutigen lassen. Heute nicht mehr.

Sie straffte die Schultern. Sie war eine gestandene Frau und würde sich von ein paar kleinen Schwierigkeiten nicht entmutigen lassen. Es dauerte einen Moment, ehe ihr das französische Wort für Suchen einfiel, doch schließlich wusste sie es wieder. Hoffte sie zumindest.

Chercher … Ach, verdammt, wie wird das jetzt ausgesprochen? Vieille-Rivaille-sur-Marne?“

Der Mann schaute sie nur verständnislos an. Sie konnte es ihm nicht übel nehmen. Ihre französische Aussprache war schauderhaft und …

Ein lautes Hupen ließ sie erschrocken zusammenfahren. Sie zuckte zurück und wäre um ein Haar gestolpert und auf dem Hosenboden gelandet. Es gelang ihr gerade noch, sich zu fangen.

Ärgerlich wirbelte sie herum und stemmte die Hände in die Seiten. Auf der Straße – unmittelbar hinter dem Traktor – stand ein schnittiger roter Sportwagen. Dessen Fahrer ließ das Seitenfenster herunter und rief etwas auf Französisch zu ihnen herüber. Und auch wenn sie ihn nicht verstehen konnte, so war doch offensichtlich, dass er ganz eindeutig wütend war.

„Haben Sie den Verstand verloren, mich so zu erschrecken?“, fragte sie und biss sich auf die Lippe. Die Worte waren einfach so aus ihr hervorgesprudelt.

Was soll’s? Hier versteht dich ja ohnehin keiner …

Der Mann erwiderte nichts, sah sie einen Moment einfach nur an. Da die Sonne ungünstig stand und sie ein wenig blendete, konnte Zoey kaum etwas von ihm erkennen. Dann aber drückte er die Wagentür auf und stieg aus. Langsam kam er auf sie zu. Als er direkt vor ihr stand, konnte sie ihn genauer betrachten – und im selben Moment begann ihr Herz wie verrückt zu hämmern.

Was für ein Mann!

In seinen engen verwaschenen Blue Jeans und dem schmal geschnittenen kurzärmeligen Hemd kam seine durchtrainierte Figur perfekt zur Geltung. Er überragte Zoey um mindestens dreißig Zentimeter, eher sogar mehr. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um sein Gesicht sehen zu können – ein ungemein attraktives Gesicht. Markante Züge, ein sexy Dreitagebart und umwerfend leuchtende, kornblumenblaue Augen.

Aus denen musterte er sie jetzt, als er sagte: „Fragt sich nur, wer hier den Verstand verloren hat.“

Zoey hielt die Luft an. Ihre Empörung über seine Worte wog noch schwerer als die Überraschung darüber, dass er sie verstanden hatte. Das war ja wohl unerhört! „Wie bitte ist das gemeint?“, fragte sie und erwiderte seinen Blick.

„Ganz einfach: Sie versperren mir hier den Weg und hindern mich daran, pünktlich zu einem wichtigen Termin zu kommen. Da ist doch wohl die Frage erlaubt, ob Sie noch ganz bei Trost sind, oder?“

Ehe Zoey die Worte verdauen und ihrer Verärgerung Luft machen konnte, wandte er sich an den Traktorfahrer und sprach einige Sätze auf Französisch mit ihm. Der Bauer hob nur fragend die Schultern.

„Reden Sie da gerade über mich?“, fragte Zoey den attraktiven Fremden schließlich. Es ärgerte sie, dass sie kein Französisch sprach. Es machte sie hilflos.

„Ich habe lediglich gefragt, was Sie von ihm wollten. Aber der arme Mann hat keine Ahnung. Sie haben ihn sehr verwirrt.“ Noch einmal sagte er etwas zu dem Bauern, der daraufhin Zoey zunickte.

„Danke“, rief sie dem freundlichen Mann zu, der sich immerhin Zeit für sie genommen hatte. „Äh … Merci!“

Er winkte noch einmal, und kurz darauf übertönte das Brummen des Motors jedes andere Geräusch. Langsam ratterte der Traktor davon.

„Zu Ihrer Information“, erklärte Zoey nun. „Ich habe nur nach dem Weg gefragt. Das wird doch wohl noch erlaubt sein!“

„Nur spricht eben nicht jeder hier Ihre Sprache. Außerdem gibt es da eine Erfindung, die sich Navigationsgerät nennt.“

„Habe ich aber nicht.“

„Jedes Smartphone hat heute eine solche App.“

„Ich habe auch kein Smartphone. Und deshalb auch keine App.“ Sie schluckte. „Ich … ich mag diesen ganzen Technikkram nicht so. Ich bevorzuge die altmodische Art.“

Seine Augen weiteten sich. „Ach, und wie sind Sie dann bis hierhergekommen, Frau-ohne-Technik?“

„Noch nie was von Straßenkarten gehört?“

„Davon spreche ich nicht.“

„Sondern?“

Er deutete auf ihren Wagen. „Wenn Sie nicht auf die ganze Technik stehen, hätten Sie besser in einer Kutsche reisen sollen, meinen Sie nicht?“ Belustigt winkte er ab, dann runzelte er die Stirn. „Sie haben also wirklich kein Handy?“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ein Handy habe ich natürlich schon. Aus beruflichen Gründen. Aber eben kein Smartphone. Und deshalb auch keine Navigations-App.“

„Wie dem auch sei: Wo müssen Sie denn hin?“ Er legte einen betont gönnerhaften Blick auf, der Zoey nur noch mehr ärgerte.

Sie zwang sich, ruhig zu bleiben. „Nach Vieille-Ri … Ri …“

Er stieß ein abgrundtiefes Seufzen aus. „Ich nehme an, Sie meinen Vieille-Rivaille-sur-Marne.“ Als sie nickte, fuhr er fort: „Da müssen Sie einfach der Straße weiter folgen.“ Er deutete in die entsprechende Richtung. „Nach etwa zehn Kilometern kommen Sie zu einer weiteren Kreuzung, dort biegen Sie dann nach rechts ab.“ Er sah sie an. „Haben Sie das verstanden?“

Ob ich das verstanden habe? Sehe ich vielleicht begriffsstutzig aus? Aber sie verkniff sich einen Kommentar. Immerhin wusste sie durch seine Hilfe, wie sie fahren musste. „Ja, vielen Dank.“

„Dann kann es ja jetzt endlich weitergehen!“ Nach diesen Worten und einem knappen Nicken eilte er zurück zu seinem Auto. Nur einen Augenblick später fuhr er so hart an, dass die Reifen seines Sportwagens quietschten und Staub aufwirbelten.

Hustend sah Zoey ihm nach. Dieser Mann war wirklich die Unverschämtheit in Person. Ein Glück, dass er es so eilig hatte! So konnte sie sich wenigstens wieder auf die wichtigen Dinge konzentrieren.

Etwas, das allerdings gar nicht so einfach war – angesichts der Tatsache, dass sie den Fremden für die restliche Fahrt nicht mehr aus dem Kopf bekam.

Dank eines Blicks in den Rückspiegel war Thierry nicht entgangen, dass die unbekannte Schöne ihm noch eine Weile nachgeschaut hatte. Und er musste zugeben, dass er sie auch gern noch länger betrachtet hätte.

Wobei er das in gewisser Hinsicht ja tat, denn selbst jetzt, zehn Minuten später, sah er sie noch immer vor sich. Klein, zierlich, mit dunkelblondem Haar, das golden im Sonnenlicht schimmerte. Ihre Figur war eigentlich ein wenig zu jungenhaft für seinen Geschmack. Dennoch hatte sie etwas an sich, das ihn anzog. Ganz offensichtlich.

Er schüttelte den Kopf und versuchte, seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße vor sich zu lenken. Weit und breit fuhr kein einziger Wagen, was es ihm nicht unbedingt leichter machte, die Fremde aus seinen Gedanken zu verbannen.

Dabei gab es zurzeit eine ganze Menge, um das er sich zu kümmern hatte. Schöne fremde Frauen gehörten ganz sicher nicht dazu.

Seufzend schaltete er in den nächsten Gang und drückte das Gaspedal weiter hinunter. Dass diese Frau und der Traktorfahrer die Straße blockiert hatten, war ihm mehr als ungelegen gekommen. Er befand sich auf dem Weg zu einem wichtigen Termin mit einem Winzer, der ihm zugesagt hatte, ihn im kommenden Herbst mit Trauben zu versorgen, und zwar zu einem mehr als fairen Preis. Da Thierry mit seiner Kellerei noch am Anfang stand und die diesjährige Ernte wohl eher mager ausfallen würde, war er auf die Trauben anderer Winzer angewiesen. Bloß durften sie nicht zu teuer sein, denn sein Budget war derzeit beschränkt. Die Qualität durfte darunter natürlich nicht leiden. Es war eine Gratwanderung, bei der er sehr behutsam vorgehen musste.

Das galt ganz besonders, da er im Moment zweifellos zu den Menschen gehörte, die behaupten durften, dass in ihrem Leben so ziemlich alles schieflief, was nur schiefgehen konnte. Finanziell stand er so dicht am Abgrund, dass seine Zehen schon in der Luft hingen. Und das alles hatte er nur seiner Mutter zu verdanken. Nun, zumindest zum größten Teil.

Deshalb war es so wichtig, dass er sich jetzt voll und ganz auf die Arbeit konzentrierte und sich von nichts und niemandem ablenken ließ.

Vor allem von keiner dahergelaufenen Schönheit, die dir nur den Kopf verdreht …

Er nickte sich selbst zu. Genau. Er brauchte keine Frau in seinem Leben. Das war nicht nur für seinen Seelenfrieden besser, sondern diente auch dem Wohl der Frauenwelt. So viel stand für ihn nach der Katastrophe mit Pauline fest …

Daher war es auch gut, dass er so schnell weitergefahren war. Fragte sich bloß, warum er diese hinreißend schöne Unbekannte nicht einmal dann aus dem Kopf bekam, als er eine Stunde später bei seinem Termin war.

„Keine Sorge, ich habe recht häufig Gäste aus England und spreche die Sprache gut“, versicherte die Inhaberin der Pension, in der Zoey ein Zimmer reserviert hatte, in tatsächlich einwandfreiem Englisch.

Zoey lachte. „Davon haben Sie mich soeben überzeugt!“

„In dieser Gegend werden Sie keine großen Probleme mit der Sprache bekommen. Eigentlich sprechen die meisten hier Englisch.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Die Champagne ist ein beliebtes Ausflugsziel für Menschen aus aller Welt. Höchstens mit den Landarbeitern könnte es zu Verständigungsproblemen kommen …“

Zoey lächelte. Die Erfahrung hatte sie ja bereits gemacht.

„Sind Sie denn privat oder beruflich hier?“, erkundigte sich die Pensionswirtin, die sich als Maélys Marchant vorgestellt hatte. Sie war eine ältere dunkelhaarige Frau, deren einnehmendes Lächeln von Herzen kam.

„Beruflich“, erklärte Zoey, und allein der Gedanke an ihre bevorstehende Aufgabe ließ wieder ein unangenehmes Gefühl in ihrer Magengegend aufkommen. Wie früher in der Schule, vor wichtigen Tests oder Klassenarbeiten. Und im Grunde fühlte sie sich im Moment auch genau so. Das alles hier war nichts anderes als ein Test für sie.

Es ging darum, Tilda Garisson, die Chefredakteurin des Lifestylemagazins Extravaganza, von sich zu überzeugen. Es erschien Zoey noch immer ganz unwirklich, dass man ihr diese Chance tatsächlich gegeben hatte. Sie war mit dem Vorschlag für eine Reportage-Reihe zu Garisson gegangen – so gut wie sicher, dass sie einmal mehr eine Absage kassieren würde. Doch die Redakteurin war tatsächlich interessiert gewesen. Und sie wollte, dass Zoey den Auftaktartikel für sie schrieb.

Deshalb war sie hier. Um zu zeigen, was wirklich in ihr steckte. Nicht nur Tilda Garisson oder sich selbst. Nein, vor allem ging es darum, ihrem Vater zu beweisen, dass er sich getäuscht hatte. Dies war ihre letzte Chance, das wusste sie. Wenn sie jetzt versagte, versagte sie für immer.

Und das, obwohl sie längst gezeigt hatte, was in ihr steckte. Wenn sie sich nicht auf den falschen Mann eingelassen hätte, wäre sie vermutlich …

Sie schüttelte den Gedanken an Michael ab und konzentrierte sich stattdessen darauf, die restlichen Formalitäten mit Madame Marchant zu klären.

„So, dann hätten wir ja alles erledigt“, sagte die Pensionswirtin anschließend. „Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.“

Zoey nickte, nahm ihren Trolley und folgte der älteren Frau. Sie hatte sich bewusst für eine private Unterkunft entschieden. Erstens, weil es einfach günstiger war, aber auch, weil sie hoffte, sich hier wohler zu fühlen als in einem dieser großen anonymen Hotels.

Auf dem Weg ins Zimmer spürte sie auch gleich, wie ein ganz besonderes Gefühl von ihr Besitz ergriff. Der Anblick von Blümchentapeten, Spitzengardinen und verblichenen Fotos, die in Holzrahmen an der Wand hingen, durchflutete sie mit Wärme und Geborgenheit. Ja, das alles hatte etwas Heimeliges an sich, und Zoey stellte erleichtert fest, dass sie mit dieser Pension genau die richtige Wahl getroffen hatte.

Ihr Zimmer war klein, aber gemütlich eingerichtet. Ein einfaches Bett, ein Kleiderschrank und ein Schreibtisch. Alles war sauber und ordentlich. Sogar ein eigenes kleines Badezimmer gab es.

„Ich lasse Sie dann mal allein“, sagte die Pensionswirtin. „Wenn Sie irgendwelche Fragen oder Wünsche haben, ich bin jederzeit für Sie da.“

Dankbar lächelte Zoey. „Merci, das ist sehr freundlich, Madame Marchant.“

„Bitte, sagen Sie einfach Maélys.“ Bei diesen Worten nickte die ältere Frau ihrem Gast noch einmal zu, dann wandte sie sich ab und verließ das Zimmer.

Zoey konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich direkt aufs Bett fallen zu lassen. Tief atmete sie ein, während sie in ihrer kompletten Kleidung auf dem Rücken dalag und an die Zimmerdecke starrte. Wie gut das tat! Die sechsstündige Fahrt von London hierher war doch recht anstrengend gewesen. Am liebsten hätte sie jetzt einfach die Augen zugemacht und sich von ihrer Erschöpfung überwältigen lassen. Aber das ging auf keinen Fall, denn schon morgen hatte sie einen Termin in der Kellerei Chatnoir. Diese Kellerei und ihr Besitzer stellten die Chance dar, auf die Zoey nur gewartet hatte.

Schon allein deshalb durfte sie den Rest des heutigen Tages auch auf gar keinen Fall verschlafen, sondern wollte die Zeit nutzen, sich noch so gut wie möglich vorzubereiten.

Doch kaum, dass sie sich aufgesetzt hatte, begannen ihre Gedanken auch schon wieder, auf Wanderschaft zu gehen. Und zwar in die vollkommen falsche Richtung, nämlich zu ihrem Vater. Sie nahm ihren Laptop aus der Reisetasche und schaltete ihn ein.

Oh ja, Dad, ein technisches Gerät, ich weiß … Aber auf dieses hier kann ich einfach nicht verzichten!

Doch der Gedanke an ihren Vater war schnell wieder verflogen. Nicht so jedoch das Bild des unbekannten Fremden, das schon wieder unaufhörlich vor ihrem inneren Auge herumgeisterte. Himmel, was war bloß los mit ihr? Sie hatte diesen Mann ein einziges Mal gesehen, und er war nicht einmal besonders freundlich zu ihr gewesen, eher im Gegenteil. Warum nur konnte sie diese flüchtige Begegnung nicht einfach abhaken und sich wieder aufs Wesentliche konzentrieren?

Weil du dich zu leicht ablenken lässt, deshalb. So war es doch schon immer. Dad hatte ganz recht mit dem, was er immer gesagt hat: dass du nur Flausen im Kopf hast und einfach nicht in der Lage bist, es in deinem Leben zu etwas zu bringen.

Sie kniff die Augen zusammen. Von wegen! Sie konnte sehr wohl etwas leisten, das hatte sie sogar schon. Und sie würde es wieder schaffen, deshalb war sie hier.

Aus diesem Grund untersagte sie sich jetzt auch jeden weiteren Gedanken an den attraktiven Fremden und widmete sich ganz und gar ihrer Arbeit.

Denn Arbeit war das Wichtigste im Leben, zumindest das hatte sie von ihrem Vater gelernt.

Als sie sich am nächsten Vormittag auf dem Weg zur Kellerei Chatnoir befand, konnte Zoey nicht der Versuchung widerstehen, langsam zu fahren. Obwohl sie nervös und angespannt war, wollte sie die Landschaft um sich herum genießen.

Die Sonne, die schon hoch am wolkenlos blauen Himmel stand, tauchte alles in goldenen, warmen Glanz, und so wirkten die weiten Weinberge, die saftig grünen Wiesen und die vielen kleinen weißen Gebäude geradewegs wie ein Bild aus einem Reiseprospekt. Doch hier war nichts am Computer geschönt worden, nichts farblich verändert. Das hier war Natur pur. Etwas, das sie aus London nicht kannte.

Lächelnd fuhr Zoey weiter. Die Umgebung war wirklich herrlich. Trotzdem war sie froh, als sie die Abbaye de St. Jacques erreichte. Dank der hervorragenden Beschreibung ihrer Pensionswirtin heute Morgen beim Frühstück hatte sie ohne Probleme hergefunden.

Sie hatte sich vorher schon in verschiedenen Prospekten Bilder von der alten Abtei angesehen, die vor etwa hundert Jahren zu einer Kellerei umgebaut worden war. Aber keines davon konnte der Realität auch nur ansatzweise gerecht werden.

Die Kellerei war aus hellem Sandstein errichtet worden und bestand aus einem größeren Gebäude mit Glockenturm und Apsis sowie einem ehemaligen Wirtschaftsgebäude. In Letzterem befanden sich sämtliche Wohn- und Verwaltungseinrichtungen, wie Zoey bereits wusste.

Vor dem Eingang zur Kellerei, einer eindrucksvollen Eichenpforte, über die sich ein mit Skulpturen verzierter Rundbogen spannte, stellte Zoey ihren Wagen ab. Sie stieg aus und atmete tief durch, ehe sie die beiden halbrunden Stufen erklomm. Vergeblich sah sie sich nach einer Klingel oder einer Glocke um, doch sie fand nur einen schweren Türklopfer. Ein wenig eingeschüchtert hob sie ihn zunächst an und ließ ihn dann niedersausen.

Sie wartete und wurde schon langsam ungeduldig, als eine der beiden Flügeltüren aufschwang und ein blonder Mann Mitte dreißig sie mit einem fragenden Lächeln anschaute.

„Ja, bitte?“

„Monsieur Chatnoir?“

Er nickte. „Ja. Und mit wem habe ich das Vergnügen?“

Sie runzelte die Stirn. Warum diese Frage? Sie hatte immerhin einen Termin.

Hinzu kam, dass ihr irgendetwas an diesem Mann nicht recht gefiel. Er sah gut aus, keine Frage. Aber ihn umgab eine Aura von Arroganz und Hochmut, die ihn unsympathisch wirken ließ. Aber vielleicht war das auch besser so. Nach der Sache mit Michael hatte sie sich geschworen, sich in Zukunft auf keine emotionalen Verwicklungen mehr einzulassen. Wenn sie eines nicht gebrauchen konnte, dann einen Geschäftspartner, der so attraktiv war, dass er sie von ihrem eigentlichen Vorhaben ablenkte.

„Zoey Carlisle“, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen. Als er nicht sofort zu begreifen schien, wovon sie sprach, fügte sie hinzu: „Von Extravaganza. Wir sind verabredet.“

„Nein“, erklang eine tiefe Stimme hinter ihr, die Zoey seltsam bekannt vorkam. „Wir sind verabredet, Frau-ohne-Technik.“

Es dauerte einen Moment, bis sie wirklich begriff, doch dann spürte sie, wie ihr schlagartig sämtliches Blut aus dem Gesicht wich.

Oh nein, bitte nicht! Obwohl es schon jetzt keinen Zweifel mehr geben konnte, wer diese Worte ausgesprochen hatte, hoffte Zoey inständig, dass es nicht so war, wie sie befürchtete. Mit angehaltenem Atem drehte sie sich langsam um.

Doch ihre stummen Gebete wurden nicht erhört: Vor ihr stand der Mann, der ihr gestern den Weg zu ihrer Pension erklärt und ihr Herz zum Rasen gebracht hatte.

Sie stöhnte unterdrückt auf. Ausgerechnet!

2. KAPITEL

Ausgerechnet diese Frau!

Thierry konnte es nicht fassen. Nach ihrer gestrigen Begegnung hatte er geglaubt – gehofft –, diese Person nie wieder zu treffen, und nun stand sie hier vor ihm und blickte aus ihren großen Augen zu ihm auf.

Im selben Moment wurde ihm klar, dass er von heute an sehr viel Zeit mit ihr verbringen würde. Himmel, worauf hatte er sich da bloß eingelassen?

Sie räusperte sich hörbar. Dann straffte sie die Schultern, trat einen Schritt vor und reichte ihm die Hand. „Zoey Carlisle.“

„Thierry Chatnoir.“ Er deutete auf den anderen Mann. „Und das ist mein Bruder Bertrand.“ Er nickte ihr auffordernd zu. „Kommen Sie, gehen wir in mein Büro. Wir wollen schließlich keine Zeit vergeuden, nicht wahr?“

Er sah, wie sie tief durchatmete und seinem Bruder noch einmal einen hilfesuchenden Blick zuwarf. Unwillkürlich versteifte er sich. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, dass sie mit Bertrand Bekanntschaft geschlossen hatte. Warum, das war ihm selbst schleierhaft. Sie konnte ihm vollkommen egal sein. Ebenso wie Bertrand. Warum, zum Teufel, hatte er sich überhaupt bereit erklärt, ihn bei sich aufzunehmen? Ihm war doch von Anfang an klar gewesen, dass das mit ihnen beiden nicht auf Dauer gut gehen konnte.

Ohne sich umzusehen, ob diese Zoey ihm folgte, trat er in die Kellerei. Das Klappern ihrer Absätze verriet ihm, dass sie kurz stehen blieb, ihm dann aber nach dem Überwinden des ersten Überraschungsmoments hinterherlief. Ihr anfängliches Zögern entlockte ihm ein Schmunzeln. Wie ihr erging es den meisten Menschen, die zum ersten Mal die Kellerei betraten. Die riesigen Fässer, die langen Reihen von Holzgestellen, in denen zahllose Flaschen darauf warteten, von Hand gewendet zu werden – das alles war schon beeindruckend.

Sein offizielles Büro – der Raum, wo seine Sekretärin Anrufe für ihn entgegennahm und seine Korrespondenz beantwortete – befand sich im Verwaltungsgebäude. Doch er zog es vor, in der Nähe seiner Arbeiter zu bleiben. Die Kellerei war das Herz von Chatnoir Champagne. Hier hatte er stets im Blick, was vor sich ging. Die Arbeiter konnten mit jedem Problem sofort zu ihm kommen, und er sah direkt, wenn irgendetwas schieflief.

„Hier arbeiten Sie also?“, hörte er Zoey Carlisle ehrfürchtig fragen, als sie die Tür zu seinem Büro erreichten. „Hier wird Champagner hergestellt?“

Nicht unbedingt die Frage, die er von einer versierten und erfahrenen Reporterin erwartet hatte. Es war im Grunde genau die Art von Frage, die jeder Besucher zuerst stellte.

Als Zoey Carlisle vor etwas mehr als vier Wochen telefonisch mit ihm Kontakt aufgenommen hatte, war sein Eindruck von ihr recht positiv gewesen. Nur deshalb hatte er sich überhaupt auf dieses Angebot eingelassen.

Wem versuchst du hier eigentlich etwas vorzumachen? Dir ist doch gar keine andere Wahl geblieben. Dieses Angebot ist deine letzte Chance, die Kellerei zu retten.

Es stimmte. Streng genommen war ihr Anruf ein Geschenk des Himmels für ihn gewesen. Mit dem Geld, das er für die Reportage bekam, konnte er vielleicht noch etwas erreichen und den finanziellen Engpass überbrücken, der ihn in die Knie zu zwingen drohte.

Er unterdrückte ein Seufzen, als seine Gedanken zurückwanderten. Alles hatte damit begonnen, dass er vor etwa einem Jahr die Champagner-Kellerei seines Onkels Matthieu geerbt hatte – eines Mannes, von dem im Hause Chatnoir stets nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wurde. Für seine Mutter war klar gewesen, dass die Kellerei in den Familienbesitz übergehen würde.

Doch Thierry hatte die einmalige Chance gewittert, endlich seine eigenen Ideen und Vorstellungen umzusetzen. In der Kellerei seiner Familie – einer der größten in der ganzen Champagne – war dies einfach nicht möglich gewesen. Seine Mutter regierte das Unternehmen mit eiserner Hand. Obwohl er die Firma eines Tages erben sollte, war sie nie bereit gewesen, ihn auch nur ein einziges Mal ans Ruder zu lassen.

Deshalb hatte er beschlossen, mit der geerbten Kellerei noch einmal ganz von vorn anzufangen – als sein eigener Chef, der sämtliche Entscheidungen allein traf. Dummerweise besaß seine Mutter in der Region so viel Einfluss, dass sie ihm ohne große Mühe das Wasser abgraben konnte – was sie mit großem Vergnügen tat. Ihr Ziel war klar: Sie wollte, dass ihr Sohn mit seinen Plänen scheiterte und reumütig in den heimischen Schoß zurückkehrte.

Doch er würde sich nicht von ihr unterkriegen lassen. Viel zu oft hatte er zugelassen, dass sie über seinen Kopf hinweg entschied. Nicht zuletzt bei der Sache mit Pauline …

„Ja, genau. Hier drin findet das statt, was ich gern als die Magie der Champagnerherstellung bezeichne. Doch in Wahrheit ist sehr viel mehr von Bedeutung als nur die Art und Weise der Aufbereitung, beispielsweise die Qualität der Trauben. Die kann von Jahrgang zu Jahrgang sehr unterschiedlich sein.“ Er öffnete die Tür zu seinem Büro und trat ein. Sie folgte ihm und erneut überraschte ihn ihre Reaktion nicht sonderlich.

Die umgebaute ehemalige Abstellkammer, in der er seine Zelte aufgeschlagen hatte, war alles andere als beeindruckend. Doch er legte keinen Wert auf Luxus oder Behaglichkeit. Zumindest nicht, wenn es um seine Arbeit ging. Privat wusste er ein bequemes Bett, ein schmackhaftes Essen und ein gutes Glas Champagner durchaus zu schätzen. Doch er lehnte es ab, wie seine Mutter und der Rest seiner Familie in Pomp und Prunk zu baden. Ganz davon abgesehen, dass er sich das auch schlichtweg nicht leisten konnte.

Wieder falsch. Du könntest den Luxus genießen, hättest du dich nicht entschieden, deinem bequemen alten Leben den Rücken zu kehren. Eine Entscheidung, die du jederzeit rückgängig machen könntest …

„Bitte nehmen Sie doch Platz“, sagte er und vollführte eine einladende Handbewegung zum einzigen Besucherstuhl, der seinem Schreibtisch gegenüberstand. „Die Begegnung mit meinem Bruder hätte ich Ihnen übrigens gerne erspart. Aber wie das nun mal so ist …“

Er gab vor, sich auf die Unterlagen zu konzentrieren, die neben ihm auf dem Seitenteil des Tisches lagen. Dabei beobachtete er, wie Zoey angesichts seiner Äußerung überrascht eine Braue hob. Vermutlich fand sie Bertrand nett. Die meisten Frauen dachten so. Zumindest so lange, bis er es geschafft hatte, sie ins Bett zu bekommen – woraufhin er sie in der Regel achtlos fallen ließ.

„Hören Sie, Monsieur Chatnoir“, unterbrach Zoey seinen Gedankengang. „Ich …“

„Bitte“, bat er mit erhobener Hand. „Sagen Sie Thierry zu mir. Förmlichkeiten sind nicht unbedingt mein Fall.“

Sie wirkte irritiert, auch ein wenig unsicher, doch schließlich nickte sie. „Also gut, Thierry, ich weiß, wir hatten nicht unbedingt den allerbesten Start miteinander. Das gestern … Sie wissen schon. Aber ich versichere Ihnen, dass das wirklich nichts zu sagen hat. Ich bin in meinem Job absolut professionell und …“

„Ich will auch ehrlich zu Ihnen sein“, fiel er ihr brüsk ins Wort. „Mir war nicht recht klar, auf was ich mich eingelassen habe, als ich zugestimmt habe, Ihnen für Ihre Reportage zur Verfügung zu stehen. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich von den Medien nicht allzu viel halte. Ich stehe auch nicht gern im Mittelpunkt. Eigentlich hätte ich also sofort ablehnen sollen.“ Er ließ unerwähnt, dass die Presse vor Jahren schon einmal rücksichtslos über ihn hergefallen war. Damals, nach der Geschichte mit Pauline … Doch darüber wollte er mit einer Wildfremden ganz gewiss nicht sprechen. Er zuckte mit den Schultern. „Nun, ich tat es nicht und dafür habe ich meine Gründe. Die ändern aber nichts daran, dass ich alles andere als froh bin, Sie hierzuhaben. Es ist ein Geschäft, nicht mehr und nicht weniger. Wir sollten versuchen, das Beste daraus zu machen.“

Sie schwieg einen Moment, dann nickte sie. „Natürlich, es ist ein Geschäft. Was auch sonst? Also – womit sollen wir beginnen?“

Als Thierry sie kurz darauf durch die Kellerei führte, damit sie sich einen ersten Eindruck verschaffen konnte, war Zoey schwer beeindruckt. Das alles hier übertraf ihre Vorstellungen bei Weitem. Was man von Chatnoirs Büro, in dem sie sich knapp eine halbe Stunde später wiederfand, nicht behaupten konnte. Es unspektakulär zu nennen, wäre noch geschönt. Sie wusste nicht recht, was sie davon halten sollte. Eigentlich sollte er ihr sympathisch sein, zeigte die Einfachheit seines Arbeitsplatzes doch, dass ihm Äußerlichkeiten nicht wichtig waren. Doch sie konnte sein Verhalten ihr gegenüber auch nicht ignorieren – und das war mehr als kühl.

Aber warum wunderte sie das eigentlich? Ihr erstes Aufeinandertreffen war nicht gerade besonders positiv verlaufen. Viel wichtiger aber war die Frage: Warum interessierte es sie, was er von ihr dachte? Sie war gezwungen, sich für diese Reportage mit ihm zusammenzuraufen. Nicht mehr, nicht weniger. Ihr blieb gar keine andere Wahl, wenn sie ihren Traumjob wirklich bekommen wollte.

Die Chefredakteurin von Extravaganza hatte sich mehr als deutlich ausgedrückt. Falls es ihr nicht gelang, eine wirkliche Top-Auftaktstory für die Reihe „Leben wie Gott in Frankreich“ zu liefern, dann würde es überhaupt keine Reihe geben. Und damit auch keine weitere Chance und keine Anstellung. Sie stünde wieder dort, wo sie angefangen hatte.

Sie mochte gar nicht daran denken, was ihr Vater sagen würde, wenn er davon erfuhr. Aber im Grunde wusste sie es ohnehin bereits. „Ich habe es dir ja gesagt“, gehörte immerhin zu seinen Standardaussagen.

Du bist unfähig, auch nur einmal etwas richtig zu machen – ich habe es dir ja gleich gesagt.

Niemand wird dir je einen Job bei einer Zeitschrift geben – ich habe es dir ja gleich gesagt.

Ich habe es dir ja gleich gesagt, ich habe es dir ja gleich gesagt, ich habe es dir ja gleich gesagt …

Sie konnte die missbilligende Stimme von Frank Carlisle beinahe hören. Und es fiel ihr nicht leicht, sie abzuschütteln und sich stattdessen auf Thierry Chatnoir zu konzentrieren, der ihr gerade etwas über die Geschichte der Weinkellerei erzählte.

Offenbar war sie nicht besonders gut darin gewesen, ihre geistige Abwesenheit zu kaschieren. Thierry musterte sie scharf. „Sagen Sie, Mademoiselle Carlisle, hören Sie mir überhaupt zu? Ich erzähle Ihnen das alles nicht zu meinem Vergnügen, wissen Sie? Wenn es nach mir ginge, wären Sie überhaupt nicht hier.“

Seine Worte trafen Zoey wie ein Schlag in die Magengrube. Doch sie zwang trotzdem ein Lächeln auf ihre Lippen. „Natürlich höre ich Ihnen zu“, log sie. „Es tut mir sehr leid, wenn meine Anwesenheit Ihnen in irgendeiner Form Unannehmlichkeiten bereitet. Ich bin allerdings davon ausgegangen, dass es sich um eine Vereinbarung handelt, von der beide Seiten zu gleichen Teilen profitieren.“

Sein Blick war alles andere als freundlich, doch zumindest widersprach er ihr nicht. Sein Stirnrunzeln machte ihr indes keine große Hoffnung, dass die Feindseligkeiten zwischen ihnen nun endgültig beigelegt waren.

„Ich sah mich bedauerlicherweise dazu gezwungen, dieser lächerlichen Reportage zuzustimmen. Aber das bedeutet nicht, dass es mir auch gefallen muss. Mir wäre es bedeutend lieber gewesen, nicht auf Ihre Almosen angewiesen zu sein. Aber es ist nun einmal so, wie es ist.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Nun, vielleicht sollten wir damit beginnen, dass Sie mir beschreiben, wie Sie bei dieser Reportage vorgehen wollen. Was genau stellen Sie sich vor? Machen Sie sämtliche Bilder selbst oder lassen Sie einen professionellen Fotografen kommen? Ich habe schon versucht, mit Ihrer Redaktion Kontakt aufzunehmen und …“

Erschrocken starrte Zoey ihn an. „Sie haben was?“ Schon im nächsten Augenblick bereute sie es, so damit herausgeplatzt zu sein. Aber sie war einfach erschrocken gewesen. Wenn Thierry von der doch recht wackligen Finanzierung der Reportage erfuhr, oder Tilda Garisson davon, dass Zoey sich unter Vortäuschung falscher Tatsachen bei einem Interviewpartner eingeschlichen hatte … Sie spürte, dass Thierry sie durchdringend musterte, und zwang sich, nicht unruhig von einem Bein aufs andere zu treten. Mühsam räusperte sie sich. „Ich meine, warum haben Sie sich nicht einfach an mich gewandt? Ich beantworte Ihnen gern alle Fragen, die für Sie noch offen geblieben sind.“

Stirnrunzelnd schaute er sie an, nickte aber schließlich kaum merklich. „Was ist also mit Fotos? Es wäre mir schon sehr lieb, wenn Sie entweder Bilder aus unserem bestehenden Portfolio verwenden oder aber professionelle neue Aufnahmen machen lassen. Es geht hier immerhin um den guten Ruf der Kellerei. Ich kann natürlich nicht zulassen, dass sie in einem schlechten Licht erscheint.“

„Nein, natürlich nicht“, stimmte sie ihm zu, obwohl sein Verhalten sie langsam zu ärgern begann. Warum tat er so, als hätte er eine blutige Anfängerin vor sich? War ihr die Unsicherheit so deutlich anzumerken? Sie konnte nur hoffen, dass sie sich täuschte. „Sämtliche Fotografien werden professionell angefertigt, seien Sie unbesorgt. Und was meine Vorgehensweise betrifft: Ich würde zunächst gern einmal ein wenig Ihre Arbeit und Ihre Unternehmensphilosophie kennenlernen und mir dann überlegen, wie genau ich die Reportage am besten aufziehe.“ Sie lächelte aufmunternd. „Verstehen Sie mich richtig, Thierry: Ich habe vor, diese ganze Geschichte richtig groß aufzumachen. Wenn die Reportage erscheint, wird der Name Chatnoir Champagne schon bald in aller Munde sein. Das braucht natürlich seine Zeit. Ich denke, zehn bis vierzehn Tage wird unsere Zusammenarbeit andauern.“ Sie kniff die Augen zusammen. Hatte er bei ihren Worten etwa qualvoll aufgestöhnt? Sie schüttelte den Kopf. „Aber ich verspreche Ihnen, dass Sie mit dem Ergebnis zufrieden sein werden“, versicherte sie rasch.

„Das kann ich wirklich nur hoffen“, sagte er, so als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. „Dann bleibt mir vorerst nur noch eine weitere Frage.“

„Ja?“

„Wann kann ich mit der ersten Zahlung rechnen?“

Erneut schluckte Zoey hart. Sie hatte lediglich eine Vorschusszahlung von Tilda Garisson erhalten. Mehr würde es erst geben, wenn sie die fertige Reportage vorgelegt hatte und diese für gut befunden worden war. Und da sie über keine eigenen nennenswerten Mittel verfügte … Sie holte tief Luft. „Ich … Ein bisschen wird es schon noch dauern“, erklärte sie mit einem entschuldigenden Lächeln. Blieb nur zu hoffen, dass er nicht weiter nachfragte. Zumindest noch nicht. Früher oder später würde dieser Punkt sicher noch zu einem Problem werden. Aber darüber konnte sie sich Gedanken machen, wenn es so weit war. Im Moment musste sie sich darauf konzentrieren, zuerst einmal einen Fuß in die Tür zu bekommen.

Er seufzte, zuckte aber schließlich mit den Schultern. „Vermutlich wollen Sie auch erst einmal sehen, was genau Sie für Ihr Geld bekommen, nicht wahr? Also schön, machen wir mit unserem Rundgang weiter. Was möchten Sie als Nächstes sehen? Ich …“

„Warum zeigst du ihr nicht die Weinberge?“, erklang in dem Moment eine Stimme hinter ihnen. „Dort ist es doch viel romantischer als hier, nicht wahr?“

Thierry wirbelte herum, und Zoey tat es ihm nach.

Es war sein Bruder, der mit der Schulter im Türrahmen des Büros lehnte. Ein süffisantes Lächeln umspielte seine Lippen, und aus irgendeinem Grund spürte Zoey, wie sich etwas in ihr zusammenzog. Sie wusste nicht, woran es lag, aber dieser Bertrand war ihr trotz seiner eigentlich recht höflichen Art unsympathisch. Er wirkte zwar ruhig und so, als könne er keiner Fliege etwas zuleide tun, aber wenn er lächelte, erreichte dieses Lächeln seine Augen nicht – Augen, die stets kühl und berechnend wirkten. Sie konnte nicht umhin zu vermuten, dass seine Freundlichkeit ebenso aufgesetzt war wie sein Lächeln.

„Bertrand, was soll das?“, fragte Thierry scharf. „Hast du nichts Besseres zu tun, als hier in der Kellerei herumzulungern?“

„Oh, ich war einfach nur neugierig. Es ist lange her, dass ich dich zusammen mit einer hübschen Frau gesehen habe.“

Thierry verzog das Gesicht. „Du hast mich überhaupt lange nicht mehr gesehen, ehe du vor ein paar Monaten wie ein geprügelter Hund auf meiner Türschwelle aufgetaucht bist, nachdem Mutter dich wegen deiner finanziellen Eskapaden rausgeworfen hatte. Ich habe dich bei mir aufgenommen – der Himmel weiß, warum! Und wie dankst du es mir? Aber im Grunde habe ich ja nichts anderes erwartet.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich würde es allerdings begrüßen, wenn du dich ausnahmsweise einmal nicht in meine Angelegenheiten einmischen könntest. Halte dich von Zoey Carlisle fern. Sie ist meine Geschäftspartnerin, und meine Geschäfte gehen dich nichts an, haben wir uns verstanden?“

Zoey zuckte zusammen. Seine Stimme klang eiskalt. Waren diese Männer wirklich Brüder? Ihr Verhalten zeugte nicht unbedingt von inniger Zuneigung. Andererseits – kannte sie selbst das nicht auch? Ihr Vater hatte sie schließlich auch nicht gerade mit Vaterliebe überschüttet …

„Glaubst du wirklich, mich so leicht einschüchtern zu können?“, gab Bertrand nun zurück. „Du hast mich hier aufgenommen, gut und schön. Aber dabei geht es dir doch nur darum, dein Gewissen zu beruhigen. Du warst schließlich immer der goldene Junge, dem alles einfach in den Schoß gefallen ist.“

„Sei still, Bertrand!“ Thierry war die Anspannung deutlich anzusehen. „Ich warne dich …“

„Nein, ich warne dich. Allerdings …“ Er kniff die Augen zusammen. „Wenn du kein Interesse daran hast, deiner hübschen Geschäftspartnerin die Weinberge zu zeigen, könnte ich diese Aufgabe ja übernehmen. Am besten bei Sonnenuntergang, mit einem Picknick und …“

„Schluss damit!“ Thierry ballte die Hände zu Fäusten. Eine ganze Weile sah er seinen Bruder schweigend, aber auch drohend an, dann atmete er tief ein und wandte sich Zoey zu. „Ich glaube, das alles war ein gewaltiger Fehler. Es tut mir leid, aber unser Deal ist geplatzt. Ich bin an einer Zusammenarbeit mit Ihnen nicht mehr interessiert. Sie haben die Reise nach Frankreich umsonst auf sich genommen.“

Entsetzt starrte Zoey ihn an. „Was sagen Sie da? Aber … das können Sie doch nicht machen!“

3. KAPITEL

Als Zoey am Nachmittag ihr Pensionszimmer betrat, fühlte sie sich leer und ohne jegliche Energie. Seufzend ließ sie sich aufs Bett sinken. Wie hatte ihr Besuch bei Thierry Chatnoir bloß in einer solchen Katastrophe enden können?

Nachdem er die Zusammenarbeit mit ihr für beendet erklärt hatte, war er wütend aus seinem Büro gestürmt. Danach hatte Zoey ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen. Und das, obwohl sie noch stundenlang vor der Kellerei auf ihn gewartet und mehrmals nach ihm gefragt hatte. Aber er war nicht wieder aufgetaucht. Sein Bruder hatte, nachdem sie auf seine Flirtversuche nicht eingegangen war, rasch die Lust an ihr verloren.

Schließlich war ihr nichts anderes übrig geblieben, als in ihren Wagen zu steigen und zurück zur Pension zu fahren.

Hier war sie nun – mit der Gewissheit, dass ihr Aufenthalt in Frankeich beendet war, ehe er richtig begonnen hatte.

Wenn Thierry sich weigerte, mit ihr zusammenzuarbeiten, war die Reportage im Grunde bereits gestorben. Es würde ihr nie gelingen, auf die Schnelle einen passenden Ersatz aufzutreiben. Also konnte sie nur noch mit gesenktem Haupt nach London zurückkehren.

Es war eine Niederlage auf der ganzen Linie. Dabei hatte sie so große Hoffnungen in diese Sache gesetzt. Sie hatte sogar zu Mitteln gegriffen, die sie für gewöhnlich nicht unbedingt guthieß. Aber was war ihr denn anderes übrig geblieben?

Vor dieser Chance war ihr Leben ein einziger Scherbenhaufen gewesen. Dabei hatte anfangs eigentlich alles ganz anders ausgesehen. Nach ihrem Studium bekam sie recht schnell eine gut bezahlte Stelle in einem Zeitungsverlag. Rasch arbeitete sich mit viel Fleiß stetig weiter nach oben.

So lange, bis sie sich auf den falschen Mann einließ.

Sie hatte sich auf Anhieb in Michael verliebt. Der attraktive, stets korrekt gekleidete und erfolgreiche Manager eines Automobilkonzerns war einer ihrer ersten Interviewaufträge gewesen. Zoey erinnerte sich noch gut, wie aufgeregt sie gewesen war. Doch Michael hatte es ihr überraschend leicht gemacht. Sie verstanden sich von Anfang an recht gut und als er sie nach dem Termin zu einem Kaffee einlud, sagte sie nicht Nein – auch wenn das nicht besonders professionell gewesen sein mochte. Danach hatten sie sich noch öfter getroffen, und schließlich waren sie ein Paar geworden und zusammengezogen.

Zoey hatte sich wie die glücklichste Frau auf der Welt gefühlt. Sowohl privat als auch beruflich lief alles perfekt. Doch dann fing Michael an, sich zu verändern. Er wurde herrisch und hatte an allem, was sie tat, etwas auszusetzen. Hinzu kam, dass er plötzlich etwas dagegen hatte, dass sie in ihrem Job erfolgreich war. Er wollte derjenige sein, der das Geld heranschaffte. Von Zoey erwartete er, dass sie ihren Beruf aufgab, zu Hause saß und abends mit dem Essen auf ihn wartete. Zoey fing an, auf der Arbeit Ausreden zu erfinden, warum sie keine Überstunden machen, nicht an Geschäftsessen teilnehmen oder Jobs außer der Reihe übernehmen konnte. Aus irgendeinem Grund hielt ihr Chef trotzdem lange Zeit zu ihr und stärkte ihr den Rücken. Er gab ihr sogar die Chance, ein wichtiges Interview zu führen. Das war ihre Gelegenheit, sich zu beweisen – und Zoey war fest entschlossen, sie zu nutzen. Doch Michael machte ihr einen Strich durch die Rechnung. Er täuschte einen Notfall vor, um sie aufzuhalten. Als sie die Wahrheit erkannte, war es bereits zu spät, um noch rechtzeitig zu ihrem Termin zu kommen. Das Interview platzte, sie verlor ihren Job, und die Beziehung zwischen Michael und ihr ging in die Brüche.

Danach fiel Zoey in ein tiefes Loch. Niemand wollte sie mehr einstellen, sie war am Ende sogar gezwungen, wieder bei ihren Eltern einzuziehen. Ihr Vater wurde nie müde, ihr vorzuhalten, was für eine furchtbare Enttäuschung sie für ihn war.

Sie hatte die Hoffnung fast aufgegeben, beruflich noch einmal neu durchzustarten, als sie schließlich den Job bei Extravaganza bekam. Zwar war der kleine Vorschuss, den sie erhielt, nicht der Rede wert, aber die Aussicht auf das eigentliche Honorar und die Türen, die sich im Erfolgsfall für sie öffnen würden, hatten ihren Ehrgeiz geweckt. Ihr war von Anfang an klar gewesen, dass diese Story ein Hammer werden musste. Dafür brauchte sie nicht nur all ihr Können, sondern auch eine ganz besondere Location.

Tagelang hatte sie danach gesucht. Zunächst hatte sie den Fehler gemacht, sich auf die großen, weltweit bekannten Kellereien zu konzentrieren. Doch dann war ihr klar geworden, dass die Geschichten dieser Unternehmen schon zu oft erzählt worden waren. Da gab es nichts Neues mehr, nichts mehr zu entdecken.

Was sie brauchte, war etwas Außergewöhnliches. Eine Kellerei, die nicht schon jeder kannte und die irgendetwas Besonderes hatte.

Schließlich war sie auf die Kellerei Chatnoir gestoßen. Schon allein die Tatsache, dass sie sich in einer ehemaligen Abtei befand, hatte ihr Interesse geweckt. Solch alte Gemäuer besaßen schließlich immer eine gewisse Geschichte. Zudem war nicht allzu viel über die Kellerei und ihren Inhaber bekannt. Nur, dass Thierry der Sohn einer reichen Winzerfamilie ganz in der Nähe war, sich aber von seiner Familie losgesagt hatte, um selbst etwas zu schaffen. Interessant. Deshalb war sie auch zuversichtlich, etwas zu finden, mit dem sich die Leserschaft von Extravaganza fesseln ließe.

Thierry zu überzeugen war nicht leicht gewesen. Er hatte zuerst unverblümt abgelehnt. Offenbar gehörte er nicht zu den Unternehmern, die bereit waren, für Publicity alles zu tun. Ganz im Gegenteil sogar. Die Vorstellung, dass über ihn und seine Kellerei eine Reportage gemacht werden sollte, schien ihn regelrecht abzuschrecken. Zumindest so lange, bis Zoey ihm ein stattliches Honorar in Aussicht stellte.

Ein Honorar, das zu bewilligen ihr gar nicht zustand, wie sie sich selbst schuldbewusst eingestehen musste. Doch was war ihr schon für eine andere Wahl geblieben?

Wenn alles gut gegangen wäre, hätte Thierry natürlich wie besprochen sein Honorar bekommen, wenn auch verspätet. Sie hatte nie vorgehabt, ihn zu betrügen. Nun aber war alles vorbei.

Aus und vorbei.

Zoey unterdrückte ein Aufstöhnen. Ihr Vater würde platzen vor Schadenfreude, wenn er davon erfuhr. Und er würde davon erfahren. Er brauchte sie bloß anzusehen, um ihr die Wahrheit von der Stirn ablesen zu können. Sie hatte ihm noch nie etwas vormachen können. Verdammt, sie …

Der vertraute Klingelton ihres Handys riss sie aus ihren Gedanken. Als sie die Nummer sah, schluckte sie. Tilda Garisson, die Chefredakteurin von Extravaganza. Ihr klopfte das Herz bis zum Hals. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Sie musste sich unbedingt etwas einfallen lassen. Ihr schöner Plan mochte ins Wasser gefallen sein, aber das durfte sie sich auf gar keinen Fall anmerken lassen. Wenn sie das tat, konnte sie auch gleich aufgeben.

Komm schon, improvisiere! Du kannst das!

Sie atmete tief durch, dann drückte sie den Rufannahmekopf und hob das Handy ans Ohr.

„Garisson, Miss Carlisle“, erklang die Stimme ihrer Chefin, sobald sie sich gemeldet hatte. „Ich rufe an, um mich nach Ihren Fortschritten zu erkundigen.“

Zoey atmete tief durch. „Nun, allzu viel gibt es noch nicht zu berichten“, erwiderte sie und kaute nervös auf ihrem Daumennagel. „Ich stehe ja noch ganz am Anfang. Aber ich habe den Inhaber der Kellerei inzwischen kennengelernt und werde in der nächsten Zeit intensiv mit ihm zusammenarbeiten. Ich bin sicher, dass alles reibungslos verlaufen und die Reportage ein Knüller werden wird. Die Kellerei Chatnoir ist geradezu ideal für ein solches Projekt. Der Besitzer hat sich bereit erklärt, mir einige professionelle Fotos aus seinem Portfolio zu überlassen und …“

„Apropos Besitzer – meine Assistentin hat mir eine Notiz hinterlassen, dass ein gewisser Thierry Chatnoir mich um Rückruf bittet. Ich bin bisher nicht dazu gekommen, aber … Das ist doch Ihr Kellereibesitzer, oder? Wenn es irgendwelche Schwierigkeiten gibt …“

„Nein!“, beeilte Zoey sich zu versichern – eine weitere Lüge. „Es gibt keinerlei Probleme. Seien Sie ganz unbesorgt. Alle Unklarheiten sind zwischenzeitlich beseitigt worden. Ich bin zuversichtlich, dass ich Ihnen schon bald etwas präsentieren kann, das Sie überzeugen wird. Das mit dem Rückruf hat sich also auch erledigt.“

„Das will ich hoffen. Schließlich habe ich Ihnen eine einmalige Chance gegeben. Ich hoffe, dass Sie mir keinen Anlass geben werden, diesen Schritt zu bereuen.“

„Auf gar keinen Fall.“ Zoey konnte nur hoffen, dass man ihr die Verzweiflung nicht allzu deutlich anhörte.

„Reißen Sie mich vom Hocker“, forderte Tilda Garisson. „Ich melde mich in ein paar Tagen wieder bei Ihnen.“

Damit beendete sie das Gespräch.

Aufstöhnend ließ Zoey die Hand mit dem Handy sinken und schloss die Augen. Was hatte sie da bloß wieder angestellt? Nicht nur, weil sie es normalerweise hasste, zu lügen – in diesem Fall war es auch noch vollkommen sinnlos. Die Wahrheit würde früher oder später auf jeden Fall ans Licht kommen.

Bei meinem Glück wahrscheinlich eher früher als später, dachte sie bitter. Was also sollte sie jetzt tun?

Denk nach! Denk nach! Denk nach!

Im Grunde blieb ihr keine andere Wahl, als noch einmal mit Thierry zu reden. Irgendwie musste es doch möglich sein, ihn umzustimmen, das Ruder herumzureißen. Aber wie nur, wie?

Sie atmete tief durch. Zuallererst brauchte sie einen klaren Kopf, dann würde sich der Rest vielleicht von allein ergeben.

Entschlossen schnappte sie sich ein Handtuch von dem Stapel, der auf der Kommode lag, und ging ins Badezimmer. Eine schöne heiße Dusche war jetzt genau das, was sie brauchte.

„Ich sage es dir jetzt zum letzten Mal: Halte dich gefälligst aus meinen Geschäftsangelegenheiten heraus.“ Wütend kniff Thierry die Augen zusammen und sah seinen Bruder drohend an. Er stützte sich auf die Schreibtischplatte und beugte sich vor. „Ich dulde dich hier bei mir, weil wir eine Familie sind. Trotz allem. Blut ist nun mal dicker als Wasser. Aber das heißt nicht, dass du dich hier in irgendetwas einmischen kannst, verstanden?“

Bertrand, der sich in Thierrys Arbeitszimmer keineswegs unwohl zu fühlen schien, verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. „Ach, komm schon! Hör auf, dir selbst was vorzumachen. Du bist an der Kleinen von vorhin doch nicht rein geschäftlich interessiert. Ich kenne dich doch.“

Es war typisch für Bertrand, dass er so dachte. Eigentlich sollte es Thierry also gar nicht wundern. Doch er hatte irgendwie immer gehofft, dass sein Bruder sich womöglich geändert hatte. Dass er sich seit damals – seit der Sache mit Pauline – in einen rechtschaffenen Menschen verwandelt hatte.

Offensichtlich ein Irrtum.

„Das musst du gerade sagen! Wer ist denn derjenige, der sich jede Frau schnappt und sie …“

Das Klingeln seines Handys unterbrach ihn. Rasch fischte er es aus seiner Tasche. Er erwartete schon, dass es sich um die Chefin von Extravaganza handelte, die er vorhin um Rückruf gebeten hatte, sah sich aber getäuscht, als sich Jean-Paul Valbois meldete. Der Winzer, bei dem er gestern vorstellig geworden war, nachdem er Zoey den Weg erklärt hatte. Glücklicherweise war das Meeting gut für ihn verlaufen; Valbois hatte sich bereit erklärt, ihm eine große Menge seiner Trauben zu einem mehr als freundschaftlichen Preis zu verkaufen.

„Jean-Paul, alter Freund!“, begrüßte Thierry ihn daher auch überschwänglich. „Was kann ich für Sie tun?“

Ein tiefes Seufzen am anderen Ende der Leitung ließ nichts Gutes ahnen. „Thierry, ich habe keine guten Nachrichten für Sie. Leider kann ich Ihnen die Trauben doch nicht verkaufen.“

„Was?“ Thierry runzelte die Stirn. „Aber Sie haben doch gestern … Wir haben eine Abmachung!“ Er bemühte sich, die Fassung zu wahren, was aber angesichts dieser Neuigkeit alles andere als einfach war. Seine Gedanken rasten. Was war denn plötzlich los? Wieso entschied der Winzer sich von einem Tag auf den anderen einfach um? Sicher ist es nur Taktik, ging es Thierry durch den Kopf. Der Kerl will einen besseren Preis rausschlagen, nichts weiter. Also jetzt ganz ruhig bleiben! „Ich weiß natürlich, dass Sie mir ein sehr gutes Angebot gemacht haben“, sagte er. „Und ich wäre durchaus bereit, den Preis noch ein wenig nach oben zu korrigieren, wenngleich ich aber auch sagen muss, dass …“

„Verstehen Sie mich nicht falsch, Thierry“, unterbrach der Winzer ihn. „Es geht nicht darum, dass ich mehr Geld will.“

„Um was geht es denn dann?“

„Ich kann schlicht nicht an Sie verkaufen.“ Der Mann seufzte hörbar. „Hören Sie, Thierry, es tut mir wirklich leid, aber ich habe leider übersehen, dass ich die Trauben bereits vor einigen Monaten einem anderen Geschäftspartner versprochen habe.“

„Übersehen? Aber da kann man doch bestimmt …“

„Leider nicht. Das Geschäft ist längst vertraglich besiegelt. Sie müssen sich daher jemand anderen suchen, Thierry. Tut mir wirklich sehr leid.“

Mit diesen Worten beendete der Winzer das Gespräch, und Thierry ließ die Hand mit dem Handy sinken. Er fühlte sich wie betäubt, als er das Telefon zurück in seine Hosentasche schob.

„Das kann doch nicht wahr sein“, murmelte er geistesabwesend.

„Schlechte Nachrichten?“, fragte Bertrand.

„Kann man wohl sagen. Ein Winzer, der mir einen Teil seiner Trauben zu einem mehr als guten Preis überlassen wollte, ist plötzlich abgesprungen. Angeblich hatte er vergessen, dass er schon einen Vertrag mit jemand anderem hat. Dass ich nicht lache! So was vergisst man doch nicht!“

„Und diese Trauben wären wichtig für dich gewesen?“

„Wichtig ist gar kein Ausdruck!“ Er seufzte. „Meine eigene Ernte in diesem Herbst wird nicht allzu ertragreich sein. Bis ich wirklich so weit bin, ohne fremde Hilfe abfüllen zu können, wird es sicher noch zwei, drei Jahre dauern. Ich stehe ja noch ganz am Anfang. Ich muss also Trauben einkaufen, um genug Champagner produzieren zu können. Bloß wollen die meisten Winzer zu hohe Preise oder eben gar nicht verkaufen.“

„Und was glaubst du, warum dieser Winzer eben wirklich abgesprungen ist?“, fragte Bertrand.

Thierry sah ihn skeptisch an. „Woher soll ich … Moment mal.“ Er stockte, als ihm dämmerte, worauf sein Bruder hinauswollte. „Meinst du etwa …? Unsere Mutter, natürlich! Wer sollte auch sonst dahinterstecken?“

Wütend ballte er die rechte Hand zur Faust. Darauf hätte er auch gleich kommen können! Es war doch offensichtlich, dass seine Mutter hier mal wieder ihre Finger im Spiel hatte. Jean-Paul und er waren sich doch schon einig gewesen. Dass der Winzer jetzt einen Rückzieher machte, konnte nur daran liegen, dass jemand ihn dazu gebracht hatte. Jemand mit viel Einfluss in der Umgebung.

Jemand, der mir schaden will.

Und das konnte nur seine Mutter sein. Sie wollte ihm schaden, wollte, dass er mit seinem Vorhaben, eine eigene Kellerei zu führen, scheiterte. Damit er am Ende reumütig nach Hause zurückkehrte und dort das Leben lebte, das sie für ihn geplant hatte.

„Merde!“, fluchte er laut. „Sie kann doch nicht immer erreichen, was sie will!“

Bertrand lachte leise. „Doch, das kann sie, und das wissen wir beide. Unsere Mutter ist die Besitzerin einer der größten Kellereien in der Champagne. Jeder hier tut, was sie will. Wenn du dir nicht bald etwas einfallen lässt, wirst du es nie schaffen, dir deinen Traum zu erfüllen. Das ist dir doch hoffentlich klar?“

Thierry nickte stumm. Auch wenn es ihm nicht leichtfiel, es sich einzugestehen, aber zumindest in dieser Hinsicht hatte sein Bruder recht. Er musste etwas unternehmen, sonst würde seine Mutter am Ende als Siegerin dastehen und über sein Leben bestimmen, und das wollte er auf keinen Fall.

Er brauchte Geld, so einfach war das. Und seine einzige Möglichkeit, dieses zu bekommen, stellte im Moment eine ganz bestimmte Person da.

Zoey.

Er sah seinen Bruder an. „Ich muss noch mal weg“, sagte er. „Ich habe etwas zu erledigen …“

Zoey stellte den Wasserstrahl aus, nahm das Handtuch vom Waschbecken, trocknete sich ab und frottierte ihr Haar. Anschließend schlang sie sich ein zweites, größeres Tuch um den Körper.

Sie fröstelte leicht, als sie aus der warmen, feuchten Luft im Bad zurück ins Zimmer trat. Sie hatte das Fenster ein Stückweit offen gelassen, und von draußen her drang kühle Luft herein und bauschte die weiße Spitzengardine auf.

Ernüchterung hatte sich in ihr breitgemacht. Obwohl sie sich erfrischt und auch ein wenig entspannter fühlte als zuvor, war sie der Lösung ihres Problems doch keinen einzigen Schritt näher gekommen. Ihr blieb vermutlich nichts anderes übrig, als die ganze Sache zu vergessen und sich und Tilda Garisson gegenüber einzugestehen, dass sie versagt hatte. Auf ganzer Linie.

Betrübt ging sie hinüber zum Kleiderschrank, um sich anzuziehen, als ein Klopfen an der Zimmertür sie innehalten ließ. Vermutlich war es Maélys, die sich erkundigen wollte, ob sie noch etwas brauchte. Ihr Blick fiel in den großen Garderobenspiegel an der Wand, und sie zögerte. Doch vor Maélys brauchte sie sich nicht zu verstecken. Sie drehte sich um und öffnete die Tür.

Als sie sah, wer da vor ihr stand, stockte ihr der Atem.

Es war nicht Maélys.

„Thierry, was …“ Hastig zog sie das Frotteetuch enger um sich, versuchte, so viel wie möglich von sich zu bedecken.

Thierry schien etwas sagen zu wollen, jedenfalls hatte er den Mund schon geöffnet, doch es drang kein Wort daraus hervor. Stattdessen starrte er sie mit weit aufgerissenen Augen an. Im ersten Moment verspürte Zoey den Drang, sich hastig abzuwenden und ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen, doch dann erkannte sie den Ausdruck, der in seinem Blick lag.

Bewunderung. Ja, es war eindeutig Bewunderung. Und zu ihrer eigenen Überraschung erfüllte sie dies mit einer gewissen … Genugtuung. Ja, es gefiel ihr, wie dieser Mann, der zweifellos jede Frau haben konnte, die er wollte, sie ansah. Sie fühlte sich geschmeichelt und begehrenswert. Womöglich zum ersten Mal in ihrem Leben.

Spinnst du? Du kennst diesen Mann nicht. Jetzt stehst du vor ihm, mit nichts als einem Badetuch bekleidet, und woran denkst du? Du solltest lieber …

„Oh!“, entfuhr es Thierry jetzt, wobei er aber keinerlei Anstalten machte, den Blick abzuwenden. „Ich … ich muss mit Ihnen sprechen. Auf der Stelle.“

„Ich … Warten Sie bitte einen Moment, ich möchte mir erst etwas anziehen. Das Fenster ist geöffnet, und es zieht. Ich …“

„Dann schließen wir es einfach.“ Mit diesen Worten schob er sich an ihr vorbei in den Raum hinein, ging zum Fenster und machte es zu. Danach drehte er sich um und sah Zoey ungeduldig an. „Wenn Sie jetzt auch noch die Tür schließen, können wir endlich reden.“

„Also, das ist doch …!“ Inzwischen peinlich berührt, versuchte Zoey, das Badetuch etwas höher zu ziehen. Dadurch erreichte sie aber nur das Gegenteil, denn der locker geschlungene Knoten löste sich, und um ein Haar hätte sie komplett nackt vor Thierry gestanden. Hastig verschränkte sie die Arme vor der Brust und sorgte so dafür, dass alles an seinem Platz blieb. „Hören Sie schlecht?“, fauchte sie Thierry an. „Ich sagte, ich würde mir gern etwas anziehen!“

Endlich schien er zu verstehen, zumindest bewies er nun so viel Taktgefühl, sich umzudrehen, damit sie ihren Morgenmantel überstreifen konnte, der an einem Haken an der Tür hing.

„Also?“, fragte sie anschließend. „Was führt Sie zu mir?“ Sie runzelte die Stirn. „Woher wissen Sie überhaupt, wo ich für die Dauer meines Aufenthaltes in der Champagne wohne?“

„Vieille-Rivaille-sur-Marne ist ein kleiner Ort. Es war nicht sonderlich schwer, sämtliche Pensionen abzutelefonieren, bis ich die richtige gefunden hatte.“

Sie nickte. „Und was wollen Sie jetzt? Mir noch einmal bestätigen, dass unser Deal geplatzt ist? Dass ich umsonst hergekommen bin und nun …“

„Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen.“

„Entschuldigen?“ Sie blickte auf. „Wirklich?“

„Das vorhin … Ich war nicht fair zu Ihnen.“

„Sie waren vor allem wütend.“ Sie dachte an seinen Bruder. „Aber nicht auf mich, richtig?“

Einen Moment schwieg er, dann nickte er erneut. „Das Verhältnis zwischen mir und meinem Bruder ist … schwierig. Dass er nun bei mir wohnt, macht es auch nicht einfacher, andererseits kan...

Autor

Penny Roberts
<p>Hinter Penny Roberts steht eigentlich ein Ehepaar, das eines ganz gewiss gemeinsam hat: die Liebe zum Schreiben. Schon früh hatten beide immer nur Bücher im Kopf, und daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Und auch wenn der Pfad nicht immer ohne Stolpersteine und Hindernisse war – bereut haben...
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Natalie Fox
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Cara Colter
<p>Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel. Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...
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