Romana Extra Band 112

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HAPPY END IN GRIECHENLAND? von CATHY BELL
Als Amy ihr Café auf der griechischen Insel Kefalonia an ihren Ex-Mann zu verlieren droht, wendet sie sich verzweifelt an Elias Nikropolis. Der Staranwalt unterstützt sie nicht nur, er weckt auch eine sinnliche Sehnsucht in ihr. Bis sie fürchtet, dass er wie ihr Ex ein Betrüger ist …

SÜSSE KÜSSE IN DER KARIBIK von NINA SINGH
Tortenbäckerin Tori wird von Clayton Ramos für die Hochzeit seiner Schwester auf den Bahamas engagiert. Ein Traumjob im Paradies! Wäre da nicht Claytons magische Anziehungskraft. Trotz seines Rufs als unverbesserlicher Herzensbrecher liegt Tori schon bald in seinen Armen …

VERFÜHRT VON EINEM ITALIENISCHEN PLAYBOY von JANETTE KENNY
„Ich kann dir alles geben, was du willst.“ Luciano Duchelinis Angebot ist so verlockend wie gefährlich für Caprice. Zwar könnte sie mit der Hilfe des unwiderstehlichen Playboys ihr Familienanwesen in den Bergen retten. Doch wenn sie ihm dabei zu nahekommt, ist sie verloren!

UNSERE LIEBE KENNT KEINE GRENZEN von SHOMA NARAYANAN
Beim Blick in Mallikas wunderschöne Augen spürt Darius jähes Verlangen. Aber er ist kurz davor, zu seiner lang geplanten Weltreise aufzubrechen, und Mallika ist an Mumbai gebunden. Vergeblich versucht Darius, die erotische Spannung zwischen ihnen zu ignorieren …


  • Erscheinungstag 28.09.2021
  • Bandnummer 112
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500289
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cathy Bell, Nina Singh, Janette Kenny, Shoma Narayanan

ROMANA EXTRA BAND 112

CATHY BELL

Happy End in Griechenland?

Amy weckt nicht nur den Beschützerinstinkt von Staranwalt Elias Nikropolis, insgeheim verzehrt er sich nach seiner hübschen Klientin. Doch nach seiner Scheidung glaubt er nicht mehr an die Liebe …

NINA SINGH

Süße Küsse in der Karibik

Die bodenständige Tori passt nicht in Claytons Beuteschema. Trotzdem zieht sie ihn mehr an als jede Frau zuvor. Aber um sie zu lieben, wie sie es verdient, muss er sich seiner Vergangenheit stellen …

JANETTE KENNY

Verführt von einem italienischen Playboy

Als Playboy Luciano Duchelini die betörende Caprice wiedertrifft, kann er der Versuchung nicht widerstehen. Diesmal wird er sein hungriges Verlangen nach ihr stillen. Koste es, was es wolle!

SHOMA NARAYANAN

Unsere Liebe kennt keine Grenzen

Mallika sollte die sinnliche Ausstrahlung des indischen Geschäftsmannes Darius besser ignorieren. Sie muss sich um ihren kranken Bruder kümmern und hat keine Zeit für eine Beziehung!

1. KAPITEL

Mit zitternden Händen versuchte Amy erneut, den Schlüssel ins Schloss zu stecken. Vielleicht lag es an ihrer Ungeschicklichkeit, dass die Tür einfach nicht aufging. Sie war völlig erschöpft nach dem Flug von England hierher und wollte nur noch ins Bett, doch die Tür ließ sich nicht öffnen. Der Schlüssel passte nicht. Aber das war unmöglich. Sie benutzte den Schlüssel schon vier Jahre lang. Seitdem sie ihr Café auf der griechischen Insel Kefalonia im Ionischen Meer eröffnet hatte. War wirklich erst so wenig Zeit vergangen, seit sie ihrem griechischen Mann – sie korrigierte sich: Ex-Mann – spontan von ihrer Heimat England nach Kefalonia gefolgt war? Die Erfüllung eines Traumes …

Bis alles anders gekommen war.

Stirnrunzelnd versuchte es Amy noch einmal. Vergeblich. Was war hier los? Sie trat einen Schritt zurück und sah sich um. Die Stühle waren nach wie vor so aufgestellt, wie sie sie verlassen hatte. Auch für die Tische galt das. Dann jedoch bemerkte sie eine kleine Unregelmäßigkeit. Einer der grün angestrichenen Klappläden vor den Fenstern war geschlossen. Und sie war sicher, dass sie es nicht so zurückgelassen hatte.

Ein unglaublicher Gedanke formte sich in ihrem Kopf. Nein! So etwas konnte er nicht gewagt haben. Oder doch? Sie war nur kurz übers Wochenende bei ihrer Familie in England gewesen. Dabei war der Zeitpunkt denkbar ungünstig. Die Urlaubssaison hatte gerade erst begonnen, und seit ihrer Scheidung von Dimitrios vor einem Jahr brauchte Amy jeden Cent. Sie musste ihn auszahlen, um nicht alles zu verlieren. Leider hatte ihre Mutter alle Argumente vom Tisch gewischt und darauf bestanden, dass sie zu der Familienfeier kann. Existenzängste hin oder her.

Und jetzt das.

Amy begutachtete ihre Schlüssel noch einmal kritisch. Dann lief sie um das Haus Richtung Terrasse, von dort aus wollte sie einen Blick ins Innere ihres Cafés werfen. Die Stühle standen hier anders als zuvor. Sie waren auf die Tische gestellt worden. Sofort spürte sie, wie sich ihr Magen ruckartig zusammenzog. Ihr Ex-Mann musste hier gewesen sein.

Mit klopfendem Herzen zog sie ihr Handy hervor. Wann immer es ging, hatte sie sich in den letzten Wochen um ein Gespräch mit Dimitrios gedrückt. Diesmal jedoch hatte sie keine Wahl.

„Hast du etwa das Türschloss vom Café ausgewechselt?“, fragte Amy ohne eine Begrüßung, als ihr Ex abnahm. Das ungute Gefühl in ihrem Inneren wuchs und wuchs.

„Ja, das habe ich. Mein Anwalt hat sich unseren Ehevertrag noch einmal genauer angesehen. Er sagt, das Café gehört mir. Ich habe mich entschlossen, es alleine zu betreiben. Ich denke, das ist für alle Beteiligten besser so. Wenn wir weiter zusammenarbeiten, gibt es nur böses Blut. Und wenn wir ganz realistisch sind: Du könntest das Geld niemals aufbringen, um mich auszuzahlen.“

Amys Beine wollten sie nicht mehr tragen. Mit letzter Kraft ließ sie sich auf einen Terrassenstuhl sinken, den sie von einem der Tische genommen hatte. Schwarze Punkte hüpften vor ihren Augen. Ihr hatte es schlicht die Sprache verschlagen.

„Ich weiß, wie viel dir das Café bedeutet. Die Entscheidung habe ich mir auch nicht leicht gemacht. Aber Helena und ich wollen noch mal ganz von vorne anfangen. Das kannst du gewiss verstehen.“

Helena. Ihretwegen hatte sie ihren Mann verloren. Ihretwegen verlor sie jetzt auch noch ihre Lebensgrundlage. Ihr heiß geliebtes Café.

„Das kannst du doch nicht machen“, sagte sie schwach. „Wo soll ich wohnen? Wovon soll ich leben?“

„Geh doch zurück zu deinen Eltern. Deine Mutter gibt dir bestimmt eine Anstellung in ihrem Hotel. Ich weiß, dass du nicht gut mit ihr klarkommst, aber ihr könnt euch bestimmt einigen. Sie will für dich nur das Beste.“

Wie immer, wenn Dimitrios solche Sachen über ihre Mutter sagte, ging ein Stich durch Amys Herz. Ihr Ex-Mann hatte sich von Anfang an gut mit ihren Eltern verstanden. Soviel sie wusste, telefonierte er noch immer ab und zu mit ihrem Vater, obwohl die Scheidung nun schon seit einem Jahr ausgefochten war. Ihre Eltern hatten mit Entsetzen reagiert, als sie von der Trennung gehört hatten. Noch immer war das ein sensibles Thema.

Dimitrios räusperte sich und riss damit Amy aus ihren Gedanken. „Ich habe dir deine Sachen in den kleinen Schuppen gestellt. So viel war das ja nicht. Falls noch etwas fehlt, können wir uns bestimmt einigen, wann du den Rest abholen kannst. Ich denke, es ist definitiv besser, wenn wir uns nicht über den Weg laufen. Ich will kein Drama. Damit ist eigentlich alles gesagt. Leb wohl, Amy.“

Mit diesen Worten legte er einfach auf. Ungläubig starrte Amy ihr Handy an, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Dass Dimitrios jemals zu so einer Tat fähig war, hätte sie niemals gedacht. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Früher einmal war er ein so netter Mensch gewesen. Der netteste Mensch, den sie kannte. Doch seitdem er Helena getroffen hatte, dachte und handelte er anders. Es war, als sei er mit einem Schlag ein Fremder geworden. Amy erkannte ihn nicht wieder.

Und jetzt? Blicklos starrte sie über die menschenleere Terrasse zum Hafen hinunter. Die Boote schaukelten sanft auf dem Meer. Geh nach Hause zu deiner Mutter, hatte Dimitrios ihr geraten. Unmöglich. Schon allein das Wochenende in England hatte Amy gereicht. Ihre Mutter war viel zu herrisch. Viel zu dominant. Amy hatte das Gefühl, in ihrer Nähe zu ersticken. Sie konnte ihr nie etwas recht machen und und ihre Mutter bevormundete sie selbst bei Kleinigkeiten. Als Amy noch jünger gewesen war, hatte sie die Eigenart ihrer Mutter akzeptiert und nie protestiert. Doch je älter sie geworden war und je öfter sie protestierte, desto mehr hatte sich ihr Verhältnis verschlechtert. Ihr Vater hielt meistens zu seiner Frau. Dimitrios hatte es auch nicht besser gemacht. Er hatte oft die Partei ihrer Eltern ergriffen, um den Streit zu beenden.

Amy und Dimitros hatten sich im Hotel ihrer Eltern kennengelernt. Er war dort zu Gast gewesen. Sie hatten sich sofort ineinander verliebt. Amy hatte zu diesem Zeitpunkt bei ihren Eltern gewohnt und gearbeitet, aber immer von einer eigenen Gastronomie geträumt. Ein kleines Café sollte es sein. Dimitrios hatte ihr von seiner Heimat Kefalonia erzählt. Er hatte ihr die wunderschönen Strände beschrieben, das türkisblaue Meer und die hübschen Tavernen.

Er hatte in Amy den Wunsch geweckt, aus England fortzugehen. Fort von ihren bestimmenden Eltern. Fort vom familieneigenen Hotel. Als er sie gefragt hatte, ob sie mit ihm kommen wolle, hatte sie keine Sekunde gezögert. Sie war mit ihm nach Kefalonia geflogen, obwohl sie sich weniger als einen Monat gekannt hatten.

Dimitrios war der Mann, mit dem sie ihre Träume verwirklichen wollte. Sie fanden das perfekte Café und heirateten nur drei Monate später. Die Insel westlich des griechischen Festlandes war zu ihrer neuen Heimat geworden. Sie liebte sie und wollte nie wieder nach England zurückkehren.

Bis Dimitrios vor zwei Jahren eine andere Frau kennengelernt hatte. Er hatte Amy ein halbes Jahr betrogen, ohne dass sie es geahnt hatte. Nachdem er es ihr gebeichtet hatte, hatten sie sich sofort getrennt und die Scheidung eingereicht.

Das war schon schwer genug gewesen. Und sie hatte geglaubt, dass alles geklärt war. Und jetzt das. Dimitros wollte ihr das Café wegnehmen. Ihr Ein und Alles. Sie wohnte sogar dort, hatte sich die kleine Wohnung über dem Café eingerichtet. Was sollte sie ohne diesen Traum tun? Ohne ihr Café war sie nichts.

Sie richtete sich auf und atmete tief durch. Die Luft roch nach Meer. Nach Salz. Nach Leben. Sie konnte das nicht einfach aufgeben. Unruhig stand sie auf und drehte sich so, dass sie das Gebäude sehen konnte. Sie hatte es in Sonnengelb gestrichen. Mit weißen Rändern um die Fenster und grünen Fensterläden. An der linken Seite rankten Azaleen die Hauswand entlang, und überall standen bunte Blumen in Tontöpfen. Ihr persönliches Gartenparadies. Und das sollte sie Dimitrios und Helena überlassen? Im Leben nicht!

Leider war ihr Erspartes beinahe aufgebraucht. Das Dach hatte ein Leck gehabt, und der Scheidungsanwalt war immens teuer gewesen. Leider war ihr Anwalt in Rente gegangen. Sie war seine letzte Mandantin gewesen. Was sollte sie nur tun? In ihrer Not rief sie ihre Freundin Talia an, die in einer der besten Anwaltskanzleien der Insel arbeitete. Vielleicht hatte sie ja eine Idee.

„Amy! Schön von dir zu hören. Wie war die Reise?“ Ihre Freundin klang wie immer fröhlich und gut gelaunt.

„Die Reise nach England? Die war furchtbar. Meine Rückkehr ist aber noch schlimmer. Dimitrios hat mich ausgesperrt. Er will mir das Café wegnehmen.“

Talia schwieg einen Moment betroffen, dann fluchte sie leise auf Griechisch. „Was sagt denn dein Scheidungsanwalt dazu?“, fragte sie.

„Der ist doch in Rente.“

„Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass du eine schlechte Wahl getroffen hast. Warum nur wolltest du nicht meine Kanzlei beauftragen?“

„Weil die Anwälte bei dir alle auf Wirtschaftsrecht spezialisiert sind.“

„Mein Chef schuldet mir noch einen Gefallen. Ein Anruf genügt und er kommt dir zu Hilfe. Ich habe ihn damals gerettet, als er die Abendgala bei sich zu Hause schlicht vergessen hatte. In letzter Sekunde konnte ich alles arrangieren. Seitdem wird er nicht müde, mir seine Hilfe anzubieten.“

Amy hatte das Angebot ihrer Freundin bislang grundsätzlich abgelehnt. Zum einen wollte sie auf eigenen Beinen stehen und nicht ständig auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen sein. Zum anderen war ihr der Vorschlag unheimlich. Talia war Sekretärin für einen Anwalt, der sogar auf dem Festland berühmt war. Elias Nikropolis. Er galt als legendärer Verhandler in Wirtschaftsangelegenheiten. Amy war schon vor ihrer Scheidung sicher gewesen, dass dieser Mann niemals einen so lapidaren Scheidungsfall wie den ihren annehmen würde. Nicht unter normalen Umständen. Er legte sich mit Firmenbossen an. Scheidungen waren vermutlich unter seinem Niveau.

„Und was ist, wenn du eines Tages seine Hilfe dringender brauchst als ich?“, wandte Amy ein.

„Deine Schwierigkeiten sind wirklich gewaltig. Dass ich noch größere Schwierigkeiten bekomme, halte ich für beinahe unmöglich. Elias steht übrigens neben mir und sagt, dass er mit dir reden will.“

Amy hielt vor Schreck die Luft an. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie hörte, wie Talia kurz mit ihrem Chef sprach.

Gesprächsfetzen. Stille.

„Miss Winterston, was kann ich für Sie tun?“, drang plötzlich eine dunkle Stimme an ihr Ohr. Der Tonfall war freundlich und zugewandt. Nur eine leichte Ungeduld schwang darin mit.

„Ich bin mir nicht sicher, ob Sie mir helfen können“, sagte Amy zögerlich. „Mein Ex-Mann hat alle Türschlösser von meinem Café ausgetauscht. Er sagt, dass es jetzt ihm und seiner Geliebten gehört. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Mein letzter Anwalt war nicht besonders engagiert. Um ehrlich zu sein, habe ich kein Geld, um mir einen anderen leisten zu können. Ich hätte Sie niemals mit solch einer Sache belästigt, aber meine Freundin Talia meinte, Sie … also …“

„Ich schulde ihr noch einen Gefallen. Das ist richtig“, erklärte Elias Nikropolis trocken. „Sie sagt, ich soll Ihnen helfen. Da ich sie sehr schätze, werde ich das auch tun. Wo genau ist denn das Café?“

„In Fiskardo. Es heißt ‚I kaban‘ wegen des Glockenturmes direkt daneben. Es liegt am Hafen.“

Es entstand eine kurze Pause. Vermutlich sah er gerade auf die Uhr. „Wir sind hier gerade mit unserem Termin in Argostoli fertig. Ich wohne in Asos. Das ist nicht so weit weg von Fiskardo. Ich könnte gegen Mittag bei Ihnen sein. Wäre Ihnen das recht?“

„Ja, natürlich. Ich … danke Ihnen.“

„Bis später.“ Mit diesen Worten legte er einfach auf. Zum zweiten Mal an diesem Tag starrte Amy ungläubig auf ihr Handy. Elias Nikropolis kam vorbei? Zu ihr? Unfassbar.

Es dauerte kaum eine Minute, da erhielt sie eine Textnachricht von Talia.

Bei Elias bist du in den besten Händen. Mach dir keine Gedanken. Er wirkt zwar sehr ernst, hat aber ein Herz aus Gold.

Die Nachricht beruhigte Amy nur unwesentlich. Sie hatte schon so viel von Elias Nikropolis gehört. Hauptsächlich von Talia, aber der Anwalt kam auch immer wieder in den Zeitungen vor. Er hatte große Firmen vertreten und in fast allen Fällen gewonnen. Dass so jemand ihren Fall übernehmen wollte, war für sie unfassbar.

Nervös wartete sie auf Elias Nikropolis’ Ankunft. Sie vertrieb sich die Zeit, indem sie die Stühle zur Seite räumte und die Terrasse fegte. Ihr Werkzeug stand noch immer im Schuppen nebenan. Wenigstens dort hatte Dimitrios das Schloss unberührt gelassen. Hier fand sie auch ihre Sachen, die ihr Ex-Mann aus dem Haus geräumt hatte. Beim Anblick ihrer Habseligkeiten traten ihr sofort Tränen in die Augen. Das sollte es jetzt gewesen sein? Mehr blieb ihr nicht?

Was wollte Dimitrios überhaupt mit dem Café? Es war immer ihr Lebenstraum gewesen. Nicht seiner. Er hatte sie nur unterstützt. Sie wusste seit ihrer Kindheit, dass sie kein Hotel führen wollte. Sie hatte zwar eine Ausbildung zur Köchin gemacht, aber ihr war immer klar gewesen, dass sie ein Café betreiben wollte. Um genau zu sein: genau dieses. Es war einfach perfekt.

Die Stunden zogen sich dahin. Sie wurde immer nervöser, je später es wurde. Endlich ertönte das Röhren eines Motors. Ein rot lackierter Ferrari parkte neben ihrem kleinen Café. Heraus stieg ein Mann, der ihr schon beim ersten Anblick den Atem verschlug. Er war groß. Viel größer als ihr Ex-Mann. Beinahe ein Riese. Doch das war es nicht, das seine Aura so dominant machte. Vielmehr war es sein ganzes Auftreten. Er trug eine dunkle Sonnenbrille, die ihn geheimnisvoll und sexy aussehen ließ. Dazu einen maßgeschneiderten schwarzen Anzug mit schneeweißem Hemd. Eins war klar: Vor ihr stand ein Mann, der ganz genau wusste, was er wollte. Und der es auch bekam.

Elias Nikropolis sah sich suchend um und nahm dabei seine Sonnenbrille ab. Allein die Bewegung war einschüchternd, beinahe majestätisch.

In diesem Moment bedauerte Amy ihren Anruf. Auch ihr Ex-Mann war ein dominanter Typ gewesen. Zwar war er lieb zu ihr gewesen, aber dennoch aufbrausend und viel zu bestimmend. Sie hatte sich geschworen, sich niemals wieder auf so einen Typ Mann einzulassen. Nicht, dass sie etwas von Elias wollte. Aber sie hatte ihn durch das Telefonat in ihr Leben gerufen. Ein Fehler, wie sie jetzt feststellte. Für eine Umkehr war es nun allerdings zu spät.

Jetzt hatte Elias Nikropolis sie entdeckt und kam mit großen Schritten auf sie zu. Er heftete dabei seinen dunklen Blick auf sie, was Amy frösteln ließ. Dieser Mann war gefährlich und faszinierend. Sie wollte ihn auf keinen Fall als Gegner haben.

Er blieb vor ihr stehen und reichte ihr die Hand. „Elias Nikropolis“, stellte er sich vor. Seine Stimme war sogar noch dunkler, als sie am Telefon geklungen hatte. Kein Lächeln, kein freundliches Nicken. Er strahlte reine Entschlossenheit und Geschäftigkeit aus. Schon nickte er Richtung Tür. „Ihr Ex hat einfach das Schloss ausgewechselt? Ohne Vorwarnung?“

Amy nickte. „Bei der Scheidung haben wir uns darauf geeinigt, dass ich das Café bekomme und ihn auszahle. Ich wohne im Dachgeschoss und zahle dafür Miete an meinen Ex-Mann. Bislang hat unser Arrangement auch gut funktioniert. Über das Wochenende war ich bei meinen Eltern in England. Nach meiner Rückkehr kam ich nicht mehr ins Haus.“ Ohne dass sie es verhindern konnte, schossen ihr Tränen in die Augen. Sie war schon seit gut einem Jahr tapfer gewesen. Sie hatte sich mit Dimitrios herumgestritten, um ihre Existenz gebangt und sich gegen die eindringlichen Ratschläge ihrer Eltern gewehrt. All das forderte jetzt ihren Tribut. Sie hatte keine Kraftreserven mehr, um an dieser neuen Front zu kämpfen.

„Ich wollte ihn in Monatsraten auszahlen“, erzählte sie. „Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie mit dieser Angelegenheit belästige. Sie haben bestimmt Besseres zu tun, als einer verzweifelten Unbekannten zu helfen.“

„Wenn ich es nicht wollte, wäre ich nicht hier. Talia erzählte mir, Ihr Mann sei fremdgegangen?“

Amy sprach nicht gerne über das Thema. Schon gar nicht mit einem Fremden. „Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“, fragte sie irritiert.

„Ich hasse Fremdgeher“, sagte Elias ruhig. „Aus persönlichen Gründen macht mich so etwas sehr wütend. Schon allein deshalb will ich Ihnen helfen.“ Er ging zur Haustür und musterte die Türangeln. „Haben Sie im Schuppen eventuell einen Schraubenzieher?“

„Sie können doch nicht einfach in das Haus einbrechen“, protestierte Amy sofort.

Elias Nikropolis bedachte sie mit einem geradezu wölfischen Lächeln. Es war das erste Mal, dass sich in seinem Gesicht eine nennenswerte Gefühlsregung ablesen ließ. „Wir haben die Regeln nicht geändert. Das war Ihr Ex-Mann. Wenn er sich mit uns anlegen will, dann ist er selber schuld.“

Elias hatte einen anstrengenden Tag hinter sich. Seine Kanzleipartner setzten ihn wegen einer Mandantin unter Druck. Die Dame verlangte mehr Aufmerksamkeit von Elias, sonst wollte sie die Kanzlei wechseln. Aus irgendeinem Grund hatte sie einen Narren an ihm gefressen. Nach einem äußerst unangenehmen Gespräch mit ihr war er beinahe zu spät zu einem wichtigen Gerichtstermin gekommen. Doch damit nicht genug. Eine Stunde später hatte ihn seine Eventplanerin angerufen und ihm gesagt, dass sie im Krankenhaus lag und die für nächste Woche geplante Gala nicht organisieren könne. Sie gab zu, bislang nicht einen Handschlag für die Feier getan zu haben. Eine Katastrophe, zumal die Einladungen bereits verschickt waren.

Wahrscheinlich reagierte er deshalb ganz anders als gewohnt. Er hatte sich eigentlich nur kurz Amy Winterstons Probleme anhören wollen, um sich gegebenenfalls darum zu kümmern. Das war er seiner Sekretärin schlicht schuldig. Jetzt, wo er vor Ort war, wollte er auch nicht unverrichteter Dinge abfahren. Der Tag war auch so schon voller Niederlagen und Katastrophen gewesen. Da wollte er zumindest Amy Winterston helfen.

Dass ihr Ehemann sie betrogen hatte, weckte seinen Beschützerinstinkt. Er hasste Fremdgeher aus tiefstem Herzen. Ihm ging es dabei ums Prinzip. Dass Amy noch zusätzlich bildhübsch war, war eine interessante Nebensache. Amy war zart wie eine Elfe. Mit einer wilden blonden Lockenmähne bis zu den Schultern und sprühenden blauen Augen. Dass sich diese zwischendurch immer wieder mit Tränen füllten, berührte ihn auf eine Weise, die ihn irritierte. Normalerweise mied er weinende Frauen, doch Amy ließ ihre Tränen nie laufen. Sie war verzweifelt, aber gefasst. Ein Wesenszug, den Elias sehr schätzte.

Entschlossen machte er sich an der Haustür zu schaffen.

„Was ist, wenn die Polizei uns sieht? Ich möchte nicht, dass Sie wegen mir mit dem Gesetz in Konflikt kommen.“ Amy stand dicht neben ihm und trat unruhig von einem Bein aufs andere. Elias nahm ihren angenehmen Duft wahr. War das Flieder?

„Sie haben eine Einigung mit Ihrem Ex-Mann erwirkt. Er hat kein Recht, Sie auszusperren. Er ist es, der sich etwas zuschulden hat kommen lassen. Sie einfach aus Ihrer Wohnung zu verbannen ist nicht rechtens. Schon gar nicht ohne gerichtliche Verfügung. Um Genaueres sagen zu können, benötige ich allerdings Ihren Ehevertrag. Haben Sie den vorliegen?“

„Er liegt oben in meiner Wohnung …“

Er hörte, wie Amy scharf einatmete, als die Tür wie von Geisterhand aufsprang. Elias lächelte still in sich hinein. Wie gut, dass er während seiner Anfänge als Staatsanwalt immer mal wieder bei der Polizei mitgefahren war. Die hatten ihm so manche Tricks und Kniffe beigebracht. Dass er sein Wissen jemals anwenden würde, hatte er allerdings nicht erwartet.

Er stieß die Tür auf und deutete eine leichte Verbeugung an. „Nach Ihnen“, sagte er zu Amy. Sie trat an ihm vorüber, und er folgte ihr ins Innere.

Staunend sah er sich um. Das Herzstück des Cafés war die Terrasse draußen mit dem wunderschönen Blick aufs Meer und den Hafen. Doch auch innen ließ es sich sehen. Überall standen blühende Blumen. Die Stühle waren strahlend weiß, doch jeder sah anders aus. Der eine war filigran verschnörkelt, der andere nüchtern eckig. Auch die Tische waren unterschiedlich und doch fügten sie sich alle zu einem gemütlichen Ensemble zusammen.

„Sie haben ein Händchen für Inneneinrichtung. Gefällt mir“, sagte er spontan. Amy wurde rot, was ihm außerordentlich gut gefiel. Irritiert über diesen Gedanken runzelte er die Stirn. Sie war niedlich. Zugegeben. Mehr aber auch nicht. Dass Amy in ihm etwas in Schwingung brachte, gefiel ihm überhaupt nicht. Er hatte seit Jahren keine feste Beziehung mehr und wollte das auch gar nicht. Seit dem unrühmlichen Ende seiner Ehe war er der festen Überzeugung, dass es die wahre Liebe nicht gab. Der Mensch war für eine dauerhafte Partnerschaft nicht gemacht. Das war zumindest seine Meinung. Früher oder später kam es immer dazu, dass der eine den anderen betrog.

Genervt über sich selbst verdrängte er diese Gedanken und konzentrierte sich stattdessen auf seine Umgebung.

Amy hatte eine interessante Mischung aus griechischem Flair und englischer Gemütlichkeit geschaffen. Das machte das Café zu etwas Besonderem, genau wie seine Besitzerin.

„Ich laufe schnell nach oben und hole den Ehevertrag. Setzen Sie sich doch bitte. Kaffee?“

Elias nickte lediglich und wandte sich der langen Fensterfront zu, durch die er bis zum Meer blicken konnte. Die Wellen ließen die Schiffe im Hafen auf und ab wippen. Kurzentschlossen öffnete er die Glastür und trat auf die Terrasse, um sich dort an einen der Tische zu setzen.

Er gab es nicht gerne zu, aber das war das erste Mal seit Wochen, dass er wirklich durchatmete. Dass er, statt auf sein Handy zu starren oder in Unterlagen zu blättern, den Blick schweifen ließ. Nach seiner Scheidung vor fünf Jahren hatte er sich in Arbeit vergraben und sich von der Außenwelt abgeschottet. Er hatte damals auf seine warnenden Gefühle nicht gehört und sich von Thea, mit der er gerade mal ein halbes Jahr zusammen gewesen war, vor den Altar ziehen lassen – obwohl er sich selbst geschworen hatte, das niemals zu tun. Nicht nach dem, was sein Vater seiner Mutter angetan hatte. Der war ein notorischer Fremdgeher gewesen. Egal wie oft er versichert hatte, das sei das letzte Mal gewesen – letztlich war es doch wieder geschehen. Es hatte seiner Mutter das Herz gebrochen und Elias bewiesen, dass es so etwas wie lebenslange Liebe nicht gab.

Dann hatte Thea ihn verlassen. Wegen eines anderen Mannes. Zu dem Schmerz ihres Verlustes war der Ärger über sich selbst hinzugekommen. Er war selbst schuld an seinem Leid. Warum hatte er auch nachgegeben? Warum hatte er nicht auf die warnende Stimme in ihm gehört?

Die Arbeit hatte ihm Halt und Kraft gegeben. Er liebte sie. Bis diese ganz spezielle Klientin seines Partners auf ihn aufmerksam geworden war und sich in den Kopf gesetzt hatte, ihn zu erobern. Unter normalen Umständen hätte er sie in ihre Schranken gewiesen und sie als Madantin abgegeben, doch sein Partner hatte interveniert. Lydia war einflussreich. Es war gefährlich, sie zu verärgern.

Elias zuckte zusammen, als Amy unvermittelt neben ihm auftauchte. Sie balancierte gekonnt zwei Kaffeetassen, einen Teller mit Gebäck und einen dicken Ordner in den Händen. Alles zusammen stellte sie in einer fließenden Bewegung ab und setzte sich danach zu ihm. Sofort vertiefte er sich in die Unterlagen. Dabei bemerkte er durchaus, dass Amy die ganze Zeit über die Luft anhielt. Wenn sie einatmete, dann nur flach und schnell. Für sie ging es um die Existenz. Kein Wunder, dass sie derart angespannt war.

Nachdem Elias die Dokumente konzentriert durchgegangen war, lehnte er sich zurück. Schweigend nahm er einen Schluck Kaffee und mied dabei Amys Blick. Er heftete sein Augenmerk zunächst auf die beruhigenden Bewegungen der Wellen, überlegte. Wie sollte er es ihr schonend beibringen? Schließlich wandte er sich ihr zu.

„Ihr Ehevertrag ist ein Desaster für Sie. Wieso haben Sie zugelassen, dass Dimitrios den Kaufvertrag für das Café unterschreibt? Auch sämtliche Ausgaben danach laufen auf seinem Namen. Im Prinzip ist er der alleinige Besitzer. Sagten Sie nicht, dass Sie die Eigentümerin sind?“

Amy starrte einen langen Moment in ihre Kaffeetasse, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich habe einen riesigen Berg Schulden von meinen Eltern übernommen. Damals in England. Es ging um unser Familienunternehmen. Ein Hotel, das in Schwierigkeiten geraten war. Meine Eltern mussten Privatinsolvenz anmelden. Um nicht alles zu verlieren, habe ich einen gewaltigen Kredit aufgenommen, den ich noch immer abzahle. Erst als es dem Hotel wieder besser ging, habe ich England den Rücken gekehrt. Ich hielt es dort einfach nicht mehr aus. Dimitrios hat mich darin unterstützt, fortzugehen. Er hatte mir so viel vorgeschwärmt von seiner Heimat, von der Insel und den tollen Möglichkeiten in der Tourismusbranche. Ich bin ihm Hals über Kopf nach Griechenland gefolgt und habe hier das Café entdeckt. Er hat es für mich gekauft. Kein Kreditgeber dieser Welt hätte mir Geld gegeben, daher musste alles über Dimitrios laufen. Deshalb auch der Ehevertrag. Er hatte Angst, die Schulden meiner Familie übernehmen zu müssen. Ich habe bereits geahnt, dass mich das in große Schwierigkeiten bringen wird.“

„In Schwierigkeiten? Amy!“ Zum ersten Mal nannte er sie bei ihrem Vornamen. Bei dem, was er nun sagen musste, ging es nicht anders. Impulsiv legte er seine Hand auf ihre. Berührte sie, um ihr Halt zu geben. „Dimitrios gehört dieses Café. Wir haben keinerlei Verhandlungsbasis, um das zu ändern. Sie haben das sogar unterschrieben. Sie zahlen seit der Scheidung Miete für die Wohnung und Pacht für das Café an ihn. Das ist keine Abbezahlung. Sie zahlen für das, was Sie nutzen. Das Café gehört Ihnen nicht. Wieso nur hat Ihr Anwalt Sie nicht vorgewarnt? Er hätte das kommen sehen müssen.“

Eine einzelne Träne rann ihre Wange hinunter. „Mein Anwalt hat nicht oft mit mir gesprochen. Vermutlich hat er sofort gesehen, dass ich auf verlorenem Posten kämpfe.“ Sie sah ihn so verzweifelt an, dass es sein Herz berührte. Er hatte schon oft Fälle wie diesen gehabt, doch diesmal ging es ihm seltsam nahe. Amy so zu sehen, weckte seinen Beschützerinstinkt.

„Ich habe den Fehler meines Lebens begangen, nicht wahr?“, fragte sie fast lautlos.

Elias ließ sich nachdenklich auf den Stuhl zurücksinken. „Wir haben nicht viele Möglichkeiten. Es kommt ganz auf Ihren Ex-Mann an. Wir könnten vor Gericht ziehen, doch die Chancen stehen schlecht.“

„Ich kann Sie ohnehin nicht bezahlen. Es tut mir leid, dass ich Ihre Zeit verschwendet habe.“

Seufzend fuhr er sich über die Stirn. Das wäre jetzt ein guter Moment, um zu gehen. Um Amy mit all ihren Problemen allein zu lassen. Er hatte getan, worum seine Sekretärin ihn gebeten hatte. Er hatte sich Amys Ehevertrag angesehen, um ihr zu helfen. Leider war da nichts zu machen. Ihr Ex-Mann hatte das Recht auf seiner Seite. So schmerzhaft das auch war. Amy war naiv gewesen, solch einen Vertrag zu unterschreiben.

Elias wusste jedoch, dass es Momente im Leben gab, in denen man nicht rational handeln konnte. In denen man dumme Dinge tat, um einen Traum zu erreichen. Obwohl es sich falsch anfühlte. Genau so hatte er damals bei seiner Hochzeit gehandelt. Ihm war klar gewesen, dass Thea nicht die Richtige sein konnte. Sein Verstand hatte rebelliert und ihm gesagt, dass er den Fehler seines Lebens beging. Er hatte es trotzdem durchgezogen und es bis heute bereut.

„Ich lasse mir was einfallen“, hörte er sich selbst wie aus weiter Ferne sagen. „Vielleicht können wir zumindest ein wenig Geld herausholen. Damit Sie nicht völlig mittellos dastehen.“

„Ich bin ruiniert. Vollkommen. Mit dem Café habe ich mich bereits neu erfunden. Ich habe alle meine Energie dort reingesteckt – und mein letztes Geld. Jetzt ist nichts mehr übrig. Ich fühle mich leer und bin müde. Wenn ich nicht einmal mehr über dem Café wohnen kann, habe ich keine Bleibe. Und wie soll ich jetzt den Kredit meiner Eltern zurückzahlen? Ich bin gezwungen, nach England zurückzugehen und dort zu arbeiten.“

„Das klingt so, als würden Sie mit Ihren Eltern nicht gut zurechtkommen. Wieso haben Sie Ihnen dann derart selbstlos geholfen?“

„Wir sind eine Familie. Wir müssen doch zusammenhalten. Meine Eltern haben jahrelang alles gegeben, um das Familienhotel halten zu können. Ich war ihre letzte Chance, sonst hätten sie alles verloren. Wie hätte ich da Nein sagen können? Gleichzeitig wird mir ganz seltsam, sobald ich an eine Rückkehr nach England denke. Meine Mutter ist eine sehr dominante Frau. Wenn ich in ihrer Küche arbeite, habe ich das Gefühl, nicht atmen zu können. Sie kritisiert jeden Handschlag von mir. In ihrer Gegenwart komme ich mir immer noch wie das kleine Kind vor und nicht wie eine Köchin mit einer wirklich guten Ausbildung.“

„Das klingt nicht danach, als sollten Sie zurückkehren. Suchen Sie sich hier was anderes. Zahlen Sie den Kredit zurück und legen Sie sich gleichzeitig ein wenig Geld zur Seite, um ein neues Café zu eröffnen. Sie können das schaffen, wenn Sie es nur wollen.“

Sie schüttelte den Kopf, sodass ihre Locken noch wilder durcheinanderflogen. Das Kämpferische in ihren Zügen war vollständig verschwunden. Dunkle Schatten hatten sich unter ihre Augen gelegt. Sie wirkte müde und verzweifelt. „Als mich Dimitrios verlassen hat, hat mich nur dieses Café in Griechenland gehalten. Ich liebe es. Es zu verlieren, bricht mir das Herz.“

„Das reicht.“ Elias stand so abrupt auf, dass Amy erschrocken zusammenzuckte. Einen Moment sah er Angst in ihren schönen Augen aufflackern. Sofort hob er beruhigend die Hände. „Wissen Sie, was Sie jetzt brauchen?“ Amy schüttelte den Kopf. „Sie brauchen eine Auszeit. Kommen Sie. Ich weiß genau, wie Sie sich momentan fühlen. Ich kenne diese Leere und diese Verzweiflung, die jeden guten Gedanken wegspült. Der Verrat meiner Ex-Frau hat auch mir den Boden weggezogen. Es gibt nur einen Ort auf dieser Welt, an dem ich in solchen Momenten wieder durchatmen kann.“

„Aber ich sollte jetzt nicht weg“, protestierte Amy. „Ich muss den Streit mit meinem Ex-Mann klären.“

„Hier gibt es nichts zu klären. Die Sachlage ist eindeutig. Das Café gehört Dimitrios. Sie haben an diesem Ort nichts mehr verloren. Jetzt müssen Sie nur noch entscheiden, ob Sie kämpfen oder aufgeben wollen. Vertrauen Sie mir?“

Amy nickte.

„Kommen Sie mit mir. Der Ort, an den wir jetzt gehen, hat mir das Leben gerettet.“

Elias hatte noch nie jemanden dorthin gebracht. Es war sein persönlicher Rückzugsort. Sein Retter in der Not. Er war sich selbst nicht sicher, warum er Amy mitnehmen wollte, aber er spürte genau: Sie war am Ertrinken. Als er vor fünf Jahren in ihrer Lage gewesen war, hatte er sich von der Welt zurückgezogen. Das war seine Art gewesen, damit klarzukommen. Er bezweifelte, dass Amy so dachte und handelte wie er.

Sie war verzweifelt. Vollkommen und absolut verzweifelt. Er sah es in ihren Augen. In ihrer Haltung. In diesem verlorenen Blick.

Er hob auffordernd die Hand. „Kommen Sie mit“, sagte er sanft. „Ich habe Ihrer Freundin versprochen, mich um sie zu kümmern. Was ich verspreche, halte ich auch. Von daher werden Sie mich so schnell nicht los. Das wird erst geschehen, wenn wir eine Lösung gefunden haben, mit der Sie leben können. Sie müssen diesen Ort und dieses Café aufgeben. Sie müssen loslassen. Das können Sie unmöglich tun, wenn Sie weiterhin hier sitzen bleiben und Ihr Schicksal bedauern. Sie müssen neue Energie tanken. Sich neu erfinden. Sonst werden Sie untergehen.“

2. KAPITEL

Amy spürte, wie sie ärgerlich wurde. Was bildete dieser Mann sich ein? „Sie kennen mich nicht“, sagte sie scharf. „Ich danke Ihnen für Ihr Kommen, aber … ich kann Ihnen unmöglich zu einem geheimnisvollen Ort folgen. Was soll ich da?“

„Den Kopf freibekommen. Sehen Sie es als Chance, durchatmen zu können.“ Elias sah ihr ernst in die Augen. „Als mich damals meine Frau verlassen hat, hat mir das den Boden unter den Füßen weggerissen. Ich habe lange gebraucht, um mich wieder normal zu fühlen. Es war, als wäre ein Teil von mir mit ihr fortgegangen. Dieser Ort, an den ich Sie bringen möchte, hat mir geholfen, wieder Fuß zu fassen. Wenn Sie Griechenland tatsächlich verlassen wollen, sehen Sie es als Abschied an. Nach den Schrecken des Tages wird Ihnen das guttun.“

Amy wollte es nicht. Sie wollte, dass Elias ging. Sofort! Sie wollte allein sein und sich selbst bedauern. Sich in Ruhe von ihrem Café verabschieden. Weinen. Die Verzweiflung zulassen. Sie stockte, als ihr das bewusst wurde. Sie musste sich selbst eingestehen, dass sie alles verloren hatte. Wirklich alles. Dazu war sie noch nicht bereit.

Abrupt stand sie auf. „Ich halte Ihre Idee für noch immer gewagt, aber gut … ich komme mit Ihnen.“ Allein der Gedanke, ihr Café zurückzulassen, ließ sie panisch werden. Die Verzweiflung rollte erneut heran. Sie konnte sie nur zurückdrängen, indem sie sich auf Elias konzentrierte. „Fahren wir“, sagte sie mit fester Stimme, obwohl sie sich selbst nicht sicher war, ob die Entscheidung klug war.

Auf der anderen Seite: Was wollte sie weiter hier herumsitzen? Sie konnte ohnehin nichts tun.

Ihr war bewusst, dass sie Elias gar nicht kannte. Seine Aura war geheimnisvoll und in manchen Momenten auch finster. Viel zu dominant. Aber Talia sprach immer mit größtem Respekt von ihrem Chef.

„Sie sollten sich Schwimmsachen einpacken. Und vielleicht ein Handtuch und Sonnencreme.“

„Mir ist wirklich nicht nach einem Strandtag zumute“, protestierte sie.

„Das ist mir klar, aber glauben Sie mir: Es wird helfen.“

Amy blieb misstrauisch. Sie wusste um ihre größte Schwäche. Aus irgendeinem Grund neigte sie dazu, Menschen viel zu schnell zu vertrauen. Ihre Mutter nannte das naiv, ihr Vater mangelnde Menschenkenntnis. Das hatte sie schon häufiger in große Schwierigkeiten gebracht.

Seit Dimitrios’ Betrug hatte sie sich geschworen, niemals wieder irgendwem zu vertrauen. Das war auf Dauer allerdings anstrengend und machte sie einsam. Auf der anderen Seite vertraute sie ihrer Freundin Talia, und die hatte Elias geschickt. Noch immer hin- und hergerissen holte sie die gewünschten Sachen und stand wenig später nervös und zappelig neben seinem Auto. Der rote Wagen war nicht nur von außen schick. Innen hatte er cremefarbene Ledersitze, chromverzierte Leisten und ein Sportlenkrad. Nichts im Vergleich zu ihrem alten, klapprigen Toyota.

Ehrfürchtig ließ sie sich in den Sitz sinken und wartete, bis Elias seine Sonnenbrille aufgesetzt und den Motor mit einem durchdringenden Röhren zum Leben erweckt hatte. „Wohin fahren wir?“, fragte sie.

„Lassen Sie sich überraschen“, antwortete Elias mit einem breiten Grinsen. Wenn er lächelte, wirkte er ganz anders. Viel freundlicher. Offener. Dieser Teil an ihm gefiel Amy gut. Er machte ihn menschlicher. Anziehender. Nicht, dass sie an ihm Interesse gehabt hätte. Seit sie von Dimitrios betrogen worden war, ging sie Männern aus dem Weg. Ihr Ex-Mann hatte ihr Vertrauen in die Liebe zutiefst erschüttert.

Das Fischerdorf Fiskardo, in dem ihr Café lag, befand sich im Norden von Kefalonia. Tavernen, Fischrestaurants und Cafés reihten sich hier dicht aneinander, direkt am Meer. Zum Glück hatte dieser Ort das Erdbeben von 1953 gut überstanden. Es war einer der wenigen Orte der Insel, wo der griechische Baustil aus dem 18. Jahrhundert noch richtig zur Geltung kam. Der Boden bestand aus grauem Stein. Enge Treppen und Gassen führten in schwindelerregende Höhen, und überall gab es bunte Fensterläden und Hausfassaden, die sich farblich ergänzten. Im Hafen hatten große Segelboote angelegt, direkt neben prächtigen Jachten und kleinen Ruderbooten. Amy liebte diesen Anblick.

Elias fuhr eine enge Serpentinenstraße entlang, die sie direkt aus dem Ort brachte. Gerade als Amy dachte, sie würden Fiskardo hinter sich lassen, bog er nach links ein und fuhr hinunter Richtung Meer. Hier lagen drei einzelne Jachten abgesondert von den übrigen. Eine war prächtiger als die andere.

„Sagen Sie nicht, dass eine davon Ihnen gehört“, sagte Amy unsicher, als Elias in der gleichen Sekunde parkte und ihr bedeutete auszusteigen.

„Um ehrlich zu sein, sind das alles meine. Sie dürfen sich gerne aussuchen, welche Jacht wir nehmen.“

Sofort wurde Amy bewusst, wie unterschiedlich sie waren. Sie kämpfte um jeden Cent, bemühte sich darum, ihr Café zu behalten und eine Bleibe über dem Kopf zu haben. Und dann war da Elias, der drei Jachten besaß und vermutlich zu einem der einflussreichsten und erfolgreichsten Männer Kefalonias gehörte.

Sie entschied sich für die kleinste Jacht, die gleichzeitig am freundlichsten aussah.

Elias blieb neben ihr stehen, zog sich sein Jackett aus und rollte die Ärmel seines Hemdes auf. Aus irgendeinem Grund wirkte diese Bewegung unglaublich sexy. Aus dem Geschäftsmann wurde ein sportlicher, eleganter Mensch.

„Dann wollen wir mal“, sagte Elias und nickte ihr zu. „Sind Sie schon mal gesegelt?“

„Ich bin bislang nur mit einem Motorboot gefahren, aber ich lerne schnell.“ Sie folgte Elias den Steg hinauf, und er half ihr ins Boot. Danach war sie eine ganze Weile damit beschäftigt, ihm nicht im Weg zu stehen. Sie merkte schnell, dass er seine Jacht schon häufig allein startklar gemacht hatte. Jede seiner Bewegungen saß. Routiniert und schnell machte er das Boot bereit, und nur wenig später fuhren sie los.

Amy fühlte sich unwohl und absolut fehl am Platz. Elias wirkte konzentriert und in sich gekehrt. Das Licht der rötlichen Abendsonne spiegelte sich glitzernd in den Meerwellen. Der Wind spielte mit ihren Locken. Sie atmete tief ein, versuchte sich zu beruhigen. Vergebens. Alles fühlte sich so unwirklich an. So seltsam.

Was machte sie auf dieser Jacht? Warum kämpfte sie nicht gegen Dimitros? Für ihr Café? Ihr Leben? Stattdessen saß sie hier und starrte das Meer an.

Vielleicht genau deshalb, dachte sie bitter. Verabschiede dich von diesem Anblick. Du musst zurück nach England. Zurück zu deinen Eltern. Dein Leben in Griechenland ist vorüber.

Der Motor der Jacht erstarb plötzlich und riss sie aus ihren Gedanken. Besorgt sah sie Elias an. „Alles in Ordnung?“

„Aber sicher. Wir setzen nur die Segel. Achtung!“ Mit einem leisen Flattern entfaltete sich ein riesiges weißes Segel, das sich sanft im Wind blähte. Das Boot senkte sich ein wenig und knarrte, dann glitt es fast lautlos durch das Meer.

Amy drehte sich zu Elias und deutete dabei auf die Nachbarinsel im Osten. „Fahren wir nach Lefkada?“, fragte sie.

„Nein, aber wenn Sie das gerne möchten, kann ich unseren Kurs gerne ändern. Allerdings wollte ich Ihnen etwas ganz Besonderes abseits der Touristenwege zeigen.“

„Dann sollten wir bei unserem Plan bleiben. Kann ich Ihnen helfen?“

Wieder erklang dieses Lachen. Elias zwinkerte ihr zu. „Solange Sie aufpassen, dass das Segel Sie nicht erwischt und ich Sie nicht aus dem Meer fischen muss, ist alles in Ordnung. Es geht Ihnen schon etwas besser, nicht wahr?“

Überrascht stellte sie fest, dass er recht hatte. Sie hatte vor lauter Aufregung die aufziehende Panikattacke vergessen und sich beruhigt. Die Angst lauerte noch immer in ihrem Hinterkopf, war aber für den Moment erträglich geworden.

Amy nickte lediglich, um Elias nicht ansehen zu müssen. Der Mann schüchterte sie ein mit seinem speziellen Sex-Appeal und dem eindringlichen Blick aus seinen haselnussbraunen Augen. Sie mied ihn, wann immer es ging. Stattdessen konzentrierte sie sich auf ihre Umgebung.

Ihr Boot glitt mittlerweile zwischen den Inseln Lefkada und Kefalonia dahin. Von hier aus hatte sie einen wunderschönen Blick auf die Kalksteinfelsen. Immer wieder blitzten die versteckten Sandstrände auf. Viele von ihnen waren nur über enge Serpentinenstraßen zu erreichen. Diese waren schmale, dunkle Flecken, die sich zwischen grünen Bäumen den Berg hinaufschlängelten.

Sie fuhren Richtung Süden. Vielleicht wollte Elias ihr die Melissani-Höhle zeigen, eine riesige Tropfsteinhöhle mit einem unterirdischen See?

„Wann haben Sie herausgefunden, dass Ihr Mann Sie betrügt?“, fragte Elias unvermittelt.

Amy sprach nicht gerne über diese Zeit. Doch wenn Elias sie fragte, musste sie antworten. Immerhin wollte er ihr helfen. „Er hat es mir gesagt. Natürlich gab es Anzeichen, doch ich habe sie allesamt ignoriert. Ich wollte es lange nicht wahrhaben. Er ist noch am gleichen Abend ausgezogen. Eine Woche später hat er die Scheidung eingereicht. Und schon haben wir über Geld gestritten.“ Sie hätte Elias gerne gefragt, wie es bei ihm gewesen war. Für einen Moment überlegte sie, ob sie nachfragen sollte. Letztlich entschied sie sich dagegen.

Es ging sie nichts an. Je weniger sie über ihn wusste, desto eher konnten sie wieder ihrer Wege gehen. Er tat ihrer Freundin lediglich einen Gefallen, um seine Schuld zu begleichen. Vermutlich würden sie sich nach diesem Tag niemals wiedersehen.

Diese Augen! So verletzlich und gleichzeitig so wunderschön. Es passierte ihm selten, dass er einen anderen Menschen dermaßen faszinierend fand. In den meisten Fällen war das umgekehrt. Doch Amy hatte etwas an sich, das ihn tief berührte. Sofort war er beunruhigt. Er hatte keinerlei Interesse an Frauen. Zumindest an keiner festen Beziehung. Das hatte er sich selbst gegenüber geschworen, und er beabsichtigte, sich daran zu halten.

Um sich abzulenken, deutete er nach vorne. Sie hatten die Insel mittlerweile beinahe um die Hälfte umrundet und näherten sich der Ortschaft Sámi. „Kennen Sie den unterirdischen See mit der eingebrochenen Höhlendecke?“

Amy nickte. „Es ist dort wunderschön, allerdings auch ziemlich überfüllt. Oder ist das gegen Abend anders? Ich habe mir schon gedacht, dass wir dorthin unterwegs sind.“

Genau darauf hatte Elias spekuliert. Er lächelte sie breit an und schüttelte den Kopf. „Wir steuern eine andere Höhle an. Sie ist nicht so riesig, dafür aber beinahe unentdeckt.“ Rasch holte er das Segel ein, vertäute es mit geübten Griffen und nahm Kurs auf eine schroffe Felsengegend. Mit viel Geld und Geduld hatte er dort einen kleinen Steg gebaut. Extra für sich. Verrückterweise hatten ihn andere Seefahrer noch nicht entdeckt. Der Steg war gut versteckt. Der Bereich lag verlassen und einsam da. Genau so, wie er es liebte.

Die nächsten Minuten war er damit beschäftigt, sich ganz aufs Anlegen zu konzentrieren. Das Meer war an dieser Stelle rau und gefährlich. Ein einziger Fehler konnte dazu führen, dass seine Jacht auf Grund lief. Zum Glück hatte er das Manöver schon viele Male geübt. Dass Amy ihn dabei beobachtete, störte ihn nicht. Er war es gewohnt, von fremden Menschen analysiert zu werden. Allerdings lächelten die wenigsten dabei so süß. Sie klatschte, als er den Motor abstellte und ihr aus dem Boot helfen wollte.

„Das sah sehr spektakulär aus“, sagte Amy anerkennend. Sie wirkte noch immer distanziert und in sich gekehrt, bemühte sich aber, aufgeschlossen zu erscheinen. Das rechnete er ihr hoch an. Sie reichte ihm die Hand und ließ sich von ihm auf den schroffen Felsen ziehen. Ihre Handfläche berührte für einen Moment seine Brust, stützte sich daran ab. Sein Herz übersprang den nächsten Schlag, woraufhin Elias genervt die Stirn runzelte. Er mochte es nicht, wenn er seinen Körper nicht unter Kontrolle hatte. Normalerweise passierte ihm so etwas nie.

Während der Fahrt hatte er die ganze Zeit darüber nachgedacht, wie er ihr helfen könnte. Auf eine gute Idee war er leider nicht gekommen. Vielleicht half ihm die Umgebung auf die Sprünge. Hier hatte er schon so manchen Zukunftsplan ausgetüftelt.

Entschlossen kletterte er voran und reichte Amy immer wieder die Hand, um sie abzusichern. Zum Glück war sie eine gute Wanderin und brauchte selten seine Hilfe. Wellen krachten unter ihnen gegen die Felsen, sprühten die Gischt zu ihnen hoch. Hier war das Wasser mittlerweile türkisfarben. Es glitzerte und funkelte. Noch ein paar Schritte, dann hatte er sein Ziel erreicht. Durch eine kleine Felsspalte gelangten sie in eine Höhle. Sie mussten sich bücken, um hindurchzupassen. Der schmale Gang war nur wenige Schritte lang, dann standen sie in einer anderen Welt.

Ähnlich wie in der Melissani-Höhle war auch hier ein Teil der Höhlenkammer eingebrochen. Sonnenlicht flutete durch die offene Decke und ließ das Wasser der Grotte funkeln. Die Oberfläche bewegte sich kaum, lag beinahe glatt da wie ein Spiegel, sodass sie bis in die Tiefe des Sees blicken konnten. Dunkle Felsen zeichneten sich dort ab, aber an vielen Stellen glitzerte weißer Sand. Wer genauer hinsah, sah zahlreiche Fische von einer Seite zur anderen flitzen.

„Das ist ja traumhaft“, hauchte Amy ergriffen. Sie kletterte an ihm vorüber, um zu dem schmalen Sandstreifen zu gelangen, der sich zwischen Felsen und Meer gebildet hatte. An dieser Stelle erreichte die Sonne den Strand und erwärmte ihn. Amy lachte glücklich, als sie sich dort niederließ und fasziniert ihre Umgebung musterte. „Und das hat noch niemand entdeckt?“

„Zum Glück für mich fahren viele Menschen mit geschlossenen Augen durch die Welt. Sie sehen das Besondere nicht. Vom Meer aus kann man auch gar nicht erkennen, was sich hier verbirgt. Man muss über die Felsen klettern. Ich selbst bin eher durch Zufall hierhergekommen. Ich habe einen Vogel dabei beobachtet, wie er in die Grotte getaucht ist. Das hat mich neugierig gemacht.“ Elias setzte sich neben Amy und achtete darauf, ausreichend Abstand zu wahren. „Ehrlich gesagt bin ich jedes Mal überrascht, dass der Ort weiter unentdeckt ist. Ich habe den Steg damals extra versteckt, aber meistens hilft so etwas nicht lange. Leider bin ich schon seit Jahren nicht mehr hierhergekommen. Es war einfach zu stressig. Eigentlich habe ich auch jetzt keine Zeit. Ich müsste dringend eine Gala vorbereiten, da meine Eventplanerin erkrankt ist. Dabei habe ich auch so genug zu tun in der Kanzlei.“

„Sie veranstalten Bälle?“, fragte Amy irritiert nach.

„Es ist ein Wohltätigkeitsball. Meine Mutter hat ihn ins Leben gerufen, um Geld für notleidende Kinder zu sammeln. Kurz vor ihrem Tod habe ich ihr versprochen, die Tradition fortzuführen. Seitdem richte ich solch ein Event jedes Jahr aus. Nur dieses Jahr vermutlich nicht.“ Er seufzte tief. „Im Moment läuft es auch bei mir nicht so richtig.“

„Sie vermissen Ihre Mutter, nicht wahr?“, fragte Amy sanft.

Elias zögerte. Er sprach nicht gerne über seine Gefühle. Erst recht nicht mit Fremden. Auf der anderen Seite waren sie extra hierhergekommen, um der Welt zu entkommen und tief durchatmen zu können. Daher nickte er. „Sie starb drei Monate nach meiner Scheidung. Es war ein finsteres Jahr. Noch finsterer als dieses.“

„Das tut mir sehr leid.“

Elias war froh, dass Amy nicht nachfragte, woran seine Mutter verstorben war. Die Antwort war schwierig. Die Ärzte gaben einer heftigen Grippe die Schuld, doch Elias wusste es besser. Sie war an gebrochenem Herzen gestorben.

Ihm würde das nicht passieren. Das schwor er sich seitdem jeden Tag.

Amy schien zu spüren, dass dieses Thema für ihn schwierig war. Sie wechselte die Richtung des Gesprächs. „Nach meiner Scheidung war ich manchmal kurz davor, vollkommen zu verzweifeln. Um mich abzulenken, habe ich alle meine Energie in das Café gesetzt. Umso schmerzhafter ist es jetzt für mich, dass alles umsonst war. Ich … es tut mir leid. Es war vielleicht doch ein Fehler, hierherzukommen. Die Umgebung ist so wunderschön. So atemberaubend und faszinierend. Und was mache ich? Ich vergifte die Atmosphäre mit meiner Verzweiflung. Ich weiß nur einfach nicht, was ich tun soll.“ Amy ließ trotz der wunderschönen Landschaft um sie herum den Kopf hängen.

Elias wusste nur zu gut, wie sie sich fühlte. Auch er hatte vor fünf Jahren an diesem Punkt gestanden. Nachdenklich sah er sie an, dachte nach. Eine Idee formte sich in seinem Kopf. Seltsam und eher verrückt, aber manchmal waren das die besten.

„Sie kennen sich doch dank Ihres Cafés und Ihrer Ausbildung mit Events aus, oder?“, fragte er vorsichtig.

„Natürlich. Wir haben unsere Räumlichkeiten häufig vermietet und oft genug die Planung der Feiern übernommen. Warum fragen Sie?“

Elias zögerte. Eigentlich hätte er seine Idee lieber zunächst einmal gut durchdacht, aber dazu war im Moment keine Zeit. Er brauchte Hilfe. Amy eine Aufgabe. Warum also nicht? „Ich suche dringend jemanden, der meine Benefizgala organisiert. Ich möchte sie wirklich ungern absagen. Könnten Sie sich vorstellen, das zu übernehmen? Ich würde sie gut bezahlen.“

Amy wirkte völlig überrumpelt von seinem Vorschlag. Als sie den Kopf schüttelte, war er ein wenig enttäuscht. „Ich bin gelernte Köchin, keine Eventplanerin.“

„Aber Sie haben ein Café betrieben und sind sicher gut im Organisieren. Ihr Café wirkt gepflegt und durchdacht. Ich bin mir sicher, dass Sie ein Event planen können, wenn Sie nur wollen.“

„Sie bieten mir einen Job an? Einfach so?“, fragte Amy ungläubig.

„Es wäre ein Gewinn für uns beide. Sie könnten sich etwas Geld zur Seite legen, und ich habe jemanden, der meine Gala ausrichtet. Sie könnten sogar bei mir wohnen. Das Poolhaus steht leer. Es wäre sozusagen in der Bezahlung inbegriffen.“

Amy wollte protestieren. Er sah es genau im Funkeln ihrer Augen und ihrer Körperhaltung. „Lehnen Sie noch nicht ab. Gehen Sie erst einmal eine Runde schwimmen. Dann können Sie gerne das Für und Wider abwägen. Keine Sorge. Ich werde nicht beleidigt sein, wenn Sie ablehnen. Ich würde mich aber sehr freuen, wenn wir uns gegenseitig helfen könnten.“ Er zog sein Handy heraus. „In der Zwischenzeit werde ich ein ernstes Wort mit Ihrem Ex-Mann reden. Wir mögen zwar auf verlorenem Posten stehen, doch ein paar Ideen habe ich durchaus, um Ihnen zumindest ein wenig finanzielle Unabhängigkeit zu verschaffen.“

Er hätte schwören können, dass sie sich nicht vom Fleck fortbewegen würde. Doch sie warf ihm lediglich einen undurchdringlichen Blick zu, stand auf und ging um eine Felsspalte herum. In einem einfachen Jutebeutel hatte sie ihre Schwimmsachen auf sein Geheiß hin mitgenommen. Sobald sie aus seinem Blickfeld verschwunden war, entspannte er sich. Er hatte es getan. Er hatte seine vollkommen verrückte Idee erzählt. Vermutlich würde sie ablehnen, aber wenigstens lag es nun nicht mehr in seiner Hand, sie zu retten. Das musste sie schon selbst tun. Er hatte ihr immerhin einen Ausweg gezeigt.

Während Elias beobachtete, wie Amy mit eleganten Bewegungen ins Wasser glitt und die kleine Grotte erkundete, nahm er sich ihren Ex-Mann vor. Dieser meldete sich sofort nach dem ersten Klingeln. Elias hielt sich nicht großartig mit Small Talk auf, sondern kam direkt zur Sache. Er machte ihrem Ex-Mann klar, mit wem er sich angelegt hatte. Und er verdeutlichte ihm, dass Amy ab sofort unter seinem Schutz stand. Danach drohte Elias ihm im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten und legte auf. Es war immer besser, ein Gespräch zu beenden, solange man die Oberhand hatte. Dass Amy gerade aus dem Wasser stieg, machte die Sache noch dringlicher. Er wollte nicht, dass sie sich sorgte.

An ihrem Gesichtsausdruck konnte er nicht ablesen, wofür sie sich entschieden hatte. Das Wasser perlte an ihrer Haut entlang. Als Engländerin hatte sie einen recht blassen Teint. Dank der griechischen Sonne war sie jedoch ungewöhnlich braun geworden. Er hatte Mühe, sie nicht anzustarren. Gegen seinen Willen bemerkte er, wie attraktiv sie war. Sie war zwar schlank, aber nicht dürr. Dazu hatte sie geschwungene Hüften, lange Beine und eine schmale Taille. Amy war wunderschön. Und dadurch gefährlich anziehend.

Er reichte ihr ein Handtuch und wartete, bis sie ihre gelockten Haare abgetrocknet hatte. Dabei bemerkte er durchaus, dass sie eine leichte Gänsehaut hatte. Zu nah, dachte er sofort. Sie war ihm einfach zu nah und schien ihm die Luft zum Atmen zu nehmen. Das Glitzern ihrer Augen bohrte sich tief in sein Herz.

„Also schön“, sagte sie mit ihrer melodischen Stimme. „Ich nehme Ihr Angebot an. Sie haben recht. Es hilft uns beiden. Vielleicht sehe ich nach der Gala meinen Weg klarer vor mir. Im Moment weiß ich einfach nicht, was ich denken soll.“

Elias war selbst erstaunt, wie erleichtert er über ihr Einverständnis war. Sie würde in sein Poolhaus ziehen. Ein seltsames Gefühl. Seit Theas Auszug hatte bei ihm keine Frau mehr übernachtet. Er hatte stets darauf geachtet, keine Liebschaften zu sich einzuladen. Es war sein Reich. Der Ort, an dem er sich sicher fühlte.

Dass er seine Prinzipien über Bord warf, irritierte ihn selbst. Auf der anderen Seite waren sie eine rein geschäftliche Beziehung miteinander eingegangen. Nicht mehr und nicht weniger. Er musste nur aufpassen, dass es dabei blieb. Sein Schwur, keine Frauen mehr in sein Leben zu lassen, galt noch immer. Er hielt seine Versprechen. Grundsätzlich.

3. KAPITEL

Amy sah sich unschlüssig in ihrer Wohnung um. Tat sie das Richtige? Sie wusste es nicht. Auf der anderen Seite hatte sie kaum eine Wahl. Wo sollte sie übernachten? Wo sollte sie bleiben? Ihr Ex-Mann hatte ihr den letzten Rückzugsort genommen.

Eben noch glückliche Besitzerin eines Cafés mit dem perfekten Ehemann, hatte sie sich in einem erbitterten Scheidungskrieg wiedergefunden, den sie verloren hatte. Und jetzt wartete unten ein Star-Anwalt auf sie, damit sie ihre Sachen packen konnte, um bei ihm einzuziehen.

Es war einfach unglaublich.

Bring es hinter dich, dachte sie. Sie wollte nur das Nötigste mitnehmen, um keine Diskussionen mit Dimitrios anzustacheln. Noch vor zwei Jahren hatten sie hier gemeinsam gelebt, doch nachdem er ihr seinen Betrug gebeichtet hatte, war er ausgezogen. Seitdem wohnte sie allein hier und liebte es zu ihrer eigenen Überraschung sehr. Es war ihr kleines Reich. Zumindest war es das gewesen. Offensichtlich gehörte Dimitrios so ziemlich alles in ihrem Leben.

Schweigend nahm sie ihre liebsten Kleidungsstücke aus dem Schrank. Sie war schockiert, wie wenig sie besaß. Ihr Leben, verpackt in drei Taschen. Gleichzeitig fühlte sie sich, als würde sie ihr Herz zurücklassen. Mit Tränen in den Augen starrte sie ihre völlig durchgesessene blaue Couch an. Sie hatte sie auf dem Trödelmarkt gefunden und sich sofort in sie verliebt. Sie war total gemütlich und erinnerte sie an England. Denn trotz ihrer Flucht vermisste sie ihre Heimat manchmal.

Und dann erst ihr Küchentisch. Sie hatte ihn liebevoll restauriert, neu gestrichen und mit winzigen Ornamenten verziert. Die vier Stühle waren unterschiedlich und passten doch genau zueinander. Diese Wohnung spiegelte ihr Leben wider, zeigte, wer sie war. All das zurückzulassen, fiel ihr ungeheuer schwer. Vom Café ganz zu schweigen.

„Haben Sie alles?“, fragte Elias sie plötzlich.

Amy zuckte zusammen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass der große Mann ihr gefolgt war. Ihn in ihrem kleinen Wohnzimmer zu sehen war seltsam. Mit seiner gewaltigen Gestalt in der Mitte wirkte es noch winziger, als es ohnehin war.

„Es fällt mir schrecklich schwer, all das zurückzulassen“, sagte sie mit einem Seufzen.

Elias musterte seine Umgebung, dann zuckte er mit den Schultern. „Was davon haben Sie gekauft?“, fragte er.

Sie zeigte auf den Küchentisch, die Stühle, die Couch und das Bett. „Alles. Dimitrios hat sich nie dafür interessiert. Er wohnt jetzt in einer schicken Designerwohnung mit seiner neuen Freundin zusammen. Ich weiß überhaupt nicht, was er mit meinen Möbeln will.“

Elias wirkte nachdenklich. „Mein Poolhaus ist recht spärlich eingerichtet. Wie wäre es, wenn ich meine Angestellten morgen hierherschicke, um die Sachen abzuholen?“

„Was? Nein! Das geht doch nicht!“

„Hier geht es ums Prinzip. Er hat Sie betrogen und Ihnen alles genommen. Ich denke, es ist wohl das Mindeste, wenn er Ihnen Ihre liebsten Sachen lässt. Sollte er deswegen klagen, wird er mich kennenlernen.“

Amy war verwirrt. Wie immer, wenn Elias solche Dinge von sich gab. „Das ist mein Kampf. Nicht Ihrer. Ich verstehe einfach nicht, warum Sie das für mich tun.“

Er sah sie ernst an. So ernst wie noch nie zuvor. „Ihr Ex-Mann erinnert mich auf extreme Weise an meinen Vater. Das macht mich wütend, und es fühlt sich persönlicher an, als es sollte. Wenn Sie also für Ihre Sachen kämpfen wollen, lasse ich sie morgen abholen.“

Amy überlegte keine Sekunde. „Ich hätte die Sachen wirklich gerne“, sagte sie impulsiv.

Elias nickte und nahm zwei ihrer drei Taschen an sich. Bei ihm sah es so aus, als würden sie nichts wiegen. „Ich habe mit Dimitrios abgemacht, dass Sie diese Woche jederzeit in Ihre Wohnung kommen können, um Ihre persönlichen Dinge zu holen. Das Mobiliar war damit zwar nicht gemeint, aber ich bezweifle, dass er das anfechten wird. Was das Café angeht, sind wir uns nicht einig geworden. Da müssen wir sehen, wohin der Weg uns führt. Wir finden schon eine Lösung.“

Mit einem Nicken machte er klar, dass er jetzt gehen wollte. Amy folgte ihm mit einigem Abstand die steile, schmale Treppe hinunter. Sie warf noch einen letzten sehnsüchtigen Blick zurück, dann schloss sie dieses Kapitel ihres Lebens für immer.

Amy erlebte die Fahrt von Fiskardo zu ihrem neuen Heim nur wie durch einen dichten Nebel. Sie registrierte, dass sie Richtung Süden fuhren und sich nach gut zwanzig Minuten Autofahrt wieder der Küste näherten. Von hier aus sah sie das blaue Meer unter sich funkeln. Sie konnte bis zur venezianischen Festung auf der Halbinsel sehen. Eine Landbrücke verband die Insel mit dem Ort Assos. Hier reihten sich ebenfalls bunte Häuser aneinander, versteckt zwischen riesigen grünen Bäumen.

Anders als erwartet, ließen sie das Dorf hinter sich. Neugierig reckte Amy den Hals, um hinunter Richtung Meer zu blicken. „Wo liegt denn Ihre Villa?“, fragte sie irritiert.

Elias deutete mit dem Finger auf eine hochaufragende Klippe. „Es ist die Villa dort oben. Sie liegt dreihundert Meter über dem Strand. Von da haben Sie einen der fantastischsten Ausblicke auf die ganze Insel. An manchen Morgen liegt die Villa über den Wolken, sodass man den Eindruck hat zu schweben.“

Elias verließ die breitere Straße und bog auf einen schmalen Privatweg ab, der dicht an der Klippe entlangging. Automatisch hielt Amy die Luft an. Kurz vor dem Anwesen verbreiterte sich der Weg wieder und führte auf eine mit Kies ausgelegte riesige Hofeinfahrt. Ein schmiedeeisernes Tor schwang wie von Geisterhand auf und ließ sie hinein. Wein und Azaleen rankten sich an mehreren griechischen Säulen empor, die den Eingang der Villa einrahmten. Weißer Marmor glänzte in der Sonne. Das Haus selbst war eine spannende Mischung aus klaren Kanten und historisch anmutenden Säulen. An der spitzesten Stelle der Klippe hatte Elias einen Infinitypool mit Glasfront gebaut, der den Schwimmbereich vom Abgrund trennte. Auch hier gab es eine Variation aus rund und eckig.

Selbst vom Parkplatz aus konnte Amy kilometerweit die Küste überblicken. Elias hatte recht: Sie befanden sich weit über den Wolken. Wenn sie genauer hinsah, konnte sie den schönsten Strand von ganz Kefalonia erkennen: Myrtos war fast auf jeder Postkarte der griechischen Insel zu sehen. Eingerahmt von einer steilen Klippe glänzte sein Sand wie Gold. Das Wasser hat in diesem Bereich eine türkisgrüne Farbe angenommen.

Elias wartete geduldig, bis Amy sich an der Aussicht sattgesehen hatte. Dann holte er das Gepäck aus dem Kofferraum und erklomm die fünf Steinstufen. Eine ältere Dame mit Schürze kam aus der Eingangstür heraus. Sie schirmte die Augen mit der Hand ab und rief auf Griechisch eine Begrüßung.

„Meine Haushälterin Xanthia“, erklärte Elias. „Sie kümmert sich um das Haus, aber nicht um Feierlichkeiten wie Bälle oder Empfänge. Am Nachmittag fährt sie zurück zu ihrer Familie nach Assos. Xanthia? Das ist Amy Winterston. Sie wird sich um meinen Eventbereich kümmern.“

Amy fühlte sich unwohl in ihrer Haut, als sie die Haushälterin begrüßte. Die ältere Frau musterte sie mit einem seltsamen Blick. Als Xanthia hörte, dass Amy in das Poolhaus ziehen sollte, nickte sie zwar, runzelte jedoch die Stirn. Das unangenehme Kribbeln in Amys Magen verstärkte sich. Tat sie das Richtige?

Elias hingegen schien die stumme Musterung der beiden Frauen untereinander nicht bemerkt zu haben. Wie selbstverständlich trug er ihre Koffer Richtung Infinitypool. Dort entdeckte Amy ein recht unauffälliges Gebäude, das sich zwischen zwei Palmen duckte. Die Vorderfront war aus Glas. Auch hier erhoben sich griechische Säulen als Schmuckelemente.

„Die Fenster lassen sich verdunkeln, sodass niemand hineinsehen kann. Sie dürfen jederzeit den Pool oder die Liegen benutzen. Für die erste Nacht werden sie mit dem alten Bett vorliebnehmen müssen, aber ab morgen sollten Ihre Sachen hierhergebracht worden sein. Willkommen in der Villa Sýnnefa, dem Haus hoch über den Wolken. Ich möchte Sie für heute Abend als mein Gast begrüßen. Da können wir dann auch besprechen, wie es weitergehen soll.“

Amy zögerte kurz. Sie wollte so dringend allein sein, wollte nachdenken und sich sortieren. Letztlich sah sie aber ein, dass sie sein Angebot unmöglich ablehnen konnte. Er war wirklich sehr entgegenkommend gewesen.

„Sehr gerne“, sagte sie ruhig.

Er lächelte sie an. „Bitte seien Sie pünktlich. Wir essen um einundzwanzig Uhr vorne auf der Terrasse.“ Er warf ihr noch einmal einen Blick aus seinen dunklen, geheimnisvollen Augen zu. Danach wandte er sich zum Gehen. Amy beobachtete, wie er über den marmornen Poolbereich zu seinem Haus ging.

Was tust du nur? dachte Amy für sich. Wie war sie nur in das Haus dieses Mannes gelangt? Solch eine Villa hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nie betreten. Jetzt sollte sie darin arbeiten und schlafen? Es war wirklich unglaublich.

Sie drehte sich einmal um sich selbst und hielt automatisch den Atem an. Nicht nur die Wand Richtung Pool bestand aus Glas. Auch die hintere Wand war durchsichtig. Es war, als stünde sie am Abgrund. Ein traumhafter Ausblick. Direkt davor stand auf einem Sockel das riesige Bett. Es war über und über mit bunten Decken belegt. Ansonsten wirkte das Innere des Poolhauses eher steril und einfach gehalten. Der Raum hatte keine Seele.

Ohne es zu wollen, richtete Amy es in ihrem Kopf bereits ein. Der Tisch mit den schönen Stühlen würde sich im vorderen Bereich perfekt machen. Die Couch passte genau in die Ecke am äußeren Rand, und der Teppich würde den seltsamen Hall auffangen. Ja, hier konnte sie sich wohlfühlen.

Alles war so pompös. So unfassbar extravagant. Es war das komplette Gegenteil von ihrem kleinen, gemütlichen Café. Die Sehnsucht nach diesem Ort überspülte sie regelrecht, genau wie die Trauer um das, was sie verloren hatte.

Aber noch kannst du kämpfen, dachte sie streng. Es ist noch nicht alles verloren. Sie hatte einen Job, ein Dach über dem Kopf und die Chance, neu anzufangen. Natürlich war dieses Arrangement nur auf Zeit. Aber es half ihr, wieder auf die Beine zu kommen. Sie musste das Beste aus ihrer Situation machen.

Sie war gerade dabei, ihre Toilettenartikel aus dem Koffer zu räumen, als ihr Handy klingelte. Sie schluckte, als sie den Anrufer erkannte. Ihre Mutter. Das war nie ein Grund zur Freude. Dennoch ging sie ran.

„Amy! Dimitrios hat uns angerufen. Er macht sich große Sorgen um dich!“

„Wieso ruft Dimitrios dich an?“, fragte Amy fassungslos.

„Weil er beunruhigt ist. Obwohl eure Ehe beendet ist, bist du ihm natürlich wichtig.“

Amy bezweifelte das. Wenn sie ihm wichtig wäre, hätte er ihr nicht das Café weggenommen. Noch vor zwei Jahren hätte sie es niemals geglaubt, dass Dimitrios zu so etwas fähig war. Mittlerweile traute sie ihm alles zu. Auch, dass er ihre Mutter für seine Zwecke einspannte. Was hatte er vor?

„Ich bin froh, dass er uns informiert hat“, berichtete ihre Mutter weiter. „Was ist das für ein Kerl, auf den du dich da eingelassen hast? Dimitrios sagte, der Mann habe ihn bedroht!“

Noch immer verstand Amy nicht, worauf das hier hinauslief. „Welcher Kerl? Meinst du etwa meinen neuen Anwalt?“

„Das ist dein Anwalt? Wie kommst du denn an so jemanden ran? Dimitrios sagt, der Mann habe ihn massiv unter Druck gesetzt. Dimitrios wisse nicht, mit wem er sich da eingelassen habe, soll er gesagt haben. Wenn du mich fragst, klingt das nach mafiosen Strukturen und nicht nach einem seriösen Anwalt.“

„Mum! Das muss ein Missverständnis sein. Der Anwalt, den ich jetzt habe, ist einer der besten, die es gibt. Wenn mich einer aus diesem Schlamassel retten kann, dann er!“

„Wofür kämpfst du denn überhaupt noch? Das ist langsam albern. Du solltest dort umgehend verschwinden. Komm zu uns zurück nach England. Lass Griechenland hinter dir und kehr zu deinen Wurzeln zurück.“

Kraftlos ließ sich Amy zurück auf die hohe Bettstatt sinken, vor der sie gestanden hatte. Wie konnte es Dimitrios wagen? Und dann erst ihre Mutter! „Mum, Dimitrios hat überhaupt kein Recht mehr, sich in mein Leben einzumischen. Wir sind geschieden. Außerdem versucht er momentan, mir das Leben schwer zu machen. Er will mir das Café wegnehmen. Ich finde es ungeheuerlich, dass er dich überhaupt angerufen hat. Wenn er das noch einmal tut, dann leg bitte sofort auf.“

„Um Dimitrios geht es hier doch gar nicht. Er ist mir egal. Ich mache mir Sorgen um dich.“

Amy seufzte leise. Zu gerne hätte sie den Worten ihrer Mutter geglaubt, aber ihre Mutter hatte ganz andere Hintergedanken. Amy hatte in der kurzen Zeit, in der sie das Familienunternehmen geführt hatte, große Erfolge erzielt. Sie hatte aus einem insolventen Hotel ein Unternehmen gemacht, das wieder schwarze Zahlen schrieb. Natürlich hatte sie dafür Unmengen an Geld aufnehmen müssen. Doch es hatte sich gelohnt. Seit ihrem Fortgang blieben jedoch die Erfolge aus. Die Kundschaft wurde immer weniger. Darüber hatte ihre Mutter wiederholt geklagt. Sie erwartete von Amy, dass sie zu ihren Eltern nach England zurückkehrte. „Ich werde Kefalonia so schnell nicht verlassen. Ihr müsst ohne mich zurechtkommen.“

„Du hast in Griechenland keine Zukunft. Dimitrios hat mir erzählt, dass er das Café übernehmen musste. Wieso hast du nicht gesagt, dass du alleine überfordert warst?“

Amy blieb vor Schock die Luft weg. Solche Sachen behauptete Dimitrios? Das war hinterhältig und dreist. Jetzt versuchte er schon, ihre Familie gegen sie aufzubringen. „Dimitrios ist hier der Böse“, stellte sie in scharfem Tonfall klar. „Leider hat er allein den Kaufvertrag für das Café unterschrieben, weil ich noch die Kredite eures Hotels abbezahlen muss. Meine gute Tat fällt mir jetzt auf die Füße.“

Ihre Mutter schwieg einen Moment. Vermutlich war ihr dieser Zusammenhang nicht klar gewesen. Dann hörte Amy, wie ihre Mutter zischend Luft holte. „Ein weiterer Grund, um zurückzukommen. Es tut mir leid, dass du den Eindruck hattest, ich sei auf Dimitrios’ Seite. Das bin ich nicht. Aber er hat recht. Du musst dich dringend von diesem Anwalt lösen. Was Dimitrios über seine Vorgehensweise berichtet hat, ist beunruhigend. Du musst aufpassen! Wir wissen beide, dass du kein gutes Händchen für Männer hast.“

Der Satz saß. Obwohl Amy sich bemühte, die Worte ihrer Mutter nicht zu nah an sich herankommen zu lassen, hatte diese wie immer ihren wunden Punkt getroffen. Sie hatte wirklich kein Glück mit Männern gehabt. Das Ärgerliche daran war, dass ihre Mutter sie zuvor vor Dimitrios gewarnt hatte. Er sei als Grieche ein Frauenschwarm, würde zu gut aussehen, den Frauen hinterherblicken und Amy garantiert ruinieren. Allerdings hatte ihre Mutter keinen einzigen ihrer Freunde gemocht.

Dennoch sickerten ihre Argumente ganz langsam in Amys Herz. Unruhig rutschte sie auf dem Bett herum. Was sie über Elias sagte, war nicht von der Hand zu weisen. Amy war bereits aufgefallen, dass Elias sehr dominant sein konnte. Sie war auch skeptisch, was sein Angebot anbelangte. In seinem Poolhaus zu wohnen, fühlte sich falsch an. Als würde sie sich auf einen gefährlichen Weg begeben. Sie musste auf jeden Fall aufpassen, dass sie genügend Distanz zu ihrem neuen Chef wahrte. So ungern es Amy vor sich selbst zugab: Sie hatte sich bislang wirklich immer auf die falschen Männer eingelassen. Bei Elias durfte ihr das nicht wieder passieren. Nicht, dass sie sich in ihn verguckt hätte. Er sah gut aus und hatte eine wahnsinnige Ausstrahlung, die sie nicht kalt ließ. Allein in seiner Reichweite zu leben, konnte gefährlich werden. Leider blieb ihr nichts anderes übrig.

„Ich arbeite ab sofort für meinen Anwalt“, ließ sie die Bombe platzen. „Ich organisiere für ihn einen sehr großen Wohltätigkeitsball und wohne in dieser Zeit in seinem Poolhaus. Alles rein geschäftlich. Ich habe keine Wahl. Ich muss Geld verdienen und irgendwo wohnen.“

„Das wird ja immer schlimmer. Amy! Dein Anwalt hat ganz andere Pläne, als du denkst. Ich kenne solche Männer. Die …“

„Mum, es reicht. Elias ist mein Chef und nicht mein Freund“, sagte Amy. „Wegen eurer Schulden muss ich zusehen, wie ich an Geld komme. Die nächste Rate steht bereits an. Ich habe keine Ahnung, wie ich sie aufbringen soll. Ihr könnt mir doch auch nicht helfen mit eurer Privatinsolvenz. Das alles ist so verfahren und schrecklich.“

„Komm nach Hause. Wenn du hier das Zepter übernimmst, können wir ganz schnell das Geld zurückzahlen. Wieso willst du unbedingt ein neues Café eröffnen, obwohl du hier ein bereits gut gehendes Geschäft führen könntest?“

Weil du mir niemals die Führung überlassen würdest, dachte Amy bitter. Doch das war etwas, worüber sie sich schon oft gestritten hatten. „Ich muss jetzt auflegen“, sagte sie und verabschiedete sich von ihrer Mutter. Die protestierte zwar, doch Amy wollte nicht weiter mit ihr diskutieren. Kaum war dieser Anruf unterbrochen, wählte sie bereits die nächste Nummer. Sie musste dringend mit Dimitrios sprechen.

„Amy, wir hatten deinen Anruf bereits erwartet“, begrüßte sie statt Dimitrios eine helle Frauenstimme.

Sofort rutschte ihr das Herz in die Hose. Helena. Sie hatten bislang noch kein einziges Wort miteinander gewechselt, sich nur aus der Ferne gesehen. Amy hatte eigentlich beabsichtigt, es dabei zu belassen. Jetzt gab es allerdings kein Zurück mehr. „Helena“, sagte Amy zögernd. „Ich möchte mit Dimitrios reden.“

„Das dachte ich mir schon. Er ist gerade nicht da, aber dein Anruf trifft sich gut. Wir haben viel zu besprechen. Du solltest zurück nach England gehen, solange du kannst. Wir wissen beide, dass du in Griechenland keine Zukunft hast.“

„Dafür habt ihr zwei jedenfalls gesorgt“, erwiderte Amy scharf. „Ich werde nicht kampflos aufgeben.“

„Das Café gehört uns. Da kann selbst dein Spitzenanwalt nichts dran ändern. Du hast wirklich Elias Nikropolis engagiert? Als ich das von Dimitrios gehört habe, konnte ich es zunächst nicht glauben. Aber selbst er wird nicht verhindern können, dass wir dich aus dem Haus werfen.“

„Was habe ich euch eigentlich getan? Ich dachte, wir hätten uns geeinigt. Ich zahle euch aus und darf meinen Traum behalten. Was hat sich geändert?“

„Ich bin schwanger. Wir müssen jetzt an unsere Zukunft denken und können keine Almosen verteilen. Dimitrios wollte dir das Café unter Wert verkaufen. Das geht jetzt nicht. Wir werden es zunächst selbst betreiben und bei Gelegenheit verkaufen. Zu einem gerechten und fairen Immobilienpreis. Lass es einfach gut sein, Amy. Geh heim.“

Damit legte Helena auf und ließ Amy fassungslos zurück. Sie spürte, wie sich tiefe Traurigkeit in ihr ausbreitete. Dimitrios erwartete ein Kind. Mit einer anderen Frau. Das tat mehr weh, als sie gedacht hätte. Wenigstens wusste sie jetzt, warum er so handelte. Vermutlich war er überfordert mit der Situation. Er hatte zwar Kinder haben wollen, aber nicht sofort. Erst hatte er reisen wollen. Den Gedanken an eine Familie hatte er immer aufgeschoben. Selbst Amy war ungeduldig geworden. Sie hatte sich viele Kinder gewünscht.

Dass Dimitrios ein Kind erwartete und sie nicht, tat deshalb doppelt weh. Er hatte sie zweifach um ihre Zukunft betrogen.

Weinend rollte sie sich auf dem Bett zusammen und fragte sich, wofür sie eigentlich noch kämpfte. Sie hatte alles verloren. Wirklich alles.

Elias versuchte sich auf seine Schriftstücke zu konzentrieren, aber das fiel ihm heute schwer. Immer wieder unterbrach er seine Arbeit und warf einen Blick Richtung Poolhouse. Dort rührte sich nichts. Vermutlich packte Amy gerade ihre restlichen Sachen aus. Es gab keinen Grund für ihn, nach ihr zu sehen. Trotzdem hatte ihn eine seltsame Unruhe erfasst.

Genervt über sich selbst, wandte er sich wieder seinem Computer zu. Er liebte sein Arbeitszimmer in der höchsten Etage seiner Villa. Beinahe fühlte er sich, als schwebe er über der Welt. Heute jedoch empfand er das eher als störend. Es kam ihm so vor, als wäre er von den Menschen abgekapselt. Als verpasste er etwas äußerst Wichtiges.

Sein Telefon klingelte. Anhand der Anruferkennung sah er, dass es sein Partner war. Alastor Pachis und er kamen gut miteinander aus, allerdings stritten sie sich in letzter Zeit über eine Mandantin. Lydia Colonomos war eine Sache für sich. Sie war ehrgeizig, besaß ein Vermögen und galt als extrem einflussreich. Leider hatte sie ein Auge auf Elias geworfen, dem das überhaupt nicht behagte. Sie hatte darauf bestanden, ausschließlich von ihm vertreten zu werden. Seitdem quälte sich Elias mit seltsamen Aufträgen herum, denn Lydia zögerte nicht, ihn auch für Nichtigkeiten zu sich zu bestellen. Da Lydia und sein Chef gute Bekannte waren, hatte Elias kaum Spielraum. Alastor Pachis hatte die Kanzlei aufgebaut und hatte gemeinhin das Sagen, obwohl es auf dem Papier anders aussah. Da waren Elias und er gleichgestellt. Elias zollte dem Älteren jedoch so viel Respekt, dass er sich nach Möglichkeit nicht mit ihm stritt. Allerdings fürchtete er, dass er allmählich um einen handfesten Streit nicht mehr herumkam. Alastor Pachis sah einfach nicht ein, dass Elias auf eine rein geschäftliche Beziehung mit Lydia bestand.

Auch dieser Anruf hatte vermutlich etwas mit ihrem Streitpunkt zu tun. Mit einem leisen Seufzer ging er ran. „Kýrie Pachis, kaliméra! Ti kánete?“, fragte er möglichst freundlich. Dabei versuchte er seine Ungeduld vollkommen aus seiner Stimme zu tilgen.

„Mir geht es gut, danke der Nachfrage. Allerdings hat sich Lydia bei mir über Sie beschwert. Sie sagt, sie könne Sie seit Tagen telefonisch nicht erreichen.“

„Ich habe ihr eine Mail geschrieben. Ihr kleines Problem hat sich erledigt. Ich habe mich bereits darum gekümmert.“ Elias wappnete sich für das, was jetzt gleich kommen würde.

„Wir wissen beide, dass es dabei nicht um das kleine Problem geht. Sie will mit Ihnen sprechen. Im Namen dieser Kanzlei: Gehen Sie ran, wenn unsere wichtigste Mandantin anruft! Wenn Sie weiterhin so unprofessionell sind, bereue ich es langsam, Sie zum Partner gemacht zu haben.“

Elias wusste genau, woher der Wind wehte. Die Kanzlei hatte in letzter Zeit zwei wichtige Mandanten an einen Konkurrenten verloren. Lydia drohte ebenfalls damit zu wechseln. Einzig Elias Anwesenheit hielt sie davon ab. Er hatte jedoch nicht vor, auf ihre unangenehmen Annäherungsversuche einzugehen. Er war Anwalt. Kein Liebhaber.

„Ich habe Lydia zu Ihrem Empfang eingeladen, um die Wogen zu glätten. Bitte kümmern Sie sich um sie. Sie wissen, was auf dem Spiel steht. Ich zähle auf Sie. Ich muss leider Schluss machen. Offenbar ist mein nächster Mandant zu früh gekommen und bereits da. Wir reden später darüber“, sagte Alastor abrupt.

Elias verabschiedete sich recht steif von ihm. Danach ließ er sich in seinen Sessel zurücksinken und starrte nach draußen. Anders als sonst beruhigten ihn die Wellen diesmal nicht. Er hasste solche Situation. Frauen brachten wirklich nichts als Ärger. Mit Lydia plagte er sich bereits seit einem halben Jahr herum, und es wurde immer komplizierter.

Er war sehr froh, als es endlich Zeit für das Abendessen wurde. Seine Haushälterin hatte bereits den Tisch gedeckt. Kleine Laternen waren aufgestellt und spendeten sanftes Licht. Der weiße Baldachin über seinem Kopf blähte sich im Wind. Noch immer war es wohlig warm. Im August kletterten die Temperaturen selten unter fünfundzwanzig Grad. Seinen Anzug hatte er längst abgelegt und durch eine helle Stoffhose und ein luftiges Hemd ersetzt.

Er schenkte sich ein Glas vom heimischen Robola-Wein ein und ließ den Blick schweifen. Unwillkürlich betrachtete er das Poolhaus, wo sich nach wie vor nichts rührte. Stirnrunzelnd sah er auf die Uhr. Es war bereits nach neun. Er hatte nicht erwartet, dass Amy unpünktlich sein würde.

Als sie nach weiteren fünf Minuten nicht aufgetaucht war, stand er auf und ging zu ihr. Er bemühte sich, seine Bewegungen nicht verärgert wirken zu lassen. Er wusste aus Schilderungen, dass er dann wie ein Panther auf der Jagd wirkte. Gefährlich und viel zu einschüchternd.

Da er sie draußen nicht fand, klopfte er an die lediglich angelehnte Tür und wartete. Nichts rührte sich. „Amy?“, rief er. Vorsichtig schob er die Tür auf und erblickte Amy, die zusammengerollt auf dem Bett lag. Sekunden später war er neben ihr. „Alles in Ordnung?“, fragte er erschrocken.

Auch Amy zuckte zusammen. Sie hatte eindeutig nicht mit seinem Erscheinen gerechnet und richtete sich rasch auf, wischte sich über die Augen. Sie hatte geweint und sah schrecklich mitgenommen aus.

„Entschuldigung. Ich muss die Zeit vergessen haben. Bin ich zu spät dran?“

Elias nickte. „Wir können das Dinner auch absagen“, schlug er zögernd vor.

Hastig schüttelte sie den Kopf. „Nein, ist schon in Ordnung. Geben Sie mir bitte fünf Minuten. Ich mache mich schnell zurecht und komme dann zu Ihnen.“

Elias war unsicher. War es nicht besser, sie in Ruhe zu lassen? Sie wirkte vollkommen entwurzelt. Was war nur geschehen? Um sie nicht zu bedrängen, verließ er das Poolhaus und wartete auf ihrer Terrasse auf sie. Amy brauchte nicht lange. Fünf Minuten später trat sie neben ihn. Als er sie erblickte, musste er sich zusammenreißen, um sie nicht anzustarren.

Sie trug ein frei schwingendes rotes Sommerkleid mit zarten Blumenornamenten. Obwohl es hochgeschlossen war, sah es an ihr unglaublich sexy aus. Es schmiegte sich wie eine zweite Haut an sie und betonte ihre sanften Rundungen. Ihre wilden Locken hatte sie zu einem einfachen Zopf gebunden, und sie war ungeschminkt. Gerade dadurch bemerkte Elias, dass sie eine natürliche Schönheit war. Ob Schminke oder nicht: Sie gefiel ihm außerordentlich gut.

Da sie seinem Blick auswich, schien ihr gerade nicht nach reden. Elias akzeptierte das. Nebeneinander liefen sie zu seiner Terrasse, wo der bereits gedeckte Tisch auf sie wartete. Kerzen standen auf dem weißen Tischtuch, und Lampions hingen über der Tafel, befestigt an zwei gegenüberliegenden Bäumen daneben. Es sah freundlich und schick aus. Elias zog ihr zuvorkommend den Stuhl nach hinten und wartete, bis sie sich gesetzt hatte. Erst dann gesellte er sich zu ihr.

„Hat Ihre Verzweiflung mit Ihrem Ex-Mann zu tun?“, fragte er vorsichtig. „Kann ich helfen?“

Sie nickte erst und schüttelte danach den Kopf. „Lassen Sie uns einfach gemeinsam essen. Bitte entschuldigen Sie, dass Sie auf mich haben warten müssen.“

Er gab nach und schenkte ihr von dem vollmundigen Wein ein. Wenn sie nicht darüber reden wollte, akzeptierte er das. Zeit, sie abzulenken. Er deutete auf den griechischen Salat, der bereits vor ihr stand. Gurken, Tomaten, Oliven und grüne Paprika aus dem Garten, dazu Schafskäse und Zwiebeln. „Meine Villa mag edel und extravagant sein, doch ich mag schlichtes Essen. In Restaurants gehe ich nicht gerne. Ich genieße lieber mein Dinner in meinem Zuhause. Deswegen arbeite ich auch häufig von hier aus und fahre nur in dringenden Angelegenheiten in die Firma. In dieser Umgebung bin ich einfach effektiver.“

Amy nahm einen Bissen von ihrem Salat und lächelte schwach. „Das Dressing ist wirklich sehr gut. Sehr natürlich. So wie Sie sich beschreiben, klingen Sie aber dennoch, als wäre die Arbeit das Wichtigste in Ihrem Leben.“

„Es ist ja auch das Verlässlichste. Es gab eine Zeit, in der ich mein Leben ganz auf meine Ex-Frau Thea ausrichten wollte. Zum Glück habe ich das nie getan. Sie hat mich verlassen. Die Arbeit ist mir immer noch treu. Sie lenkt mich ab und erfüllt mich. Dank ihr kann ich mir das leisten, was ich liebe. Das Gefühl von Freiheit und Weite. Das macht mich glücklich.“

„Haben Sie sich denn in Ihrer Ehe eingeengt gefühlt?“

Elias überlegte. Wie viel sollte er Amy erzählen? Wie viel Privates war er bereit, von sich preiszugeben? Er war ein sehr verschlossener Mensch und hatte auf die harte Tour gelernt, dass er sich nur auf sich selbst verlassen konnte. Andere Menschen betrogen ihn früher oder später. Doch Amy sah ihn aus so offenen Augen an, dass er gar nicht anders konnte. Außerdem war ihm klar, dass sie gehen würde, wenn er ihr nicht ein wenig über sich erzählte. „Thea war ein sehr einnehmender Mensch. Sie wusste genau, was sie wollte, und war auch bereit, dafür zu kämpfen. Das war mit der Zeit sehr ermüdend. Wir haben uns so viel gestritten, dass es für ein ganzes Leben reicht. Doch dass sie mich betrügen würde, damit habe ich nicht gerechnet. Aus irgendeinem Grund habe ich ihr als einzigem Menschen auf der ganzen Welt vertraut. Umso schmerzhafter war ihr Verrat.“ Er sah Amy fragend an. „Und wie ist es bei Ihnen?“

„Das Sagen in unserer Ehe hatte Dimitrios. Er hat vorgegeben, wohin die Reise geht. Er hat sich um alles gekümmert, und ich habe mich ganz auf das Café konzentriert. Das bin ich von meinen Eltern auch so gewohnt gewesen. Erst als Dimitrios mich hintergangen hat, ist mir klar geworden, wie sehr ich von ihm abhängig war. Das hat mein Weltbild erschüttert. Das ist auch der Grund, warum ich mich nie wieder derart von einem Mann bevormunden lassen will.“

Elias merkte auf. „Ich habe keineswegs vor, Sie zu bevormunden. Im Gegenteil. Ich habe volles Vertrauen in Ihre Fähigkeiten. Ich war so frei, mir ein wenig die Bilanzen des Cafés anzusehen. Es ist ganz hervorragend geführt worden. Über Jahre hinweg. Es trägt eindeutig Ihre Handschrift. Ich kenne Dimitrios nicht besonders gut, aber ich schätze ihn als durchweg chaotischen und wankelmütigen Mann ein.“

Sie nickte, woraufhin Elias noch nachdenklicher wurde. „Wie schlimm sind Ihre finanziellen Schwierigkeiten in Wirklichkeit?“, fragte er sanft.

Amy ließ die Gabel, die sie gerade zum Mund führen wollte, abrupt sinken. Sie wirkte ertappt. „Haben Sie etwas in den Unterlagen entdeckt, das Sie zu dieser Frage veranlasst?“

„Die nächste Rate Ihres Kredites ist bereits nächste Woche fällig. Mein Vorschlag wäre daher, dass Sie das anstehende Fest über die Bühne bringen und ich Sie dafür gut entlohnen werde. Danach können wir neu verhandeln oder unser Arrangement auflösen. Sehen Sie es als eine Art Probezeit an. Sie können herausfinden, wer ich wirklich bin. Und ich kann Ihnen beweisen, dass Sie auch ohne Dimitrios gut arbeiten.“

„Aber das wissen Sie doch gar nicht“, protestierte sie.

„Ich habe eine hervorragende Menschenkenntnis. Außerdem ist mein Angebot auch keineswegs uneigennützig. Ich brauche dringend Hilfe mit der Gala.“

Amy hob ihr Glas. „Auf eine Partnerschaft, geboren aus Verzweiflung“, sagte sie traurig.

Elias prostete ihr zu und hatte mit einem Schlag das Gefühl, sich auf einen gefährlichen Weg zu begeben. Er brauchte wirklich dringend Hilfe. Aber er hatte noch einen anderen Grund, Amy zu helfen.

Er begann, sie zu mögen. Er spürte, dass sie stark war. Mutiger. Entschlossener. Sie faszinierte ihn. Viel mehr, als sie es sollte.

Während sie gemeinsam aßen, nahm er sich fest vor, sehr genau auf eine gewisse Distanz zu achten. Er musste aufpassen. Auf sich und seine Unabhängigkeit.

4. KAPITEL

Hinter Amy lag eine aufregende Woche. Noch nie hatte sie einen solch großen Empfang für so viele Menschen vorbereitet. Es war ganz anders als ihre Arbeit im Café. Auf der anderen Seite entsprachen ihre Aufgaben tatsächlich genau dem, was Amy perfekt beherrschte: organisieren, Aufträge beaufsichtigen und nervöse Menschen beruhigen – darin war sie gut. Wann immer sie unsicher war, fragte sie Elias um Rat. Schnell hatte sie heraus, dass er zwar manchmal ungeduldig reagierte, doch sehr hilfsbereit war.

Das Zusammenleben mit ihm war weitaus entspannter, als anfangs erwartet. Das Dinner hatte ihnen beiden gutgetan. Zwar hatten sie zwischendurch einige Themen angesprochen, die sie auf gefährliches Terrain geführt hatten, doch letztlich endete der Abend ruhig. Seitdem hatten sie solch ein Treffen nicht wiederholt.

Amy war umgehend an die Arbeit gegangen. Es gab viel zu tun, um solch ein großes Event in so kurzer Zeit zu planen. Zum Glück war die Villa Sýnnefa für Abendveranstaltungen ausgerichtet.

Dann war es auch schon so weit. Den Samstag über wusste Amy kaum, wo ihr der Kopf stand. So viele Leute wollten etwas von ihr. So viele Menschen fragten nach ihrer Meinung. Elias hielt sich im Hintergrund und ließ sie machen – zumindest bis achtzehn Uhr. Noch eine Stunde, dann würden die ersten Gäste kommen.

Elias fing Amy in der Lobby ab. Auf seinem Arm trug er ein großes, lang gezogenes Paket, das er ihr schweigend übergab. „Ihr Galakleid“, sagte er.

Amy sah ihn ungläubig an. „Ich verfüge über meine eigene Garderobe. Außerdem werde ich mich auf keinen Fall unter die Gäste mischen.“

„Sie haben das alles organisiert und werden natürlich ein Teil des Abends sein. Dazu gehört auch, dass Sie die passende Kleidung tragen. Vertrauen Sie mir. Sie werden das Kleid mögen und wunderschön darin aussehen.“

Der Blick, den Elias ihr dabei zuwarf, ging ihr durch und durch. In der letzten Woche hatten sie sich sehr bemüht, auf professioneller Distanz zu bleiben. Gerade eben fühlte es sich allerdings anders an. Die Luft schien zu knistern. Zu prickeln. Amys Herz schlug auf einmal schneller, und sie konnte für einen winzigen Moment ihren Blick kaum von Elias lösen.

Was war denn das gerade gewesen? fragte sie sich irritiert. Um möglichst schnell der seltsamen Situation zu entkommen, nahm Amy sein Geschenk an. Unter normalen Umständen hätte sie sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, doch Elias konnte man kaum etwas abschlagen. Er wandte eine interessante Mischung aus Dominanz und Freundlichkeit an. Dagegen war Amy machtlos.

Zufrieden nickte Elias ihr zu. „Bis gleich“, sagte er und lächelte dabei. Ein Lächeln, das in seinen Augen funkelte. Das wiederum war ein seltener Moment. So viel hatte Amy bereits herausgefunden: Elias war ein ernster Mann. Sein Leben bestand aus Arbeit und den wenigen Momenten, in denen er in seinem Pool entspannte oder hinunter zum Strand kletterte. So manches Mal war Amy kurz davor gewesen, ihn zu begleiten. Letztlich hatte sie sich aber immer dagegen entschieden. Sie hätten eine unsichtbare Grenze überschritten, die sie beide brauchten. Ohne die ihr Zusammenleben nicht funktionieren würde. Sie waren Chef und Angestellte. Nicht mehr und nicht weniger.

Aufgewühlt huschte Amy in ihr Zimmer. Für das Fest hatte sie das Poolhaus räumen müssen, denn dort war jetzt das Buffet aufgebaut. Damit sie irgendwo schlafen konnte, hatte ihr Elias eins der Gästezimmer in der Villa überlassen. Es war in etwa so groß wie ihre komplette ehemalige Wohnung. Die schneeweißen Vorhänge bauschten sich im sanften Wind, der durch die offene Balkontür hereinwehte. Es roch nach Meer und Sand.

Amy legte den Karton auf dem opulenten Kingsize-Bett ab, atmete tief durch und öffnete erst dann die Verpackung. Ihr verschlug es den Atem. Das Kleid war ein Traum aus Seide und Stickereien. Der zarte Roséton würde perfekt zu ihren blonden Haaren passen und ihre hellblauen Augen unterstreichen. Darüber war ein durchsichtiger Stoff genäht, in dem filigrane Ornamente eingearbeitet waren. Winzige Kleeblätter, die man erst bei näherem Hinsehen erkannte. Ein Kleid, das Glück bringen sollte.

Gerührt zog Amy es an und starrte sich danach eine lange Weile im Spiegel an. Noch nie hatte sie etwas so Wunderschönes an sich gesehen. Sie fand es unglaublich, dass es perfekt passte. Als hätte es ihr ein Schneider auf den Leib geschneidert. Wie konnte so etwas sein? Und wie hatte Elias genau die Farbe getroffen, die sie so sehr mochte?

Nur mit Mühe riss sie sich von ihrem Anblick los, schminkte sich schnell und steckte ihr Haar mit geübten Griffen hoch. Sie war gerade fertig geworden, als es unten an der Haustür klingelte. Die ersten Gäste waren angekommen. Zum Glück hatte sie eine ganze Armee von Dienern und Kellnerinnen eingestellt, die sich um das Wohl der Gäste kümmern würden. Amy war eigentlich nur dafür zuständig, dass alles reibungslos verlief.

Mit klopfendem Herzen eilte sie in die Lobby, blieb aber abrupt stehen, als sie Elias an der Haustür erblickte. Er begrüßte gerade einen älteren Herrn mit silbergrauen Haaren und schwarzem Sakko. An der Art und Weise, wie sie miteinander umgingen, erkannte Amy sofort, dass sich die beiden mochten. Gleichzeitig gingen sie sehr vorsichtig miteinander um. Eindeutig eine wichtige Geschäftsbeziehung.

Elias unterbrach sich mitten im Satz, als er Amy entdeckte. Seine Augen weiteten sich, als könnte er es nicht fassen. Dann lächelte er. So herzlich, so freundlich, wie Amy es noch nie gesehen hatte. Sie erwiderte dieses Lächeln vorsichtig, trat aber nicht näher zu ihm. Sie wollte nicht stören. Stattdessen überprüfte sie die Arbeit der anderen Angestellten, immerhin war das ihre Aufgabe. Dadurch verlor sie Elias für einige Zeit aus den Augen. Immer mehr Gäste kamen, sodass Amy kaum Zeit hatte, um Luft zu holen. Gerade eilte sie Richtung Sonnenterrasse, da spürte sie eine Hand auf ihrem Arm. Warm und sanft.

„Sie sehen ganz bezaubernd aus“, sagte Elias leise zu ihr. Er beugte sich dabei etwas vor, sodass sie sich näher waren als jemals zuvor. Amy konnte seinen Duft wahrnehmen. Er hatte ein dezentes Aftershave aufgelegt, das ihre Sinne benebelte. Ein männlicher, angenehmer Duft. Er passte zu Elias.

Amy spürte, wie sie wegen des Kompliments rot anlief. Sie flüchtete sich in ein sanftes Lächeln. „Sie auch“, sagte sie schüchtern und meinte es auch so. Sie mussten ihr kurzes Gespräch unterbrechen, da ein anderer Gast Elias ansprach. Generell war er der Mittelpunkt der ganzen Partie. Sicherlich. Er war der Gastgeber. Doch Amy hatte noch nie eine Feierlichkeit erlebt, wo es einen so zentralen Punkt gab. Jeder wollte mit Elias reden und sich in seiner Anwesenheit sonnen.

Bis zu dem Moment, in dem eine Dame mittleren Alters den Raum betrat. Sie war im Vergleich zu normalen Frauen unfassbar groß, gertenschlank und mindestens genauso dominant wie Elias. Auch sie zog alle Blicke auf sich. Um ihren Hals trug sie eine Kette aus Diamanten, dazu passende Ohrringe und ein Diadem, das bei jeder ihrer Bewegungen funkelte. Ihr Kleid sah ähnlich kostbar aus und schwang bei jedem ihrer Schritte wie fließendes Wasser. Obwohl Amy sie nicht kannte, wusste sie sofort, dass diese Person wichtig war. Ihr Auftreten erinnerte an das einer Königin. Selbstbewusst und sehr extrovertiert.

„Elias“, rief sie so laut, dass es selbst über die Musik hinweg zu hören war. Wer sich bislang noch nicht zu ihr herumgedreht hatte, tat es jetzt. „Ich freue mich so sehr über deine Einladung. Endlich sehe ich, wo du wohnst. Was für ein bezauberndes Anwesen.“

Elias wandte sich der fremden Frau zu und lächelte voller Wärme. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Willkommen, Lydia.“ Er nahm die ihm dargebotene Hand und küsste sie ehrfürchtig, verbeugte sich sogar, als sei die Königin persönlich vor ihn getreten.

Amy musste fortsehen. Aus irgendeinem Grund konnte sie es kaum ertragen, Elias und die andere Frau so zu sehen. So vertraut und … ja, einander ebenbürtig. Etwas, das sie und Elias niemals sein konnten. Er stand gesellschaftlich weit über ihr. Spielte in einer ganz anderen Liga als sie. Was immer da zwischen ihnen knisterte, bildete sie sich vermutlich nur ein. Es war albern und peinlich. Amy nahm sich fest vor, das Prickeln in Zukunft zu ignorieren. Vermutlich entsprang es ihrer Einsamkeit.

Ab sofort war Amy froh, beschäftigt zu sein. Gleichzeitig bemühte sie sich, Elias und Lydia zu ignorieren, allerdings war das schwierig. Ihr Lachen hallte oft durch den ganzen Saal und verfolgte Amy selbst bis ins Foyer. Wann immer sie Lydia erblickte, stand sie direkt neben Elias. Irrte sie sich oder berührte sie ihn sogar ab und zu? Immer nur kurz. Mal am Rücken, am Arm oder an der Schulter. Als die Tanzfläche eröffnet wurde, war sie es, die zusammen mit Elias an ihr vorüberschwebte. Ihre roten Haare schwangen bei jeder Bewegung mit, und ihr Kleid schien ein Eigenleben zu haben.

Amys Magen zog sich bei diesem Anblick zusammen. Warum interessierte es sie überhaupt? Mit wem Elias eine Beziehung anfing, ging sie gar nichts an. Dennoch irritierte sie der Anblick. Ihr gegenüber hatte Elias deutlich gemacht, dass er kein Interesse an Frauen hatte. Und jetzt das.

Dieser Tanz sah gar nicht nach einem Mann aus, der eine recht schmerzhafte Scheidung hinter sich hatte. Das sah nach einem Mann aus, der wieder zu haben war. Der begehrteste Single in ganz Griechenland.

Da siehst du es wieder, dachte Amy traurig. Sie war wirklich nicht gut darin, Männer zu durchschauen. Begab sie sich erneut auf gefährliches Terrain?

Sei nicht albern, schalt sie sich selbst. Er ist einfach nur dein Chef. Sie durfte nicht zu viel in das Kleid hineininterpretieren oder in diesen seltsamen Moment, als er es ihr gegeben hatte. Das Prickeln. Der Blick.

Vermutlich lagen ihre Nerven blank.

Autor

Janette Kenny
Solange Janette sich erinnern kann, prägten fiktive Geschichten und Charaktere ihre Welt. Die Liebe zur Literatur entdeckte sie bereits als kleines Mädchen, da ihre Eltern ihr rund um die Uhr vorlasen. Ermutigt durch ihre Mutter, begann Janette schon früh zu schreiben. Anfänglich begnügte sie sich damit, ihren Lieblingssendungen neue, nach...
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