Romana Extra Band 113

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SAFRANBLÜTE AUF SARDINIEN von HILDY JOHNSTON
Die goldenen Herbsttage auf seinen Gewürzfeldern haben Maggie gezeigt, dass es richtig war, den stolzen Matteo zur Zusammenarbeit zu überreden. Nun hofft sie, dass die sinnlichen Liebesnächte am Strand ein Zeichen dafür sind, dass auch ihre Herzen zusammengehören …

WEIHNACHTEN AUF WOLKE SIEBEN von CAROLYN HECTOR
Wieso nur weckt die sexy Lehrerin British in Donovan den Wunsch, sie unbedingt zu beeindrucken? Mit ihr hat der notorische Playboy sogar Spaß daran, einen Weihnachtsbaum zu fällen. Liebe kann es nicht sein, denn der hat Donovan schon lange abgeschworen …

PRINZESSIN UNDERCOVER von SHIRLEY JUMP
Verträumt liegt Harborside am Meer: Hier ahnt niemand, wer die schöne Mariabella wirklich ist. Bis der attraktive Investor Jake Lattimore auftaucht und in der Prinzessin undercover die widersprüchlichsten Gefühle auslöst: Angst vor Entdeckung, Empörung – und Sehnsucht nach Liebe …

WIE BERAUSCHT VON DEINEN KÜSSEN von CHLOE BLAKE
Das Weingut in Brasilien zu verkaufen sollte für Nicole ein Leichtes sein. Doch die erfolgreiche Maklerin hat nicht mit Destin Dechamps gerechnet! Der Winzer ist so wild und unberechenbar wie sein Land und sabotiert ihre Bemühungen nicht nur mit heißen Küssen …


  • Erscheinungstag 26.10.2021
  • Bandnummer 113
  • ISBN / Artikelnummer 9783751500296
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Hildy Johnston, Carolyn Hector, Shirley Jump, Chloe Blake

ROMANA EXTRA BAND 113

HILDY JOHNSTON

Safranblüte auf Sardinien

Sie könnte die Rettung für seine Gewürzplantage sein! Doch nach einem Kuss weiß Matteo: Die gewissenhafte Unternehmertochter Maggie ist auch eine Gefahr für sein Herz. Soll er es aufs Spiel setzen?

CAROLYN HECTOR

Weihnachten auf Wolke sieben

Seit sie den attraktiven Donovan kennt, freut sich die junge Witwe British zum ersten Mal wieder auf Weihnachten. Bis Donovans Ex auftaucht und droht, Britishs Träume platzen zu lassen …

SHIRLEY JUMP

Prinzessin undercover

Mariabella weiß nicht, was das Schlimmste ist: dass der Investor Jake Lattimore die Ruhe im Küstenstädtchen Harborside stört. Dass er mit ihr flirtet. Oder dass er ihr Geheimnis in Gefahr bringt …

CHLOE BLAKE

Wie berauscht von deinen Küssen

Sein Vater will das Weingut verkaufen – das versucht Destin mit allen Mitteln zu verhindern! Mit feinen Weinen und zärtlichen Küssen will er die schöne Maklerin Nicole von ihrer Aufgabe ablenken.

1. KAPITEL

„Fünf Minuten“, sagte Matteo Santoro und blickte demonstrativ auf die Uhr. „Ich gebe Ihnen genau fünf Minuten, um mir zu erklären, warum ich ausgerechnet mit Ihnen zusammenarbeiten soll!“

Maggie atmete tief durch. Sie hatte gewusst, dass es schwierig werden würde – aber schon erwartet, dass man ihr wenigstens einen Stuhl anbot. Sei’s drum. Sie konnte dieses Gespräch auch im Stehen führen. Denn sie war ganz bestimmt nicht von London bis nach Sardinien geflogen, um gleich beim ersten Widerstand aufzugeben.

„Wir haben die Entwicklung Ihrer Gewürzplantage sehr genau verfolgt“, fing sie an. „Und sind beeindruckt. Deshalb möchte Westham Spices Sie exklusiv als Lieferanten für eine Reihe von Bio-Gewürzen gewinnen.“

„Soll ich mich jetzt etwa geschmeichelt fühlen?“, fragte er verächtlich.

„Nun, wir sind immerhin eines der größten Familienunternehmen im britischen Gewürzhandel.“

„Und eines der korruptesten.“ Abwehrend verschränkte Santoro die Arme vor der Brust, und unter seinem blauen Oberhemd zeichnete sich ein durchtrainierter Bizeps ab.

„Wie bitte?“, fragte Maggie abgelenkt.

„Als ob Sie nicht wüssten, dass der Wohlstand Ihres Arbeitgebers auf Kosten von Menschen und Umwelt erwirtschaftet wurde!“

„So pauschal würde ich das nicht sagen.“

„Ich schon.“ Santoro kam um seinen Schreibtisch herum und trat an das Panoramafenster mit Blick auf den Hafen von Cagliari. Er wandte ihr sein makelloses Profil zu und starrte auf die Segeljachten hinunter, die in der Herbstsonne vor Anker lagen. Hinter dem Hafenbecken erstreckte sich die historische Altstadt mit ihren Kirchturmkuppeln und dem mächtigen Kastell, mit Villen und Palazzi aus vergangener Zeit. „Wie viele Menschen gibt es wohl da draußen, die in diesem Moment ein Fünfzig-Gramm-Glas mit Pfeffer von Westham Spices in ihren Einkaufswagen legen?“, fragte er ruhig.

„Nun, wenn Sie unsere Verkaufsstatistiken für den europäischen Markt einsehen wollen, dann …“ Eilfertig öffnete Maggie ihre Aktentasche, doch Santoro hob die Hand.

„Um diese fünfzig Gramm Pfeffer für weniger als zwei Euro im Discounter anbieten zu können, diktiert Westham Spices den Kleinbauern weltweit Preise, die alles andere als fair sind“, fuhr er fort. „Dabei haben diese Menschen nur das Nötigste zum Leben und müssen für einen Stundenlohn ackern, für den Sie und ich nicht mal einen Bleistift in die Hand nehmen würden.“

Nur das Nötigste zum Leben? Maggie biss sich auf die Unterlippe. Dieses Problem kannte sie. Besser, als Santoro es sich vorstellen konnte …

„Ihre Kritik ist berechtigt“, räumte sie ein. „Jeff Sinclair, unser neuer Konzernchef, hat jedoch bereits angekündigt, diese Missstände beheben zu wollen.“

„Ein neuer Konzernchef?“ Santoro runzelte die Stirn und trat näher. Alles an ihm wirkte kontrolliert und beherrscht, seine Mimik, seine aufrechte Körperhaltung, seine Stimmlage. „Was ist mit dem alten Westham?“

Maggie erstarrte kurz, als der Name ihres Vaters fiel. „Er hat sich vor ein paar Wochen aus dem operativen Geschäft zurückgezogen“, sagte sie dann, ohne sich etwas anmerken zu lassen. So etwas lernte man schnell, wenn man unehelich geboren worden war und eigentlich gar nicht existieren sollte. „Aus gesundheitlichen Gründen, wie man hört“, setzte sie möglichst neutral hinzu.

„Verstehe.“ Santoro ließ diese Information kurz sacken, bevor er nachhakte. „Und jetzt hat er einen neuen Geschäftsführer ins Unternehmen geholt, bis seine Tochter Sophie so weit ist, die Nachfolge anzutreten?“

Nicht Sophie. Ich. Unwillkürlich strich Maggie über das Revers ihres grauen Jacketts, das sie von ihrem letzten Geld bei einer billigen Modekette in London gekauft hatte. Sie war sechsundzwanzig Jahre alt und hatte ihrer verzogenen Halbschwester bisher immer den Vortritt lassen müssen. Dieses Mal jedoch würde nicht die Geburtsurkunde darüber entscheiden, wer im Vorteil war. Dieses Mal ging es um Leistung. Und das war ihre Chance.

„Wie es genau weitergeht, entzieht sich leider meiner Kenntnis, Sir“, antwortete sie wahrheitsgemäß. Denn das Rennen war offen. Und sie würde alles dafür tun, um es zu gewinnen. „Um noch mal auf die Kooperation zurückzukommen, die ich vorhin erwähnt habe …“

„Kein Interesse“, sagte er sofort.

„Aber …“ Maggies Herzschlag schien kurz auszusetzen. „Sie haben sich unser Angebot doch noch gar nicht im Detail angehört!“

„Das muss ich auch nicht. Denn ich werde mich nicht dafür hergeben, das angekratzte Image von Westham Spices aufzupolieren.“

„Es … es geht uns nicht um eine Imagepolitur“, widersprach sie mit Nachdruck.

„Sondern?“

Maggie starrte auf seinen Mund und spürte, wie ihr abwechselnd heiß und kalt wurde. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass dieser Mann eine solche Wirkung auf sie haben würde. Er war groß, schlank und überragte sie um fast zwei Köpfe. Sein dichtes schwarzes Haar stand im Kontrast zu seinen eisblauen Augen, mit denen er sie eindringlich musterte. Seine Blicke jagten ihr Schauer über den Rücken. Stopp. Was machte sie da eigentlich? Dieses Gespräch hier entschied womöglich über ihre gesamte Zukunft, und sie ließ sich ausgerechnet jetzt von solchen Nebensächlichkeiten ablenken?

Verlegen räusperte sie sich und tastete nach ihrem blonden Dutt, um sich zu vergewissern, dass noch jedes Haar an seinem Platz saß. „Mein Chef will einen radikalen Richtungswechsel“, sagte sie betont sachlich. „Mit neuen Produkten und neuem Verantwortungsbewusstsein. Deshalb haben wir auch erstmals einen Nachhaltigkeitskodex aufgestellt.“ Hastig zog sie eine Broschüre aus ihrer Tasche und reichte sie Santoro. „Darin verpflichten wir uns, in den Anbauländern künftig Mindestlöhne zu zahlen und die Umwelt zu schützen.“

„Tun Sie das“, sagte er unbeeindruckt. „Und sprechen Sie mich gern wieder an, wenn Sie Ergebnisse vorweisen können. Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte.“

Mit unmissverständlicher Geste deutete er zur Tür, doch Maggie rührte sich nicht vom Fleck. „Sie machen einen Fehler, Sir. Eine Zusammenarbeit mit uns hätte viele Vorteile für Sie und könnte Ihrem umweltpolitischen Engagement zu noch mehr Akzeptanz verhelfen.“

„Ich mache keine Fehler, Miss Smith.“ Mit finsterer Miene trat Santoro an sie heran. „Und die Fürsprache eines Konzerns wie Westham Spices habe ich ganz sicher nicht nötig, um meine Ziele zu erreichen. Ich kann mir aussuchen, mit wem ich zusammenarbeite. Das sollten Sie wissen!“

Natürlich wusste sie das. Sie hatte ihre Hausaufgaben gemacht. Als Gründer einer der erfolgreichsten Fondsgesellschaften weltweit war Matteo Santoro finanziell unabhängig, und seine Bio-Gewürzplantage im Süden Sardiniens betrieb der mehrfache Millionär nur nebenbei. Das jedoch tat er medienwirksam und mit so viel missionarischem Eifer, dass er innerhalb kürzester Zeit viele Menschen gegen sich aufgebracht hatte.

„Ich glaube sofort, dass es Ihnen persönlich nicht ums Geld geht“, sagte Maggie. „Doch für die Landwirte hier in der Region sieht das schon anders aus.“

Seine Augen wurden schmal. „Worauf wollen Sie hinaus?“

„Auf die Wut, die Ihnen entgegenschlägt.“ Sie griff erneut in ihre Tasche und nahm eine Mappe zur Hand, die eine Sammlung von Hass-Botschaften aus dem Internet enthielt. „Der Shitstorm gegen Sie und Ihr Unternehmen scheint neuerdings gar nicht mehr abreißen zu wollen. Und das alles nur, weil Sie den sardischen Bauern ihre EU-Subventionen nicht gönnen.“

„Ich habe lediglich vorgeschlagen, dass Fördergelder künftig an strengere Umweltschutzauflagen geknüpft sein sollten – insbesondere beim Verbrauch von Wasser.“

„Das haben Sie nicht vorgeschlagen, sondern gepredigt“, entgegnete Maggie. „Und zwar in jedes Mikrofon, das man Ihnen hingehalten hat.“

„Mein Anliegen ist gut begründet, und ich stehe dazu“, konterte er kühl. „Wasserknappheit ist hier auf Sardinien ein riesengroßes Problem, das bislang völlig unterschätzt wird.“

„Bei den Bauern scheint das aber nicht angekommen zu sein. Ohne staatliche Hilfe könnten die meisten von ihnen gar nicht existieren. Schließlich reicht eine schlechte Ernte schon aus, um einen Betrieb in Schieflage zu bringen.“

„Das ist doch umso mehr ein Grund, achtsam mit unseren Ressourcen umzugehen!“, brauste Santoro auf, und Maggie beobachtete fasziniert, wie seine kontrollierte Fassade für einen kurzen Moment in sich zusammenfiel: Seine Augen blitzten vor mühsam unterdrücktem Zorn, seine Hände flogen gestikulierend durch die Luft, und sein Atem ging schneller. „Schon jetzt kommt es immer öfter zu Dürreperioden, und die Wasserstände der Flüsse in den Alpen werden immer niedriger“, setzte er nach. „Doch die Landwirte hier auf Sardinien entnehmen mehr Grundwasser, als auf natürlichem Wege jemals wieder zulaufen kann – Jahr für Jahr. Und dann verseuchen sie dieses kostbare Gut auch noch mit Pflanzenschutzmitteln.“

„Offensichtlich sind wir bei Westham Spices nicht die Einzigen mit einem Image-Problem beim Umweltschutz“, stellte Maggie fest. „Wir haben in der Vergangenheit definitiv zu wenig dafür getan – aber Sie schießen gerade über das Ziel hinaus. Und verprellen damit Menschen, auf deren Wohlwollen Sie angewiesen sind.“

Sofort wurde Santoros Gesichtsausdruck wieder undurchdringlich. „Ich bin auf nichts und niemanden angewiesen“, sagte er gefährlich leise. „Denn ich habe sehr hart dafür gearbeitet, um auf das sogenannte Wohlwollen meiner Mitmenschen für den Rest meines Lebens verzichten zu können.“

„Aber Sie möchten die Bauern doch von der ökologischen Wende überzeugen“, gab Maggie zu bedenken. „Wie wollen Sie das schaffen, wenn die Fronten derart verhärtet sind?“

„Durch Ausdauer und Kampf“, stieß er hervor. „Einen anderen Weg gibt es nicht. Wer den Klimawandel aufhalten will, darf keine fadenscheinigen Kompromisse eingehen.“

Woher kam sie nur, diese Unerbittlichkeit beim Thema Umweltschutz? Maggie hatte viel über Matteo Santoro gelesen und wusste, dass er aus einer norditalienischen Industriestadt stammte, die vor zwanzig Jahren von einem Chemieunfall erschüttert worden war. Dieses Ereignis schien ihn sehr geprägt zu haben, zumindest verwies er darauf in fast jedem Interview, das er gab.

„Ich kann mir vorstellen, dass Sie gute Gründe haben, sich so bedingungslos für die Umwelt zu engagieren“, tastete sie sich vor. „Aber bedenken Sie bitte, dass Zwang nie zu gesunden Verhaltensänderungen führt. Sie müssen die Sorgen der Bauern ernst nehmen, ihre Herzen erreichen und Anreize dafür schaffen, damit sie Ihren Ideen überhaupt eine Chance geben.“

„Sie meinen, ich soll mich anbiedern?“

„Nein, Sie sollen die Leute verführen – mit einem Angebot, das in jeder Hinsicht zu gut ist, um es abzulehnen.“

„Verführen?“ In seinen Augen blitzte etwas auf. „Was schwebt Ihnen denn da so vor, Miss Smith?“

Zu ihrem großen Ärger fühlte Maggie, wie sie errötete. Versuchte er etwa, mit ihr zu flirten? Ausgeschlossen. Ganz sicher war das nur eine Taktik, um sie zu verunsichern. Aber das würde ihm nicht gelingen. Schnell senkte sie den Blick und holte einen Mustervertrag aus ihrer Umhängetasche.

„Jeder Landwirt, der sich als Zulieferer für Ihre Gewürzplantage verpflichtet, alle seine Felder nach ökologischen Vorgaben zu bewirtschaften, erhält von uns eine Prämie“, sagte sie so ruhig wie möglich. „Und zwar zusätzlich zu dem Honorar, das anfällt, wenn die Ernte eingebracht wurde. Unsere Konditionen sind besser als üblich – lesen Sie selbst.“

Santoro nahm den Vertrag entgegen und überflog die entscheidenden Passagen. „Ein interessanter Ansatz“, gab er zu. „Das habe ich nicht erwartet.“

„Heißt das, ich habe Sie überzeugt?“

„Nein, aber Sie haben mich überrascht.“ Er machte eine kurze Pause und warf ihr wieder einen seiner durchdringenden Blicke zu. „Das passiert mir nicht sehr oft.“

Erneut geriet Maggies Herz aus dem Takt. Sie durfte es nicht zulassen, dass dieser Mann sie aus dem Konzept brachte. Zu viel hing für sie davon ab, dass dieser Vertrag zustande kam. „Prüfen Sie unser Angebot in aller Ruhe“, sagte sie und schob sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn. „Wenn Sie noch irgendwelche Fragen haben, können Sie jederzeit …“

„Eine Frage hätte ich tatsächlich noch.“

„Ja?“

„Was springt für Sie persönlich dabei heraus, wenn ich unterschreibe?“

Sie stutzte. Wollte er jetzt von ihr hören, dass sie auf eine Beförderung aus war? Eine Gehaltserhöhung? Das stimmte alles. Doch es ging um mehr, so viel mehr. „Ich bekomme ein neues Leben“, antwortete sie mit fester Stimme.

Er sah sie forschend an. „Dafür würden Sie alles tun, nicht wahr?“

„Zumindest alles, was mir möglich ist.“

Schweigen senkte sich über den Raum, und Maggie versuchte verzweifelt zu ergründen, was in Santoro vorging. Bildete sie sich das nur ein, oder breitete sich hier gerade eine Spannung zwischen ihnen aus, die mit jedem Atemzug greifbarer wurde?

Da trat er unvermittelt einen Schritt zurück. „Mir gefällt Ihre Entschlossenheit, aber nicht Ihre Motivation.“

Maggie kam es vor, als ob jemand die Luft aus einem Ballon herausgelassen hätte. „Was wissen Sie schon über meine Motivation?“

„Nichts“, räumte er ein. „Aber mein Instinkt sagt mir, dass Sie brennende Autoreifen verkaufen würden, nur um Ihre Karriere voranzutreiben.“

„Wie bitte? Das ist eine reine Unterstellung.“

„Wollen Sie etwa leugnen, dass es Ihnen bei diesem Deal nur um Ihren eigenen Vorteil geht?“

„Ich habe Ihnen gerade ein lösungsorientiertes Konzept vorgestellt, von dem unsere beiden Unternehmen profitieren würden“, erwiderte sie mühsam beherrscht. „Meine Person tut dabei überhaupt nichts zur Sache!“

„Man merkt, dass Sie noch nicht lange im gehobenen Management unterwegs sind. Da geht es nie allein um Zahlen, Fakten und Lösungen, sondern immer auch um Personen. Um das, was sie antreibt.“

„Sie wollen wissen, was mich antreibt?“ Maggie richtete sich kerzengerade auf. „Ich muss meine Rechnungen bezahlen. Da arbeite ich natürlich nicht aus reiner Nächstenliebe.“

„Sehen Sie. Es ist dieser schonungslose Pragmatismus an Ihnen, der mir nicht gefällt. Und deshalb endet unser Gespräch auch genau hier.“ Santoro öffnete die Tür. „Alles Gute für Sie, Miss Smith.“

Maggie konnte es nicht fassen. Warf er ihr jetzt allen Ernstes vor, dass sie gelernt hatte zu überleben? Als ob sie verdammt noch mal eine andere Wahl gehabt hätte, als schonungslos pragmatisch zu sein! Aber das machte sie noch lange nicht zu einem raffgierigen, profitsüchtigen Menschen. „Ist das wirklich Ihr letztes Wort?“, frage sie angespannt.

„Mein allerletztes.“

„Wenn Sie es sich anders überlegen sollten, dann …“

„… werde ich laut und deutlich nach Ihnen rufen“, erwiderte er spöttisch. In diesem Moment klingelte sein Smartphone. Santoro nahm den Anruf entgegen und wandte sich ab. „Ja bitte? Nein, du störst überhaupt nicht.“

Die Tür fiel zu. Und Maggie hatte alles verloren, wofür sie gekämpft hatte.

2. KAPITEL

Mit Tränen in den Augen fand Maggie sich auf der Straße wieder. Sie zitterte, obwohl die Sonne mild auf das Hafenbecken herabschien und ein warmer Wind die Segeljachten auf dem Wasser leicht auf und ab schaukeln ließ. Kaum zu glauben, dass ein Herbsttag so aussehen konnte. Die Menschen saßen in sommerlicher Kleidung in Straßencafés unter Palmen, und der Himmel war strahlend blau und wolkenlos. Doch in Maggies Seele herrschte tiefster Winter.

Alles umsonst, dachte sie bitter. Die langen Stunden am Computer, die durchwühlten Aktenberge, die zähen Telefonate. Sie hatte so hart gearbeitet und so viel geopfert, nur um dann kurz vor dem Ziel doch zu scheitern. Das war nicht fair. Aber wann war das Leben jemals fair zu ihr gewesen? Eigentlich noch nie.

Sie zuckte zusammen, als das Smartphone in ihrer Handtasche piepte. Mechanisch zog sie es heraus und runzelte die Stirn. Eine Nachricht von Sophie? Was sollte das denn?

Wie ist das Gespräch gelaufen? Sinclair wartet auf Ergebnisse.

Entnervt ließ Maggie das Smartphone sinken. Sie war noch nicht bereit, ihre Niederlage einzugestehen. Es war ja doch nur das, was Sophie hören wollte. Normalerweise schickten sie einander nie Textnachrichten. Aber seit ihr gemeinsamer Vater sich aus dem Unternehmen zurückgezogen hatte, war nichts mehr normal. Unter der Führung von Jeff Sinclair reichte es nicht aus, von Beruf Tochter zu sein. Plötzlich waren eigene Ideen gefragt. Und da Kreativität und Fleiß nicht zu Sophies Stärken zählten, fürchtete sie um ihre Privilegien.

Aber ihre Halbschwester brauchte sich keine Sorgen zu machen, grollte Maggie innerlich. Die Chance, allen Widerständen zum Trotz an Sophie vorbei Karriere zu machen, hatte sie gerade eben selbst vertan. Und eine zweite würde Mr. Sinclair ihr ganz sicher nicht geben. Also blieb alles beim Alten: Sie musste dankbar sein für ihren Job in der Poststelle, für den sie überqualifiziert war, während Sophie sich ohne nennenswerte Qualifikation als Abteilungsleiterin wichtigmachen konnte.

All das machte sie wütend, und es kränkte ihren Stolz. Aber das war nichts im Vergleich zu dem, was ihr Scheitern für Mum bedeutete. Maggie seufzte schwer. Es hatte keinen Sinn, es aufzuschieben. Sie musste ihrer Mutter sagen, dass sie den Platz in der betreuten Wohnanlage am See vergessen konnten.

Sie tippte eine Nummer in ihr Smartphone und wartete. „Hey, Mum, ich bin’s. Habe ich dich geweckt?“

„Natürlich nicht, du weißt doch, dass ich kaum schlafe, wenn ich einen Schub habe.“ Francis Smith litt an einer schweren Form der Multiplen Sklerose und konnte ihr Bett kaum noch verlassen. „Außerdem habe ich auf deinen Anruf gewartet. Wie ist es auf Sardinien?“

„Sonnig“, erwiderte Maggie und ließ ihren Blick über die pastellfarbenen Villen der Altstadt schweifen. „Und wunderschön. Ich stehe gerade direkt am Hafen und blicke auf das Meer.“

„Das klingt wundervoll, mein Schatz. Es freut mich so für dich, dass du endlich mal rauskommst – du arbeitest viel zu viel.“

Aber nicht sonderlich erfolgreich, dachte Maggie schuldbewusst. Sie hätte die viele Zeit, die sie im Konzern verplempert hatte, lieber mit ihrer Mutter verbringen sollen. Doch das ließ sich nun nicht mehr ändern. „Wie läuft es bei dir? War der Pflegedienst schon da?“

„Der ist etwas später dran heute, kommt aber sicher gleich.“

Maggie sah überrascht auf die Uhr. Sie bezahlte diese Leute dafür, dass sie ihrer Mutter morgens beim Waschen halfen, doch jeden Tag dauerte es länger, bis jemand kam. Sicher nicht aus böser Absicht, die Pflegekräfte waren einfach überlastet und hetzten von Patient zu Patient. Nur ging das mittlerweile so weit, dass ihre Mutter häufig noch unversorgt im Bett lag, wenn das Mittagessen geliefert wurde. Und das konnte sie ihrer Mutter auf Dauer nicht zumuten.

Vor ein paar Wochen jedoch hatten sie die seltene Gelegenheit gehabt, einen Platz in einer privaten Einrichtung zu reservieren. Die Wohnanlage versprach eine weitaus bessere Versorgung und war deshalb ständig ausgebucht. Laut Vertrag wurden die Patienten dort rund um die Uhr betreut, gegen Aufpreis sogar in einem Zimmer mit Blick auf den weitläufigen Park und den See. Ein teurer Luxus, den Maggie mit der in Aussicht gestellten Beförderung gerade so noch hätte finanzieren können. Doch dieser Traum war nun zerschlagen.

„Du bist so still, mein Schatz“, stellte Francis fest. „Ist etwas passiert?“

„Ich … ich habe es nicht geschafft, Mum“, sagte sie leise. „Mr. Santoro hat mich gerade vor die Tür gesetzt. Er wird den Vertrag nicht unterschreiben, nicht in diesem Leben.“

„Oh.“

„Es tut mir so leid. Ich weiß doch, wie sehr du dich auf den See gefreut hast.“

„Nicht schlimm“, versicherte Francis eine Spur zu schnell. „Ich finde es ohnehin viel spannender, Mr. Blakefield täglich dabei zuzusehen, wie er sich mit der Satellitenschüssel auf seinem Balkon abmüht.“

„Ich werde eine andere Lösung finden, Mum. Ich weiß noch nicht, wo, aber es gibt sicher irgendwo in der Nähe von London ein günstigeres Pflegeheim, in dem du dich wohlfühlen kannst.“

„Mach dir meinetwegen bitte nicht so einen Druck. Ich komme schon klar.“

Sie wussten beide, dass das nicht stimmte. Der Gesundheitszustand von Francis verschlechterte sich von Tag zu Tag, und Maggie widerstrebte es zunehmend, ihre Mutter unbeaufsichtigt zu wissen.

„Ich werde mich in der Poststelle zu den Spätschichten einteilen lassen“, sagte sie deshalb. „Dann kann ich dich morgens versorgen, und wir sind nicht auf den Pflegedienst angewiesen, der eh immer später kommt.“

„Du willst doch nicht allen Ernstes in die Poststelle zurückkehren!“

„Wovon sollen wir sonst unsere Rechnungen bezahlen?“

„Aber Mr. Sinclair war doch so angetan von deinem Konzept“, beharrte Francis. „Er hat dein Talent erkannt und wird es sicher nicht damit vergeuden, dich weiter Pakete stapeln zu lassen.“

„Er hat mir eine Chance gegeben, und die habe ich vergeigt“, sagte Maggie. „Damit werden wir leben müssen, so leid es mir tut.“

Ihre Mutter schwieg einen Moment. „Ich könnte deinen Vater anrufen.“

„Oh, bitte nicht, Mum!“

„Warum nicht? Du bist sein Kind, genau wie Sophie. Da könnte er wirklich mal etwas für dich tun.“

Maggie unterdrückte ein Stöhnen. Gespräche wie dieses hatten sie schon unzählige Male geführt, und immer wieder drehten sie sich dabei im Kreis. „Er hat mir den Job in der Poststelle gegeben“, rief sie ihrer Mutter in Erinnerung. „Das war seine persönliche Heldentat, obwohl Shirley ihm deswegen die Hölle heißgemacht hat.“

„Jetzt verteidigst du ihn schon wieder. Nach allem, was er an dir versäumt hat.“

„Ich verteidige ihn nicht“, widersprach Maggie, während eine Möwe kreischend über ihren Kopf auf das offene Meer zuflog. „Ich versuche nur, fair zu bleiben. Er war zu schwach, um sich gegen seinen Drachen von Ehefrau durchzusetzen, aber im Rahmen seiner Möglichkeiten hat er getan, was er konnte.“

„John ist nicht schwach, sondern dreist, und Shirley ist tot“, sagte Francis. „Seit zwei Jahren! Es gibt also keinen Grund mehr, Rücksicht auf sie zu nehmen.“

„Das sagst du so einfach. Er hat sie geliebt und ist ein gebrochener Mann ohne sie.“

„Ach ja? Und warum ist er nach der Weihnachtsfeier damals mit mir ins Bett gegangen?“

„Weil er ein Mensch ist, Mum. Und Menschen machen Fehler. Auch solche mit gravierenden Folgen.“

„Das Mindeste ist dann aber, zu seinen Fehlern zu stehen und die Konsequenzen zu tragen!“

„Wie hätte er das denn tun sollen?“, fragte Maggie entnervt. „Du hast ihm meine Existenz doch jahrelang verschwiegen.“

„Weil ich Angst hatte! Shirley ist durchgedreht, als sie von uns erfuhr. Auf dem Parkplatz hat sie mir aufgelauert und mir das Gesicht zerkratzt. Und nicht eher Ruhe gegeben, bis ich entlassen wurde.“

„Ich weiß, wie hart das alles für dich war, aber …“

„Und als ich gerade einen neuen Job gefunden hatte, weißt du, was sie da gemacht hat?“, fiel Francis ihr aufgebracht ins Wort. „Sie hat die Ehefrau meines neuen Chefs angerufen und sie vor mir gewarnt. Zack, saß ich auf der Straße – schwanger und ohne jeden Penny in der Tasche!“

Maggie schloss die Augen. Sie kannte die alten Geschichten und hatte die Zerrissenheit ihrer Mutter in Bezug auf John Westham seit frühester Kindheit ausbaden müssen.

„Du darfst niemandem sagen, wer dein Vater ist“, hatte sie ihr immer wieder eingeschärft – nur um am nächsten Tag wieder vollmundig anzukündigen, alles öffentlich machen und ihn auf Unterhaltszahlungen verklagen zu wollen. Als ob sie das Geld dafür gehabt hätten!

Maggie hatte früh den Eindruck gewonnen, dass ihre Existenz für ihre Mutter eine Belastung darstellte. Und reagierte darauf instinktiv mit konsequentem Wohlverhalten, um es Francis nicht noch weiter zu erschweren, sie zu lieben. Als sie ihren Universitätsabschluss mit Bestnoten bestanden hatte, platzte ihre Mutter vor Stolz und fasste sich endlich das Herz, John Westham über seine uneheliche Tochter zu informieren. Doch damit löste sie einen Tsunami aus. Shirley Westham drohte mit ihren Anwälten, falls Francis es wagen sollte, an dieser „Lüge“ festzuhalten, wie sie es nannte. Woraufhin Francis einen Vaterschaftstest von John einforderte – was er höchst widerwillig und auch nur deshalb tat, weil seine einstige Geliebte ankündigte, die ganze Geschichte an die Boulevardpresse zu verkaufen. Ein Schritt, von dem Maggie ihre Mutter nur mit Mühe abhalten konnte.

Es war ein unwürdiges Gerangel, das damit endete, dass John Westham zweifelsfrei als Maggies Vater festgestellt wurde. Ein Ergebnis, das er nicht weiter kommentierte. Er machte keinerlei Anstalten, Kontakt zu Maggie aufzunehmen, geschweige denn, sie anzuerkennen. Er tat einfach gar nichts und versteckte sich hinter den Schimpftiraden seiner aufgebrachten Ehefrau. Maggie fragte sich bis heute, ob er gehofft hatte, dass sich das Problem in Luft auflösen würde, wenn er nur lange genug zuwartete. Und ahnte, dass es im Fall einer juristischen Auseinandersetzung zu einer Schlammschlacht gekommen wäre, die alles zerstört hätte.

„Wir hätten damals gleich an die Presse gehen sollen“, erklärte Francis am anderen Ende der Leitung. „Wir hätten John vor Gericht zerren und ihn zwingen sollen, dich anzuerkennen, dann stünden wir jetzt nicht ohne alles da! Aber du wolltest ja nicht!“

Nein, sie, Maggie, hatte das tatsächlich nicht gewollt. „Wir stünden ohne Anstand da, wenn wir uns auf dieses Niveau herabgelassen hätten“, sagte sie mit Nachdruck. „Und ich hätte die Chance auf eine unbelastete Beziehung zu meinem Vater für immer verspielt.“

„Eine Beziehung? Sei nicht so naiv, Maggie, er will keine Beziehung zu dir, er ist nur froh, dass er so billig davongekommen ist.“

„Sprich nicht so von ihm, er hat mir immerhin Arbeit gegeben, als ich dringend einen Job brauchte.“

„Ja, weil er gemerkt hat, dass du dich damit abspeisen lässt. John ist wie ein Raubtier, er riecht die Schwächen seines Gegners schon von Weitem, und während du dich abstrampelst und darauf hoffst, dafür eines schönen Tages mit seiner Zuneigung belohnt zu werden, lacht er sich ins Fäustchen.“

„Ich habe immer genauso funktioniert, wie du es wolltest, Mum. Und genau deshalb hatte ich nie einen Vater. Der Job in der Poststelle ist die einzige Verbindung, die ich zu ihm habe. Bitte, mach mir das nicht kaputt.“

Francis schwieg einen Moment. „Aber du bist doch überhaupt nicht glücklich dort“, fing sie wieder an. „Ich habe gesehen, wie sehr du dich abgemüht hast, um dieses Konzept für Mr. Sinclair zu erarbeiten. Warum hättest du das tun sollen, wenn nicht, um aufzusteigen?“

„Natürlich will ich aufsteigen!“, brach es aus Maggie heraus. „Es macht mich rasend zu sehen, wie viel Potenzial dieses Unternehmen jeden Tag verschenkt und wie leicht es wäre, das zu ändern. Aber ich möchte es aus eigener Kraft schaffen, nicht aufgrund irgendeines Gerichtsbeschlusses. Und ich will, dass … dass er mich endlich sieht.“

„Du meinst John? Der sieht nur sich selbst.“

„Das stimmt so nicht, Mum. Er …“

„Ich weiß schon, was du sagen willst“, unterbrach ihre Mutter sie unwirsch. „Er hat getan, was er konnte. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, mein liebes Kind. Mr. Sinclair hat sofort bemerkt, was in dir steckt, und dir eine Chance gegeben. Von John dagegen kam nie etwas in dieser Hinsicht. Er nutzt deine Sehnsucht nach väterlicher Zuwendung nur dazu aus, sich weiterhin dein Stillschweigen zu sichern. Und das ist ein Mechanismus, den du endlich durchbrechen solltest.“

„Das habe ich doch versucht“, entgegnete Maggie leise. „Auf meine Art. Aber das hat nun mal nicht geklappt, und damit muss ich jetzt leben.“

„Mein armer Schatz, es tut mir in der Seele weh zu sehen, wie sehr du dich bemühst und doch immer wieder gegen verschlossene Türen anrennst.“

„Das ist lieb von dir, Mum, ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich mich wohl einfach überschätzt habe.“

„Suchst du den Fehler etwa bei dir?“

Maggie seufzte. „Irgendetwas muss ich falsch gemacht haben. Sonst stünde ich jetzt nicht ohne den Vertrag da.“

In diesem Moment trat eine junge Frau an sie heran und räusperte sich. „Entschuldigung – sind Sie Miss Smith?“

Maggie ließ das Smartphone sinken. „Ja, bitte?“

„Verzeihen Sie die Störung, aber Mr. Santoro schickt mich.“

Tief in Maggies Innerem glomm ein winzig kleiner Hoffnungsschimmer auf. Konnte es sein, dass sie das Rennen noch nicht ganz verloren hatte?

„Ich rufe dich wieder an, Mum“, stieß sie hervor und klickte hastig das Gespräch weg. Dann drehte sie sich erwartungsvoll zu der jungen Frau um. „Worum geht’s?“

„Würden Sie mir bitte zurück ins Büro folgen? Mr. Santoro möchte Ihnen einen Vorschlag unterbreiten.“

Dieses Mal gab es einen Stuhl für Maggie. Und auf dem saß sie und traute ihren Ohren nicht. „Ich soll Safran pflücken?! Das ist nicht Ihr Ernst!“

Mit allem hatte sie gerechnet, als Santoro sie in sein Büro zurückrufen ließ. Dass er dreiste Forderungen stellen oder ihr sogar ein unmoralisches Angebot machen würde. Aber ganz sicher nicht damit, dass er sie für einen Ernteeinsatz auf seiner Plantage verpflichten wollte.

„Tun Sie nicht so überrascht“, sagte er seelenruhig. „Sie wollten doch mit mir zusammenarbeiten.“

„Doch nicht direkt auf dem Feld!“

„Es gibt kaum eine bessere Gelegenheit, meine Gewürzplantage kennenzulernen und unsere Unternehmensphilosophie zu verstehen“, gab er aalglatt zurück. „Der Safran steht in voller Blüte, und wir können gerade jede zupackende Hand gebrauchen.“

„Haben Sie keine Erntehelfer?“

„Nicht genug“, gab Santoro unumwunden zu. „Und, um es ganz klar zu sagen: Ich werde Westham Spices nur dann mit Gewürzen beliefern, wenn Sie mich bei der Safranernte unterstützen.“

Fassungslos lehnte sich Maggie in ihrem Stuhl zurück. Eben noch schien es vollkommen aussichtslos gewesen zu sein, dass der Deal zwischen ihnen jemals zustande kam. Und jetzt knüpfte Santoro den Vertragsabschluss an Bedingungen, die einfach lächerlich waren. Als ob sie die Zeit dafür hätte, seine Felder abzuernten! Für wie verzweifelt hielt er sie eigentlich? Andererseits … Was, wenn es genau andersherum war?

Bei diesem Gedanken richtete Maggie sich ruckartig auf. Safran, das wusste sie, war ein Gewürz, das ausschließlich von Hand gepflückt werden musste – unter starkem Zeitdruck und in mühsamer Kleinarbeit. Wenn Santoro ausgerechnet jetzt nicht genügend Personal beisammenhatte, konnte das nur eines bedeuten: „Sie stecken in der Klemme“, stieß sie verblüfft hervor.

„So pauschal würde ich das nicht sagen …“

„Und woher dann dieser plötzliche Sinneswandel?“

Santoro wich ihrem Blick nicht aus. „Zugegeben, als ich Ihnen vorhin eine Absage erteilte, wusste ich noch nichts von diesem Engpass in unserem Helfer-Team. Aber als meine Schwester mich eben anrief, wurde mir klar, dass …“

„… Sie jetzt wahllos jeden rekrutieren müssen, der Ihnen über den Weg läuft?“, fiel Maggie ihm ins Wort.

Er war kurz davor, etwas zu kontern, besann sich dann aber anders und schien abzuwägen, was er erwidern sollte. „Mir wurde klar, dass ich Ihr offenbar wirklich gutes Angebot vielleicht etwas zu vorschnell abgelehnt habe“, sagte er schließlich. „Und dass ich mir mehr Zeit geben sollte, um es zu prüfen.“

„Das erklärt noch immer nicht, warum Sie Ihre Zusage daran knüpfen, dass ich bei der Ernte aushelfe.“

Daraufhin sah Santoro sie lange und eindringlich an. „Ich verlasse mich beim Abschluss von Geschäften immer auf meinen Instinkt. Und der rät mir, einen großen Bogen um Sie zu machen.“

Im ersten Moment fühlte sich Maggie wie vor den Kopf geschlagen. Sie hatte hart gearbeitet, um diesen Deal vorzubereiten. Und nun sollte alles daran scheitern, dass Matteo Santoro ihre Nase nicht passte?

„Warum genau wollen Sie einen Bogen um mich machen?“, hakte sie mit zitternder Stimme nach.

Er zuckte die Achseln. „Ich werde das Gefühl nicht los, dass Sie mir nicht die ganze Wahrheit sagen. Aber ich kann mich auch irren.“

Maggie errötete. Sah man ihr etwa an, dass sie ein Bastard war? Unsinn. Überhaupt tat ihre Herkunft für den Abschluss des Vertrages nicht das Geringste zur Sache. „Sie überschätzen die Rolle, die ich bei diesem Deal spiele“, sagte sie so ruhig wie möglich. „Ich bin lediglich hier, um Ihnen eine Zusammenarbeit vorzuschlagen. Sobald der Vertrag unterzeichnet ist, haben wir beide sehr wahrscheinlich kaum noch miteinander zu tun.“

„So? Von wem stammt denn die Idee zu dieser Kooperation?“

„Nun – das war ich, aber …“

„Sie wollen mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass Sie sich all diese Arbeit gemacht haben, um die Lorbeeren dann anderen zu überlassen?“

„Nein“, räumte sie ein. „Natürlich will ich damit meine eigene Karriere vorantreiben. Aber das ist doch völlig legitim und heißt im Umkehrschluss nicht, dass Sie irgendwelchen Schaden davontragen.“

„Geht es Ihnen wirklich nur um Ihre Karriere, oder ist da mehr?“, fragte er und beugte sich vor. „Was treibt Sie wirklich an, Maggie Smith?“

„Wirtschaftliche Zwänge“, antwortete sie nüchtern. Den Gedanken an ihren Vater und ihre Sehnsucht danach, endlich von ihm anerkannt zu werden, blendete sie in diesem Moment bewusst aus. „Und Sie?“

„Wut“, erwiderte er, ohne zu zögern. „Siedend heiße Wut.“

„Worauf?“

„Auf Konzerne wie Westham Spices, die unsere Welt ohne jeden Skrupel ausbeuten, nur um Profit zu machen. Und auf Leute, die bei dieser Farce mitspielen, obwohl sie es besser wissen müssten.“

Maggie hielt seinem Blick stand. „Dann werde ich mit Ihrer Wut leben müssen, Sir. Ich habe nichts gegen Naturschutz, ganz im Gegenteil. Doch ich stehe zu meinem Arbeitgeber. Und daran würde ein Ernteeinsatz auf einem Ihrer Felder garantiert nichts ändern.“

„Da könnten Sie sich irren. So ein bisschen Basisarbeit an der frischen Luft hat schon bei vielen Leuten zu einem Umdenken geführt.“

„Was soll das Ganze werden? Ein Umerziehungslager?“

„Ich will einfach nur Zeit gewinnen, Miss Smith“, erwiderte er. „Und, ja, auch die Tatsache, dass ich gerade dringend Erntehelfer brauche, fließt maßgeblich in meine Überlegungen mit ein. Es schadet nichts, wenn Sie bei uns mit anpacken. In erster Linie aber möchte ich die Chance nutzen, Ihnen den Blick dafür zu öffnen, dass es neben Umsatz- und Gewinnsteigerungen noch andere Ziele gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt.“

„Es kann Ihnen doch egal sein, was ich denke.“

„Mir schon, aber der Umwelt nicht.“

Maggie stand auf und ging zu dem Panoramafenster mit Blick auf das Hafenbecken von Cagliari. Der missionarische Eifer, den Santoro ihr gegenüber an den Tag legte, überraschte und verwirrte sie. Sollte sie sich wirklich auf sein merkwürdiges Angebot einlassen? Sehnsüchtig blickte sie auf das Wasser, die Palmen an der Promenade und die prächtigen Häuser mit ihren Arkaden. Sie war zum ersten Mal auf Sardinien, zum ersten Mal überhaupt am Mittelmeer. Und würde schon in wenigen Stunden den nächsten Flug nach London zurücknehmen. Es sei denn, sie entschied sich anders.

„Haben Sie vorhin nicht behauptet, dass Sie für den Rest Ihres Lebens auf das Wohlwollen Ihrer Mitmenschen verzichten können?“, fragte sie und drehte sich wieder zu ihm um.

„Das war keine Behauptung, sondern eine Tatsache.“

„Wieso haben Sie dann so offenkundig Schwierigkeiten, Menschen dazu zu bewegen, für Sie zu arbeiten?“

„Normalerweise ist das kein Problem“, erwiderte er. „Aber die Agentur, über die wir unsere Saisonkräfte einstellen, konnte dieses Mal nur knapp die Hälfte des benötigten Personals engagieren.“

„Zahlen Sie etwa nicht genug?“

„Doch, aber die Arbeit ist hart, weil man den Safran in gebückter Haltung von Hand ernten muss. Das liegt nicht jedem.“ Er sah sie an. „Helfen Sie mir einfach eine Woche lang bei der Safranernte, und ich beauftrage meine Anwälte, Ihren Vertrag in dieser Zeit zu prüfen. Wenn die keine Einwände haben, bin ich bereit, mit Westham Spices zu kooperieren – zunächst einmal für ein Jahr, danach sehen wir weiter.“

„Eine Woche? Wie soll ich meinem Chef erklären, was ich eine Woche lang hier tue?“

Santoro zuckte mit den Achseln. „Sagen Sie ihm einfach die Wahrheit, dass ich schwierig bin und den Vertrag nur unterschreibe, wenn Sie vorher ein Praktikum bei mir machen.“

Oh ja, er war schwierig. Aber genau das machte ihn auch so wahnsinnig anziehend. Die Gedanken in Maggies Kopf rasten, und ihr Herz klopfte bis zum Hals. Sie musste verrückt geworden sein, sich auf seine Forderungen einzulassen. Doch es stand außer Frage, dass Santoro nicht mit sich handeln lassen würde, und sie brauchte diesen Deal. Nur so würde sie den Aufstieg schaffen, auf den sie hingearbeitet hatte, und die Anerkennung gewinnen, nach der sie sich schon so lange sehnte. Also würde sie das Spiel nach seinen Regeln spielen müssen – zumindest fast.

„Sie werden mich für diesen Einsatz bezahlen“, forderte sie selbstbewusst.

Er nickte. „Sie erhalten einen übertariflichen Stundenlohn, freie Kost und Logis in unserem Gästehaus sowie Arbeitskleidung. Und wenn Sie es schaffen, in etwa vier Stunden startklar zu sein, nehme ich Sie direkt in meinem Auto mit raus zur Plantage.“

Maggie zögerte kurz. Eine Autofahrt, allein mit einem Mann, der die seltsamsten Wünsche in ihr weckte? Keine gute Idee. Andererseits würde sie nie herausfinden, warum ihre Hormone in seiner Gegenwart ständig verrücktspielten, wenn sie jetzt einen Rückzieher machte. Deshalb sagte sie: „Abgemacht“ – und hoffte inständig, dass sie diese Entscheidung später nicht bereute.

3. KAPITEL

Matteo Santoro steuerte seinen Tesla im Schritttempo durch die engen Gassen von Cagliari. Leise fluchend bremste er ab, als sich ein Mopedfahrer mit viel Geknatter durch die Kolonne der Autos schlängelte. Verflixter Berufsverkehr! Wenn er geahnt hätte, dass diese naseweise Miss Smith am anderen Ende der Stadt untergebracht war, hätte er ihr ganz sicher nicht angeboten, sie vor ihrer Pension abzuholen. Dieser Umweg kostete Zeit, Nerven und Batterie.

Seine Villa und die angrenzende Gewürzplantage befanden sich eine Fahrtstunde entfernt in der Medio-Campidano-Ebene, die für ihre grünen Hügel, ihre schmucken Dörfer und ihre fruchtbaren Böden bekannt war. Zu den weitläufigen Sandstränden der Costa Rei war es von dort aus nicht weit, und anfangs hatte Matteo sich jeden Tag dazu beglückwünscht, seinen Lebensmittelpunkt in diese atemberaubend schöne Gegend verlegt zu haben. Bis die Probleme mit den Einheimischen anfingen.

Sie müssen die Leute verführen, hallte die Stimme von Maggie Smith in seinem Kopf nach. Mit einem Angebot, das zu gut ist, um es abzulehnen.

Sie hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. Die Stimmung im Dorf war so negativ aufgeladen, dass seine Schwester angepöbelt wurde, wenn sie auf dem Markt einkaufen wollte. Die Frauen, die ihnen im Vorjahr noch gegen gutes Geld bei der Safranernte geholfen hatten, zogen plötzlich ihr Versprechen zurück, wieder mit dabei zu sein. Und der Müll in seinen Rosenbeeten signalisierte überdeutlich, wie unerwünscht er in der Nachbarschaft war.

Ob sich dieser Konflikt tatsächlich durch den Vertrag mit Westham Spices aus der Welt schaffen ließ? Die zugesagte Prämie könnte die Bauern vielleicht wirklich dazu motivieren, auf ökologische Anbauverfahren umzustellen, und das finanzielle Risiko dafür trug allein der Londoner Gewürzkonzern. Es war ein Deal, bei dem Matteo nichts verlieren konnte, trotzdem blieb er skeptisch. Und das lag vor allem an den widersprüchlichen Regungen, die Maggie Smith seit ihrer ersten Begegnung bei ihm auslöste.

Einerseits wirkte sie wie eine Klassensprecherin, dachte er. Strebsam und bemüht. Ihr mausgraues Kostüm war das reinste Understatement, genau wie ihre strenge Frisur offensichtlich dazu beitragen sollte, nicht von Inhalten abzulenken. Trotzdem hatte er sich während ihres gesamten Gesprächs bei der Frage ertappt, wie ihr Gesicht wohl aussah, wenn sie ihr Haar offen trug. Ob ihre Beine genauso gut geformt waren, wie ihr unförmiger, wadenlanger Rock erahnen ließ. Und was diese bildhübsche Frau eigentlich dazu veranlasste, sich unter solch formloser Kleidung zu verstecken.

Doch in ihren nussbraunen Augen hatte Matteo auch eine Aufmüpfigkeit gesehen, die auf Ärger hindeutete. Maggie Smith besaß die verbissene Ausstrahlung eines Menschen, der sich nicht eher abwimmeln lassen würde, bis er sein Ziel erreicht hatte. Dass sie dabei gleichzeitig so zart und verletzlich wirkte, machte ihn neugierig – auf das, was sie antrieb, und auf das, was sie als Nächstes vorhatte.

Sein Instinkt sagte ihm, dass es klüger wäre, sie auf Abstand zu halten. Eine Frau, die unkontrolliert wie ein Wirbelsturm durch sein Leben fegte, war das Letzte, was er gebrauchen konnte. Trotzdem hatte er sie für die Safranernte verpflichtet – zum einen, weil er tatsächlich jede Hilfe gebrauchen konnte. Zum anderen, weil er Zeit gewinnen musste, bevor er den Vertrag mit Westham Spices endgültig abschloss. Er wollte sich absichern. Und herausfinden, wo genau diese seltsame Faszination herrührte, die Maggie Smith auf ihn ausübte.

Die Sonne stand tief und tauchte die Häuserfassaden und Cafés um ihn herum in goldenes Licht. Auf der Straße staute sich der Verkehr, sodass Matteo beschloss, die Wartezeit im Stau für einen Anruf bei seiner Schwester zu nutzen. „Ich habe gute Nachrichten“, meldete er sich, sobald sie abgehoben hatte. „Du kannst im Gästehaus ein weiteres Zimmer herrichten lassen. Ich habe noch jemanden für die Ernte engagiert.“

„Prima.“ Am anderen Ende der Leitung klang Elena alles andere als euphorisch. „Ich hingegen habe schon wieder zwei Absagen kassiert, ausgerechnet von Louisa und Maria.“

„Wie bitte?“ Matteo zog die Stirn in Falten. „Aber mit den beiden kamst du doch bislang so gut zurecht.“

„Sonst ja. Aber sie waren so komisch heute.“ Elena schwieg für einen Moment. „Ich habe ihnen den doppelten Stundenlohn angeboten, wenn sie Wort halten und uns genau wie im letzten Jahr bei der Safranernte helfen, aber plötzlich wollten sie nicht mehr und waren wirklich sehr unfreundlich zu mir.“

„Was heißt unfreundlich?“

„Gelacht haben sie und … mich nachgeäfft.“

Matteo umklammerte das Lenkrad so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. „Welcher Tic war es dieses Mal?“

„Der mit dem Vogelgezwitscher. Es kam einfach über mich …“

„Schon gut, Ella“, sagte er, obwohl gar nichts gut war. Seine Schwester litt unter dem Tourettesyndrom. Eine angeborene Nervenkrankheit, die zu Zwangshandlungen und sprachlichen Aussetzern führte: Wann immer sie emotional unter Druck stand, schnitt sie Grimassen, ahmte Tiere nach oder verfiel von einem Moment auf den nächsten in wüstes Schimpfen. Sie schämte sich bis ins Mark, wenn ihr das vor Außenstehenden passierte. Und verdiente es nicht, für etwas ausgelacht zu werden, das sie gar nicht steuern konnte.

„Louisa und Maria setzen keinen Fuß mehr auf unsere Plantage“, sagte er entschieden und trat auf das Gaspedal, als der Verkehr sich langsam zu lichten begann. „Vergiss die beiden, wir kommen auch ohne sie zurecht.“

„Da bin ich mir nicht so sicher. Unser Team ist deutlich kleiner als im Vorjahr und besteht nur aus unerfahrenen Helfern. Mit denen werden wir den Safran niemals schnell genug ernten können.“

„Wir müssen.“

„Aber …“

„Glaub mir, ich hätte auch lieber ein paar versierte Pflückerinnen in der Truppe“, erwiderte er mit fester Stimme. „Doch wenn wir die nicht kriegen können, müssen wir ohne auskommen. Wir haben keine andere Wahl, die Ernte muss rein.“

„Und wenn ich dieses Mal doch mit raus aufs Feld gehe?“, bot Elena zaghaft an.

„Unter all die fremden Leute?“ Beinahe wäre Matteo seinem Vordermann aufgefahren, der plötzlich abbremste. „Ausgeschlossen!“

„Aber wir brauchen jetzt jedes Paar Hände! Da kann ich doch nicht untätig rumsitzen.“

„Es gibt genug im Büro zu tun“, wandte er ein. „Außerdem hast du doch gerade erst gesehen, wie deine sogenannten Freundinnen auf deine Krankheit reagieren. Willst du dich da dem Spott unserer Saisonarbeiter aussetzen, wenn dich einer deiner Tics bei der Ernte einholt?“

„Nein“, sagte sie niedergeschlagen. „Aber ich will mich auch nicht verstecken müssen.“

„Das verlangt ja auch keiner.“

„Warum gehen wir dann nicht noch mal zusammen auf die Leute im Dorf zu?“

„Weil es nichts bringt.“

„Wir können hier nicht ewig mit allen im Clinch liegen“, brach es aus ihr heraus. „Dieser Giuseppe Mancini hetzt die Leute gegen uns auf, und wir wehren uns noch nicht einmal dagegen!“

„Ich habe oft genug versucht, mit ihm zu reden“, rief Matteo ihr in Erinnerung. „Und mehr als einmal habe ich die Landwirte hier in der Gegend zu meinen Vorträgen eingeladen. Sie sind nicht gekommen, wie du weißt. Stattdessen haben sie erst heute früh wieder ihren Plastikmüll hinter unserem Gartenzaun abgeladen.“

„Vielleicht sind Vorträge auch nicht der richtige Weg, um die Bauern zu erreichen. Warum veranstalten wir stattdessen nicht so etwas wie einen Tag der offenen Tür?“

Beinahe hätte er gelacht. „Du willst diese Verrückten auf unsere Plantage einladen? Das ist nicht dein Ernst!“

Vor lauter Aufregung brachte Elena zunächst nur ein paar gurrende Laute heraus. „Es wäre die perfekte Gelegenheit, ihnen zu zeigen, wie wir arbeiten“, sprudelte sie dann hervor. „Wir würden ihnen unseren Ansatz veranschaulichen, statt sie von oben herab zu belehren. Vielleicht verstehen die Leute dann endlich, warum uns das mit dem Einsparen von Wasser so wichtig ist. Und verlieren ihre Angst, dass wir ihnen mit unseren neuen Ideen schaden wollen.“

„Ich denke, ich habe einen besseren Weg gefunden, sie zu überzeugen“, erwiderte Matteo und dachte an die bevorstehende Kooperation mit Westham Spices, auf die er sich eingelassen hatte. „Mit Geld erreicht man die Menschen schließlich immer. Die Details erkläre ich dir, wenn ich zu Hause bin.“

„Aber so ein Fest wäre wirklich eine Chance!“, beharrte seine Schwester. „Und ich könnte endlich mal mehr für unser Unternehmen tun, als immer nur im Büro zu sitzen!“

„Du weißt doch, was beim letzten Mal passiert ist, als du ein großes Publikum um dich herum hattest“, sagte er.

Bei der Bilanzpressekonferenz seiner Fondsgesellschaft vor zwei Monaten hatte Elena die Fragerunde für Journalisten mit obszönen Zwischenrufen unterbrochen. Eine Reaktion auf das Scheinwerferlicht und die Menschenmassen, die ihr Angst eingejagt hatten. Matteo machte sich noch immer Vorwürfe, sie nicht besser auf die Situation vorbereitet zu haben. Und nahm es ihr in keiner Weise übel, dass die Berichterstattung über ihr Verhalten später größer ausgefallen war als über den wirtschaftlichen Erfolg seiner Investment-Fonds. Da er Privates allerdings gern privat hielt, hatte er für sich die Lehre gezogen, seine Schwester bei offiziellen Veranstaltungen künftig besser zu Hause zu lassen – zu ihrem eigenen Schutz.

„Das ist doch überhaupt nicht vergleichbar!“, rief Elena aus. „Ich will die Plantage doch nur für unsere Nachbarn öffnen, ganz ohne Presse und Kameras.“

„Du würdest trotzdem ein Risiko eingehen.“

„Was für ein Risiko? Von mir aus können alle wissen, dass ich Tourette habe, solange wir hier in Frieden leben können.“

Entnervt bremste Matteo für zwei Fußgänger ab, die ohne Vorwarnung die Fahrbahn überquerten. „Müssen wir solche Grundsatzdiskussionen führen, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin?“

„Hör auf, mich ständig zu bevormunden, dann müssen wir gar keine Diskussionen mehr führen.“

„Ich will dich nicht bevormunden, sondern beschützen“, stieß er hervor. „Zur Not auch vor dir selbst!“

„Hast du mich je gefragt, ob ich das überhaupt möchte?“

Nein, das hatte er nicht. Aber er war nun schon so lange für sie verantwortlich, dass es ihm schwerfiel, damit aufzuhören. Seit dem Tag, an dem ihr Vater bei einem Arbeitsunfall in einem Chemiewerk verunglückt war, gab es nur noch sie beide auf der Welt. Damals war Elena gerade zehn Jahre alt, er achtzehn. Ihre Mutter war bereits Jahre zuvor bei einem Verkehrsunfall gestorben, und seine kleine Schwester hätte bei einer Pflegefamilie aufwachsen müssen, wenn er sich nicht um sie gekümmert hätte.

„Mich hat auch nie jemand gefragt, was ich möchte“, sagte Matteo rau. „Ich habe trotzdem das Beste für uns beide herausgeholt, ganz egal, wie widrig die Umstände auch waren.“

„Dafür werde ich dir auch immer dankbar sein, aber mittlerweile bin ich dreißig und weiß selbst, was gut für mich ist.“

„Und dein Zutrauen zu Leuten wie Louisa und Maria, war das auch gut für dich?“, fragte er spitz.

„Was hat das denn damit zu tun?“

„Du bist einfach sehr arglos, was deine Mitmenschen betrifft. Solange du das nur auf dein privates Umfeld beschränkst, meinetwegen. Aber ich werde nicht tatenlos zusehen, wie du mit deiner Gutgläubigkeit unsere Plantage gefährdest.“

„Dein Konfrontationskurs bringt uns doch auch nicht weiter!“, rief Elena hitzig aus. „Wenn du nicht wie ein Öko-Fanatiker durch die Lande ziehen würdest, hätten wir jetzt genug Helfer für die Ernte!“

„Was sagst du da?“ Matteo konnte kaum glauben, was er da hörte. „Ich dachte, wir sind uns hinsichtlich unserer Werte einig?“

„Das sind wir ja auch. Aber nicht in der Art und Weise, wie wir sie nach außen vertreten.“ Sie seufzte. „Du kämpfst im luftleeren Raum, Matteo. Umweltschutz funktioniert nur mit den Menschen – nicht gegen sie!“

„Schon gut, Ella“, brach er das Gespräch ab, bevor er Dinge sagen konnte, die er später bereute. „Ich muss mich jetzt aufs Fahren konzentrieren. Wir sprechen später weiter.“

Aufgebracht steuerte Matteo sein Auto durch den Feierabendverkehr. „Für wen bitte mache ich das hier eigentlich?“, grollte er vor sich hin. Sie waren doch nur deshalb nach Sardinien gezogen, weil Elena davon geträumt hatte, auf dem Land zu leben und biologisch-dynamische Kräuter anzubauen. Und jetzt nannte sie ihn einen Öko-Fanatiker?

Die Ampel vor ihm schaltete auf Rot, und er blieb stehen. Als ob er nicht Besseres zu tun hätte, als sich mit sturköpfigen Landwirten herumzuärgern. Seine Fondsgesellschaft in London zählte zu den erfolgreichsten in Europa, außerdem war er ein gefragter Vortragsredner. Vielleicht sollte er die Plantage einfach verkaufen, bevor sie ihm noch mehr Zeit und Kraft raubte. Elena konnte ihr Hobby schließlich auch im Garten ausüben.

Angespannt trommelte er mit den Fingern auf dem Lenkrad herum, während er seinen Weg fortsetzte. Er steuerte den Wagen durch einen Kreisverkehr, bog links ab und hatte endlich sein Ziel erreicht.

Maggie Smith saß auf einem Koffer vor ihrer Pension und wartete schon auf ihn. Sie hatte sich umgezogen, stellte Matteo fest und parkte mit quietschenden Bremsen auf dem Seitenstreifen. Statt des grauen Kostüms vom Vormittag trug sie T-Shirt und Jeans, und in der Hand hielt sie etwas, das sofort sein Missfallen erregte.

Verärgert stieg er aus und knallte die Tür hinter sich zu. „Was glauben Sie, was sie da tun?“, herrschte er sie an, statt sich für sein Zuspätkommen zu entschuldigen.

„Äh – ich trinke einen Coffee to go.“

„Richtig. Aus einem Einwegbecher!“

Irritiert starrte sie ihn an. „Na, und? Der ist aus Pappe.“

Matteo nahm ihr kurzerhand den Becher ab, kippte den Inhalt aus und riss den Papiermantel herunter.

„Hey, mein Kaffee!“, protestierte sie, aber da hielt er ihr auch schon den Innenteil unter die Nase.

„Reines Plastik, sehen Sie? Hinzu kommen noch der Deckel und der Löffel, den man ja so dringend zum Umrühren braucht. Drei Milliarden solcher Becher werden hierzulande täglich verkauft, leer getrunken und achtlos weggeworfen. Das Zeug landet am Straßenrand, im Wald und im Meer. Wenn es ordnungsgemäß auf der Deponie verbrannt wird, belastet es die Luft mit giftigen Schadstoffen. Und das alles für einen Kaffee, der noch nicht einmal schmeckt.“

„Oh“, machte sie betroffen. „Ich … ich habe nicht gewusst, dass es solche Mengen sind.“

„Willkommen im einundzwanzigsten Jahrhundert“, sagte er sarkastisch. „Und nun lassen Sie uns fahren, mein Tesla steht da drüben.“

Sie rührte sich nicht von der Stelle. „Werde ich mir weitere Belehrungen von Ihnen anhören müssen, wenn ich da einsteige?“

„Wenn ich nicht noch mehr Plastik an Ihnen entdecke, dann nicht.“

„Hören Sie, Santoro …“ Sie erhob sich von ihrem Koffer und baute sich vor ihm auf. Ihre nussbraunen Augen funkelten vor Zorn. „Selbst wenn Sie derjenige sind, der bei unserem Deal die Bedingungen vorgibt, lasse ich so nicht mit mir umspringen. Ich habe hier fast eine Stunde auf Sie gewartet. Sie hätten mir zwischendurch eine Nachricht aufs Handy schicken können, dann hätte ich mich in das Straßencafé da drüben gesetzt, statt meinen Kaffee mitzunehmen. Mag sein, dass meine persönliche Umweltbilanz durch diesen Einwegbecher ruiniert ist, aber ich wollte startklar sein, wenn Sie kommen. Aus Höflichkeit, um Sie nicht unnötig warten zu lassen.“

„Bin ich jetzt etwa schuld daran, dass Sie die falschen Konsumentenscheidungen treffen?“, fragte er fassungslos.

„Nein, aber die Balance muss stimmen: Wenn Sie Rücksicht auf die Natur einfordern, ohne dabei Rücksicht auf Ihre Mitmenschen zu nehmen, wird die Welt garantiert kein besserer Ort.“

Zu spät erkannte Matteo, dass er sich tatsächlich aufführte wie ein Öko-Fanatiker. Seine Schwester hatte recht. Er kämpfte im luftleeren Raum, doch das hatte Gründe. Tief in seinem Inneren glaubte er nicht mehr daran, dass Menschen ihr Verhalten durch gutes Zureden ändern würden. Er hatte am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlte, wenn korrupte Großkonzerne ihrer Verantwortung nicht nachkamen. Seit dieser Zeit wusste er, dass er sich auf niemanden verlassen konnte als auf sich selbst. Und dass es neben Aufklärungsarbeit vor allem strengere Gesetze und härtere Strafen brauchte, um die Natur vor sinnloser Zerstörung zu bewahren.

Trotzdem sah er ein, dass die Kritik dieser Miss Smith an einem Punkt berechtigt war: Er hätte sie nicht so lange warten lassen dürfen. „Mein Verhalten Ihnen gegenüber war unangemessen“, gab er widerwillig zu. „Verzeihen Sie.“

„Okay“, sagte sie und stand auf. „Aber dafür schulden Sie mir bei nächster Gelegenheit einen richtig guten Kaffee.“

Erleichtert registrierte er, wie schnell sie bereit war, das Thema auf sich beruhen zu lassen. Denn nach der Auseinandersetzung mit Elena war sein Bedarf an Streitgesprächen für diesen Tag gedeckt. Er nahm ihren Koffer, ließ sie vorausgehen und konnte nicht umhin, ihre langen Beine in der Jeans zu bewundern, die sich eng um ihre schmalen Hüften schmiegte. Der kleine Absatz ihrer Lederpumps klackte auf dem Asphalt. Statt des strengen Dutts vom Vormittag trug sie einen Pferdeschwanz, der bei jedem Schritt wippte. Gelöst und fröhlich wirkte das, und mit einem Mal fragte er sich, wie es wohl gewesen wäre, sie unter anderen Umständen kennenzulernen als in seinem Büro. Ob er sie angesprochen hätte? Sicher nicht, in seinem Leben gab es keinen Platz für eine Frau. Aber mit diesem hellen Haar, dem zarten Gesicht und den ausdrucksvollen Augen wäre sie ihm aufgefallen. Da war er sich sicher.

Sie verließen Cagliari in Richtung Norden und tauchten in die herbstlich-schöne Landschaft des Campidano ein. Eine wenig befahrene Landstraße führte entlang des Riu-Mannu-Flusses vorbei an saftig grünen Wiesen, knorrigen Olivenbäumen und Weinhängen mit rot-gelb verfärbten Blättern. Wie Perlen an einer Kette reihte sich ein malerisches Dorf an das nächste – mit urigen Natursteinhäusern, gelb getünchten Kirchtürmen und verwinkelten Gassen, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein schien.

Für Matteo, der diese Strecke häufiger entlangfuhr, hatte sich der Wow-Effekt dieses Anblicks schon etwas abgenutzt. Seine Beifahrerin aber klebte geradezu am Fenster und bestaunte, was sie sah.

„Ist das Ihr erstes Mal auf Sardinien?“, erkundigte er sich, um das Schweigen zwischen ihnen zu durchbrechen.

Sie nickte. „Es ist ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe, viel ursprünglicher und nicht halb so mondän, wie man es sonst in der Klatschpresse liest.“

„Das liegt vielleicht daran, dass Sie die Bilder von der Costa Smeralda im Kopf hatten – türkisblaues Wasser, weiße Häuser und dazu ein paar Filmstars am Bootshafen?“

„So ungefähr habe ich es erwartet“, erwiderte sie und lachte leise.

Sie hatte ein schönes Lachen, stellte er fest. Warm und melodisch klang es, ansteckend und vergnügt. Weil das aber nichts zur Sache tat und ihn ohnehin nicht weiter zu interessieren hatte, räusperte er sich. „Das gibt es nur im Norden der Insel, bei Porto Cervo“, antwortete er, um einen nüchternen Ton bemüht. „Allerdings ist dieses Bild vollkommen willkürlich auf dem Reißbrett von Prinz Karim Aga Khan entstanden.“

„Sie meinen diesen Milliardär, der gleichzeitig irgendeiner Religion vorsteht?“

„Er ist Imam der Nizariten, einer Glaubensgemeinschaft innerhalb des Islam“, erklärte Matteo. „In den neunzehnhundertsechziger Jahren entdeckte er das touristische Potenzial der Insel, kaufte Weideland entlang der Küste und gestaltete es nach seinen Vorlieben. Das Ergebnis sind Hotels, Ferienhäuser, Häfen und Sportanlagen in vermeintlich sardischem Stil, der jedoch von Architekten eigens entworfen wurde. Das Konzept ging auf, und der Jetset hatte einen neuen Treffpunkt.“

„Um den Sie einen riesengroßen Bogen machen, nehme ich mal an?“

„Was denn sonst!“, brach es aus ihm heraus. „Ich habe Besseres zu tun, als müßig auf einer Motorjacht zu sitzen und Champagner zu trinken. Abgesehen davon ist es unsäglich, welche Ausmaße der Bootstourismus dort mittlerweile angenommen hat.“ Er schaltete einen Gang nach oben. „Doch um diesen Missstand kümmere ich mich, wenn sich die Situation in der hiesigen Landwirtschaft verbessert hat.“

„Bei allem Respekt, Mr. Santoro – Sie können doch nicht an allen Fronten kämpfen.“

„Einer muss es tun. Sonst fällt die unverbrauchte Schönheit, die Sie gerade vor sich sehen, bald der nächsten Hotelkette zum Opfer.“

Sie schwieg einen Moment. „Warum nehmen Sie das alles so persönlich?“, fragte sie dann.

„Wie – was meinen Sie?“

„Ihren Einsatz für den Umweltschutz. Er geht weit über das Normalmaß hinaus. Sie engagieren sich nicht nur, Sie führen Krieg. Und ich möchte wissen, warum.“

Matteo war es gewohnt, von Journalisten zu seiner Motivation befragt zu werden. Deshalb gab er auch jetzt die einstudierte Antwort, die er auf Fragen wie diese immer zu geben pflegte. „In meiner Heimatstadt kam es zu einem Chemieunfall, als ich achtzehn war“, sagte er routiniert. „Die Natur in der Region hat sich bis heute nicht davon erholt, und eine Menge Arbeitsplätze gingen unwiederbringlich verloren. Der verantwortliche Konzern ist nie zur Rechenschaft gezogen worden, und das habe ich nicht vergessen.“

„Deshalb die Wut, von der Sie vorhin sprachen?“

Er nickte und hoffte, das Thema damit beenden zu können. Doch er täuschte sich.

„Was genau ist damals eigentlich passiert?“, fragte sie weiter.

Matteo zögerte. Wollte er wirklich, dass ihr Gespräch diese Wendung nahm? Dass sie so viel Persönliches über ihn erfuhr? Er hatte es sich eigentlich längst abgewöhnt, auf Verständnis und Nähe zu hoffen – oder gar Halt in zwischenmenschlichen Beziehungen zu suchen. Sie waren ohnehin nicht von Dauer und führten zu Komplikationen, die sich kaum kontrollieren ließen. Und doch hatte Maggie Smith etwas an sich, das plötzlich die diffuse Sehnsucht in ihm weckte, verstanden zu werden. Obwohl er sie nicht kannte, fühlte er sich auf unerklärliche Weise zu ihr hingezogen. Es war ihm nicht gleichgültig, was sie über ihn dachte, erkannte er zu seinem eigenen Erstaunen. Trotzdem schreckte er in letzter Konsequenz davor zurück, sich ihr zu öffnen.

„Es würde zu weit führen, Ihnen das jetzt alles zu erzählen“, wich er aus. „Sagen wir einfach, dass diese Zeit mich nachhaltig geprägt hat.“

„Schade.“

„Was ist schade?“

„Dass Sie mich mit Floskeln abspeisen. Ich hätte gern verstanden, wo Ihre Unnachgiebigkeit herrührt.“

„Unnachgiebig? Ich?“

„Hat Ihnen das etwa noch niemand gesagt?“

„Nein.“ Matteo schüttelte den Kopf. „Und schon gar nicht so direkt.“

„Verzeihen Sie. Aber man hat wirklich den Eindruck, dass Sie Ihre Überzeugungen sehr kompromisslos vertreten und dabei immer nur gegen, aber nie für etwas kämpfen.“

Matteo spürte, wie sein Puls hochschnellte. Es war das zweite Mal an diesem Tag, dass er wegen seines Umweltengagements kritisiert wurde – erst von seiner Schwester, die ihm nahestand, und nun von einer Frau, die ihn kaum kannte. Was sagte das über ihn aus? Konnte es sein, dass er sich in etwas verrannt hatte, ohne es zu bemerken?

Mittlerweile hatten sie ihr Ziel erreicht, und bis zu den Ausläufern seiner Plantage waren es nur noch wenige Fahrminuten. Da setzte er kurz entschlossen den Blinker und bog rechts in einen schmalen Feldweg ein.

„Was haben Sie vor?“, fragte Maggie alarmiert.

„Ich zeige Ihnen, dass ich sehr wohl für etwas kämpfe“, erwiderte er zwischen zusammengebissenen Zähnen und stellte den Motor ab. „Kommen Sie mit.“

4. KAPITEL

Auf den glatten Ledersohlen ihrer Pumps quälte sich Maggie einen Abhang hinunter. Sie hatte Mühe, mit Santoro Schritt zu halten, der seit einer Viertelstunde unbeirrt geradeaus lief und sich nicht ein einziges Mal nach ihr umgedreht hatte. Um sie herum wogten Felder, auf denen kniehoch gewachsene Gewürze ihren typischen Duft verströmten: Majoran, Salbei, Lorbeer, Estragon.

Tief durchatmend blieb Maggie stehen. Sie schüttelte einen spitzen Stein aus ihrem Fußbett und ärgerte sich über sich selbst. Wieso hatte sie vorhin im Auto nicht einfach ihre Klappe gehalten? Es hätte ihr klar sein müssen, dass ein derart kompromissloser Mann wie Matteo Santoro keine unbequemen Wahrheiten hören wollte. Oder zumindest das, was sie dafür hielt. Denn was wusste sie schon über ihn? Es stand ihr nicht zu, über ihn zu urteilen, auch wenn sie seinen Eifer in Sachen Umweltschutz zu fanatisch fand und der festen Überzeugung war, dass er mit dieser Haltung mehr Menschen verprellte, als er jemals für sein Ziel gewinnen konnte.

Santoro musste gespürt haben, dass sie sich nicht mehr direkt hinter ihm befand, denn plötzlich wandte er sich nach ihr um. „Miss Smith – wo bleiben Sie?“

„Ist es noch weit?“, fragte sie zaghaft zurück.

„Nur ein paar Meter noch, dann sind wir da.“

Zögernd setzte sie sich wieder in Bewegung und bemühte sich sehr, auf dem unebenen Grund nicht abzurutschen. In was hatte sie sich da hineinmanövriert? Statt bequem im Auto zu sitzen, holte sie sich durch diese unfreiwillige Wanderung Blasen an den Füßen. Und riskierte nicht nur, ihre Lederschuhe zu ruinieren, sondern gefährdete schlimmstenfalls auch noch den Deal, den sie so mühsam mit Santoro eingefädelt hatte. Was, wenn ihre gedankenlose Offenheit dazu führte, dass er sein Angebot zurückzog und den Vertrag doch nicht unterschrieb? Sie sollte besser aufpassen, was sie in seiner Gegenwart sagte.

Tapfer stapfte sie weiter hinter ihm her, den Blick auf den Boden gerichtet. Wo immer sie konnte, wich sie den Brennnesseln und Disteln aus, die mitten auf dem Weg wuchsen, und versank ständig mit ihren Pfennigabsätzen in der Erde. Als Santoro unerwartet stehen blieb, wäre sie beinahe mit ihm zusammengeprallt.

„Sind wir endlich da?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Fast. Wir müssen erst noch über diesen Bach.“

Sie trat neben ihn und sah einen Graben, durch den ein lebhaftes Gewässer plätscherte. Maggie schluckte. „Es … ähm … gibt hier doch sicher irgendwo eine Brücke, oder?“

Statt einer Antwort schlang er ihr den Arm um die Taille und hob sie einfach hoch.

„Sir! Was haben Sie vor?!“, protestierte sie atemlos.

„Wonach sieht es denn aus?“

Maggie spürte seine Wärme auf ihrer Haut, seinen Atem in ihrem Haar. Einen Moment lang hatte sie Angst, dass er sie einfach ins eiskalte Wasser werfen würde. Aber da nahm er auch schon Anlauf und setzte mit ihr zusammen über den Bach. Ohne abzurutschen kamen sie am anderen Ufer auf, wo Santoro sie langsam wieder auf die Füße stellte.

„Alles okay?“, erkundigte er sich leise, ohne die Arme von ihr zu lösen.

Maggie nickte. Ihr Herz schlug bis zum Hals, und sie konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. War das gerade eben wirklich passiert? Schwer atmend blickte sie zu seinen eisblauen Augen auf, die sie forschend betrachteten. Sie nahm seinen Duft wahr, eine Mischung aus frisch gewaschener Wäsche und einem dezenten Aftershave. Und fragte sich plötzlich, wie es wäre, ihn zu küssen. Sie müsste sich nur auf die Zehenspitzen stellen, ihn ein bisschen näher zu sich heranziehen und …

„Darf ich?“, fragte er unvermittelt. Und bevor Maggie wusste, wie ihr geschah, griff er hinter sie und zog behutsam das Haargummi heraus, das ihren Pferdeschwanz zusammenhielt. In schweren Wellen fiel ihr Haar über ihre Schultern. Doch zu ihrer grenzenlosen Enttäuschung trat Santoro sofort einen Schritt zurück. „Dort vorne ist es“, sagte er unerwartet nüchtern. „Kommen Sie.“

Wie benommen folgte Maggie ihm über einen Feldweg und versuchte, das Chaos in ihrem Kopf wieder zu ordnen. Was hatte ihn nur dazu veranlasst, ihr Haar zu öffnen? Aufgewühlt setzte sie ihren Weg fort, bis plötzlich ein gewaltiges Gewächshaus vor ihnen aufragte, groß wie eine Turnhalle. Auf dem Dach des Wirtschaftsgebäudes rechts daneben prangte eine Batterie von Solarzellen, die futuristisch in der Sonne blinkten.

„Was … was ist das?“, fragte Maggie irritiert.

„Meine ganz persönliche Weltverbesserungszentrale“, sagte Santoro und öffnete die Tür. „Kommen Sie mit, ich zeige Ihnen alles.“

Schwülwarme Luft schlug ihnen entgegen, sobald sie das Gewächshaus betreten hatten. Maggie, die eine sterile Atmosphäre mit in Reih und Glied angelegten Monokulturen erwartet hatte, wurde von üppiger Vegetation überrascht: Urwüchsige Sträucher und Bäume wucherten zwischen Farnen und Gräsern, aus denen schillernd bunte Blüten aufblitzten. Über ihren Köpfen flatterten Schmetterlinge in allen Farben des Regenbogens, und das Summen und Brummen von Bienen und Hummeln erfüllte den Raum.

„Ist das hier ein Biotop?“, erkundigte sie sich verblüfft.

„Zufluchtsstätte trifft es eher, und zwar für bedrohte Pflanzen und Insektenarten. Sehen Sie diese Blumen hier?“ Santoro bückte sich, schob ein paar Gräser beiseite und legte sternförmige Blüten in kräftigem Pink frei. „Das sind sogenannte Scheinkrokusse, auch Romulea genannt. Diese Unterart ist im gesamten Mittelmeerraum vom Aussterben bedroht.“

„Soll das heißen, Sie züchten diese Spezies in diesem Gewächshaus hier?“

„Nicht gezielt. Ich versuche lediglich, optimale Rahmenbedingungen zu schaffen, damit bestimmte Arten sich vermehren können. Und wo das gelingt, pflanze ich die Setzlinge wieder in die Natur zurück.“

„Oh. Das … das ist beeindruckend.“

„Nein, das ist ein Spleen.“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und wirkte mit einem Mal fast verlegen. „Meine Schwester sagt oft, dass ich unnötig viel Zeit in diesem Brutkasten hier verbringe. Aber es gibt keinen anderen Ort auf der Welt, an dem ich besser abschalten kann. Es erfüllt mich mit großer Ruhe, Pflanzen wachsen zu sehen, die andere schon verloren glaubten, verstehen Sie?“

Maggie nickte stumm. Zum ersten Mal entdeckte sie eine Seite an ihm, die ihn nahbar wirken ließ, und bekam einen Eindruck von dem Mann, der er sein könnte, wenn er sich nicht ständig hinter seiner kompromisslosen Kämpferfassade verstecken würde. Sie schluckte. Je mehr Zeit sie mit Matteo Santoro verbrachte, desto mehr fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Doch das war vollkommen ausgeschlossen und lenkte sie nur von dem ab, was sie eigentlich erreichen wollte – einen Vertragsabschluss. Mehr nicht. Das durfte sie nicht aus dem Blick verlieren, sonst war alles verloren.

„Und … ähm … wie wird dieses Gewächshaus beheizt?“, fragte sie, um das Gespräch wieder auf Sachthemen zu lenken.

„Mit Solarenergie und Erdwärme, aber nur während der Wintermonate. Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wie das abläuft.“

Fast eine Stunde lang führte Santoro sie durch das Gewächshaus und die angrenzenden Gebäude, machte sie auf besonders seltene Schmetterlinge aufmerksam und zeigte ihr viele bedrohte Pflanzenarten, die er demnächst wieder in der Natur auswildern wollte.

„Mir ist natürlich klar, dass ich den Lauf der Welt mit meinem Gewächshaus nicht aufhalten kann“, sagte er auf dem Rückweg zum Auto. „Aber das Wissen darum, dass ich der allgemeinen Zerstörung wenigstens ein bisschen was entgegensetzen kann, lässt mich nachts ruhiger schlafen.“

„Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen“, antwortete Maggie beschämt. „Sie nehmen so große Mühen auf sich, um die Natur zu schützen. Es stand mir nicht zu, Ihnen vorzuwerfen, dass Sie immer nur dagegen sind, statt für etwas zu kämpfen.“

„Schon in Ordnung, das hatte ich verdient.“ Er lächelte schief. „Wer sich wie ich permanent zur moralischen Instanz aufschwingt, muss sich nicht wundern, wenn er anfängt zu nerven. Außerdem war Ihre Kritik berechtigt. Ich bin tatsächlich sehr unnachgiebig und kann auch verdammt stur sein, wenn es sein muss.“

„Warum war es Ihnen so wichtig, mir das Gewächshaus zu zeigen?“

Santoro zögerte kurz, bevor er antwortete. „Ich wollte wohl einfach, dass Sie mich verstehen.“

Sie hatten den kleinen Bach erreicht und hielten an. „Soll ich Sie wieder hinübertragen?“, bot er an.

Doch Maggie schüttelte den Kopf und streifte ihre Lederpumps ab. „Ich springe selbst – aber erst nach Ihnen.“

Mit klopfendem Herzen sah sie zu, wie er Anlauf nahm und über den Bach setzte. „Wo bleiben Sie?“, rief er, sobald er gelandet war.

Da ging auch Maggie ein paar Meter zurück, rannte, sprang aber nicht weit genug und wäre fast rückwärts ins Wasser gerutscht, wenn Santoro sie nicht in letzter Sekunde festgehalten hätte. Durch den Schwung jedoch taumelten sie beide und landeten unversehens im weichen Gras.

„Entschuldigung“, sagte sie verlegen.

„Ich wusste gleich, dass Sie nichts als Ärger machen“, erwiderte er, beugte sich zu ihr herunter und küsste sie.

Das kam so unerwartet, dass Maggie im ersten Augenblick dalag wie erstarrt. Dann aber schlang sie beide Arme um seinen Hals und erwiderte seinen Kuss mit einer Leidenschaft, die sie selbst überraschte. Sie öffnete ihre Lippen, um seiner Zunge Einlass zu gewähren, und tastete mit der Hand unter sein Hemd, um ihn noch näher bei sich zu spüren. Doch kaum dass sie mit den Fingerspitzen seinen Rücken berührt hatte, zog er sich zurück.

„Nein“, stieß er hervor. „Das sollten wir besser lassen.“

Wie benommen sah Maggie zu ihm hoch. „Was? Aber …“

„Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.“ Er stand auf und reichte ihr die Hand, um ihr wieder auf die Füße zu helfen. „Verzeihen Sie bitte.“

„Sie?“ Beinahe hätte Maggie gelacht. „Wir haben uns gerade eben geküsst. Ist siezen da noch angemessen?“

„Wenn Sie weiter für mich arbeiten wollen, dann schon.“ Er atmete tief durch und trat ein paar Schritte zurück. „Aber ich bringe Sie auch gern in die Stadt zurück, wenn Ihnen das lieber ist.“

Maggie fröstelte, obwohl die Sonne warm und mild auf sie herabschien. Matteos Zurückweisung löste etwas in ihr aus, was sie noch nicht recht benennen konnte – Enttäuschung, Scham, Schmerz, eine Mischung aus allem. Und dann war da noch diese tief sitzende Angst, die sie schon spürte, seit sie denken konnte. Es war die Sorge, nicht gut genug zu sein, als Tochter, Studentin, Managerin – und jetzt auch als Geliebte. Nie schien sie das bekommen zu können, wonach sie sich sehnte. Was sonst sollte der Grund dafür sein? Es musste an ihr liegen.

Aufgewühlt blickte sie in Matteos Gesicht, das wie versteinert wirkte. Er war wieder hinter der Maske der Unnahbarkeit verschwunden, die sie nun schon zur Genüge kannte, und ein offenes Gespräch schien kaum mehr möglich zu sein. „Ich … ich weiß gerade gar nicht, was ich denken soll“, brachte sie mühsam heraus.

„Ich schon“, sagte er zu ihrer Überraschung.

„Nämlich?“

„Dass ich meinem Instinkt hätte folgen und den größtmöglichen Abstand zu Ihnen hätte halten sollen – dann wäre das eben auch nicht passiert.“

„Oh. Das war deutlich.“

„Es liegt nicht an Ihnen, Maggie. Es ist nur …“ Er rang nach Worten. „In meinem Leben gibt es keinen Platz für … für Komplikationen.“

„Komplikationen?“, wiederholte sie mit gerunzelter Stirn.

„Ich übernehme die volle Verantwortung“, versicherte Matteo sofort. „Ich bin derjenige, der die Kontrolle verloren hat. Das ist unverzeihlich, denn es belastet von jetzt an unsere Arbeitsbeziehung.“

„Das muss es nicht“, warf sie ein und hoffte inständig, dass er ihr nicht anmerkte, wie verletzt sie war. Sie zwang sich, an den Vertrag zu denken. An ihre Beförderung bei Westham Spices, an die Gehaltserhöhung und an den Heimplatz für ihre Mutter. Es gab so viele Gründe, warum ihre Reise nach Sardinien ein Erfolg werden musste. Was war da schon ein Kuss, der nicht einmal dreißig Sekunden gedauert hatte? „Vergessen wir einfach, was geschehen ist, und machen weiter wie geplant.“

Santoro starrte sie an. „Ist das Ihr Ernst?“

„Herrgott, es war nur ein Kuss“, entgegnete sie betont gleichmütig. Und ahnte, dass sie damit nicht nur ihn, sondern vor allem auch sich selbst belog. Noch nie zuvor war sie so geküsst worden wie von ihm. Dieser Mann löste Empfindungen in ihr aus, von deren Existenz sie bisher gar keine Ahnung gehabt hatte. Ein Teil von ihr hätte diese Gefühle so gern ausgelebt. Der andere Teil jedoch war feige und erleichtert. Zu ihrem eigenen Schutz war es sicher besser, wenn die Sache endete, bevor sie begann.

„Das Zustandekommen des Vertrages scheint Ihnen ja wichtiger zu sein als alles andere“, stellte Matteo fest.

„Was haben Sie denn gedacht?“, fragte sie mit aufgesetztem Selbstbewusstsein. „Dass ich wegen unserem kleinen Geplänkel hier alles hinwerfe, wofür ich gearbeitet habe?“

„Natürlich nicht.“ Demonstrativ warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. „Wenn Sie wirklich sicher sind, dass der Vorfall zwischen uns kein Problem für Sie darstellt, sollten wir jetzt zum Auto zurückgehen. Es wird bald dunkel.“

Maggie nickte, streifte sich ihre Pumps über und folgte ihm durch die Felder bis zu seinem Tesla zurück. In angespanntem Schweigen setzten sie ihre Fahrt fort, bis sie das weitläufige Gelände der Gewürzplantage erreicht hatten, die von hohen, duftenden Pinien eingesäumt war. Vor einem modernen Gebäude im Bauhaus-Stil blieb Santoro schließlich stehen.

„Das ist unser Gästehaus“, sagte er steif. „Es wird Ihnen dort an nichts fehlen, Maggie. Und wenn doch, wenden Sie sich einfach an meine Mitarbeiter an der Rezeption, die statten Sie mit allem aus, was Sie benötigen.“

„Danke, ich finde mich schon zurecht.“

Sobald sie ausgestiegen waren, öffnete Santoro den Kofferraum, um ihr Gepäck herauszuheben. Dann standen sie etwas unschlüssig voreinander und sahen sich an.

„Ich werde in den nächsten Tagen sehr beschäftigt sein“, kam es von ihm. „Doch ich werde dafür sorgen, dass Ihr Vertrag unterschriftsreif ist, wenn Sie wieder abreisen.“

Maggie stockte der Atem. Wollte er damit etwa andeuten, dass er für die Dauer ihres Aufenthaltes keinen persönlichen Kontakt mehr zu ihr wünschte? „In Ordnung“, sagte sie und ignorierte den Stich, der sich in ihrem Herzen ausbreitete. Sie kannte diesen Mann kaum, rief sie sich in Erinnerung. Und sie hatte eigene Pläne. Es gab also nichts, dem sie nachtrauern musste.

„Ich hoffe, Sie haben einen guten Start bei uns, Maggie“, sagte er. „Und falls wir uns nicht mehr sehen sollten – leben Sie wohl.“

„Sie auch“, stieß sie hervor, doch da saß er bereits im Auto und ließ den Motor an. Mit Schwung rauschte er aus der Einfahrt, dass der Kies unter den Reifen nach allen Seiten spritzte. Maggie aber blieb mit klopfendem Herzen zurück und fragte sich, ob sie das alles nur geträumt hatte.

5. KAPITEL

Schon auf ihr erstes Klingeln hin wurde die Tür des Gästehauses aufgerissen. „Hallo, du musst Maggie sein“, begrüßte sie eine hochgewachsene Brünette mit gewinnendem Lächeln. „Ich bin Paola und für die Betreuung des Helfer-Teams zuständig. Herzlich willkommen auf der Piantagione Santoro!“

„Danke“, erwiderte Maggie und stellte ihren Koffer in den Flur. „Ich hoffe, es macht keine Umstände, dass ich so spät dran bin?“

„Ach was, du bist genau pünktlich zum Abendessen“, wehrte Paola ab. „Aber komm erst einmal mit, ich zeige dir dein Zimmer.“

Es war ein heller, freundlicher Raum mit Echtholzboden und eigenem Bad, der Maggie zugeteilt wurde. Außer einem Bett und einem geräumigen weißen Kleiderschrank gab es einen Flachbildfernseher, einen Schreibtisch und einen kleinen Kühlschrank, der mit Obst, Snacks, Wasser und Softdrinks gefüllt war. Vom Fenster aus ging ein Balkon ab, der auf den duftenden Pinienhain hinaus zeigte.

„Das ist ja wie in einem Hotel hier“, rief Maggie überrascht aus.

„Nun, Mr. Santoro legt Wert darauf, dass seine Gäste und Mitarbeiter sich wohlfühlen“, sagte Paola lächelnd. „Deshalb verwenden wir in der Küche auch nur die besten Zutaten aus biologischem Anbau. Übrigens haben alle unsere Zimmer WLAN. Das Passwort lege ich dir auf den Tisch. Und hier ist auch der Schlüssel für dein Fahrrad, es trägt die Nummer sieben, du findest es auf dem Hof.“

„Ein Fahrrad? Wofür brauche ich das denn?“

„Für den Weg zu den Feldern und wieder zurück“, erklärte Paola. „Die Entfernungen hier auf der Plantage sind nicht weit, da ist es umweltfreundlicher und flexibler zu radeln. Du kannst doch Fahrrad fahren, oder?“

„Das habe ich zwar seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht, aber das dürfte kein Problem sein.“

„Prima, dann komm erst mal an. Und wenn du so weit bist – das Abendessen wird unten in unserer Lounge serviert.“

Maggie machte sich schnell frisch, schickte ihrer Mutter eine Nachricht und checkte ihre E-Mails. Die Personalabteilung von Westham Spices hatte ihren kurzfristig eingereichten Urlaub bereits bewilligt, und die Assistentin von Mr. Sinclair schrieb ihr, dass es kein Problem sei, wenn sie noch eine Weile auf Sardinien blieb, um die Gewürzplantage etwas besser kennenzulernen. Die weitere Zusammenarbeit mit Mr. Santoro könne davon nur profitieren.

Erleichtert trat Maggie auf den Balkon hinaus. Sie hatte sich Sorgen gemacht, wie ihr Chef auf diese unfreiwillige Volte beim Vertragsabschluss reagieren würde, nun aber fiel alle Anspannung von ihr ab.

In den Pinien zirpten die Zikaden, und die Sonne versank rotgolden am Horizont. Sie dachte an Matteo Santoro und daran, wie sich sein Mund auf dem ihren angefühlt hatte. Was wäre gewesen, wenn er nicht so schnell zur Besinnung gekommen wäre? Wie weit wären sie gegangen – im Gras, am Bach, nur mit dem Himmel über ihnen? Eine Woge des Bedauerns durchflutete sie, und gleichzeitig wusste Maggie, dass es unvernünftig und naiv war, sich Dinge zu wünschen, die in unerreichbarer Ferne lagen.

„In meinem Leben ist kein Platz für Komplikationen“, hatte Santoro gesagt. Was im Klartext bedeutete, dass es speziell für sie keinen Platz gab. Natürlich nicht – wer war sie schon? Die kleine graue Maus aus der Poststelle, die Tochter, die es gar nicht geben durfte. Sicher fand Matteo sie nicht attraktiv genug, um eine Affäre auch nur in Erwägung zu ziehen. Vielleicht aber war er schon anderweitig gebunden. Maggie zog die Stirn in Falten. Doch warum hatte er sie dann geküsst?

Sie zuckte zusammen, als sie unten vor dem Haus Stimmen hörte. Lachend und schwatzend kamen die Erntehelfer von der Arbeit zurück. Jetzt erst merkte Maggie, wie hungrig sie war, denn sie hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Also lief sie die Treppe hinunter ins Erdgeschoss, um sich ihren neuen Kollegen zum Abendessen anzuschließen.

In der Lounge war bereits ein großes Buffet mit typisch sardischen Speisen aufgebaut: Pecorino-Käse, frische Pasta mit Kartoffel-Minze-Füllung, gegrillter Fisch und Meeresfrüchte. Der Duft von hausgebackenem Hirtenbrot erfüllte den Raum, der im mediterranen Stil eingerichtet war. Auf dem rustikalen Terrakotta-Fußboden hallten die Schritte der Erntehelfer wider, die sich plaudernd um das Buffet verteilten und anschließend an den ovalen Massivholztischen zum Essen niederließen.

„Hallo, du musst neu sein“, wurde Maggie von einer jungen Frau angesprochen. Sie trug einen grünen Arbeitsoverall und hatte ihr leuchtend rotes Haar zum Zopf gebunden.

„Stimmt, ich bin gerade erst angekommen“, erwiderte sie und balancierte ihren voll beladenen Teller in der einen Hand, während sie mit der anderen Hand eine Wasserflasche aus dem Kühler angelte.

„Dann setz dich doch zu uns, wir haben noch einen Platz frei. Übrigens – ich heiße Elinor.“

„Maggie.“

„Bist du auch über die studentische Jobvermittlung deiner Uni hierhergekommen?“

„Nein“, entgegnete Maggie, nickte in die Runde und setzte sich Elinor gegenüber an einen der Tische am Fenster. „Das hat sich bei mir ehrlich gesagt alles eher kurzfristig ergeben.“

„Na, sei froh, dass es überhaupt geklappt hat“, mischte sich die Blondine neben ihr in das Gespräch mit ein. „Die Bezahlung ist nämlich super und die Verpflegung, wie du siehst, vom allerfeinsten.“

„Das ist Claire“, stellte Elinor vor. „Sie denkt ständig nur ans Essen.“

Maggie musste lächeln. „Dann seid ihr also Studentinnen?“

„Wir kommen aus Cambridge, teures Pflaster. Der Job hier hilft uns, die Studiengebühren zu finanzieren.“

„Verstehe. Und die übrigen Helfer, sind die auch von der Uni?“

Claire schüttelte den Kopf. „Nein, die kommen von einer Agentur für Saisonarbeit. Die meisten sind schon ein bisschen älter als wir, aber trotzdem sehr nett.“

„Eigentlich sind alle nett hier“, ergänzte Elenor mit vollem Mund. „Nur die Schwester von Mr. Santoro ist ein bisschen merkwürdig.“

„So?“ Mit gerunzelter Stirn schluckte Maggie ihre Pasta herunter. „Was ist denn mit ihr?“

Claire gluckste vor Lachen. „Wir haben sie vorhin gefragt, ob es hier einen Club in der Nähe gibt, in dem man heute Abend mal abhängen könnte.“

„Und weißt du, was sie gesagt hat?“, rief Elenor belustigt dazwischen.

„Was denn?“

„Hu, hu, hu!“

„Wie bitte?“

Die beiden Studentinnen prusteten los. „Ohne Witz jetzt, sie klang wie ein Affe: hu, hu, hu.“ Claire winkelte die Arme ab und ließ sie bei jedem Laut auf und ab zucken. Dazu schnitt sie eine Grimasse, die Elinor erneut losgiggeln ließ.

Elinor wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln. „Jedenfalls ist sie dann ganz schnell weggegangen, und wir haben sie seither nicht mehr wiedergesehen.“

„Ihr habt sie ausgelacht? Das ist nicht euer Ernst!“

„Ich weiß, das war nicht nett von uns.“ Claire hatte noch immer Mühe, sich zu fassen. „Aber es war so lustig, du hättest das sehen müssen.“

Maggie verzog keine Miene. „Vielleicht hat sie einen Grund, sich so zu verhalten“, erwiderte sie abwehrend. Sie wusste, wie es sich anfühlte, ausgelacht zu werden, denn sie selbst war in ihrer Schul- und Studienzeit oft genug Gegenstand hämischer Spötteleien gewesen. Die Mischung aus unvorteilhafter Kleidung, chronischem Geldmangel und überdurchschnittlich guten Noten hatte sie immer wieder zur Zielscheibe ihrer Mitschüler werden lassen, deshalb war sie bis heute kompromisslos solidarisch mit allen, die Ähnliches erdulden mussten. Sie wollte Elinor und Claire keinerlei Bosheit unterstellen, fand das Betragen der beiden jedoch sehr gedanken- und rücksichtslos. Deshalb entschloss sie sich, das Thema zu wechseln.

„Wie ist denn die Arbeit auf dem Safranfeld?“, fragte sie. „Ich komme aus London und habe noch nie bei einer Ernte mitgeholfen.“

„Keine Sorge, du musst dich nur bücken und pflücken“, sagte Claire. „Und natürlich verdammt früh aufstehen.“

Bis sie ihre Mahlzeit beendet hatte, blieb Maggie mit den Mädchen am Tisch sitzen und übte sich in unverfänglichem Small Talk. Dann aber spürte sie, wie die Müdigkeit in ihr hochstieg, und sie sehnte sich nach ihrem Bett. „Es war ein langer Tag heute“, sagte sie und stand auf. „Ich bin ziemlich kaputt von der Reise. Danke für eure Gesellschaft. Wir sehen uns morgen, okay?“

„Klar – schlaf gut! Bis dann!“

Der Mond schien durch die geöffnete Balkontür, als Maggie wenig später in ihrem Bett lag und die Ereignisse des Tages noch einmal Revue passieren ließ. Sie dachte an Matteo Santoro und den unterkühlten Blick in seinen eisblauen Augen. An die Wärme in seiner Stimme, als er von der Arbeit im Gewächshaus und von seiner Schwester sprach. Und an das abfällige Gelächter der beiden britischen Studentinnen, als sie von deren seltsamem Verhalten berichteten. Was waren das nur für Lebenslinien, die ihre hier so unerwartet kreuzten? Und ging sie das alles überhaupt irgendetwas an?

Sie war nur zur Stippvisite auf dieser Plantage, hielt sie sich selbst vor Augen. Und wenn Santoro den Lieferantenvertrag mit Westham Spices unterschrieben hatte, würde dieser Aufenthalt hier auf Sardinien zu einer kleinen Episode am Rande ihrer Karriere zusammenschrumpfen. Dazu musste es ihr nur noch gelingen, den Kuss am Bach zu vergessen. Und den Schmerz darüber, dass ihm das offensichtlich so viel leichter fiel als ihr selbst.

Maggie war nicht allein, als sie früh am nächsten Morgen auf den Hof hinaustrat. Eine junge Frau mit langem, dunklem Haar inspizierte die Fahrräder und schien nach einem zu suchen, das nicht abgeschlossen war.

„Guten Morgen“, sagte Maggie – und stellte überrascht fest, dass die andere mit einem kleinen Aufschrei zusammenfuhr. „Entschuldige, habe ich dich erschreckt?“

„Nein, schon gut.“ Dabei zog die junge Frau ihre rechte Schulter hoch. Einmal. Zweimal. Dreimal. Immer wieder. „Ich, äh, habe dich bloß nicht kommen gehört.“

„Hast du dir etwas verrenkt?“, fragte Maggie mitfühlend und deutete auf ihre eigene Schulterpartie.

Sofort hörte das Hochziehen auf. „N-nein, alles in bester Ordnung.“

„Oh. Okay.“ Eine kurze Pause trat ein. „Ich bin Maggie und habe meinen ersten Tag heute“, nahm sie das Gespräch wieder auf. „Wir sind uns gestern beim Abendessen nicht begegnet, oder? Bist du auch neu hier?“

Die junge Frau zögerte kurz. „Nein, ich wohne hier.“

„Dann gehörst du zum Mitarbeiter-Team?“ Maggie hatte ihr Fahrrad mit der Nummer sieben gefunden und warf den Beutel mit ihrer Trinkflasche und der Lunchbox in den Korb am Lenkrad.

„So ähnlich“, kam die Antwort. Mit gesenktem Blick legte die junge Frau ihre linke Hand auf die rechte Schulter – fast so, als wollte sie diesen Teil ihres Körpers zur Ruhe zwingen. „Ich bin die meiste Zeit im Büro drüben.“

Büro? Irgendetwas in Maggies Kopf machte „klick“, und sie musterte ihr Gegenüber etwas genauer. Das schwarze Haar, die ebenmäßigen Gesichtszüge – all das erinnerte sie an jemanden. „Bist du etwa die Schwester von Matteo Santoro?“

Da näherten sich vom Haus aus Stimmen und Schritte. Die übrigen Erntehelfer hatten ihr Frühstück beendet und traten ihren Dienst an – angeführt von Paola, die Maggie fröhlich zuwinkte.

Autor

Shirley Jump
Shirley Jump wuchs in einer idyllischen Kleinstadt in Massachusetts auf, wo ihr besonders das starke Gemeinschaftsgefühl imponierte, das sie in fast jeden ihrer Romane einfließen lässt. Lange Zeit arbeitete sie als Journalistin und TV-Moderatorin, doch um mehr Zeit bei ihren Kindern verbringen zu können, beschloss sie, Liebesgeschichten zu schreiben. Schon...
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