Romana Extra Band 119

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

WIEDERSEHEN IN DOLPHIN COVEvon ANNIE O’NEIL
Als Lucas gezwungen war, Ellie zu verlassen, platzte auch sein Traum von einer eigenen Familie. Nun ist er zurück in Dolphin Cove, um den dortigen Tierarzt zu vertreten – und um Frieden mit Ellie zu schließen. Aber sie hat eine überraschende Neuigkeit für ihn…

SÜSSE TAGE IN AMALFIvon CARO STEIN
Hätte der charmante Leonardo sie mit seinen Zärtlichkeiten nicht abgelenkt, hätte Anna den Backwettbewerb in Amalfi vielleicht gewonnen. So aber wird sie ihre Konditorei verlieren – und ihr Herz, denn der reiche Geschäftsmann lässt sie ohne ein Wort des Abschieds ziehen…

GLÜHENDE KÜSSE UNTER GRIECHISCHER SONNEvon REBECCA WINTERS
Wie ein griechischer Gott sieht Akis Giannopoulos mit seinem athletischen Körper aus. Doch auch wenn sein Überraschungskuss verzehrende Leidenschaft in Raina weckt, muss sie ihm widerstehen. Zu groß ist ihre Angst, verletzt zu werden, wenn er erfährt, wer sie wirklich
ist…

IST DAS ALLES NUR GESPIELT?von CAITLIN CREWS
Ivan Korovin weiß nicht, was ihn mehr ärgert: dass Professorin Miranda Sweet ihn als ungehobelt bezeichnet oder dass er ihr am liebsten das missbilligende Lächeln von den Lippen küssen würde. Als er sich für Letzteres entscheidet, ahnt der Milliardär nicht, was er damit auslöst …


  • Erscheinungstag 12.04.2022
  • Bandnummer 119
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508155
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Annie O’Neil, Caro Stein, Rebecca Winters, Caitlin Crews

ROMANA EXTRA BAND 119

ANNIE O’NEIL

Wiedersehen in Dolphin Cove

Er war ihre große Liebe und hat sie dennoch verlassen. Nun ist Lucas zurück – und die Anziehung zwischen ihnen so groß wie zuvor. Kann Ellie ihre Angst überwinden und Lucas wieder vertrauen?

CARO STEIN

Süße Tage in Amalfi

Romantische Spaziergänge an der Küste, eine heiße Nacht auf seiner Jacht: Leonardo kann Anna nicht vergessen. Um sie zurückzugewinnen, schmiedet er einen Plan, der jedoch fürchterlich schiefgeht …

REBECCA WINTERS

Glühende Küsse unter griechischer Sonne

Wer ist die schöne Fremde mit dem rotblonden Haar? Selfmade-Milliardär Akis ist wie elektrisiert, als er Raina auf einer Hochzeit in Athen begegnet. Doch Vorsicht: Ist sie etwa hinter seinem Geld her?

CAITLIN CREWS

Ist das alles nur gespielt?

Nur aus PR-Gründen willigt Miranda Sweet ein, mit ihrem Erzfeind das verliebte Paar zu spielen. Sobald die Scheinwerfer allerdings aus sind … vermisst sie die Nähe des raubeinigen Milliardärs!

1. KAPITEL

Ellie Stone hob ein Hundebaby nach dem anderen hoch und vergrub ihre Nase in seinem Fell. Nach einer schwierigen Operation Welpen zu streicheln, tat ihr immer unglaublich gut. Ein kleiner rabenschwarzer Labrador legte ihr die Pfote auf die Nase und leckte ihr mit seiner winzigen rosa Zunge über die Wange. Obwohl sie schon viele Welpen aufgezogen hatte, wurde ihr immer noch ganz warm ums Herz.

„Oh! Du bist zuckersüß.“

Die anderen Welpen – eine Mischung aus goldenen, rostroten, schwarzen und einem einzigen schokoladenbraunen – krabbelten ihr die Beine hoch und wollten auch gestreichelt werden.

Sie waren vier Wochen alt und quicklebendig. Es war ein perfekter Wurf von zehn Welpen, und alle Farben des Labradorspektrums waren vertreten. Sie hob noch einen hoch und atmete seinen wunderbaren Duft ein.

Sie konnte es kaum erwarten, bis Mav aus der Surfschule zurückkam. Das Gekicher ihres Sohnes und flauschige Welpen – es gab nichts Schöneres.

„Du gönnst dir ein bisschen Welpen-Therapie, hm?“

Ellie sah auf, und ihr langjähriger Mentor kam lächelnd auf sie zu. „Ha! Du hast mich erwischt, Henry.“

„Schlimme OP gehabt?“

„Sehr schlimm.“ Sie erzählte ihm von dem Golden Retriever, der mit einem großen Stock im Maul gestürzt war. „Er hatte Unmengen von Holzsplittern in der Zunge und in der Mundschleimhaut, der Ärmste. Schwer zu sagen, wer sich schlechter fühlt, er oder die Besitzer.“

„Oje. Bei mir hat gerade eine Frau geweint, während ich ihrer Katze die Krallen geschnitten habe.“

Ellie krauste die Nase. „Mrs. Coutts?“

Henry grinste. „Genau. Woher wusstest du das?“

„Unsere Patienten und ihre Besitzer gut zu kennen, ist einer der Schlüssel zum Erfolg hier in Dolphin Cove.“ Sie klopfte neben sich auf den mit Zeitungspapier ausgelegten Boden. „Willst du dich zu mir setzen?“

Henry lächelte und ließ sich ihr gegenüber auf dem Boden nieder. „Wie könnte ich da widerstehen?“ Die Welpen kletterten sofort auf ihm herum. Für jemanden, der in jedem Arm einen kleinen Hund hielt, sah er allerdings erstaunlich bedrückt aus.

„Komm schon, Henry, raus mit der Sprache. Du hast mir geholfen, als ich in einer misslichen Lage war, wenn ich also irgendetwas für dich tun kann, musst du es nur sagen.“

Als Drew, Ellies bester Freund und Geschäftspartner, einen schlimmen Autounfall gehabt hatte, war Henry ihr sofort zu Hilfe geeilt. Drews langer Krankenhausaufenthalt neigte sich jetzt zwar dem Ende zu, aber es lag immer noch eine lange Reha vor ihm, mindestens acht Wochen, wenn es keine Rückschläge gab.

Oje. „Drews Zustand hat sich nicht verschlechtert, oder?“

Henry schüttelte den Kopf.

Puh. Doch sie las in seinem Blick, dass ihr nicht gefallen würde, was er ihr zu sagen hatte. Sie nahm sich einen Welpen, setzte ihn sich auf den Schoß und streichelte gedankenverloren seine Ohren, als Henry anfing zu reden.

Als er ausgeredet hatte, schwirrte Ellie der Kopf.

Henry bat sie um einen Gefallen. Er wollte, dass sie das tat, was sie sich geschworen hatte, nie zu tun: Lucas Williams in Dolphin Cove arbeiten zu lassen.

Und doch wusste sie, dass sie Henry diese Bitte nicht abschlagen konnte. Sie war ihm etwas schuldig, sehr viel sogar.

Als Drew vor ein paar Monaten im Krankenhaus mit dem Tod gerungen hatte, hatte sie gerade so alles am Laufen gehalten. Henry war buchstäblich ihr Retter in der Not gewesen. Er hatte nicht nur Drews äußerst komplizierte Operationen übernommen, sondern auch Studierende vom College für Veterinärmedizin mitgebracht, die bei ihr Praktika machten und ihr Arbeit abnahmen. Sehr zu ihrer Verlegenheit hatte er Ellie als leuchtendes Beispiel herausgestellt für das, was man alles erreichen konnte, wenn man sich richtig ins Zeug legte. Sie hatte eine der modernsten chirurgischen Tierkliniken Großbritanniens in einem der altmodischsten Dörfer des Landes errichtet, und das, nachdem ihr Herz in tausend Stücke zertrümmert worden war.

Nun ja, dieses letzte Detail hatte er den Studierenden nicht auf die Nase gebunden.

Er hatte sich auf das Positive konzentriert. Was auch ihr Weg gewesen war, mit all dem Herzschmerz und den drastischen Veränderungen nach ihrer Trennung vor fast sechs Jahren umzugehen. Mit der Tierklinik von Dolphin Cove hatte sie sich ihren Lebenstraum verwirklicht. Und nun würde sich womöglich all das, was sie sich in den letzten Jahren aufgebaut hatte, grundlegend verändern.

Aber nichts war so schlimm, wie wenn der Traummann seinen Heiratsantrag zurückzog und all die gemeinsamen Pläne über Bord warf, um im Fernsehen der Lieblingstierarzt der Nation zu werden.

Der Supertierarzt.

Tsss.

Wohl eher der supernervige Tierarzt.

Es erschreckte sie, wie sehr die Erinnerungen an diese Zeit noch immer schmerzten.

Ellie schüttelte sich und zwang sich, ins Hier und Jetzt zurückzukehren. „Und er hat gesagt, du musst gleich anfangen?“, knüpfte Ellie an das an, was Henry zuletzt gesagt hatte.

Lucas Williams, ehemals die Liebe ihres Lebens, wollte, dass Henry seine blöde Fernsehsendung übernahm. Um das zu ermöglichen, würde Lucas nach Dolphin Cove kommen und Henry ersetzen.

In ihrem Nacken begann es, unangenehm zu kribbeln.

„Ganz genau. Wir könnten am College filmen und es dadurch bekannter machen, und der ganze Profit ginge an weniger wohlhabende Studierende.“

Genau wie sie damals. Verdammt! Jetzt konnte sie erst recht nicht Nein sagen. Den Studierenden von heute das zu verwehren, was ihr damals ein Studium ermöglicht hatte, nur weil sie zu stolz war, ihre Prinzipien über den Haufen zu werfen? Das wäre unfassbar selbstsüchtig.

„Und du musst morgen los?“

„Übermorgen. Morgen kommt Lucas hierher. Die Produzenten scheinen die Idee mit dem College großartig zu finden und wollen sofort mit den Aufnahmen anfangen.“

Ellie seufzte und blickte über die niedrige Wand des Welpenstalls hinweg zu den großen, alten, bodentiefen Fenstern mit Blick auf den Strand, der hinter der Klinik lag. Die Sonne schien noch immer. Der Himmel war nach wie vor blau. Ein perfekter Sommertag in Cornwall. Immerhin gab es noch Dinge, die sich nicht verändern würden.

„Und es gibt wirklich niemand anderen auf der ganzen weiten Welt, der an seiner Stelle hierherkommen könnte?“

„Du forderst und verdienst das Beste, Ellie, und Lucas ist der Beste, den es gibt. Wer sonst könnte die komplizierte Prothesen-OP von unserem unfallgebeutelten Berner Sennenhund Samson übernehmen?“

Ellie schüttelte genervt den Kopf und ließ langsam die Luft ausströmen. Sie wusste, dass er recht hatte. Es war nur so schwer, das zuzugeben.

„Ich kann natürlich auch ablehnen und hierbleiben.“

„Mach dich nicht lächerlich.“ Natürlich musste er gehen. Es war ein einmaliges Angebot. „Gib mir einfach einen Moment, um das alles zu verdauen.“

Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter.

Sie hätte damals natürlich tun können, was ihre Eltern und Drew vorgeschlagen hatten, als sie erfahren hatte, dass sie schwanger war. Sie hätte Lucas mitteilen können, dass sie einen Sohn von ihm erwartete. Aber gerade, als sie sich fast dazu durchgerungen hatte, waren die Zeitungen voll gewesen mit Schlagzeilen über eine angebliche Verlobung des Supertierarztes mit seiner Produzentin. Und schon waren ihre Pläne, es ihm zu sagen, wieder vergessen. Stattdessen hatte sie all ihre Wut und ihren Schmerz als Antrieb genutzt, um die Klinik aufzubauen. Eine so großartige Klinik, dass selbst Lucas sie bewundern würde.

Sie rieb sich fröstelnd die Arme. Was brachte es ihr jetzt noch, dass sie sich so an ihm gerächt hatte?

Lucas würde wütend sein. Das war auch sein gutes Recht. Mehr als fünf Jahre lang hatte er nicht gewusst, dass er einen Sohn hatte … Sie an seiner Stelle wäre fuchsteufelswild. Trotzdem hatte sie gute Gründe für ihre Entscheidung gehabt. Viele gute Gründe. Einer davon war gewesen, dass sie das alleinige Sorgerecht für Maverick haben wollte. All das würde sich ändern, sobald Lucas herausfand, dass Maverick sein Sohn war.

„Oh, Henry, ich weiß nicht, ob ich das schaffe.“

Er tätschelte ihr beruhigend das Knie. „Ellie, meine Liebe. Ich weiß, du hast in letzter Zeit viel durchgemacht, aber ich würde das nicht tun, wenn ich mir nicht sicher wäre, dass es das Richtige ist. Denk nur an all die wunderbaren Tierärztinnen und Tierärzte, die ich dir für Praktika herschicken kann.“

Ellie seufzte dramatisch. „Ich weiß. Ich sollte die Korken für dich knallen lassen und mit dir anstoßen. Es ist eine großartige Chance. Ich stehe dadurch aber an einem Scheideweg in meinem Leben …“

„Gerade du wirst gut damit zurechtkommen.“

„Meinst du?“ Sie fühlte sich gerade alles andere als stark.

„Du bist viel stärker, als du glaubst, Ellie“, sagte Henry, rückte zu ihr herüber und umarmte sie unbeholfen. „Wer weiß? Vielleicht ist es das Beste, was dir je passieren wird.“

„Ha!“ Sie rümpfte die Nase. „Den Supertierarzt hierzuhaben, ist sicher nicht das Beste, das mir je passieren wird.“

„Nein, das stimmt“, sagte Henry nachdenklich und kratzte sich am Bart. „Aber Lucas Williams hierzuhaben vielleicht schon.“ Henry lächelte versonnen, stand auf und ging. Ellie blieb nachdenklich zurück.

Lucas bog von der Landstraße ab in die waldgesäumte Zufahrt zur Klinik. Als er zwischen den Bäumen hindurch das Meer blitzen sah, fühlte es sich fast so an, als wäre er nie weggewesen.

Ellie und er hatten sich damals gemeinsam jedes Detail ihrer Traumklinik ausgemalt. Als das Grundstück noch in Privatbesitz gewesen war, hätten sie nie gedacht, dass sie es sich würden leisten können. Doch mit Ellie war es leicht gewesen, sich das Unmögliche vorzustellen. Sie war eine Frau, die überall, wo sie hinschaute, Chancen sah. Vielleicht hatte er sich deshalb am ersten Tag auf dem College sofort in sie verliebt.

Am Ende des Wäldchens gabelte sich der Weg, und laut den Schildern ging es in der einen Richtung zur Klinik und der Chirurgie und in der anderen zum Streichelzoo. Er pfiff durch die Zähne.

Ellie und Drew hatten sich offensichtlich mächtig ins Zeug gelegt. Er lenkte das Auto zur Klinik. Das Hauptgebäude bestand aus einer imposanten Glasfront mit Holzelementen und einem Schindeldach, das gleichermaßen modern und einladend wirkte. Genau der Ort, wo man sein Haustier hinbringen würde, wenn ihm etwas fehlte. Er war beeindruckt, dass Ellie es tatsächlich geschafft hatte, ihren Traum zu verwirklichen.

Es fühlte sich jedoch überraschend unangenehm an, zu sehen, dass sie ihn mit ihrem treuen Kindheitsfreund Drew wahr gemacht hatte und nicht mit Lucas. Sicherlich hatte sie sich in der Zwischenzeit in ihn verliebt und ihn geheiratet …

Er stellte sich vor, wie Drew ihr einen Ring an den Finger steckte, und seine Eingeweide zogen sich schmerzvoll zusammen. Dann atmete er tief durch und rief sich in Erinnerung, dass er keinerlei Anspruch auf diesem Gebiet hatte und sicher auch kein Recht dazu, eifersüchtig zu sein. Wen Ellie liebte, ging ihn nichts mehr an. Er war hier, um ihr in der Tierklinik zu helfen.

Er parkte, schloss das Auto ab und rieb sich die Hände. Er hatte lange darauf gewartet, Wiedergutmachung zu leisten. Vielleicht zu lange.

Trotz der Unsicherheit regte sich auch etwas in ihm, von dem er nicht gedacht hatte, dass er noch dazu fähig war. Hoffnung. Er hoffte, dass sie beide mit ihrer komplizierten Vergangenheit Frieden schließen konnten.

Eine kleine Glocke bimmelte, als er den atriumartigen Empfangsbereich betrat. In seiner Mitte stand eine junge Eiche. Eine Bank, auf der noch einige Menschen mit ihren Haustieren saßen und warteten, rahmte den etwa drei Meter hohen Baum ein.

Dieser Anblick erinnerte ihn daran, wie er mit Ellie auf dem Grundstück gestanden und sie eine keimende Eichel gefunden und daraufhin beschlossen hatten, dass hier der perfekte Ort für ihre Klinik war.

Aus der kleinen Eichel

Er schüttelte sich. Der Baum war vermutlich unecht. Wer pflanzte schon eine Eiche in eine Klinik?

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und sah sich um. Das würde also für die nächsten paar Wochen sein Arbeitsplatz werden, falls Ellie ihn nicht sofort in die Wüste schickte. Wenn man hereinkam, ging man direkt auf einen großen Empfangstresen aus Holz und Stein zu, und statt der sonst üblichen Plastikstühle standen überall Sessel und Sofas, und es gab gepolsterte Fensterbänke, die dem Wartebereich den Charme eines Landhotels verliehen.

An der Rezeption stand eine junge Frau, die wie eine Springreiterin wirkte und mit schlanken und gepflegten Fingern etwas in die Tastatur tippte. Als er sich ihr näherte, sah sie auf. „Hallo, kann ich Ihnen …? Oh mein Gott! Sind Sie …? Sie sind der Supertierarzt!“

Lucas schüttelte den Kopf. Ruhm und Bekanntheit waren die beiden Dinge, die er an seiner letzten Tätigkeit am wenigsten gemocht hatte. Das und die ständigen Gerüchte über seine angeblichen Verlobungen. Er hatte kaum Freizeit zum Entspannen gehabt, geschweige denn für Beziehungen.

„Bleiben Sie genau da stehen!“ Die junge Frau kam mit gezücktem Handy auf ihn zugeeilt. „Können wir ein Selfie machen?“

Wie er Selfies hasste! Doch die Rezeptionistin hatte seine Antwort nicht abgewartet und stand schon neben ihm. Lucas seufzte nur und setzte sein Fotolächeln auf.

Das klassische Fotogeräusch ertönte einige Male, und die Frau hob zu einem Monolog an. „Ich bin Tegan. Ich arbeite hier. Sehen Sie ja. Das dort drüben ist Mrs. Cartwright mit ihrer geliebten Siamkatze Tabatha.“ Dann flüsterte sie auffällig laut. „Sie ist ein echter Hypochonder, aber wir lieben sie sehr.“ Sie hob die Stimme wieder. „Mrs. Cartwright, möchten Sie auch ein Foto mit dem Supertierarzt?“

„Mit wem?“, fragte die adrette Dame und sah ihn mit klaren blauen Augen an. „Oh, nein“, entschied sie, nachdem sie ihn kurz gemustert hatte. „Nein, danke. Ich warte lieber auf Ellie. Meine arme, arme Tabatha.“ Sie seufzte schwer.

„Ich hätte gern ein Selfie“, sagte ein junger Mann mit einem Pekinesen auf dem Arm, dessen seidiges Fell bei jeder Bewegung sanft hin und her wogte. „Hier …“ Er reichte Lucas sein Handy. „Können Sie es machen? Ihre Arme sind länger … und stärker. Mein Freund wäre so was von neidisch, wenn er wüsste, dass ich mich hier an Sie ranschmeiße. Teegs! Komm auch mit aufs Foto.“

Tegan ließ sich das nicht zweimal sagen. Lucas riss sich zusammen und grinste. Fast sechs Jahre auf den Fernsehbildschirmen des Vereinigten Königreichs hatten es ihm erlaubt, die Klinik seines Vaters zu retten und die Schulden seiner Familie einzudämmen, also hielt er das Handy hoch und sagte: „Bereit? Alle mal lächeln!“

Das Blitzlicht war ausgelöst worden, und Lucas war für einen Moment geblendet. Als er wieder sehen konnte, wollte sein Herz fast zerspringen. Da war sie. Ellie Stone. Sie war sogar noch schöner, als er sie in Erinnerung gehabt hatte. Ihre wilden, rotblonden Locken umrahmten ihr Gesicht. Ihr sportlicher Körper steckte in perfekt sitzender hellblauer OP-Kleidung und modernen Sneakers. Ihre grünen Augen strahlten so einladend wie das Meer hinter der Klinik. Dann blitzten sie auf und verengten sich.

„Du bist zu spät.“

„Ellie!“ Tegan versetzte ihr einen Klaps auf den Arm. „Sei nicht so gemein. Das ist der Supertierarzt!“

„Ich weiß ganz genau, wer das ist.“

„Cool.“ Tegan grinste. „Dann macht es dir bestimmt nichts aus, wenn ich Torky holen gehe, oder?“ Sie wandte sich Lucas zu und drückte seinen Arm. „Torky ist mein Zwillingsbruder.“ Tegan plapperte weiter und merkte nicht, wie eisig der Blick war, mit dem Ellie sie ansah. „Ells? Machst du gleich ein Bild von uns? Was ist? Warum guckst du denn so?“

Lucas blickte Ellie in die Augen. Törichterweise hatte er bis eben gehofft, dass so viel Zeit vergangen war, dass Ellie wenigstens ein bisschen froh war, ihn zu sehen. Ihre hochgezogenen Augenbrauen verrieten ihm jedoch, dass das Gegenteil der Fall war.

Sie lächelte nicht. Sie wirkte nicht einmal ansatzweise so, als wäre sie froh, ihn zu sehen. Sie taxierte Tegan mit einem mütterlich strengen Blick.

„Es macht mir etwas aus, Tegan. Torquil ist in der Chirurgie beschäftigt, und du hast Telefondienst.“ Sie deutete mit dem Kinn auf die Rezeption, wo tatsächlich gerade das Telefon läutete.

Voll jugendlichem Schwung eilte Tegan wieder an ihren Arbeitsplatz und nahm den Hörer ab.

„Das tut mir leid“, setzte Lucas an, doch Ellies Augenrollen ließ ihn sofort verstummen.

„Sie wird es verkraften.“

„Es ist schön, dich zu sehen, Ellie“, sagte Lucas und lächelte sie an. „Wie geht es dir?“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihn böse an. „Hmmm. Das ist eine gute Frage.“ Theatralisch legte sie den Zeigefinger ans Kinn, als würde sie nachdenken. „Meinst du: Wie geht es dir, Ellie, nachdem wir sechs Jahre kein einziges Wort miteinander gewechselt haben? Oder: Wie geht es dir, Ellie, nachdem ich dich verlassen und mehr als deutlich gemacht habe, dass du keinen Platz mehr in meinem Leben hast?“

„Was?!“, kreischte Tegan von der Rezeption her und hielt mit einer Hand den Hörer zu. „Du warst mal mit dem Supertierarzt zusammen? Du bist mir ja eine! Ellie und der Supertierarzt. Wer hätte das gedacht?“

„Sein Name ist Lucas“, knurrte Ellie.

„Lucas reicht völlig“, sagte er zeitgleich.

„Ah, Lucas!“ Henry tauchte aus einem der Flure auf, die einige Meter hinter der Rezeption vom Empfangsbereich abgingen. „Da bist du ja. Wie ich sehe, habt ihr euch schon begrüßt.“

„Henry“, sagte Ellie und drehte sich zu ihm um. „Das war eine furchtbare Idee. Ich werde mir jemand anderen suchen.“

„Jemand anderen, der den Berner Sennenhund operieren kann?“, warf Lucas ein und wusste, dass das sein bestes Argument war. „Das glaube ich kaum. Der einzige Tierarzt auf den Britischen Inseln, der diese OP machen kann, steht direkt vor dir.“

Ellie öffnete den Mund, um zu protestieren, aber sie hatte keine Gegenargumente.

„Oje. Nun ja, also … ich …“ Henry runzelte besorgt die Stirn, während er zwischen den beiden hin und her sah.

„Henry, wir haben gerade besprochen, wo ich meine Sachen hintun kann, nicht wahr, Ellie?“, sagte Lucas und lächelte.

„Wir haben nichts dergleichen getan“, knurrte Ellie.

Henry strich sich nachdenklich über den Bart. „Du kannst sehr gerne bei mir in der Gästewohnung übernachten. Ich glaube, man kann das Sofa ausziehen oder ich …“

„Nein!“, fuhr Ellie dazwischen. „Es ist mein Haus, also entscheide ich. Es ist auch meine Klinik, also entscheide ich, ob und welche Tiere du hier anfasst.“

Der junge Mann mit dem Pekinesen schaltete sich ein. „Dafür ist es allerdings schon zu spät. Er hat meine Audrey schon gestreichelt.“

Ellies Augenbrauen schossen in die Höhe, als wollten sie in ihrem Haaransatz verschwinden.

„Und Sie sind?“

„Caspian Smythe-Bingham.“

Sie öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, als sie sich erinnerte, woher sie ihn kannte. „Ah, Caspian, natürlich. Bitte entschuldigen Sie vielmals. Ich … ähm … bin normalerweise nicht so … nun …“ Sie warf Lucas einen vernichtenden Blick zu und wandte sich dann an ihren Mentor. „Henry, wärst du so gut, unserem temporären Gast die Kaffeeküche zu zeigen? Ich komme dann zu euch, nachdem ich mir … Audrey angesehen habe, nicht wahr?“ Sie streckte die Hände nach dem Hund aus, der sich an der Brust seines Eigentümers zusammenrollte.

„Oh, nein.“ Caspian streichelte das lange Haar seines Hundes. „Audrey scheint Sie nicht zu mögen.“

Ellie lachte nervös. „Keine Sorge. Manchmal dauert es ein paar Minuten, bis wir uns richtig kennengelernt haben. Warum bringen Sie sie nicht schon mal ins Behandlungszimmer und dann sehen wir weiter?“

Caspian hob gebieterisch eine Augenbraue. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, wäre es mir lieber, wenn der Supertierarzt sie sich ansieht. Sie haben bereits eine Bindung zueinander aufgebaut, wissen Sie?“

Ellie sah so verärgert aus, dass Lucas sich zusammenreißen musste, um nicht zu lachen.

„Behandlungszimmer drei“, wies sie ihn an. „Nimm du Audrey. Wir sehen sie uns zusammen an.“

„Nur wenn du dir sicher bist.“ Das Letzte, was er wollte, war, ihr auf die Füße zu treten.

„Natürlich bin ich mir sicher.“ Sie bedeutete ihm, in welche Richtung er gehen sollte. Als ihre Blicke sich trafen, flogen die Funken.

„Also schön.“ Lucas machte einen Schritt zur Seite, damit Caspian Ellie folgen konnte. „Nach dir.“

Ellie hob nur die Augenbrauen und ging im Stechschritt zu Zimmer drei. Henry legte die Hand an den Mund und flüsterte ihm ein lautloses „Viel Glück“ zu.

Es würden interessante Wochen werden. Lucas war sich nicht einmal sicher gewesen, ob Ellie ihn überhaupt bei sich arbeiten lassen würde. Aber jetzt, wo er den Fuß in der Tür hatte, würde er nicht aufgeben, egal, wie oft sie versuchen würde, ihn rauszuwerfen. Das Feuer in ihren Augen hatte ihm alles gesagt, was er wissen musste. Da war noch etwas zwischen ihnen, und bis er nicht ganz genau herausgefunden hatte, was es war, würde ihn nichts und niemand hier wieder wegbekommen.

2. KAPITEL

Ellies Herz hatte noch nie so heftig geschlagen.

Sie hatte doch gewusst, dass Lucas kommen würde – zwar nur vierundzwanzig Stunden vorher, aber sie hatte Zeit gehabt, um sich darauf vorzubereiten. Sie hatte sich gedanklich gewappnet und Pläne geschmiedet. Sie hatte beschlossen, cool, ruhig und gelassen rüberzukommen, ihm seinen Sohn vorzustellen, klarzustellen, dass er niemals das Sorgerecht bekommen würde, und ihn dann wieder wegzuschicken.

Was hatte sie also stattdessen getan?

Ihrem Sohn kein Wort gesagt, panisch ihre Eltern angerufen und aufgelegt, als sie anfingen, ihr Ratschläge zu erteilen, und dann nachts kein Auge zugetan.

Als die Tür zum Untersuchungszimmer zufiel, drehte sie sich um und hatte Lucas’ Brust direkt vor der Nase. Während sie ihm so gegenüberstand, die Hände erhoben, den Blick gesenkt, fragte er: „Wo hättest du mich gerne?“

Ihre Blicke trafen sich, und genau wie vor ihrem ersten Kuss vor all den Jahren knisterte es zwischen ihnen. Lucas’ bohrender Blick schien ihr Hunderte Fragen zu stellen.

„Ich setze Audrey dann hier ab, ja?“ Caspians säuerlicher Tonfall lenkte Lucas von ihr ab. Es kribbelte ihr unangenehm im Nacken, als Lucas sich an den OP-Tisch stellte, als würde er dort seit Jahren arbeiten. Das hatte er schon immer gut gekonnt.

Jetzt übernahm er ihre Patientin so mühelos, wie er damals vor die Kameras getreten war und die Herzen Großbritanniens im Sturm erobert hatte. Der Supertierarzt.

Wohl eher Superidiot.

Sie warf ihm einen Seitenblick zu, während sie sich die Hände wusch und ein Paar Handschuhe anzog. Wo war der nerdige, humorvolle Spaßvogel hin, in den sie sich verliebt hatte?

Die Brille war durch Kontaktlinsen ersetzt worden, die blonde Kurzhaarfrisur durch mittellanges Haar, das er nach hinten gekämmt trug. Er hatte nicht mal mehr Soßenflecken auf seinem Hemd, er trug ein schlichtes, sportlich-schickes Outfit, das perfekt saß.

Lucas kraulte dem Pekinesen den Kopf und sah ihn bewundernd an. Besitzer liebten so etwas, und hier war das nicht anders. Wenn Caspian den Supertierarzt Lucas noch mehr anhimmelte, würde er bald einen Heiligenschein bekommen. Fairerweise musste sie allerdings zugeben, dass ihm sein neuer Look ausgezeichnet stand und ohne Brille auch seine strahlend blauen Augen und seine Sommersprossen besser zur Geltung kamen. Das Einzige, was ihn etwas menschlicher wirken ließ, war ein krummer Schneidezahn.

Während sie sich alle um den OP-Tisch aufstellten, wehte ihr ein Hauch von Lucas’ Duft in die Nase. Wie es ein Londoner schaffte, nach Sommerluft, frisch gehacktem Holz und Orangen zu riechen, war ihr absolut schleierhaft. Sie begann, durch den Mund zu atmen, und fragte sich ununterbrochen, warum sie ihn nicht direkt in die Wüste geschickt hatte.

„Ellie?“

„Hmm?“

Lucas sah sie durchdringend an.

„Wollen wir dann anfangen?“

„Natürlich.“ Lächeln und nicken. Arbeite. Damit kannte sie sich aus. Sie nahm das Tablet und tippte Audreys Daten ein. Sie rief ein Dokument mit Details von Audreys letztem Besuch auf und legte es Lucas auf den Tisch.

„Etwa drei Jahre alt, nicht wahr?“, fragte er.

Caspian vergötterte ihn. „Oh mein Gott, so ist es! Woher wussten Sie das? Sind Sie auch so etwas wie ein Hundeflüsterer?“

„Ähm, nein, Ellie hat gerade ein Dokument für mich geöffnet.“

„Oh, ach so. Nun, ich bin mir sicher, dort sind nicht all ihre Details enthalten, wir waren hier nämlich erst einmal, als Aud einen Splitter hatte. Wir leben in London, wo Sie auch leben, wenn ich mich nicht irre?“ Caspian erzählte ohne Punkt und Komma darüber, wie es kam, dass er dieses Wochenende seine Tante Viola besuchte.

Ellie wurde hellhörig. Ihre Vermutung, dass Caspian einer der Großneffen von Viola Smythe-Bingham war, bestätigte sich. Viola hatte fünf Katzen, ein Paar Wolfshunde und eine Herde Alpakas, die alle unter Ellies Obhut waren.

Viola war sehr reich, sehr alleinstehend und hatte keine eigenen Kinder, woran ihre Familie sie stets erinnerte. Was ihre Verwandten nicht wussten, war, dass Viola eine unfassbar großzügige Spende für den Bau der neuen Tierklinik getätigt hatte, nachdem Ellie ihr Lieblingsalpaka Haribo vor dem sicheren Tod gerettet hatte. Sie hatte Ellie versprochen, ihr außerdem eine erhebliche Summe zu vererben. Die Zweiundneunzigjährige war allerdings immer noch auf Zack, und Ellie hoffte, sie würde ihnen noch viele Jahre erhalten bleiben.

Während Caspian ihm von Audreys Stammbaum, ihrem Hundetraining, ihrer besonderen Diät und Pflegeroutine vorschwärmte, tastete Lucas die Hündin ab. Als er am Bauch ankam, jaulte sie und versuchte, ihm auf den Arm zu klettern.

„Ihr Zahnfleisch ist etwas blass, und ihr Bäuchlein scheint wehzutun. Ellie, entschuldige, wo hast du dein Stethoskop?“

„Ähm, was?“

Caspian und Lucas sahen sie erwartungsvoll an.

„Dein Stethoskop.“

Sie presste ein kurzatmiges Lachen hervor. „Ich hatte ja gedacht, der Supertierarzt hätte sein eigenes ganz besonderes Stethoskop“, sagte sie schnippisch.

„Wie du weißt, bin ich nicht mehr der Supertierarzt.“

Caspian schnappte nach Luft und verlangte Details. Ellie zog ihr Stethoskop aus der Vordertasche ihres Kittels und reichte es Lucas.

Er legte es an und drückte das Bruststück vorsichtig auf Audreys kleinen Körper.

Caspian senkte ehrfürchtig den Kopf, während Lucas’ Züge einen attraktiven, hochkonzentrierten Ausdruck annahmen.

Nein, rügte sie sich, er war nicht attraktiv. Der Lucas Williams, für den sie ihn einmal gehalten hatte, existierte nicht mehr. Er war der liebste, großzügigste, einfühlsamste, intelligenteste, fürsorglichste Mann gewesen, den sie je gekannt hatte.

Aber dieser Typ? Der kam ihr wie ein Fremder vor.

Wir bauen uns eine Praxis auf, wir heiraten, wir gründen eine eigene Familie.

Uff. Warum tat es immer noch so weh?

Auf einmal fiel ihr das Atmen im Behandlungszimmer schwer. Sie musste sich konzentrieren. „Audrey ist also etwas durch den Wind?“

Caspian sah sie kurz an, wandte sich dann aber wieder Lucas zu und erklärte, wie besorgt er doch war, weil Audrey nicht mehr fraß. Während er herunterratterte, was sie alles zu Essen bekam, bemerkte Ellie, dass die Hündin Caspian beschnüffelte. Seine Tasche, um genau zu sein.

„Was haben Sie denn da drin? Käse?“

Caspian wurde todernst. „Nein. Das ist ihr besonderes Leckerli.“

„Das da wäre?“

„Gänsestopfleber. Normalerweise ist es etwas anderes, aber meine Audrey hasst doch Autofahrten so sehr, also habe ich ihr gestern Abend eine Schüssel voll gegeben, und heute Morgen noch einmal … aber nach der Fahrt …“ Ihm brach die Stimme, und er warf verzweifelt die Hände in die Luft. „Seit wir angekommen sind, hat sie sich mehrmals übergeben und tapst herum, als würde die ganze Welt auf ihren Schultern lasten. Ich habe versucht, ihr mehr davon zu geben, um sie aufzumuntern. Sie mag den Geruch, rührt es aber nicht an.“

Ellie versuchte, nicht wertend zu klingen, als sie erklärte: „Das liegt womöglich daran, dass Gänsestopfleber für Hunde giftig ist.“ Ist ja quasi pures Fett! Ein klassisches Rezept für eine Entzündung der Bauchspeicheldrüse.

Lucas trat einen Schritt zurück, wie die allgemeine Regel es besagte. Ein Tierarzt überbrachte die Neuigkeiten, und der andere nickte bestätigend.

Caspian war alles Blut aus dem Gesicht gewichen. „Sagen Sie etwa, ich habe meine wunderbare Audrey vergiftet?“ Er drückte die Hündin an sich, und sie sah mit traurigen Augen zu ihm auf, als würde sie sagen, ja, das hast du.

Lucas und Ellie legten sofort los – Ellie untersuchte Audrey genauer, während Lucas eine kleine Stelle an ihrem Bein rasierte und eine Tropfinfusion legte, um ihren Flüssigkeitshaushalt zu normalisieren. Es dauerte eine Weile, bis sie Caspian beruhigt und ihm versichert hatten, dass Audrey jetzt viel Ruhe brauchte und gerade unter ihrer Aufsicht am besten aufgehoben war, er sie aber jederzeit besuchen konnte.

„Und Sie rufen mich an, wenn irgendetwas … Sie wissen schon …“ Caspian versagte die Stimme.

„Ich verspreche Ihnen, dass wir Sie anrufen. Sie haben genau das Richtige getan, als Sie gemerkt haben, dass es ihr nicht gut geht. Wir kümmern uns gut um sie.“ Sie drückte ihm sanft die Schulter und fügte hinzu: „Richten Sie Ihrer Tante Viola ganz liebe Grüße aus, ja?“

„Natürlich, Darling.“ Caspian gab ihr ein Küsschen links und rechts auf die Wangen. „Und Entschuldigung wegen vorhin.“

Als er weg war, verdrehte sie die Augen und atmete tief durch, blieb dann aber wie angewurzelt stehen, als sie ihren Sohn auf sich zurennen sah.

„Maverick?“ Das Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals, und sie eilte zu ihm. „Was machst du denn hier?“

Er hielt ihr einen Notizblock und einen Kuli hin. „Ich will ein Autogramm vom Supertierarzt. Torky hat mir erzählt, dass er hier ist. Darf ich, Mummy?“

Seine kleine Stirn, die hoch war wie die seines Vaters, war gerunzelt, und seine blauen Augen sahen hoffnungsvoll zu ihr auf. Sie wuschelte ihm durch die blonden Haare. Wie konnte man zu so einem Gesicht Nein sagen?

„Ah, da bist du, Ellie. Ich dachte, wir sollten uns vielleicht kurz setzen und …“ Lucas stockte. Ellie kniete vor einem kleinen Jungen, der einen Notizblock und einen Stift in der Hand hielt. Seine Stirn war gerunzelt, als würde er komplizierte Informationen zu verstehen versuchen. Als er Lucas sah, fing er an zu strahlen, und sein breites Grinsen brachte Lucas direkt auch zum Lächeln.

„Mummy, schau mal! Da ist er! Er ist noch da!“

Mummy?! Ellie hat ein Kind?!

Sie stand so schnell auf, dass sie ins Schwanken geriet.

Intuitiv streckte Lucas eine Hand aus, um sie zu stützen, doch sie zuckte zurück, als hätte er sie verbrannt.

„Ich bin Maverick“, sagte der kleine Junge und hielt ihm den Notizblock hin. „Ich wollte dein Autogramm haben, aber meine Mummy hat gesagt, du bist schon wieder in London.“

„Lucas ist sehr beschäftigt, mein Schatz. Er hat eine Patientin.“ Sie deutete mit dem Kinn in Richtung einer älteren Dame, die geduldig mit ihrer Katze wartete.

Lucas warf Ellie einen irritierten Blick zu und erhaschte einen Anflug von Schuldgefühlen in ihrem Blick. Sie sah auf einmal blass aus, und ihre Hände zitterten, als sie abwinkte, um ihre Notlüge zu vertuschen. Da ist doch was im Busch. Lucas betrachtete den kleinen Jungen genauer, nahm seine Haarfarbe wahr, seine Augenfarbe, die etwas mandelförmigen Augen, die seinen eigenen glichen. Er hatte ein seltsames Déjà-vu-Erlebnis. Als würde er ein Foto von sich als Kind ansehen.

Er versuchte, das Alter des Jungen zu schätzen, und auf einmal traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitzschlag.

Maverick musste sein Sohn sein!

Sein Herz schlug so heftig, wie er es noch nie erlebt hatte.

Ein Blick zu Ellie und seine Vermutung bestätigte sich, als er die Tränen in ihren Augen sah. Um den kleinen Jungen nicht zu verschrecken, der offensichtlich keine Ahnung hatte, dass Lucas sein Vater war, kniete er sich vor ihn und nahm ihm den Notizblock ab. Dann unterschrieb er auf dem Papier und malte den charakteristischen Pfotenabdruck hinter das „s“ von „Williams“.

Er konnte nicht fassen, dass er einen Sohn hatte und ihn ausgerechnet auf diese Art und Weise kennenlernte. Als er zu Ellie aufsah, die ihn die ganze Zeit über mit starrem Blick angeschaut hatte, schüttelte sie vehement den Kopf, als wollte sie sagen: „Wag es ja nicht, ihm zu sagen, dass du sein Vater bist!“

Was sollte er also tun? Einfach gehen?

Auf gar keinen Fall.

Die verschiedensten Gefühle überrollten ihn. Freude. Stolz. Bedauern, weil er so unendlich viele wertvolle Momente verpasst hatte: Mavericks Geburt, sein erstes Wort, seinen ersten Zahn. Fassungslosigkeit darüber, dass Ellie ihm Maverick so viele Jahre lang vorenthalten hatte.

Er wusste, dass es zwischen ihnen nicht gerade schön geendet hatte, aber ihm ein Kind zu verheimlichen?! Sein Kind? Was zum Teufel hatte sie sich dabei gedacht? Dieser kleine Junge … dieser wundervolle kleine Junge war sein Sohn. Ellie hatte gewusst, dass ihm eine eigene Familie noch viel wichtiger gewesen war als ihre gemeinsamen Hoffnungen und Träume einer Tierarztpraxis. Eine Familie mit ihr! Doch das Leben hatte ihm diese Möglichkeit entrissen.

Und jetzt hatte er dank ihr die ersten fünf Jahre im Leben seines Sohnes verpasst.

Er zwang sich, seine rasenden Gedanken wegzusperren und rief sich in Erinnerung, dass er ihr auch seinen Sohn zu verdanken hatte. Einen wunderschönen, gesunden, fröhlichen kleinen Jungen. Doch jetzt gerade reichte seine Dankbarkeit bis dahin und kein Stück weiter. Sie hätte es ihm sagen sollen.

Er stand auf und sah ihr direkt in die Augen. „Wir müssen reden.“

Nachdem sie Maverick versichert hatten, dass er Lucas später die Welpen zeigen dürfe, mit denen Torky und er in der Zwischenzeit spielten, reichte Ellie mit zitternder Hand Lucas eine Tasse heißen Tee in der Kaffeeküche der Tierklinik.

„Milch und zwei Zucker“, sagte sie, bevor er fragen konnte. „Ähm, ja …“

„Ja, also …“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und bemerkte, wie aufgewühlt Ellie wirkte.

„Mav ist …“, setzte sie an, bevor ihr die Stimme versagte. „Maverick ist dein Kind. Falls du es dich gefragt hast.“

„Oh, das hatte ich mir schon ausgerechnet.“ Maverick war wie eine Miniversion von ihm. „Ich … Ells …“

„Nenn mich nicht so“, schnappte sie. Ihr Blick wanderte hektisch im Raum umher, doch sie sah ihn nicht an.

„Was? Soll ich Miss Stone sagen?“ Er linste auf ihre Hände. „Oder etwa Mrs.?“

„Nein“, fuhr sie ihn an. „Ich bin alleinerziehend.“

Ihn packte die Wut, weil sie all das allein hatte durchmachen müssen. „Das hättest du nicht tun müssen.“

Sie verdrehte die Augen. „Ach, ist das so? Ich dachte ja, als du unsere Verlobung aufgelöst hast, hieß das, dass du mich nicht heiraten wolltest.“

Sie setzte an, um weiterzusprechen, überlegte es sich dann aber anders und presste entschlossen die Lippen aufeinander. Offensichtlich hatte sie noch viel mehr auf dem Herzen, doch sie würde es ihm nicht leicht machen. Gewissermaßen hatte er das verdient, doch ihm vorzuenthalten, dass er einen Sohn hatte? Das war absolut unverzeihbar.

„Also … hast du es mir dann … wegen der Trennung nicht gesagt?“ Das war kein besonders gelungener Einstieg, doch er würde nicht zulassen, dass sie sich jetzt wieder in ihr Schneckenhaus zurückzog.

Ellie hob die Augenbrauen. „Bist du wirklich so ahnungslos? Lucas, es gab Tausende Gründe, warum ich es dir nicht gesagt habe.“

Er brodelte so vor Wut, dass er sich zwang, einen Schluck von dem süßen Tee zu nehmen, um sich zu beruhigen. Am liebsten hätte er sie angeschrien, dass nichts auf der Welt wichtiger war als Familie und Maverick sein Sohn war!

Die kurze Stille erinnerte ihn daran, dass er damals auch eine schlimme Zeit durchgemacht hatte … ihr war es wohl ähnlich ergangen.

„Wie wäre es, wenn du mir einen davon nennst?“, fragte er mit bemüht ruhiger Stimme.

Mit zusammengekniffenen Augen massierte sie sich die Nasenwurzel. Als sie ihn wieder ansah, erkannte er in ihrem Blick statt Schuldgefühlen und Angst Stärke und die Liebe einer Mutter, die fest entschlossen war, ihren Sohn zu beschützen. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass du in einer Lebenssituation warst, in der du zusätzlich zu deinen anderen ‚wichtigeren‘ Verantwortungen auch noch mit einem Sohn klargekommen wärst.“

Er zuckte zusammen, denn ihre Worte katapultierten ihn zurück in eine Zeit, die er lieber vergessen hätte. „Es war kompliziert.“

„Kompliziert?“ Ellie lachte trocken. „Mir kam es ziemlich eindeutig vor. Du hast mich verlassen, um ‚deiner Familie zu helfen‘, und dann bist du zum Liebling der Medien geworden … ohne mich.“

„So war es nicht, Ellie.“ Er hatte keine andere Wahl gehabt.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast behauptet, ich wäre ohne dich besser dran. Gib es zu, Lucas.“ Es ging dir nicht darum, mich vor Düsternis zu bewahren, sondern darum, deinen eigenen Stern heller leuchten zu lassen.

Das stieß ihm sauer auf. So dachte sie also über ihn? Hatte sie deshalb ihr Kind von ihm ferngehalten? „Dich abzuweisen habe ich nie gewollt, Ellie. Ich musste meiner Familie helfen, und wie schon gesagt, das war alles sehr kompliziert damals.“

Ellie funkelte ihn wütend an. „Du hast recht, was weiß ein Mädchen vom Lande wie ich schon über solche komplizierten Stadtdinge.“

„Ellie, hör auf damit! Mach dich selbst nicht so herunter.“

„Das fällt mir schwer, wenn ich der Person gegenübersitze, von der ich naiverweise dachte, ich würde für sie immer an erster Stelle kommen.“

Ihre Worte trafen ihn wie ein Schlag in die Magengrube.

Ellie barg das Gesicht in den Händen und atmete ein paarmal tief durch. Schließlich ließ sie die Hände sinken und blickte ihm in die Augen. „Ich hatte vor, dich anzurufen, nachdem ich erfahren hatte, dass ich schwanger war.“

„Wann war das?“, fragte er aus ehrlichem Interesse.

„Etwa neun Wochen nachdem du dich für ein Leben im Rampenlicht und gegen eines auf dem Land entschieden hast.“ Mit spitzen Fingern nahm sie einen Schluck von ihrem Tee, während sie ihn weiterhin fixierte. „Und für eine neue Freundin.“

Es fühlte sich an, als hätte sie ihm ein Messer zwischen die Rippen gerammt. „Was? Ich hatte keine neue Freundin!“

„Katrina Shandwick war da sicher anderer Ansicht“, konterte Ellie und musste sich von ihm abwenden, um die Tränen in Schach zu halten, die ihr in die Augen geschossen waren.

Katrina Shandwick war seine Produzentin gewesen. Sie hatte darauf bestanden, ihn zu unzähligen Galas zu begleiten, hauptsächlich, weil er keine Ahnung gehabt hatte, wie er mit der Presse umgehen musste, doch zwischen ihnen war nie mehr gewesen.

Als Ellie geräuschvoll ihre Tasse abspülte, hätte ein Teil von ihm sie am liebsten in den Arm genommen, doch sein Bauchgefühl sagte ihm, dass das eine dumme Idee war, schließlich stand auf dem Spiel, wie oft er seinen Sohn in Zukunft sah.

„Ells … äh Ellie“, korrigierte er sich sofort, „glaubst du wirklich, ich hätte mich so bald nach unserer Trennung mit einer anderen Frau eingelassen? So bin ich nicht. Das weißt du, du kennst mich besser als irgendwer sonst.“

Sie schnaubte. „Du meinst wohl eher, ich habe dich gekannt. Diesen Typen hier?“ Sie gestikulierte vage in seine Richtung. „Keine Ahnung, wer das ist. Du hattest dich über Nacht verändert. Auf keinen Fall hätte ich zugelassen, dass du auch nur in die Nähe meines Sohnes kommst.“

Unseres Sohnes, korrigierte er sie in Gedanken. „Ellie, hier sind einige Missverständnisse entstanden. Ich glaube, du verstehst nicht ganz, wa…“

„Du hast recht!“, schnitt sie ihm das Wort ab, „ich verstehe gar nichts. Ich verstehe nicht, wie du mich sechs Jahre lang ignorieren konntest und dann einfach hier reinstolzierst …“

„Ich bin ja wohl kaum stolziert!“

„Du machst Selfies im Wartebereich, nimmst mir meine Patienten weg?“ Sie sah ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue gebieterisch an. „Brauchst ewig, um Audrey zu diagnostizieren?“ Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, als ihr eine Idee kam.

„Oh, mein Gott. Du hast gewartet, nicht wahr? Du hast gewartet, bis ich herausgefunden habe, was sie hat, um mir einen Gefallen zu tun – und das vor meinem eigenen Patienten. Was zum Geier soll das, Lucas? Ich brauche das nicht. Schon gar nicht von dir.“

Er wollte protestieren, doch sein Einwand kam zu spät.

Wieder rieb sie sich genervt das Gesicht.

„Kannst du nicht einfach gehen? Verschwinden und so tun, als wäre nichts hiervon je passiert?“

„Jetzt, wo ich weiß, dass ich einen Sohn habe? Auf gar keinen Fall.“

„Also schön“, sagte sie schließlich. „Aber du bleibst nicht hier.“

„Aber Henry hat gesagt, du bräuchtest Hilfe.“

„Nun ja. Dank des Angebots, das du Henry gemacht hast, kann ich nicht anders, als deine Hilfe in der Klinik anzunehmen. Aber was ich meinte, war, du wirst nicht hier übernachten.“ Sie warf ihm einen Blick zu, der Bände sprach. Sie hatte immer noch Gefühle für ihn, wenn auch wohl keine angenehmen. Verdammt, warum war das alles so kompliziert?

„Nicht, bis ich entschieden habe, wie wir meinem Sohn sagen, dass du sein …“ Statt den Satz zu beenden, schüttelte sie sich und stand auf. „Mav und ich wohnen oben in einer Zweizimmerwohnung, und alle Betten sind belegt. Henry lebt in der Gästewohnung nebenan, gleicher Sachverhalt. Du übernachtest …“ Langsam formten sich ihre Lippen zu einem zufriedenen Lächeln. „Im Hungrigen Pelikan“, beendete sie den Satz.

„Was? Bei deinen Eltern?“

Mit einem unschuldigen Augenaufschlag fragte Ellie: „Du wirst doch keine Angst vor meinen Eltern haben, oder? Nachdem du ihrer einzigen Tochter das Herz gebrochen, sie verlassen und all ihre Hoffnungen auf Liebe zerstört hast und sie ihren Sohn allein aufgezogen hat?“

Lucas klatschte in die Hände und rieb sie. „Ach was. Wenn ich mich richtig erinnere, wohnen sie etwa zwei Autominuten entfernt von hier, oder?“

„Oder zehn Minuten zu Fuß“, antwortete sie schnippisch. „Die Bewohner von Dolphin Cove ziehen es vor, die Stadtmenschen und ihre großen, schicken Autos aus dem Stadtzentrum fernzuhalten. Um das Gefühl vom Landleben zu erhalten.“

Lucas hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Grinsen zu verbergen. Da war sie wieder – die Ellie, die er kannte, die klammheimlich das Beste aus allen Menschen herausholte, ob sie es wollten oder nicht. „Umso besser. Sag Bescheid, wenn es losgehen kann, ich bin bereit.“

3. KAPITEL

Ellie öffnete schwungvoll die Tür zum Pub und stapfte hinein.

„Hallo, Liebes!“, trällerte ihre Mutter, die hinter der Durchreiche in der Küche stand, wo sie köstliche Mahlzeiten zubereitete und sie dann der Bedienung hinstellte. „Ich hatte dich heute Abend gar nicht erwartet.“

„Ich hab dir einen Gast mitgebracht“, sagte Ellie knapp. „Einen zahlenden Gast.“

„Eigentlich“, korrigierte Lucas sie leise, „gehöre ich ja zur Familie. Aber“, er hob die Stimme wieder, „ich zahle gerne.“ Ein eiserner Wille klang in seiner Stimme mit, den sie so nicht von ihm kannte. Sofort hatten die Schuldgefühle, die seit sechs Jahren ihr stetiger Begleiter waren, sie wieder fest im Griff. Dass ihre Mutter sich nun vor ihnen aufbaute, half auch nicht gerade.

Lucas trat hinter ihr hervor. „Hallo, Mrs. Stone. Ist lange her …“

Ihre Mum hob die Hand, ihr Gesichtsausdruck war unmöglich zu deuten. „Halt, einen Moment.“ Wyn verschwand und kam kurz darauf mit Ellies Vater Gordon zurück. Normalerweise wirkte er wie eine Mischung aus dem Weihnachtsmann und einem freundlichen Seemann. Momentan sah er allerdings aus wie jemand, dem man nachts nicht auf der Straße begegnen wollte.

„Lucas“, sagte er kurz angebunden.

„Lucas“, sagte auch Ellies Mum, allerdings mit einer Wärme in der Stimme, die Ellie etwas unangenehm war.

„Was kann ich dir zu trinken bringen?“

Ellie starrte sie wütend an. Sollten sie nicht alle gemein zu Lucas sein? Ihre Mutter starrte zurück. Ihr Blick sagte: Das ist der Vater deines Kindes. Das ist längst überfällig, junge Dame.

Hmpf. Es war ja wohl ihr gutes Recht, pampig zu sein, immerhin hatte sie fünf Jahre lang versucht, diesen Moment, in dem sie ihrem Sohn erklären musste, dass er einen Vater hatte, hinauszuzögern …

„Ein Wasser reicht, danke“, sagte Lucas schließlich.

Gordon nickte und ging wieder hinter die Bar. „Ich vermute, du willst ein Glas Wein, Ellie?“

Sie nickte. „Ein großes, bitte.“ Normalerweise trank sie unter der Woche nicht, aber besondere Umstände erforderten besondere Maßnahmen.

„Wo ist …“, setzte Wyn an und schlug dann die Hände vor dem Mund zusammen.

„Keine Sorge, Mum, er weiß es schon.“ Ellie warf Lucas einen kurzen Blick zu, und er hielt ihr dankenswerterweise keine Moralpredigt vor ihren Eltern. Er erzählte auch sonst keine unangenehmen Anekdoten von ihrem Tag, und selbst ihr Spaziergang zum Pub war erträglich gewesen. Er hatte ihr Komplimente zur Klinik gemacht, was nur angemessen war, und hatte wissen wollen, wie sie es geschafft hatten, auf einem zehn Hektar großen Grundstück eine so beeindruckende Einrichtung zu errichten.

Ehrlich gesagt war er genauso gewesen wie der Lucas, den sie vor sechs Jahren gekannt hatte, nur dass sie jetzt nicht mehr alles übereinander wussten. Damals hatte es sofort zwischen ihnen gefunkt, als sie sich zum ersten Mal gesehen hatten. Heute war es immer noch genauso.

„So, bitte schön.“ Gordon brachte ihnen die Getränke zu einem ruhigen Tisch im hinteren Bereich des Pubs. Es war ein lauer Abend, weshalb die meisten Gäste draußen saßen.

„Also schön, Lucas. Was führt dich hierher?“, fragte ihre Mutter.

Ellie wollte schon an seiner Stelle antworten, hielt sich aber zurück.

„Der offizielle Grund ist, dass ich Henry ersetzen soll.“

„Aha?“ Ihre Mutter warf ihr einen fragenden Blick zu, und Ellie bedeutete Lucas mit hochgezogenen Augenbrauen, die Sache aufzuklären.

„Mein Vertrag für den Supertierarzt war ausgelaufen und hätte erneuert werden können, aber ich hatte das Gefühl, dass die Zeit gekommen war, das Staffelholz abzugeben.“

Wyn spuckte fast ihren Wein aus. „Ich dachte, das wäre es, was du wolltest. Die Sendung.“

Lucas warf Ellie einen fragenden Blick zu. Warum um alles in der Welt hatte sie ihren Eltern die Situation mit seiner Familie nicht erklärt?

Weil ihr der Kopf schwirrte und sie zum Denken nicht mehr fähig war, als er ihr gesagt hatte, dass er sie doch nicht heiraten könne, deshalb. Als sie langsam angefangen hatte, zu begreifen, was Lucas damals durchmachte, hatte sie erfahren, dass sie schwanger war, und er war dauernd mit dieser anderen Frau am Arm über rote Teppiche gelaufen und … nun ja.

„Die Sendung war nur ein Mittel zu einem Zweck“, erklärte Lucas. „Der Parkinson meines Vaters hatte unsere Klinik in eine schwierige finanzielle Lage gebracht, und mein Bruder – er ist eigentlich auch Tierarzt …“ Ein düsterer Ausdruck huschte über Lucas’ Züge. „Jonty hatte mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen.“ Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Sagen wir einfach, es gab viele Faktoren, die meine Entscheidung beeinflusst haben, die Sendung zu machen, und genauso viele, damit wieder aufzuhören.“

Eine Bedienung bat ihre Eltern um Hilfe, und Ellie bekam kaum mit, wie sie sich entfernten, weil sie endlich zu verstehen begann, wie es damals für Lucas gewesen sein musste.

Hatte er sich tatsächlich so hin und hergerissen gefühlt? Sie hatte ihm das damals nicht abgekauft. An einem Tag machte er ihr einen Heiratsantrag, am nächsten nahm er ihn wieder zurück. Wer tat so etwas?

Doch … vielleicht war es gar nicht sein eigener Wunsch gewesen. Verzweifelt versuchte sie sich zu erinnern, was genau er damals zu ihr gesagt hatte.

Es hat eine Planänderung gegeben. Meine Prioritäten haben sich geändert. Ich will dich nicht mit runterziehen.

Ab dann hatte sie nicht mehr zugehört. Das Blut hatte so laut in ihren Ohren gerauscht, und sie hatte an nichts anderes mehr denken können, als dass die Liebe ihres Lebens sie gerade abserviert hatte.

Aber hatte er das überhaupt getan?

Es hat eine Planänderung gegeben.

In Gedanken wiederholte sie seine Worte wieder und wieder.

Ich will dich nicht mit runterziehen.

Hatte Lucas die Sendung womöglich gemacht, weil er musste?

Er kaute auf seiner Unterlippe herum, und das Blut wich aus seinem vollen, zum Küssen einladenden Mund. Sie hätte nicht gedacht, dass sie ihn noch einmal wiedersehen würde. Lucas flehte sie mit Blicken an, ihr alles erklären zu dürfen.

Sie machte eine Handbewegung, dass er fortfahren sollte.

„Seit Dad gestorben ist, ha…“

„Moment mal, dein Vater ist gestorben?“

„Wusstest du das nicht?“ Lucas wirkte ehrlich überrascht.

„Nein, ich … das tut mir leid. Das war sicher nicht leicht für dich.“

Lucas nickte und ließ die Schultern hängen, als würde er den Verlust seines Vaters erneut durchleben.

„Deiner Mutter geht es aber gut?“

„Es geht ihr schon besser.“ Sein Blick war voller Kummer, als er sie kurz ansah.

Instinktiv zog sie ihn für eine feste Umarmung an sich, ließ ihn aber genauso schnell wieder los, derart überwältigte sie sein Duft und wie vertraut sich sein Körper anfühlte. Sie nahm einen großen Schluck Wein und sagte dann mit heiserer Stimme: „Wie wirst du ihr von Maverick erzählen?“ Sie ließ den Kopf in die Hände sinken und stöhnte. „Nein, beantworte das nicht. Ich habe ja nicht einmal die leiseste Ahnung, wie ich Mav verklickern soll, dass sein Fernsehheld sein Vater ist.“

„Ich bin sein Held?“ Lucas begann zu strahlen.

„Na ja.“ Sie wurde direkt wieder schnippisch. „Im Fernsehen zumindest.“

Und dann mussten sie beide völlig überraschend lächeln, und es traf Ellie wie ein Pfeil ins Herz.

Gefährlich? Auf jeden Fall.

Würde sie es zulassen?

Im Geiste drehte und wendete sie diese Möglichkeit eine Zeit lang. Vielleicht würde sie es für Maverick in Erwägung ziehen, aber nur, wenn sie sich sicher war, dass Lucas ihren Sohn niemals im Stich lassen würde.

Ellies Eltern kamen in dem Moment an den Tisch, als Lucas ihre Hand nahm und sagte: „Wir müssen reden.“

Wyn machte auf dem Absatz kehrt und drehte ihren Ehemann mit einem kecken Lächeln um die eigene Achse. „Schatz? Ich glaube, wir werden in der Küche gebraucht.“

„Oh, alles klar.“ Gordon klopfte einmal auf den Tisch. „Dann lassen wir euch beide … ähm … dann lassen wir euch mal reden.“

Ellie und Lucas konnten sich das Grinsen nicht verkneifen, als Wyn ihren Ehemann auf dem Weg in die Küche vor sich herschob und sie dann so taten, als würden sie sie nicht beobachten.

„Wir gehen spazieren“, rief Ellie in Richtung Küche, bevor sie mit Lucas zur Tür hinausging. Ihre Mutter warf ihr einen dieser Blicke zu, die sagten: Wehe, du versaust das, junge Dame.

Als sie den Pfad zum Strand erreicht hatten, wandte sie sich ihm zu, und ihr wurde plötzlich übel. „Warum bist du hier, Lucas?“

„Du redest nicht um den heißen Brei herum, stimmt’s, Ells?“ Er lachte und korrigierte sich dann schnell. „Tut mir leid. Ellie. Eleanor? Soll ich dich ab jetzt Eleanor nennen?“

„Quatsch!“ Sie haute ihm spielerisch auf den Oberarm, denn es kam ihr total albern vor, nach allem, was zwischen ihnen passiert war. „Komm schon, beantworte die Frage. Warum bist du hier? Wohl kaum, weil du Arbeit brauchst.“

„Nein“, gab er zu, und seine Züge wurden ernst, während sie gemächlich nebeneinanderhergingen. „Aber ich will hier arbeiten.“

Sie schürzte die Lippen. „Also bitte, du bist berühmt! Du könntest überall arbeiten, wo du willst.“

Er blieb stehen und drehte sie zu sich um. Sie spürte seine warmen Hände durch ihr leichtes Leinentop hindurch. „Ich will mit dir zusammenarbeiten. Es hat mir nie gefallen, wie das zwischen uns geendet hat, und ein naiver Teil von mir glaubte, dass, wenn ich hierherkommen würde …“ Er löste die Hände von ihren Schultern. „Ich hatte keinen genauen Plan, aber als Henry mir sagte, dass er hier arbeitet, als ich ihn vor einem Monat ange…“

„Vor einem Monat?“

Lucas nickte und sah genauso verwirrt aus, wie sie sich fühlte. „Ja. Ich habe ihn vor einigen Wochen angerufen und habe ihn gefragt, ob er die Sendung übernehmen will. Solche Dinge passieren nicht über Nacht.“

Also wollten nicht nur ihre Eltern, dass sie Lucas die Wahrheit sagte. Henry wollte es auch. Sie wusste, dass Drew derselben Meinung war, doch er hätte es nie zugegeben. War das hier eine Botschaft vom Universum an sie, dass sie all die Jahre falschgelegen hatte?

„Ellie.“ Lucas sah sie mit einem Blick an, der ihr durch Mark und Bein ging. „Ich bleibe hier.“

Sie funkelte ihn an. Das war nicht seine Entscheidung, sondern ihre!

Oder etwa nicht?

Wieder gingen ihr seine Worte von vor sechs Jahren durch den Kopf.

Hatte Lucas tatsächlich versucht, sie vor etwas zu schützen? Hatte er sicherstellen wollen, dass sie ihre Träume verwirklichen konnte? Warum hatte er nicht gewusst, dass er ein Teil ihrer Träume gewesen war?

Er stand geduldig vor ihr, sein Blick voller Erwartung. Er wirkte wie ein Fels in der Brandung. Diese Entschlossenheit stand ihm verdammt gut. Außerdem war er der einzige Tierarzt im Land, der Henrys Operationen würde übernehmen können.

„Ach, was soll’s.“ Ihr Widerstand bröckelte. „Es wäre wirklich gut, wenn du bleiben und für uns arbeiten könntest, aber wir müssen uns überlegen, wie wir das mit Maverick machen.“

„Wir?“, hakte er nach und Hoffnung leuchtete in seinen Augen.

„Ich“, korrigierte sie sich. „Es wird deine Aufgabe sein, mir zu beweisen, dass du meine Wünsche respektierst. Und die meines Sohnes.“

Wieder schluckte Lucas den Wunsch, sie zu verbessern herunter. Er würde dafür sorgen, dass er am Leben seines Sohnes teilhaben konnte, und nichts und niemand konnte ihn davon abhalten, nicht einmal Mavs Bärenmutter. Sie entfachte zwar alle möglichen Gefühle in ihm, die er lange schon für erloschen gehalten hatte, aber am hellsten brannte die Flamme für Mav, seinen Sohn.

An einer Weggabelung deutete Ellie auf den sandigen Pfad, der von hohem Strandgras gesäumt war. „Wenn wir hier entlanggehen, kommen wir zum Strand, der zur Klinik gehört.“

„Ein Grundstück mit Strand. Nicht schlecht, Ellie.“ Er war beeindruckt.

Nach einer Kurve lag die idyllische Bucht vor ihnen, und ein Stück weiter oben strahlten die Fenster der Tierklinik einladend vor dem dunkler werdenden Abendhimmel.

Ellie seufzte. „Ja, wir haben das schon ganz gut hingekriegt“, entgegnete sie, doch sie klang nicht gerade überzeugt.

Ihm war es ähnlich ergangen. Die grellen Lichter und die ständige Pflicht, in seiner TV-Rolle zu bleiben, hatten ihm nie besonders gut gefallen.

Was geschehen ist, ist geschehen. Das Einzige, was er jetzt tun konnte, war, nach vorne zu sehen. Er öffnete die Arme und deutete auf die Klinik. „Ganz gut? Wohl eher fantastisch, Ells. Sieh doch nur, was ihr erreicht habt! Ihr habt diese unglaubliche Klinik gebaut mit einer chirurgischen Abteilung …“

„Einem Streichelzoo und einem Gemeindezentrum“, ergänzte Ellie und ihre leicht gebräunten Wangen erröteten. Der Stolz auf ihre Leistung, den sie sich bisher offensichtlich noch nie erlaubt hatte, fügten ihren ein Meter siebzig scheinbar einige Zentimeter hinzu. Spontan streckte er die Hand aus und drückte ihre Schulter. Kurz ließ sie die Berührung zu, doch dann war da wieder diese Distanz zwischen ihnen.

„Du kannst stolz sein, Ellie! Ihr habt so viel erreicht.“

Lange sahen sie einander einfach nur an, Abertausende Fragen in den Augen, bis die Spannung zwischen ihnen förmlich greifbar wurde. Lucas machte einen Schritt auf sie zu. Ihn überkam das überwältigende Bedürfnis, sie zu umarmen und ihr zu versprechen, dass sie sich nie wieder so fühlen musste, doch ihre Hand auf seiner Brust erstickte es im Keim.

„Lass uns darüber reden, wie wir es Mav sagen. Und das reicht fürs Erste.“

Sie hatte recht. Er hatte eine Grenze überschritten, aber verdammt noch mal! Er hätte alles in seiner Macht Stehende getan, um bei ihnen zu sein, hätte er gewusst, dass er einen Sohn hatte. Was allerdings folgende Frage aufwarf: Warum hatte er Ellie nicht in seinem Leben haben wollen, während er seine Familienprobleme löste?

Er hatte gedacht, er hätte sie beschützt.

Aus der kleinen Eichel … wird ein mächtiger Baum.

Nachdem er ihr den Antrag gemacht hatte, waren sie spazieren gegangen. Sie hatten über all ihre Hoffnungen und Träume gelacht. Verrückt, wenn man bedachte, dass sie kein Geld, keine Klinik und keine Kunden gehabt hatten. „Ach, was solls“, hatten sie gesagt, „aus der kleinen Eichel …“ Sie hatten sich unter einer alten Eiche geküsst, die sicher schon mehrere Hundert Jahre alt gewesen war, und hatten beschlossen, dass sie stets Liebe und Güte in die Welt tragen wollten.

An diesem Abend hatte er seinen Vater anrufen wollen, um ihm die gute Nachricht zu überbringen, doch der war ihm zuvorgekommen und hatte ihm gestanden, dass die Lage zu Hause alles andere als rosig war. Das war die größte Untertreibung des Jahrzehnts gewesen.

Nachdem Lucas dort angekommen war und von den Schulden, der in Schwierigkeiten geratenen Klinik, dem immer schwieriger werdenden Kampf seines Vaters gegen Parkinson und seinem von der Bildfläche verschwundenen Bruder gehört hatte, war ihm alles zu viel geworden. Er hatte sich voll darauf konzentrieren müssen. Die Belastbarkeit ihrer Beziehung hatte er nicht auf die Probe stellen wollen, nicht solange Ellie noch alle Optionen offenstanden.

Als hätte sie seine Gedanken gelesen, fragte sie: „Warum war ich dir nicht genug?“

„Es lag nicht an dir, ehrlich.“

Sie riss die Augen auf. „Du hast gesagt, du liebst mich. Du hast mich gefragt, ob ich deine Frau werden will. Wie hätte ich das nicht persönlich nehmen können?“ Bevor er etwas erwidern konnte, zeigte sie auf eine Holzbank weiter unten am Strand, wo sie sich niederließen. „Hier geht es nicht mehr nur um dich und mich. Komm, lass uns das klären, bevor ich meine Meinung ändere. Maverick hat Priorität.“

„Ich stimme dir zu“, sagte Lucas und schluckte die Gewissensbisse herunter. So viel dazu, dass er vorgehabt hatte, nach ein paar Wochen in Cornwall mit Ellie Frieden zu schließen und dann zu seinem Leben zurückzukehren. Ellie würde jetzt für immer in seinem Leben sein. Es lag nun an ihnen, welche Form ihre Beziehung annehmen würde. Zum Wohl seines Sohnes wünschte er sich, es würde eine freundschaftliche werden.

Sie saß auf dem wettergegerbten Baumstamm und zupfte an ihren rotblonden Locken, die in der Sonne in den verschiedensten Nuancen leuchteten. „Wie du von Henry weißt, hatte Drew einen furchtbaren Autounfall.“

Lucas nickte. Er würde ihn besuchen, wenn es zeitlich passte. Seine Priorität war allerdings, für Ellie da zu sein, und sobald es möglich war, auch für Maverick. „Ich arbeite gerne so lange, wie du mich brauchst.“

Ellie grinste. „Es wird länger sein als deine Stunden als Fernsehtierarzt.“

Fast hätte er die Augen verdreht. Dass die Leute immer dachten, vor der Kamera zu stehen, sei einfach. Er ließ es auf sich beruhen. Ellie konnte nicht wissen, wie viel zusätzliche Arbeit neben den Dreharbeiten noch Teil seines Jobs gewesen war, und es spielte jetzt auch keine Rolle mehr.

„Ellie.“ Lucas drehte sich auf der Holzbank zu ihr um. „Du denkst, ich hätte mich verändert, aber eigentlich bin ich immer noch der Lucas, den du aus der Veterinärhochschule kennst.“ Er hob die Hand, damit sie ihn ausreden ließ. „Ich weiß, du nimmst mir das nicht ab, und manches habe ich damals vielleicht auch nicht gut erklärt, aber wenn du mich lässt …“ Er sah Ellie an und erhaschte einen schmerzvollen Blick in ihren Augen, bevor sie ihn sorgfältig verbarg. „Es muss auch nicht jetzt sein“, beschwichtigte er sie. „Ist es für dich in Ordnung, wenn Maverick erfährt, dass ich sein Vater bin?“

Ellie schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen und sah ihn zwischen den Fingern hindurch an. „Gott, ist das seltsam.“

„Was denn?“

„Zu hören, wie du Mavericks Namen sagst und als Vater Verantwortung für ihn übernimmst.“

Ein weiterer zielgerichteter Faustschlag in den Magen. Sie traute ihm nicht. Verständlich. Ihr Vertrauen würde er sich also auch erarbeiten müssen.

„Ich will sein Vater sein, Ellie. Ich weiß, dass ich die Jahre nicht aufholen kann, die ich verpasst habe, aber ich schwöre dir hier und jetzt, dass ich alles Menschenmögliche tun werde, um ihm ein guter Dad zu sein.“

Eine wilde Mischung an Emotionen spiegelte sich in ihrem Blick. Da waren Hoffnung, Angst und die Frage: Wie kann ich dir glauben, nachdem du mich verlassen hast, wo ich dich am dringendsten gebraucht hätte?

Er hatte bisher nur wenige Minuten mit dem Jungen verbracht, aber vom ersten Treffen an war ein Urinstinkt in seinem Inneren zum Leben erwacht. Er fühlte eine tiefe Verbindung zu ihm und würde alles für ihn tun, ihn beschützen, sich um ihn kümmern, ihn lieben. Er war jetzt ein Vater, und er würde alles in seiner Macht Stehende tun, damit sein Junge wusste, dass beide Eltern ihn sehr lieb hatten.

Ellie streckte die Beine aus. „Ich will nicht, dass du ihm Dinge versprichst, die du nicht halten kannst.“

„Das würde ich nie tun.“

Sie schürzte die Lippen. Er konnte fast wieder spüren, wie der Verlobungsring von seiner Brust abprallte, den sie damals auf ihn geworfen hatte, bevor sie aus seinem Leben gestürmt war. „Das werden wir ja sehen.“

Dann sprachen sie über das Organisatorische. In den Ferien lernte Mav Surfen, ging zum Naturwissenschaftscamp und half außerdem im Streichelzoo aus. Dort zeigte er anderen Kindern, dass es Spaß machte, Ziegen zu streicheln und dass Kühe raue Zungen, aber keine oberen Schneidezähne hatten. Er verbrachte gerne Zeit mit Tegans Zwillingsbruder Torky bei den Welpen und machte immer noch Mittagsschlaf. Die Schule ging im September wieder los. Mav liebte Bücher, also würde es viele Geschichten vorzulesen geben.

Die Liste war lang, aber im Gegensatz zu seinen Pflichten beim Supertierarzt gefiel ihm jeder einzelne Punkt davon. Sein Respekt für Ellie wuchs mit jedem weiteren Detail, das sie ihm aufzählte. „Wie kriegst du das alles hin? Mutter sein und eine Klinik leiten?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist schwer, aber Mum und Dad sind großartig, und Drew ist ein toller Onkel. So ziemlich das ganze Dorf hat uns schon geholfen, weil alle wollen, dass ich mich um ihre Tiere kümmere, und in den ersten Jahren ging das nur, wenn Mav dabei war.“

„Du hast ihn mitgenommen?“

„Ich hatte ja keine andere Wahl.“ Ihre Blicke trafen sich.

Keine andere Wahl. Das hatte er damals auch von seiner Situation gedacht.

„Also ich stelle mir das Ganze so vor: Falls und nur falls Maverick die Neuigkeiten gut aufnimmt, kannst du die acht Wochen hierbleiben, die du in der Klinik gebraucht wirst. Und danach müssen wir mal sehen … Heute Nacht bleibst du erst mal im Pelikan. Ich bin mir sicher, meine Mum hat eine Million Fragen an dich. Danach würde ich sagen, ist es am besten, wenn du in die Gästewohnung ziehst, ich habe nämlich in letzter Zeit viel zu oft den Notfall-Nachtdienst übernommen.“

Er musterte sie mit professionellen Augen und stellte fest, dass sie sehr müde wirkte. Es musste sehr anstrengend gewesen sein, für ihren Partner einzuspringen.

„Das ist sehr viel Arbeit für eine Person, Ellie“, sagte er mitfühlend.

Sie fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. „Jep. Na ja, wir sind ein junges Unternehmen, das auf ein ehrgeiziges Ziel hinarbeitet. Normalerweise bringe ich Mav zu meiner Mum, wenn ich nachts Dienst habe, aber es wäre natürlich schöner, wenn man ihn nicht aufwecken muss. In Zukunft wecke ich dann also dich auf. Herzlich willkommen im Elterndasein!“ Sie ratterte noch einige Details herunter, welche Mavs Lieblingsschlafanzüge und Lieblingskuscheltiere waren, wie er seine Kopfkissen positioniert haben wollte, dass er Angst vor der Dunkelheit hatte, und dass man deshalb niemals die Lampe auf seiner Kommode ausschalten durfte. „Und er mag deine Sendung“, sagte sie und schenkte ihm ein vorsichtiges Lächeln.

„Also, Ellie Stone. Ist das etwa ein Kompliment?“

„Nein.“ Sie stand auf und wich seinem Blick aus. „Nur eine Tatsache.“

„Apropos Tatsachen. Was hast du ihm über seinen Vater erzählt?“

Sie zuckte mit den Achseln. „Nicht viel. Nur dass ich ihn geliebt habe und dass nicht alle Kinder einen Papa in ihrem Leben haben – ein bisschen wie im Tierreich. Weißt du, Papalöwen bleiben nicht beim Rudel, um Babylöwen zu zeigen, wie die Welt funktioniert, weil sie auf die Jagd gehen müssen und ihr Territorium verteidigen müssen.“

Er schnaubte. Es wunderte ihn nicht, dass Ellie Löwen als Beispiel dafür angeführt hatte, warum Mamas bei ihren Kindern blieben und Papas nicht. Eigentlich war es ein ganz guter Vergleich. Ellie hatte hier eine wunderbare „Löwenhöhle“ erschaffen, einen Ort, wo sie sich um ihren Sohn kümmern, ihn beschützen und aufziehen konnte. Und währenddessen hatte Lucas sie beschützt. Natürlich sah sie das gerade nicht so, aber eines Tages vielleicht. Wunder geschehen. Wie dieses: Er hatte einen Sohn!

Sie klatschte in die Hände. „Also schön. Dann lass es uns mal hinter uns bringen gehen, hm? Danach kannst du dann wieder zu Mum und Dad rübergehen. Mav wird bestimmt viele Fragen an dich haben, und wir haben beide morgen einen langen Tag.“

Auf dem Weg zurück zur Klinik stellte Lucas fest, dass er ein Dauergrinsen im Gesicht hatte. Ein völlig neues Leben lag vor ihm, und er konnte es kaum erwarten. Los gehts!

4. KAPITEL

Maverick glotzte Ellie an, dann Lucas und dann wieder Ellie. „Jetzt ohne Mist?“

Ellie nickte benommen, sie stand selbst noch etwas unter Schock. Sie hatte ihrem Sohn gerade gesagt, wer sein Vater war.

Maverick schlug unter seiner Bettwäsche mit gefährdeten Tierarten die Beine übereinander und sah Ellie mit seinen großen blauen Augen an. „Aber du hast doch gesagt, mein Daddy ist ein Pirat!“

Ellies Wangen glühten bei der Erinnerung daran. Sie hatte ihm das ein einziges Mal aus einer Laune heraus erzählt und nicht eine Sekunde lang geglaubt, er würde es ihr abnehmen. „Nein, so ist es leider nicht, mein Schatz. Er ist Tierarzt.“

„Der Supertierarzt“, sagte Mav andächtig und sah wieder Lucas an. „Also bin ich nur aus Tierärzten gemacht!“

Lucas, den Ellie ans Fußende des Bettes zwischen die Kuscheltiere gesetzt hatte, musste grinsen. So sehr sie es auch nervte, dass ihr Sohn seinen Vater, den „Supertierarzt“ so sehr verehrte, so sehr freute sie es auch, dass er die Neuigkeiten so gut aufnahm.

Mav stellte den Ellbogen auf dem Knie auf und stützte das Kinn in die Hand, während er Lucas einen Moment lang beobachtete. „Na ja, wir haben ja auch die gleichen Ohrläppchen.“

Ellie prustete los. Sie konnte nicht anders. Ohrläppchen! Sie hatten so viel mehr gemeinsam als nur ihre Ohren! Die Augen, die Haare, den trockenen Humor – ja, sogar mit fünf schon – und den gleichen unersättlichen Wissensdurst.

„Ziehst du dann bei uns ein?“, fragte Mav und blickte Lucas mit großen Augen an.

Ellie musste schlucken. Guter Punkt.

„Oh, also … Ich glaube, dein Daddy …“ Uff, wie seltsam es sich anfühlt, ihn so zu nennen, während er anwesend ist. Wollte er überhaupt so genannt werden? „Lucas übernachtet heute im Hungrigen Pelikan.“

„Aber morgen ziehe ich nebenan ein“, beschwichtigte Lucas seinen Sohn und richtete sich dann mit versöhnlichem Tonfall an Ellie, „um alles für Mummy einfacher zu machen, wenn sie Nachtdienst hat.“

Mummy.

Oh, verfluchter Mist. Wer hätte gedacht, dass sie Schmetterlinge im Bauch bekommen würde, wenn Lucas sie so nannte? Um sie zu verscheuchen, konterte sie in fröhlichem Tonfall: „Es sei denn, Mummy entscheidet sich, Daddy zum Nachtdienst zu schicken.“

Ellie und Lucas lächelten sich kampfeslustig an. Es erinnerte sie daran, wie sie früher Schere, Stein, Papier gespielt hatten, um zu entscheiden, wer von ihnen im tiefsten Winter nachts noch ihre Wohnung verlassen musste, um ein Kalb oder Lamm in einem unbeheizten Stall auf die Welt zu bringen.

„Also …“ Maverick kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Bleibe ich in meinem Bett?“

„Auf jeden Fall.“ Sie nahm Mavericks Hände in ihre und spielte backe, backe Kuchen mit ihnen. „Ich bleibe in meinem Bett, und dein Daddy bleibt in seinem Bett. Nebenan.“

„Aber wohnen Daddys nicht mit Mummys zusammen?“

Ellie spürte, dass Lucas’ Blick auf ihr ruhte. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch flatterten aufgeregt. Würde sie denn wollen, dass Daddy bei Mummy lebte? Ihr Körper offensichtlich schon, doch ihre Vernunft schrie sie an, dass sich eine so schwierige Vergangenheit wie ihre nicht einfach in Luft auflöste. Sie atmete tief durch, bevor sie antwortete. „Daddys und Mummys, die sich längere Zeit nicht gesehen haben, haben manchmal einen unterschiedlichen Lebensstil.“

„Du meinst wie Esmeralda und Rockford?“

„Wer ist das denn?“, fragte Lucas.

„Mums Labradordame und der Zuchtrüde.“

„Ah“, sagte Lucas und versuchte, ein Schmunzeln zu verbergen, bis ihm bewusst wurde, um welchen Hund es hier ging.

Sie biss sich auf die Unterlippe. Lucas hatte ihr Esmeralda zusammen mit dem Versprechen gegeben, dass er sie bis an sein Lebensende lieben würde.

Lucas rieb sich das stoppelige Kinn und sagte dann zu Mav: „Ja, ich schätze, die Situation ist ähnlich.“

„Rockford hat aber ganz viele Freundinnen.“ Maverick begann, eine nach der anderen aufzuzählen. Es war eines seiner Hobbys, in sein Notizbuch zu schreiben, welche Hundefreundinnen Rockford hatte. Vielleicht hinkte der Vergleich doch etwas. Ellie wandte sich Lucas zu, gespannt darauf, wie er damit umgehen würde. Das zu erklären überließ sie definitiv Daddy.

Einen Moment lang stotterte er. „Da … das stimmt, aber Rockford hat dann bestimmt auch ganz viele Welpen, mit denen er nie spielen oder ihnen Gutenachtgeschichten vorlesen kann. Das würde ich gerne machen, deshalb bin ich wohl etwas anders als Rockford …“

Er hob den Blick und sah Ellie an. „Ein Zuchtrüde für nur eine Frau.“

Ach du meine Güte. Schnell sah sie auf die Uhr und sagte: „Schlafenszeit! Es sei denn, du hast noch mehr Fragen?“

„Nein“, sagte Maverick und kuschelte sich unter seine leichte Sommerdecke. „Ich habe ja acht Wochen, um Fragen zu stellen, dann kann ich sie auch in mein Buch schreiben. Neben dein Autogramm. Dann habe ich auch immer einen Beweis, dass du echt warst.“

Sofort kamen Ellie die Tränen. Er hatte sich wohl schon darauf eingestellt, dass Lucas wieder verschwinden würde. Als Lucas sich räusperte, wusste sie, dass die Worte seines Sohnes auch ihn mitten ins Herz getroffen hatten.

Lucas rückte auf dem Bett näher zu Ellie hin, sodass er direkt hinter ihr saß – als wären sie ein glücklich verheiratetes Ehepaar.

„Darüber musst du dir nie Sorgen machen, mein Sohn. Ich werde immer für dich da sein. Wann auch immer du mich brauchst.“

Ellie senkte den Blick und versuchte es so aussehen zu lassen, als hätte sie nur etwas im Auge.

„Du kannst mich immer alles fragen, okay?“

Maverick kniff die Augen zusammen. „Findest du, unsere Ohrläppchen sehen gleich aus?“

Lucas nahm Mavericks Hände, drückte sie sanft und legte sein Lieblingskuscheltier, einen Eisbären, neben ihn unter die Decke. „Sie sind identisch“, sagte er und gab ihm einen Kuss auf die Stirn und stand dann auf. „Ich lasse dich und deine Mum dann allein, okay?“

„Okay, Dad“, sagte Maverick so selbstverständlich, als hätte er Lucas so genannt, seit er sprechen konnte. „Und morgen früh zeige ich dir Esmeralda. Sie hat zehn perfekte Welpen! Mummy sagt, das kommt daher, dass Rockford perfekt zu ihr passt.“

Lucas zwinkerte Maverick und Ellie zu. „Deine Mutter hatte schon immer einen guten Männergeschmack.“ Und schon hatte sich Ellie trotz ihrer jahrelangen Anstrengungen, ihn zu vergessen, wieder etwas mehr in Lucas Williams verliebt.

Lucas fühlte sich gleichermaßen aufgedreht und glücklich. Er hatte schlecht geschlafen, war früh morgens am Strand laufen gegangen, aber es war ihm strengstens verboten worden, vor dem Öffnen der Klinik dort aufzutauchen, also schlug er etwas Zeit tot, indem er Wyns Angebot annahm und im Pub frühstückte.

Immerhin wusste er jetzt, dass Ellies Eltern ihn nicht als Erzfeind betrachteten. Ganz im Gegenteil. Nachdem sie ihn beim Frühstück mit gefühlt zwanzig Fragen zur Show, seinen Karriereplänen, seinem verstorbenen Vater, seiner Mutter und seinem Bruder gelöchert hatten, schob Lucas lächelnd den Teller zurück.

„Das war ein unglaublich köstliches English Breakfast.“

„Cornish Breakfast“, korrigierte Wyn ihn sofort. „Hog’s Pudding oder kornische Kartoffelküchlein bekommst du in London wohl kaum, nehme ich an.“

„Nein, das stimmt.“ Dort hätte er Smoothies mit Ingwer und Kurkuma bekommen oder andere grässlich gesunde Sachen, die ihn für die Kamera bereit machen sollten. Er stellte fest, dass das hier die erste anständige Mahlzeit war, die er seit Langem bekommen hatte, die kein Businessmeeting war.

„Genauso wenig wie es dort so gute Frauen wie meine Ellie gibt, möchte man meinen“, sagte Wyn, die ihn mit Argusaugen beobachtete.

Lucas lächelte. Okay, also war es wohl irgendwie doch ein Businessmeeting. „Sehr wahr, sie ist ein Unikat.“

Wyn lehnte sich zurück und nahm einen großen Schluck Tee, wobei sie ihn immer noch ansah. „Sechs lange Jahre. In der Zeit hättest du dir auch eine Ehefrau zulegen können.“

Er biss die Zähne zusammen. Nein, es hatte nur den einen Antrag gegeben. Er hatte über die Jahre ein paar Freundinnen gehabt, aber nach dem Desaster mit Ellie hatte er sich geschworen, dass er niemandem jemals mehr einen Antrag machen würde. Diesen Fehler würde er nicht noch einmal machen. Seine Beziehungen hatten nie lange gehalten, schon allein wegen der sechzehnstündigen Arbeitstage.

„Oh, nein, Mrs. Stone. Ich hatte leider wahnsinnig viel Arbeit und kaum Vergnügen.“

„Wyn“, berichtigte sie ihn etwas sanfter, jetzt, wo sie wusste, dass er nicht verschwunden und jemand anderen geheiratet hatte. Sie tätschelte ihm das Knie, nahm seinen Teller und brachte diesen in die Küche.

„Wyn“, wiederholte er, dankbar für ihr Friedensangebot, als sie wieder zurückkam.

Sie kniff die Augen zusammen. Hier kam sie auch schon, die Warnung, dass er sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen durfte. „Raus damit, Lucas. Warum bist du hier?“

Er begann zu erklären, aber wusste schon, dass ihr seine Gründe nicht genügen würden. „Henry hat gesagt, Ellie würde Hilfe brauchen und da dach…“

„Ellie und Drew haben von Anfang an Hilfe gebraucht“, fiel sie ihm ins Wort. „Die Klinik hätte mit drei Ärzten besetzt werden sollen“, sie tippte sich an die Nase, „wenn ich mich recht entsinne.“

„Ja, das stimmt.“

Sie winkte ein Pärchen herein, das in der Tür stand und nach Kaffee fragte. „Sucht euch einen Tisch aus, ich bringe euch gleich die Karte.“ Dann wandte sie sich wieder an Lucas. „Ich will nicht, dass du mir etwas erzählst, was du Ellie noch nicht erzählt hast, aber Folgendes solltest du wissen: Du hast meiner Tochter das Herz gebrochen. Lass dir von ihr ja nichts anderes einreden. Ihr Sohn, mein Enkel, ist ihr wichtigster Schatz auf dieser Welt. Ich bin niemand, der Leuten droht, es gibt schon genug Hass auf der Welt, aber wenn du ihr oder Maverick auch nur ein einziges Haar krümmst …“

„Ich weiß, Mrs. Stone. Ich wünschte, ich könnte alles erklären, aber …“

Wyn schüttelte missbilligend den Kopf. „Taten sagen mehr als Worte, Sonnyboy. Taten.“

Sie hatte recht. Ob es ihm gefiel oder nicht, es war an der Zeit, seinen Ausblick aufs Leben neu auszurichten. Er gab Wyn einen Kuss auf die Wange und lächelte sie feierlich an. „Dann werde ich wohl mal anfangen, die versäumte Zeit nachzuholen.“

Wyn lächelte nüchtern zurück. „Tu das.“ Sie tippte mit zwei Fingern auf ihre Armbanduhr. „Die Zeit läuft.“

Durch die kleine Gruppe wartender Patienten erspähte Lucas das ihm wohlbekannte rotgoldene Haar an der Rezeption. Er kam auf Ellie zu, sie hob den Kopf, und der Blick in ihren grünen Augen ging ihm durch Mark und Bein. Auf einmal fühlte er sich so vollkommen lebendig wie schon seit Jahren nicht mehr.

Sie sah ihn mit dem Klemmbrett in der Hand über ihre Brille hinweg an und ihr Lächeln war unterkühlt. Immerhin schickt sie mich nicht nach London zurück.

„So, da bin ich!“ Er stellte sich neben sie mit der Absicht, sich von seiner besten Seite zu zeigen. „Was liegt heute an?“

„Hi, Lucas.“ Tegan strahlte ihn an und winkte ihm überschwänglich zu. Ellie ignorierte sie.

„Morgen“, sagte er zu beiden, „willst du mit mir die heutige Liste durchgehen?“

„Was? Wie deine Produzentin?“ Sie sprach mit einem übertriebenen Londoner Akzent weiter: „Nun, Mr. Supertierarzt … heute hätten wir eine Auswahl an entzückenden Aufgaben für Sie, als leichter Einstieg an Ihrem ersten Tag in der Klinik von Dolphin Cove.“ Sie hielt das Klemmbrett eine Armlänge entfernt und ließ den Zeigefinger dramatisch langsam an der Liste hinabgleiten. „Dann wollen wir doch mal sehen. Ihr erster Patient ist Rufus.“ Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. „Seine Analdrüsen müssen gereinigt werden.“

Ha! Das war normalerweise eine Aufgabe der Krankenschwestern und roch meist ziemlich übel. So war das also. Sie stellte ihn auf die Probe. Er schenkte ihr ein trotziges Lächeln. Wieder flogen die Funken zwischen ihnen.

„Ells! Analdrüsen?!“ Tegan sah sie entgeistert an. „Das können wir doch unserem Gast nicht antun. Lass Mum das doch machen.“

„Mum?“, hakte Lucas nach.

„Meine Mum ist die Oberschwester hier“, erklärte Tegan eifrig, als wäre sie und nicht Ellie hier zuständig. „Sie macht alle möglichen Sachen. Laserbehandlungen, Verbandswechsel. Sie ist die Coolste. Ellie, gib ihm was Spannendes, der Mann ist doch nicht hier, um sich zu langweilen.“

Ellie lächelte sie an. „Kommt nicht infrage. Er ist einer unserer Angestellten. Wir sind hier alle gleich.“

„Okay, okay …“ Tegan verdrehte dramatisch die Augen. „Da ist wohl jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden.“ Schon winkte Tegan lächelnd eine gestresst wirkende Frau an, die von ihrem Rottweiler in die Klinik gezerrt wurde. „Ich werde dann mal Mrs. Collins’ Daten aufnehmen.“

Ellie reichte Lucas das Klemmbrett mit der Liste der Behandlungen, von denen erstaunlich viele Analdrüsenprobleme hatten.

Er versuchte, sein Schmunzeln hinter einem ernsten Gesichtsausdruck zu verbergen, scheiterte aber. „Klingt gut.“ Er grinste.

„Findest du verstopfte Analdrüsen lustig?“, fragte Ellie.

„Nicht im Geringsten.“

Ihre Blicke trafen sich zu einem Duell. Was war hier eigentlich los? War das Ellies Art, gegen die Anziehungskraft anzukämpfen, die offensichtlich nicht verschwunden war, oder wollte sie ihn so sehr langweilen, dass er von selbst wieder nach London zurückging? Er hielt ihrem Blick mit aller Entschlossenheit stand. Für einen Augenblick schien die Zeit stillzustehen.

Tegan war nun fertig mit der Aufnahme der Daten und sah von Ellie zu Lucas. „Was war das denn? Hattet ihr beiden da gerade einen Zeitlupen-Moment?“

Ellie warf ihr einen schiefen Seitenblick zu. „Nein?! Ich weiß nicht mal, was das sein soll. Ein Zeitlupen-Moment. Pfff.“

Tegan lächelte betont süffisant. „Es ist mir gerade wieder eingefallen. Lucas … du und Ellie wart in der Uni ein Paar, oder?“

Ellie holte schon Luft, um sie in ihre Schranken zu weisen, als Maverick mit einem Bodyboard unter dem Arm in die Klinik gerannt kam.

„Mum! Ich gehe dann los zur Surfschule!“ Er blieb stehen, als er Lucas bemerkte. „Hi, Dad.“

„Dad?!“ Tegan fiel die Kinnlade herunter.

Ellies Lächeln wirkte gequält. „Ja … na ja …“

„Uuuh.“ Tegan genoss dieses neugewonnene Wissen. „Ellie!! Du bist ja ganz schön heftig unterwegs.“

„Ich gehe mich mal besser um meine Patienten kümmern“, sagte Lucas und wuschelte Mav im Gehen durchs Haar.

Maverick strahlte ihn an und sagte: „Nicht vergessen, du hast gesagt, du kommst vor dem Mittagessen noch mit zu den Welpen.“

„Keine zehn Pferde könnten mich davon abhalten“, sagte Lucas und nickte ihm feierlich zu.

„Apropos Pferde“, setzte Ellie an, „da sind ein paar wilde Ponys im Moor, etwa zwanzig Meilen von hier. Heute Morgen hat eine Frau angerufen und gemeint, sie habe gesehen, dass eines von ihnen einen schlimmen Schnitt auf der Stirn hat. Könnte schwierig werden, es zu fangen. Dauert vielleicht Stunden.“

„Ach ja?“ Lucas hob eine Augenbraue. Er hatte Ewigkeiten kein Tier mehr einfangen müssen. Das könnte interessant werden. Sicherlich interessanter, als Analdrüsen auszuquetschen.

„Ellie!“, protestierte Tegan, die nicht wollte, dass Lucas die Rezeption verließ, geschweige denn die Klinik.

„Mum!“, protestierte Maverick, der sich schon auf die Zeit mit Lucas und den Welpen gefreut hatte.

Sie warf die Hände in die Luft. „Na schön. Wir machen das mit den Ponys zusammen, wenn wir die Morgen-Termine hinter uns gebracht haben. Aber jetzt solltest du besser mal loslegen … Wir brechen auf, nachdem du mit Mav die Welpen besucht hast.“

Lucas rieb sich das Kinn und nickte. Taten sagten mehr als Worte, und er hatte kein Problem damit, auch mal die bittere Pille zu schlucken. Er rieb sich die Hände und grinste.

„Also gut. Zeig mir mein Behandlungszimmer und ich lege los.“ Dann rief er in den Wartebereich: „Rufus! Ist Rufus Collins hier?“

Mrs. Collins stolperte los, als ihr Rottweiler nach vorne preschte. „Ach du meine Güte! Rufus, sieh nur, wer dich behandeln wird. Der Supertierarzt!“

Ellie schnaubte genervt und machte sich mit ein paar Chihuahuas im Schlepptau zu ihrem Behandlungsraum auf.

„Rufen Sie mich jederzeit an, wenn Sie sich Sorgen machen, ja?“ Ellie setzte den Wellensittich zurück in seinen Käfig und begleitete die Besitzerin noch zur Tür. Auf dem Weg zurück zum Behandlungszimmer fielen ihr die gedämpften Gespräche und das Lachen auf, die aus Lucas’ Behandlungszimmer drangen.

Sofort war sie wieder auf hundertachtzig. Alle schienen sich prächtig zu amüsieren auf der anderen Seite des Flurs, aber bei ihr herrschte Eiszeit.

Sie ließ die Schultern kreisen und versuchte, sich zu beruhigen. Das hier passierte, ob sie es wollte oder nicht. Sie konnte die Zeit nicht zurückdrehen. Ihr Sohn kannte seinen Vater, und der wollte bleiben.

Für die nächsten acht Wochen, rief sie sich in Erinnerung, als eine weitere Lachsalve durch die Tür drang. Sie widerstand dem Drang, das Ohr an die Tür zu legen, um herauszufinden, worum es ging.

Autor

Annie Oneil
Mehr erfahren
Caro Stein
Mehr erfahren
Rebecca Winters

Rebecca Winters und ihre Familie leben in Salt Lake City, Utah. Mit 17 kam Rebecca auf ein Schweizer Internat, wo sie französisch lernte und viele nette Mädchen traf. Ihre Liebe zu Sprachen behielt sie bei und studierte an der Universität in Utah Französisch, Spanisch und Geschichte und später sogar Arabisch.

...

Mehr erfahren
Caitlin Crews
<p>Caitlin Crews wuchs in der Nähe von New York auf. Seit sie mit 12 Jahren ihren ersten Liebesroman las, ist sie dem Genre mit Haut und Haaren verfallen und von den Helden absolut hingerissen. Ihren Lieblingsfilm „Stolz und Vorurteil“ mit Keira Knightly hat sie sich mindestens achtmal im Kino angeschaut....
Mehr erfahren