Romana Extra Band 125

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ZWEI HERZEN AUF MALLORCA von KERI ANNE ARDEN
Der attraktive mallorquinische Geschäftsmann Jaime fasziniert Ava auf den ersten Blick. Dankbar nimmt sie seine Hilfe beim Verkauf der Finca ihrer Tante an. Doch kaum hat sie eine Liebesnacht mit Jaime verbracht, muss Ava befürchten, dass er sie aus purer Berechnung verführt hat …

NUR EINE NACHT IM MONDSCHEIN? von TRACI DOUGLASS
Der Strand von Key West im Mondschein, das sinnliche Prickeln, die heißen Küsse … Nie hat Stacy ihren romantischen One-Night-Stand mit Weltenbummler Luis vergessen. Als sie ihn überraschend wiedertrifft, begehrt sie ihn wie damals. Nur was, wenn er ihr Geheimnis entdeckt?

GEHEIME LEIDENSCHAFT AM MITTELMEER von REBECCA WINTERS
Er ist gut aussehend, mächtig und unerreichbar! Seit Abby denken kann, schwärmt sie für Prinz Vincenzo – heimlich, denn mehr als ein Freund darf er nicht für sie sein. Als sie sich entscheidet, sein Baby auszutragen, hat das Folgen, von denen sie nie zu träumen wagte …

KÜSSE, SÜSSER ALS WEIN von CHLOE BLAKE
Ein französisches Weingut! Zumindest eine Hälfte davon … Eigentlich sollte Maya sich über ihr unerwartetes Erbe freuen. Aber die andere Hälfte des Guts gehört Unternehmer Nic Dechamps. Der ist nicht nur unwiderstehlich verführerisch, sondern will plötzlich alles für sich. Was nun?


  • Erscheinungstag 27.09.2022
  • Bandnummer 125
  • ISBN / Artikelnummer 9783751508216
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Keri Anne Arden, Traci Douglass, Rebecca Winters, Chloe Blake

ROMANA EXTRA BAND 125

KERI ANNE ARDEN

Zwei Herzen auf Mallorca

Gegen jede Vernunft verfällt der Mallorquiner Jaime der bezaubernden Engländerin Ava und verführt sie zu einer Liebesnacht. Doch bestimmt wird sie ihn hassen, sobald sie erfährt, wer er wirklich ist!

TRACI DOUGLASS

Nur eine Nacht im Mondschein?

Luis’ Leidenschaft gilt seinem Job als Arzt. Bis er Stacy wiedertrifft, mit der er einen One-Night-Stand hatte. Ihr überraschendes Geständnis entfacht einen nie gekannten Sturm der Gefühle in ihm …

REBECCA WINTERS

Geheime Leidenschaft am Mittelmeer

Vincenzo hatte schon immer eine Schwäche für die hinreißende Abby. Aber als Prinz von Arancia ist eine Bürgerliche für ihn tabu … Er spürt jedoch: Um seine Liebe zu leben, muss er Grenzen sprengen!

CHLOE BLAKE

Küsse, süßer als Wein

Ausgerechnet die schöne Fremde, mit der Nic in Paris verboten heiß geflirtet hat, entpuppt sich als seine neue Businesspartnerin. Dabei hat er sich geschworen, Arbeit und Vergnügen nie zu vermischen …

1. KAPITEL

„Tu mir das nicht an.“

Ava, die ihre Schreibtischschublade im Büro der Londoner Hochzeitsagentur Forever Yours nach dem Autoschlüssel durchforstete, entschlüpfte ein Glucksen. „Sei nicht so melodramatisch, Gwen. Ich werde nur für ein, höchstens zwei Wochen fort sein. Mitte Juni bin ich wieder zurück. Bis dahin habe ich Tante Ruths Finca bestimmt verkauft.“ Sie bemühte sich, zuversichtlich zu klingen. Eigentlich sollte sie nicht verreisen, denn sie konnten jeden Auftrag gebrauchen. Und das nicht nur, weil in der Nähe eine konkurrierende Agentur eröffnet hatte …

Gwendolyn, Avas Freundin und Geschäftspartnerin, hob zweifelnd ihre fein gezupften Augenbrauen. „Wollen wir es hoffen. Wir stecken mitten in der Hochsaison.“

Und mitten im dicksten Schlamassel. Mittlerweile hatte Ava den Schlüssel gefunden und gab der Schublade einen schwungvollen Schubs. „Ich weiß, der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig.“ Ihr war bewusst, dass sie die Freundin jetzt nicht allein lassen sollte. „Aber ich muss das jetzt durchziehen, damit ich den Kopf wieder frei habe fürs Geschäft.“

„Entschuldige.“ Gwen klang zerknirscht. Sie schüttelte ihren blond glänzenden Pagenkopf, um den Ava sie glühend beneidete. „Nach dem Tod deiner Tante hast du natürlich ganz andere Sorgen, als komplizierte Last-minute-Wünsche aufgeregter Bräute zu erfüllen oder hysterische Schwiegermonster in spe zu beruhigen.“ Mit einem verschmitzten Funkeln in den Augen fügte sie hinzu: „Oder deiner besten Freundin bei der Arbeit das Händchen zu halten.“

Immerhin entlockte Gwens übertriebene Ausführung Ava ein winziges Lächeln. Obwohl sie nach dem Unfalltod ihrer Eltern bei der Schwester ihrer Mutter behütet aufgewachsen war, hatten Tante Ruth und sie sich nie sonderlich nahegestanden. Die alleinstehende Bibliothekarin hatte wenig Geduld für die lebhafte Ava gehabt. Dennoch vermisste Ava sie nun schmerzlich. Mit Ruth hatte sie vor zwei Wochen das letzte Familienmitglied verloren. Zudem empfand sie eine tiefe Rührung darüber, dass sie Ruths geliebtes Feriendomizil geerbt hatte, die urige Finca im Südwesten von Mallorca.

Ava war lange nicht mehr dort gewesen. Das letzte Mal kurz nach ihrem dreizehnten Geburtstag. Danach hatte ihre Tante es aufgegeben, Ava zu gemeinsamen Urlauben zu überreden, und Ava hatte fortan die Ferien in diversen Jugendcamps verbracht.

Vielleicht hätte Ava sich um ein besseres Verhältnis zu Ruth bemühen sollen. Warum merkte man erst, was man verloren hatte, wenn es zu spät war?

„So, ich muss los“, sagte sie und stand auf. „Vor meinem Abflug gibt es noch tausend Dinge zu erledigen.“

„Willst du die Finca wirklich verkaufen?“ Gwen seufzte. „Ich stelle mir gerade vor, wie wir mit kühlen Drinks am Pool liegen …“ In ihrer schwärmerischen Stimme schwang ein Fünkchen Hoffnung mit.

„Ich habe keine Beziehung zu dem Haus.“ Die Worte blieben Ava fast im Hals stecken. Gwen hatte mit ihrer Frage einen wunden Punkt getroffen. „Und ehrlich gesagt wäre es mir auch lästig, mich regelmäßig darum zu kümmern“, fuhr sie mit angestrengt fester Stimme fort. „Mein Leben findet hier in London statt.“

„Ja, das verstehe ich.“ Nun stand Gwen ebenfalls auf und umrundete den Schreibtisch. „Dann tu, was du tun musst, Süße. Denk an Sonnencreme! Und lass dir von den heißblütigen Spaniern nicht den Kopf verdrehen.“

Ava umarmte ihre Freundin zum Abschied. „Du und deine Fantasien. Ich habe von Kerlen erst einmal die Nase voll.“ Seit einer bitteren Enttäuschung, die sie in mehr als einer Hinsicht in ihren Grundfesten erschüttert hatte, plante Ava lieber den schönsten Tag für andere. Für sich selbst hatte sie mit diesem Thema erst einmal abgeschlossen. „Halt die Stellung, Gwen. Ich rufe dich an, sobald ich angekommen bin, okay?“

„Viel Erfolg. Am liebsten würde ich mich in deinen Koffer schmuggeln und mitfliegen. Ich vermisse dich jetzt schon.“

„Ich werde dich auch vermissen“, entgegnete Ava sanft. „Vor allem dieses schreckliche Hexengebräu, mit dem du mir jeden Morgen nach dem Leben trachtest“, fügte sie hinzu und deutete auf die Kaffeemaschine.

Gwen boxte ihr freundschaftlich gegen den Oberarm. „Treib es nicht auf die Spitze, Ava Kathryn Henley. Wir wissen beide, dass du meinen Kaffee liebst.“

Ava versuchte sich an einem Lächeln. Sie und Gwen kannten sich seit der Jugendzeit. Was die ganze vertrackte Angelegenheit umso schwieriger machte.

„Gwen, ich …“ Vergeblich suchte Ava nach den richtigen Worten. Hilflos zuckte sie die Schultern.

Das Lächeln verschwand aus Gwens Gesicht. „Was ist? Du wirkst plötzlich so bedrückt, stimmt etwas nicht?“ Gwen hatte feine Antennen. Ava wunderte sich, dass sie nicht schon längst Verdacht geschöpft hatte. Andererseits hatte Ava alles darangesetzt, die prekäre Situation zu verheimlichen. Gwen sollte nicht in dieses Dilemma hineingezogen werden. Außerdem schämte Ava sich entsetzlich.

„Wir reden später. Wenn ich zurück bin.“

Wenn es mir gelungen ist, unsere Agentur zu retten.

Der zweistündige Flug nach Mallorca verlief reibungslos. Avas Sitznachbarin, eine redselige ältere Dame, plauderte unablässig über das regnerische Wetter. Doch nach ein paar höflich ausgetauschten Belanglosigkeiten döste Ava ein. Als sie das nächste Mal die Augen öffnete, befanden sie sich bereits im Landeanflug. Palma de Mallorca empfing sie mit strahlend blauem Himmel und Sonnenschein.

Nachdem sie den Mietwagen abgeholt und sich in einem Supermarkt mit ein paar Lebensmitteln eingedeckt hatte, wählte sie im Gewirr des Straßennetzes prompt die falsche Abzweigung und musste einen Umweg fahren.

Als Kind hatte sie der Strecke nie besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Zu beiden Seiten der mehrspurigen Ma-1 erhoben sich Wohnblöcke, die jedoch bald kleineren Ortschaften wichen. Die Landschaft wurde hügeliger, und manchmal konnte man das glitzernde Meer sehen.

Hinter dem Tunnel bei Peguera wurde das Gelände vertrauter. Knapp vierzig Minuten nach ihrem Aufbruch in Palma erreichte sie das pittoreske, in einem grünen Tal gelegene und von Bergen und Wäldern umgebene Dörfchen S’Arracó.

Angespannt hielt sie das Lenkrad fest, während sich der Mietwagen den Schotterweg zur Finca hinaufquälte. Hoffentlich würde das betagte Gefährt trotz Rundum-Sorglos-Paket nicht doch unvermittelt den Geist aufgeben.

Wenig später parkte sie den Wagen am Ende des Wegs auf einem von knorrigen Olivenbäumen beschatteten Kiesplatz. Erleichtert stieg sie aus. Sie hatte die Finca Bonita ohne größere Zwischenfälle erreicht. Obwohl es heiß war, brachte hier oben auf der Anhöhe eine sanfte Brise vom Meer Erleichterung.

Einen Moment blieb Ava regungslos stehen und atmete tief den würzigen Duft von Pinien und Orangen ein. Das idyllisch gelegene, großzügige Natursteingebäude im typisch mallorquinischen Stil, das zwischen grünen Bäumen hindurchblitzte, schien sich in all den Jahren kein bisschen verändert zu haben.

Überrascht von einem jähen Anflug von Nostalgie holte Ava ihren Trolley vom Rücksitz. In der Erinnerung erschienen ihr die hier verbrachten Ferien auf einmal gar nicht mehr so furchtbar. Während sie sich nun an der malerischen Umgebung kaum sattsehen konnte, hatte sie damals für die Schönheit von Haus und Garten keinen Sinn gehabt und stattdessen über Langeweile geschimpft.

Seltsam, wie sich die Dinge ändern, dachte Ava und zog den Koffer über den geschwungenen Natursteinweg. Der Pfad wand sich durch üppig bepflanzte Beete bis zum Haus. Vor der von einer rot leuchtenden Bougainvillea umrankten Haustür blieb Ava stehen. Sie straffte ihre Schultern und zählte stumm bis drei, wie sie es immer tat, bevor sie eine Tür durchschritt. Genau genommen zählte sie auch bis drei, ehe sie sich setzte oder ins Bett legte. Oder den Wasserhahn aufdrehte.

Das Zählen war zur Angewohnheit geworden, seit ihr eine Wahrsagerin in der Numerologie die Drei zugeordnet hatte. Diese Zahl stehe für Glück und Zufriedenheit. Auch wenn die Wahrsagerin Unsinn erzählt haben mochte, sagte sich Ava, dass es sicherlich nicht schadete, dem Glück ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Obwohl sie zugeben musste, dass das Glück sie schändlich im Stich gelassen hatte, seit sie diese eine fatale Fehlentscheidung getroffen hatte. Tief seufzend schloss Ava mit dem Schlüssel, den sie vom Testamentsverwalter erhalten hatte, die Tür auf.

Der feine Duft nach Lavendel und Bohnerwachs, der sie im Inneren des Hauses empfing, rief ein Echo der Vergangenheit wach. Merkwürdig vertraut. Trotz der langen Zeitspanne kam es Ava vor wie eine Heimkehr, und sie fühlte einen leisen Stich in der Brust. Hatte sie Gwen nicht versichert, sie habe keinerlei Beziehung zu diesem Haus? Sie schämte sich, sie angeschwindelt zu haben. Doch was hätte es für einen Sinn gehabt, Gwen mit ihren Sorgen zu belasten? Gwen konnte nichts dafür, dass Ava in dieser Zwangslage steckte und nun zusehen musste, wie sie aus der Sache wieder herauskam.

Von widersprüchlichen Gefühlen erfasst, betrat sie das Wohnzimmer. Halb in der Erwartung, ihre Tante mit einer Tasse Tee in einem Sessel vor dem Kamin vorzufinden, schlich sich ein Lächeln auf ihr Gesicht.

Der Raum war ganz nach Ruths Geschmack eingerichtet. Helle, freundliche Farben dominierten. Holzbalken an der Decke, gemütliche Sessel und der Terrakottaboden verliehen dem Zimmer ein mediterranes Flair, das auch Ava gut gefiel. Sie würde das Ganze vielleicht noch mit ein paar fröhlichen Bildern, großen Keramikvasen und bunten Kissen aufpeppen …

Amüsiert über diesen Gedanken, ließ sie den Koffer stehen und zog die Schuhe aus. Sie genoss es, die kühlen Fliesen unter ihren Fußsohlen zu spüren, als sie durch die große Glastür hinaus auf die Terrasse trat. Nach dem Auspacken mache ich es mir hier bequem, dachte sie. Oder schwimmen? Das Wasser im Pool glitzerte verlockend in der Mittagssonne. Wie gut, dass sie noch in letzter Minute einen Bikini eingepackt hatte.

Früher fand Ava es hier draußen sterbenslangweilig. Jetzt konnte sie sich nichts Schöneres vorstellen, als die Füße hochzulegen und den Zikaden zuzuhören. Sie war eindeutig älter geworden. Mit einem kleinen Schmunzeln wandte sie sich ab, um sich in die Kühle des Hauses zurückzuziehen.

Als sie später mit einem Glas Eistee, ein paar eingelegten Oliven und mallorquinischem Käse auf der Terrasse in einem Korbstuhl saß, fragte sie sich, wann sie zuletzt einfach so dagesessen und nichts getan hatte. Sie konnte sich nicht erinnern. Es schien Ewigkeiten her zu sein, dass sie es sich erlaubt hatte, sich eine Auszeit zu nehmen. Durchatmen, die Seele baumeln lassen. Das letzte Jahr war alles andere als einfach gewesen. Oft war sie kurz vorm Verzweifeln gewesen. Nun sah sie Licht am Horizont, eine Möglichkeit, ihren Fehler wiedergutzumachen. Auch wenn ihr die dazu nötige Maßnahme nicht gefiel.

Nachdenklich steckte sie sich eine Olive in den Mund. Träumerische Stille lag über der Landschaft, und allmählich fiel die Anspannung der Reise von Ava ab. Kein Wunder, dass Ruth sich jedes Jahr hierher zurückgezogen hatte. Im Nachhinein bedauerte Ava es, sich ihr nicht hin und wieder angeschlossen zu haben. Nachdem sie mit Anfang zwanzig ihr eigenes Apartment bezogen hatte, hatte es kaum noch Berührungspunkte gegeben. Seltsamerweise fühlte sich Ava jetzt ihrer Tante näher als je zuvor.

Das Klingeln des Handys unterbrach ihre Gedanken. Gwens Nummer auf dem Display. Sie bekam sofort ein schlechtes Gewissen.

„Gwen, entschuldige, ich hätte dich längst anrufen sollen.“

„Das hättest du“, kam es vorwurfsvoll zurück. „Geht es dir gut?“

„Alles in bester Ordnung“, versicherte Ava. „Obwohl ich gestehen muss, dass die Autofahrt eine kleine Herausforderung war. Schließlich habe ich diese Strecke zum ersten Mal allein bewältigt.“

„Und wie ist es, nach so vielen Jahren wieder auf der Finca zu sein?“

„Weißt du, es kommt mir vor, als wäre Ruth nur kurz ins Dorf gefahren und müsste jeden Augenblick zurückkommen.“ Ava machte eine Pause. „Ach, Gwen, es ist traumhaft hier.“

„Dachte ich es mir doch. Du hast dich verliebt.“ Ava konnte das verschmitzte Lächeln in Gwens Stimme hören. „Behalt das Haus. Deiner Tante würde es gefallen, wenn es in der Familie bleibt.“

Gwen hatte recht. Ruth hatte dieses Fleckchen Erde viel bedeutet. Vermutlich hatte sie deshalb im Testament vermerkt, dass sie sich wünschte, dass Ava die Finca behielt. Avas Kehle schmerzte beim Schlucken. „Das würde es“, pflichtete sie Gwen leise bei.

„Warum tust du’s dann nicht?“

„Es ist alles nicht so einfach, Gwen“, erklärte sie und folgte mit dem Blick einem zitronengelben Falter, der sich taumelnd von einer Blüte erhob.

„Doch, das ist es.“ Gwen klang resolut. „Such dir einen Verwalter. Vermiete das Haus, meinetwegen nur an Feriengäste, sodass du dort auch selbst Zeit verbringen kannst.“ Sie lachte kurz. „Okay, ich gebe zu, mein Vorschlag ist etwas eigennützig. Aber mal im Ernst, Ava. Im Winter könnten wir uns ein paar Tage freinehmen und es uns unter der Sonne Mallorcas so richtig gut gehen lassen. Denk wenigstens darüber nach, ja?“, bat sie noch, ehe sie das Gespräch beendeten.

Ava legte den Kopf in den Nacken und starrte in den Himmel. Sie wünschte, sie könnte Gwens Vorschlag in Erwägung ziehen. Sie wünschte, die Dinge lägen anders. Es war schlimm, dass sie Ruths letzten Wunsch nicht erfüllen konnte. Doch es gab keine andere Möglichkeit. Sie musste die Finca verkaufen.

Ava gähnte und kuschelte sich noch einmal in die leichte Decke. Sie hatte sich das Bett im Gästezimmer hergerichtet. Entgegen ihrer Befürchtung, sie könnte kein Auge zutun, hatte sie wunderbar ruhig geschlafen. Was vermutlich auch der Tatsache geschuldet war, dass die Finca eine Alarmanlage hatte. Mit einem Lächeln auf den Lippen schlug sie die Augen auf – und starrte in ein espressobraunes, fremdes Augenpaar. Alarmiert schoss sie hoch und presste das Laken vor ihre Brust. „Wer zum Teufel sind Sie?“

„Und wer zum Teufel sind Sie?“ Der Mann vor ihrem Bett verschränkte seine muskulösen Arme vor der Brust, während er Ava eindringlich musterte. Im Ausschnitt seines dunklen Poloshirts blitzte ein kleines goldenes Kreuz auf. Der leichte Bartschatten auf dem markanten Kinn und der dunkle Haarschopf ließen ihn verwegen wirken. Ava registrierte seinen gut gebauten Körper, der sich unter dem Shirt abzeichnete. Die helle Leinenhose saß perfekt. Der Kerl war der Inbegriff eines südländischen Adonis. Und ein Einbrecher. Ein sehr geschickter wohlgemerkt, denn er hatte offenbar die Alarmanlage ausgeschaltet.

„Ich wohne hier, aber Sie gehören ganz sicher nicht hierher“, entgegnete sie in einem Mischmasch aus Englisch und Spanisch, das Zittern in ihrer Stimme nur mit Mühe unterdrückend. „Verschwinden Sie auf der Stelle, oder ich rufe die policía, Señor!“

„Ach, tatsächlich?“ Ein herausforderndes Glitzern trat in seine Augen. „¡Qué divertida es!“ Dann setzte er in nahezu akzentfreiem Englisch nach: „Glauben Sie etwa, Sie kommen so leicht an mir vorbei?“

„Drohen Sie mir etwa?“ Blitzschnell schlug Ava die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Sie stemmte die Fäuste in die Hüften und fixierte den Eindringling angriffslustig, obwohl er ihre knappen eins siebzig um mindestens zwanzig Zentimeter überragte.

Unverschämter Kerl! Divertida? Amüsant? Der würde sie kennenlernen! „Wenn Sie nicht augenblicklich verschwinden, dann werden Sie es bitter bereuen!“ Ihre Angst strafte ihr forsches Auftreten Lügen. Sie war alles andere als gefasst, ihre Knie zitterten, und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Er hatte recht, sie hatte keine Chance gegen ihn. Und wer wusste schon, was dieser Fremde im Schilde führte? Sie war ihm komplett ausgeliefert.

Die Zimmertür fest im Blick, machte sie einen beherzten Schritt vorwärts, um sich an ihm vorbeizuschieben. Doch da schlossen sich seine Finger um ihr Handgelenk, und er hielt sie fest.

„Wohin so schnell?“ Sein unergründlicher Blick wanderte über ihr Gesicht und blieb an ihrem Mund hängen.

Verunsichert durch das plötzliche Knistern in der Luft, befeuchtete Ava sich die Lippen. Ihre Wangen begannen zu glühen, als sein Blick tiefer glitt.

Plötzlich wurde Ava bewusst, dass man durch den dünnen Stoff ihres Schlafshirts hindurch mehr sehen konnte, als ihr lieb war. Der Druck seiner Finger verstärkte sich, und seine Pupillen weiteten sich. Trotz aufkommender Panik nahm sie seinen Duft wahr. Eine interessante Mischung aus Zedern- und Sandelholz, unterlegt mit einer Ambernote. Herb maskulin, gleichzeitig warm und sinnlich.

Prompt rieselte ein wohliger Schauer über ihre Haut. Moment, irgendetwas lief hier falsch! Sie war konfrontiert mit einem Einbrecher, doch ihr Körper reagierte, als gefiele ihm die Art, wie dieser Fremde sie ansah. Blankes Entsetzen breitete sich in ihr aus. Sicher, Ava hatte schon eine Weile keine Beziehung mehr gehabt und konnte sich nicht daran erinnern, wann sie im Bett zuletzt verwöhnt worden war. Natürlich vermisste sie diese Art der Zuwendung, doch so verzweifelt war sie nun auch wieder nicht, dass sie die Berührung eines fremden, zugegebenermaßen äußerst attraktiven Mannes derart in Verzückung versetzte. Reiß dich zusammen, Ava!, ermahnte sie sich stumm.

Sie hielt seinem herausfordernden Blick stand und riss sich los. „Egal, was Sie vorhaben, Señor, ich werde mich mit allen Kräften wehren“, warnte sie ihn, das wilde Klopfen in ihrer Brust ignorierend. „Glauben Sie nicht, dass Sie ein leichtes Spiel mit mir haben werden“, ergänzte sie mit gerecktem Kinn.

Seine Mundwinkel zuckten, und ein winziges Grübchen zeigte sich in seiner rechten Wange. „Sie sind eine kleine Wildkatze, das gefällt mir.“

Empört hob sie zu einer Antwort an, doch er legte ihr rasch einen Finger auf die Lippen. „Nicht aufregen. Ich bin harmlos. Ehrlich. Mein Name ist Jaime Mateo Herrera Rivera, und ich entschuldige mich dafür, falls ich Sie erschreckt haben sollte. Obwohl Sie, ehrlich gestanden, nicht gerade wirken wie eine Frau, die so leicht zu …“

„Was machen Sie in meinem Schlafzimmer?“, unterbrach sie seinen Versuch, die Atmosphäre durch einen Scherz aufzulockern.

Er runzelte die Stirn. „In Ihrem Schlafzimmer? Ich für meinen Teil kann behaupten, dass ich jedes Recht habe, mich hier aufzuhalten. Señora Ruth, die Eigentümerin dieses Hauses, hat mir den Schlüssel gegeben, damit ich während ihrer Abwesenheit regelmäßig nach dem Rechten sehe.“

Was erzählte der Mann da für einen Unsinn? Laut den Unterlagen, die man Ava bei der Testamentseröffnung ausgehändigt hatte, hatte Ruth lediglich eine Putzfrau sowie einen Gärtner beschäftigt. Und dieser unverschämte Mann hier war offensichtlich weder das eine noch das andere. Obwohl seine athletische Figur und die gebräunte Haut durchaus für körperliche Arbeit im Freien sprachen, bezweifelte Ava stark, dass Gärtner bei der Arbeit maßgeschneiderte Hosen trugen. Oder Designer-Polohemden. „Sie sind der Gärtner?“, hakte sie dennoch nach.

„Nein.“ Jaime schenkte ihr ein flüchtiges Lächeln. „Kein Gärtner“, sagte er und hob eine Hand, um eine dunkle Haarsträhne zu bändigen, die ihm sogleich wieder in die Stirn fiel. „Doch wie sieht es mit Ihnen aus? Wie erklären Sie Ihre Anwesenheit?“

„Señora Ruth war meine Tante. Sie ist vor zwei Wochen verstorben“, klärte sie ihn auf.

¡Dios mío! Señora Ruth ist tot?“ Betroffenheit spiegelte sich in seinen Zügen. „Was ist passiert?“

Seine Bestürzung schien echt zu sein. Ava presste kurz die Lippen aufeinander, als erneut die Trauer in ihr hochkam. „Sie hatte einen Schlaganfall. Es ging alles ganz schnell.“ Mit knapp sechzig Jahren hatte ihre Tante noch mitten im Leben gestanden. Ihre Arbeit in der Stadtbibliothek hatte sie ebenso geliebt wie ihren Nachmittagstee, den Nähzirkel und die sonntäglichen Spaziergänge an der Flusspromenade im Battersea Park. Die Ärzte hatten Ava nicht viel Hoffnung auf eine Genesung gemacht, und als hätte ihre Tante das geahnt, hatte sie sich nur zwei Tage nach dem Anfall im Schlaf davongestohlen. Auf eine Art war es ein Segen, denn für die rührige Ruth wäre es furchtbar gewesen, ihren Alltag nicht mehr allein bewältigen zu können. Andererseits hatte sie noch so viel vorgehabt. Ava wurde schmerzlich bewusst, dass sie niemals mehr die Gelegenheit bekommen würde, sich für all das zu bedanken, was Ruth für sie getan hatte. „Wenigstens hat sie nicht gelitten“, ergänzte sie gedankenverloren, mehr an sich selbst gerichtet.

„Lo siento.“ Das dunkle Timbre der fremden Stimme legte sich wie eine weiche Decke um ihre Schultern. Mit einem Finger hob Jaime ihr Kinn an, um ihr in die Augen zu sehen. „Ich habe Señora Ruth sehr gemocht. Sie war eine feine Lady.“

„Bitte gehen Sie. Ich möchte jetzt allein sein“, sagte Ava, bemüht, die Fassung zu bewahren. Dabei war es nicht nur die Trauer um ihre Tante, sondern auch seine Nähe, die sie bedenklich aus dem Gleichgewicht brachte.

Einen Augenblick musterte er sie. „Wenn Sie etwas brauchen …“

Sie trat einen Schritt zurück. „Ich komme zurecht, danke.“

„Bueno.“ Mit einem Kopfnicken verließ er das Zimmer. Kurz darauf hörte sie die Haustür ins Schloss fallen.

Kein Einbrecher. Nur ein Mann, der sich auf Ruths Wunsch hin um das Anwesen gekümmert hatte. Mit hängenden Schultern ließ Ava sich zurück auf das Bett sinken. Siedend heiß fiel ihr etwas ein. Womöglich schuldete Ruth diesem Jaime noch Geld.

Wie in aller Welt sollte sie ihn wiederfinden? Sie kannte zwar seinen Namen, aber weder seine Adresse noch eine Bankverbindung, um ihm eventuell ausstehende Gehälter zu überweisen. Aber das war gerade das geringste Problem. Nach einem starken Espresso und einer heißen Dusche musste sie in Andratx den Makler aufsuchen, auch wenn dieser Gedanke sie nicht gerade erfreute.

Sie versuchte, sich damit zu trösten, dass Mallorca für jemanden, der selbst im Schatten Sommersprossen bekam, ohnehin nicht der passende Ort war.

Jaime ging über den Natursteinpfad zurück zu seinem nachtblauen Jaguar. Das Cabrio parkte neben dem etwas heruntergekommenen Kleinwagen, der, wie er nun wusste, Señora Ruths Nichte gehörte. Gedankenversunken strich er sich über das Kinn, ehe er den Motor startete und losfuhr. Ruth war tot. Was für eine traurige Nachricht. Er hatte die alte Dame wirklich gemocht. Trotz ihrer spröden Art hatte sie ein Herz aus Gold gehabt.

Sie war es gewesen, die ihm vor so vielen Jahren angeboten hatte, als Pooljunge auf ihrer Finca etwas Geld zu verdienen. Sie hatte nie erfahren, in welcher schwierigen Lage sich seine Familie damals tatsächlich befunden hatte. Und auch nicht, dass er ohne sie … Aber egal. Vor einiger Zeit hatten sich ihre Wege erneut in Andratx gekreuzt. Als er erfahren hatte, dass sie auf der Suche nach jemandem war, der während ihrer oft monatelangen Abwesenheit ab und zu nach ihrem Haus sah, hatte er ihr spontan angeboten, das zu übernehmen. Es war ihm ein Bedürfnis gewesen, ihr etwas zurückzugeben. Sein Arbeitsplatz lag weniger als zehn Minuten von der Finca Bonita entfernt, und es war für ihn keine große Sache, dort vorbeizufahren und nach dem Rechten zu sehen. Ruth hatte ihm einen mehr als großzügigen Betrag als monatliches Dankeschön angeboten, was er jedoch freundlich abgelehnt hatte. Auf das Geld war er nicht mehr angewiesen.

Die junge Frau mit den roten Locken und den whiskyfarbenen Augen war also Ruths Nichte. Und etwas an ihr brachte eine Saite in ihm zum Klingen. Sie war apart, und ihre Kurven waren atemberaubend. Aber Jaime war schon so einigen umwerfenden Frauen begegnet. Was faszinierte ihn ausgerechnet an ihr? Er kannte nicht einmal ihren Namen. Plötzlich fiel ihm ein, woher das Gefühl kam, sie zu kennen. Der hübsche Rotschopf war das düster dreinschauende Mädchen, das ihn einst am Pool verstohlen beobachtet hatte, das Gesicht halb von einer Zeitschrift verborgen.

Leider hatte sie das Magazin verkehrt herum gehalten, und er hatte sich zusammenreißen müssen, um nicht lauthals loszulachen. Außer der wilden Haarpracht und den außergewöhnlichen Augen erinnerte heute nichts mehr an die freche Göre. Er schmunzelte über das Bild aus längst vergangenen Zeiten.

Die Frau übte eine verlockende Anziehungskraft auf ihn aus. Wie sie wohl im Bett war? Zart und anschmiegsam oder eher wie eine kratzbürstige Wildkatze? Energisch schob er diesen völlig unangemessenen Gedanken beiseite. Ein sexuelles Abenteuer stand nicht zur Debatte. Nicht, wenn es sich um Señora Ruths Nichte handelte. Ruth hätte eine belanglose Affäre bestimmt nicht gutgeheißen. Er erinnerte sich daran, wie sie ihm vor gar nicht allzu langer Zeit bei einem Glas Wein und mit für sie ungewöhnlich gelöster Zunge erzählt hatte, dass sie sich Sorgen um ihre Nichte machte, weil das Mädchen noch immer nicht verheiratet war.

Jaime war nicht auf der Suche nach einer festen Bindung. Er zog das Vergnügen kurzer Affären vor. Ohne emotionale Beteiligung, ohne Verpflichtungen. Er hatte es ein Mal versucht. Ernsthaft versucht. Hatte Herz und Seele in eine Beziehung gelegt und sich die Finger verbrannt. Seit der Trennung von seiner Verlobten hatte es keine Frau mehr in seinem Leben gegeben, die sein Inneres berührte. Und dabei wollte er es auch belassen. Für schnelle, unverbindliche Bettgeschichten war er stets zu haben, doch niemals nahm er eine Frau mit nach Hause oder ließ sie hinter den Schutzwall blicken, den er um sich errichtet hatte. Niemals würde er zulassen, dass ihn jemand noch einmal so verletzte, wie Elena es getan hatte.

Frei und ungebunden – er liebte sein Single-Leben, wie es war. Egal, wie zauberhaft sie auch war, er würde Señora Ruths Nichte schneller wieder vergessen, als er das Padre Nuestro heruntergebetet hätte. Was nicht hieß, dass er besonders gläubig war. Seit der Tod seinen geliebten Vater viel zu früh aus dem Leben gerissen hatte, haderte er mit dem himmlischen Padre.

Mit einem wehmütigen Zug um den Mund fuhr Jaime im Schritttempo an der Plaza Toledo in S’Arracó vorbei und winkte dem alten Alfonso zu, der wie üblich in einem Korbstuhl vor Marias Bodega saß und auf seinem Pfeifenstiel herumkaute. Manche Dinge änderten sich nie. So wie die Schuldgefühle, von denen Jaime überwältigt wurde, sobald er an seinen Vater dachte.

2. KAPITEL

Nach ihrem Besuch in Andratx beschloss Ava, auf dem Heimweg einen Zwischenstopp in S’Arracó einzulegen. Sie brauchte dringend einen Kaffee, denn in ihren Schläfen kündigte sich ein fieses Pochen an, das sich leicht zu einer Migräne auswachsen konnte, wenn sie nicht aufpasste. Die Begegnung mit dem Makler war äußerst unbefriedigend gewesen. Nicht nur, weil ihr der Mann sehr unsympathisch gewesen war. Während des Gesprächs hatte sie sich immer wieder dabei ertappt, wie sie in Gedanken das Wohn- und die Schlafzimmer der Finca umdekorierte und neue Blumenbeete im Garten anlegte. Die Vorstellung, das Anwesen als Rückzugsort zu behalten, beschäftigte sie unaufhörlich. Natürlich wusste sie, dass das alles reine Gedankenspiele waren. Wenn sie die Zeit nur zurückdrehen und ihren Fehler ungeschehen machen könnte!

Zumindest in liebevolle Hände sollte die Finca gelangen. Das war sie Ruth schuldig. Sie wollte bei einem Café con leche noch mal im Internet recherchieren, möglicherweise fand sich ein anderes Maklerbüro.

Ihr Ziel am Fuß der Tramuntana lag nur drei Kilometer westlich von Andratx entfernt. Einem Impuls folgend, wählte sie die schmale, teilweise von Steinmauern begrenzte Landstraße, die von herrlichen Gärten und Obstplantagen geprägt war. Sie kurbelte das Fenster herunter und atmete den harzigen Duft der auf dem felsigen Grund der Berghänge wachsenden Aleppokiefern ein. Wie wunderschön es hier war! Jenseits des Weges versteckten sich verlassene Hirtenhütten inmitten von weiten Oliven- und Mandelhainen, aber auch imposante Anwesen, die sich an die bewaldeten Hügel schmiegten.

Als Ava nach einer letzten, scharfen Kurve der Blick auf die Häuser von S’Arracó empfing, hatte das Pochen in ihrem Kopf glücklicherweise nachgelassen.

Es war gar nicht so einfach, in den schmalen Sträßchen einen Parkplatz zu ergattern. Ava war heilfroh, dass sie den Kleinwagen zwischen zwei andere in den Schatten eines zweistöckigen, lachsfarbenen Hauses quetschen und aussteigen konnte. Sie strich ihren kurzen Leinenrock glatt, den sie zu einer blauen Seidenbluse kombiniert hatte, klemmte sich die Mappe mit den Unterlagen vom Haus unter den Arm und machte sich auf die Suche nach einem Café.

Das Dorf ist wirklich schön, dachte Ava, während sie die Hauptstraße entlanglief. Romantisch, verträumt und ein bisschen wie aus der Zeit gefallen mit seinem einzigartig mallorquinischen Charme. Abgesehen von traditioneller Bauweise gaben Elemente des französischen Jugendstils Zeugnis von Dorfbewohnern ab, die im 19. Jahrhundert nach ihrer Rückkehr aus Frankreich hier prächtige Häuser bauten. Ava war ganz verzaubert von den hübschen Fassaden, den bunten Klappläden und kunstvoll verschnörkelten Balkonen. Kein Wunder, dass sich hier viele Künstler heimisch fühlten. Ansonsten war das kaum tausend Einwohner zählende Dorf bei jenen beliebt, die die Beschaulichkeit des Landlebens suchten. Genau wie Ruth es getan hatte. Die Geschäftigkeit Londons hatte sie mit zunehmendem Alter irritiert. Ava musste zugeben, dass das auf den ersten Blick verschlafene Örtchen auch auf sie einen ganz besonderen Reiz ausübte.

Zu ihrer Freude entdeckte sie neben der Kirche einen kleinen, baumbestandenen Brunnenplatz mit Tischen und Stühlen, die offensichtlich zu dem gegenüberliegenden Café gehörten. Perfekt! Auf genau so ein idyllisches Fleckchen hatte sie gehofft. Sie wählte einen freien Tisch und setzte sich. Dann sprang sie wieder hoch. Wie konnte sie es nur vergessen? Rasch zählte sie still bis drei und wollte sich gerade erneut niederlassen, als sie eine Hand an ihrem Rücken spürte. Sie fuhr herum. „Jaime!“

„Ist alles in Ordnung?“

„Natürlich, warum nicht?“ Um ihre Verlegenheit zu überspielen, pustete sie sich eine Locke aus der Stirn. „Was machen Sie hier?“

Das Grübchen in seiner Wange blitzte auf. „Und Sie?“

„Beantworten Sie eigentlich jede Frage mit einer Gegenfrage?“ Sie kniff die Augen zusammen, wobei sie unauffällig seine breiten Schultern, das markante Kinn und die durchtrainierte Gestalt taxierte. Er trug noch dieselbe Kleidung wie am frühen Morgen, doch inzwischen hatte er sich rasiert.

Sein Lächeln vertiefte sich. Ungefragt schob er sich einen Stuhl zurecht und verstaute seine langen Beine unter dem Tisch. Der Mann hatte Nerven!

„Oh bitte, setzen Sie sich doch“, konnte Ava sich einen Hinweis auf seine Unverfrorenheit nicht verkneifen, wobei sie es vermied, auf dieses verdammt sexy Grübchen zu starren.

„Sorry“, meinte er zerknirscht. Das vergnügte Funkeln in seinen Augen strafte ihn allerdings Lügen. „Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Ihnen Gesellschaft leiste?“

Lieber Himmel. Am liebsten würde sie ihn wieder fortschicken. Andererseits wollte sie nicht unhöflich sein. Außerdem war er wirklich nett anzusehen. Sehr nett. Ava kapitulierte. „Meinetwegen, bleiben Sie“, sagte sie und setzte sich ihm gegenüber.

„Danke.“ Er schenkte ihr ein Megawattlächeln, das ihr mit Sicherheit weiche Knie beschert hätte, wenn sie nicht bereits gesessen hätte. „Und um auf Ihre Frage zurückzukommen, ich habe gerade meinem Lieblingsweinhändler um die Ecke einen Besuch abgestattet und befand mich auf dem Rückweg zu meinem Wagen, als ich Sie zufällig hier gesehen habe.“ Angesichts ihres skeptischen Blicks lachte er. „Ich schwöre, es ist reiner Zufall, dass wir uns hier wiederbegegnen.“

„Wenn Sie es sagen.“ Ava griff nach der Getränkekarte.

„Ein netter Ort, nicht wahr?“

„Hm?“ Sie schwankte zwischen Milchkaffee und Cappuccino.

„S’Arracó.“

„Oh, ja. Das ist es.“

„Mein Vater wurde hier geboren.“

„Tatsächlich?“

„Die meisten Menschen denken an Traumstrände, türkisfarbenes Meer, Zitronenbäume und Palmen, wenn sie von Mallorca sprechen. Aber machen nicht die kleinen, verschlafenen Dörfer in ihrer Ursprünglichkeit den besonderen Charme der Insel aus? Was meinen Sie?“ Seine dunklen Augen sprühten vor Leidenschaft, als Ava seinem Blick begegnete.

„Vermutlich haben Sie recht, Jaime.“

„Wissen Sie, was nicht fair ist?“

„Ich brenne vor Neugier.“

„Sie kennen meinen Namen, ich Ihren aber nicht. Ich kann Sie doch schlecht als Tante Ruths Nichte ansprechen.“

Sich ein Lachen verkneifend, legte sie die Karte auf den Tisch zurück. Allmählich machte ihr das Geplänkel mit ihm sogar Spaß. „Ava Henley.“

„Nett, Sie kennenzulernen, Ava Henley.“ Er zwinkerte ihr zu. „Was wollen Sie trinken? Ich lade Sie ein.“

„Danke, nein. Das ist nicht nötig.“ Er trug keinen Ehering, bemerkte sie beiläufig, als er sich mit den Händen durch die dunklen Haare fuhr. Egal, Ava hatte ohnehin kein Interesse, und er war gewiss nicht der Typ Mann, mit dem sie sich einlassen sollte.

„Bitte, ich bestehe darauf.“ Er ließ nicht locker. „Lassen Sie uns in Erinnerung an Ihre Tante anstoßen.“

Das zog. „Okay. Sie haben mich überredet.“

„Schön.“ Er hielt ihren Blick gefangen.

Diese Augen. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie in dem samtigen Braun versinken. Ava schüttelte sich innerlich. Sie war nur auf die Insel gekommen, um das Haus zu verkaufen. Sie war keine Suchende, und ganz bestimmt würde sie sich nicht von seinem südländischen Charme einwickeln lassen. Egal, wie anziehend sie Jaime auch fand.

Aus der gegenüberliegenden Trattoria kam eine dunkelhaarige Frau über den Platz. Dankbar für die Ablenkung winkte Ava die Kellnerin zu sich an den Tisch.

„Hola.“ Die junge Frau war klein und üppig, trug kirschroten Lippenstift und ihr langes nachtschwarzes Haar im Nacken zusammengefasst. Mit gezücktem Stift und Notizblock baute sie sich vor Ava auf.

„Un café con leche, por favor“, bat Ava ein wenig erstaunt, weil die Kellnerin den anderen Gast am Tisch zu ignorieren schien.

Erst als er sich räusperte, richtete sie einen unterkühlten Blick auf ihn.

Er bestellte zwei Gläser Cava und für sich einen Café solo. Ava glaubte, einen warnenden Unterton in seiner Stimme zu hören. Um seinen Mund lag ein harter Zug, und auch das kleine Lächeln, das sie zuvor in seinen Augen gesehen hatte, war verschwunden. Seine Stimmung schien sich schlagartig geändert zu haben.

Ava rang mit sich, ob sie Jaime darauf ansprechen sollte, während die Kellnerin mit schwingenden Hüften zurück ins Lokal ging, denn offensichtlich kannten die beiden sich. Dann entschied sie jedoch, es sein zu lassen, denn Jaimes Privatangelegenheiten gingen sie nichts an.

„Erzählen Sie mir ein wenig über sich, Ava. Was machen Sie so, wenn Sie nicht gerade fremde Männer aus ihrem Schlafzimmer verjagen?“, wollte Jaime wissen, nachdem sie mit den gewünschten Getränken versorgt worden waren.

Erleichtert, dass er zu seiner ursprünglichen Unbefangenheit zurückgefunden hatte, schmunzelte sie. „Ich verhelfe Paaren, den schönsten Tag in ihrem Leben noch schöner zu gestalten.“

Er hob eine Augenbraue. „Sie … sind Pfarrerin?“ Die Ungläubigkeit stand ihm förmlich ins Gesicht geschrieben.

„Meine Freundin Gwen und ich betreiben eine Hochzeitsagentur“, klärte sie ihn auf. „Wir planen und organisieren quasi alles, angefangen vom Brautkleid über Gästeliste, Location, Dekoration und Musik. Ja, zuweilen entwerfen wir sogar den Text für das jeweilige Traugelübde.“

„Wow. Das klingt … interessant.“ Hochzeiten waren anscheinend nicht sein Ding, realisierte Ava amüsiert. Sie setzte zu einer Antwort an, als er unvermittelt sein Glas hob. „Salut, Ava! Auf Ruth.“ Seine Augen funkelten warm. „Möge sie in Frieden ruhen.“

Sie stieß mit ihm an. „Auf Tante Ruth.“ Nachdenklich nahm sie einen kleinen Schluck und genoss das Prickeln des Schaumweins auf ihrer Zunge. Irgendwie konnte sie es noch immer nicht fassen, dass sie ihre Tante niemals mehr wiedersehen würde. Sie wagte sich nicht vorzustellen, was Ruth dazu sagen würde, dass Ava die Finca verkaufen wollte. Verzeih mir, Tante.

„Ava.“ Jaimes dunkle, sanfte Stimme riss sie aus ihrer Grübelei.

„Ja?“

„Einen Penny für Ihre Gedanken“, sagte er lächelnd.

Sah er ihr an, dass sie etwas bedrückte? Sie zuckte mit den Schultern. „Ich war gerade bei einem Makler, um ihm das Haus zum Verkauf zu übergeben. Im Internet erschien mir die Firma recht vertrauenswürdig, aber jetzt habe ich doch Zweifel bekommen. Der Mann war mir total unsympathisch. Ich glaube, ich muss mir ein anderes Maklerbüro suchen.“

Jaime ließ sein Glas sinken. „Ernsthaft? Sie wollen verkaufen?“

Sie nickte zögernd. „Ich muss so rasch wie möglich zurück nach London.“ Ein Windhauch ließ die Blätter rascheln, und das durchblitzende Sonnenlicht verwandelte ihr rotes Haar in ein Flammenmeer.

Wusste Ava eigentlich, wie bezaubernd sie war? Und das war sie, mit dem herzförmigen Gesicht, dem sinnlichen Schwung ihrer Lippen und diesen ungewöhnlichen, whiskyfarbenen Augen. Jaime gelang es kaum, den Blick abzuwenden. „Dringende Geschäfte?“, wiederholte er.

Erneut schmunzelte sie. Offenbar hatte sie seinen wenig subtilen Versuch, herauszufinden, ob sie Single war, durchschaut. „Ich bin ungebunden und glücklich damit, falls es das ist, was Sie wissen wollten.“

Wer hätte das gedacht? Eine Hochzeitsplanerin, die selbst nichts von der Ehe hielt. Er räusperte sich. „Da haben wir ja etwas gemeinsam.“ Und in seinem Fall sollte es auch genau so bleiben. Ava war eine verbotene Frucht, doch warum sollte er ihren Anblick nicht genießen?

Sie tauschten ein Lächeln.

„Aber nun zurück zu Ihren Verkaufsabsichten“, nahm er den ursprünglichen Faden wieder auf. „Ich könnte Ihnen helfen.“ Was zum Teufel machte er da?

„Inwiefern?“

„Ich habe hier im Ort viele Kontakte. Ich kann Sie mit einem guten Makler zusammenbringen und die Verhandlungen übernehmen“, schlug er vor. „Glauben Sie mir, ich kenne die Tricks und Fallen der hiesigen Branche.“ Hoffentlich klang er nicht allzu übereifrig. Es war verrückt, ihr dieses Angebot zu unterbreiten. Er sollte sich besser von ihr fernhalten, denn mit dem verführerischen Sex-Appeal und ihrem reizvollen Zauber besaß Ava das Potenzial, ihn in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen. Jaime musste sein Herz um jeden Preis schützen. Doch möglicherweise war dies die Chance, ein lang gehegtes Vorhaben zu realisieren. Nach all den Jahren und trotz seines Erfolgs nagte die Schuld noch immer an ihm. Er gäbe alles dafür, seinem Vater noch einmal in die Augen zu blicken und ihm versichern zu können, seinem Herzenswunsch nachzukommen. Dass Ava das Anwesen verkaufen wollte, schien ihm ein Wink des Schicksals zu sein. „Also, was sagen Sie?“

Der filigrane Bernsteinring an ihrem Daumen funkelte im Licht, als Ava den Rand der Kaffeetasse nachzeichnete. „Ich weiß nicht.“ Sie hob den Blick. „Warum wollen Sie das tun?“ Ein Hauch von Kühle hatte sich in ihre Stimme geschlichen.

„Ihre Tante hat mir einmal sehr geholfen“, improvisierte Jaime geistesgegenwärtig. „Und nun möchte ich Ihnen helfen. Sehen Sie es als eine Art Dankeschön an.“ Was er sagte, stimmte nur zum Teil. Er hielt es zum jetzigen Zeitpunkt für unklug, Ava über sein wahres Motiv aufzuklären.

Sie neigte den Kopf und sah ihn abschätzend an. Vermutlich überlegte sie, ob sie ihm trauen konnte. „Wir kennen uns doch gar nicht.“

„Das können wir sofort ändern“, erklärte er mit dem Anflug eines leisen Lächelns. „Ich bin vierunddreißig und in Andratx in einer liebevollen, lauten und großen Familie aufgewachsen.“ In einer Familie, die so manchen Sturm durchstehen musste. Unwillkürlich berührte er das kleine goldene Kreuz an seinem Hals, das ihm sein Vater kurz vor seinem Tod in die Hand gedrückt hatte. Jaime war damals fünfzehn und musste als Ältester von drei Brüdern von heute auf morgen die Verantwortung als neues Familienoberhaupt übernehmen. Schon zuvor hatte er die Familie finanziell mit Gelegenheitsjobs unterstützt. Mit verschränkten Armen lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, während die Bilder der Vergangenheit an ihm vorüberzogen und schließlich verblassten. „Ich habe eine Schwäche für guten Wein, Empanadas und Jazz“, fuhr er fort. „Zudem schwimme, surfe und wandere ich gern. Genügt Ihnen das fürs Erste?“

Als Ava auflachte, registrierte er, wie sehr ihm der Klang ihres Lachens gefiel. „Und was machen Sie beruflich?“, hakte sie nach und nippte von ihrem Kaffee.

„Ich bin Geschäftsmann.“ Er starrte auf ihren Mund.

„Was genau …?“

„Sie haben da etwas.“ Er beugte sich vor und strich über den verlockenden Schwung ihrer Oberlippe. Ihre Augen wurden groß, als er sich anschließend den Daumen ableckte. „Milchschaum.“ Sein Blick hielt den ihren gefangen. „Sehr süß“, ergänzte er mit rauer Stimme.

„Jaime, ich …“

„Entschuldigen Sie.“ Er verpasste sich einen virtuellen Tritt in den Hintern. Hör auf, mit dem Feuer zu spielen, Rivera. Er hätte das Flirten sein lassen sollen. Die Pferde waren mit ihm durchgegangen, und er sollte sich besser zusammenreißen. „Mein Angebot ist ernst gemeint, Ava“, wechselte er rasch das Thema. „Lassen Sie mich Ihnen helfen.“

Stirnrunzelnd straffte sie die Schultern. Einen Moment taxierte sie ihn, und er konnte förmlich sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Dann wurde ihr Ausdruck weich. „In Ordnung. Womöglich mache ich einen Fehler. Allerdings könnte ich etwas Unterstützung in dieser Sache gut gebrauchen. Ich vertraue Ihnen.“ Ihr Blick traf ihn direkt ins Herz.

Er deutete auf die Ledermappe auf dem Tisch. „Sind das die Immobilienunterlagen? Lassen Sie mich die mit nach Hause nehmen und durchsehen. Ich habe da schon ein, zwei infrage kommende Büros im Sinn. Ramón ist ein Freund von mir, ich könnte mir vorstellen, dass er der Richtige ist.“

„Das klingt gut. Danke.“

„Gern geschehen.“ Seine Fingerspitzen streiften ihre, als sie ihm die Mappe zuschob, und er stellte sich vor, wie seine Hände über die seidige Haut ihrer verführerischen Kurven glitten. Stopp! Schlechte Idee, Rivera. Ganz schlecht. Erneut räusperte er sich, bemüht, das Ziehen in seinen Lenden zu ignorieren. „Geben Sie mir Ihre Handynummer, ich melde mich bei Ihnen.“

Während er sich verzweifelt nach einer kalten Dusche sehnte, kramte Ava ihre Visitenkarte aus der Handtasche und reichte sie ihm. „Wann denken Sie, wird das sein? Ich muss …“

„Nach London zurück, ich weiß“, vervollständigte er ihren Satz mit einem schiefen Lächeln. „Ich werde noch heute ein paar Telefongespräche führen. Sollte ich noch irgendetwas wissen, ehe ich mich auf die Suche begebe?“ Jaime musterte sie über den Rand der Kaffeetasse hinweg. „Irgendwelche Besonderheiten?“

Ava schüttelte den Kopf. „Es steht alles in den Unterlagen.“ Sollte sie ihn in die Geschichte einweihen? Sie sehnte sich danach, jemandem ihr Herz auszuschütten. Über das zu sprechen, was sie seit geraumer Zeit mit sich selbst ausmachte. Doch obwohl sie sich zunehmend in Jaimes Gesellschaft wohlfühlte und Ruth ihm offenbar vertraut hatte, entschied sie sich dagegen. „Es ist mir wichtig, dass die Finca in gute Hände kommt. Wirklich wichtig, verstehen Sie?“

„Natürlich.“

Beiläufig nahm Ava wahr, wie die Kellnerin den Nebentisch, der gerade frei geworden war, akribisch säuberte und dabei immer wieder verächtliche Blicke in Jaimes Richtung warf. Ganz offensichtlich hatte die Frau ein Problem mit Jaime. Ihn schien das provozierende Verhalten jedoch nicht zu beeindrucken. Dennoch senkte Ava unwillkürlich die Stimme. „Außerdem soll die Finca in ihrer Ursprünglichkeit erhalten werden.“

Jaime leerte seine Tasse und wartete, dass Ava weitersprach.

„Meine Tante hat das Haus so sehr geliebt, und …“ Sie straffte ihren Rücken. Auf keinen Fall wollte sie vor Jaime Schwäche zeigen. „Ich möchte einfach gerne, dass alles so bleibt, wie es ist. Denken Sie, das ist ein Problem?“ Sie hatte bemerkt, wie er kurz seine Stirn runzelte.

„Vermutlich nicht.“

„Wobei ich natürlich hoffe, ein gutes Angebot zu bekommen. Ich …“ Sie verstummte und kramte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. Verdammt, sie musste professionell bleiben!

„Hey, was ist denn los?“ Das Timbre seiner Stimme ging ihr durch und durch.

„Ach, es ist nichts.“ Sie wich seinem Blick aus, hielt sich das Tuch vor die Nase und schnäuzte sich.

„Kann ich irgendwie helfen?“

„Nein.“ Sie blinzelte die aufsteigenden Tränen fort. „Es ist nur, dass ich die Finca auf keinen Fall unter Wert verkaufen will.“ Oder kann. Er ahnte ja nicht, wie dringend Ava das Geld brauchte.

„Machen Sie sich keine Sorgen. Ich rede mit Ramón, und dann sehen wir, was sich machen lässt. Ich bin mir jedoch sicher, dass wir für das Anwesen eine schöne Summe herausschlagen können.“ Er schenkte ihr ein zuversichtliches Lächeln. „In der Zwischenzeit genießen Sie das schöne Wetter und den Pool.“

„Danke. Das werde ich tun. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich möchte jetzt gern gehen.“ Auf einmal hatte sie es eilig, das Dorf zu verlassen, denn sie spürte, wie das leise Pochen hinter ihren Schläfen zurückkehrte. Zudem wollte sie jede einzelne Sekunde auskosten, die sie auf der Finca Bonita noch verbringen konnte.

Was in aller Welt war nur in sie gefahren? Warum vertraute sie einem quasi fremden Mann den Verkauf von Ruths Haus an? Hunderte verwirrende Gedanken wirbelten durch Avas Kopf, nachdem sie sich von Jaime verabschiedet hatte und zurück zum Auto ging. Einerseits war sie dankbar für sein großzügiges Angebot, andererseits fragte sie sich, ob es nicht ein Fehler gewesen war, ihm die Unterlagen zu überlassen. Auch wenn er hinreißend freundlich und unwiderstehlich war, war er dennoch ein Fremder. Sie musste sich allerdings eingestehen, dass sie Jaime mehr als nur sympathisch fand. Und genau darin lag das Problem. Schon einmal hatte sie dem falschen Mann vertraut und eine sehr dumme Entscheidung getroffen. Sie presste die Lippen zusammen, als sie in ihrer Tasche nach dem Autoschlüssel angelte.

„¡Señora, Señora!“

Eine aufgeregte Frauenstimme sowie das geschäftige Klappern von Absätzen hinter ihrem Rücken ließ Ava innehalten. Sie wandte sich um und sah die Kellnerin auf sich zulaufen. Hatte sie etwas im Café vergessen?

Atemlos blieb die Frau vor Ava stehen. „Eso hombre rico, narcisista, egoísta, mujeriego …“ Die Worte ratterten so schnell aus ihrem Mund, dass Ava verständnislos die Schultern hob.

„Wie bitte? Ich verstehe nicht …“

„Jaime.“ Die Spanierin spuckte den Namen förmlich aus. „Er ist ein verdammter …“ Gestikulierend suchte sie nach passenden Worten. „Mistkerl! Ja, ein verfluchter Mistkerl! Frauenheld!“ Ihre kohlschwarzen Augen blitzten Ava wütend an. „Sie halten sich besser von ihm fern.“

3. KAPITEL

Nach einer unruhigen Nacht war Ava etwas länger im Bett geblieben, ehe sie sich am nächsten Morgen mit einem Becher Kaffee auf die Terrasse setzte. Am Abend zuvor hatte sie hier die friedliche Abendstimmung und die aufkommende Kühle mit einem fein duftenden mallorquinischen Rosado aus Ruths Weinkeller genossen. Doch es war ihr nicht gelungen, sich zu entspannen. Das Gedankenkarussell in ihrem Kopf hatte sich unaufhörlich gedreht. Gab es wirklich keine andere Möglichkeit, als dieses zauberhafte Anwesen fortzugeben? Sie konnte sich immer mehr vorstellen, hier zu leben, zumindest zeitweise. Der Ort besaß etwas Friedvolles, das ihre Seele berührte … Und auch Jaime wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf. Nicht nur, weil sie sich immer wieder vorstellte, wie es sich wohl anfühlen würde, in seinen starken Armen zu liegen und von ihm geliebt zu werden, sondern auch, weil sie ihm die Verkaufsunterlagen anvertraut hatte. Leider hatte er sich nach ihrem Treffen nicht mehr gemeldet, und sie hoffte, dass er sein Angebot ernst gemeint hatte, und es nicht nur eine perfide Masche war, sich an sie heranzumachen. Denn sie musste ständig an die warnenden Worte der Spanierin denken.

Sie halten sich besser von ihm fern.

Was hatte das zu bedeuten? Das Ganze war höchst mysteriös.

Ratlos nippte sie an ihrem Getränk. Diese Sache mit der Unbekannten hinterließ ein nagendes Gefühl in ihrer Magengrube. Sie brauchte dringend jemanden zum Reden.

Es war Samstag, kurz nach elf auf Mallorca, also eine Stunde früher in London. Mit etwas Glück war Gwen bereits wach. Ava griff zu ihrem Handy.

Wie erhofft meldete die Freundin sich sofort. „Guten Morgen, Süße. Du hast doch nicht etwa Sehnsucht nach mir, weil du schon wieder anrufst?“

Lachend schüttelte Ava den Kopf. „Natürlich vermisse ich dich. Ich hoffte, dass du nicht mehr schläfst.“

Gwen stieß einen tiefen Seufzer aus. „Wie könnte ich? Ich hatte heute Morgen schon einen Anruf einer aufgelösten Kundin, die sich mit ihrer künftigen Schwiegermutter wegen der Tischordnung in die Haare gekriegt hat und jetzt überlegt, ob sie den Empfang abblasen soll.“

„Du Arme.“ Ava schob sich einen zweiten Korbsessel zurecht, um die Beine darauf ablegen zu können. Samstags hatte das Büro von Forever Yours zwar offiziell geschlossen, doch Ava und Gwen waren für Kunden im Notfall rund um die Uhr ansprechbar. Dieser Service gehörte zum Leistungspaket und wurde häufig in Anspruch genommen.

„Ja, hab mal bitte ein bisschen Mitleid mit mir. Während du dir die Sonne auf den Bauch scheinen lässt, schlage ich mich mit den Problemen kopfloser Bräute herum.“

„Also erstens sitze ich im Schatten. Und zweitens …“ Es war besser, wenn sie schnell auf den Punkt kam. „Ich habe einen Mann kennengelernt.“

„Habe ich es doch gewusst!“ Gwen schnaubte empört, was Ava erneut zum Schmunzeln brachte.

„Es ist nicht so, wie du denkst.“ Rasch berichtete sie der Freundin von der Begegnung mit Jaime und dessen Angebot.

„Er stand plötzlich in deinem Schlafzimmer? Nein, Ava, das ist einfach urkomisch. Entschuldige, ich …“ Gwen prustete los. „Eine eindrucksvolle erste Begegnung, würde ich behaupten“, fügte sie an, nachdem sie sich wieder beruhigt hatte. „Und nun unterstützt er dich beim Hausverkauf? Du vertraust ihm?“

Ava zögerte kurz. „Tue ich. Er …“

„… ist anbetungswürdig“, unterbrach Gwen. „Charmant. Und umwerfend sexy. Das sagtest du bereits.“

„Ich weiß.“ Er war all das und noch viel mehr. Jaimes Bild stieg vor ihrem geistigen Auge auf, und sie fegte es entschieden von sich. Sie brauchte einen klaren Kopf. „Aber darum geht es nicht. Jaime war mit Tante Ruth befreundet, sie hat ihm vertraut, und er scheint es wirklich ernst zu meinen mit seinem Angebot. Allerdings …“ Sie berichtete Gwen von der unbekannten Furie, die kein gutes Haar an ihm gelassen hatte. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, schloss sie achselzuckend.

„Dieser Jaime scheint ein Herzensbrecher zu sein, wie er im Buche steht. Ich muss gestehen, ich würde selbst gern einen Blick auf ihn werfen.“

„Typisch.“ Ava kannte Gwens Vorliebe für dunkle Typen. Sie kicherte, und für einen Augenblick vergaß sie ihre Sorgen.

„Ach Süße, ich wünschte, ich könnte dir einen Rat geben. Sei bitte vorsichtig, ja?“ Gwen hatte vor einem halben Jahr das Drama mit Christopher mitbekommen und Ava in ihrer Trauerphase mit unzähligen Packungen Taschentüchern und tonnenweise süßen Pralinen versorgt. Kein Wunder, dass sie sich nun besorgt zeigte.

„Das bin ich.“ Ava war wild entschlossen, der sexy Ausstrahlung von Jaime zu widerstehen. Die Verbindung war rein geschäftlicher Natur.

„Noch was, Ava.“

„Ja?“

„Mr. Buxton von der Bank wollte dich sprechen.“

Avas Herzschlag setzte für einen Moment aus, und alle Unbeschwertheit war dahin. Vor ihrem Abflug nach Mallorca hatte sie ein Gespräch mit dem Kreditberater geführt. Sie hatte den Mann über den Stand der Dinge informiert und ihn gebeten, die Füße noch eine Weile stillzuhalten. Ava hoffte inständig, dass er Gwen nicht ins Bild gesetzt hatte, denn sie hatte ihn um Diskretion in der Sache gebeten, auch ihrer Geschäftspartnerin gegenüber. Die jeweiligen Zuständigkeitsbereiche waren seit Agenturgründung klar definiert. Gwen war für Marketing und Konzepterstellung verantwortlich, Ava für die Auftragsabwicklung sowie für Buchhaltung und Finanzen. Bisher waren sie immer gut damit gefahren. „Was wollte er?“, fragte sie Gwen betont beiläufig.

„Das hat er mir nicht verraten. Sag, stimmt etwas nicht? Mir ist bewusst, dass wir mehr Aufträge an Land ziehen könnten, zumal unsere Konkurrenz nicht schläft …“

„Nein, alles gut“, unterbrach Ava und wischte ihre plötzlich schweißnasse Hand am T- Shirt ab. „Es ist nichts, worüber du dir Sorgen machen musst“, beruhigte sie die Freundin. Ava wollte die Sache nicht am Telefon diskutieren. Sobald sie zurück in London war, würde sie dieses heiße Eisen anfassen. Sie hoffte jedoch, dass sich in Kürze alles in Wohlgefallen auflöste und sie Gwen erst gar nicht mit diesem Problem belasten musste.

„Ich bin bald zurück“, versprach sie. „Du wirst schon sehen. Mit Jaimes Hilfe werde ich einen geeigneten Käufer für das Haus finden, und dann überlegen wir uns eine neue Werbestrategie.“

Sie beendeten das Gespräch, und Ava brachte das Geschirr in die Küche. Egal, wie sie es auch drehte oder wendete, der Wunsch, die Finca behalten zu können, war vollkommen unrealistisch. Ihre Gefühle zählten nicht. Sie musste zurück nach London und das Malheur bereinigen, das sie der Agentur eingebrockt hatte. Das war sie ihrer besten Freundin schuldig. Sie hielt inne, als sich erneut ihr Handy meldete. Hatte Gwen noch etwas auf dem Herzen? So wie sie die Freundin kannte, war diese nun doch ins Grübeln gekommen. Ohne aufs Display zu sehen, nahm sie das Gespräch entgegen. „Ich sagte dir doch, du musst dir keine Sorgen machen. Und was die andere Sache betrifft, ich werde gewiss nicht auf seinen Charme hereinfallen. Versprochen“, erklärte sie noch einmal nachdrücklich. „Egal, wie anziehend er auch sein mag.“

Am anderen Ende der Leitung war ein erstickter Laut zu hören. „Gut zu wissen.“

Mit dem Telefon am Ohr sank sie in den Sessel zurück. „Jaime.“ Mit Anlauf ins Fettnäpfchen! Andererseits konnte er nicht wissen, dass sie über ihn gesprochen hatte. Hoffte sie zumindest. „Ich … dachte, es wäre meine Freundin.“

„Kein Problem.“ Obwohl er sich anscheinend bemühte, konnte er die Erheiterung in seiner Stimme nicht verbergen. „Ich möchte Sie heute Abend in die Bodega Luisa einladen“, wechselte er abrupt das Thema. „Mit Abstand die hübscheste und beste Tapabar in Port d’Andratx.“

„Das ist wirklich nett, aber …“

„Ich habe Neuigkeiten und würde diese gern mit Ihnen besprechen.“

„Oh.“ Ein Geschäftsessen also. Beschämt, weil sie ihm andere Absichten unterstellt hatte, richtete sie den Blick auf ihre Fingernägel und nickte. „Ja, das freut mich. Ich komme gerne.“

„Ich hole Sie gegen sieben Uhr ab.“

„Nicht nötig.“ Sie wollte mit dem eigenen Wagen fahren, um unabhängig zu sein. „Ich fahre selbst und werde die Bar schon finden.“

„Ich bestehe darauf, Ava.“ Er klang entschieden. Offenbar war er ein Mann, der kein Nein gelten ließ. „Und ziehen Sie sich etwas Hübsches an.“

„Das ist kein Date.“ Sie runzelte die Stirn.

„Natürlich nicht.“

Warum hatte sie das unbestimmte Gefühl, dass er sie aufzog? Sie atmete tief ein und straffte ihre Schultern. „Okay. Ich werde pünktlich sein.“

„Wunderbar. Ich freue mich, Ava.“

„Ich … mich auch. Und Jaime?“

„Ja?“

„Danke.“

„Gern geschehen.“

Zum Teufel.

Ava sah unglaublich aus. Jaime hatte gewusst, dass sie bezaubernd war, doch ihr Anblick, als sie aus dem Haus trat, ließ sein Herz glatt für ein paar Schläge aussetzen. Tief Luft holend, ballte er seine Rechte zur Faust, während er neben seinem Jaguar vor der Finca Bonita stand und Ava entgegenblickte.

Ihre wilden kupferroten Locken hatte sie mehr oder weniger erfolgreich in einer Hochsteckfrisur gebändigt. Ein türkisgrün schillerndes, kurzes Kleid setzte ihre Kurven auf vorteilhafte Weise in Szene. Lange goldene Ohrringe streiften ihre nackten Schultern, hochhackige Riemchensandaletten vervollständigten das Outfit. „Hallo“, sagte sie ein wenig atemlos und blieb vor ihm stehen.

Er bemerkte die Sommersprossen auf der cremeweißen Haut ihrer Schultern, was sie seltsam verletzlich wirken ließ. Ein Anflug von ungeahnter Zärtlichkeit stieg in ihm auf. „Sie sehen umwerfend aus“, sagte er rau und öffnete ihr die Beifahrertür.

Sie bewegte ihre Lippen, als wollte sie etwas sagen, doch dann schlüpfte sie unter seinem Arm hindurch und ließ sich auf den cognacfarbenen Ledersitz gleiten. „Danke. Sie aber auch.“

Sein Outfit war schlicht und elegant: schwarze maßgeschneiderte Hose und ein dazu passendes tailliertes Hemd. Während er den Motor anließ, bemühte er sich, Avas feinen Vanilleduft auszublenden und bloß nicht auf ihre schlanken Oberschenkel zu starren, die der hochgerutschte Saum ihres Kleids entblößte.

Kieselsteinchen spritzten hinter den Rädern auf, als Jaime ein wenig zu schwungvoll wendete. Dafür erntete er einen fragenden Seitenblick von Ava.

Reiß dich zusammen, Rivera. Sie ist nichts für dich.

Er schenkte ihr ein betont lässiges Lächeln. „Sie werden die Bodega lieben. Es gibt dort die besten Tapas weit und breit. Und einen herrlich feurigen mallorquinischen Rotwein aus Binissalem.“

„Haben Sie die Papiere dabei? Die vom Haus, meine ich.“ Sie ließ sich nichts vormachen. Entschlossen, das Treffen rein geschäftlich zu halten, ließ sie ihn dies auch unmissverständlich wissen. Was ihm entgegenkam. Im Prinzip.

Er machte eine Kinnbewegung nach hinten. „Auf dem Rücksitz.“

„Sehr gut.“ Ihre Finger, die sich zuvor um ihre winzige Handtasche gekrampft hatten, lösten sich.

Jaime schaltete das Radio ein, um das sich ausbreitende Schweigen zu übertönen. Währenddessen suchte er nach einem unverfänglichen Gesprächsthema. Noch nie zuvor war es ihm passiert, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Herrgott, er war doch kein Teenager im hormonellen Gefühlstaumel! Und Ava nicht die erste Frau, die ihm gefiel. Doch anscheinend die erste, deren Gegenwart ein derartiges Verlangen in ihm auslöste, dass er sprachlos wurde. Er konnte nicht genau definieren, was es war, das ihn so sehr anzog. Vielleicht war es der Reiz des Verbotenen. Die Tatsache, dass sie für ihn tabu war. Doch das stimmte nur zum Teil. Die Anziehung ging viel tiefer. Eine Erkenntnis, die ihn erschütterte.

Die Bodega Luisa entpuppte sich tatsächlich als entzückende Bar direkt an der Promenade von Port d’Andratx. Das Ambiente sprach Ava sofort an: Ledermöbel, extravagante Lampen und Nischen, die für Intimität sorgten. Im Hintergrund lief leise Gitarrenmusik.

Jaime hatte einen Tisch reserviert. Er wartete höflich, bis Ava sich gesetzt hatte und ließ sich dann ihr gegenüber nieder. Ein junger Kellner tauschte ein paar persönliche Worte mit Jaime aus, ehe er freundlich nach ihren Wünschen fragte.

„Soll ich für uns bestellen?“, bot Jaime an, als Ava ihn fragend anschaute.

„Gerne. Vielleicht auch etwas ohne Fleisch.“

Er hob eine Augenbraue. „Sind Sie Vegetarierin?“

„Nur wenn es sich um Speisen handelt, bei denen ich nicht genau weiß, was drin ist.“

Ihre Aussage entlockte ihm ein kleines Schmunzeln. „Keine Sorge. Hier bekommt man nur die besten Zutaten.“

Er bestellte eine Platte mit unterschiedlichen Köstlichkeiten, dazu eine Flasche Rotwein und eine Karaffe Eiswasser.

„Auf diesen Abend.“ Jaime hob sein Weinglas und nickte ihr anerkennend zu. „Das Kleid steht Ihnen übrigens fabelhaft. Es betont die ungewöhnliche Farbe Ihrer Augen.“

„Danke.“ Er brauchte nicht zu wissen, dass sie nach seinem Anruf losgefahren war und sich das Kleid samt passenden High Heels für den Abend gekauft hatte. Obwohl dies ein rein geschäftliches Essen und kein Date war, genoss Ava es, sich ein neues Outfit gegönnt zu haben. Es war viel zu lange her …

Aber auch Jaime schien besonderes Augenmerk auf seine Kleidung gelegt zu haben. Er sah aus, als sei er aus einem Katalog für Designermode entsprungen. Das taillierte Hemd, das in einer unverschämt sexy Weise seine Brust- und Armmuskeln umspannte, betonte seine schönen dunklen Augen. Sein Haar, vom Duschen noch feucht, lockte sich im Nacken. Wie gerne würde sie die Hand ausstrecken, in die Locken packen und …

Sie sollte ihn wirklich nicht so ansehen. Und schon gar nicht unangemessene Gedanken haben. Schluss damit, Ava. „Wollen wir?“ Sie deutete auf die Mappe, die neben dem Tisch auf dem Fensterbrett lag. Solange man auf das Essen wartete, konnte Jaime sie über die Fortschritte in Sachen Hausverkauf informieren. Sie brannte darauf zu erfahren, ob er fündig geworden war.

Während Jaime berichtete, dass er in seinem Freund Ramón tatsächlich den geeigneten Makler für sie gefunden hatte und sie über Zahlen, Klauseln und Konditionen informierte, wurde es für Ava immer schwieriger, das erotische Kribbeln in ihrem Bauch zu ignorieren.

Er suchte ihren Blick. „Alles in Ordnung?“

Sie fächelte sich mit der Speisekarte Luft zu. „Mir ist bloß heiß“, erklärte sie und biss sich vor Verlegenheit auf die Unterlippe.

Sein wissendes Lächeln war zum Dahinschmelzen. „Wissen Sie eigentlich, dass wir uns früher schon mal begegnet sind?“

„Sind wir?“ Sie hielt mit dem Fächeln inne.

„Aber ja.“ Sein Grübchen vertiefte sich. „Mehrere Male sogar.“

Er zog sie auf. Keine zehn Pferde hätten sie aufhalten können, die Urlaube bei ihrer Tante auf Mallorca zu verbringen, wäre er ihr bereits früher über den Weg gelaufen.

„Du warst ein dünnes, mürrisches und sehr neugieriges Mädchen“, fuhr er mit vor Vergnügen funkelnden Augen fort, „das sich gern am Pool hinter einer Zeitschrift versteckte, um heimlich ältere Jungs bei der Arbeit zu beobachten.“

Avas Gesicht begann noch mehr zu glühen. Jetzt erinnerte sie sich an einen gewissen Pooljungen, für den sie sich einmal brennend interessiert hatte – Jaime! Du lieber Himmel, wo war das sprichwörtliche Loch, in das man sich verkriechen konnte, wenn man es brauchte? „Oh, ich … ja, das … stimmt.“ Etwas betreten schüttelte sie den Kopf. Die ganze Angelegenheit war ihr noch im Nachhinein peinlich. Dass er sich nach all den Jahren noch daran erinnerte! Sie hatte diesen älteren Jungen angebetet, der ihr stark und mutig erschienen war und in einer wunderschön melodischen Sprache gesprochen hatte, von der sie kein Wort verstand. Im Lauf der Jahre war sein Bild verblasst, und irgendwann hatte sie ihn vergessen. Jaime hatte die Erinnerung nun wieder lebendig werden lassen.

Er beugte sich über den Tisch und nahm eine Locke, die sich aus der Hochsteckfrisur gelöst hatte, zwischen seine Finger und zupfte spielerisch daran. „Es muss dir nicht peinlich sein. Ich denke gern daran. Es fühlte sich gut an, bewundert zu werden.“

Sie stieß ein kleines Lachen aus. „Ich war damals … schrecklich. Eine Herausforderung für die arme Ruth.“

„Dafür bist du heute umso bezaubernder.“

Ihre Blicke trafen sich und hielten einander gefangen.

„Und wunderschön.“ Zärtlich streichelte er mit dem Daumen über ihre Schläfe, ihren Wangenknochen.

Sie sah etwas in seinen Augen aufblitzen.

Ein Echo ihres Verlangens. Leidenschaft. Süßen Schmerz.

Entgegen aller Vernunft schmiegte sie ihre Wange in seine Hand und schloss die Augen. Die zärtliche Berührung tat so gut. Schon lange hatte kein Mann sie so berührt. In jeglicher Hinsicht. Es wäre ein Leichtes, sich fallen zu lassen. Nur mit Mühe löste sie sich von ihm. „Jaime.“

„Ava.“ Seine Augen hatten sich verdunkelt. Sein Blick fixierte ihre Lippen.

„Nicht.“ Wie in Zeitlupe schüttelte sie den Kopf. Sie spürte die schnellen Herzschläge bis in ihre Halsgrube.

Sanft, unendlich sanft strich Jaime mit der Daumenspitze über ihre bebende Unterlippe. Ava schloss die Augen, und als Nächstes spürte sie seine heißen, weichen Lippen auf ihren.

Ein dezentes Räuspern ließ sie auseinanderfahren. Der Kellner stand mit einer großen Platte voller duftender Köstlichkeiten vor dem Tisch.

Was in aller Welt hatte er sich nur dabei gedacht? Jaime bemühte sich, seinen schnellen Puls unter Kontrolle zu bekommen, während der Kellner das Essen auf dem Tisch platzierte. Es hatte sich himmlisch angefühlt, Ava zu küssen. Sie schmeckte nach Schokolade, Vanille und Honig. Süß und verlockend. Jaime wollte mehr. Sehr viel mehr. Er hätte sich aber nicht gehen lassen dürfen, weil er nun an nichts anderes mehr denken konnte als daran, an ihrem Hals zu knabbern und zarte Küsse auf ihre verführerischen Schultern und das Dekolleté regnen zu lassen. Diese unglaubliche Frau zog ihn immer mehr in ihren Bann. Er würde sich in ihrem Zauber verlieren, wenn er nicht aufpasste. Und dennoch hatte er wider besseres Wissen mit dem Feuer gespielt.

Unbehaglich verlagerte er sein Gewicht. „Hör zu, es tut mir leid“, erklärte er mit rauer Stimme, nachdem der Kellner weg war. „Ich hätte dich nicht …“

„Nein, das hättest du nicht“, unterbrach sie ihn hitzig. Ihre Augen schimmerten wie flüssiges Gold im Kerzenlicht. „Der Kuss war ein Fehler.“

Sie schien aufgebracht zu sein. Ob sie sich über ihn ärgerte oder über sich selbst, weil sie diesen Kuss zugelassen hatte, wusste er nicht. Sorgsam faltete er die Serviette auseinander und lächelte Ava an. „Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass es allein deine Schuld ist, dass ich mich dazu hinreißen lassen habe“, sagte er mit einem schelmischen Blick, um der Situation den Ernst zu nehmen. „Du hast mich früher oft mit sehnsüchtigen Blicken verfolgt, und ich habe mich wahrscheinlich von der Erinnerung daran inspirieren lassen.“

Es funktionierte. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Ich gebe zu, bei mir war es genauso.“ Sie reckte das Kinn. „Doch ich finde, wir sollten unser Verhältnis ab jetzt rein geschäftlich halten. Einverstanden?“

„Voll und ganz“, pflichtete er ihr bei. Jaime war erleichtert, dass sie den Ausrutscher locker nahm. Wie gut, dass sie die Sache genauso sah und nichts hineininterpretierte. Denn für einen Mann, der keine ernsten Absichten hegte, hatte er bereits genug geflirtet. Er nahm sich vor, das Flirten in Zukunft sein zu lassen, um Missverständnissen vorzubeugen. Zumal er seine Pläne nicht dadurch gefährden wollte. Mit einem Nicken richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Essen. „Greif zu“, munterte er Ava auf. „Die Küche hier genießt nicht umsonst einen hervorragenden Ruf.“

Sie unterhielten sich über Belangloses, während sie aßen. Nichts deutete darauf hin, dass Ava ihm den Kuss übel nahm oder sich gedanklich damit beschäftigte. Dummerweise war er derjenige, der nicht aufhören konnte, daran zu denken. Immerzu musste er auf ihre sinnlichen Lippen starren.

„Du hast recht. Das Essen ist ausgezeichnet“, unterbrach Ava seine Gedanken.

Jaime verfolgte, wie eine mit Serranoschinken umwickelte Dattel in ihrem Mund verschwand. Er griff nach seinem Wein und nahm einen Schluck, unfähig, seinen Blick von Ava abzuwenden. Wie konnte eine Frau nur derart sexy beim Essen sein? „Du musst unbedingt die Gambas in Knoblauchöl probieren.“ Er spießte eine Garnele auf und beugte sich über den Tisch, um sie Ava in den Mund zu schieben.

Etwas Öl tropfte auf ihr Kinn, und lachend wischte sie es mit der Serviette ab.

„Einfach köstlich. Ich glaube, ich könnte mich an das hier gewöhnen“, meinte sie und deutete auf die Platte zwischen ihnen.

„Und ich könnte dir stundenlang zusehen, weißt du das?“

Sie ging nicht darauf ein. „Du bist vermutlich öfter hier, nicht wahr?“ Sie spielte darauf an, dass der Kellner Jaime mit seinem Namen angesprochen hatte.

„Hin und wieder.“ Er nahm noch einen Schluck von seinem Wein. „Ich gebe zu, ich gehe gern zum Essen aus.“

„Du kochst nicht gern.“

„Gut kombiniert. Meine Mutter ist eine begnadete Köchin. Das Talent hat sie mir leider nicht vererbt.“

„Es gibt Kochkurse.“ Avas Augen funkelten amüsiert.

„Wenn man sich dafür interessiert“, konterte er gutmütig.

Sie lachte. „Touché. Um ehrlich zu sein, kann ich mir auch etwas Schöneres vorstellen, als in der Küche zu stehen. Dafür muss man schon eine gewisse Leidenschaft haben.“

„Und was ist deine Leidenschaft, Ava Henley? Wofür brennst du?“

Ihre Wangen nahmen einen zarten roten Ton an, während sie ein Manchego-Käsebällchen mit Paprikasalsa probierte. Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. „Ich liebe meine Arbeit“, erklärte sie schließlich.

„Glücklichen Paaren den schönsten Tag in ihrem Leben noch schöner zu machen?“, griff er neckend ihre Beschreibung vom Vortag wieder auf. „Doch was ist mit dir? Sehnst du dich nicht zuweilen nach etwas Glück? Nach Zweisamkeit?“

Sie schüttelte den Kopf. Etwas zu nachdrücklich. „Es ist alles gut so, wie es ist“, behauptete sie.

„Bei einem unserer letzten Treffen hat mir deine Tante erzählt, dass sie sich Sorgen machte, dass du niemals den Mann fürs Leben finden würdest“, sagte er sanft und hoffte, dass er sich mit dieser Bemerkung nicht zu weit aus dem Fenster lehnte. Doch diese Frau interessierte ihn, sie machte ihn neugierig, und er fragte sich, weshalb sie als Single durchs Leben ging.

Ava lachte auf. „Typisch Ruth.“ Gedankenversonnen fuhr sie mit dem Daumen über den Rand ihres Weinglases. „Sie war Zeit ihres Lebens allein und wollte mir vermutlich dasselbe Schicksal ersparen.“

„Es sieht ganz danach aus. Aber mal ehrlich, ist es nicht erstrebenswert, jemanden an seiner Seite zu haben?“

„Wenn man das Glück hat, der richtigen Person zu begegnen, vielleicht.“ Sie lächelte wehmütig. „Aber manche Dinge sollen eben nicht sein. Man kann nicht alles im Leben haben. Weshalb bist du Single?“, drehte sie den Spieß um. „Bist du nicht auf der Suche nach der Einen?“ Sie legte den Kopf schief, um ihn eingehend zu betrachten.

„Keine Chance, Ava. Du wirst mich nicht als Kandidaten für deine Agentur rekrutieren.“ Er schmunzelte.

„Und du weichst mir aus.“

Sie war schlagfertig. Das gefiel ihm. „Ich war verlobt“, gestand er. „Doch das war ein Fehler.“ Der größte seines Lebens. Sein Magen krampfte noch immer, wenn er daran dachte, wie Elena wutentbrannt eine Vase nach ihm geworfen hatte, als er ihr unmissverständlich klargemacht hatte, dass es die großartige Hochzeit, von der sie träumte, niemals geben würde. Danach hatte sie mit Engelszungen auf ihn eingeredet, ihn um Vergebung gebeten, Besserung gelobt. Doch für ihn war die Beziehung unwiderruflich zerstört, weil er das wahre Motiv für ihr Interesse an ihm herausgefunden hatte.

Ava musterte ihn weiterhin aufmerksam. „Deine Verlobte hat dich enttäuscht.“

„Oh ja, das hat sie.“ Ihm entfuhr ein bitter klingender Laut. „In mehr als einer Hinsicht. Und aus diesem Grund …“

Sie wurden unterbrochen, weil der Nachtisch serviert wurde – hausgemachter Mandelkuchen mit Feigenkompott, dazu ein Carajillo. Espresso mit Brandy war nicht unbedingt jedermanns Sache. Jaime war gespannt auf Avas Reaktion.

„Was wolltest du sagen?“, wollte Ava wissen, nachdem der Kellner wieder gegangen war.

„Aus diesem Grund“, fuhr er fort, „genieße ich mein Single-Leben.“ Er schenkte ihr ein Lächeln. „Die Liebe ist nichts für mich. Aber lass uns noch mal auf die Finca zurückkommen, Ava“, lenkte er das Gespräch in eine andere Richtung. Er wollte sich den Abend nicht durch düstere Gedanken oder tiefgründige Gespräche über sein Seelenleben verderben lassen. „Wenn du einverstanden bist, arrangiere ich mit Ramón einen Termin zur Hausbesichtigung, damit er sich ein Bild vor Ort machen kann. Ich bin gern mit von der Partie, um zu vermitteln, falls du möchtest.“

Ein flüchtiger Schatten glitt über Avas Züge, bevor sie sagte: „In Ordnung.“ Schweigend widmete sie sich dem Nachtisch. Die leichte Stimmung schien verflogen.

„Was ist los, Ava? Stimmt etwas mit dem Dessert nicht? Magst du den Carajillo nicht?“

Sie stellte das Glas ab und schüttelte den Kopf. „Der Kaffee schmeckt lecker. Genau wie das Dessert.“ Sie lächelte, aber dieses Lächeln überzeugte ihn nicht.

„Aber dich bedrückt etwas. Habe ich recht?“

Sie schüttelte den Kopf, doch als sie ihn erneut ansah, erkannte er die leise Verzweiflung in ihren bernsteinfarbenen Augen.

„¡Dios mío!“ Ohne darüber nachzudenken, griff er nach ihrer Hand und streichelte zärtlich ihren Handrücken. „Ava, sprich mit mir. Geteilte Sorgen sind halbe Sorgen.“

Seine Worte entlockten ihr erneut ein winziges Lächeln. Dann holte sie tief Luft und brach in Tränen aus.

4. KAPITEL

Alarmiert runzelte Jaime die Stirn, während er in Gedanken die Unterhaltung Revue passieren ließ. Hatte er etwas Falsches gesagt? „Ava“, bat er eindringlich. „Sag mir bitte, wie ich dir helfen kann.“ Am liebsten wäre er auf der Stelle aufgestanden, hätte sie an sich gezogen und tröstend in seinen Armen gehalten. Weinende Frauen brachten ihn von jeher aus dem Konzept.

Mit der freien Hand griff Ava nach ihrer Serviette, um sich die Tränen aus den Augenwinkeln zu tupfen. „Eigentlich will ich nicht verkaufen.“

„Du willst nicht?“ Bisher hatte er angenommen, sie wollte die Finca so rasch wie möglich loswerden.

„Nein.“ Sie schaute auf ihre miteinander verschlungenen Hände. „Ich wünschte, ich könnte das Anwesen meiner Tante behalten. In Wahrheit bricht es mir das Herz, es wegzugeben.“

Jaime erstarrte innerlich, während Avas Geständnis langsam bei ihm sackte. Wie in aller Welt sollte er mit dieser Neuigkeit umgehen?

Behutsam zog er seine Hand weg. Er trank seinen Carajillo aus, suchte nach den richtigen Worten, während er das Glas sorgsam auf die Untertasse zurückstellte. Schließlich sah er Ava ins Gesicht. „Weshalb übergibst du es dann einem Makler? Sagtest du nicht, dass du das Haus so rasch wie möglich verkaufen und nach London zurückkehren willst?“ Hatte er etwas missverstanden? Unmöglich. Ava hatte sich ihm gegenüber klar ausgedrückt, als er ihr in S’Arracó über den Weg gelaufen war. Sie hatte ihm die Unterlagen überlassen, ja, schien sogar erleichtert gewesen zu sein, dass er sich der Sache annehmen wollte. „Ich verstehe das nicht“, sagte er. „Erkläre es mir bitte.“

Sie seufzte leise und spielte mit ihrem Daumenring. „Ich habe etwas sehr Dummes getan.“

Haben wir das nicht alle irgendwann einmal?

Ihr Bekenntnis kam ihm seltsam vertraut vor. „Was meinst du damit?“

„Können wir ein paar Schritte gehen? Ich brauche dringend frische Luft.“

„Wie wäre es mit einem Spaziergang am Meer?“, schlug er vor. Er musste wissen, was es mit dieser Dummheit auf sich hatte, auch wenn ihr Geständnis vermutlich seine Pläne über den Haufen warf.

Auf der Promenade schlenderten sie an unzähligen Lokalen mit einladenden Außenterrassen entlang. Hier und da wurde Jaime, den man hier offenbar gut kannte, ein Gruß zugeworfen, den er mit einem Nicken oder Winken freundlich erwiderte. Die untergehende Sonne zauberte goldene Reflexe auf das Wasser. In der Luft hing ein Duftgemisch aus aromatischen Gewürzen der Mittelmeerküche, dem Salz des Meeres und exotischen Blüten. Jaime registrierte sehr wohl, dass etliche Männer seine hübsche Begleiterin unverhohlen mit bewundernden Blicken taxierten. Ava war eine Frau, die Männer den Kopf verdrehte, ohne sich dessen bewusst zu sein. Was sie umso reizvoller machte. Er verspürte den unbändigen Wunsch, Hand in Hand mit ihr zu gehen oder den Arm besitzergreifend um ihre Taille zu legen. Er musste sich beherrschen, diese Fantasie nicht in die Tat umzusetzen. Ava hatte ihm im Lokal deutlich die Grenzen aufgezeigt, auch wenn sie seinen Kuss erwidert hatte. Doch die Erinnerung an den Geschmack ihrer weichen Lippen ließ Jaime innerlich aufstöhnen. Wie zum Teufel sollte er diesen Kuss, der so zart und dennoch so intensiv, so verheißungsvoll gewesen war, jemals wieder vergessen?

In stummer Übereinkunft verließen sie die belebte Promenade und gingen auf die Hafenmole. Nur wenige Menschen waren hier unterwegs. Einige schicke Segeljachten und Charterboote waren an der Kaimauer festgemacht und schaukelten auf dem Wasser.

„Also, was ist los?“, wagte Jaime schließlich einen erneuten Vorstoß und streifte Ava mit einem Seitenblick.

Sie nickte. „Lass uns hinsetzen.“ Mit einer eleganten Bewegung streifte sie sich die Riemchensandaletten von den Füßen, machte es sich auf den noch sonnenwarmen Steinen der Kaimauer bequem und ließ die Beine ins Wasser hängen.

Jaime setzte sich ebenfalls und nahm die Gelegenheit wahr, Ava unauffällig zu betrachten. Ihr Haar leuchtete im Licht der untergehenden Sonne, und ihr Porzellanteint schimmerte rosig. Er hatte noch nie eine begehrenswertere Frau gesehen. Was trug sie wohl unter diesem umwerfenden türkisfarbenen Kleid, das sich wie eine zweite Haut an ihren Körper schmiegte? Spitzenunterwäsche? Wohl eher ein winziges Baumwollhöschen, entschied er, während sein Blick tiefer glitt und an den schlanken Beinen verweilte. Unwillkürlich dachte er an die erste Begegnung zurück, und daran, wie unglaublich sexy sie in ihrem Schlafshirt ausgesehen hatte. Heißes Verlangen ließ ihn erschaudern.

Rivera, du lernst es nie, oder? Sie ist tabu für dich, akzeptiere es endlich!

Nur mit Mühe riss er sich von dem verführerischen Anblick los und konzentrierte sich auf die vor ihnen liegende Bucht mit den Bergen im Hintergrund. Die ersten Sterne funkelten am Himmel. Jaime spürte Avas Gegenwart mit jeder Faser seines Körpers. Er sehnte sich danach, sie in seinen Armen zu halten. Doch er musste vernünftig bleiben, damit niemand zu Schaden kam. Unwillkürlich entschlüpfte ihm ein undefinierbarer Laut, eine Mischung aus Verlangen, Kapitulation und Frust.

„Hey, alles in Ordnung?“ Ihr Blick begegnete seinem.

„Sag du es mir.“ Vertraute sie ihm genug, um ihm ihre Geschichte zu erzählen?

Ava schaute aufs Wasser, in dem sich die Lichter der Stadt spiegelten, und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. „Ich bin mit dem Vorsatz hergekommen, die Finca meiner Tante zu verkaufen, obwohl sie sich im Testament gewünscht hat, dass ich das Haus behalte. Aber es gibt einen wirtschaftlichen Engpass in der Agentur.“ Sie atmete tief ein. „Ich habe eine dumme, unkluge Entscheidung getroffen, und nun brauche ich dringend das Geld, um den Schaden zu begrenzen. Bisher habe ich die Sache vor meiner Freundin und Geschäftspartnerin vertuschen können, weil ich all mein Erspartes in die Firma gesteckt habe. Doch leider läuft es bei Forever Yours derzeit nicht gut, und nun …“ Ratlos zuckte sie mit den Schultern. „Nun kann ich das rapide schwindende Bankguthaben nicht länger ignorieren. Ich bin es Gwen schuldig, die Sache geradezubiegen.“ Sie stieß ein bitteres Lachen aus. „Leider habe ich nicht damit gerechnet, dass ich mich verlieben würde.“ Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, röteten sich ihre Wangen. „In die Finca. In die Insel, meine ich“, ergänzte sie hastig.

Er nickte und schmunzelte. Ava war bezaubernd, wenn sie verlegen wurde. „Es ist schwer, sein Herz nicht an dieses Land zu verlieren“, räumte er ein und richtete seinen Blick ebenfalls auf das in der Abendsonne funkelnde Wasser. Er war in Andratx geboren und aufgewachsen, und er konnte sich nicht vorstellen, jemals woanders zu leben. Die tief verwurzelte Liebe zu diesem Land hatte ihm sein Vater vererbt. Jaimes Herz wurde schwer, als er an Emilio dachte. Leider hatte er seinem Vater zu dessen Lebzeiten nicht versprechen können, das Familienerbe fortzuführen, so wie Emilio es sich gewünscht hatte. Es zerriss Jaime innerlich, dass der Vater in dem Glauben gestorben war, dass sein mühsam aufgebautes Lebenswerk umsonst gewesen war. „Auf meinen Reisen habe ich wunderbare Gegenden kennengelernt“, fuhr er nachdenklich fort. „Aber es hat mich immer wieder in die Heimat zurückgezogen.“

„Lebt deine Familie auch hier?“

Er bejahte. „Meine Mutter wohnt noch in meinem Elternhaus in Andratx, dort hat sie mit meinem Vater die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht.“ Und die schwerste zugleich. „Mein Vater starb früh“, fuhr er fort, ehe Ava Gelegenheit zum Nachhaken hatte. Jaime sprach nicht gern über Emilio. Die Erinnerungen waren zu schmerzhaft. „Meine jüngeren Brüder wohnen auch in der Nähe. Filipe, der Jüngste im Clan, hat sich sein Leben hier in Port d’Andratx eingerichtet, er arbeitet bei einem örtlichen Bootsverleih. Und Alejandro bewirtschaftet mit seiner Familie eine Feigen- und Olivenbaumplantage in den Bergen nördlich von Andratx. Wir sind alle hier verwurzelt. Das Land ist ein Teil von uns.“

„Ja, das kann ich verstehen.“ Ava studierte ihn aufmerksam. „Ich habe keine Geschwister. Meine Eltern sind früh gestorben, und ich bin bei meiner Tante in London aufgewachsen. Auch ich liebe meine Heimat. Bisher konnte ich mir nie vorstellen, meine Zelte woanders aufzuschlagen. Ich bin eigentlich durch und durch ein Stadtmensch.“ Sie verlagerte ihr Gewicht und stützte sich mit den Händen auf den Steinen ab. „Ich liebe die Geschäftigkeit, den Trubel.“

„Und nun kannst du dir es vorstellen? Woanders als in der Großstadt zu leben, meine ich?“ Mit sanfter Hand steckte er ihr eine widerspenstige lange Locke hinter das Ohr.

„Ich glaube schon. Die Stille, die Ursprünglichkeit und Schönheit der mallorquinischen Landschaft üben einen ganz besonderen Zauber auf mich aus. Und dann ist da auch noch das Haus meiner Tante mit all seinen Erinnerungen, das mich nicht loslässt.“

„Weshalb du dich nun umentscheidest, verstehe ich das richtig?“ Unwillkürlich hielt er die Luft an.

„Nein. Tue ich nicht. Ich werde die Finca definitiv verkaufen müssen.“

Er war erleichtert, obwohl ihm der Gedanke, dass Ava die Insel bald wieder verlassen würde, nicht behagte. Ganz und gar nicht. „Bist du dir sicher?“, hakte er nach.

„Absolut.“ Sie nickte bestätigend.

„Ramón wird sein Bestes geben, um einen guten Preis für das Anwesen auszuhandeln. Ich werde mich persönlich dafür einsetzen.“

„Dafür bin ich dir sehr dankbar.“ Sie schenkte ihm ein Lächeln und lehnte ihren Kopf an seine Schulter.

Kurz rang er mit sich, aber dann legte er einen Arm um ihre Schultern, und als sie nicht protestierte, senkte er gedankenverloren seine Lippen auf ihren Scheitel. Der Duft ihres berauschenden Parfums stieg ihm in die Nase. Verdammt. Warum fühlte er sich auf einmal so mies? Er hatte ihr doch nur seine Hilfe angeboten. Du weißt, warum, flüsterte das Teufelchen auf seiner linken Schulter.

Angestrengt versuchte er, die kleine kritische Stimme zu ignorieren. Er tat das Richtige! Nur weil er Ava mehr als sympathisch fand, bedeutete das nicht, dass er seinen Plan nicht weiterverfolgen sollte. Die Gelegenheit war einfach perfekt. Er würde es nicht zulassen, dass ihm Emotionen in die Quere kamen. Das letzte Mal, als er sich von seinen Gefühlen hatte leiten lassen, war er unsanft auf dem Boden der Realität gelandet. Niemals wieder würde er Gefühle über sein Leben bestimmen lassen.

Ava genoss es, neben Jaime auf der Mauer zu sitzen und den Möwen zuzusehen, die im Abendlicht noch eine Runde über der Bucht flogen. Nachdem sie ausgesprochen hatte, dass es ihr der Verkauf der Finca schwerfiel, fühlte sie sich besser. Sie und das Haus waren in guten Händen bei ihm, dessen war sie sich nun sicher. Jaime würde dafür sorgen, dass sie einen fairen Verkaufspreis erhielt und das Anwesen einen ordentlichen neuen Besitzer. Es war gut zu wissen, dass Jaime ihr in den geschäftlichen Belangen zur Seite stand.

Schade, dass sich danach ihre Wege trennen würden. Doch es war besser so. Mehr als das Geschäftliche verband sie nicht. Er hatte sie geküsst, aber dieser Kuss hatte nichts zu bedeuten. Er war aus einer Laune heraus entstanden, der besonderen Stimmung der Situation geschuldet. Außerdem sollte sie sich nicht auf einen Mann wie Jaime einlassen. Er hatte betont, wie sehr er sein Singleleben liebte, und von Männern, die nur auf ein Abenteuer aus waren, hielt sie ohnehin nichts. Sie konnte keine emotionalen Verwicklungen gebrauchen. Es hatte lange gedauert, bis sie über Christopher und die vier Jahre andauernde Beziehung hinweggekommen war. Und die letzte verhängnisvolle Erfahrung mit ihm reichte für ein Leben.

Ava seufzte leise. Warum nur fühlte sie sich so unglaublich zu Jaime hingezogen? Sie mochte alles an ihm. Seinen herben, männlichen Duft. Die Art, wie er sich bewegte. Das sexy Grübchen, das sich beim Lächeln zeigte. Sie mochte seine Gesellschaft, seinen Humor und wie wohl sich ihr Kopf an seiner Schulter fühlte. Alles fühlte sich gut und richtig an. Als wären sie füreinander gemacht. Ava wusste jedoch, dass dieses Gefühl trügerisch war. Abgesehen davon kannten sie einander kaum. Und dennoch hatte sie ihm viel mehr über sich verraten als beabsichtigt. Sie hatte ihn an sich herangelassen, mehr, als sie es vorgehabt hatte. Doch sie musste sich eingestehen, dass es ihr leichtfiel, sich in seiner Gegenwart zu öffnen. Neben seinem unverkennbaren Sex-Appeal strahlte er auch Wärme und Güte aus. Er war freundlich und zuvorkommend, was zusammen mit der geheimnisvollen Aura, die ihn umgab, eine verlockende Kombination darstellte. Ohne ihre Vorgeschichte hätte sie sich vielleicht in diesen Mann verliebt. Es wäre ein Leichtes gewesen. Seine stolze Haltung, die lässige, selbstsichere Art, mit der er sich bewegte, zeugte davon, dass er sich seiner Attraktivität durchaus bewusst war. Aber warum auch nicht? Die Frau, die ihm keinen zweiten Blick schenkte, war entweder blind oder verrückt. Ava musste zugeben, dass ihr Herz ein kleines bisschen schneller schlug, als sie den Kopf hob und ihre Blicke sich trafen.

„An was denkst du, Ava?“

„An nichts Besonderes.“ Sie schenkte ihm ein betont unbekümmertes Lächeln. „Ich genieße einfach nur die schöne Abendstimmung.“

Sein wissendes Lächeln war träge, verdammt sexy und fast so intim wie der Kuss in der Bar. „Du würdest eine verdammt schlechte Pokerspielerin abgeben, weißt du das?“ Mit einem Finger hob er sacht ihr Kinn, um ihr in die Augen zu sehen.

„Weshalb?“

„Weil ich dich lesen kann wie ein offenes Buch.“

„Tatsächlich?“ Sie sah die Antwort in seinen Augen. Er wusste es. Wusste, dass sie ihn begehrte. Die knisternde Spannung zwischen ihnen war fast unerträglich. Ihr Blick fiel auf seine Lippen, die sich einladend öffneten. Abrupt löste sie sich von ihm, griff nach ihren High Heels und stand auf.

Er erhob sich ebenfalls. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Das dunkle Timbre seiner Stimme erzeugte eine Gänsehaut, und sie erschauerte wohlig. Unfassbar, dass allein seine Stimme diese Wirkung auf sie ausübte. Was machte dieser Mann nur mit ihr?

„Nein.“ Ihre Finger krampften sich um die zierlichen Riemchen ihrer Sandaletten. „Ich sollte jetzt nach Hause gehen.“

„Ava. Geh nicht. Lass den schönen Abend nicht so enden.“

Die Anziehung war magisch. Es war schwer, sich dagegen zu wehren. Und eigentlich wollte sie noch gar nicht gehen. „Unter einer Bedingung.“

Er hob eine Augenbraue. „Und die wäre?“

„Keine Küsse mehr.“

„Auf keinen Fall.“

„Auch kein Händchenhalten.“

Mit gespielter Verzweiflung hob er die Hände und brachte sie damit zum Lachen.

„Jaime, ich meine es ernst.“

„Freunde?“ Er streckte ihr die Hand entgegen.

Konnten sie so tun, als hätte es den Kuss nie gegeben? Als würden zwischen ihnen nicht die Funken sprühen? Ja, entschied Ava. Solange sie hier auf der Insel war und Jaime sie mit dem Verkauf der Finca unterstützte, würde sie ihn unweigerlich wiedersehen. Es würde nicht einfach werden, in ihm nur einen guten Freund zu sehen, doch sie war wild entschlossen. „Freunde“, bestätigte sie und schlug ein, während sie ihm fest in die Augen sah.

Er schenkte ihr ein Lächeln, bei dem ihr Herz kurz stolperte. „So soll es sein. Lass uns die neue Freundschaft feiern. Es gibt ein entzückendes kleines Eiscafé nur ein paar Schritte weiter. Dort bekommst du das beste Pistazieneis der Stadt.“

Autor

Keri Anne Arden
<p>Keri Anne Arden schreibt seit vielen Jahren Romane unter verschiedenen Pseudonymen. Am liebsten entführt sie ihre Leserinnen in romantischen, gefühlvollen Geschichten an Sehnsuchtsorte. Sie hat eine Schwäche für das Meer, für Tiere und Sonnenuntergänge. Italienisches Essen liebt sie ebenso wie gute Gespräche oder Espresso. Wenn sie nicht gerade schreibt, liest...
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