Romana Extra Band 151

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SINNLICHE KÜSSE IN BRÜGGE von RONA WICKSTEAD

Illegale Partys in einem Luxushotel im malerischen Brügge? Journalistin Isabelle checkt undercover dort ein, um für eine Enthüllungsstory zu recherchieren. Dabei trifft sie den attraktiven Hotelangestellten Momo und verliebt sich – ohne zu ahnen, wer er wirklich ist …

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  • Erscheinungstag 28.09.2024
  • Bandnummer 151
  • ISBN / Artikelnummer 9783751523912
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Rona Wickstead, Luana DaRosa, Juliette Hyland

ROMANA EXTRA BAND 151

1. KAPITEL

„Ich bin gerade am Strand in Ostende, Papa!“, rief Matteo Venturini gegen das Meeresrauschen in sein Telefon. Dabei schaute er sehnsüchtig auf die Kitesurfer in den farbenfrohen Neopren-Anzügen, die über die grün-grauen Wellen glitten, gezogen von ebenso bunten Lenkdrachen, deren Schnüre sie mehr oder weniger gekonnt handhabten.

„Ja, deine Mutter erwähnte so etwas“, hörte er seinen Vater mit sonorer Stimme erwidern.

Matteo verzog besorgt die Stirn. Sein Vater Ricardo rief sicher nicht an, um ihm einen schönen Urlaub zu wünschen. Er konnte den Seniorchef der Venturini-Hotelgruppe geradezu vor sich sehen, tadellos gekleidet, akkurat frisiertes graues Haar, an seinem riesigen Schreibtisch sitzend, auf dem wie immer mehrere Aktenstapel sehr präzise nebeneinander aufgereiht lagen.

„Ich werde Kitesurfen lernen“, erklärte Matteo. „Die Windbedingungen sind hier an der Nordseeküste hervorragend dafür.“ Er bedauerte, dass er sein Handy überhaupt mit an den Strand genommen hatte. Andere Leute waren auch gelegentlich mal nicht erreichbar, aber für Mitglieder der Familie Venturini galt das natürlich nicht.

„Hervorragend, Momo.“

Das war von klein auf sein Spitzname in der Familie. Die Tatsache, dass sein Vater ihn benutzte, machte Matteo noch misstrauischer. Zu Recht, wie er gleich darauf erkannte.

„Dann bist du genau am richtigen Ort, um dich rasch um eine sehr delikate Angelegenheit zu kümmern.“

„Aber mein Kurs startet heute!“

„Es tut mir leid, Momo, aber ich brauche wirklich dringend deine Hilfe, und es muss sehr diskret passieren. Häng von mir aus noch ein paar Urlaubstage dran, bevor du nach Turin zurückkehrst, deine Assistentin kann deine Termine umbuchen. Ich würde dich nicht fragen, wenn es nicht dringend wäre.“

„Okay.“ Matteo seufzte. „Worum geht’s?“

„Wir haben einen Hinweis bekommen, dass am kommenden Wochenende im Venti-Classic-Hotel in Brügge eine Party unter sehr speziellen Bedingungen stattfinden soll.“

„Brügge, sagst du? Das ist eines unserer Häuser, in dem ich bisher noch nicht war. Nach allem, was ich weiß, läuft dort doch alles unproblematisch.“

„Ja, was das Management angeht, gibt es keine Schwierigkeiten bisher. Aber offensichtlich wurde ein großer Teil der Anlage für diese Veranstaltung reserviert, und wir haben einen anonymen Tipp bekommen, dass dafür nicht nur eine ganze Reihe Callgirls gebucht wurden, sondern dass Politiker und Wirtschaftsfunktionäre daran teilnehmen werden, natürlich sehr diskret. Ich sage dir, Matteo, die Sache stinkt zum Himmel.“

Matteo strich sich nachdenklich über die Stirn. Was er da hörte, gefiel ihm überhaupt nicht. „Du glaubst also, da läuft was ab, das nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollte? Lässt sich im Firmennetz nichts dazu finden?“

„Nein, deshalb möchte ich ja, dass du vor Ort nachforschst.“

„Du vermutest, es gibt entsprechendes Material auf den Hotelrechnern.“

„Ich bin fest davon überzeugt. Irgendwoher muss die Information ja kommen. Und so etwas will ich in unseren Häusern nicht haben. Wenn die Presse aufdeckt, dass in den Hotels der Venturini-Hotelgruppe Sex-Partys gefeiert werden, dann schadet das unserem Ruf. Callgirls, Alkohol, Drogen – das sind Begriffe, die man mit der Schmuddelpresse assoziiert, aber nicht mit uns.“

Matteo atmete tief durch. „Du willst also, dass ich mir das schon im Vorfeld genauer anschaue?“

„Genau, mein Junge. Unser Vorteil ist, dass du dort noch nie warst, also wäre es vielleicht nicht schlecht, wenn du dich erst mal gar nicht zu erkennen gibst. Ich vermute, dass jemand vor Ort mit diesen Leuten unter einer Decke steckt, insofern solltest du sehr umsichtig sein. Aber das schaffst du schon.“

„Natürlich, Papa“, bestätigte Matteo. „Ich habe genauso wenig Lust wie du, nächste Woche etwas über einen Skandal in einem unserer Hotels in der Zeitung zu lesen. Ich fahre hin und gucke mir die Sache an.“

Als er aufgelegt hatte, seufzte Matteo tief. Er war gestern erst bei seinem ehemaligen Studienkollegen Marc angekommen und hatte erste Versuche auf dem Wasser unternommen, nachdem der ihm so viel über das Kitesurfen vorgeschwärmt hatte. Aber das Geschäft ging vor, denn falls die Venturini-Hotelgruppe in Schwierigkeiten geriet, würde es erst recht keinen Urlaub für ihn geben.

Er überschlug kurz, wie er am schnellsten nach Brügge kommen konnte. Er war von Turin aus geflogen und hatte keine geschäftlichen Termine geplant, sodass er weder seinen Porsche zur Verfügung hatte noch einen seriösen Anzug. Andererseits wäre es vielleicht sowieso besser, ganz unauffällig mit dem Bus anzureisen. Also beschloss er, sich mit kleinem Gepäck auf den Weg zu machen, und hoffte, dass sich die Sache schnell und ohne Aufsehen regeln lassen würde.

„Meine Güte, Marion, ich hatte keine Ahnung, dass es sich um einen Bentley handelt!“, rief Isabelle aufgeregt in ihr Handy, wobei sie über die eleganten grauen Lederpolster des Autos strich. „Jetzt habe ich ein noch schlechteres Gewissen, weil du mir diese Mitfahrgelegenheit organisiert hast.“

„Nun bleib mal locker“, antwortete ihre Kollegin aus der Redaktion in Lüttich. „Erstens muss Pierre den Wagen für meinen Onkel so oder so nach England überführen, da spielt es überhaupt keine Rolle, ob jemand ein Stück mitfährt. Jedenfalls, solange du keine Brandlöcher in die Sitze machst.“

„Sag mal, wofür hältst du mich?“, fragte Isabelle empört. „Ich würde in diesem Schlitten noch nicht mal ein Kaugummi kauen. Nein, du kannst dir ganz sicher sein, dass ich mich vorbildlich benehme.“

„Weiß ich doch, Isa. Außerdem ist mir genau wie dir daran gelegen, dass du diese Story kriegst. Schlüpfrige Schmiergeldpartys vor historischer Kulisse – ich sehe die Schlagzeile schon vor mir! Ich hoffe, dass du diese ekelhaften Typen in flagranti erwischst, damit unsere Leser wissen, wen sie da vor sich haben.“

Isabelle verdrehte die Augen. Marion hatte leicht reden, sie saß gemütlich an ihrem Arbeitsplatz in der Redaktion und beschäftigte sich vermutlich gerade mit den verrücktesten Looks auf irgendeinem roten Teppich oder ähnlich irrelevanten Themen. Andererseits war sie ihrer Kollegin dankbar für die Unterstützung, denn ihr augenblicklicher Kontostand hätte nicht zugelassen, die Kosten für diese Unternehmung vorzustrecken. Da war ihr sowohl der Hotelgutschein des Event-Veranstalters „Romantic Getaways“ willkommen, den Marion ihr zugesteckt hatte, vermutlich eine Aufmerksamkeit des Unternehmens, das gern in der Zeitung erwähnt werden wollte, als auch die Idee, sich vom Chauffeur von Marions Onkel, der auf dem Weg zum Kanal-Tunnel war, in Brügge absetzen zu lassen, um das Zugticket zu sparen.

„Ich werde alles daransetzen, versprochen!“, versicherte sie. „Schon allein, damit du mir deinen Gutschein nicht vergeblich überlassen hast. Bist du sicher, dass du nicht lieber selbst das verlängerte Wochenende in diesem Luxushotel in Brügge verbringen möchtest?“

„Ach, Isa, mir fehlt im Augenblick doch genauso der passende Typ dafür wie dir. Und bevor ich allein meinen Champagner im Whirlpool trinke, trage ich lieber dazu bei, dass dir endlich der Durchbruch mit einer Story für die Titelseite gelingt. Das hast du dir wirklich verdient nach all den Überstunden für den Lokalteil.“

Champagner im Whirlpool, dachte Isabelle abfällig. Wer wollte denn so etwas? Andererseits … Marion hätte sicher Spaß daran. Es war schon erstaunlich, dass sie beide so gute Freundinnen waren, obwohl sie über viele Dinge sehr unterschiedlich dachten. Marion war allerdings auch nicht in so schwierigen Verhältnissen aufgewachsen wie sie. Ihre Freundin wusste nicht, wie viel Angst man hatte, wenn die schleimigen Typen von der Wohnungsbaugesellschaft mit Kündigung drohten, weil die Miete nicht bezahlt worden war. Sie hatte keine Ahnung davon, wie es war, wenn der Strom abgestellt wurde, weil die Mitarbeiter des Stromanbieters sich nicht auf eine Stundung der Rechnung einlassen durften. Sie hatte nie mitbekommen, wie erniedrigend es war, nicht mit auf den Klassenausflug fahren zu können, weil ihre Mutter ihr die zehn Euro für den Bus nicht geben konnte.

Noch heute wurde Isabelle bei dem Gedanken daran wütend. Nicht, weil sie deshalb einen Besuch im Naturkundlichen Museum verpasst hatte, sondern weil ihre Lehrerin im Nachhinein herablassend gefragt hatte, wieso ihre Mutter denn den Antrag auf Kostenübernahme beim Sozialamt nicht gestellt hatte. Isabelle wusste, warum. Diese ganzen bürokratischen Hürden waren viel zu kompliziert für Menschen wie ihre Mutter, für die schon das Lesen einer Supermarkt-Werbung eine Herausforderung darstellte. Leute in guten Positionen wussten nun mal nicht, wie es in sozial schwächeren Milieus zuging.

Energisch schüttelte Isabelle den Kopf. Nein, sie wollte sich den Tag nicht mit diesen unerfreulichen Erinnerungen verderben, denn sie war auf dem Weg zu ihrem ersten großen Projekt. Sie sah noch das Gesicht ihres Chefredakteurs Bertrand vor sich, als er sagte: „Na schön, Isabelle, wenn Sie sicher sind, dass Ihr anonymer Hinweis vertrauenswürdig ist, dann fahren Sie hin und sehen Sie zu, dass wir die Sache exklusiv kriegen. Ich verlasse mich auf Sie.“

„Der Mann am Telefon klang gut informiert, Boss. Er war sehr eindeutig und sagte, an diesem Wochenende steigt etwas im Venti-Classic-Hotel in Brügge, das nicht an die Öffentlichkeit dringen soll. Anscheinend werden dabei ein paar Politiker umgarnt, damit sie sich für bestimmte Interessen der Großindustrie einsetzen.“

„Ach, Brügge! Ich dachte, da treiben sich nur Touristen herum? Aber vielleicht ist gerade das die perfekte Tarnung für Leute, die sich zusätzlich zu ihren horrenden Gehältern noch schmieren lassen. Von Amerikanern und Chinesen werden die nicht erkannt.“

„Gut möglich. Und sie müssen noch nicht mal Angst haben, dass ihnen die angekündigten Warnstreiks an den Flughäfen einen Strich durch ihre Reisepläne machen.“

Schade eigentlich, hatte sie gedacht. Diesen Bonzen würde es nicht schaden, mal eine Nacht in einer Abflughalle zu verbringen, weil sie nicht bereit waren, dem Abfertigungspersonal eine anständige Lohnerhöhung zu zahlen. Aber vermutlich müssten sie das gar nicht, sondern würden stattdessen in einer VIP-Lounge mit weichen Kissen und Lachssandwiches verhätschelt werden. Wenn man reich war, bekam man immer noch was extra.

„Mademoiselle?“

Pierre, der Chauffeur von Marions Onkel, riss sie aus ihren Gedanken. Seit er ihren Koffer eingeladen und sie auf den Rücksitz komplimentiert hatte, war zwischen ihnen kein Wort mehr gefallen.

„Ja?“

„Wir sind in Brügge“, teilte er ihr mit. „Ihr Hotel liegt am Rande der historischen Altstadt.“

„Aha“, sagte Isabelle ohne sonderliche Begeisterung. Sie wusste nicht viel über die belgische Stadt und interessierte sich in erster Linie für die Vorgänge im Hotel, und nun war Pierre bereits in Richtung Innenstadt unterwegs. Beunruhigt stellte sie fest, dass die Straßen immer enger wurden – und fuhren sie tatsächlich nicht mehr über Asphalt, sondern über Kopfsteinpflaster?

Der Bentley schnurrte nach wie vor leise. Erstaunt begann Isabelle, die Details um sich herum wahrzunehmen. Es war, als wäre sie mit einer Zeitmaschine ins Mittelalter zurückversetzt worden. Sie sah Reihen von Backsteinhäusern mit treppenartigen Giebeln und altmodischen Erkern. Fenstersimse und Treppenaufgänge waren liebevoll mit bunten Blumen dekoriert, und zwischen den Häusern befanden sich überall kleine Grachten, über die geschwungene Brücken führten. Ja, es gab auch in Lüttich historische Bauten, aber hier schien tatsächlich die Zeit stehen geblieben zu sein. Vielleicht sollte sie sich doch etwas näher mit diesem Ort beschäftigen.

Zunächst musste sie aber erst mal das Hotel erreichen. Als sie die vielen Blicke der Leute wahrnahm, denen der Bentley ins Auge fiel, wurde ihr das ein wenig unangenehm. „Pierre, könnten Sie mich bitte in einer Seitenstraße aussteigen lassen? Ich möchte nicht wie die Königin von England vor dem Haupteingang vorfahren.“

Der Chauffeur schmunzelte. „Wie Sie wollen, Mademoiselle.“ Er fuhr an der pompösen Zufahrt mit dem großen Schild „Venti Classic“ vorbei und bog in eine kleine Gasse ein, wo eine Bushaltestellenbucht die Möglichkeit zum Anhalten bot. „Ist es hier recht?“

„Wunderbar, Pierre, ich danke Ihnen.“ Sie hatte kaum ihre Handtasche, den Laptop und ihren Mantel gegriffen, als er ihr schon formvollendet die Tür aufhielt, um sie aussteigen zu lassen. Dann öffnete er den Kofferraum und holte ihren Koffer heraus.

Isabelle überlegte noch, ob es angemessen wäre, ihm ein Trinkgeld zu geben, aber da kam ausgerechnet ein Bus und blinkte empört, weil die Haltebucht besetzt war. Pierre machte eine entschuldigende Geste zum Busfahrer, rief ihr hastig ein „Auf Wiedersehen, Mademoiselle!“ zu und stieg wieder ein, um Platz zu machen.

Isabelle stand auf dem schmalen Bürgersteig und versuchte, sich in ihren Mantel zu hangeln, um nicht so viele Gepäckstücke zu haben, als der Bus neben ihr die Tür öffnete und einige Personen ausstiegen. Der Letzte war ein athletisch wirkender Mann Anfang dreißig mit schulterlangem schwarzem Haar, der seinen Rucksack schulterte, sich dabei suchend umschaute und so ihr Gepäck übersah. Polternd fiel der Koffer um, während der Mann sich gerade noch abfangen konnte.

„Oh … Entschuldigung!“, rief sie hastig und bückte sich zu ihrem Koffer, was der Mann offenbar auch wollte. Beinahe wären sie dabei mit dem Kopf zusammengestoßen und ihre Blicke trafen sich.

Isabelle stockte der Atem, als sie in zwei schokoladenbraune Augen blickte, ein sonnengebräuntes Gesicht mit Dreitagebart, einem hinreißenden Lächeln und strahlend weißen Zähnen.

Scusi, Signorina, mein Fehler“, sagte er und schaffte es schließlich, den Koffer wieder aufzurichten. „Lassen Sie mich Ihnen helfen.“

„Sie sind Italiener?“ Es war das Erste, was ihr zu sagen einfiel, auch wenn es nicht besonders originell war. Obwohl sie sich im niederländisch sprechenden Flandern befanden, hatte er sie auf Französisch angesprochen, das er gut zu beherrschen schien.

Er hob grinsend die Schultern. „Sì, sì, es ist nicht zu leugnen, nicht wahr? Kommen Sie, Sie wollen doch sicher ins Hotel. Ich will Sie nicht aufhalten.“

Er wies ihr den Weg zu der großen Glastür und nahm den Koffer, um mit ihr gemeinsam die Empfangshalle zu betreten.

Xavier de Beeke warf ärgerlich einen Blick auf seinen Empfangschef Bruno. „Was heißt das, ein Virus?“

„Zwei weitere Mitarbeiter haben sich mit diesem Magen-Darm-Virus krankgemeldet, Monsieur. Sie sind bis Montag krankgeschrieben. Da kann man nichts machen, schließlich wollen wir ja die Gesundheit unserer Gäste nicht gefährden.“

„Um Himmels willen, nein! Gerade bei diesem Event nicht. Aber das bedeutet, dass wir noch knapper mit Personal dran sind als letzte Woche“, polterte der Hoteldirektor weiter.

„Ich fürchte, ja“, antwortete Bruno bekümmert. „Ich werde tun, was ich kann, um vielleicht noch ein paar Aushilfen zu bekommen.“

„Ja, tun Sie das“, sagte Xavier. „Ich möchte nicht, dass sich einer unserer prominenten Gäste über mangelhaften Service beschwert. Und schon gar nicht, nachdem ich einen Hinweis aus Turin bekam.“

„Ein Hinweis aus Turin?“, wiederholte Bruno argwöhnisch. Wenn die Zentrale der Hotelgruppe sich außerhalb der üblichen Informationswege meldete, verhieß das meistens nichts Gutes.

„Ja, man hat mir unter der Hand mitgeteilt, dass sie jemanden hergeschickt haben, der sich unerkannt unser Haus anschauen soll. Ich weiß zwar weder, wer das ist, noch warum das ausgerechnet jetzt geschieht, aber natürlich ist es umso wichtiger, dass wir uns keine Patzer erlauben.“

„Natürlich, Monsieur. Soll ich das Personal informieren?“

Xavier überlegte kurz. „Nein, tun Sie das nicht. Es macht die Leute nur nervös, wenn sie sich beobachtet fühlen. Halten Sie einfach die Augen offen, damit nichts schiefläuft. Im Grunde haben wir ja unsere Abläufe gut im Griff, nicht wahr?“

„Selbstverständlich, Herr Direktor. War das alles?“

Xavier nickte, ließ den Blick zum Fenster schweifen und hielt überrascht inne. „Moment noch, Bruno!“

Der Empfangschef, bereits auf dem Weg zur Tür, kam zurück. „Was gibt es?“

„Schauen Sie sich das an.“ Xavier wies nach draußen. „Sehen Sie die Frau dort?“

„Die gerade aus dem Bentley ausgestiegen ist? Der Mann am Kofferraum scheint ihr Chauffeur zu sein.“

„Genau die. Warum tut sie das? Ich meine, warum lässt sie ihren Chauffeur nicht vor dem Portal halten?“

„Das ist allerdings seltsam. Es wäre doch viel bequemer.“ Bruno runzelte die Stirn.

„Und sehen Sie ihren Mantel?“

„Natürlich, was ist damit?“ Jetzt wurde Bruno das Verhalten seines Vorgesetzten etwas rätselhaft.

„Der ist von Primark. Meine Haushälterin hat auch so einen. Ich frage Sie, warum kauft eine Frau, die einen Bentley mit Chauffeur zur Verfügung hat, einen so billigen Mantel?“

„Vielleicht, weil er ihr gefällt?“ Bruno musste zugeben, dass die pastelligen Rosatöne des Mantels ausgezeichnet zu den langen blonden Haaren der Dame passten. Sie war recht jung, bestimmt noch keine dreißig, groß und schlank, mit einer selbstsicheren Haltung. Er verfolgte, wie sie ein paar Worte mit dem Chauffeur wechselte, der dann wieder einstieg und davonfuhr. Dann setzte ein Linienbus in die Bucht, und die aussteigenden Passagiere versperrten ihm die Sicht auf sie.

Xavier bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. „Manchmal glaube ich, Sie sind zu gut für diese Welt, Bruno. Denken Sie doch mal nach. Da bekommen wir einen Hinweis auf einen Spion, und kurz danach erscheint diese Dame in einem Luxuswagen, in dem sie offenbar aber nicht gesehen werden will. Ich wette, wenn sie eincheckt, wird sie so tun, als wäre sie eine ganz normale Touristin, damit wir keinen Verdacht schöpfen.“

„Und Sie glauben …“ Bruno riss die Augen auf.

„Allerdings! Deshalb möchte ich, dass diese junge Dame eine erstklassige Behandlung bei uns erfährt. Gewähren Sie ihr ruhig ein paar Extras, die sie nicht gebucht hat. Sie soll sich absolut wohlfühlen bei uns. Wie eine Königin.“

„In Ordnung, Herr Direktor.“

„Und …“ Xavier sah ihn eindringlich an. „Lassen Sie sich was einfallen, damit sie möglichst keine Gelegenheit bekommt, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Sie wissen schon, Plaudereien mit dem Zimmermädchen, Gespräche mit dem Kellner, solche Dinge. Ich kann mich auf Sie verlassen?“

„Selbstverständlich! Dann gehe ich rasch zurück zum Empfang, um mich persönlich um sie zu kümmern.“ Bruno verließ das Büro seines Chefs. Er verbrachte nie gern seine Zeit mit Xaviers Ermahnungen, sondern hatte lieber mit den Gästen zu tun.

Er schaffte es gerade noch rechtzeitig. Sein geschultes Auge erfasste sofort die allgemeine Situation. Kurz wandte er sich an seinen Kollegen Roger: „Siehst du diesen langhaarigen Kerl mit dem Rucksack da drüben? Mit dem schäbigen Hoodie? Sieh zu, dass du ihn abwimmelst, ja? Sag ihm einfach, alle Zimmer seien belegt.“

„Geht klar.“ Roger machte sich auf den Weg.

Nun hatte Bruno die Chance, sich der blonden Frau zuzuwenden. „Madame! Herzlich willkommen im Venti-Classic-Hotel Brügge! Was kann ich für Sie tun?“

Sie lächelte und schob ihm einen Umschlag zu. „Nun ja, ich habe einen Gutschein von ‚Romantic Getaways‘ und damit habe ich hier ein Zimmer für vier Nächte gebucht.“

„Wie schön!“ Bruno strahlte sie an. In Gedanken sondierte er die Lage. Gäste mit solchen Sonderpreis-Gutscheinen wurden normalerweise in den Standardzimmern der einfacheren Kategorie untergebracht. Solche Leute freuten sich schon, wenn sie auf dem Tisch eine Schale Weintrauben und einen Sauna-Voucher vorfanden. So ein Zimmer war auch für diese Frau vorgesehen, eine Isabelle Caillot aus Lüttich.

Bruno kannte das Zimmer. Natürlich war es in Ordnung wie alle Zimmer des Hotels, aber das Fenster zeigte zur Seitenstraße, wo man nur einen Blick auf die Backsteinwand des Gebäudes gegenüber hatte. Direkt nebenan verliefen die Fahrstühle, sodass man häufig die anderen Gäste auf dem Flur hörte. Nein, das ging gar nicht. Er prüfte den Belegungsplan – und da war die Alternative, gerade wegen einer kurzfristigen Absage frei geworden.

„Madame Caillot.“ Er lächelte sie gewinnend an. „Ich kann Ihnen ein kostenloses Upgrade anbieten – die Suite ‚Jan van Dyck‘ mit Blick auf die Altstadt. Sie sind zum ersten Mal in Brügge?“

„Allerdings.“ Isabelle Caillot nickte. Sie wirkte ein wenig überwältigt von dem Angebot. „Ich bekomme eine Suite? Ich habe nur ein Einzelzimmer gebucht.“

„Manchmal können wir unseren besonders sympathischen Gästen noch eine Extra-Überraschung bieten“, erklärte Bruno charmant. Sie sollte ruhig denken, er flirte ein wenig mit ihr – besser, als wenn sie den Verdacht hegte, er hätte ihre geheime Mission durchschaut. „Ich muss Sie nur um ein paar Minuten Geduld bitten, dann wird Sie jemand nach oben begleiten. Hätten Sie für die Wartezeit gern einen Espresso?“

Matteo blieb am Eingang stehen und versuchte zunächst, sich ein Bild zu machen. Er war in der Firmenleitung für die Venti-Trend-Hotels zuständig, die sich in erster Linie an Sporttouristen richteten – in Ski- und Wassersportgebieten zum Beispiel, wo das Publikum ganz andere Anforderungen an seine Unterkunft stellte. Hier handelte es sich jedoch um ein Classic-Hotel für Städtereisende mit gehobenen Ansprüchen, was sich auch in der deutlich gediegeneren Architektur ausdrückte.

Natürlich hatte er das gewusst, als er sich nach dem Anruf seines Vaters auf den Weg machte, aber in der kurzen Zeit war es ihm nicht möglich gewesen, sich entsprechende Garderobe zu besorgen. Deswegen passte er nicht so recht hierher. Es wunderte ihn kein bisschen, dass ein Mann in Hoteluniform kurze Zeit später in seiner Nähe auftauchte und zunächst so tat, als wollte er die kleinen Sessel im vorderen Bereich zurechtrücken, bevor er ihn höflich fragte: „Kann ich Ihnen helfen, Monsieur?“

Matteo hatte sich während seiner Anreise im Bus einen Plan zurechtgelegt. „Ich wollte fragen, ob Sie vielleicht Arbeit für mich haben“, sagte er, ohne sich besondere Mühe zu geben, seinen italienischen Akzent zu verbergen. „Ich kann vieles machen.“

Die Miene des Mannes mit dem Namensschild „Roger“ hellte sich auf. „Sie suchen einen Job? Na, dann kommen Sie mal mit.“

Das war ja einfach, dachte Matteo. Er schwang seinen Rucksack über die Schulter und folgte dem Mitarbeiter zum Empfangstresen.

„Dieser Bursche sucht Arbeit“, raunte Roger seinem Kollegen zu, der eindeutig hier der Chef war.

Der Mann, dessen Namensschild am Revers ihn als Bruno auswies, wirkte erfreut. „Sie wollen hier arbeiten? Das trifft sich gut, wir suchen gerade Aushilfen. Haben Sie schon mal in einem Hotel gearbeitet?“

„Oh ja“, antwortete Matteo wahrheitsgemäß. In der Tat, das hatte er. Seit über zehn Jahren tat er nichts anderes.

„Ach ja … und Sie könnten direkt anfangen?“

Matteo nickte. Das lief ja prächtig. „Das wäre mir sehr recht.“

„Na wunderbar! Ich hätte da auch gleich eine Aufgabe für Sie, Monsieur … Wie ist Ihr Name, bitte?“

Uff. Das war der Teil, den er zu planen vergessen hatte. Er konnte unmöglich seinen richtigen Namen angeben, der würde garantiert jemandem auffallen. „Nennen Sie mich einfach Momo“, sagte er.

„Momo, in Ordnung.“ Bruno nickte. „Unsere Personalbuchhalterin ist gerade krank, da müssen wir mit den Formalitäten bis Montag warten, aber das macht nichts. Ich bin momentan total knapp mit Personal, verstehen Sie? Also tun Sie mir den Gefallen und bringen Sie eine Dame mit ihrem Gepäck nach oben in die Van-Dyck-Suite, das schaffen Sie auch ohne komplette Einweisung. Vergewissern Sie sich, dass alles in Ordnung ist, die Belegung der Suite erfolgte sehr kurzfristig. Roger gibt Ihnen rasch Ihre Dienstkleidung und den Zimmerplan, okay?“

Va bene“, stimmte Matteo zu. „Ich kann meinen Rucksack hier stehen lassen?“

„Für den Augenblick ja. Wir müssen schnellstens die junge Dame versorgen.“

Matteo nickte zufrieden. Das war ja gut gelaufen! Hauptsache, er hatte jetzt einen Fuß in der Tür. Es würde sich schon eine Möglichkeit ergeben, den Gerüchten nachzugehen, sobald er erst mal seine Dienstkleidung trug und einen Schlüssel zum internen Bereich des Hotels hatte. Gut gelaunt folgte er Roger in einen der Räume hinter der Rezeption.

Kurze Zeit später verfügte Matteo über eine Uniform, bestehend aus schwarzer Hose, weißem Hemd und einer grau karierten Weste. Zufrieden überreichte ihm Bruno die Schlüsselkarte zur Suite und erklärte ihm rasch, was er wissen musste. Ein fähiger Mann, dachte Matteo. Einer von der Sorte, die man an dieser Stelle braucht, um alle Arten von Problemen zu lösen.

„Die junge Dame wartet da vorn“, teilte Bruno ihm schließlich mit. „Stellen Sie sicher, dass sie optimal versorgt wird, sie ist ein ganz besonderer Gast.“

Matteo folgte seinem Blick und stellte verblüfft fest, wer dieser besondere Gast war. Es fiel ihm nicht schwer, sein freundlichstes Gesicht aufzusetzen, als er sich ihr näherte. „Da bin ich wieder, Signorina“, sagte er. „Darf ich noch einmal Ihr Kofferträger sein?“

Sie sah ihn ungläubig an. „Sie arbeiten hier?“

„Seit etwa zehn Minuten“, bestätigte er lachend. „Und es freut mich besonders, dass Sie der erste Gast sind, dem ich helfen darf. Sind Sie so weit, dass ich Ihnen Ihr Zimmer zeigen kann?“

Sie schien etwas überwältigt, fing sich aber schnell wieder und nickte. „Ich habe eine Suite bekommen“, vertraute sie ihm an. „Ich kann es noch nicht so recht glauben.“

Das irritierte ihn ein wenig. Sie reiste mit Chauffeur an und ließ sich dann von einem kleinen Upgrade aus der Fassung bringen? Seltsam. Allerdings konnten Hotelgäste nun mal seltsam sein, das wusste er aus langjähriger Erfahrung. Er nahm ihren Koffer und ging voran zum Lift.

Isabelle kam das alles immer noch ein wenig irreal vor. Erst die Anreise in dieser Luxuslimousine und dann die VIP-Behandlung mit dem Zimmer … Ein Upgrade – wieso gerade für sie? Wollte das Schicksal endlich einmal ausgleichen, dass ihr Leben bisher so schwierig gewesen war? Dann hätte es besser die saftige Mieterhöhung verhindern sollen, wegen der sie sich ihre Wohnung bald nicht mehr würde leisten können.

Und dann dieser gut aussehende Italiener. Der wäre ihr beinahe im wahrsten Sinne des Wortes vor die Füße gefallen, und nun traf sie ihn als Mitarbeiter des Hotels wieder! Ein Wink des Schicksals? Vielleicht war endlich der Zeitpunkt gekommen, an dem sich ihr Leben veränderte. Es kam alles darauf an, dass sie diese Story perfekt unter Dach und Fach brachte.

„Ich bin Momo“, stellte sich ihr der frischgebackene Hotelpage vor. „Wenn Sie irgendetwas brauchen, fragen Sie nach mir. Ich bin zwar noch neu hier, aber ich werde mich um alles kümmern.“ Er zwinkerte ihr zu. „Es passt doch, dass wir im gleichen Moment hier angekommen sind, nicht wahr?“

Isabelle nickte und ließ ihre Blicke ungläubig durch die Suite schweifen. Die Einrichtung war zwar ein wenig zu konservativ für ihren Geschmack, sie liebte moderne, minimalistische Möbel und witzige Accessoires, wohingegen hier alles sehr solide aussah, aber sowohl der Eingangsbereich mit der großzügigen Sitzgruppe und dem riesigen Fernseher als auch das Schlafzimmer mit dem komfortabel aussehenden Doppelbett strahlten Luxus pur aus. Vermutlich kostete das voluminöse Sofa allein mehr als ihre gesamte Wohnungseinrichtung, die sie hauptsächlich secondhand gekauft oder vom Sperrmüll geholt hatte. Es gab sogar einen Kamin! Sie war sich nicht sicher, wie sie das fand. Aber da sie nun mal hier war, sollte sie es genießen, solange es dauerte.

Momo deponierte ihren Koffer auf dem dafür vorgesehenen Platz und ging weiter ins Bad.

„Ich will nur eben nachschauen, ob der Zimmerservice alles ordentlich hinterlassen hat“, erklärte er ihr.

Damit meinte er offensichtlich nicht nur die vielen kleinen Fläschchen mit Shampoo, Duschgel oder Körperlotion. Es gab auch einen kunstvoll zusammengefalteten Bademantel, hygienisch verpackte Badelatschen, jede Menge duftige Handtücher … Er überprüfte die Minibar und schien mit deren Inhalt zufrieden zu sein.

Noch einmal ließ er einen kritischen Blick durch die Suite gleiten und nickte dann. „So weit, so gut“, sagte er. „Ich hoffe, Sie haben einen wunderschönen Aufenthalt in dieser großartigen Stadt.“

Er ging in Richtung Tür, und Isabelle war sich nicht sicher, ob es an dieser Stelle angemessen war, ihm ein Trinkgeld zu geben. Hastig griff sie in ihre Handtasche und zückte ihr Portemonnaie. „Warten Sie!“

Momo schien sofort zu begreifen, was sie vorhatte, und schüttelte entschieden den Kopf. „Oh nein!“, rief er aus. „Nicht, dass ich grundsätzlich etwas gegen Trinkgeld habe, aber von Ihnen werde ich das nicht annehmen. Hauptsache, Sie fühlen sich hier willkommen und genießen Ihren Aufenthalt. Und nicht vergessen – melden Sie sich, wenn Sie irgendetwas brauchen.“ Und damit öffnete er die Tür und verließ den Raum.

Isabelle blieb einen Moment stehen und versuchte, die neuen Eindrücke zu verdauen. Sie war die ganze Zeit so auf ihre Story konzentriert gewesen, dass sie sich mit dem Gedanken, wie sie hier untergebracht sein würde, überhaupt nicht beschäftigt hatte. Bisher hatte sie selten in Hotels übernachtet, und wenn, dann in preiswerten Ketten, wo jedes Zimmer gleich schäbig aussah und im Bad immer nur ein Handtuch pro Person hing.

Vielleicht war es kein schlechter Einstieg zu erleben, wie die oberen Zehntausend wohnten. Offensichtlich bekamen sie alles auf einem Silbertablett serviert. Sie konnte nicht widerstehen, ging ins Bad und entfaltete den flauschigen Bademantel. So etwas Weiches, Angenehmes hatte sie noch nie besessen. Kein Wunder, dass die häufig gestohlen wurden …

Sie riss sich zusammen und hängte den Bademantel an einen Haken. Das fehlte noch, dass sie sich von all diesem Zeug bezirzen ließ! Sie war hier, um darüber zu berichten, was einige angeblich so seriöse Personen des öffentlichen Lebens hinter den Kulissen wirklich trieben. Sie wollte recherchieren, welche hochrangigen Persönlichkeiten an diesen Sex-Partys teilnahmen und von wem das alles organisiert und bezahlt wurde. Und keine Nobelsuite der Welt konnte sie davon abhalten.

Sie zog sich um und machte sich auf den Weg, um das Hotel zu erkunden.

Widerstrebend kehrte Matteo zur Rezeption zurück. Er hätte gern weiter die Begeisterung der hübschen Touristin über die unerwartete Suite beobachtet. Aber zum einen musste er seine Rolle als Hotelangestellter spielen, und dazu gehörte nun mal nicht, zu intensiv mit den weiblichen Gästen zu flirten. Und zum anderen hatte er seine eigene Agenda und durfte sich nicht ablenken lassen.

„War alles zu Madame Caillots Zufriedenheit?“, erkundigte sich Bruno. „Hatte sie noch irgendeinen Wunsch?“

„Nein, sie war begeistert“, erwiderte Matteo. Er griff nach seinem Rucksack. „Wie geht es jetzt weiter?“

„Kommen Sie, ich mache Sie mit den anderen Kollegen der Schicht bekannt.“ Bruno ging voran zur Tür, die in den Verwaltungsbereich des Hotels führte. „Die können Ihnen dann alles Weitere erklären.“

Matteo nickte. Bruno konnte ja nicht wissen, dass er mit vielen Details längst vertraut war. Natürlich würde er sich alles geduldig anhören und vor allem auf Hinweise darauf achten, wie er unbeobachtet Zugang zum hoteleigenen Computersystem erlangen konnte.

Seufzend brachte Matteo seinen Rucksack in dem Spind unter, den Bruno ihm zugewiesen hatte, und kehrte in den Aufenthaltsraum zurück. An einem Tisch saß jemand in der gleichen Uniform – nur dass dieser Mann vermutlich die dunkelste Haut hatte, die Matteo je gesehen hatte. Umso krasser war der Kontrast zu den weißen Zähnen, als der Mann ihn jetzt anlachte.

„Du bist Momo? Ich soll dich herumführen, Bruno musste zurück zur Rezeption.“ Der Mann stand auf und reichte ihm die Hand. „Ich bin Demba. Ich bin seit drei Jahren hier, du kannst mich alles fragen.“

„Vielen Dank, Demba. Dann lass uns mal loslegen.“

„Okay. Hast du einen Zimmerplan?“

Matteo nickte. „Ich habe schon eine Dame in ihre Suite gebracht.“

Demba verdrehte die Augen. „Eine Dame? Ach du liebe Zeit. Ich wusste nicht, dass die heute schon anreisen.“

2. KAPITEL

„Dass wer schon anreist?“ Matteo runzelte verständnislos die Stirn.

„Na, die Leute für die Tagung am Wochenende. Für die wurden sämtliche Suiten und First-Class-Zimmer im obersten Stockwerk geblockt, hab ich gehört.“

Matteo merkte auf. „Ach ja? Was für eine Tagung?“

Demba machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, mal wieder so ein Schickimicki-Event. Champagner und Kaviar, alles vom Feinsten, und eine Party, für die der komplette Wellness-Bereich reserviert ist.“

„Findet so was hier öfter statt?“

„Gelegentlich“, antwortete Demba schulterzuckend. „Ich bin da nicht so scharf drauf, weißt du. Da gibt es viele Leute, die tausend Sonderwünsche haben, aber mit dem Trinkgeld sind sie total knickerig. Das ist meistens so, wenn jemand anders die Rechnung bezahlt, dann denken die Gäste, sie können alles umsonst kriegen. Wirklich alles.“

„Ach ja?“ Matteo überlegte fieberhaft, wie er möglichst unverfänglich weitere Fragen zum Thema stellen konnte. „Wer bezahlt denn das?“

„Keine Ahnung.“ Demba zog ein Gesicht. „Ich will es auch gar nicht wissen. Letztes Mal hab ich mir bewusst das Wochenende freigenommen. Als schwarzer Mann aus dem Senegal kannst du da nur verlieren. Entweder behandeln sie dich wie den letzten Dreck oder sie denken, sie können mit dir ihre Spielchen spielen.“

„Spielchen? Was für Spielchen?“

Jetzt wirkte Demba regelrecht angewidert. „Ach, das willst du gar nicht wissen. Oder stehst du auf intime Aktivitäten in der Massagekabine? Dann bist du dieses Wochenende genau richtig, schätze ich.“

„Nein, vielen Dank.“ Matteo war alarmiert. Wenn er Dembas Beschreibungen richtig interpretierte, war dies nicht die Art von Party, die er und sein Vater in ihren Hotels haben wollten. „Sag mal, was sind denn das für Leute, die da kommen?“

Jetzt wurde Demba misstrauisch. „Wieso willst du das wissen? Bist du etwa scharf auf so was?“

„Nein, ganz bestimmt nicht!“, versicherte Matteo hastig. „Es ist eher … ich möchte vorbereitet sein auf das, was dann los ist, verstehst du?“

„Bereite dich einfach auf viel Arbeit vor“, brummte Demba. „Vor allem beim Aufräumen am nächsten Tag. Je reicher und wichtiger die Leute, desto schlechter benehmen sie sich. Mach dich auf was gefasst und vergiss die Gummihandschuhe nicht.“

Mehr war aus ihm nicht rauszukriegen. Unzufrieden folgte Matteo ihm durch die Gänge und versuchte, sich alles einzuprägen, was ihm erklärt wurde: Hier war der Seitenausgang für das Personal, hier die Lieferzufahrt für das Restaurant, hier wurden die Wäschesäcke abgestellt, die täglich von der Wäscherei abgeholt wurden …

Er war froh, dass er sich zumindest theoretisch mit den Abläufen eines Hotels auskannte. Wenn man das aber tatsächlich als Mitarbeiter umsetzen musste, sah es doch wieder anders aus.

„Weißt du eigentlich schon, wo du wohnst?“, erkundigte Demba sich jetzt.

„Nein, noch nicht“, antwortete Matteo ein wenig überrumpelt. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, sich einfach in einem anderen Hotel einzuquartieren, aber noch nirgendwo angefragt.

„Ist nicht so leicht, hier was zu finden“, erklärte sein Kollege. „Die Stadt ist klein und Wohnraum teuer. Aber ich kann dir ein Angebot machen. Ich teile mir mit drei Kollegen hier aus dem Hotel eine Wohnung im Norden, und einer – Joseph – ist gerade für vier Wochen bei seiner Familie in Djibouti. Wenn du willst, kannst du sein Zimmer haben, für den Übergang, bis du was gefunden hast. Wär das was?“

„Wenn das für die anderen in Ordnung ist?“ Matteo war nicht sicher, ob er das wollte. Aber sähe es nicht merkwürdig aus, wenn er ein solches Angebot ablehnte? Bestimmt würden Demba und die anderen ihm dann nichts mehr erzählen.

„Natürlich ist das in Ordnung.“ Demba grinste breit. „Die anderen beiden triffst du gleich. Du müsstest allerdings wie wir wöchentlich einen Anteil in die Haushaltskasse zahlen, okay?“

„Na klar“, sagte Matteo. „Wie viel ist das denn?“

„Dreißig Euro pro Woche. Und wären fünfhundert für das Zimmer in Ordnung für dich?“

„Fünfhundert pro Woche?“ Matteo überschlug kurz, dass er damit jedenfalls günstiger lebte als im Hotel. Und wenn die Mitbewohner ebenfalls Hotelangestellte waren, stand zu hoffen, dass sie ihre Wohnung halbwegs ordentlich und sauber hielten.

Demba prustete vor Lachen. „Na, du bist gut! Haha! Sind wir Millionäre? Nein, fünfhundert für den Monat natürlich, du Witzbold. Die würde ich dann Joseph geben, wenn er wieder da ist.“

„Okay, abgemacht.“ Matteo schlug ein, als Demba ihm die Hand hinhielt. „Wie weit weg ist denn eure Wohnung?“

„Zu Fuß vierzig Minuten, mit dem Bus eine Viertelstunde. Aber du kannst Josephs Fahrrad benutzen, das ist die einfachste Methode. Pass auf, wir treffen uns nach Feierabend hier am Personaleingang und nehmen dich mit. Jetzt müssen wir erst mal wieder Geld verdienen. Ich zeige dir noch die Wäschekammer am Schwimmbad, dann kannst du dich gleich um die Umkleidekabinen kümmern.“

Leichter Chlorgeruch, nur unzureichend von einem süßlichen Raumspray überdeckt, verriet Matteo, dass sie sich dem Poolbereich näherten.

„Wir gehen da jetzt nicht rein“, sagte Demba. „Dort findet gerade das Wassergymnastik-Angebot für die Hausgäste statt. Aber in ein paar Minuten sind die fertig, und wenn sie sich umgezogen haben, musst du die Duschen und Umkleidebereiche putzen. Die Sachen dafür befinden sich hier.“

Er öffnete eine kleine Kammer und hatte Matteo gerade eine kurze Erklärung gegeben, als eine große blonde Frau in Jeans und einer lockeren Bluse auf sie zukam.

„Ach, Momo“, rief sie aus. „Sie schon wieder! Ist das jetzt Ihr Zuständigkeitsbereich?“

„Signorina Caillot. Wollen Sie schwimmen gehen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, jetzt nicht. Ich bin einfach unterwegs, um mir das Hotel genauer anzusehen. Es ist ganz schön weitläufig, nicht wahr? Gerade der Bereich rund um den Pool ist absolut riesig.“

„Man lernt aber schnell, sich zurechtzufinden, Madame“, sagte Demba freundlich. „Es ist ja alles ausgeschildert. Und sonst fragen Sie uns, wir helfen gern weiter.“

„Vielen Dank, das werde ich. Sagen Sie, kann ich denn hier jederzeit zum Schwimmen kommen?“

„Normalerweise ist der Pool jeden Morgen ab sieben Uhr bis abends um halb neun geöffnet“, erwiderte Demba. „Nur an diesem Wochenende ist er leider zeitweilig für eine Gesellschaft reserviert.“

„Ach ja?“, fragte sie interessiert. „Was für eine Gesellschaft ist denn das?“

Also gehört sie offensichtlich nicht zu der dubiosen Party, schoss es Matteo durch den Kopf. Er war erstaunt über die Erleichterung, die diese Erkenntnis bei ihm auslöste.

Dembas Lächeln wurde höflich. „Eine Tagung eines großen Industriekonzerns, soweit ich weiß, Madame.“

„Werden viele Leute erwartet?“

„Eine ganze Reihe, hörte ich. Aber ich habe keinen Überblick über die Zimmerreservierungen, Madame.“

Demba klang zurückhaltend. So sollte es sein, wenn man mit Gästen sprach, höflich, aber möglichst unverbindlich. Details wie Massagekabinen und Gummihandschuhe hatten da keinen Platz.

„Wer hat denn den Überblick?“, erkundigte sie sich weiter. „Wissen die Zimmermädchen das?“

„Die Mitarbeiter an der Rezeption wissen das“, gab Demba zurück. „Aber warum fragen Sie, Madame? Wir dürfen keine solche Auskunft erteilen, verstehen Sie.“

„Ach, es interessiert mich einfach“, sagte sie.

Offenbar sollte es locker klingen, aber Matteo spürte, dass mehr dahintersteckte.

Sie setzte ein bemühtes Lächeln auf. „Dann will ich Sie nicht weiter aufhalten.“ Und damit stolzierte sie davon.

Isabelle war unzufrieden. Das war nicht besonders gut gelaufen. Momo war noch zu neu hier, um Bescheid zu wissen, und sein Kollege hatte offensichtlich keine Lust, ihr mehr zu erzählen als die offiziellen Informationen. Klar, Zurückhaltung und Diskretion wurden den Angestellten hier bestimmt von Tag eins an eingebläut, aber sie hatte gehofft, dass ein freundliches Lächeln sie weiterbringen würde.

Allerdings war das ja nur der erste Versuch. Professionelle Journalisten wussten, dass man so schnell nicht aufgeben durfte.

Sie verließ den stickigen Poolbereich und begab sich ins Foyer. Heute war Mittwoch, das war noch zu früh für die Anreise der Teilnehmer, doch bis dahin könnte sie schon mal Hintergrundinformationen sammeln. Als sie sich betont lässig im Foyer umschaute, sah sie, dass der nette Empfangschef wieder an der Rezeption stand, der ihr das Upgrade gegeben hatte. Sie schlenderte zu ihm hinüber.

„Madame Caillot“, begrüßte er sie freundlich. „Haben Sie einen Wunsch?“

„Ob ich einen Wunsch habe?“ Sie stellte fest, dass gerade nichts los war an der Rezeption. Vielleicht hatte sie die Chance, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. „Was meinen Sie, wie oft am Tag stellen Sie diese Frage, Bruno?“

Er lächelte. „Das gehört zu meinem Job, Madame. Es ist meine Aufgabe, unseren Gästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.“

Sie nickte. „In meinem Fall haben Sie jedenfalls einen Volltreffer gelandet. Es ist wunderschön hier.“

„Das freut mich zu hören, Madame.“

Sie hatte den Eindruck, dass ihm ihre Aussage guttat. „Aber ich stelle es mir nicht immer so einfach vor, dieser Aufgabe gerecht zu werden“, fuhr sie fort. „Die Arbeit in einem Hotel ist bestimmt manchmal sehr herausfordernd, nicht wahr?“

„Welche Tätigkeit ist das nicht?“, gab er zurück. „Aber mich freut es immer wieder, wenn ich meinen Gästen einen optimalen Aufenthalt ermöglichen kann.“

„Das klingt toll“, sagte sie schmeichelnd. „Erzählen Sie doch mal, wie das praktisch vor sich geht. Zum Beispiel eine Tagung – ich habe zufällig gehört, dass am kommenden Wochenende so etwas ansteht. Wie genau läuft das ab?“

Er sah sie fragend an. „Was wollen Sie wissen, Madame? Man bucht ein Zimmerkontingent und entsprechende Dienstleistungen bei uns, und wir bereiten alles nach Wunsch vor. Wir verfügen über die neueste Konferenztechnik und sind stolz darauf, dass wir die Wünsche unserer Gäste flexibel berücksichtigen können.“

„Zum Beispiel, wenn die den gesamten Wellness-Bereich belegen möchten? Ist das nicht ungewöhnlich?“

Sie spürte, dass er distanzierter wurde.

„Ich merke, Sie wurden bereits darüber informiert, Madame. Ich hoffe, es bereitet Ihnen keine Ungelegenheiten – für die Zeit von sieben bis elf Uhr morgens trifft das übrigens nicht zu, falls Sie den Pool oder die Sauna nutzen möchten.“

„Aber am Abend ist der Bereich für die anderen Gäste geschlossen?“, hakte sie nach.

„Schauen Sie, es handelt sich hier um eine größere Tagung“, behauptete er. „Die Teilnehmer machen über die Hälfte unserer Gäste aus. Und erfahrungsgemäß möchten die Einzelgäste am Wochenende in erster Linie die Stadt erkunden und abends das Restaurant besuchen, sodass die Schließung des Wellnessbereichs überhaupt nicht ins Gewicht fällt. Am Sonntag können Sie alles wieder nutzen. Möchten Sie vielleicht eine Massage oder eine Gesichtsbehandlung buchen? Ich könnte sofort einen Termin für Sie eintragen.“

Elegant aus der Affäre gezogen, dachte Isabelle.

In diesem Moment kam ein wichtig wirkender Mann in einem dunklen Anzug aus dem Verwaltungstrakt hinzu und wandte sich an sie: „Gibt es irgendein Problem, Madame? Bei Bruno sind Sie in den besten Händen, kann ich Ihnen versichern.“

Sie warf einen Blick auf das Messingschildchen auf seinem Anzugrevers: Xavier de Beeke, Direktion.

„Oh nein, alles bestens!“, versicherte sie ihm. „Ich sprach nur gerade mit Ihrem Empfangschef über seine Arbeit. Sie sind der Direktor?“

Er beantwortete die Frage mit minimalem Nicken. „Ich habe seit über vier Jahren das Vergnügen, eins der besten Häuser in ganz Flandern leiten zu dürfen, Madame.“

„Das ist bestimmt spannend!“, sagte sie voller Begeisterung. „Glauben Sie, es gibt eine Möglichkeit, dass ich mir diesen Hotelbetrieb näher ansehen könnte? Ich würde zu gern einen Blick hinter die Kulissen werfen. Wissen Sie, ich habe immer mal mit dem Gedanken gespielt, in diesem Bereich zu arbeiten.“

Monsieur de Beeke schürzte nachdenklich die Lippen. „Nun, das ist ein ungewöhnlicher Wunsch, Madame – den ich Ihnen heute leider nicht erfüllen kann, denn ich habe noch Termine und wir haben mehrere krankheitsbedingte Ausfälle beim Personal. Vielleicht fragen Sie morgen noch einmal nach? Ich werde sehen, was sich machen lässt.“

„Das wäre super“, rief Isabelle dankbar. „Dann bis morgen! Ich bin gespannt.“

Xavier de Beeke wartete, bis sich die Fahrstuhltür hinter Isabelle geschlossen hatte. Dann zog er ein unzufriedenes Gesicht und wandte sich an Bruno: „Du meine Güte, was hat sie vor?“, stieß er aus. „Glaubt sie wirklich, sie kann etwas erreichen, indem sie uns hier das süße Dummerchen vorspielt?“

„Es ist schon etwas sonderbar“, musste Bruno ihm zustimmen. „Charmant ist sie ja, aber ich habe den Eindruck, sie versteht wirklich nicht allzu viel vom Hotelbetrieb.“

„Oder sie ist eine hervorragende Schauspielerin“, knurrte de Beeke. „Einen Blick hinter die Kulissen werfen … Sie möchte vielleicht in dem Bereich arbeiten … Dass ich nicht lache!“

„Sie hat sich sehr dezidiert nach der Tagung am Wochenende erkundigt, Boss. Was soll das wohl bedeuten?“

Xavier runzelte die Stirn. „Es bedeutet, dass wir auf der Hut sein müssen, Bruno. Ich habe keine Lust, dass sich hier jemand einschleicht, um uns auszuspionieren, egal ob sie von der Zentrale kommt oder von anderswo.“

„Natürlich nicht.“ Bruno nickte. „Was wollen Sie also tun?“

„Nicht ich – Sie tun etwas, Bruno“, sagte Xavier. „Lassen Sie sich was einfallen, um die Dame abzulenken. Lassen Sie sie auf den Belfried klettern oder die längste Grachtenfahrt machen, die im Angebot ist. Hauptsache, sie schnüffelt nicht in meinem Hotel herum. Ich kann mich doch auf Sie verlassen, nicht wahr?“

Bruno nahm aus dem Augenwinkel wahr, wie Momo vor dem Haupteingang Gepäck aus einem Kofferraum räumte und es auf einen der messingglänzenden Rollwagen des Hotels lud. „Ich glaube, ich habe schon eine Idee“, sagte er.

Matteo war froh, wieder seine eigenen Klamotten tragen zu können, als seine Schicht beendet war. Über dieses Thema würde er unbedingt mal mit seinem Vater reden müssen. Wenigstens brauchte er morgen diese blöde Weste nicht zu tragen, denn Bruno hatte ihn kurz vor Feierabend mit einem merkwürdigen Auftrag abgefangen.

„Sie verstehen sich ja ganz gut mit Madame Caillot“, hatte er begonnen.

Matteo war sich nicht sicher, ob das der Auftakt zu einer ersten Abmahnung war. „Wir sind uns zufällig bei unserer Ankunft vor dem Hotel begegnet“, erklärte er vorsichtig. „Und dann habe ich ihr Gepäck in ihre Suite gebracht.“

„Sehr schön, sehr schön“, murmelte Bruno. „Sie könnten uns einen Gefallen tun.“

Verständnislos runzelte Matteo die Stirn. „Einen Gefallen?“

„Madame Caillot ist eine reizende junge Dame“, fuhr Bruno fort. „Aber sie zeigt sehr viel Interesse für die Vorgänge im Hotel, und im Augenblick hat niemand die Zeit, sich in dieser Hinsicht mit ihr zu befassen. Deswegen wollte ich Sie bitten, morgen mit ihr eine Stadtrundfahrt in unserer Fahrradrikscha zu machen.“

Matteo riss die Augen auf. „Fahrradrikscha? Stadtrundfahrt? Ich soll …“

„Sie finden das Gefährt hinten am Lieferanteneingang“, unterbrach Bruno ihn. „Direktor de Beeke hat es letzten Sommer angeschafft, mit großem Erfolg, muss ich sagen. Sie sind ein sportlicher junger Mann. Sie werden bestimmt in der Lage sein, so ein Ding zu bewegen. Hier ist ein Plan mit der vorgeschlagenen Route. Halten Sie an, wo Sie wollen, besichtigen Sie was mit ihr … was auch immer. Hier ist ein Museumsvoucher, damit haben Sie Eintritt zu den meisten Sehenswürdigkeiten, für den Rest lassen Sie sich eine Quittung geben, dann übernimmt das Hotel die Kosten.“

„Ich verstehe noch immer nicht ganz.“ Matteo schüttelte verwundert den Kopf. „Hat sie darum gebeten?“

„Nein, das soll eine Überraschung sein“, erklärte Bruno. „Das erkläre ich ihr persönlich. Ihre Aufgabe ist es einfach, sie einen Tag lang zu unterhalten, damit sie nicht die ganze Zeit im Hotel herumrennt und uns die Zeit stiehlt. Das schaffen Sie doch, oder?“

Matteo verstand, dass er diesen Auftrag nicht ablehnen konnte, auch wenn er damit den ganzen Tag vom Hotel entfernt wäre. Als gerade erst eingestellte Hotelkraft musste er auf jeden Fall von so einem Angebot begeistert sein. Einen Tag mit der hübschen Isabelle in dieser sehenswerten Stadt unterwegs zu sein war auf jeden Fall angenehmer als viele andere der Tätigkeiten, die hier auf ihn warteten. „Kein Problem!“, versicherte er.

„Sehr gut“, sagte Bruno zufrieden. „Ich verlasse mich auf Sie. Prägen Sie sich die Route ein und fragen Sie sie, was sie sich ansehen möchte. Sie soll einen fabelhaften Tag in Brügge verbringen und dabei völlig vergessen, dass sie sich den Hotelbetrieb erklären lassen wollte.“

Matteo versicherte sich, dass der Faltplan mit der Route in seiner Hosentasche steckte, als er vor dem Seiteneingang stand und auf Demba wartete. Alles in allem war dies einer der ungewöhnlicheren Tage in seinem Leben – am Morgen hatte er noch gedacht, er würde sich in einem Neopren-Anzug in die kalte Nordsee stürzen, und nun wartete er darauf, in eine Sammelunterkunft mit drei Afrikanern zu ziehen, mit denen zusammen er ein paar Tage in seinem eigenen Hotel schuften würde. Und darüber hinaus hatte er eine hübsche, aber offensichtlich ein wenig sonderbare Frau kennengelernt, die er morgen den ganzen Tag mit einer Rikscha durch Brügge kutschieren durfte.

Just in diesem Moment kam sie auf ihn zu. „Ich habe gehofft, dass ich Sie noch antreffe“, sagte sie etwas atemlos. „Ich bin gerade Ihrem Chef begegnet und der sagte mir, dass ich vom Hotel eine exklusive Stadtrundfahrt in einer Rikscha mit Ihnen organisiert bekomme. Wussten Sie das?“

„Natürlich“, antwortete er lachend. „Sie werden sehen, auf diese Art erleben Sie die Stadt auf ideale Weise. Mit dem Auto kommt man nicht überall hin, und es ist nicht so anstrengend, als wenn man die ganze Strecke zu Fuß zurücklegen muss.“

„Ja, für mich!“, stieß sie hervor. „Aber Sie müssten sich total anstrengen. Auf keinen Fall sitze ich untätig hinter Ihnen wie ein indischer Maharadscha, während Sie sich vorne abstrampeln. Kommt überhaupt nicht infrage.“

Erschrocken dachte Matteo an seinen Auftrag, sie vom Hotel fernzuhalten. „Aber es wäre mir ein Vergnügen, Signorina, ganz ehrlich.“

„Ich würde mich in Grund und Boden schämen“, rief sie temperamentvoll aus. „Vor allem, da Sie vom Hotel dafür abkommandiert wurden. Wenn ich es richtig sehe, sind Sie doch auch neu in der Stadt, oder?“

„Richtig, Signorina. Aber Sie sind diejenige, die bestimmt, wo es langgeht. Ich soll Sie dorthin begleiten, wo Sie hinwollen.“

Sie schüttelte den Kopf, sodass ihre blonden Locken nur so flogen. „Ich fasse es nicht, dass die das mit Ihnen machen können“, klagte sie. „Das gehört doch bestimmt nicht zu Ihrer Arbeitsbeschreibung.“

Für seinen Job gab es gar keine Arbeitsbeschreibung, wurde Matteo klar. Er sollte einfach alles erledigen, wofür die anderen Kollegen keine Zeit hatten. Laut sagte er: „Sehen Sie es mal so, eine Stadtrundfahrt mit Ihnen macht auf jeden Fall mehr Spaß, als den Poolbereich zu reinigen.“

Ihre Blicke trafen sich ähnlich wie schon am Mittag. Sie hatte sehr ausdrucksvolle grün-blaue Augen, stellte er fest. Ihre Haut war hell und so makellos wie die eines Models. Und wenn sie lachte, so wie jetzt, dann leuchtete ihr ganzes Gesicht.

„Das mag sein“, sagte sie. „Aber vielleicht gibt es ja ein Tandem-Fahrrad statt dieser blöden Rikscha? Für fairere Arbeitsteilung?“

„Ich werde mich umhören“, versprach er. „Wir finden schon eine Lösung.“

„Tun Sie das“, bat sie. „Denn abgesehen von der Rikscha freue ich mich auf diesen Ausflug, Momo.“

„Ich auch“, erwiderte er. Und meinte es auch so. Er freute sich darauf, den Tag mit dieser Frau zu verbringen, vielleicht ein bisschen mehr über sie zu erfahren und über die widersprüchlichen Details zu ihrer Person. Sie war mit einem Bentley gekommen und bewohnte eine der teuersten Suiten des Hauses, aber ihre Kleidung stammte auf keinen Fall von irgendwelchen Designern. Am Nachmittag hatte sie auf ihn gewirkt, als wohnte sie zum ersten Mal in einem Hotel dieser Kategorie. Und jetzt fiel ihm auch noch die McDonald’s-Tüte auf, die aus ihrer großen Tasche hervorschaute.

Sie folgte seinem Blick und stopfte die Papiertüte weiter nach unten in die Tasche. „Verraten Sie mich nicht an die Geschmackspolizei“, bat sie augenzwinkernd. „Aber mir stand der Sinn nach einem Big Mac. Außerdem umfasst mein Gutschein nur das Frühstück. Ansonsten kann ich essen, wo und was ich will.“

Er grinste. „Und jetzt schmuggeln Sie Ihren Big Mac in die Van-Dyck-Suite? Mir soll’s egal sein, solange Sie keinen Ketchup auf den Teppich tropfen lassen.“

„Das würde ich nie tun“, rief sie entrüstet. „Meinetwegen soll sich niemand extra anstrengen müssen. Sie arbeiten alle hart genug für den Hungerlohn, den Sie kriegen.“

Matteo wollte fragen, woher sie wusste, was die Venti-Mitarbeiter verdienten, aber in diesem Moment öffnete sich die Seitentür und Demba kam heraus, gefolgt von einem weiteren dunkelhäutigen Mann.

„Das ist Said aus Marokko“, stellte er vor. „Der wohnt im Zimmer neben dir.“

Said begrüßte ihn mit Handschlag, blieb aber ansonsten schweigsam.

„Lasst uns gehen, sonst verpassen wir den Bus“, drängte Demba. Erst jetzt bemerkte er, dass Isabelle neben ihm stand. „Oder hast du noch etwas vor?“

„Nein, alles klar“, versicherte Matteo eilig. Er nickte Isabelle zu. „Dann bis morgen.“

„Bis morgen.“ Sie versuchte, die Seitentür zu öffnen, die hatte aber von außen keine Klinke. „Kann mir einer von Ihnen diese Tür aufschließen?“

Demba schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, aber das ist nur für Personal. Wenn Sie da reingehen, landen Sie in dem Bereich, der nicht für Gäste ist.“

Matteo sah Isabelles Gesicht und war sich fast sicher, dass es genau das war, was sie am liebsten täte – auch wenn er keine Ahnung hatte, warum es sie so in den nichtöffentlichen Bereich des Hotels zog. Bruno hatte ihn jedoch persönlich dafür verantwortlich gemacht, sie davon fernzuhalten. Er zuckte entschuldigend mit den Schultern.

„Na gut“, sagte sie resigniert. „Dann eben nicht.“ Sie fasste ihre Tasche fester und ging in Richtung Haupteingang davon.

Demba sah ihr nach und rammte ihm einen Arm in die Seite. „Die haben wir doch heute schon mal getroffen. Sag mal, läuft da was zwischen euch?“

„Nein!“, beteuerte Matteo. „Ich soll nur morgen mit ihr die Stadt besichtigen gehen und dafür haben wir uns abgesprochen.“

„Na so was, seit wann haben wir denn auch solche Jobs?“, fragte Demba missbilligend. „Was wird denn Bruno sagen, wenn du nicht zur Arbeit aufkreuzt?“

„Bruno hat mir das selbst aufgetragen.“

„Sieh mal einer an! Ich kann dir nur einen guten Rat geben, mein Freund: Fang niemals was mit einem Gast an, ganz egal, wie hübsch sie ist oder was sie für Trinkgelder gibt. Das bedeutet nur Ärger, glaub mir.“

Matteo musste ihm da innerlich zustimmen, denn er vertrat diese Regel dem Personal gegenüber nachdrücklich. Er war überrascht, als er begriff, dass die Vorschrift nun auch für ihn zutraf – zumindest für die Zeit, in der er als Momo hier arbeitete.

Natürlich hatte er keine weitergehenden Absichten, was Isabelle anging. Ein kleiner Flirt, nichts weiter – er kannte sie ja kaum und würde sie vermutlich auch nicht wiedersehen, wenn sie ihre Stadtrundfahrt beendet hatten. Für Freitag und Samstag hatte Bruno ihn für die Spätschicht eingeteilt, was ihm sehr recht war, denn das bedeutete, dass er die ominöse Tagung miterleben würde, wegen der er hergekommen war. Und damit hatte Isabelle ja wohl nichts zu tun, sodass er ihr vermutlich nicht mehr über den Weg laufen würde.

Schade eigentlich, dachte er, als er mit Demba und Said den Bus in die Außenbezirke bestieg. Sie gefiel ihm gut, nicht nur wegen ihres ansprechenden Äußeren, sondern auch weil sie recht selbstbewusst zu sein schien, ohne so zu tun, als drehe sich die ganze Welt nur um sie. Immerhin würde er sie morgen durch die Stadt begleiten. Vielleicht klärte sich dabei auch das ein oder andere, das er bisher nicht an ihr verstand.

Auf jeden Fall musste er aufpassen, dass er den wahren Grund seines Aufenthaltes nicht aus dem Blick verlor. Inzwischen hatte er festgestellt, dass es nicht einfach werden würde, Zugang zum hoteleigenen Computersystem zu erlangen, ohne dass es jemandem auffiel. Der Verwaltungstrakt war selten völlig unbesetzt. Theoretisch könnte er sich an mehreren Rechnern mit seinem persönlichen Passwort einloggen, aber dort wäre er nie lange genug ungestört, um bis in die Bereiche vorzudringen, in denen er sich die notwendigen Informationen holen und herausbekommen konnte, wer alles an der angeblichen Tagung teilnahm und, noch wichtiger, wer sie beauftragt hatte und sie bezahlen würde.

Womöglich war alles falscher Alarm, und es handelte sich um eine stinknormale Schulung für die Vertriebsabteilung eines Unternehmens. Vielleicht eine Firma aus dem Bereich Kosmetik, was die Exklusivbelegung des Wellnessbereichs erklären würde. Oder womöglich eine Textilfirma, die an ihrer neuen Bademoden-Kollektion arbeitete.

Matteo konnte sich viele Szenarien vorstellen, bei denen die merkwürdigen Gerüchte sich rasch in heiße Luft auflösen würden. Aber er war lange genug im Geschäft, um seinem Bauchgefühl zu vertrauen, und das sagte ihm, dass hier etwas faul war. Das hatte ja schon sein Vater gespürt, als er von ihm verlangte, seinen Urlaub zu unterbrechen und hierherzukommen.

Die Familie Venturini besaß ihre Hotelkette, seit Urgroßvater Paolo das erste Haus in Turin eröffnet und dann nach Mailand und Bologna expandiert hatte. Sein Sohn Giorgio hatte den Mut gehabt, auf den zunehmenden Mittelmeer-Tourismus zu setzen und Hotels an der Riviera zu bauen. Ricardo Venturini, Enkel des Gründers, blickte inzwischen auf beinahe sechzig Häuser in verschiedenen europäischen Ländern, die zu seiner Gruppe gehörten. Und seit Matteo vor zehn Jahren sein Betriebswirtschaftsstudium abgeschlossen hatte, trug er die Verantwortung für die Sporthotels.

Solange er denken konnte, gab es nur zwei wichtige Begriffe für die Venturinis: Hotel und Familie, und das eine war untrennbar mit dem anderen verbunden. Es war eine Selbstverständlichkeit, sich bis zur Schmerzgrenze für das Unternehmen einzusetzen, denn nur wenn die Hotels florierten, ging es der Familie auch privat gut.

Bisher hatte sich niemand gegen diesen Grundsatz aufgelehnt, auch er nicht. Einmal wäre es beinahe dazu gekommen, als seine Mutter sich in den Kopf gesetzt hatte, ihn mit Silvana Costello zu verheiraten, deren Familie ein großes Reiseunternehmen betrieb.

Die beiden Firmen hätten besser zueinander gepasst als die Personen, die sie zusammenführen sollten. Matteo war spätestens nach fünf Minuten total genervt von Silvanas weinerlicher Stimme und ihrem Anspruch, man möge ihr doch bitte die Welt zu Füßen legen.

Zum Glück stellte sich heraus, dass ihr Vater gleichzeitig Verhandlungen über eine Fusion mit einer amerikanischen Firma aus der Touristikbranche führte. Ohne die Aussicht einer geschäftlichen Verbindung war die Heirat vom Tisch gewesen, wie er sich mit einer gewissen Erleichterung erinnerte.

Er hatte immer mal wieder kurze Affären mit hübschen jungen Damen, aber die kamen als dauerhafte Partnerin nicht infrage, darüber war er sich mit seinen Eltern einig. Sein Plan war, sich nach einer passenden Frau umzusehen, bis er vierzig war – und das ließ ihm noch ein wenig Zeit.

„Hey, Kumpel, hier müssen wir aussteigen!“, riss Demba ihn aus seinen Gedanken.

Er folgte den beiden anderen in eine Straße, in der sich Mietshäuser aneinanderreihten. Er musste sich die Nummer gut merken, sonst würde er das Gebäude nicht wiederfinden, in dem er für die nächsten Tage wohnte.

Im Hausflur roch es nach Knoblauch und exotischen Gewürzen. Matteo stieg hinter Said und Demba in den zweiten Stock hinauf und betrat neugierig die Wohnung. Sie war sparsam, aber farbenfroh eingerichtet. Vor den Fenstern hingen mit afrikanischen Mustern bedruckte Stoffe anstelle von Gardinen, und die Möbel bildeten ein buntes Sammelsurium aus unterschiedlichsten Stilepochen. Aber alles war ordentlich und sauber.

Said stellte die prall gefüllte Stofftasche auf den Küchentisch, die er bei sich gehabt hatte, und packte sie aus. Matteo begriff, dass es sich bei den in Alufolie eingewickelten Paketen um Reste aus der Hotelküche handelte. Demba holte drei Teller aus dem Schrank und verteilte Lachspastete, Bratenscheiben und mehrere Salate darauf, wobei er gut gelaunt summte. Ein weiteres Gefäß wurde in die kleine Mikrowelle auf dem Kühlschr...

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