Romana Extra Band 154

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  • Erscheinungstag 21.12.2024
  • Bandnummer 154
  • ISBN / Artikelnummer 9783751523943
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Vivien Jennings

1. KAPITEL

Savannah, Anfang Juni

Das Taxi fuhr gemächlich die kiesbestreute Zufahrt des prächtigen zweistöckigen Plantagenhauses hinauf, das in klassischem Südstaatenstil mit hohen Fenstern und weißen Säulen ehrfurchtgebietend auf einem Hügel am Stadtrand von Savannah thronte. Majestätische uralte Eichen, behangen mit silbergrauem spanischem Moos, säumten den Weg und spendeten etwas Schatten vor der gleißenden Sonne.

Abbie Davenport wünschte insgeheim, der Fahrer würde noch ein wenig langsamer fahren, damit sie Zeit hatte, sich zu sammeln vor dem großen Wiedersehen mit der ganzen Familie. Vor allem mit ihren Eltern.

Wie lange war sie jetzt nicht zu Hause gewesen? Nachdenklich runzelte sie die Stirn. Es musste etwa ein Jahr her sein. Ja, knapp ein Jahr war seit Grannys Geburtstagsfeier vorigen Sommer vergangen, dem letzten großen Event der Davenport-Familie. Und auch da war sie nur so kurz wie möglich in der Stadt geblieben.

Seit sie vor über zehn Jahren zu Hause ausgezogen war, um Meeresbiologie zu studieren, war sie nur noch selten zurückgekehrt. Im Grunde nur, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ.

Die vergangenen Tage in London waren wie immer hektisch gewesen. In den Projekten, für die sie bei einer international tätigen Umweltorganisation verantwortlich war, gab es jede Menge zu tun. Zahlreiche wichtige Informationen für ihre Studie waren kurzfristig aufgetaucht, und sie hatte sich kaum aus dem Büro freimachen können. Zweimal hatte sie ihren Flug verschieben müssen. Sie hatte schon befürchtet, es nicht rechtzeitig zu schaffen, doch um nichts in der Welt hätte sie Callies Hochzeit verpassen wollen. Und jetzt war sie endlich hier.

Das Taxi hielt vor der imposanten weißen Freitreppe des Eingangsportals. Nun war es so weit. Abbie atmete tief durch, straffte die Schultern und stieg aus.

Schwüle, feuchte Luft umfing sie und kräuselte die Spitzen ihres schulterlangen schwarzen Haars. Vertrauter süßer Blütenduft drang in ihre Nase, der für sie immer mit Savannah und Grannys weitläufigem Park verbunden war. Der alte Rosengarten im hinteren, etwas abgelegenen Teil des Parks war ihr liebster Rückzugsort gewesen, wenn sie mit ihren Eltern zu Besuch kam. Unzählige Feriennachmittage hatte sie als Kind zwischen den üppig rosablühenden Sträuchern gehockt, meist in eins ihrer geliebten Bücher vertieft.

Es gibt auch schöne Erinnerungen an meine Kindheit in den Südstaaten, dachte sie plötzlich. Nicht nur die an Callie. In ihrem neuen Leben in London vergaß sie das manchmal fast.

Der Taxifahrer hievte ihren großen Rollkoffer aus dem Kofferraum, da wurde plötzlich die mächtige Eichentür des Herrenhauses schwungvoll aufgerissen.

„Abbie, endlich! Ich habe dich vom Fenster aus gesehen“, ertönte es fröhlich von der Tür.

Sie wandte sich lächelnd um. Ihre Cousine stand strahlend am Eingang, in einem wunderschönen blauen Seidenkleid und mit elegant hochgestecktem hellblondem Haar.

„Ich dachte schon, dass du gar nicht mehr kommst“, rief Callie und bemühte sich vergeblich um einen strengen Gesichtsausdruck.

Abbie schüttelte den Kopf. „Bei so einem wichtigen Schritt werde ich dich doch nicht allein lassen! Wir sind doch immer füreinander da!“

Seit frühester Kindheit waren sie nicht nur Cousinen, sondern auch beste Freundinnen. Abbie hätte manchmal gar nicht gewusst, was sie ohne Callie getan hätte, und ihrer Cousine ging es ebenso. Lachend fielen sie sich in die Arme.

„Es ist so schön, dich wiederzusehen!“ Callie schob sie auf Armeslänge von sich. „Gut siehst du aus. Etwas müde vielleicht. Aber das ist ja auch kein Wunder bei all der Arbeit und nach dem langen Flug von Europa. Dein neuer Look gefällt mir.“

Verlegen strich Abbie sich durch den schwarzen Bob. Sie hatte sich endlich von ihrem langen Schneewittchenhaar getrennt, wie Granny es immer genannt hatte. Die neue Frisur war nicht nur moderner, sondern auch praktisch, und sie fühlte sich wohl damit.

„Und du?“ Sie betrachtete zufrieden ihre Cousine. Callie konnte offensichtlich gar nicht mehr aufhören zu lächeln. „Dein Outfit ist phänomenal, très chic. Ganz die schöne und glückliche Braut. Bist du so glücklich, wie du aussiehst?“

Im Grunde war es eine rhetorische Frage, sie kannte die Antwort. Sie hatten sich zwar seit einigen Monaten nicht gesehen, waren jedoch ständig miteinander in Kontakt, egal wo sie beide sich gerade auf der Welt befanden.

Callie hakte sich bei ihr unter und gemeinsam gingen sie die Stufen zum Haus hinauf.

„Und wie“, antwortete sie verträumt und seufzte. „Luc ist so wundervoll. Ich kann es gar nicht abwarten, übermorgen endlich seine Frau zu werden.“

Abbie lächelte. Es war so schön, dass ihre Cousine ihr Glück gefunden hatte, sie gönnte es ihr von ganzem Herzen. Luc und sie hatten sich in der Arktis kennengelernt, bei einer Spitzbergenkreuzfahrt, die eigentlich Callies Hochzeitsreise werden sollte. Doch im letzten Moment hatte sie die Verlobung gelöst und sich allein ins Abenteuer gewagt. Wer hätte gedacht, dass sie an Bord den Mann ihres Lebens treffen würde, der dort als Eisbärenwächter aushalf? Luc schien wirklich der Richtige für sie zu sein.

Abbie konnte mit den Konzepten große Liebe und glücklich bis ans Ende ihres Lebens nicht viel anfangen. Ihrer Erfahrung nach war das ein schöner Mythos, der mit der Realität wenig zu tun hatte. Sie hatte andere Prioritäten. Aber sie war schon immer die Pragmatische gewesen und Callie die Romantikerin.

Kurz vor der großen Eingangshalle hielt Abbie zögernd inne. Nachdenklich deutete sie auf ihre Reisegarderobe aus dunkelblauer Jeans und weißem T-Shirt mit dem blauen Logo von Ocean Saviors. In London war das ein absolut passendes Outfit, aber in Savannah tickten die Uhren anders. Jedenfalls in ihrer Familie. Wie hatte sie das nur vergessen können?

„So sollte ich Granny und meinen Eltern vielleicht nicht gegenübertreten“, murmelte sie. „Sonst muss ich mir nur einen Vortrag anhören. Besser nicht gleich zur Begrüßung ins Fettnäpfchen treten und schon wieder in Ungnade fallen bei den hohen Herrschaften. Lieber keine schlafenden Drachen wecken.“ Sie verdrehte dramatisch die Augen.

Callie lachte und zwinkerte ihr zu. Sie verstand sie sofort. Wie immer.

„Du hast recht. Komm, wir nehmen den Nebeneingang, damit du dich frisch machen kannst, bevor du zum Empfang kommst. Ich sag Bescheid wegen deines Koffers. Du hast wieder das grüne Zimmer.“

Von drinnen rief jemand nach Callie. Es war Luc, und es klang dringend.

Sie sahen sich an.

„Geh ruhig, es ist schließlich deine Party“, sagte Abbie entschieden. „Ich kenne den Weg. Und sobald ich etwas zivilisierter aussehe, komme ich dazu.“

Dankbar nickend verschwand Callie in Richtung der großen Halle, wo der Empfang bereits in vollem Gang zu sein schien. Abbie hörte das Gemurmel angeregt plaudernder Gäste.

Sie drehte sich eilig um und wäre fast über einen großen blonden Mann gestolpert, der direkt hinter ihr am Fuß der Treppe stand und den sie bisher nicht bemerkt hatte. Er musste kurz nach ihr angekommen sein. Dabei hatte sie in der Auffahrt gar keinen Wagen gehört.

Er trug eine dunkle Anzughose und ein weißes Hemd, dessen oberster Knopf offen stand. Das Jackett hing lässig über einer Schulter, und er hielt es mit einem Finger fest. Ganz offensichtlich wollte er auch zum Empfang.

Das dichte blonde Haar fiel ihm verstrubbelt in die Stirn. Sein Blick aus großen leuchtend grünen Augen ruhte fest auf ihr. Er lächelte.

Sie schätze ihn auf Mitte dreißig, vielleicht etwas jünger. Sein kantiges, maskulines Gesicht wurde durch zwei kleine Grübchen an den Mundwinkeln sanfter. Zugegebenermaßen war er attraktiv, wenn man auf den Typ charmanter Draufgänger stand, was sie ganz bestimmt nicht tat.

Nun grinste er sie frech an, und in seinen Augenwinkeln erschienen kleine Lachfältchen.

Abbie war einen Moment verwirrt. Hatte er ihr Gespräch mit Callie mit angehört? Hatte sie irgendetwas Peinliches gesagt? Sie erinnerte sich nicht, aber ihr loses Mundwerk hatte sie schon mehr als einmal in Schwierigkeiten gebracht.

Er nahm sie weiter in aller Ruhe in Augenschein, wobei sich sein Lächeln noch vertiefte.

Unbehaglich sah Abbie sich nach ihrem Koffer um. Der Mann stand ihr im Weg.

„Brauchen Sie vielleicht Hilfe?“, fragte er schließlich gedehnt. „Einen Fluchthelfer? Oder einen Ritter, der sie vor den furchteinflößenden Drachen beschützt?“

Seine Augen schienen zu lachen, aber seine Stimme klang tief und sanft, fast ein Flüstern. Oder ein Streicheln.

Irritiert von seinem vertraulichen Ton, schluckte sie. Dann zog sie die Augenbrauen zusammen. Er flirtet mit dir, und er zieht dich auf, dachte sie genervt. Er hatte sie ganz genau gehört, jedes Wort. So viel dazu.

Einen Moment lang war es ihr peinlich, dann wallte Ungeduld in ihr auf. Warum sollte es ihr peinlich sein? Sie kannte ihn überhaupt nicht. Was dieser eingebildete Typ dachte, der sie so unverhohlen abschätzend betrachtete, konnte ihr herzlich egal sein.

So würdevoll wie möglich hob Abbie das Kinn und sagte kühl, aber bestimmt: „Vielen Dank, kein Bedarf, ich ziehe es vor, mich selbst zu beschützen.“

Dem Himmel sei Dank für Klimaanlagen, dachte Nick erleichtert. Die feuchte Hitze draußen war unerträglich, aber im Inneren des großen alten Plantagenhauses war es angenehm frisch und kühl. Er atmete tief durch.

Normalerweise machte ihm Wärme nichts aus, und er liebte es, an Orte überall auf der Welt zu reisen. Vielleicht war er es einfach nicht mehr gewohnt, woanders als in Norwegen zu sein. Die letzten Monate hatten nur aus Arbeit bestanden.

Ein Blick in die Runde der festlich gekleideten Gesellschaft genügte, und er streifte seufzend sein Smokingjackett wieder über, von dem er gehofft hatte, er bräuchte es nicht zu tragen. Hoffentlich nahm ihm niemand übel, dass er die passende Fliege im Gästehaus gelassen hatte, aber wegen der schwülen Hitze war ihm das beengende Outfit einfach absurd vorgekommen.

Bei einer Einladung zu einer Hochzeit in den USA hatte er ursprünglich auf ein entspanntes Barbecue gehofft. Luc, der stolze Bräutigam und sein engster Freund seit ihrer gemeinsamen Internatszeit, hatte ihn allerdings vorgewarnt, dass die Familie seiner Braut eher förmlich war. Traditioneller alter Südstaatenadel, hatte er gesagt.

Dennoch war Nick überrascht. Mit diesem Prunk hatte er nicht gerechnet.

Die große Halle glich einem eleganten Ballsaal. Riesige Bodengestecke aus weißen Lilien verbreiteten einen schweren, süßlichen Blütenduft, und ein Meer aus unzähligen Kerzen in silbernen Leuchtern ließ die Kristallgläser der Gäste funkeln. Beflissene rotlivrierte Kellner servierten französischen Champagner und exquisite Kanapees. Die Cocktailkleider der Damen leuchteten in prächtigen Farben ebenso wie ihre zweifellos teuren Juwelen. Die Herren trugen ausnahmslos Smoking.

Ein Kammerorchester spielte Debussy, und die klassische Musik mischte sich mit dem Südstaaten-Singsang der angeregt plaudernden Gäste.

Suchend sah er sich um. Er kannte kaum jemanden außer dem Bräutigam und der Braut. Aber er hatte noch nie Schwierigkeiten damit gehabt, mit fremden Menschen ins Gespräch zu kommen.

Ein älterer, rotgesichtiger Herr schlenderte auf ihn zu. Ein halbleeres Glas Champagner in der Hand, dem er offensichtlich bereits tüchtig zugesprochen hatte, wenn Nick seinen lebhaften Gesichtsausdruck richtig deutete.

Er erinnerte sich dunkel, dass sie einander gestern bei seiner Ankunft vorgestellt worden waren. Es war Mr. Charles Davenport, der Vater der Braut.

„Niklas, mein Junge, lassen Sie sich ein Glas bringen, dann können wir anstoßen.“ Er machte befehlsgewohnt ein Handzeichen in Richtung eines Kellners.

Nick grinste. Er war zweiunddreißig Jahre alt und Inhaber einer der bedeutendsten Reedereien Norwegens. Ihn hatte schon sehr lange niemand mehr als einen Jungen bezeichnet. Aber irgendwie gefiel es ihm. Und wenn diese Reise für etwas gut war, dann dafür, einmal seinem Hamsterrad zu entfliehen.

Er nahm den Champagner, bedankte sich freundlich beim Kellner und prostete seinem Gegenüber zu. „Auf Braut und Bräutigam“, sagte er feierlich.

„Auf Braut und Bräutigam“, erwiderte der Ältere, sichtlich bewegt. „Ich bin so froh, dass meine Callie einen so guten Mann wie Ihren Freund Luc gefunden hat. Die beiden sind wirklich glücklich zusammen.“

Er nickte zustimmend und blickte zu seinem Freund hinüber, der am anderen Ende des Saales im Gespräch mit einigen grauhaarigen Damen war, die ihm entzückt zu lauschen schienen.

Nick hätte niemals gedacht, dass Luc sich nach dem tragischen Unfall seiner ersten Frau jemals wieder auf eine Beziehung einlassen würde. Zum Glück hatte er sich geirrt.

Sein Blick schweifte gedankenverloren durch den Raum.

Und da sah er sie.

Die bildschöne schwarzhaarige Frau, die er draußen am Eingang getroffen hatte, und die seinen Humor ganz offensichtlich nicht schätzte, schritt die breite Treppe vom ersten Stock hinab in die Empfangshalle.

Sie hatte sich umgezogen und trug nun ein hinreißendes rotes Cocktailkleid, das sich eng an ihre zierliche Figur schmiegte und in einen weiten, fließenden Rock überging. Dazu hatte sie Sandaletten mit schwindelerregend hohen Absätzen gewählt. Obwohl sie keinerlei Schmuck angelegt hatte, außer einem einfachen silbernen Armband, und auch ihr Make-up eher schlicht war, bis auf einen leuchtend roten Lippenstift, war sie eindeutig die aufsehenerregendste Frau im Raum.

Nicks Mund wurde trocken. Diese Fremde passte genau in sein Beuteschema. Allerdings war da ja noch Liv …

Er hatte das Gefühl, dass sich alle Köpfe nach ihr umdrehten und einige Gespräche verstummten. Ihr schwarzes halblanges Haar glänzte und bildete einen faszinierenden Kontrast zu ihrer zarten milchweißen Haut und dem roten Kleid. Trotz ihrer hohen Absätze ging sie graziös und selbstsicher die Treppe hinunter. Mit hoch erhobenem Kopf blickte sie durch den Saal. Ihre ausdrucksvollen grauen Augen strahlten.

Er spürte das dringende Bedürfnis, zu ihr zu gehen und sie anzusprechen. Aber natürlich konnte er seinen Gesprächspartner nicht einfach stehen lassen, das wäre äußerst unhöflich.

Mr. Davenport bemerkte den Auftritt der schwarzhaarigen Schönheit nicht und pries die Vorzüge der örtlichen Golfplätze an, aber Nick hörte nur mit einem Ohr zu.

Aus dem Augenwinkel beobachte er, wie ein Paar in den Sechzigern auf die Frau zuging und mit ihr sprach.

Er verstand auf die Entfernung nicht, was sie sagten, aber die Veränderung, die mit ihr vorging, war bemerkenswert … nein, erschreckend. Ihre eben noch selbstbewusste Haltung, die er so bewundert hatte, wurde starr, und ihr schönes Gesicht wirkte nun maskenhaft und angespannt.

Das war eindeutig kein angenehmes Gespräch.

Er wünschte, er könnte ihr irgendwie helfen. Sofort. Vielleicht sollte er sich höflich vom Brautvater loseisen. Offensichtlich ein guter Moment, doch noch den Ritter zu spielen und sich ihr vorzustellen.

„Was hast du bloß mit deinem Haar angestellt?“, fragte ihre Mutter mit vorwurfsvollem Unterton.

Abbie seufzte frustriert. Im Grunde war es völlig egal, was sie tat. Ihren Eltern konnte sie es ohnehin nie recht machen.

„Ich war beim Friseur“, antworte sie ruhig. „Ich brauchte eine Veränderung.“ Mit dreißig Jahren war sie wohl alt genug, über ihren Haarschnitt selbst zu entscheiden, aber sie hatte keine Lust, sich zu streiten. Sie hatte sich fest vorgenommen, das Verhalten ihrer Eltern dieses Mal einfach an sich abperlen zu lassen. Sie war wegen Callie nach Savannah gekommen, und dies sollte ein fröhliches Wochenende werden. Sie würde sich nicht provozieren lassen.

„Nun, deinen Hang zu bizarren Entscheidungen kennen wir ja“, antwortete ihre Mutter säuerlich.

Abbie hätte am liebsten die Augen verdreht. Nicht diese Diskussion schon wieder …

Sie wünschte sich weit weg.

Überraschend trat der fremde blonde Mann neben sie, den sie bei ihrer Ankunft getroffen hatte.

„Wie schön, dass wir uns hier wiedersehen“, sagte er liebenswürdig zu ihr.

Seine angenehm sonore Stimme ließ sie einen Moment verblüfft innehalten.

„Ich hatte gehofft, wir hätten Zeit, uns weiter zu unterhalten“, fügte er hinzu und lächelte sie strahlend an.

Der Blick seiner grünen Augen war wieder eindringlich auf sie gerichtet, aber diesmal wirkte er nicht frech, ganz und gar nicht, sondern warm und verständnisvoll, als wolle er ihr eine Botschaft senden.

Spiel einfach mit, schien er zu sagen.

Abbies Mundwinkel hoben sich. Er musste das angespannte Gespräch beobachtet haben und war gekommen, um sie aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Das rechnete sie ihm hoch an. Und er kam keine Minute zu früh.

„Ja, das wäre wirklich schön“, sagte sie dankbar.

Das umwerfende Lächeln, mit dem er sie daraufhin bedachte, erzeugte ein merkwürdiges Kribbeln in ihrem Bauch. Er war definitiv sehr attraktiv.

„Möchtest du uns deinen Freund nicht vorstellen, Abbie?“, fragte ihre Mutter scharf, und auch ihr Vater sah ihn neugierig an.

Abbie erstarrte und wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie hatte schließlich keine Ahnung, wer er war.

„Mein Name ist Niklas Bergson“, kam er ihr zu Hilfe und schüttelte ihren Eltern die Hand.

Der Name kam ihr vage bekannt vor, aber im Moment wusste sie nicht woher.

„Es ist schön, Sie kennenzulernen, Abbie hat von Ihnen gesprochen“, sagte er mit einem galanten Lächeln.

Ihre Mutter lächelte überraschenderweise erfreut zurück. Selbst die strenge Richterin Davenport war offenbar nicht völlig immun gegen so viel maskulinen Charme. Abbie musste sich auf die Zunge beißen, um nicht laut loszulachen. Oh ja, er hatte in der Tat gehört, wie sie von ihren Eltern gesprochen hatte.

Nun wandte er sich an sie: „Wolltest du mir nicht das Haus zeigen?“

Das vertrauliche Du störte sie nicht, es passte zu ihrer kleinen Scharade.

Plötzlich hatte sie erheblich bessere Laune als noch vor wenigen Augenblicken. Ja, warum eigentlich nicht? Wenn sie ihm das Haus zeigte, hätte sie einen wunderbaren Vorwand, um das Gespräch mit ihren Eltern zu beenden. Und außerdem schien er wirklich nett zu sein. Es wäre sicher keine Strafe, sich eine Weile in seiner Gesellschaft zu befinden.

Und wenn er versuchte, mit ihr zu flirten? Vielleicht sollte sie auch das einfach genießen. Dies war schließlich eine Party, und nach diesen drei Tagen würde sie ihn nie wiedersehen. Sie sollte sich vielleicht auch mal ein wenig amüsieren zur Abwechslung.

Auf einmal fühlte sie sich in Hochstimmung, und ihre Müdigkeit war verschwunden. Sie wollte ihm gerade antworten, als Callie und Luc Arm in Arm zu ihnen traten.

Luc begrüßte sie herzlich und rief erfreut: „Das ist ja wunderbar, dass unsere beiden Trauzeugen sich so gut verstehen. Das ist bestimmt nützlich, Callie und ich haben nämlich eine kleine Bitte in letzter Minute an euch.“

Nun dämmerte es Abbie, wieso ihr der Name Niklas Bergson die ganze Zeit so bekannt vorgekommen war, und sie atmete scharf ein.

Sie wusste, sie hatte den Namen schon gehört, aber ohne ein dazugehöriges Gesicht hatte sie ein schreckliches Namensgedächtnis.

Von wegen nett! Niklas Bergson war alles andere als das. Er war ein verantwortungsloser Reeder, der sich auf Kosten der Umwelt bereicherte und die Meere zerstörte. Er war ein widerwärtiger, gewissenloser Schuft.

2. KAPITEL

Nick wusste nicht, was er erwartet hatte. Das jedenfalls nicht. Müde strich er sich über das Gesicht und blickte Abbie an, die ihm gegenüber auf einem der weißen Korbsessel im Wintergarten saß.

Dass die Trauzeugin der Braut eine ambitionierte Umweltschützerin war, hatte er schon gehört, Luc hatte es irgendwann erwähnt. Insbesondere, dass sie auf Kreuzfahrtveranstalter im Allgemeinen nicht gut zu sprechen war.

Insofern gehörte nicht viel dazu, sich auszurechnen, dass sie nicht die besten Freunde werden würden. Kreuzfahrten waren schließlich das Hauptgeschäft der Bergson-Reederei, die er von seinem Vater geerbt hatte und jetzt stolz in der dritten Generation führte.

Er hatte nur nicht erwartet, dass es so schwierig sein würde. Sie war einfach völlig unmöglich.

Nicht zum ersten Mal an diesem Tag verwünschte er Luc und Callie, für ihre wunderbare Idee, die Trauzeugen sollten sich noch schnell eine kleine Aktivität für die Feier ausdenken, damit die Gäste etwas eingebunden werden konnten, sodass der Abend nicht nur ein weiterer steifer Davenport-Empfang war.

Nick verstand die Idee, aber was zum Teufel sollte er dazu beitragen? Hochzeiten waren nicht gerade sein Fall. Und mit dieser Frau zusammenarbeiten zu müssen, die ihn offensichtlich nicht ausstehen konnte, war einfach nur anstrengend.

Sie hatte einen Tanzwettbewerb abgelehnt und die Schnitzeljagd. So langsam gingen ihm die Ideen aus. Das eine war ihr zu sehr auf Konkurrenz aus, das andere zu albern.

Er unterdrückte ein Stöhnen und zählte in Gedanken bis zehn. Die wunderschöne Unbekannte hatte sich innerhalb weniger Stunden als anstrengende und besserwisserische Pedantin entpuppt, die jeden seiner Einfälle in der Luft zerriss. Zum Kuckuck!

Sobald sie gestern Abend begriffen hatte, wer er war, hatte sie kein freundliches Wort mehr zu ihm gesagt. Dabei hatten sie gar nicht über Umweltschutz gesprochen, aber das mussten sie auch nicht. Beide wussten sie ganz genau, dass der andere im gegnerischen Lager war. Nun ja, eigentlich sah er es nicht wirklich so, aber er hütete sich, das Thema anzusprechen und die Büchse der Pandora zu öffnen.

Es war so schon schwierig genug. Sie saßen nun bereits seit Stunden hier und kamen nicht voran. Dabei war morgen die Hochzeit!

„Wie wäre es mit Luftballons, an die die Gäste Karten mit ihren Wünschen für das Paar hängen können?“, schlug er schließlich müde vor. Das müsste ihr doch gefallen. War das nicht die Art Romantik, die alle Frauen toll fanden?

Abbie schnaubte verächtlich. „Das ist so typisch. So eine dumme Idee! Damit dann Plastikmüll irgendwo im Meer landet? Auf so etwas kann man auch nur kommen, wenn einem die Umwelt völlig egal ist!“, schimpfte sie.

Es reichte ihm jetzt. „Du hast keine Ahnung von mir!“, knurrte er.

„Ich weiß jedenfalls, dass du kein Problem damit hast, für deinen Profit die Umwelt zu zerstören.“ Ihre Augen blitzten ihn feindselig an.

„Du weißt überhaupt nichts. Du bist einfach nur stur und voreingenommen“, schimpfte er wütend. „Ich glaube, das hier hat keinen Zweck!“

„Das denke ich auch“, rief sie aufgebracht und erhob sich.

Er hatte sich fest vorgenommen, sich nicht auf einen Streit mit ihr einzulassen, aber so langsam war seine Geduld am Ende.

Ein Sonnenstrahl fiel auf ihr Gesicht und ließ ihre ebenmäßigen und klaren Züge erstrahlen. Er hätte blind sein müssen, um nicht zu sehen, wie attraktiv sie war. Aber vor allem war sie eine Nervensäge.

„Ich schlage vor, jeder von uns überlegt sich allein was, und wir gehen uns so gut wie möglich aus dem Weg“, blaffte sie und stürmte davon.

Endlich etwas, worin wir uns einig sind, dachte er missmutig.

Die Hochzeit war traumhaft. Auch das Wetter spielte mit. Es war nicht mehr ganz so heiß und zu Abbies Überraschung fand die romantische Zeremonie in ihrem geliebten Rosengarten statt.

Die Braut trug ein wunderschönes Prinzessinenbrautkleid aus weißem Satin mit Reifrock, das mit kleinen rosafarbenen Rosenblüten verziert war. Die Treueschwüre des Paares unter dem blumengeschmückten Hochzeitsbogen waren überaus bewegend.

Abbie neigte nicht zu Sentimentalität, aber sie musste zugeben, dass ihr angesichts der tiefen Liebe und des Glücks von Callie und Luc einen Moment vor Rührung der Atem stockte. Der stolze Brautvater tupfte sich bewegt die Augen, und selbst die sonst so strenge Granny wischte ein paar Tränchen weg.

Nach dem Champagnerempfang im Anschluss an die Trauung genossen alle ein köstliches siebengängiges Menü. Zahlreiche Reden wurden gehalten. Statt eines gemeinsamen Beitrags drehte Nick lustige Videoporträts der einzelnen Gäste, und sie legte ein Hochzeitsbuch aus handgeschöpftem Papier aus, das sie bei einem Projektbesuch in Thailand für Callie und Luc gekauft hatte.

Inzwischen hatte sie gefühlt mit jedem Einzelnen der männlichen Hochzeitsgäste getanzt, daher waren ihre Pflichten als erste Brautjungfer nun wirklich erfüllt. Die Feier im mit Blumen verzierten großen Festzelt war zwar noch in vollem Gang, aber Abbie brauchte eine Pause.

Sie setzte sich erschöpft an einen der runden Tische neben der Tanzfläche und ließ unter der bodenlangen weißen Tischdecke heimlich ihre Pumps von den schmerzenden Füßen gleiten.

Am liebsten hätte sie auch endlich das unbequeme Kleid gewechselt. Die Brautjungfernkleider waren im Meerjungfrauenstil geschnitten und schlicht, aber elegant in unterschiedlichen Lilatönen. Callie hatte dankenswerterweise jede Frau selbst die Nuance auswählen lassen, die sie tragen wollte. Abbies Kleid war dunkelviolett, das ihr besser stand als die zarten Flieder- und Lavendeltöne, für die die anderen Brautjungfern sich entschieden hatten. Das Kleid lag jedoch sehr eng an ihrem Körper und war eindeutig nicht dafür geeignet, sich den ganzen Tag darin zu bewegen. Sie musste sich dringend etwas ausruhen.

Dann sah sie Nick, der zu ihrem Tisch geschlendert kam. Nun, vielleicht hatte sie doch noch nicht mit jedem Gast getanzt.

„Darf ich?“, fragte er und deutete auf den Stuhl neben ihr.

Abbie nickte matt. Sie war zu müde für Streitereien. Der Tag war anstrengend gewesen, und auch das Wiedersehen mit ihren Eltern strapazierte ihre Nerven. Warum war es bloß immer so schwierig mit den beiden? Sie würde es ihnen niemals recht machen können.

Wenn sie auf eine Sache keine Lust hatte, dann darauf, sich mit diesem überheblichen Macho zu unterhalten. Am liebsten hätte sie ihn weggeschickt.

Sie hatte Nick seit gestern kaum gesprochen, was ihr nur recht war. Sicherlich ließe sich auch der Rest der Veranstaltung zivilisiert hinter sich bringen, auch wenn sie sich nicht ausstehen konnten.

„Das lief doch alles ganz gut“, sagte er.

Abbie nickte. Warum sollte sie nicht dieses kleine Zugeständnis machen? Dasselbe hatte sie schließlich auch gerade gedacht.

Auf der Tanzfläche bewegten sich Callie und Luc eng umschlungen zur Musik, sie wirkten ganz in ihre eigene Welt versunken.

Nick folgte ihrem Blick. „Sie sehen glücklich aus.“

„Ich hoffe sehr, dass er sie wirklich glücklich macht“, antwortete sie sofort. „Sonst kann er was erleben.“

Nick lachte. „Schon wieder so kampfeslustig, Davenport? Machst du nie eine Pause?“

Abbie würdigte ihn keiner Antwort. Warum ging er nicht einfach? Sie hatte es ernst gemeint. Falls Luc ihrer Cousine jemals Kummer bereiten sollte, bekäme er es mit ihr zu tun.

Plötzlich schien die Tanzfläche zu schwanken, und sie schloss einen Moment die Augen.

Warum war ihr auf einmal so schwindelig? Bis auf ein Glas Champagner hatte sie keinen Alkohol getrunken. Lag es womöglich an den neuen Tabletten? Aber ein paar Hormone konnten doch wohl kaum solche Nebenwirkungen haben. Oder doch? Vielleicht hieß das, dass die Fruchtbarkeitsbehandlung endlich anschlug. Sie hoffte inständig, dass es so war.

„Alles okay mit dir?“, fragte Nick leise.

Sie hörte an seiner Stimme, dass er besorgt war. Schnell öffnete sie die Augen wieder. „Natürlich. Ich bin nur müde, das ist alles“, erklärte sie. „Es war ein langer Tag. Vielleicht sollte ich mich hinlegen.“

„Schon?“ Seine Augenbrauen schossen nach oben. „Willst du nicht wenigstens warten, bis sie um Mitternacht die Hochzeitstorte anschneiden?“

Abbie schüttelte den Kopf. „Das bekommen sie auch ohne mich hin, ich bin wirklich kaputt. Und ich muss endlich aus diesem engen Kleid raus.“

Nick starrte sie an, wobei sein Blick sich verdunkelte.

Einen Augenblick schien die Zeit stillzustehen.

Am liebsten hätte Abbie ihre unbedachten Worte zurückgenommen. Ihre Wangen brannten. Sie erwartete eine anzügliche Bemerkung. Irgendein spöttischer, typisch männlicher Chauvi-Kommentar, der ihre Verlegenheit noch steigern würde, passend zu einem oberflächlichen Schnösel wie ihm. Doch er überraschte sie.

„Du siehst wunderschön aus in dem Kleid“, sagte er schlicht. Seine Stimme klang seltsam belegt. Dann räusperte er sich. „Ich finde wirklich, dass du mir einen Tanz schuldest, Davenport, nach allem, was wir hinter uns haben“, scherzte er dann und klang wieder ganz normal. „Unter diesen schwierigen Umständen haben wir das doch das ganz gut hingekriegt.“ Er grinste und reichte ihr eine Hand.

Na gut, ein Tanz, dachte Abbie resigniert. Dass die erste Brautjungfer wenigstens einmal mit dem Trauzeugen des Bräutigams tanzte, gehörte wohl leider dazu. Sie schlüpfte seufzend in ihre Schuhe und erhob sich.

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst“, behauptete sie, als er sie auf die Tanzfläche führte.

Nick antwortete nicht sofort, sondern zog sie in seine Arme. Dann senkte er den Kopf und flüsterte in ihr Ohr: „Oh doch, ich glaube, das weißt du ganz genau.“

Sein warmer Atem strich sanft über ihre Haut und ihr Nacken begann zu kribbeln.

„Schon okay“, fuhr er fort. „Hasse mich so viel du willst. Aber du schuldest mir diesen einen Tanz.“

Er wirbelte sie mit einer Drehung herum und zog sie gleich darauf wieder an sich. Etwas atemlos versuchte Abbie mit den Tanzschritten mitzuhalten, in die er sie leicht, aber entschieden führte. Wer hätte gedacht, dass dieser Mann so ein ausgezeichneter Tänzer war?

Sie mochte es nicht, einem Mann die Führung zu überlassen und behielt gern selbst die Kontrolle, aber die leichte Art, wie Nick sie im Rhythmus der lateinamerikanischen Klänge in immer wildere Figuren leitete, sodass sie mühelos darauf reagieren konnte und sie zu einer Einheit wurden, war einfach himmlisch.

Sie fühlte sich leicht und unbeschwert. Und auf einmal war sie kein bisschen müde.

In seinen Armen zu liegen war großartig. Merkwürdig, aber so war es.

Ich hasse ihn nicht, wurde ihr plötzlich klar. Nicht wirklich. Ich mag nicht, wofür er steht und was er tut, aber das hat nichts mit ihm als Person zu tun. Doch konnte man das tatsächlich trennen?

Eine weitere schwungvolle Drehung riss sie aus ihrer Grübelei.

Der Song ging zu Ende, und Nick hatte das Gefühl, sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Seine Gedanken rasten.

Sobald sie die Tanzfläche verließen, würde Abbie sich von ihm verabschieden und auf ihr Zimmer gehen. Das war ihm völlig klar. Aber er war noch nicht bereit, sie gehenzulassen.

Er tanzte gern und häufig in Norwegen. Auf Partys war er nicht nur deswegen ein willkommener Gast. Er hatte in seinem Leben schon zahlreiche exzellente Tänzerinnen aufs Parkett geführt. Schöne, begehrenswerte Frauen. Und nicht wenige von ihnen waren anschließend in seinem Bett gelandet.

Mit Abbie zu tanzen war jedoch eine völlig neue Erfahrung.

Sie bewegte sich mit unglaublicher Grazie und Eleganz und schien in der Musik aufzugehen. Dabei war sie unfassbar leicht und fließend in seinem Arm. Sie reagierte sensibel auf den kleinsten Impuls, der von ihm kam, den geringsten Druck seiner Hand oder eine kaum merkliche Neigung seines Körpers, als könnte sie seine Gedanken lesen. Doch am meisten bewunderte er die Energie in jeder ihrer Bewegungen. Sie wirkte vielleicht zerbrechlich, doch sie war alles andere als das.

Er wollte mehr von diesem Feuer spüren und konnte sie noch nicht gehen lassen.

Ihr zarter femininer Duft benebelte seine Sinne, und sein Körper war vor Verlangen angespannt. Er wollte sie. Nein, er brauchte sie. Heute Nacht.

Natürlich war es Wahnsinn, sie konnten einander nicht mal leiden. Er begehrte sie jedoch so sehr, dass das keine Rolle mehr spielte.

Aber durfte er das wirklich tun? Er dachte kurz an Liv und sein Versprechen und bekam plötzlich ein schlechtes Gewissen. Dann schob er den unliebsamen Gedanken beiseite. Das hat nichts miteinander zu tun. Sein Leben in Norwegen war weit weg.

Entschlossen zog er Abbie noch etwas fester in seine Arme, und sie protestierte nicht.

Die letzte Note verklang und Abbie löste sich aus seiner Umarmung. Sie sah ihn an. Ihre Wangen waren nach dem Tanzen gerötet, und sie atmete schneller. Ihre großen grauen Augen blickten erstaunt, und sie schenkte ihm ein Lächeln.

Jetzt, dachte er. Dies war seine einzige Chance.

„Lass uns von hier verschwinden.“, sagte er rau. Etwas Besseres war ihm nicht eingefallen. Er wollte einfach, dass sie ihn begleitete, damit sie allein sein konnten. Unbedingt. Sein Herz klopfte laut in seiner Brust, während er auf ihre Antwort wartete.

Abbie ließ sich Zeit.

„Warum?“, fragte sie leise.

Nick stutzte irritiert. Was sollte er darauf antworten?

„Ich finde, wir sollten das Kriegsbeil begraben“, entgegnete er. Natürlich war das keine direkte Antwort auf ihre sehr direkte Frage. Er war versucht, ihr zu sagen, wie sehr er sie wollte, aber er tat es nicht. Noch nicht. Dafür war es zu früh.

„Lass uns im Park spazieren gehen.“, schlug er vor. „Nur du und ich.“

Sie schien mit sich zu kämpfen und nicht sicher zu sein, was sie tun sollte, doch er nahm sanft ihre Hand und sah ihr fest in die Augen.

Sie waren geweitet und ein verwirrtes Zögern lag in ihrem Blick, aber auch ein Funkeln, das vorhin noch nicht da gewesen war.

Er begehrte sie so sehr. Nick hatte keine Ahnung, wie das plötzlich kam, und es war ihm auch egal. Er wusste nur, wie sehr er sie wollte.

„Komm mit“, wiederholte er.

3. KAPITEL

Mit den Schuhen in der Hand trat Abbie aus dem Festzelt in den nächtlichen Park. Das weiche Gras fühlte sich himmlisch unter ihren nackten Füßen an.

Es war eine laue Sommernacht, fast schon Vollmond, sodass es nicht völlig dunkel war. Sie erkannte die großen Bäume und ausladenden Büsche, die den Rasen säumten. Den Hang hinunter sah sie das Glitzern des Fischteichs. Die frische Luft umschmeichelte angenehm ihre erhitzte Haut, und sie atmete tief durch.

Nick folgte ihr, in einer Hand eine Flasche Champagner, in der anderen zwei Gläser.

Wenn sie noch den geringsten Zweifel daran gehabt hätte, was er vorhatte, so wäre sie sich spätestens jetzt darüber im Klaren. Das sah nach einer klassischen Verführung im Mondschein aus.

Der Trauzeuge und die Brautjungfer, was für ein Klischee.

Und was willst du? Sie zögerte, denn sie war sich nicht sicher.

Heute Morgen noch hätte sie Nick als einen Feind bezeichnet, der durch seine Arbeit dem im Weg stand, was ihr wichtig war, dem Schutz der Meere.

Die Wahrheit war natürlich komplexer. Sie sah auch nette Seiten an ihm. Und er war definitiv ein attraktiver Mann, zu dem sie sich auf völlig unvernünftige Weise körperlich hingezogen fühlte. Dabei war er überhaupt nicht ihr Typ. Sie hatte gedacht, dass sie seit Steve immun war gegen gut aussehende, erfolgsverwöhnte Typen, die glaubten, dass sie jede Frau haben konnten.

Der Tanz mit ihm hatte jedoch alles verändert. Sie fühlte sich sinnlich und aufgewühlt, wie sie es noch nie erlebt hatte. Und das ausgerechnet mit diesem skrupellosen Reeder.

Aber eigentlich mochte sie nicht darüber nachdenken. Sie waren bloß ein Mann und eine Frau, die in einer wunderschönen Sommernacht durch den Park spazierten, und sie wollte einfach nur den Moment genießen.

Alles andere … nun, das würde sie auf sich zukommen lassen und dann entscheiden.

Nick deutete auf ihre bloßen Füße: „Möchtest du dich vielleicht einhaken, damit du im Dunklen nicht stolperst?“ Er bot ihr seinen Arm.

Abbie nickte dankbar. Ja, er hatte charmante Seiten.

Ihm so nahe zu sein, kam ihr nach dem gemeinsamen Tanz eigentlich schon fast selbstverständlich vor. Doch als sie die harten Muskeln seines Oberarms fühlte, schienen ihre Fingerspitzen zu vibrieren, und sie spürte ein leichtes, aufregendes Flattern im Bauch.

Fast hätte sie gekichert, aber sie war kein Teenager mehr, der zum ersten Mal einen Jungen berührte. Ihr Herz klopfte dennoch schneller. Vermutlich war sie bloß aufgekratzt wegen dieses besonderen Tages, das war alles.

Schweigend liefen sie durch das weiche Gras, während um sie herum Grillen ihr nächtliches Konzert veranstalteten. Am klaren, dunklen Himmel glitzerten Sterne. Es war die perfekte Sommernacht.

Nick ging zielstrebig in eine bestimmte Richtung. Sie fragte sich, wo er hinwollte. Der Park war groß. Sie kannte sich hier gut aus, sodass sie auch im Dunklen noch eine gute Orientierung hatte. Aber was hatte er vor?

Und dann sah sie es.

Geschützt von einer Baumgruppe lag vor ihnen das Poolhaus. Ursprünglich war es nur ein Schuppen neben dem Pool gewesen, der zum Umkleiden benutzt wurde, doch Granny hatte ihn in ein komfortables zweistöckiges Gästecottage verwandeln lassen.

Nick grinste. „Hier wohne ich“, erklärte er. „Ich dachte, nach dem anstrengenden Tag hättest du vielleicht Lust, eine Runde zu schwimmen.“

Der Pool sah verlockend aus. Eingebaute Strahler schafften eine raffinierte indirekte Beleuchtung, sodass das große Becken einladend blau schimmerte. Das Wasser war sicherlich erfrischend.

„Ich habe keine Badesachen dabei.“ Selbst in ihren Ohren klang es albern. Sie beide wussten, dass es hier um etwas anderes ging, aber sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich bereit dafür war. Wollte sie sich auf ein nächtliches Abenteuer einlassen? Mit diesem verführerischen Mann, der gar nicht ihr Typ war und, schlimmer noch, eigentlich ihr Feind? Konnte sie das überhaupt?

Nick lachte und schenkte ihr ein teuflisch attraktives Grinsen. „Vielleicht wird es Zeit, dass du lernst, gefährlich zu leben, Davenport.“

Abbie lachte ebenfalls, aber ihr Herz klopfte nervös. Sie sah sich um, wusste, dass der Pool vom Haupthaus nicht einsehbar war. Dass jemand anderer um diese Zeit zufällig den langen Weg durch den Park nahm und hierherkam, war unwahrscheinlich. Sie waren hier völlig ungestört. Dennoch …

Als Nick sich auszuziehen begann, raste ihr Puls. Das ging alles viel zu schnell. Wollte sie das wirklich? Das war verrückt.

„Wir schwimmen in Unterwäsche“, verlangte sie energisch. „Beide.“

Er lachte und zuckte gleichmütig mit den Schultern. Dann zwinkerte er ihr aufmunternd zu. „Wie du willst.“

Erleichtert atmete sie tief durch und begann nun ebenfalls sich auszuziehen, der Reißverschluss ihres Meerjungfrauenkleides in ihrem Rücken steckte allerdings schon nach ein paar Zentimetern fest.

„Lass mich dir helfen.“ Nick trat hinter sie.

Sie schob sich das Haar aus dem Nacken, um es ihm leichter zu machen. Er war ihr nun so nah, dass sie die Wärme seines Körpers spürte und seinen Atem an ihrer Haut. Ein angenehmer Schauer durchrieselte sie, aber sie versuchte stillzuhalten.

Ganz langsam zog er den Reißverschluss herunter. Zentimeter für Zentimeter.

Es war, als wollte er jede Sekunde auskosten. Dabei berührte er sie kaum, und dennoch war der Moment angefüllt mit sinnlicher Spannung, es war wie ein Versprechen.

Abbie wagte es nicht zu atmen.

Als er ihren Rücken entblößt hatte, sog er scharf die Luft ein.

Nick räusperte sich, als müsste er einen klaren Kopf bekommen und trat hastig einen Schritt zurück.

Als Nächstes hörte sie, wie er mit einem Hechtsprung ins Wasser glitt. Ihre Mundwinkel hoben sich zufrieden. Dass er nach diesem erotischen Moment zwischen ihnen offensichtlich dringend eine Abkühlung brauchte, erfüllte sie mit Stolz.

Er kraulte mit kräftigen Zügen zur anderen Seite des Beckens, und Abbie nutzte den Moment, um das Kleid abzulegen. Sie wollte ins Wasser zu gleiten, ehe er sie in ihrer Unterwäsche sah.

Die eleganten Dessous, die sie unter dem Kleid trug, eine schwarze Seidenkorsage und einen passenden Seidenslip, enthüllten kaum mehr als ein Bikini. Dennoch wollte sie diese Nacht behutsam angehen und sich ganz sicher sein über ihren nächsten Schritt.

Sie kannten sich kaum, heute Morgen hätte sie noch geschworen, dass sie ihn noch nicht mal mochte, aber jetzt schien alles anders zu sein.

Vorsichtig tauchte sie einen Zeh ins Nass, es kam ihr eiskalt vor.

Nick war fast am anderen Ende angekommen, gleich würde er wenden und zu ihr herübersehen.

Entschlossen ließ sie sich vom Rand gleiten, sodass das kalte Wasser über sie schwappte. Der Schock raubte ihr fast den Atem, doch schon nach einigen Schwimmzügen fühlte es sich herrlich an.

Eine Weile schwammen sie schweigend.

Nick kraulte zügig von einem Ende zum anderen, als gälte es einen Wettbewerb zu gewinnen, wohingegen Abbie sich auf dem Rücken treiben ließ und in den Sternenhimmel sah.

Ihr war nicht mehr kalt, im Gegenteil. Sie fühlte sich wagemutig. Diese Nacht stand außerhalb der Zeit, außerhalb ihrer normalen Welt. Sie wollte nicht vernünftig sein, sondern das Zusammensein mit diesem Mann genießen. Süße Hitze durchflutete ihr Herz.

Es war verrückt, aber Nick erregte sie auf eine intensive Art, die sie noch nie erlebt hatte. Natürlich passten sie nicht zusammen, doch das war jetzt nicht wichtig. Es ging nur um eine Nacht. Bald schon würde sie sich ein solches Abenteuer nicht mehr erlauben dürfen, doch diese eine Nacht der Unvernunft wollte sie noch auskosten.

Nick wartete am Beckenrand auf sie.

„Vielleicht sollten wir langsam aus dem Wasser.“ Seine Stimme klang rau.

Er hatte recht. Abbie schwamm zum Rand, wo er mit einem Badetuch auf sie wartete. Verlegen stemmte sie sich hoch, und seine Augen weiteten sich bei ihrem Anblick. Ihre schwarzen Dessous schmiegten sich durchnässt an ihren Körper und betonten ihre Kurven.

„Du bist hinreißend“, flüsterte er und hüllte sie in das flauschige Frottee.

Anstatt sich selbst abzutrocknen, rieb er sanft mit dem Tuch über ihre Haut. Er tupfte über ihr nasses Haar, dann über ihre Schultern und Arme. Es war wie ein Streicheln.

Abbie hielt still, obwohl es ihr schwerfiel. Sie wollte ihn berühren, wollte ihn näher, viel näher. Dann endlich senkte er den Kopf, und seine Lippen spielten sanft mit ihren.

Sie hatte diesen Kuss ersehnt und erwiderte Nicks zarte Liebkosungen, bis er den Kuss vertiefte und ihren Mund in Besitz nahm. Sie klammerte sich an seine breiten Schultern, und so standen sie eine Weile eng umschlungen und küssten sich selbstvergessen.

Das leidenschaftliche Spiel ihrer Zungen ließ sie schließlich beide schwer atmend innehalten. Abbies Herz klopfte heftig in ihrer Brust.

Er rückte etwas von ihr ab, wobei er sie weiter im Arm hielt, und sah sie forschend an.

„Willst du mit mir nach oben kommen?“, fragte er mit rauer, atemloser Stimme.

Abbie blickte in seine unglaublich grünen Augen. Was sie vor sich sah, war kein Mann, der auf einen beliebigen One-Night-Stand aus war. Vor sich sah sie einen Mann, der sich nach ihr verzehrte. Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, verzehrte sie sich ebenso nach ihm.

In dem Moment fielen alle Zweifel von ihr ab.

„Ja“, sagte sie fest. „Ich möchte mit dir nach oben gehen. Für diese Nacht.“

„Für diese Nacht“, wiederholte er feierlich, als wäre es ein Schwur, dann schlossen sich seine muskulösen Arme um sie, und er hob sie hoch.

Abbie schmiegte den Kopf an seine breite Schulter, während er die Tür zum Gästehaus aufstieß, sie in sein Schlafzimmer trug und sie langsam auf das Bett sinken ließ.

Er stand vor ihr, groß, muskulös und mit glitzernden Wassertropfen auf seiner gebräunten Haut. Verboten attraktiv. Abbie seufzte.

Nick betrachte sie bewundernd, aber er sagte kein Wort. Sie wand sich ungeduldig auf dem Bett. Ihr Körper prickelte bereits vor Lust. Sie brauchte mehr. Sie wollte ihn. „Wir sollten die nassen Sachen ausziehen“, flüsterte sie verführerisch.

Der Blick seiner grünen Augen wurde dunkel und verhangen. Auf einmal sah er aus wie ein hungriger Wolf. Und dann war er plötzlich über ihr und küsste sie begierig, seine Hände glitten über ihre Seidenkorsage, um sie ihr abzustreifen.

„Dreh dich um“, verlangte er rau.

Abbie drehte sich willig auf den Bauch, und geschickt löste er die Häkchen in ihrem Rücken. Vorhin hatte er sich mit dem Reißverschluss ihres Kleides unendlich viel Zeit gelassen, aber nun waren seine Bewegungen unruhiger, drängender. Er zog die feuchte Korsage von ihrem Körper, und gleich darauf fühlte sie seine warmen, großen Hände auf ihren nackten Brüsten.

Er drehte sie zu sich herum und begann, sie zärtlich mit den Lippen zu liebkosen.

Abbie seufzte lustvoll.

Nick hob den Kopf und lächelte. „Gut so?“

Statt einer Antwort ließ sie ihre Finger genießerisch über seinen muskulösen Körper gleiten und bog den Rücken durch, sodass ihre Brüste sich ihm entgegendrängten, damit er sie weiter verwöhnte.

Während er sie küsste, strich er mit einer Hand langsam, aber zielstrebig ihre Taille entlang, bis er an ihrem Slip ankam. Federleicht berührte er den zarten Stoff, allerdings noch nicht da, wo sie es am meisten ersehnte. Abbie bewegte unwillkürlich die Hüften.

Endlich streifte er ihr den Slip ab, und dann lag sie nackt und bloß vor ihm. Sein glühender Blick sandte ein lustvolles Prickeln durch ihren Körper.

Nick trug immer noch seine Boxershorts, und der stolze Beweis seiner Erregung war unübersehbar. Abbie schluckte. „Du solltest auch deine nassen Sachen ausziehen“, neckte sie ihn in dunklem, kokettem Tonfall.

„Zieh du mich doch aus“, antwortete er rau und ließ sich neben sie auf das Bett nieder.

Abbie nahm die Herausforderung nur zu gern an. Sie war von fieberhafter Ungeduld erfasst und konnte nicht mehr warten, sie wollte ihn endlich spüren. Also setzte sie sich auf und zerrte die Boxershorts über seine schmalen Hüften herunter.

Als er endlich nackt vor ihr lag, ging ihr Atem schneller. Das süße Pochen zwischen ihren Schenkeln wurde immer stärker. Schließlich umfasste sie entschlossen seine Erektion, schob sich auf ihn und ließ sich langsam auf ihn hinabgleiten.

Er riss überrascht die Augen auf. „Abbie“, keuchte er.

Endlich spürte sie ihn da, wo sie ihn am meisten brauchte. Sie ließ sanft die Hüfte kreisen und genoss es, ihn in seiner ganzen Größe in sich zu fühlen und bewegte sich immer schneller auf ihm.

Sein Atem ging bereits stoßweise, aber er ließ sie gewähren. Mit einer seiner großen Hände liebkoste er hingebungsvoll ihre Brüste, während die andere zwischen ihre Schenkel glitt und sanft ihre empfindsamste Stelle streichelte.

Abbie war bereits so erregt, dass er sie fast unmittelbar auf den Gipfel trieb. Wellen der Lust rollten über sie hinweg, und im selben Moment, rief er heiser ihren Namen.

Die Welt schien zu explodieren, und sie hielten einander eng umschlungen.

Als sie beide irgendwann allmählich wieder zu Atem kamen, drehte er sich mit ihr zusammen um und schob sich über sie.

Er knabberte sanft an einem ihrer Ohrläppchen und flüsterte heiser lachend: „Beim nächsten Mal, lassen wir uns aber mehr Zeit.“

4. KAPITEL

Als Nick am Morgen erwachte, war er allein. Weder Abbie noch ihre Sachen waren zu sehen.

Sie war fort.

Müde blickte er sich um. Wie es aussah, hatte sie auch keine Nachricht hinterlassen.

Der vernünftige Teil von ihm verstand zwar, dass sie sich ins Haupthaus zurückschleichen wollte, ohne dass jemand sie bemerkte, dennoch war er enttäuscht.

Die Sonne schien bereits hoch am Himmel zu stehen, und er tastete gähnend nach seinem Handy. Viertel vor elf. Mist. Um elf begann der Brunch. Er musste sich beeilen. Immerhin würde er Abbie dort treffen, das hob seine Laune ein wenig.

Das Handy, das er immer noch in der Hand hielt, begann zu vibrieren. Seine Mutter.

Er hatte eigentlich keine Zeit, sich jetzt mit ihr zu unterhalten, aber er brachte es auch nicht über sich, den Anruf zu ignorieren. Vielleicht war es wichtig. Sie wusste schließlich, dass er in den Südstaaten auf der Hochzeit war.

„Guten Morgen, Mama“, rief er und unterdrückte ein weiteres Gähnen. Die Nacht war sehr kurz, dachte er und lächelte bei der Erinnerung.

„Guten Morgen? Ach ja, die Zeitverschiebung.“, murmelte sie. „War es eine schöne Hochzeit? Hat alles gut geklappt?“

Am liebsten wäre sie selbst mitgefahren, das wusste er, aber sie hatte ein Engagement an der Oper und konnte im Moment nicht aus Norwegen weg. Luc hatte seinen Vater und seine Mutter verloren, als er noch ein Junge war. Damals hatten Nicks Eltern ihn quasi in die Familie aufgenommen.

„Alles war wunderschön, sehr romantisch, und ich habe viele Bilder für dich gemacht. Die beiden sind wie die Turteltäubchen.“

Seine Mutter lachte entzückt, und er grinste. Er wusste genau, was sie hatte hören wollen.

„Nur schade, dass du Liv nicht mitgenommen hast“, meinte sie, in ihrer Stimme schwang ein leiser Vorwurf mit.

Nick atmete tief ein und bekam einen Anflug von schlechtem Gewissen. Er hatte absolut keine Lust, sich jetzt mit seiner Mutter über Liv zu unterhalten. Seine Gedanken waren noch bei Abbie.

„Das ging nicht, sie hat keine Zeit“, behauptete er und hoffte, das Thema wäre damit erledigt.

Plötzlich fragte er sich bestürzt, ob seine Nacht mit Abbie womöglich auffliegen würde. Was, wenn Liv davon erfuhr? Er wollte es sich lieber nicht ausmalen. Um nichts in der Welt wollte er ihr wehtun, er hatte ihr sein Wort gegeben. Sie hatten vielleicht ein etwas merkwürdiges Arrangement, aber sie verließ sich darauf, dass er sich an ihre Vereinbarung hielt.

Gestern hatte er das alles verdrängt, wie er sich schuldbewusst eingestehen musste. Aber sein Leben hatte sich verändert, er durfte seine Bettgeschichten nicht fortsetzen.

Und da war noch die Klatschpresse. Die wohlhabende Reederfamilie Bergson war in Norwegen sehr bekannt und häufig in den Gesellschaftsnachrichten. Wenn man dort Wind bekäme von ihrer heimlichen Nacht, nicht auszudenken!

Nach allem, was er wusste, hatte Granny Davenport dafür gesorgt, dass die Presse komplett von der Hochzeit ausgeschlossen wurde. Sie war sehr auf Diskretion bedacht. Und selbst wenn es irgendein Gerücht über ihn und Abbie geben sollte, würden die Klatschnachrichten aus den USA es vermutlich nicht bis nach Norwegen schaffen. Zumindest hoffte er das. Es blieb natürlich immer das Risiko, dass einer der Gäste oder ein Angestellter etwas mitbekam und es verbreitete.

Im Nachhinein sollte er Abbie dankbar sein, dass sie so umsichtig gewesen war, sich in aller Herrgottsfrühe davonzuschleichen. Nicht auszudenken, welcher Schaden möglicherweise hätte entstehen können, für die Familie und die Firma.

Abbie und Callie trafen vor allen anderen an der Frühstückstafel ein, die im Park im Schatten eines alten Walnussbaumes aufgebaut worden war. Grannys Küchenteam hatte alles wunderbar vorbereitet. Das üppige Büffet war aufgetragen und die Tafel fertig eingedeckt. Unter den Wärmehauben befanden sich Pfannkuchen, Waffeln und Rühreier, außerdem gab es knuspriges Brot, Lachs und eine Kräuterquiche sowie eine große Auswahl an Obst und Käse. Alles wartete nur noch auf die Gäste.

Abbie half Callie, einzelne Blüten zwischen den Platztellern zu verteilen und zusätzliche Blumenvasen auf die Tische zu stellen. Es wurden etwa dreißig Personen zum Brunch erwartet, nur Familie und engste Freunde.

Sie war froh, dass sie etwas zu tun hatte und sich nicht dauernd fragen musste, wie es zu dieser Nacht voller Leidenschaft gekommen war mit einem Mann, der all das verkörperte, gegen das sie aus Überzeugung kämpfte. Innerlich stöhnte sie bei dem Gedanken reuevoll.

Besser, sie konzentrierte sich auf ihre Cousine.

„Wie hast du es nur geschafft, die Hochzeit in den Rosengarten zu verlegen?“, fragte sie neugierig. „Es war wunderschön, aber Granny hatte doch sicher etwas anderes im Sinn.“

Callie kicherte. „Leicht war er es nicht. Wir hatten einige Auseinandersetzungen deswegen in den letzten Monaten. Ich wollte aber keins der typischen pompösen Davenport-Events. Meine Hochzeit sollte persönlicher sein, romantischer. Dafür habe ich ihr den Begrüßungsempfang am Donnerstagabend in der großen Halle überlassen.“

Abbie nickte: „Das kann ich gut verstehen. Und es ist dir wunderbar gelungen. Es war eine wunderschöne Feier. Fahrt ihr heute los in die Flitterwochen?“

„Gleich nach dem Brunch, es ist schon alles gepackt. Ich freue mich wahnsinnig darauf, endlich wieder nach Spitzbergen zu kommen.“

Nach den tollen Bildern und Erzählungen von Spitzbergen, wo Callie und Luc sich vor einem Jahr kennengelernt hatten, hatte Abbie auch große Lust bekommen, die Inselgruppe mal zu besuchen. Diese unberührte Wildnis musste traumhaft schön sein.

Es stand ganz oben auf der Liste der Ziele, die sie einmal sehen wollte. Bei ihrem momentanen Arbeitspensum war daran allerdings nicht zu denken. Und falls ihre privaten Pläne sich so verwirklichten, wie sie sich das erhoffte, würde sie in den nächsten Jahren vermutlich auch keine großen Reisen unternehmen wollen.

„Genießt eure Zweisamkeit und erholt euch von dem ganzen Hochzeitstrubel“, sagte sie liebevoll.

Ihre Cousine drehte sich zu ihr um und strahlte. Ihr ganzes Gesicht schien zu leuchten.

„Gut, dass ich dich heute Morgen allein sprechen kann“, raunte sie mit gesenkter Stimme. „Ich wollte dir unbedingt was sagen. Vielleicht sind wir schon bald nicht mehr nur zu zweit.“

Abbie brauchte einen Moment, bis sie verstand. „Oh Callie, das ist wundervoll!“, rief sie dann und sie umarmten sich.

„Ja, das ist es.“ Callie seufzte. „Du bist die Erste, der ich es erzähle, Luc weiß es noch nicht, ich will mir erst ganz sicher sein.“

„Aber solltest du dann jetzt überhaupt fliegen?“

„Mein Arzt meint, es wäre kein Problem. Ich soll es nur etwas ruhiger angehen lassen. Das ist noch ein Grund, warum ich es Luc lieber erst später sagen möchte. Er würde mich wahrscheinlich sofort in Watte packen.“ Callie lachte.

Abbie freute sich von ganzem Herzen für ihre Cousine, aber sie verspürte auch einen kleinen Stich. So etwas würde sie nie erleben, sich mit einem geliebten Mann auf ihr gemeinsames Baby freuen.

Im Grunde willst du das auch nicht, erinnerte sie sich. Jedenfalls nicht so.

Sie wollte keinen Partner, der sie einengen und sie am Ende doch nur verletzen würde. Aber sie wollte ein Kind, und sie war fest entschlossen, bald Mutter zu werden. Auch wenn das bedeutete, dass sie es allein durchziehen musste.

Am liebsten hätte sie Callie erzählt, was sie vorhatte, aber sie schwieg.

Sie waren fertig mit der Dekoration der Tafel und betrachteten zufrieden ihr Werk. Es war kurz vor elf, bald würden die Gäste kommen.

„Sag mal, du hast dich am Ende doch noch ganz gut mit Nick verstanden, oder?“, fragte ihre Cousine plötzlich neugierig.

Abbie wich verlegen ihrem Blick aus. Mit dieser Wendung des Gesprächs hatte sie nicht gerechnet.

„Vorher hatte ich das Gefühl, da wären einige Spannungen“, fuhr Callie ungerührt fort. „Was mich ehrlich gesagt auch nicht gewundert hat. Mir war schon klar, dass es zwischen euch vermutlich einige Differenzen geben würde. Aber gestern Abend schient ihr euch dann doch noch recht gut zu amüsieren.“

Abbie fühlte den forschenden Blick ihrer Cousine auf sich, und ihre Wangen wurden heiß.

„Ich habe gesehen, wie toll ihr zusammen getanzt habt. Und wie ihr das Festzelt dann gemeinsam verlassen habt.“

Wie hatte Callie das nur alles mitbekommen? Abbie war verblüfft, sie hatte gedacht, sie hätte gestern nur Augen für ihren Bräutigam gehabt.

„Und das noch vor dem Anschneiden der Hochzeitstorte.“ Callie drohte spielerisch mit dem Finger. „Aber ich habe ein Stück für dich einfrieren lassen.“

„Danke“, stammelte Abbie. Etwas anderes fiel ihr nicht ein.

Da sie nicht nur Cousinen, sondern auch beste Freundinnen waren, redeten sie eigentlich über alles, aber sie wollte nicht über letzte Nacht sprechen. Es war ein grauenvoller Fehler gewesen. Oberflächlicher Sex mit einem Mann, der für alles stand, wogegen sie beruflich mit aller Kraft kämpfte.

„Und?“, bohrte Callie nach. Sie war unerbittlich.

„Was, und?“

„Hattet ihr noch einen schönen Abend?“

„Ja“, sagte sie knapp und zupfte nervös an der Tischdecke. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Callie nachdenklich ihren Kopf schief legte.

„Und auch eine schöne Nacht?“

Autor

Louise Fuller
<p>Louise Fuller war als Kind ein echter Wildfang. Rosa konnte sie nicht ausstehen, und sie kletterte lieber auf Bäume als Prinzessin zu spielen. Heutzutage besitzen die Heldinnen ihrer Romane nicht nur ein hübsches Gesicht, sondern auch einen starken Willen und Persönlichkeit. Bevor sie anfing, Liebesromane zu schreiben, studierte Louise Literatur...
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