Romana Extra Band 156

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HAPPY END IN DER PROVENCE? von JULIE DEARING

Um ihren geliebten Hof in der Provence zu retten, verkauft Aline einen Teil an Sternekoch Maxime Durand. Ein unerwarteter Glücksfall! Schon bald kocht Maxime sich in ihr Herz. Doch dann muss sie plötzlich fürchten, dass ihr Traummann ein Betrüger ist …

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  • Erscheinungstag 15.02.2025
  • Bandnummer 156
  • ISBN / Artikelnummer 9783751533072
  • Seitenanzahl 400
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Julie Dearing

1. KAPITEL

Drei Wochen war es nun her.

Drei unfassbar lange Wochen, um genau zu sein.

Seitdem öffnete Aline jeden Morgen ihre Mails – mit dem ersten Kaffee in der Hand, noch bevor sie geduscht, gefrühstückt und sich fürs Büro fertig gemacht hatte.

Und jeden Morgen war nur eine Sache wichtig: Hatte Monsieur Morel, der Makler, ihr geschrieben, ob er ein Gebot erhalten hatte oder ob er neue Termine für Besichtigungen vereinbaren wollte?

Und jedes Mal, wenn sie seinen Namen unter ihren neu eingegangenen Mails entdeckte, wusste sie nicht, ob sie sich freuen oder sich fürchten sollte.

Dieses neu entstandene Ritual eröffnete und beendete ihren Tag – mit einem letzten Griff zum Handy, um den Mailaccount noch einmal auf Neuigkeiten hin zu prüfen.

Auch heute Morgen war eine Mail von Monsieur Morel dabei. Wieder würde er Interessenten übers Grundstück führen. Alines Herz wurde schwer. Bitterkeit stieg in ihr auf. Genau auf den Tag acht Jahre nach dem Unglück ihrer Eltern, die von einem Segeltörn nicht zurückgekehrt waren, hatte sie den Vertrag mit dem Makler unterschrieben, damit er ihr Haus zum Verkauf anbot.

Acht Jahre hatte sie das Grundstück mit dem Dreiseithof bewahren können, der vom Urgroßvater erbaut worden und seit gut hundert Jahren im Besitz der Familie war. Er hatte norddeutsche Wurzeln gehabt und sich in der Provence seinen Traum erfüllt, eine Variation eines Dreiseithofes.

Am Marktplatz, direkt im Ortskern gelegen, hatte er damals eine große Scheune setzen können, um beispielsweise die Heuernte unproblematisch einzubringen. Hinter der Scheune lag der Hof und direkt gegenüber das Haupthaus, das jedoch klein und bescheiden gehalten war. Auf der Längsseite hatte er den Stall angebaut, auch der war – wie die Scheune – großzügig ausgefallen. Die beiden Wirtschaftsgebäude, Stall und Scheune, wurden von ihr kaum genutzt, wenn überhaupt, dann als Abstellfläche. Nur die eine Seite des Stalls diente ihr als Garage.

Sie hatte sich wohlgefühlt, doch dann war im Winter ein Sturm über die Provence hinweggefegt und hatte auch in Les Rouxelles enorme Schäden angerichtet – unter anderem an ihrem Dreiseithof. Der Wind hatte zahlreiche Schindeln weggerissen und Löcher in den Dachstühlen hinterlassen, in einem Ausmaß, dass die Reparaturen keinen Aufschub erlaubt hatten.

Kleinere Arbeiten hatte sie mit der Hilfe einiger Nachbarn in Angriff nehmen können, aber es war nur eine notdürftige Versorgung gewesen. Als der Dachdecker endlich vorbeigekommen war und ihr schließlich einen sechsstelligen Betrag genannt hatte, den es brauchte, um die Dächer in Ordnung zu bringen, war ihr schwindelig geworden. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits gewusst, dass das Haus unterversichert war und die Versicherungssumme den Schaden niemals abdecken würde.

Sie war siebenundzwanzig Jahre alt.

Sie stand völlig allein – ohne Familie und ohne Partner – im Leben da.

Woher sollte sie weit mehr als 100.000 Euro nehmen?

Müsste sie – und diese Frage hatte damit plötzlich im Raum gestanden – einen so großen Kredit aufnehmen?

Eine Weile hatte Aline mit sich gerungen, bis sie im März einen Termin bei der Bank vereinbart hatte. Dort brachte einer der Mitarbeiter sie erstmals auf die Idee, Stall und Scheune des Hofes zu verkaufen. So könnte sie, erklärte er, wenigstens das separat stehende Haupthaus, in dem sie lebte, behalten und so das gesamte Anwesen erhalten. Bei den aktuellen Immobilienpreisen würde ihr, da hatte er keine Zweifel, noch eine größere Summe bleiben, mit der sie einige Jahre ohne finanzielle Nöte verbringen könnte.

Damit hatte er sie überzeugt, und da er so begeistert gewesen war, weil sie sich seiner Idee angeschlossen hatte, hatte er ihr einen Kredit gewährt. Ein wenig gönnerhaft, aber sie hatte das gern hingenommen und den Dachdecker beauftragt. Daraufhin hatte sie sich an Makler Morel gewandt. Je schneller sie den Kredit mit dem Verkauf der beiden Wirtschaftsgebäude ablösen konnte, desto vorteilhafter war es für sie.

Trotzdem hatte sie seitdem jeden einzelnen Tag ihre Entscheidung infrage gestellt. War es richtig, einen Teil des Grundstücks und der Gebäude aufzugeben?

Wer würde diese beiden Gebäude kaufen?

Siebenhundertzweiundachtzig Einwohnerinnen und Einwohner lebten in Les Rouxelles.

Wer würde Bewohner siebenhundertdreiundachtzig werden und damit zu einem neuen Mitglied der Dorfgemeinschaft? Denn wenn man hier lebte, wurde man das – ob man wollte oder nicht.

Es war eine kleine, verschworene Gemeinschaft, die sie, Aline Vignaud, in den schwersten Stunden ihres Lebens begleitet und aufgefangen hatte.

Damals, vor acht Jahren, sie hatte gerade die Schule beendet und war kurz davor gewesen, ein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Sorbonne in Paris zu beginnen, hatte ein wundervoller Sommer vor ihr gelegen. Ihre Eltern hatten sich ein neues Segelboot zugelegt und einen Platz in einer kleinen Marina gefunden, von der aus sie regelmäßig in See gestochen waren. Bis betrunkene Touristen mit einer riesigen Jacht ihr schmales Segelboot gerammt hatten.

Auch heute noch konnte Aline diesen Gedanken nicht zu Ende bringen.

Es war der Tag in ihrem Leben gewesen, der alles verändert hatte. Die Bestattung nach der Bergung des Segelbootes, die Auflösung des Hofes, auf dem ihre Eltern noch zwei Kühe, ein Schwein, eine Ziegenherde und Hühner gehalten hatten. All das hatte monatelang ihre Aufmerksamkeit gefordert, und erst dann hatte die Trauer sie eingeholt. Es waren schwere Zeiten gewesen, und viele der Nachbarinnen und Nachbarn in Les Rouxelles leisteten einen Beitrag, um sie zu unterstützen.

Sie beherbergten sie im Wechsel, damit sie nicht allein auf dem leeren Hof saß, kochten für sie, als sie auf den Hof zurückkehrte, und räumten zusammen mit ihr die Familienwohnung aus. Und sie unterstützten sie auch beim Verkauf des Tierbestands.

Die Nachbarn halfen ihr, in den kleinsten Gebäudeteil des Hofes zu ziehen und sich eine Wohnung einzurichten, die frei war von unmittelbaren Erinnerungen an ihre Eltern.

Über nachbarschaftliche Empfehlungen bekam sie auch den Job im Tourismusbüro. Anfangs war das als Übergangslösung gedacht, aber heute war sie als voll ausgebildete Fachkraft dort tätig.

Kurzum, die Menschen in Les Rouxelles hatten sie nicht im Stich gelassen. Nicht eine einzige Minute.

Aline umfasste ihren handgetöpferten Becher, nahm einen Schluck Kaffee und schaute zum weit geöffneten Fenster hinaus. Der Wind strich durch die Pinien und auf dem kopfsteingepflasterten Innenhof sonnte sich der dicke Kater Filou.

Linker Hand lagen die ehemaligen Stallungen, verbunden mit dem gegenüberliegenden Haupthaus. Alles war weiß verputzt, doch hier und da lugten Feldsteine hervor, die für den Bau verwendet worden waren. Die Holztür war in dem Türkiston gestrichen, den ihre Mutter so geliebt hatte, die Fensterläden in einem satten Petrolton, der gut dazu harmonierte. Die von der Großmutter gepflanzten Rosenbüsche rankten die Spaliere hinauf und erste Knospen waren dabei, ihre Blüten zu öffnen. Zartrosa. Ein wunderschöner Anblick.

All ihre Zweifel halfen aber nichts. Hätte sie die Entscheidung nicht getroffen, den Kredit aufzunehmen, um die Reparaturen bezahlen zu können, hätten Wind und Wetter, aber vor allem der Regen, die Gebäude wegen der entstandenen Sturmschäden binnen weniger Monate komplett ruiniert.

Energisch schob Aline die trüben Gedanken beiseite, sprang unter die Dusche, zog danach ein beigefarbenes Leinenkleid an, das gut zu ihrer hellen Haut und ihren schwarzen glänzenden Haaren passte. Sie schnappte sich eine dünne Strickjacke und auf dem Weg hinaus noch ein Croissant.

Draußen schloss sie ihr Hollandfahrrad auf und radelte los. Die Einfahrt hinunter, die neben der Scheune entlang auf den Marktplatz führte, überquerte ihn und passierte das Rathaus. Sie musste ein Stück die Hauptstraße entlangfahren, wo das Tourismusbüro lag. Es ging auf zehn Uhr zu, die Sonne wärmte schon ordentlich und es würde wieder ein warmer Mai-Tag werden – der Himmel erstrahlte in schönstem Blau. Der Bäcker hatte längst geöffnet, die Fleischerei ebenfalls.

Im Café saßen erste Touristen beim Frühstück. Kleine Bistrotische mit gemütlichen Korbstühlen luden zum Verweilen ein. Zufrieden musterte Aline die beiden älteren Frauen und das Paar. Genau solche Leute waren das Zielpublikum ihrer Arbeit, eindeutig kulturinteressierte und durchaus wohlhabendere Klientel, die sich die gehobenen Preise der Region leisten konnte.

Les Rouxelles war das Herz der Region, der Ort, den alle, die in der Umgebung lebten, ansteuerten, wenn sie Besorgungen machen wollten. Die nächstgelegene Kleinstadt war Cuers, wo man ebenso Wert auf nachhaltigen Tourismus legte, was bedeutete, lieber weniger Gäste, aber dafür die richtigen.

Wer sich dazu entschloss, nach Les Rouxelles und Umgebung zu kommen, der entschied sich gegen den schnelllebigen Trubel an derCôte d’Azur und zog sich bewusst in die Ruhe des Hinterlands der Provence zurück. Ausflüge ans Meer waren mit dem Auto in zwanzig Minuten machbar, in der Umgebung des Dorfes standen eher Wanderungen auf dem Plan. Nizza, Cannes und Marseille waren in knapp eineinhalb Stunden zu erreichen – es war eine Gegend, die viel zu bieten hatte.

Aline passierte den kleinen Dorfladen, der dem Charme eines französischen Liebesfilmes entsprungen zu sein schien mit seiner rot-weiß gestreiften Markise und der Auslage, die vor allem aus frischem Obst und Gemüse bestand, das selbstverständlich von den Feldern der Umgebung stammte. Ihre Freundin Julienne Richaud, eine blond gelockte Mittdreißigerin, die den Laden mit Hingabe betrieb, winkte ihr zu und sie grüßte lachend zurück.

Leroy Lagier fuhr auf dem Traktor an ihr vorbei und hupte. Aline grüßte auch ihn fröhlich, wobei ihr das Herz warm wurde. Was hatte sie diesem nach außen hin so bärbeißigen Landwirt, der vor Kraft nur so strotzte und einen weißen Rauschebart trug, nicht alles zu verdanken. Er redete nicht viel, er handelte, und er hatte, ohne es jemals ausgesprochen zu haben, anscheinend für sich beschlossen, eine Art Vaterersatz für sie zu sein. Wenn Aline nicht weiterwusste, konnte sie ihn jederzeit anrufen. Selbst wenn er keine Antwort fand, kannte er jemanden, der sie ihm gab, sodass er ihr dann helfen konnte.

Wieder einmal spürte sie, wie sehr die Menschen um sie herum ihr Halt gaben, wie viel Liebe und Zuneigung sie erfuhr. Mehr Motivation, für das Dorf das Beste herauszuholen, konnte sie in ihrem Job nicht haben – und es war sicherlich auch mit ihr Verdienst, dass Les Rouxelles sich zum Touristenzentrum der Region entwickelt hatte, obwohl es so klein war.

Sie konnte ihr Büro, einen Eckladen mit großzügigen Fensterfronten, bereits sehen, da vernahm sie lautes Hupen.

Aus dem Augenwinkel bemerkte sie einen dunklen Sportwagen, der aus der Gasse links von ihr kam und nun mit quietschenden Reifen stehen blieb. Abrupt stieg Aline in die Rücktrittbremse. Sie spürte, wie für einen Moment das Hinterrad in die Höhe schoss und auszubrechen drohte, doch es gelang ihr, das Gleichgewicht wiederzufinden und das Fahrrad aufrecht zu halten.

Für einen Moment verfluchte sie sich innerlich, weil sie aus Eitelkeit – schlichtweg um ihren Pagenkopf nicht zu ruinieren – immer auf den Fahrradhelm verzichtete. Jetzt, in dieser Sekunde, hätte sie sich dieses hässliche Ding, das an der Garderobe ihres Flures hing, an seinen Platz, nämlich auf ihren Kopf, gewünscht.

Vor Schreck sprang sie vom Rad und umklammerte das Lenkrad fest. Sie stand nur wenige Zentimeter vom Radkasten eines nachtschwarz glänzenden Mercedes SL entfernt. Erst jetzt nahm sie wahr, dass es sich um ein Cabrio handelte, dessen Verdeck zurückgefahren war.

Ein dunkelhaariger Mann stützte einen Arm auf die Tür und blickte besorgt zu ihr auf. „Sind Sie in Ordnung? Geht es Ihnen gut?“

„Ja, ich habe nur einen furchtbaren Schreck bekommen.“

„Den habe ich auch, Himmel, Sie sind aber auch sportlich unterwegs!“

Aline runzelte die Stirn. „Ich bin sportlich unterwegs? Sie haben mir die Vorfahrt genommen.“

Nun sah der Mann sich irritiert um, als würde er nach Verkehrsschildern Ausschau halten. „Das wäre mir ja wohl aufgefallen. Aber es geht uns beiden gut, es ist nichts passiert, und nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich habe einen dringenden Termin. Deshalb wünsche ich Ihnen noch einen wunderschönen guten Morgen!“ Er ließ den Motor wieder an und fuhr davon.

Ungläubig sah Aline ihm nach und spürte, dass der Schreck ihrer Wut wich. Was für ein Schnösel, dachte sie verärgert. Falls der seinen Urlaub hier im Dorf verbringen sollte, dann wäre es ihr eine Ehre, dafür zu sorgen, dass er den Aufenthalt nicht vergaß.

Solche Protze mit dicken Autos, die keine Rücksicht nahmen, brauchten und wollten sie hier nicht. Selbst, wenn sie so gut aussahen wie dieser Kerl eben.

Für einen Moment hielt sie inne. Hatte sie das gerade wirklich gedacht?

Kurz sah sie noch einmal das klassisch geschnittene Gesicht mit der kantigen Kinnpartie vor sich, die gleichmäßigen Augenbrauen und die erstaunlich grünen Augen.

Sie hatte dieses Grün erkennen können, so dicht hatte sie am Auto gestanden. Unfassbar, wie knapp sie einem Unfall entgangen war. Was für ein Glück sie gehabt hatte. Trotzdem ließ sie in Gedanken ihren Blick weiter über die gerade geschnittene Nase und den Mund mit den weichen Lippen gleiten. Einen Dreitagebart hatte er auch getragen.

Ein auffallend schöner Mann, aber das war egal, denn Ausnahmen für unfreundliche Zeitgenossen wurden in Les Rouxelles keine gemacht.

Sie schob das Fahrrad die letzten Meter die Hauptstraße entlang bis zum Büro und stellte es neben der schmiedeeisernen Bank ab, die vor dem Schaufenster stand. Mit leicht zitternden Fingern schloss sie die Tür auf und bemerkte, dass die beiden großen und dicht bepflanzten Blumenkübel, die rechts und links des Eingangs standen, gegossen werden mussten.

Kurz sah sie sich auf der Kreuzung um. Direkt gegenüber lag die alte Dorfschule, in der heutzutage kulturelle Veranstaltungen wie Lesungen und Konzerte stattfanden. Ein Bekleidungsgeschäft, ein Spielzeugladen und eine Apotheke rundeten das Angebot ab. Juliennes Laden und das Café waren in Sichtweite und zum Marktplatz waren es nur wenige Minuten Fußweg. Bäume säumten die Straße, Markisen schmückten die Geschäfte. Helle Häuserfassaden, bunte Fensterläden und die vielen Blumenkästen, die meistens mit rot leuchtenden Geranien bepflanzt waren, rundeten das Bild ab.

Tatsächlich war sie durch die Begegnung mit diesem rüpeligen Autofahrer jetzt noch mehr motiviert, gute Arbeit zu leisten. Es war so wichtig, darauf zu achten, wie es diesem wundervollen kleinen Dorf erging. Dazu gehörten nicht nur das aufmerksame Miteinander und eine nachhaltige Landwirtschaft in der Region, sondern auch konsequentes Tourismusmanagement. Solche Typen wie diesen Kerl von eben wollten sie hier nicht haben.

Maxime warf einen Blick in den Rückspiegel. Eine interessante Frau, mit ihrem ausnehmend hübschen Gesicht, den großen dunklen Augen und dem seidig schimmernden kinnlangen Haar.

Dann musterte er die Fassaden der Häuser und machte schon wenige Minuten später vor sich den Hauptplatz des Dorfes aus, auf dessen Stirnseite das Rathaus stand. Schräg gegenüber sollte, so wie er es verstanden hatte, die Scheune des Hofes an den Marktplatz reichen. Das zweite, direkt anschließende Gebäude lag vom Platz aus gesehen dahinter auf der rechten Seite und bildete laut den Fotos, die er vom Makler bekommen hatte, mit dem dritten Gebäude einen stimmungsvollen Innenhof.

Erneut blickte er in den Rückspiegel. Von der Fahrradfahrerin war nichts mehr auszumachen.

Warum beschäftigte sie ihn nur so? Kopfschüttelnd sah er auf die Uhr. Jetzt konzentrier dich, ermahnte er sich. Schließlich stand in zwanzig Minuten der Termin mit dem Makler an, und das, was er bisher vom zum Verkauf stehenden Objekt sehen konnte, war beeindruckend. Gut erhalten, voller Geschichte, inmitten des Dorfes gelegen. Und auch wenn er nicht an Karma und solche Dinge glaubte, strahlte dieses Haus etwas aus, das er als positiv wahrnahm.

Er musste selbst über sich lachen, als er diesen Gedanken in sich nachklingen ließ. Aber wie auch immer er über dieses Haus dachte, eins war sicher, dieses Grundstück war ausreichend weit weg von seinem bisherigen Leben.

Weit genug weg von Nizza.

Es lag aber trotzdem so nah, dass er, wenn es sich nicht vermeiden ließ, kurzfristig bei seiner Familie in Nizza vorbeischauen konnte. Aber es lag auch weit genug entfernt, um darauf hoffen zu können, dass weder seine Eltern noch sein Bruder zu Spontanbesuchen bei ihm auftauchten.

Die Umgebung, die er während der Fahrt hierher genossen hatte, kannte er bereits aus Kindertagen, grünhügelige Landschaften, Pinienhaine, Obstbaum-Plantagen, Lavendelfelder. Klassische Landwirtschaft und viele Dörfer, die sich wie verstreute Perlen ins Bild einfügten. Die Ortschaften ähnelten einander mit ihren beschaulichen Marktplätzen, den kleinen Kirchen, hübschen Rathäusern und pittoresken Häusern, die nahezu alle aus Feldsteinen erbaut waren oder zumindest versuchten, diesen Anschein zu erwecken.

In Les Rouxelles stand mitten auf dem Marktplatz eine riesige Platane, um deren breiten Stamm Holzbänke gezimmert worden waren. Maxime konnte sich genau vorstellen, wie hier in wenigen Stunden die alten Herren des Dorfes im Schatten der ausladenden Baumkrone Platz nehmen, über das Leben philosophieren und dabei vermutlich nebenbei Boule spielen würden.

Er spürte, wie allein der Gedanke an die friedvolle und ruhige Stimmung seinen Pulsschlag senkte. Nicht nur räumlich, sondern auch gefühlt war all das so weit entfernt vom durchgetakteten Tagesablauf in Nizza.

Sein Telefon klingelte schon wieder. Einmal war es das Steuerbüro gewesen, beim zweiten Mal der Beikoch, beim dritten und vierten Mal die Personalerin. Es war ihm ein Rätsel, wie es sein konnte, dass anscheinend sofort alles aus dem Lot geriet, wenn er mal einen halben Tag nicht da war.

Sicher, als international ausgezeichneter Starkoch und Inhaber eines Gourmetrestaurants stand er immer unter Druck. Das Le Fourrage erregte öffentliche Aufmerksamkeit wegen der prominenten und oft überaus wohlhabenden Gäste, von denen einige weniger durch gutes Benehmen auffielen als durch maßlose Forderungen an ihr Umfeld. Einfach so, weil sie es sich leisten konnten. Und von ihm erwarteten sie Kunst auf dem Teller.

Einfach nur mit einem guten und ehrlichen Essen, wie er es gern nannte, war es in seinem Gourmettempel nicht getan. Eine Speise, die ohne Showeffekt aufbereitet war, und die mehr durch den ihr eigenen Geschmack bestach als durch einen Gewürzreigen, Blattgold oder den beliebten Trockeneis-Nebel, schien undenkbar in Nizza.

Fine Dining nannten es die Gäste. Dieser Anspruch hatte ihn weit entfernt von seinen ursprünglichen Ambitionen, die Menschen zu verzaubern, ihnen mit Geschmackskompositionen Erlebnisse zu kredenzen, die weder Zunge noch Gaumen je erlebt hatten.

Zugutehalten konnte er sich dennoch, dass er sich seine Position erarbeitet hatte. Und das nicht wegen, sondern trotz seiner Familie. Nie hatte er sich auf seinem Namen ausgeruht, und er hatte seine Ausbildung absichtlich in Kanada absolviert, um sicherzugehen, dass niemand den Namen Durand kannte. Denn die Bereiche, in denen seine Familie mit unterschiedlichen Firmen mitmischte, waren breit gestreut, von Kosmetik über Immobilien bis hin zum Weinanbau.

Kanada dagegen kam gänzlich ohne die Durands aus. Daher hatte er dort den Start in seine berufliche Laufbahn gewagt – zum Ärger seiner Familie. Es war das erste Mal, dass er sich ihren Unwillen zugezogen hatte, aber bei Weitem nicht das letzte Mal. Schließlich hatten seine Eltern ihn in die besten Schulen Frankreichs geschickt, dementsprechend sollte er auch studieren, am liebsten Jura oder Wirtschaft, um sich anschließend im Konzern nützlich zu machen. So hatten sich das zumindest alle gedacht, abgesehen von ihm.

Maxime hielt in zweiter Spur, sein Blick ruhte auf der Fassade des alten Bauernhauses.

Sein metaphorischer Weg hierher war lang gewesen – und steinig.

Und ja, in vielerlei Hinsicht war er inzwischen wesentlich gelassener als zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn. Er machte allerdings schon seit längerer Zeit Symptome bei sich aus, die zunahmen, Kopfdröhnen und Rückenschmerzen, aber am schlimmsten war die Appetitlosigkeit. Selbst das Herzrasen und die schlaflosen Nächte beunruhigten ihn nicht so stark wie die Weigerung seines Körpers, sich dafür zu interessieren, was frisch gekocht auf der Gabel oder dem Löffel vor ihm lag.

Die Sauce kosten? Langweilig!

Das Salatdressing abschmecken? Überbewertet.

Den passenden Wein zum Braten finden? Lächerlich.

Es war eine Katastrophe, über die er mit niemandem reden konnte. Er fühlte sich wie ein Musiker, der seine Kompositionen nicht mehr hören wollte, oder wie ein Maler, dem die Wahl der Farben für seine Bilder gleichgültig geworden war.

Diese Gleichgültigkeit war schlimmer als vieles andere, beispielsweise gereizt, genervt oder überarbeitet zu sein. Das, was sich da abzeichnete, war für jemanden wie ihn, den Besitzer eines der erfolgreichsten Gourmetrestaurants Frankreichs, ein Albtraum. Es hatte ihn immer glücklich gemacht, Speisen zu kreieren, mit Aromen zu arbeiten, Geschmacksnuancen auszubalancieren, neue Kombinationen zu erschaffen – jeden Happen zu einem Erlebnis zu machen. Was würde von ihm übrig bleiben, wenn er all das verlöre? Wenn ihm die Liebe zum Kochen abhandenkäme?

Genau deshalb hatte er beschlossen, das Steuer herumzureißen, bevor sich jegliche Leidenschaft für seinen Beruf verflüchtigte. Der Entschluss stand fest, er würde das Le Fourrage aufgeben, es zu einem sündhaften Preis verkaufen und hier im Nirgendwo, in einer der malerischsten Landschaften Frankreichs, ein kleines Restaurant eröffnen, das völlig anders war als alles, was er zuvor gemacht hatte.

Schon der Gedanke erzeugte ein Glücksgefühl bei ihm. Nicht viele Entscheidungen in seinem Leben hatten sich so richtig angefühlt.

Er hatte so viele Ideen dazu, dass er gar nicht wusste, wie er alles in einem Projekt unterbekommen sollte, aber das würde sich finden.

Als ein Wagen fortfuhr, parkte er sein Cabrio, schaltete die Musik aus, lehnte sich in den Ledersitz zurück und sog die Landluft ein. Diese Mischung hatte er schon als Kind geliebt, sie setzte sich aus Blütenduft, vornehmlich Oleander und Lavendel, Pinien, Thymian, Rosmarin und einer Spur staubtrockener Erde zusammen.

Wieder spürte er dieses bedrohliche Summen in seinen Schläfen. Es war wie eine Warnung, die noch einmal unterstreichen sollte, wie wichtig der Neustart für ihn war, wie dringend er dieses neue Projekt brauchte. Wenn alles gut lief, würde er heute seinem Leben eine neue Ausrichtung geben und sich eine andere Perspektive verschaffen. Allerdings würde das niemand verstehen – weder seine Gäste noch seine Angestellten in Nizza.

Maxime Durand zieht aufs Land!

Insolvenz? Flüchtet der Starkoch von Nizza vor dem Finanzamt?

Burnout! Starkoch vom Le Fourrage in Klinik auf dem Land untergetaucht.

Er konnte die Schlagzeilen erahnen. Reißerisch und ohne jeglichen Bezug zur Realität würde die Klatschpresse über ihn berichten, sobald sein Plan, Nizza zu verlassen, publik wurde. Aber diese Seite eines Lebens, das Interesse und Neugier in der Öffentlichkeit weckte, kannte er bereits – die Presse würde, ohne ihn zu befragen, frei erfundene Märchen über ihn erzählen.

Was seine Familie sagen würde, daran wollte er gar nicht denken. Sein Bruder würde ihn für verrückt erklären, seine Mutter ihm Vorträge halten und sein Vater ihn mit Missachtung strafen. Was für ein Glück, dass er schon lange finanziell auf eigenen Beinen stand.

Er stieg aus dem Wagen und schritt die Frontseite des Hauses ab, entdeckte aber kein Schild, das darauf hinwies, dass es zu verkaufen war. Der Makler hatte ihm erzählt, dass es auf dem Markt war, weil eine Frau allein hier wohnte. Es war ihr zu groß geworden und sie wollte sich mit dem Teilverkauf finanziell absichern.

Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er sah sich selbst, wie er regelmäßig einen Topf Suppe bei der Nachbarin vorbeibrachte, deren silbergrauer Dutt zerzaust war und deren Brille sie auf der Nasenspitze balancierte. Ja, sie konnte sich mit dem Verkauf finanziell absichern, aber auch kulinarisch – dafür würde er gern sorgen.

Diesen Grund, ein Haus zu verkaufen, fand er beruhigend. Schäden am Gebäude, wie Feuchtigkeit, hätten ihn in Sorge versetzt, oder Zwistigkeiten der Dorfbewohner untereinander. Noch schlimmer waren direkte Nachbarschafts- oder Familienstreitigkeiten, die in Prozessen gipfelten. Er kannte das zu gut – seine Familie liebte es, die hochbezahlten Firmenanwälte auch für Kleinigkeiten durch den sprichwörtlich brennenden Reifen springen zu lassen. Sie sollten schließlich was tun für ihr Geld.

Eher zufällig warf er einen Blick in die Höhe – sogar das Dach war frisch gedeckt. Wenn der Makler ihm dieses Prachtstück hier gleich zum bisher genannten Preis anbot, würde er nicht eine Sekunde zögern und zuschlagen.

Als hätte der Mann auf diesen Gedanken gewartet, kam er die Straße herauf. Monsieur Morel hatte ihm am Tag zuvor bereits zwei andere Gebäude gezeigt, eins davon lag nicht weit genug von Nizza entfernt, das zweite war definitiv zu klein. Daran hatten auch die vollmundigen Worte des Maklers nichts schönreden können.

Maxime merkte, dass Nervosität in ihm aufstieg. Ein Gefühl, das er lange nicht mehr gespürt hatte. Mit einem Mal hatte er nur noch eine Frage: Wie wird es jetzt weitergehen?

2. KAPITEL

Es war das zweite Mal an diesem Tag, dass ihre Hände zitterten.

Sie hatte unterzeichnet.

Monsieur Morel hatte das Tourismusbüro, wo sie sich heute Morgen verabredet hatten, bereits wieder verlassen. Die Tinte unter dem Kaufvertrag war inzwischen sicherlich getrocknet, wie es so schön hieß.

Aline konnte es kaum glauben. Sie wippte mit dem Bürostuhl, um sich mit dieser gleichmäßigen Bewegung zu beruhigen, und starrte durch das Schaufenster auf die Straße hinaus. Ihr Feierabend hatte schon vor zehn Minuten begonnen. Jetzt würde sie gleich nach Hause gehen, in ein anderes Zuhause, nicht nur gefühlt, sondern auch rechtlich gesehen. Ob sie vorschnell gehandelt hatte? Vielleicht hätte sie noch eine Nacht darüber schlafen sollen.

Aber wozu?

Wenn sich alles wie besprochen entwickelte, könnte sie mit dem Verkaufserlös den Kredit für das im April neu gedeckte Dach begleichen, eine erhebliche Summe an Geld zur Seite legen und finanziell sorgenfrei in einen neuen Lebensabschnitt starten. Der Preis war allerdings hoch, das ließ sich nicht leugnen, schließlich hatte sie zwei Gebäude des Dreiseithofes geopfert. Sie hatte das Vermächtnis ihrer Familie verkleinern müssen, und auch wenn das finanzielle Entspannung brachte, war es ein schmerzhafter Prozess.

Natürlich war dieser Hof für sie allein zu groß. Er war für die Landwirtschaft erbaut worden, in einer Zeit, als noch mehrere Generationen unter einem Dach lebten und die Nutztierhaltung der Standard auf dem Land gewesen war.

Vielleicht würde sie irgendwann eine Familie gründen, aber auch für eine kinderreiche Familie waren drei Gebäude überdimensioniert – und es bedeutete viel Aufwand in der Erhaltung und damit schlichtweg dauerhaft hohe Kosten.

Zudem hielt sich ihre Begeisterung, sich einen Mann für eine Familienplanung zu suchen, in Grenzen. Natürlich hatte sie Beziehungen gehabt, aber irgendwie waren sie alle lauwarm geblieben. Bei den meisten Männern hatte sie schnell mitbekommen, dass ihnen das Kleinstadtleben nur begrenzt lag. Es hatte sie in die Großstadt gezogen, wo sie ihre Karriere vorantreiben konnten. Aline seufzte.

Wichtig ist, erst mal bei den naheliegenden Themen zu bleiben, dachte sie und kehrte zur drängendsten Frage zurück, die lautete: Wer hat die beiden Häuser erworben, und was plant der Besitzer damit?

Sie hatte den Namen M. Durand im Vertrag gesehen und eine Anschrift in Nizza, vielleicht sollte sie mal im Internet recherchieren? Der Makler hatte bei einem ihrer ersten Gespräche am Telefon erwähnt, der Interessent sei ein Prof. also ein Professor – ja, er hatte das so formuliert. Sie war erleichtert. Das klang nach einem älteren Herrn, nach Bildung und Arbeit am Schreibtisch, nicht nach einem Handwerker, der eine Holzwerkstatt einrichten würde, oder nach einem Idealisten, der fernab des Trubels an der Côte d’Azur einen Kinderladen eröffnen wollte, der dem Nachwuchs ein Leben inmitten der Natur ermöglichte. Sie hörte Bücher, Wissen und Ruhe heraus, was sie ganz wunderbar fand.

Schließlich riss sie sich aus ihren Gedanken, schloss das Büro zu und schob ihr Fahrrad die Straße hinab. Nach wenigen Metern erreichte sie den Lebensmittelladen und trat ein. Das kleine Glöckchen über der Tür erklang. Seit Jahren war es der gleiche Ton – ein vertrautes und fröhliches Bimmeln.

Sofort schaute Julienne aus dem Büro in den Verkaufsraum. „Was führt dich zu mir?“, rief sie erfreut.

„Das Haus ist verkauft!“, platzte Aline heraus. „Besser gesagt, beide Häuser. Ich kann es noch gar nicht richtig glauben.“

Julienne wandte sich um, und Aline hörte eine Schranktür klappen. Dann trat ihre Freundin mit zwei Sektgläsern in den Verkaufsraum und steuerte zielstrebig auf einen der Getränkekühlschränke zu.

„Genau für so einen Fall haben wir immer Champagner kalt gestellt, auch wenn die Gläser nicht dazu passen. Darauf stoßen wir an, sogar auf die Gefahr hin, dass du dein Fahrrad stehen lassen musst. Heute ist der erste Tag vom Rest deines neuen Lebens!“ Sie ließ den Korken knallen, der Champagner sprudelte über, als sie ihn schwungvoll eingoss. „Ich freue mich so für dich, das ist ja unfassbar schnell gegangen.“

„Ja, der Makler kam sogar extra bei mir vorbei, damit ich nicht in sein Büro fahren musste, um den Vertrag zu unterschreiben.“

„Bei jedem anderen Makler hätte ich gesagt, der will nur so schnell wie möglich sein Geld, aber Monsieur Morel ist so ein netter Kerl. Ich kenne ihn flüchtig über meine Cousine, und wenn jemand eine gute Käuferauswahl für dich trifft, dann ist es dieser Mann.“

Sie prosteten sich zu.

Aline spürte das Prickeln der Kohlensäure auf der Zunge. Langsam gingen ihre Unruhe und die Aufregung in Übermut über, und es fühlte sich gut an. Zumindest ein bisschen. Nicht alles war schlecht an diesem Deal. „Es soll ein Professor sein, also ein Hoch auf ihn“, rief sie und riss das Glas in die Höhe.

„Oh, wie toll, ich liebe kluge Männer“, erwiderte Julienne und drehte sich eine ihrer Lockensträhnen um den Zeigefinger. „Ich sage es ja, der Makler versteht seinen Job.“

Die Tür wurde aufgestoßen und Kira, die Frau des Bürgermeisters, betrat gehetzt den Laden. Sie hatte eine Schürze umgebunden und ihr Gesicht war hochrot. Alles an diesem Auftritt war ungewöhnlich, denn sonst war die mollige Frau, die in der Woche zuvor ihren fünfzigsten Geburtstag gefeiert hatte, bekannt für ihr entspanntes und ausgeglichenes Wesen.

Sie nickte Aline zu und sah dann Julienne bestürzt an. „Ich brauche sofort Soßenbinder, ich habe Gulasch im Topf und die Soße gelingt nicht. Ich verstehe überhaupt nicht, wo das Problem liegt.“

Julienne stellte ihr Glas ab, ging zu Kira und bot zwei Soßenbinder an, deren Vorzüge sie erläuterte.

Mit großen Schlucken trank Aline ihren Champagner aus und nickte den beiden Frauen zu. „Macht in Ruhe weiter, ich werde aufbrechen. Vielen Dank für den Champagner, Julienne. Wenn du magst, komm doch auf dem Heimweg noch bei mir vorbei.“

Dann war sie zur Tür hinaus, nahm ihr Fahrrad und schob es beschwingt nach Hause. Sie war zwar durchaus noch fahrtüchtig, aber sie wollte den Moment genießen. Irgendwie war nun alles so schnell gegangen, ihr Herz schlug einen nervösen Takt, und sie wollte Tempo herausnehmen, zumindest dieses gefühlte Tempo.

Der vertraute Anblick der kleinen Gassen, die bunt bepflanzten Blumenkästen vor den Fenstern, der überall blühende Oleander und der Hibiskus, der süß-würzige Duft der Luft, das tiefe Himmelsblau einer anbrechenden Sommernacht – all das beglückte sie.

Als sie den Marktplatz überquerte und auf den Dreiseithof zusteuerte, bemerkte sie den dunklen Sportwagen vom Morgen, der in einer Seitenstraße parkte. Aber erst als sie am Haus vorbei in den Hof ging, spürte sie Irritation und begann, einen Zusammenhang zu befürchten. Und tatsächlich, dort, in ihrem Innenhof, stand der dunkelhaarige Kerl, der sie vor ein paar Stunden fast über den Haufen gefahren hatte.

War das ein Kollege des Maklers?

Sie sah sich nach dem Käufer, diesem Professor, um. Ob er auch zugegen war?

Nun entdeckte sie den Makler, der auf sie zukam – mit offenen Armen und ebenfalls in bester Stimmung.

„Aline, kommen Sie doch zu uns, ich würde Ihnen gerne Maxime vorstellen, er ist ein wirklich guter Freund von mir.“

Aline trat näher. Sie musterte den Mann, von dem sie mit einem Mal, sozusagen auf den zweiten Blick, meinte, ihn irgendwoher zu kennen. Aus dem Fernsehen? Sie war sich unsicher, wo sie ihn einordnen sollte. Schauspieler in irgendeiner Soap, Richter in einer Doku-Fiction oder Arzt in einer Gesundheitssendung?

Aus irgendeinem Grund, der sich ihr nicht erschloss, raste ihr Herz inzwischen. War es immer noch die Sorge, eine vorschnelle Entscheidung getroffen zu haben? War es der Champagner? Oder lag es daran, dass dieser Mann einfach unglaublich gut aussah? „Ach, sehr erfreut, sind Sie auch Makler?“, sagte sie und versuchte, interessiert zu wirken.

Ihr Gegenüber schien sich geschmeichelt zu fühlen, denn ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

Aline seufzte innerlich auf. Sie hatte keine Zeit für B-Promis oder Morel-Freunde oder Nachwuchs-Immobilienmakler, deshalb unterbrach sie ihn, als er zu einer Antwort ansetzte: „Entschuldigen Sie bitte kurz, aber ich muss erst noch eine Frage klären.“ Sie wandte sich dem Makler zu, weil sie ihre Ungeduld kaum noch verbergen konnte: „Wo ist denn nun der Herr Professor?“

Maxime war berauscht, nahezu fassungslos vor Glück. Er konnte es nicht fassen. Gleich die erste Besichtigung war ein derartiger Volltreffer. Er hatte bei der Führung einen Moment lang überlegt, ob er sich vom Wunsch, seinem Ziel näher zu kommen, treiben ließ, aber dieses Haus war tatsächlich perfekt!

Schon während der Begehung hatte er das gesamte Konzept vor Augen. Anscheinend hatten sich früher Stallungen in dem zum Markt liegenden Gebäude befunden, weswegen es große Räume beherbergte, die weitestgehend ohne Zwischenwände auskamen. So konnte er ein offenes Konzept umsetzen, ohne weitreichende bauliche Änderungen vorzunehmen, was ein enormer Vorteil war, weil er nicht mit letzter Sicherheit beurteilen konnte, inwiefern der Denkmalschutz greifen würde. Der Preis war moderat. Und kaum, dass er zugestimmt hatte, hatte auch Makler Morel schon den Vertrag aus der Tasche gezaubert, fix und fertig vorbereitet, und ihm das Papier vorgelegt.

Im Normalfall hätte er sich ausgebeten, einen Vertrag dieser Größenordnung gründlich zu studieren, aber er kannte Morel seit Jahren und der Mann kannte ihn und wusste um die weitreichenden Kontakte seiner Familie. Mit einem Durand legte sich niemand gern an.

Bei einer ersten groben Durchsicht der Papiere hatte Maxime keinerlei Fallstricke entdeckt, daher nahm er von seinem Vorhaben Abstand, den Vertrag erst mal seinem Anwalt zur Prüfung zu schicken. Der konnte ihn auch im Nachhinein durchsehen.

Er hatte es sofort gewusst, dieser Hof war seine Zukunft.

So einfach war das.

Da musste er zupacken. Ohne zu zögern, bevor sich vielleicht irgendjemand anderes dafür entschied und ihm dieses historische Gebäude-Ensemble vor der Nase wegkaufte. Er und Morel hielten sich noch im ehemaligen Schuppen auf, als er den Vertrag unterschrieb, weil er das Potenzial sofort erkannte. Im Anschluss stand er daneben, als der Makler die Verkäuferin telefonisch über den Vertragsabschluss informierte.

Morel lud ihn ein, zur abschließenden Vertragsunterzeichnung mitzukommen, aber wieder einmal mehr musste er sich den Nachrichten auf seiner Mailbox widmen. Es waren keine Entenbrüste geliefert worden, und eine Auszubildende hatte sich mit dem Sous-Chef angelegt. Zudem mussten einige Rechnungen von ihm freigegeben und Bestellungen auf den Weg gebracht werden – die üblichen Dinge halt, die wie so oft viel Zeit fraßen.

Sofort traten einige dieser lästigen Symptome wieder auf. Kopfschmerzen und Appetitlosigkeit. Die machte ihm besonders zu schaffen, denn wenn er ehrlich war, hatte der Kaffee vorhin schon wieder nach nichts geschmeckt. Dabei hatte er extra einen Espresso bestellt, weil der bitter und eigentlich geschmacksintensiv war.

Wenn er nicht mal mehr den schmecken konnte, wurde die Situation allmählich bedrohlich, das wurde ihm wieder einmal deutlich vor Augen geführt. Er musste weg aus Nizza, er musste loslassen und woanders neu anfangen – falls es nicht schon längst zu spät war. Als Koch nichts mehr schmecken zu können, war das Schlimmste, was ihm passieren konnte.

In dem kleinen Café in der Nähe des Marktplatzes hatte er auf Morel gewartet, telefoniert, einige Mails beantwortet, dann waren sie zum Haus zurückgekehrt. Und er, Maxime Durand, war mit der Unterschrift der Verkäuferin nun zum Besitzer dieser Immobilie geworden.

Es war alles perfekt.

Und nun erschien auch noch diese Frau auf dem Hof. Diese kleine, wilde Radfahrerin, der er am Morgen begegnet war.

Ihr war offenbar nicht bewusst, wie hinreißend sie aussah, was sie noch anziehender machte. Sofort hoffte er, sie wäre die Verkäuferin und damit vielleicht auch seine Nachbarin. Die Vision der großmütterlichen Frau nebenan opferte er gern und ohne Umstände dieser Idee.

Bis jetzt, denn nun fühlte er Unruhe in sich aufsteigen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Was für einen Professor suchte diese Frau? Vielleicht hatte sie sich am Morgen bei ihrem Beinahezusammenstoß doch verletzt und wollte nun Ärger machen.

„Das ist Aline Vignaud, sie wohnt dort drüben“, sagte Morel freundlich und wies auf das dritte und kleinste Haus des Dreiseithofes.

Maximes Herz machte einen Freudensprung. Tatsächlich. Sie war es. Sie war die Verkäuferin.

Als der Makler ihn vorstellte, verfinsterte sich die Miene der Frau allerdings sofort.

„Sie sind doch dieser Fernsehkoch, oder?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ja, ich habe in Nizza ein Restaurant und war auch schon in verschiedenen Fernsehformaten zu sehen. Stört Sie irgendetwas daran?“ Normalerweise weckte sein Beruf Neugier und die Erwähnung seines Restaurants erst recht. Seine inneren Alarmsirenen wurden lauter. Unangenehm laut.

„Sie sind der Käufer?“

Maxime nickte.

Die kinnlangen schwarzen Haare der Frau, die seidig glänzten, flogen nur so, als sie sich dem Makler zuwandte.

„Sie haben einen Professor erwähnt, der das Haus erworben hat.“

Nun lachte Maxime auf. „Ich bin eine ganze Menge, aber gewiss kein Professor.“

„Da müssen Sie mich falsch verstanden haben“, erwiderte der Makler leichthin. „Ich sagte, er sei ein Profi. Dass er Starkoch ist, habe ich bereits im Telefonat erwähnt, vor zwei Tagen.“

„Das habe ich so aber nicht verstanden.“

Morel zuckte die Achseln. „Die Qualität des Handynetzes schwankt auf dem Land, wer weiß, was da los war. Vielleicht lag ein Gewitter in der Luft. Aber Sie können keinen besseren Käufer finden, glauben Sie mir.“

„Soll hier etwa Gastronomie eröffnet werden?“

Die von langen Wimpern umrandeten Augen blitzten vor Wut. Sie waren dunkel, fast nachtschwarz. Die Nase war schmal, die Lippen weich, die Haut wirkte unfassbar zart.

„Ihr Schweigen ist auch eine Antwort“, unterbrach sie seine Gedanken.

Tatsächlich fühlte Maxime sich der Tagträumerei ertappt und suchte nach Worten, doch Aline Vignaud fuhr empört fort: „Gastronomie, das geht gar nicht! Sie können das Haus nicht kaufen!“, setzte sie nach.

Maxime zuckte mit den Schultern, eine Bewegung, die seine Anspannung hoffentlich verbarg. „Es tut mir leid, ich habe das Haus schon gekauft. Sie haben unterschrieben. Wir sind jetzt Nachbarn.“ Er wollte nicht unfreundlich wirken und präsentierte sein gewinnendstes Lächeln.

„Nein! Weder in diesem Dorf noch in diesem Haus gibt es Planungen für einen Gastronomiebetrieb. Es gibt ein Café in Les Rouxelles, das ist ausreichend. Im Nachbardorf gibt es zwei Restaurants.“

„Madame, ich verstehe, dass Sie überrascht sind.“ Der Makler trat einen Schritt vor und legte eine Hand auf den Unterarm der Frau, was vermutlich ein Versuch sein sollte, sie zu beschwichtigen. „Es ist aber auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden, so etwas muss vorher festgelegt werden. Das hätten Sie erwähnen müssen, wenn Sie Gewerbe oder Gastronomie hätten ausschließen wollen. Bei der Größe des Gebäudes ist es naheliegend, dass hier ein Hotel, eine Pension, ein Ärztehaus, ein Museum oder irgendeine Einrichtung eröffnet, die diese Fläche bespielen kann. Zudem ist die Lage einmalig, und ich denke, gerade Sie, als Tourismus-Managerin, wissen um solche Dinge. Vertrauen Sie mir, das Projekt von Monsieur Durand wird Sie überzeugen, es bietet für Les Rouxelles …“

Aline Vignaud machte eine abwehrende Geste und fiel dem Makler ins Wort: „Es interessiert mich nicht.“

„Nun lassen Sie mich das doch erst mal erklären“, versuchte Maxime es mit butterweicher Stimme. „Es wird ein nachhaltiges und regionales Restaurant mit …“

„Nein!“, fuhr sie laut dazwischen. „Dann habe ich hier jeden Abend im Hof eine volle Terrasse mit Ihren Gästen, oder wie soll ich mir das vorstellen?“

Maxime blickte irritiert zwischen Morel und der Frau hin und her. Seine Anwesenheit würde vermutlich langfristig gesehen in diesem Innenhof durchaus eine etwas andere Geräuschkulisse erzeugen. Aber er war sicher, dass sie einen Kompromiss finden konnten.

Jetzt jedoch spürte er, dass er wütend wurde. Und unter dieser Wut lag, wenn er ehrlich war, die Sorge, seine Nachbarin könnte ein größeres Problem werden und ihm dieses wundervolle Grundstück wieder abnehmen. Er war in Vertragsrecht, vor allem im Bereich des Immobilienrechts, nicht fit genug, um das beurteilen zu können. Bestand die Möglichkeit, dass sie noch vom Vertrag zurücktreten konnte?

Er spürte ihren Blick auf sich. Eisig und unnachgiebig. Die Arme hielt sie weiterhin vor der Brust verschränkt.

Er wagte es nicht, seine Frage zum Rücktritt vom Vertrag an den Makler zu richten, denn er wollte die Frau nicht womöglich auf falsche Ideen bringen.

Wehmütig ließ er den Blick über das alte Gemäuer streifen und spürte einen Stich im Herzen. Er hatte sich verliebt. In dieses Haus.

Ohne den Blick von der Fassade zu nehmen, sagte er: „Es ist wichtig für mich, hier einen Neustart zu machen. Ich bin nicht hier, um mich mit Ihnen zu streiten, wir werden eine Lösung finden.“

Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie sie ihn weiterhin anstarrte.

„Sparen Sie sich Ihre Ausführungen.“ Nicht nur ihr Blick, auch ihre Stimme war eisig. „Es ist mir relativ egal, aus welchem Grund Sie hier sind, so wie es Ihnen egal ist, aus welchem Grund ich verkauft habe.“

„Woher wissen Sie, was mich interessiert?“

Sie winkte ab. „Eines kann ich Ihnen versichern – ich habe diesen Vertrag nicht unterzeichnet“, sie zögerte, „um mein weiteres Leben lang irgendwelchen Familien in meinem Innenhof beim Essen zuzusehen.“

Kurz hatte Maxime den Eindruck, in ihrer Stimme würde bei diesen Worten eine Spur Einsamkeit durchklingen.

Überrascht sah er sie an, aber sie war bereits dabei, sich abzuwenden. Die Energie, mit der sie auf dem Absatz kehrtmachte, auf ihr Haus zustürmte und dem Makler und ihm die Tür ihres Hauses vor der Nase zuschlug, ließ ihn daran zweifeln, ob er richtig gehört hatte. Diese Frau war nicht auf bedauernswerte Art einsam, sie war vielmehr biestig und vermutlich deshalb einsam, dachte er empört.

3. KAPITEL

Der Kaffee brodelte in der Maschine und verbreitete angenehmen Duft. Julienne hatte das Schild an der Tür des Ladens von „geöffnet“ auf „geschlossen“ gewendet und reichte nun einen Teller mit kleinen Tartes herum, eine einladende Mischung aus deftigen und süßen Naschereien.

„Das wird doch auffallen, dass du am Samstag den Laden mitten am Tag zumachst“, sagte Kira nachdenklich.

„Wir werden es als Mittagspause deklarieren. Wenn du willst, können wir aber auch von einem konspirativen Frauentreffen sprechen, das die wirtschaftliche Entwicklung des Dorfes stören will.“

„Ich weiß nicht, ob es darum geht, dass wir etwas stören wollen. Aber ich möchte euch in jedem Fall schon vorab informieren, was auf uns zukommen könnte.“ Aline schaute auf ihre Freundinnen, die auf Klappstühlen vor ihr vor dem hölzernen Kassentresen saßen, der seit Jahrzehnten das Herzstück des kleinen Ladens war und von Julienne mit weißem Kreidelack modernisiert worden war. „Maxime Durand ist ein Starkoch, den die meisten aus verschiedenen Fernsehsendungen kennen. Er wird immer gern in alle möglichen Kochshows und Kochduelle eingeladen“, begann sie zu erklären. „Ich habe es recherchiert, er hat diverse Auszeichnungen erhalten, die in der Welt der Haute Cuisine etwas bedeuten, manche bereits mehrfach.“

Julienne und Kira schienen sich an dem Gedanken erst mal nicht zu stören.

„Sein Restaurant Le Fourrage ist in Nizza, und er hat dort erfolgreich jahrelang alles an Prominenz bekocht, was man sich denken kann. Selbst internationale Stars wie Schauspielerinnen und Rockstars sind bei ihm zu Gast gewesen sein. Er ist ein begnadeter Koch und sein Ruf ist …“ Sie zögerte und suchte nach der richtigen Formulierung. „Na ja, sagen wir es mal so, er ist kein Kostverächter.“

„Ah, ein Schürzenjäger also?“ Julienne lachte auf und freute sich offensichtlich über die Wortspielerei. Sie erhob sich. „Jetzt bin ich neugierig geworden.“ Sie ging hinter den Kassentresen und öffnete ihren Laptop.

Mit einem Mal riss sie die Augen auf. „Meine Güte“, sagte sie aufgeregt. „Du hast nicht erwähnt, wie gut dieser Mann aussieht. Ich habe mir so einen Kerl mit dickem Bauch und Halbglatze vorgestellt.“ Sie drehte ihren Laptop um. „Hier, schaut ihn euch an.“

Ein Bild vom Maxime Durand füllte den Bildschirm. Und auch Aline war beeindruckt, obwohl sie ihm schon persönlich begegnet war. Das Foto zeigte ihn in einer schneeweißen Kochjacke, die ihm hervorragend stand. Er hielt die Hände hinter dem Rücken verschränkt und lachte in die Kamera. Man glaubte, sein Lachen förmlich zu hören. Er wirkte gelöst und auf angenehme Art weltmännisch.

„Wow, ein echter Leckerbissen.“ Kira staunte.

„Wie alt ist er?“, fragte Julienne verträumt.

„Siebenunddreißig, unverheiratet und kinderlos“, fuhr Aline fort. „Er entstammt einer stinkreichen Familie. Sein Großvater hat mit Immobilien viel Geld gemacht, und die nachfolgenden Generationen haben es geschafft, das Vermögen noch erheblich zu vermehren. Sie besitzen viele Firmen. Hotels, Golfplätze, ein Weingut, mehrere Boutiquen, eine Kosmetiklinie – in meinen Augen alles eher wirr zusammengekauft, aber jeder BWL-Student würde mich jetzt vermutlich belehren, dass es sich um Diversifizierung handelt. Sein Bruder hat sogar Bücher zum Thema Aktienhandel veröffentlicht, soviel ich weiß. Kurzum, es gibt europaweit nichts, wo sie ihre Finger nicht mit drinhaben. Sogar in den USA sollen sie aktiv sein. Das bedeutet, dass hinter diesem Mann hervorragende Anwälte stehen. Wie sich das für Sprösslinge einer Konzern-Dynastie gehört.“

„Warum reden wir über Anwälte?“ Julienne runzelte die Stirn.

„Warte es ab. Wir müssen nämlich berücksichtigen, dass Maxime Durand mit seinem Ruf und seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit ein Publikum anzieht, das wir hier nicht wollen. Er hat Promis im Schlepptau und die High Society. Leute mit viel Geld, deren Skandale wir so gern in der Klatschpresse verfolgen.“ Aline schaute eindringlich in die Runde und bemerkte, dass sich die Stimmung geändert hatte.

Julienne wirkte inzwischen weit weniger verträumt. Sie nickte empört.

Kira schnaufte auf. „Dann feiern die Promis hier bald die ganze Nacht? Wenn ich das meinem Mann erzähle, ist hier aber Schicht im Schacht, bevor auch nur ein Glas Sekt ausgeschenkt wurde!“

„Er hat mir gesagt, sein Restaurant soll regional und nachhaltig sein. Aber ganz ehrlich, seine Speisen ändern ja nichts an seiner Entourage, also dem ihn begleitenden Publikum. Wollen wir diese Snobs wirklich hier haben? Dann findet sich auch die entsprechende Presse ein, und ich sage es euch, letztendlich sind wir im Handumdrehen ein neuer Promi-Hotspot. Das zieht eine Welle der Unruhe nach sich.“ Aline merkte, dass sie sich in Rage redete.

Kira schlug mit der Faust auf den Tisch und schaute entschlossen drein. „Nein, mit dem darfst du keinen Vertrag unterschreiben“, rief sie aus.

Aline schwieg erschrocken. Julienne und Kira schauten sie erwartungsvoll an.

„Also, ich … Deshalb wollte ich ja … ich …“

Julienne wurde blass. „Du hast bereits unterschrieben, richtig?“

„Nein“, rief Kira dazwischen. „Das würde Morel nie machen, eine Freundin von mir über den Tisch ziehen.“

„Ich weiß nicht, ich glaube, der Vertrag ist rechtskräftig. Er hat mich nicht über den Tisch gezogen, befürchte ich.“

„So, jetzt gibt es erst mal Kaffee, ich brauche ein bisschen Koffein und Zucker.“ Julienne goss ihnen ein und nahm sich ein Zitronentörtchen. „Nein, das können wir nicht zulassen“, sagte sie nachdenklich. „Du musst wirklich einen Anwalt beauftragen, der den Vertrag noch einmal prüft.“

„Ich kenne da einen hervorragenden, mit allen Wassern gewaschenen Anwalt, den kannst du mal kontaktieren.“ Kira rührte mit einem Löffel heftig die Milch in ihrem Kaffee um.

„Meinst du, den kann ich mir leisten? Ich habe keine Rechtsschutzversicherung und ich kann wohl kaum einen Anwalt gegen Maxime Durand mit dem Geld bezahlen, das ich von Maxime Durand erhalten werde.“

„Ein witziger Gedanke.“ Julienne grinste. „Aber jetzt ganz ernsthaft. Es ist egal, ob du eine Rechtsschutzversicherung hast oder nicht. Dann legen in Les Rouxelles alle zusammen. Daran soll es nicht scheitern, es geht hier um mehr als nur um deinen Hof. Versteh mich nicht falsch, ich weiß, was dieses Gebäude für dich und die Geschichte deiner Familie bedeutet, aber in diesem Fall hängen wir alle mit dran. Keiner von uns hat ein Interesse daran, dass wir zu einer Promi-Spielwiese werden.“

„Gegen Sting hätte ich nichts einzuwenden“, erwiderte Kira ernsthaft.

Sie mussten alle drei lachen, und es war ein kleiner Moment der Erleichterung, ein Gefühl, das für Aline die Verbundenheit mit den Menschen um sie herum noch verstärkte. Sie wusste, wenn Julienne, als Inhaberin des kleinen Dorfladens, und Kira, als Frau des Bürgermeisters, etwas in Les Rouxelles durchsetzen wollten, würde es ihnen gelingen, die Einwohner hinter sich zu vereinen.

Als hätte Aline laut gedacht, ergänzte Kira: „Wir haben uns in den letzten Jahren in der Region etwas aufgebaut, das besonders ist. Wir haben einen nachhaltigen Tourismus, hier gibt es Ruhe und Entschleunigung. Wir können keine Promihochburg werden, wo die Schönen und Reichen der Côte d’Azur ihren Kater ausgeschlafen und drei Detox-Tage einlegen.“

Aline schnappte sich eine Tarte mit Blaubeeren und lächelte erleichtert. „Prima, mit euch und eurer Unterstützung mache ich mich gern daran, dem Kerl das Süppchen zu versalzen!“

Maxime fuhr nach der Vertragsunterschrift nach Nizza zurück. Am Samstagmorgen kontaktierte er den Architekten und am Montagmorgen saß er endlich wieder im Wagen auf dem Weg nach Les Rouxelles.

Die Tatsache, dass er sich eine Woche freinahm, hatte im Team für Erstaunen gesorgt. Schließlich war er sonst immer vor Ort, immer ansprechbar.

Es war noch nicht mal zehn Uhr, die Sonne wärmte die Landschaft und im Radio lief Charles Aznavour. Die sanfte Stimme und die beschwingte Musik entspannten ihn, und das, obwohl Berufsverkehr herrschte. Viel mehr ging ihm das Herz auf, je weiter er sich von Nizza entfernte. Er hatte den Eindruck, je mehr er die Gedanken ans alte Restaurant losließ und sich auf sein zukünftiges Leben konzentrierte, umso mehr nahm er wahr.

Vögel am blauen Himmel.

Zuckerwattewolken.

Pinien, Eichen, Kiefern, Olivenbäume.

Weißdorn, Ginster, Zistrosen.

Es war ein Traum von einer Landschaft, die unter der flirrenden Sommersonne an ihm vorbeizufliegen schien.

Als er zweieinhalb Stunden später den Wagen auf dem Hof – genau genommen auf seinem Teil des Hofes – parkte, strahlte er über das ganze Gesicht.

Was für ein wunderbares Gebäude.

Der Architekt war bereits vor Ort und kam auf seinen Wagen zugeschlendert. Er hob schon beim Laufen den Daumen in die Luft.

„Ein sehr guter Kauf“, sagte er ohne Umschweife.

Maxime stieg aus und sie begannen damit, beide Gebäude zu begehen. Der Architekt hatte den Grundriss des Maklers und ein Lasermessgerät dabei, mit dem er die Räume vermaß, um erste Ideen zur Aufteilung zu entwickeln.

„Mir ist wichtig“, erklärte Maxime, als er sich im riesigen Erdgeschoss des Hauptgebäudes umsah, „dass einerseits die Grundsubstanz sichtbar und erhalten bleibt und andererseits das Alter des Gebäudes spürbar ist. Die Geschichte soll mit Respekt behandelt werden. Ich möchte bei Baumaßnahmen natürliche Baustoffe wie Holz, Lehmputz und Terracotta-Fliesen. Es ist wichtig, dass Materialien einfließen, die für diese Region typisch sind. Schon beim Hereinkommen soll deutlich werden, dass dies ein Ort ist, an dem die Natur, beziehungsweise natürliche Grundstoffe, der Maßstab aller Dinge ist.“

Der Architekt machte sich Notizen und wirkte interessiert.

„Aus diesem Grund wird es auch einen offenen Kochbereich geben“, fuhr Maxim fort. „Das ist das Besondere. Die Küche ist einsehbar und befindet sich im Gastraum.“

Nun kratzte sich der Architekt am Haaransatz. „Das ist ungewöhnlich.“

„Genau. Mir geht es nicht um Masse und Quantität, hier wird Qualität gelebt. Und das bedeutet, dass wir das Essen vor den Gästen zubereiten. Die Leute sollen sehen, wie der Koch alle Hände voll zu tun hat, sie sollen riechen, was in den Pfannen gewendet wird.“

„Das bedeutet, wir brauchen ein gutes Abluftsystem.“

„Ja, eins, das sehr leise läuft. Was ich gern gleich berücksichtigen möchte, ist Folgendes, im besten Fall, aber das ist der langfristige Plan, sollen sich die Gäste die Zutaten für die Zubereitung der Speisen hier frisch auswählen.“

„Dann werden große Kühlräume benötigt.“

„Exakt. Wir brauchen neben dem Trockenlager mehrere Kühlräume, also begehbare Kühlschränke und eine Kühlzelle mit Minusgraden. Unter dem Tresenbereich, der ja auch zur Küche gehört, muss es ebenfalls viele Kühlschränke geben, gern mit gläsernen Fronten. Große Ablageflächen, offene Regale und eine Geschirrküche, in der der Abwasch gemacht wird. Der Tresen, der den Küchenbereich zum Gastraum hin abgrenzt, wird u-förmig sein, ausgehend von der Geschirrküche.“

„Dort befinden sich dann Lager und Kühlräume, würde ich vorschlagen.“ Der Architekt wies mit dem Stift in den Hintergrund.

Maxime nickte. „Ich möchte, dass es ein außergewöhnliches Restaurant ist, aber es muss sofort erkennbar sein, dass es hier keine Haute Cuisine geben wird, obwohl Maxime Durand kocht. Es gibt nur echtes und gutes Essen, in ordentlichen Portionen. Wir werden keine große Auswahl haben, dafür eine sorgsam zusammengestellte Speisekarte, die von den Jahreszeiten und regional verfügbaren Produkten bestimmt wird.“

Sie verließen das Gebäude und standen im Hof.

„Im Innenhof könnten wir eine große Terrasse bauen, eventuell mit Überdachung, vielleicht eine elektronisch verstellbare Pergola. Was denken Sie?“, fragte der Architekt.

„Da bin ich mir noch nicht sicher, auch im Innenhof soll alles eher traditionell und gediegen wirken. Eine Pergola aus Holz wäre mir da lieber. Wichtig ist mir zudem eine optische Abgrenzung zur Nachbarin, um sie so wenig wie möglich zu stören. Dadurch sollen auch die Gäste erkennen, wo der Außenbereich des Restaurants endet.“

„Welches Budget haben wir denn zur Verfügung?“

Maxime sah Aline Vignaud über den Hof gehen. Sie schien genau zu wissen, wo sich die Grundstücksgrenze befand, denn sie blieb auf Abstand. Es wirkte befremdlich, als sie sich ihnen – aus mindestens sieben Metern Entfernung – zuwandte und ihn ansprach: „Im Übrigen, bevor Sie in die Detailplanung gehen, wollte ich Sie nur darüber informieren, dass ich beschlossen habe, einen Anwalt einzuschalten. Das Dorf unterstützt mein Anliegen. Wir wollen hier kein Promi-Restaurant und wir sind uns sicher, dass wir den Vertrag anfechten können.“

„Ihre Nachbarin?“, fragte der Architekt, ohne eine Miene zu verziehen.

„Allerdings“, antwortete Maxime leise und fragte dann lautstark: „Wer hat gesagt, dass es ein Promi-Restaurant wird? Es würde mich freuen, wenn Sie sich mein Konzept erst mal anschauten, bevor hier falsche Informationen in Umlauf kommen. Für die ich im Übrigen Sie verantwortlich machen werde, wenn dies der Fall sein sollte.“

Aline schnappte nach Luft, und Maxime war fast gerührt. Sie sah in ihrer Wut entzückend aus.

Der Architekt beugte sich vor. „Monsieur Durand, wollen Sie trotzdem mit den Planungen beginnen? Wenn Sie im Dorf einen schwierigen Stand haben, würde ich empfehlen, erst mal abzuwarten.“

Maxime sah an ihm vorbei und nickte seiner Nachbarin siegesgewiss zu. „Gnädigste, ich habe diesen Vertrag längst von unserem Team erfahrener Immobilienanwälte …“ Er betonte das Wort Team besonders deutlich. „… prüfen lassen. Der ist niet- und nagelfest.“

„Sehr gut.“ Der Architekt klang erleichtert.

Maxime verschwieg aus gutem Grund, dass er nichts dergleichen getan hatte, aber er war der Meinung, ein Bluff wäre erst mal sinnvoll, selbst wenn der den Architekten mit einbezog. Doch die Tatsache, dass sich hinter dieser Frau anscheinend das Dorf versammelte, beunruhigte ihn.

Er spürte, wie sich sein...

Autor

Nina Milne
<p>Nina Milne hat schon immer davon geträumt, für Harlequin zu schreiben – seit sie als Kind Bibliothekarin spielte mit den Stapeln von Harlequin-Liebesromanen, die ihrer Mutter gehörten. Auf dem Weg zu diesem Traumziel erlangte Nina einen Abschluss im Studium der englischen Sprache und Literatur, einen Helden ganz für sich allein,...
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Teresa Carpenter
<p>Teresa Carpenters Familie lebt seit fünf Generationen in Kalifornien. Auch sie selbst wohnt dort: in San Diego an der Küste. Teresas große Verwandtschaft unterstützt sie in allem und gibt ihr Kraft. Besonders stolz macht es sie, ihre Nichten und Neffen zu beobachten, die allesamt klug, sportlich und für eine strahlende...
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