Romana Extra Band 31

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HERZKLOPFEN IN ANDALUSIEN von BLOOM, BELLA
Rache schmeckt verführerisch süß, findet Starkoch Alejandro: Weil Journalistin Kathy öffentlich sein Menü kritisiert hat, verpflichtet er sie als Praktikantin für sein Restaurant in Sevilla. Natürlich nur, um sie eiskalt bloßzustellen! Doch dann brodelt zwischen ihnen heiße Leidenschaft …

MANEGE FREI FÜR DAS GLÜCK von LENNOX, MARION
Allie sollte Matt Bond hassen! Schließlich hat der Banker gedroht, ihren geliebten Zirkus zu schließen. Aber als er spontan für den kranken Zirkusdirektor einspringt, fühlt die junge Artistin sich ungewollt zu ihm hingezogen. Ist Matt doch nicht so skrupellos, wie sie gedacht hat?

EIN BLICK SO VOLLER SEHNSUCHT von CARPENTER, TERESA
Beim Blick in Prinz Julians Augen schlägt Katrinas Herz höher. Dabei soll sie sich um seinen kleinen Neffen kümmern - nicht sich nach Julians Küssen verzehren! Sie fürchtet, dass er ihr Geheimnis entdeckt, wenn sie ihm zu nahe kommt. Und dann verstößt er sie bestimmt aus dem Palast!

SOMMERTAGE DER VERSUCHUNG von ROSZEL, RENEE
Prickelnde Begegnung am Golf von Mexiko: Jennifer fasziniert Cole wie keine Frau zuvor. Leider ignoriert die Karrierefrau die Anziehung zwischen ihnen und sucht beharrlich einen Kandidaten für eine Vernunftehe. Wie kann Cole sie überzeugen, sich ganz romantisch zu verlieben? In ihn!


  • Erscheinungstag 14.07.2015
  • Bandnummer 31
  • ISBN / Artikelnummer 9783733742447
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Bella Bloom, Marion Lennox, Teresa Carpenter, Renee Roszel

ROMANA EXTRA BAND 31

BELLA BLOOM

Herzklopfen in Andalusien

Alejandro Severino kocht nicht mit dem Herzen, da ist sich Kathy sicher. Noch ahnt die junge Restaurantkritikerin nicht, dass ausgerechnet ihre Liebe die Zutat sein könnte, die dem Starkoch fehlt …

MARION LENNOX

Manege frei für das Glück

Allies sexy Glitzertrikot ist schuld! Anders kann der Banker Matt Bond sich nicht erklären, warum er spontan bereit ist, im Zirkus der reizenden Artistin auszuhelfen. Eigentlich soll er ihn schließen …

TERESA CARPENTER

Ein Blick so voller Sehnsucht

Prinz Julians Junggesellenleben steht Kopf, seit er für seinen Neffen sorgen muss. Denn mit dem kleinen Sammy ist auch dessen Nanny Katrina in seinen Palast gezogen. Und sie ist ungeahnt verführerisch …

RENEE ROSZEL

Sommertage der Versuchung

Sofort sprühen sinnliche Funken, als Jennifer dem aufregenden Cole Noone begegnet. Doch sie sucht keinen heißblütigen Liebhaber, sondern einen vernünftigen Mann für eine Zweckehe …

1. KAPITEL

„Und, Kathy? Wer kriegt heute was auf den Deckel?“, frotzelte Peter Miller, der Sportredakteur, mit dem Kathy sich übergangsweise das Büro teilte, während er gut gelaunt die frisch gedruckte Sunday Times aufschlug. Schon hatte er ihre Food-Kolumne gefunden.

Ihre gefürchtete Food-Kolumne. Sie erschien nun bereits seit drei Jahren jeden Sonntag unter dem Titel Nachschlag und hatte in dieser Zeit schon so einige Köche zum Kochen gebracht.

Um es in Kathys Sprache auszudrücken.

Doch man konnte es nun mal nicht jedem recht machen: So sehr die Köche und Restaurantbesitzer es fürchteten, von ihr buchstäblich etwas hinter die Löffel zu bekommen, liebten ihre Leserinnen und Leser ihre wöchentliche Portion Kathy Cayenne. Der scharfe Nachname, den sie sich als Pseudonym für ihre Kolumne ausgedacht hatte, hatte es bereits zu reichlich Ruhm und Anerkennung gebracht.

Und dass sie eigentlich Kathy Jones hieß, musste ja niemand wissen.

„Pete, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest: Ich arbeite als Restaurantkritikerin für diese Zeitung. Und das Wort Restaurantkritikerin an sich sagt ja eigentlich schon, dass ich nicht nur loben kann, sondern auch manchmal kritisieren muss, wenn mir etwas nicht schmeckt.“

Doch ihr Kollege war bereits tief in die Lektüre versunken. „Ist das dieses Restaurant in Sevilla, wo du vorletzte Woche warst?“

Kathy nickte.

„Deinen Job möchte ich haben.“ Er seufzte, während er gleichzeitig seine Nase in die Zeitung steckte. „Um die Welt reisen, auf Geschäftskosten in den besten Restaurants dinieren und sich hinterher noch beschweren!“

Im Grunde hatte er recht. Genau deshalb hatte sie sich den Job ja ausgesucht. Auch wenn sie lieber lobte als meckerte. Damit es nicht überhandnahm, ging sie jeden Dezember all ihre Kritiken des zurückliegenden Jahres noch einmal durch. Im Schnitt kam sie dabei auf sechzig Prozent Lob und vierzig Prozent Kritik, was sie nicht übertrieben fand.

„Du schreibst doch auch nicht immer nur das Beste über deine geliebten Fußballspieler“, konterte sie.

„Das stimmt … aber außer einer Eintrittskarte fürs Stadion bekomme ich dafür ja auch nichts …“

„Abgesehen von deinem Gehalt …“, stellte Kathy richtig.

Doch Peter setzte bereits an, um das zu machen, was er jede Woche tat: ihr laut aus ihrer eigenen Kolumne vorzulesen: „Ein meisterhafter Koch unterscheidet sich im Grunde kaum von einem meisterhaften Schriftsteller: Die von ihm erschaffenen Aromen müssen sich nacheinander, perfekt aufeinander abgestimmt, entfalten – wie die Kapitel in einem Buch“, begann er. „Gelingt das nicht, kann man die ganze Geschichte vergessen. Alejandro Severino ist gewiss kein schlechter Koch, aber vielleicht sollte er sich mehr auf sein wunderschön gelegenes Restaurant am Rande von Sevilla konzentrieren als auf seine Fertiggerichte, die rund um den Globus in jeder Tiefkühltruhe zu finden sind und ihn zu einem reichen Mann gemacht haben. Möglicherweise kommt mir sein hochgelobtes Degustationsmenü deshalb ein wenig unterkühlt vor. Weil er eine wichtige Zutat vergessen hat, ohne die kein Meisterkoch auskommt: Herz.“

Peter sah von dem Text auf, um sie anzublicken, als hätte sie einen schlimmen Fehler begangen. Einen sehr schlimmen.

„Oh oh …“, sagte er. „Hat dieser Severino nicht sogar zwei Michelin-Sterne?“

Ja, die hatte er. Aber deshalb konnte sie doch nicht vor ihm auf die Knie gehen und alles in den Himmel loben, was er produzierte. Wer nach den Sternen griff, musste darauf vorbereitet sein, sich auch mal die Finger zu verbrennen, wenn er nicht gut genug aufpasste. Denn genau dafür waren die Sterne ja da: für Küchenchefs, die hoch hinauswollten. Und denen auch in der Hitze des Gefechts keine Fehler unterliefen.

„Ich mache nur meinen Job“, verteidigte sie sich. „Dafür muss ich mich bei niemandem einschmeicheln, nicht mal bei Señor Severino, oder? Und mein Verlobter ist er schließlich auch nicht.“

Peter legte den Kopf schief. „Tja, das stimmt allerdings – und nach dieser Kritik wird er es wohl auch nie werden“, mutmaßte er mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

„Haha, sehr witzig!“, erwiderte Kathy genervt und rauschte aus dem Büro, um sich vor der Redaktionskonferenz, die in zehn Minuten auf der Agenda stand, schnell noch einen Kaffee aus der Cafeteria zu holen.

Wo sie sich bereits das zweite Mal an diesem noch jungen Sonntagmorgen genötigt sah, sich und ihre Arbeitseinstellung zu verteidigen.

„Was machst du denn hier?“, fragte Lucy, die als Redaktionsassistentin bei der Zeitung arbeitete und den gleichen Gedanken gehabt hatte wie sie. Nur dass sie lieber viel Milch und Zucker in ihren Kaffee rührte. Kathy hingegen bevorzugte ihn schwarz wie die Nacht. So wie den eleganten Kleidungsstil, den sie pflegte – am liebsten Armani. Kein Designer arbeitete so viel mit Schwarz wie er.

„Ich arbeite, wieso?“, fragte Kathy zurück.

„Aber ist heute nicht dein freier Tag?“

Ja, es stimmte. Lucy hatte den Termin- und Urlaubskalender ihrer Redaktion gut im Kopf. Es war Sonntagmorgen und normalerweise hatte sie sonntags und montags frei, denn am Samstagabend, kurz bevor die Sunday Times in Druck ging, war ihre Arbeit getan. Das Problem war: Kathy hasste Sonntage. Die Montage gingen, die kriegte sie irgendwie rum. Durch schicke Boutiquen bummelnd, während alle anderen in ihren Büros saßen. Die Sonntage jedoch erinnerten sie nur daran, dass sie allein war – während Paare und Familien die Parks und Cafés der Stadt fluteten. Wie deprimierend!

„Ach, weißt du, ich habe derzeit so viel zu tun, ohne Sonderschichten ist das einfach nicht machbar“, erfand sie schnell eine plausible Antwort.

„Du Arme!“, erwiderte Lucy und blickte sie so traurig an, als hätte sie soeben erfahren, dass Kathys Hund gestorben sei. Der Hund, der selbstverständlich nicht existierte. Um dann zielsicher ihren wunden Punkt anzusteuern: „Also ich wäre jetzt lieber zu Hause bei Simon. Vor allem bei dem schönen Wetter. Wann gibt es das schon mal in London?“ Sie seufzte.

Es stimmte: Kein Wölkchen trübte an diesem milden Septembermorgen den Himmel. Was alles nur noch schlimmer machte. Seit Matt sie verlassen hatte, bevorzugte Kathy eindeutig Regentage. Es war gerade erst ein halbes Jahr her, dass er nach Australien gegangen war. Anfangs hatten sie sich noch geschrieben und miteinander telefoniert. Aber nach kurzer Zeit war es so gekommen, wie es kommen musste: Er hatte eine andere kennengelernt. Abbie – blond und blauäugig. Also das genaue Gegenteil von ihr. Kathy mochte ihr zimtbraunes Haar und ihre honigbraunen Augen, und Matt hatte ihr all die Jahre erzählt, dass sie genau sein Typ sei. Und nun, kaum hatte er seinen neuen Job als Sous-Chef in einem angesagten Restaurant in Melbourne angetreten, verließ er sie für irgendeine dahergelaufene Kellnerin mit einem süßen Zuckerschnütchen.

Nun, dass es mit ihr und Matt kein gutes Ende nehmen würde, war im Grunde bereits an dem Tag klar gewesen, an dem er sich für das Jobangebot entschieden hatte. Denn Kathys Leben fand in London statt, und wie es Peter aus der Sportredaktion bereits auf den Punkt gebracht hatte: Die meisten ihrer Kollegen und Kolleginnen würden ihre eigene Großmutter umbringen für einen Job wie ihren. Der sie in die besten Restaurants der Welt brachte. Nur nach Australien kam sie leider höchst selten, nicht mehr als einmal im Jahr jedenfalls.

Aber was sollte das ganze Gejammer? Seit es aus war mit Matt, hatte sie wenigstens keine Gewissensbisse mehr, wenn sie an Tagen arbeitete, an denen er frei hatte. Schon als sie noch zusammen waren, hatten sie kaum Zeit gehabt für ein Picknick im Park oder das, was andere Paare eben an ihren Wochenenden oder freien Tagen taten – denn sowohl sie als auch er waren Workaholics. Und diese besondere Spezies hatte nun mal so einiges auf dem Schirm, aber eines ganz bestimmt nicht: ein Privatleben.

„Dann bis gleich in der Konferenz“, verabschiedete sich Kathy hastig, mit einem heißen Pappbecher in der Hand, randvoll gefüllt mit flüssigem schwarzem Gold, das stark genug duftete, um sie mindestens bis Mittag wachzuhalten.

„Ja, bis gleich!“, rief Lucy ihr hinterher, aber Kathy war bereits hinaus in den Flur getreten, um von dort aus schnell noch in die Toilette zu huschen, wo sie vor dem Spiegel ihr Aussehen überprüfte: Ja, alles passte. Das schwarze Kostüm harmonierte gut mit ihren schulterlangen seidig glänzenden Haaren. Ihre Augen waren ein bisschen müde – oder waren sie traurig? –, aber auf so etwas achtete ohnehin niemand in der Redaktionskonferenz. Jeder versuchte nur, seine Themen durchzudrücken – und dann schnell wieder raus. Passend zu ihrem eleganten Aufzug trug sie hochhackige High Heels, die sie ein wenig schlanker und größer erscheinen ließen, als es die gut einen Meter sechzig hergaben, die sie tatsächlich maß. Wie auch immer: Im Großen und Ganzen konnte sie mit ihrem Aussehen zufrieden sein. Vielleicht konnte sie nicht mit einer blonden und blauäugigen zwanzigjährigen Kellnerin mithalten – aber verstecken musste sie sich ganz gewiss nicht.

Das Selbstbewusstsein aufgefrischt und den Kaffeebecher in der Hand verließ sie den Waschraum, um schnurstracks in Richtung Konferenzraum zu marschieren, wo sie die ersten Kollegen bereits erwarteten.

„Guten Morgen allerseits“, begrüßte wenig später der Chefredakteur Alistair Brown sein versammeltes Team. Kathy beschloss, ein wenig vor sich hin zu dösen und nur mit einem Ohr zuzuhören, denn zuerst waren ohnehin traditionell die Bereiche Politik und Wirtschaft dran, danach kamen Sport und Kultur, und erst zuallerletzt das Gesellschaftsressort, in das ihre Kolumne fiel.

„Und, Miss Jones, schon eine Idee, was nächste Woche auf Ihrem Speiseplan steht?“, fragte Alistair Brown schließlich etwa eine Stunde später, die Konferenz ging bereits auf ihr Ende zu.

Kathy setzte sich augenblicklich kerzengerade in ihrem Lederstuhl auf, in dem sie es sich die vergangenen sechzig Minuten halbwegs gemütlich gemacht hatte.

„Paris“, sagte sie. „Eigentlich wäre es Zeit für mein halbjährliches Streiflicht der Pariser Restaurantszene. Es sind drei neue Anwärter hinzugekommen, die ich gerne einmal genauer unter die Lupe nehmen würde.“

„Hm“, erwiderte ihr Chefredakteur. „Paris klingt ein wenig langweilig, finde ich. Zu konservativ. Ihre heutige Kolumne hingegen hat mir sehr gut gefallen – auch wenn Sie dem guten … wie hieß der Chef gleich noch mal …?“

„Alejandro Severino“, antwortete Kathy wie aus der Pistole geschossen.

„Genau, auch wenn Sie Señor Severino damit ziemlich in die Suppe gespuckt haben“, fuhr er mit einem kleinen Lächeln fort. „Aber das ist genau das, was unsere Leser wollen. Und Sevilla ist darüber hinaus mal was anderes als das ewig gleiche Paris, oder? Das muss doch selbst den eingefleischtesten Gourmets irgendwann mal zum Hals raushängen.“

Kathy schluckte. Paris – zum Hals raushängen?

„Nun, aber Paris ist nun mal das Mekka der Haute Cuisine!“, widersprach sie ihm. „Wenn Sie nicht möchten, dass ich über Paris schreibe, können Sie genauso gut einem Pfarrer empfehlen, das Wort Himmel aus seiner Predigt zu streichen.“

Damit hatte sie die Lacher auf ihrer Seite.

Zum ersten Mal seit … Kathy konnte sich nicht erinnern, seit wann. Ja, sie konnte lustig sein! Charmant. Frech. Wieso hielten sie nur alle für eine introvertierte depressive Intellektuelle? Ehrlich: Sie wurde aus den Menschen nicht schlau.

Alistair Brown schaute überrascht von seinen Notizen auf. „Also gut“, willigte er ein. „So betrachtet gebe ich Ihnen recht. Dann machen Sie sich meinetwegen auf nach Paris. Amen“, beendete er die Redaktionskonferenz.

Erneutes Gelächter erfüllte den Raum, bevor die ganze Redaktion auseinanderstob, zurück an die Arbeitsplätze.

Das elektrische Licht der Straßenlaternen und Autoscheinwerfer auf der Straße weit unter ihrem verglasten Großstadtbüro mitten in London hatte das Tageslicht bereits abgelöst, als Lucy ihren Kopf zu Kathy hereinsteckte.

„Der Chef will dich sehen“, teilte sie ihr mit unheilvollem Blick mit. „Unter vier Augen.“

Der Chef wollte sie sehen? Unter vier Augen? Lucy hatte kaum ausgesprochen, schon ging Kathys Puls deutlich nach oben. Solche Eins-zu-eins-Meetings waren bei der Times eher selten. Wenn sie anberaumt wurden, dann ging es meistens um Kündigungen oder Gehaltserhöhungen. Eine Gehaltserhöhung hatte sie kürzlich erst bekommen, von daher war es kein Wunder, dass sich ein feiner Schweißfilm auf Kathys Stirn bildete. Die dritte Möglichkeit waren außergewöhnliche Vorkommnisse …

Sie betete, dass es sich darum handelte, als sie kurz darauf das Allerheiligste betrat – das Büro des Chefredakteurs.

Alistair Brown saß in seinem gepolsterten Designersessel hinter einem mächtigen gläsernen Schreibtisch und blickte hinaus in die Nacht. Er hatte Kathy den Rücken zugewandt, aber sie wusste, dass er auch im Hinterkopf Augen hatte. Alle in der Redaktion wussten es.

„Setzen Sie sich, Jones“, forderte er sie auf und bestätigte damit ihre Theorie. Langsam drehte er sich zu ihr um.

In seiner Hand hielt er ein weißes Blatt Papier.

„Dieses Fax ist vor einer halben Stunde in der Leserbrief-Redaktion eingetroffen“, teilte er ihr kurz und knapp mit und reichte ihr den Zettel über den Schreibtisch hinweg. Kathy zögerte einen Moment, ihn zu ergreifen.

„Nun kommen Sie schon, Jones. Ich werde Sie schon nicht zwingen, den Brief aufzuessen.“

Mit spitzen Fingern, als wäre das Papier mit einer giftigen Tinktur versehen, nahm sie ihm das Fax aus der Hand.

„Und nun lesen Sie bitte vor! Laut!“, forderte er sie auf.

Für einen Moment verschwammen die Buchstaben vor Kathys Augen. Nur eines konnte sie klar erkennen. Den Absender des Faxes.

Alejandro Severino.

Der Koch aus Sevilla, dem sie in die Suppe gespuckt hatte, wie ihr Chefredakteur es heute Morgen in wenigen Worten perfekt auf den Punkt gebracht hatte.

„Sehr geehrte Kathy Cayenne“, las sie wie befohlen. Das Wort Cayenne hatte er in Anführungszeichen gesetzt, als wolle er sich über sie lustig machen.

„Weiter!“ Alistair Brown wedelte ungeduldig mit der Hand.

Kathy schluckte nervös, bevor sie einen neuen Anlauf nahm. „Also, er schreibt …“, fuhr sie fort, „Sie mögen vielleicht wissen, wie sich das Wort Herz schreibt, aber das heißt noch lange nicht, dass Sie selbst auch eines besitzen. Im Gegensatz zu jedem Spitzenkoch auf der Welt – denn für uns alle gilt dieselbe goldene Regel, die wir eisern befolgen: Wer ohne Herz kocht, holt keinen Stern vom Himmel. Und meine zwei Sterne sind mir keineswegs in den Schoß gefallen, das dürfen Sie mir getrost glauben. Ich kann Ihre missglückte Buchstabensuppe einzig und allein auf Ihre niedere Herkunft in puncto Cuisine zurückführen: Es existiert eine spanische Cuisine, eine italienische, eine französische, ja sogar eine japanische – aber von einer englischen Cuisine hat noch nie jemand auf der Welt etwas gehört. Es sei denn, Sie bezeichnen Roastbeef in Dosen als Cuisine.“

Das letzte Wort war erneut in Anführungszeichen gesetzt.

„Und genauso geschmacklos wie Ihr englisches Nationalgericht ist leider auch Ihre Food-Kolumne in der Sunday Times, die ich heute Morgen über mich und mein Restaurant lesen durfte. Zusammengefasst: Ich wette, dass Sie persönlich noch nicht einmal in der Lage sind, ein einfaches Omelett zuzubereiten, das zumindest so anständig schmeckt, dass Sie bei mir ein Praktikum machen dürften! Ein Gruß aus der Küche, Ihr Alejandro Severino.“

Kathy legte den Zettel auf die gläserne Platte des riesigen Schreibtisches, der sie von ihrem Chefredakteur trennte.

„Und nun wollen Sie mir eine Predigt halten?“, fragte sie ihn unsicher.

Doch er schüttelte nur den Kopf. „Eine Predigt? Ich dachte, das hätten Sie heute Morgen schon getan!“ Er zwinkerte ihr zu.

Kathy atmete auf, so schlimm konnte es also nicht sein.

„Nein, Unsinn“, fuhr er fort. „Es ist die Aufgabe einer Journalistin, ihre ehrliche Meinung zu äußern – auch wenn sie damit hin und wieder jemandem auf die Füße tritt.“

Gott sei Dank!

„Aber was ist es dann?“, fragte sie.

„Nun …“ Er lehnte sich genüsslich in seinem Sessel zurück. „Mir geht Señor Severinos Idee mit dem Praktikum nicht aus dem Kopf …“

Nein! Das konnte nicht sein. Entweder hatte sie sich verhört oder aber er scherzte.

„Wie bitte?“

„Ich finde nämlich, das ist eine brillante Idee!“, machte Alistair Brown ihre Hoffnungen zunichte, dass es sich um einen Scherz handelte oder sie einen Termin beim Ohrenarzt buchen musste. „Wir schicken Sie ein zweites Mal nach Sevilla, wo Sie Alejandro Severino in seiner Sterne-Restaurantküche persönlich ein Omelett zubereiten und sich damit um ein Praktikum bei ihm bewerben. Natürlich nur für zwei oder drei Tage, nicht länger, keine Sorge – wir brauchen Sie ja weiterhin hier in London! Basiswissen sammeln sozusagen. Das heißt, falls er Sie überhaupt als Praktikantin annimmt. Ich habe ja keine Ahnung, ob Sie so gut kochen, wie Sie schreiben, Verehrteste!“

Er schmunzelte kurz vergnügt in sich hinein, bevor er mit seiner Ansprache fortfuhr: „Und hinterher schreiben Sie über all das in Ihrer Kolumne – also so was würde ich lesen!“

Kathy starrte ihn fassungslos an. „Aber … Paris …?“

„Ich bitte Sie, Jones! Die Sevilla-Geschichte ist doch tausendmal interessanter! Paris können Sie danach immer noch machen.“

Das war ihr auch klar. Ihr war nur auf die Schnelle kein anderer Grund eingefallen, warum sie nicht nach Sevilla fliegen konnte.

Denn das war demütigend. Alejandro Severino würde sie vor seinem versammelten Team erniedrigen, während sie ihm … ein Omelett zubereitete … Kathy hoffte inständig, dass sie all das nur träumte. Und aus diesem Albtraum gleich erwachen würde.

„Prima, dann ist ja alles geklärt!“, ließ ihr Chefredakteur auch diese Option ausscheiden, während er sich erhob, um sie zu verabschieden. „Morgen haben Sie ja noch frei, also lassen Sie sich von Lucy einen Flug für Dienstag buchen, ja? Dann haben Sie genug Stoff für Ihre Kolumne am nächsten Sonntag!“

Eine Minute später saß Kathy an ihrem Schreibtisch und starrte mit glasigem Blick hinaus in die Dunkelheit.

„Alles klar?“, fragte ihr Kollege aus dem Sport fast ein bisschen besorgt, während er seine Tasche packte, um nach Hause zu gehen, wo an diesem sternenklaren Sonntagabend Frau und Kinder auf ihn warteten. Wahrscheinlich würden sie noch im Garten grillen. Es war September, aber fast noch so mild wie im Hochsommer. Die Londoner wussten das auszunutzen. Sie pressten traditionell jeden Sonnenstrahl aus dem Tag wie ein Entsafter jeden Tropfen Flüssigkeit aus einer Orange oder einer Zitrone.

„Nein, nichts ist klar“, erwiderte Kathy, ohne ihn auch nur anzublicken.

„Nun, dann … also … viel Spaß …“, erwiderte er irritiert und machte sich davon.

Tja, so waren sie nun mal, die Sportredakteure. Sobald Themen auf den Tisch kamen, die schwerer wogen als eine Abseitsstellung oder die Frage, ob es ein Elfmeter oder Eckball war, waren sie aus dem Spiel.

Kathy schickte einen schweren Seufzer hinaus in die Nacht. Hoffend, dass dort draußen irgendjemand wäre – Gott oder sonst jemand –, der ihr jetzt noch helfen konnte.

2. KAPITEL

Alejandro war durchaus klar, dass diese … Person … sein Fax wahrscheinlich nie persönlich zu Gesicht bekommen würde, sondern vermutlich irgend so eine Leserbrieftante. Trotzdem: Er fühlte sich wesentlich besser, nachdem er es verschickt hatte. Kathy Cayenne – einfach zum Lachen, dieses Pseudonym. Im Grunde war ihre Kritik die ganze Aufregung nicht wert. Und doch: Alejandro war schlicht und einfach nicht der Typ, der auch noch seine linke Wange hinhielt, nachdem man ihm eine auf die Rechte verpasst hatte.

Nicht mehr jedenfalls, dafür hatte er zu viel Erfahrung im Leben gesammelt. Menschen im Allgemeinen – und Frauen im Speziellen – hatten ihn und seine Gutherzigkeit zu oft schamlos ausgenutzt. Sofort schlich sich der Gedanke an Lisa in sein Herz. Ein Gedanke, den er augenblicklich verscheuchte. Denn er schmerzte immer noch, dabei lag all das bereits Jahre zurück. Diese … Verräterin! Gingen eigentlich alle Frauen über Leichen, oder gab es auch ein paar, in deren Brust ein Herz schlug?

Nicht mit dem Herzen gekocht!

Sofort flogen seine Gedanken zurück zu der Kritik, die er an diesem Morgen nichtsahnend zum Frühstück hatte verdauen müssen, in seinem Lieblingscafé in Sevilla sitzend, unter einem strahlend blauen Himmel, wo er wie jeden Sonntagmorgen die internationale Presse studierte. Man musste schließlich wissen, was in der Welt vor sich ging. Auch wenn man dabei zwangsläufig manchmal Dinge erfuhr, die man lieber nicht erfahren hätte …

Alejandro konnte sich beim besten Willen nicht entscheiden, wen er in diesem Moment mehr hasste: Lisa, seine Ex, die vor fünf Jahren kurz nach der Eröffnung des Restaurants quasi über Nacht mit seinem Sous-Chef Enrique und fast dem gesamten Team durchgebrannt war, um ihr eigenes Restaurant in Madrid zu eröffnen, was ihn fast in den Ruin getrieben hätte – oder diese Möchtegern-Restaurantkritikerin. Wie auch immer: Frauen wie sie hatten ihn gezwungen, sein gutes Herz in den Ruhestand zu schicken und zum Gegenschlag auszuholen. Nicht aus Kriegslust, sondern aus purer Selbstverteidigung.

Und ehrlich gesagt: Es bereitete ihm mittlerweile ein geradezu teuflisches Vergnügen. Heute Nacht würde er davon träumen, wie Kathy Cayenne aufgrund seines Faxes ins Büro des Chefredakteurs bestellt und von ihm auf die Straße gesetzt wurde. Ja, er sah sie bereits vor sich, wie sie bis auf die Haut durchnässt im Londoner Regen um Almosen bettelte. Das hatte sie davon, andere Menschen zu beleidigen: ihren wohlverdienten Lohn.

„Wach auf, Alejandro!“, holte er sich selbst zurück aus seinen süßen Racheträumen, während er sich erneut von dem 86er Vega Sicilia einschenkte, den er sich an diesem Abend genehmigte. Die Flasche kostete ihn dreihundert Euro. Im Einkauf. Aber an Tagen wie diesen, wenn er sich außergewöhnlich aufgeregt hatte, oder auch an guten Tagen, die außergewöhnlich glücklich verlaufen waren, gönnte er sich diesen Luxus. Warum auch nicht? Er konnte es sich leisten. Seine Kochkünste – und insbesondere die Tiefkühlprodukte unter seinem Namen, die in Supermärkten rund um den Globus zu finden waren – hatten ihn zu einem reichen Mann gemacht.

Er musste weiß Gott nicht auf jeden Cent schauen. Diese Kathy Cayenne hatte ihm sein Frühstück verdorben, doch den Abend würde sie ihm nicht ruinieren. Am Sonntag und Montag war das Restaurant geschlossen, von daher machte es nichts, sollte er morgen früh mit einem dicken Schädel aufwachen, falls es nicht bei ein paar Gläsern bleiben sollte. Und momentan sah es nicht danach aus: Er verspürte das dringende Bedürfnis, sich an diesem Abend einen über den Durst zu genehmigen. Auch wenn es ein Zeichen von Schwäche war, das war ihm durchaus klar. Denn wahre Bösewichte mussten sich nicht betrinken, um andere Bösewichte zu ertragen.

Nein, es reichte ihnen aus, sich an ihrer eigenen Bosheit zu berauschen.

Von daher musste er noch einiges dazulernen, wenn er wirklich ein wahres Ekel werden wollte. Und genau das hatte er vor.

Nicht, dass ein Missverständnis aufkam: Menschen, die er liebte und die ihn gut behandelten – gute Menschen –, behandelte er nach wie vor so, wie sie es verdienten. Aber die schlechten eben auch.

Hier, im heißblütigen Sevilla, waren die Menschen anscheinend anders als im kühlen Schweden, wo er Lisa kennengelernt hatte, oder im verregneten England, wo Kathy Cayenne zu Hause war. Sie begegneten einander mit Respekt und Liebe. Und ihn, der aus der kleinen Bar seiner Eltern am Rande der Stadt einen Tempel der internationalen Haute Cuisine gemacht hatte, weil er die Ärmel hochgekrempelt und sein Talent sinnvoll eingesetzt hatte, behandelten sie fast wie einen Gott.

Oder wie Antonio Banderas, der genau wie er aus Andalusien stammte und es zu einem Hollywoodstar gebracht hatte. Ein Hollywoodstar, den er zu seinen Stammgästen zählte.

Sie waren einander durchaus ähnlich: kernig, männlich, aber gleichzeitig mit einem feinen Gespür für echte Gefühle. Auch optisch traf das zu: Nicht wenige hielten ihn für den jüngeren Bruder des Schauspielers und das nicht in erster Linie wegen seines markanten Gesichtsschnitts oder seines vollen Haars, das von der Farbe eines starken spanischen Café Americano war – schwarz wie die Nacht. Nein, sie sagten, es wären seine warmen, kakaobraunen Augen, die ihn ausmachten.

Genau wie bei Antonio.

Wärme – ein Wort, das auf Kathy Cayenne ganz bestimmt nicht zutraf. Alejandro war sich ziemlich sicher, zu wissen, wer sie war. Vorige Woche hatte eine junge, zart gebaute Engländerin allein und verloren an einem der Tische gesessen. Er hatte sie aus dem Augenwinkel beobachtet. Ihm war sofort klar gewesen, dass sie nur eine Kritikerin sein konnte, denn wenn jemand allein bei ihm speiste, dann nur Männer. Meistens solche, die sich ein wenig Freude leisten und über irgendwelche enttäuschenden Frauengeschichten hinwegkommen wollten. Alleinstehende Frauen hingegen gönnten sich einen solchen Einhundert-Euro-Ausflug zur Erbauung ihrer Sinne und ihrer Seele nur höchst selten. Es sei denn, sie taten es beruflich. Da er ständig Kritiker im Haus hatte, hatte er nicht weiter auf sie geachtet. Denn normalerweise gab es nur eine Reaktion auf seine Kochkunst: Lobeshymnen.

Doch diese Kathy war anders. Sie war ihm gleich verdächtig vorgekommen. Nicht, dass sie unattraktiv war – im Gegenteil. Aber sie war bis oben hin zugeknöpft gewesen in ihrem eleganten schwarzen Businesskostüm. Verklemmt bis zum Anschlag, hatte sein erstes Urteil gelautet. Eine wahre Rollkragennatur, mit der sich kein Mann ungestraft einließ.

Nun, jedenfalls wenn er richtig getippt hatte und diese Frau, die ihm gleich bei ihrem ersten Aufeinandertreffen gehörig in die Suppe gespuckt hatte, tatsächlich Kathy Cayenne gewesen war.

Und wenn schon – von nun an würde er keinen Gedanken mehr an diese Person verschwenden.

„Kaufen Sie zwei Matratzen statt einer und wir schenken Ihnen eine dritte dazu“, bot ihm die adrette Blondine aus dem Teleshopping-Kanal an, der im Hintergrund geflimmert hatte, während er die unappetitliche Geschichte in der Sunday Times, – die er von heute an nie wieder lesen würde! –, gedanklich verarbeitete.

„Nein, danke!“, winkte er ab und schaltete um in ein anderes Programm. Er brauchte weder zwei Matratzen noch drei. Sondern nur eine einzige: Für sich selbst ganz allein und niemanden sonst.

Als Alejandro am nächsten Morgen aufwachte, war sein Ärger nahezu verraucht. Er hatte geschlafen wie ein Baby. Mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, dass es fast elf war. Seit er das Restaurant führte, blieb er an seinen freien Tagen grundsätzlich so lange wie nur möglich in den Federn, denn seine Arbeitsnächte endeten nicht vor Mitternacht – aber elf Uhr markierte selbst für ihn einen neuen Rekord, denn obwohl er schon seit Jahren Single und nur noch mit seiner Arbeit verheiratet war, hatte er sich nie wirklich daran gewöhnt, alleine zu schlafen.

Doch jetzt musste er sich sputen. Denn er war mit der einzigen Frau verabredet, die er noch an sich heranließ: Antonia – seine kleine Schwester von achtundzwanzig Jahren und gleichzeitig seine Innenarchitektin in Personalunion. Sie war anders als die meisten Frauen, die er kannte: herzlich, humorvoll, hemdsärmelig – und ehrlich. Also eher ein Mann im Körper einer Frau. Ein Kompliment, das sie jedes Mal mit einem erfrischenden Lachen aufnahm, um ihm dann in gespielter Empörung eine kleine Backpfeife zu verpassen. Wie auch immer: Um zwölf waren sie in Ricardos Bar an der Plaza verabredet. Zu einem Brunch mit Arbeitsmeeting. Ricardo servierte typische andalusische Tapas, herzhafte spanische Hausmannskost – was Alejandro als willkommene Abwechslung zu seiner durchaus ein wenig dekadenten Sterneküche empfand. Als er nach einer kalten Dusche in seinem Freizeitlook – Jeans und einem weißen T-Shirt – dort eintraf, erwartete Antonia ihn bereits.

Sie stand auf, um ihn zu begrüßen und auf beide Wangen zu küssen.

„Wie geht’s meinem Lieblings-Macho-Bruder?“, fragte sie augenzwinkernd.

„Es geht ihm hervorragend“, erwiderte Alejandro. „Erst gestern hat er seinem Ruf wieder alle Ehre gemacht.“

„Wirklich?“, fragte sie neugierig. „Was ist passiert?“

„Ach, gar nichts“, wischte er die Sache beiseite. Er wollte den Fall nicht erneut aufwärmen, auch wenn er noch nicht ganz damit abgeschlossen hatte. „Wie kommen die Einrichtungspläne voran?“, fragte er sie stattdessen neugierig.

„Sehr gut!“, sagte sie und breitete jede Menge Papier und Fotos vor seinen Augen auf dem Tisch aus. Wie gesagt: Sie war seine Innenarchitektin. Und momentan stand der Südflügel auf dem Plan. Viele Menschen lebten außerhalb der Stadt und fuhren zum Arbeiten ins Zentrum. Bei Alejandro war es umgekehrt: Sein Restaurant lag am Rande Sevillas, etwa zwanzig Minuten auswärts – aber sein Zuhause befand sich mitten im Herzen der andalusischen Metropole. Er hatte gerade seine erste Million gemacht – mit fünfunddreißig, nach einem raketenhaften Aufstieg aus dem Nichts –, als er sich Hals über Kopf in den prächtigen Stadtpalast aus dem siebzehnten Jahrhundert verliebte, in dem er jetzt wohnte.

Nun: Wohnte traf es nicht ganz.

Residierte war eigentlich das treffendere Wort.

Denn es handelte sich eher um ein kleines Schloss als um ein Haus. Ein sehr altes kleines Schloss mit einer strahlend weiß getünchten Fassade und vier Flügeln, die einen nach oben hin offenen, schattigen Patio umfassten, in dem eine mächtige Palme wuchs, deren Krone bis hinauf ins dritte Stockwerk reichte. Insgesamt wollten mehr als sechshundert Quadratmeter instand gesetzt werden. Das brauchte seine Zeit.

Seit dem Kauf waren drei Jahre ins Land gegangen, und mit jedem Jahr war eine weitere Million auf seinem Konto dazugekommen – ja, er hatte außerordentlichen Erfolg mit seinen Produkten, die auf seinem exzellenten Ruf als Koch und dem seines Restaurants basierten. Aber mit der Renovierung und Ausstattung des Anwesens war er genauso pingelig wie mit seinen Rezepten – und da ihm in den zurückliegenden Jahren nur selten eine freie Minute geblieben war, war er damit ein wenig im Rückstand. Die Sanierung zumindest war jetzt abgeschlossen, und seit einem Jahr widmeten er und Antonia sich bereits der Inneneinrichtung. Dabei nahmen sie sich einen Flügel nach dem anderen vor. Was Alejandro zwang, alle paar Monate innerhalb des Hauses umzuziehen. Obwohl, eigentlich war es kein Zwang, sondern ein großer Spaß. Er fragte sich beinahe, was er tun würde, wenn alles fertig wäre und ihm das ganze Haus in perfektem Zustand zur Verfügung stand. Vier Flügel mit mehr als sechshundert Quadratmetern – hoffentlich würde er sich als Single darin nicht zu einsam fühlen. Ach, was sollte es – er würde sich einen Hund zulegen oder zwei. Das wollte er schon, seit er ein Kind war. Jetzt war die Zeit möglicherweise reif dafür.

„Ich habe ein paar schöne Ideen für dich“, erklärte Antonia begeistert und blätterte ein Hochglanzmagazin auf: „Hier, schau mal: Das Bad würde ich mit mattem, dunklem Keramik-Parkett auslegen, das ist unempfindlich, und die Wände mit dem schwarzen Schiefer fliesen, der dir so gut gefällt.“

„Hm …“

„Dann hast du im Südflügel ein ganz modernes Bad, im Kontrast zu dem im Nordflügel mit den alten Originalkacheln. Und für den Patio, auch wenn das als Letztes ansteht, würde ich dir etwas Kubisches empfehlen. Ich finde die Modernität kontrastiert hervorragend mit dem Geist vergangener Jahrhunderte, der durch das ganze Haus weht. Für den Salon habe ich ein paar tolle Sachen von Jean Paul Gaultier gefunden, du weißt schon, in seiner Kollektion für Roche Bobois. Oder alternativ Ralph Lauren Home, wobei ich siebzehntausend Euro für einen Lounge Chair ziemlich happig finde, aber das musst du entscheiden. Und für die Küche schließlich …“

„Um die Küche kümmere ich mich!“, unterbrach er sie sofort. Etwas anderes als eine Profi-Küche kam ihm nicht ins Haus. Er wollte zu Hause auf dem gleichen Level kochen können wie in seinem Restaurant. Vor allem, wenn ihm mitten in der Nacht noch die Idee für ein neues Gericht kam und er sich im Pyjama an den Herd stellen musste, um seine Eingebung bis zum nächsten Morgen nicht wieder zu vergessen. Die Küche war sein Hoheitsbereich. Deswegen hinkte die Renovierung dieses Raumes auch etwas hinterher, denn ihm fehlte einfach die Zeit. Er konnte sich schließlich nicht vierteilen.

„Selbstverständlich, Herr Meisterkoch“, lenkte Antonia ein, während Ricardo, vorsichtig Papier, Kataloge und Fotos aussparend, eine Auswahl seiner klassischen Tapas vor ihnen auf dem Tisch drapierte: butterzarter Schinken, Pimientos de Padrón, die kleinen grünen, für Spanien so typischen Paprikaschoten, gewürzt mit grobkörnigem Salz, Muscheln in Weißweinsud und eine noch warme Tortilla, ergänzt um zwei kleine Gläser mit frisch gezapftem Bier – cañas, wie sie hierzulande hießen.

„Und so sieht das dann in den Plänen aus“, fuhr seine Schwester fort und breitete die Computersimulationen vor ihnen aus, die sie in ihrem Büro vorbereitet hatte. Also die gesamte von ihr vorgeschlagene Inneneinrichtung in verschiedenen Versionen – in seinem Haus, das sie vorher aus allen Ecken und Winkeln fotografiert hatte.

„Und?“, fragte sie mit großen Augen, nachdem sie ihre Präsentation beendet hatte.

Alejandro schüttelte den Kopf und tat, als würde er angestrengt nachdenken. Natürlich nur, um sie ein bisschen auf die Folter zu spannen.

„Fantastisch!“, sagte er schließlich und drückte ihr ein Küsschen auf die Wange.

Am Nachmittag traf er sich wie jeden Montag mit seinem alten Kumpel Javier zum Tennis. Doch ehrlich gesagt – er war nur wenig inspiriert. Um nicht zu sagen: überhaupt nicht.

Er lag bereits einen Satz zurück, als er sich eine neue Strategie ausdachte: Er stellte sich vor, Javier wäre Kathy Cayenne. Und die Tennisbälle wären Kanonenkugeln. Eine Dreiviertelstunde später hatte er Satz zwei und drei sechs zu eins und sechs zu null gewonnen – und damit das Match.

„Alejandro, mit so viel Herz hast du schon lange nicht mehr gespielt!“, lobte ihn Javier später im Umkleideraum, denn in letzter Zeit hatte nahezu immer er gewonnen. „Du hast mich regelrecht abgeschossen! Was ist nur los mit dir, hm?“

Alejandro schaute ihn an, als hätte er nicht die leiseste Idee, wovon sein Trainingspartner sprach. „Was meinst du?“

Doch Javier kannte ihn zu gut, als dass er ihm etwas vormachen konnte.

Augenblicklich hellte sich die fragende Miene seines Freundes auf.

„Jetzt hab ich’s – du bist verliebt! Hab ich recht?“ Er blickte ihn mit großen Augen an.

Alejandro nickte geheimnisvoll. „So was Ähnliches“, bestätigte er. „So was Ähnliches.“

Er fühlte sich herrlich entspannt, gut erholt und bereit für eine inspirierte Woche voller kulinarischer Ereignisse, als er am nächsten Morgen mit Salvador Sanchez, seinem Sous-Chef, über den Markt in Sevilla spazierte, um die frischen Zutaten für das heutige Menü einzukaufen. All seine Mitarbeiter waren Männer – sowohl die Köche als auch die Kellner. Dass es so gekommen war, war keineswegs seine Entscheidung gewesen. Nein, das Schicksal hatte sie ihm aufgezwungen. Das Schicksal namens Lisa, seine blonde, aber leider alles andere als blauäugige Exfreundin aus Stockholm, mit der er nicht nur sein Bett, sondern sein Leben geteilt hatte. Beruflich und privat. Sie war schön gewesen – und clever. Zu clever für ihn. Er hatte sogar daran gedacht, mit ihr eine Familie zu gründen. Gott sei Dank war es nie so weit gekommen.

„Alejandro, weißt du, was du für mich bist?“, hatte sie ihn in einer romantischen Nacht bei Kerzenschein gefragt. Das Ganze lag mehr als fünf Jahre zurück, aber er erinnerte sich noch genau daran.

„Nein, was?“

„Ein glitzernder, ungeschliffener Diamant.“

Damals hatte er es als Kompliment aufgefasst. Dass sie schon bald den glitzernden Diamanten nehmen und das Ungeschliffene zurücklassen würde, konnte er ja nicht ahnen.

Sie war mit den gesamten Ersparnissen auf ihrem gemeinsamen privaten Konto abgehauen, um damit und mit tatkräftiger Unterstützung ihres abgebrühten Komplizen – seines nicht weniger verabscheuungswürdigen damaligen Sous-Chefs Enrique – ihr eigenes Restaurant zu eröffnen.

Nicht in Sevilla, versteht sich. Sondern in sicherer Entfernung – in der spanischen Metropole Madrid. Nahezu das gesamte Personal hatte sie bei dieser Gelegenheit auch gleich überzeugt, sich ihr und Enrique anzuschließen.

„Hast du am Sonntag die Kritik in der Sunday Times gelesen? Eine Frechheit, oder?“, unterbrach Salvador rüde Alejandros gedankliche Reise in die Vergangenheit, während er die Qualität des frisch gefangenen Fisches am Stand von Joan Roca überprüfte.

Alejandro sagte kein Wort, sondern nickte nur, als ginge es ihn nicht wirklich etwas an.

„Was soll’s?“ Salvador zuckte mit den Achseln. „Das ist nur irgend so ein englisches Käseblatt. Das liest hier ohnehin niemand.“

Das wiederum stimmte nicht ganz. Ganz besonders im nahen Marbella, in dem es von reichen Engländern nur so wimmelte, las praktisch jeder die Sunday Times, die darüber hinaus auch nicht wirklich ein Käseblatt war. Und einige dieser Leser zählten zu seinen besten Kunden. Ihm war klar, dass auch Salvador das wusste. Offensichtlich wollte er ihn nur beruhigen. Zusammenhalt zeigen. Ihm demonstrieren: Wenn wir untergehen, dann gemeinsam. Egal, was passiert. Typisch männliche Eigenschaften also. Denn wenn ein Schiff sank, wer verließ es zuerst? Nein, nicht die Ratten – die Frauen! Sie waren es, die sich in den Rettungsbooten aus dem Staub machten und ihre Männer allein zurückließen. So war es immer gewesen – und so würde es immer bleiben.

Alejandro musste wirklich aufpassen, dass er sich nicht wieder hochschaukelte.

Es war keinesfalls so, dass er Frauen hasste. Oder dass er gar ein geborener Chauvinist war. Im Gegenteil, seit er zurückdenken konnte, im Grunde seit er ein kleiner Junge gewesen war, hatte er angenommen, dass Frauen das bessere, zartere, sanftere, liebevollere, gütigere Geschlecht waren.

Und als er schließlich und endlich herausgefunden hatte, dass er mit dieser Annahme einer faustdicken Lüge auf den Leim gegangen war, einem Märchen, das von Liebesromanautoren, Hollywoodstars und Popsängern aufrechterhalten wurde, und dass Frauen in Wahrheit keineswegs besser waren als Männer, nur eben sehr viel anders, war seine Enttäuschung einfach unerträglich gewesen.

Denn traditionell war es nun mal so, dass Männer sich in Frauen verliebten. Männer waren die Bienen und Frauen die Blüten, von denen sie angezogen wurden. Zuerst von ihrem Äußeren, so hatte es die Natur vorgegeben, und danach von ihrer Seele. Aber was, wenn sich hinter dem süßen Äußeren eine ganz und gar nicht süße Seele verbarg? Wie sollte man als Mann eine solche Frau lieben?

Ganz ehrlich: Er hatte keine Antwort auf diese Frage.

„Alejandro?“

Aus weiter Ferne vernahm er die Stimme seines Sous-Chefs.

„Äh … ja?“

„Ah, da bist du ja wieder!“, sagte Salvador lächelnd. „Ich habe dich gefragt, wie viele Kilo von dem Seebarsch du willst?“

Der Seebarsch? Kathy Cayenne hatte ihn als Hauptgang gehabt.

„Wir nehmen den gesamten Fang“, erwiderte Alejandro trotzig. „Er ist unser beliebtestes Gericht.“

Das war nicht mal gelogen. Es war ein Klassiker, den er seit vielen Jahren servierte und der bei seinen Gästen hoch in der Gunst stand. Noch immer. Selbst wenn das Gericht etwas in die Jahre gekommen sein mochte und vielleicht ein wenig der Modernisierung bedurft hätte – wozu er sich jedoch bis heute nicht hatte durchringen können, denn mit diesem speziellen Fischgericht hatte seine Erfolgssträhne begonnen.

Damals, als Lisa ihn über Nacht verlassen hatte.

Als es so aussah, als würden die Lichter in dem gerade eröffneten und aufwändig renovierten Restaurant, in das er die Bar seiner Eltern und Großeltern verwandelt hatte, direkt wieder ausgehen.

Doch er hatte sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen.

Wie geplant, hatte er am nächsten Tag das Restaurant wieder geöffnet, in Eigenregie, mit nur einem Hauptgericht auf der Karte: Seebarsch.

Und deshalb servierte er ihn auch heute noch genauso wie damals: mit einer kräftigen Prise Nostalgie. Auch wenn er sich damit deutlich vom Rest seiner Karte abhob. Wie seit jeher gab er etwas Olivenöl in die Pfanne, erhitzte es und schwitzte marktfrischen, in zarte Streifen geschnittenen Fenchel darin an. Er gab Rosmarin-Meersalz und frisch gemahlenen schwarzen Pfeffer hinzu, bevor er das Ganze mit feinstem Champagner und Fischfond ablöschte. Danach bettete er den Seebarsch in hauchdünnen Filets auf das Gemüse und ließ alles etwa fünf Minuten lang unter geschlossenem Deckel dämpfen. Er nahm den Fisch auf seinem Champagner-Fenchelbett heraus, unter das er Kapern, eine Prise kleingehacktes Fenchelkraut und Butter gemischt hatte, und drapierte es formschön auf einem warmen Teller. Damit der Fisch nicht einsam war, gesellten sich zwei Esslöffel aromatisch süßes Tomatenkompott zu ihm. Zur Krönung garnierte er sein nostalgisches Gericht mit hauchdünnen Safranfäden.

Nicht mit dem Herzen gekocht? Das Gegenteil war der Fall!

Es mochte einfach klingen, aber Alejandro glaubte, dass alles im Leben, was wirklich gut war, einfach war.

So wie die wahre Liebe. Wenn sich die zwei Hälften einer Orange trafen, wie man in Spanien zwei Menschen bezeichnet, die füreinander bestimmt und Seelenverwandte sind, wurde auf einmal alles ganz einfach. Es war genauso wie mit gutem Essen: Das Rezept stimmte, die Würze, der Biss – und man konnte einfach nicht satt werden, nicht genug voneinander bekommen, so gut war es.

Leider kannte er dieses Gefühl selbst nur aus der Küche.

Aber er stellte sich vor, dass es so sein musste.

So und nicht anders.

Mit Lisa hatte er geglaubt, all das haben zu können, seine media naranja, seine bessere Hälfte endlich gefunden zu haben. Aber das vermeintliche Glücksrezept sollte sich als Desaster herausstellen. Es reichte eben nicht, wenn eine Hälfte der Orange fühlte, dass sie ihre zweite Hälfte gefunden hatte – nein, die andere Hälfte musste es genauso sehen. Und genau das war das Problem in der Liebe.

Und der Grund, warum Alejandro sich seit dem Debakel mit Lisa lieber dem Kochen widmete. Denn in der Küche waren Orangen relativ einfach zu handhaben, was daran liegen mochte, dass sie grundsätzlich in einem Stück bei ihm eintrafen, also komplett.

„Fahr du schon mal vor mit den Einkäufen“, bat er Salvador. „Ich muss noch was erledigen.“

Salvador tat wie ihm geheißen. Kaum war er mit dem vollgepackten Lieferwagen um die nächste Straßenecke verschwunden, widmete sich Alejandro der dringenden Sache, die keinen Aufschub geduldet hatte: Er setzte sich auf einen der einfachen Aluminiumstühle in der Bar neben dem Markt und bestellte sich einen Cortado – einen kleinen Milchkaffee –, um durchzuatmen und ein wenig die Leute zu beobachten.

Für ihn bedeutete das Inspiration.

Und das war es nun mal, was ein Koch von seinem Rang am dringendsten benötigte: Inspiration. Auf seinem Level ging es nicht mehr um Handwerkskunst, sondern um Ideen. Um Innovationen. Überraschungen, die man aus dem Hut zauberte. So wie ein Autor, der einem mit einer unerwarteten Wendung in der Geschichte urplötzlich und aus heiterem Himmel den Atem verschlägt. Und zwar von einem Satz auf den nächsten.

„Lisa?“ Alejandro wäre um ein Haar das kleine, warme Kaffeeglas aus der Hand gerutscht.

Es bestand kein Zweifel!

Sie war in dieser Sekunde direkt an ihm vorbeispaziert.

Ihm blieb vor Schreck der Mund offen stehen. Sie trug das rubinrote Versace-Kleid, das er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, damals, Gott wie lange war das her! Kurz bevor sie mit Enrique nach Madrid durchgebrannt war. Noch immer sah es atemberaubend an ihr aus. Ihr hellblondes Haar lief wie fein gebürstete goldene Seide ihren Rücken hinab, fast hinunter bis zu den Hüften. Ihre Beine waren schlank und zart gebräunt. Und ihr Po war noch genauso sexy wie damals. Hatte er ihren Namen wirklich ausgesprochen – oder hatte er ihn nur laut gedacht? Alejandro konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Gehört oder gesehen hatte sie ihn jedenfalls nicht, oder aber sie wollte es nicht, denn sie stolzierte auf ihren High Heels erhobenen Hauptes davon.

Alles in seinem Kopf begann sich zu drehen. Er hatte mit allem gerechnet, nur damit nicht. Was in aller Welt machte sie hier? Seine untreue Ex, die er seit jenem verhängnisvollen Abend, an dem sie aus Sevilla verschwunden war, nie wieder gesehen hatte.

Jetzt musste alles ganz schnell gehen: Wie ferngesteuert sprang Alejandro von seinem Stuhl auf und folgte ihr. Warum? Er hatte keine Ahnung! Er tat es einfach. Er beschleunigte seinen Schritt, bis er etwa zehn Meter hinter ihr war. Sie schien es offensichtlich eilig zu haben, jedenfalls war sie nicht für einen Einkaufsbummel hier, so viel stand fest. Sie bog in eine kleine Gasse ein, dann in die nächste – noch einmal rechts und wieder links, während er sich dicht hinter ihr hielt, in der Hoffnung, dass sie sich nicht umdrehte, denn dann wäre die Konfrontation unvermeidlich.

„Alejandro!“

Um ein Haar wäre er zu Tode erschrocken. Und hätte Pepe Gonzales über den Haufen gerannt.

„Wa…“, stammelte er, während er über Pepes Schulter hinweg Lisa nachblickte, die soeben in die nächste Gasse einbog. Schwups – schon war sie verschwunden.

„Gut, dass ich dich treffe!“, sagte Pepe, der offensichtlich so mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war, dass er nicht bemerkte, dass sein Gegenüber gerade eine Person verfolgte. Nun ja, wahrscheinlich war es besser so.

„Wann sollen die Malerarbeiten im Südflügel denn nun beginnen?“, fragte Pepe. Er war der von ihm beauftragte Malermeister.

„Ich …“

Noch immer starrte Alejandro in Richtung der nächsten Straßenecke, an der Lisa verschwunden war.

„Ist alles in Ordnung?“

Erst jetzt bemerkte Alejandro, dass es wohl an der Zeit war, dass der Jäger das Reh verloren gab, das ihm so unverhofft entwischt war, wie es ihm vor die Flinte gekommen war.

„Ich … ja, natürlich!“, antwortete er schnell und wandte seinen Blick Pepe zu. „Die Malerarbeiten … richtig …“ Er brauchte ein Weilchen, um sich zu fangen. „Nun … ich würde sagen: Anfang nächster Woche?“

„Hervorragend!“, erwiderte Pepe und klatschte freudig in die Hände. Es war kein kleiner Auftrag. „Dann werde ich mein Team dafür einteilen.“

„Ja, mach das …“, bestätigte Alejandro wie in Trance, um sich dann von Pepe zu verabschieden. Eine Sekunde lang überlegte er, ob es noch Sinn ergab, Lisas Fährte wieder aufzunehmen. Aber natürlich war es aussichtslos. Sie war längst in den Straßen Sevillas verschwunden.

Er wunderte sich, warum er überhaupt ihre Verfolgung aufgenommen hatte.

Gesetzt den Fall, dass sie es überhaupt gewesen war.

Doch wenn, was dann? Wollte er sie zur Rede stellen? Ihr eine Predigt halten?

Oder, aber – liebte er sie immer noch …?

Als Alejandro eine gute halbe Stunde nach dem unerwarteten Aufeinandertreffen mit den quicklebendigen Geistern seiner Vergangenheit schließlich die Restaurantküche betrat, es war mittlerweile schon später Vormittag und sein Team hatte damit begonnen, die Vorbereitungen für die Mittagsgäste zu treffen, merkte er sofort, dass etwas nicht stimmte. Er hatte einen feinen Riecher für so was – schon berufsbedingt.

In der Luft lag der Duft von Kräutern: Thymian, Koriander, Oregano, Fenchel und Dill. So weit ganz normal für eine erstklassige Küche wie seine, die nur mit marktfrischen Zutaten arbeitete. Darüber hinaus nahm er Kardamom und Curry wahr. Seit einiger Zeit arbeitete er bei einigen Gerichten auch mit fernöstlichen Gewürzen, um seine Kreationen hier und da mit einer Prise Überraschung zu verfeinern. Einem innovativen Touch, denn als Koch durfte man nie stehen bleiben, man musste sich ständig weiterentwickeln, sonst endete man irgendwann in einem Landgasthof. Aber das war es nicht. Nein, noch ein weiterer, sehr viel intensiverer, fremdartiger Geruch, der hier definitiv absolut nichts verloren hatte, strömte in seine Nase: Eternity von Calvin Klein.

Halluzinierte er? Saß er einer Sinnestäuschung auf? Oder erlaubte sich jemand einen Scherz mit ihm?

Für eine Sekunde hatte er Ricky Rodriguez im Verdacht, den jungen neuen Hilfskoch. Er war schwul. Aber das hieß noch lange nicht, dass er sich mit Frauenparfüms einnebelte.

Aber was zur Hölle war es dann?

In seiner Küche arbeiteten keine Frauen. So war es immer gewesen – nun zumindest seit der Geschichte mit Lisa – und so würde es bleiben.

Oder … Moment mal … war sie möglicherweise hier?

Hatte er sie deshalb in der Stadt gesehen? Weil sie aus irgendeinem Grund zu ihm gekommen war? Um ihn zu sehen? Nach fünf Jahren? Benutzte sie überhaupt Eternity? Er konnte sich nicht mehr genau daran erinnern, obwohl Düfte für ihn als Koch eine große Rolle spielten. Aber die Zeit mit Lisa war für ihn ein schwarzes Loch. So, als hätte sein Unterbewusstsein sie absichtlich verdrängt, damit er sich endlich von ihr lösen konnte.

Was ihm trotz all dieser Bemühungen und der Zeit, die ins Land gegangen war, offenbar noch nicht wirklich gelungen war.

Augenblicklich begann er zu schwitzen. Sein Puls beschleunigte sich. Aufgeregt ließ er den Blick durch die Küche schweifen, doch außer seinen Teammitgliedern sah er niemanden. Salvador war gerade damit beschäftigt, den eben eingekauften Fisch fachgerecht in Filets zu zerlegen.

„Salvador?“, rief Alejandro ihm zu. „Was ist das?“

Sein stellvertretender Küchenchef sah fragend auf. „Was meinst du?“

„Dieser Duft!“

„Das ist Eternity, wenn mich nicht alles täuscht“, erwiderte Salvador.

Alejandro rollte mit den Augen. „Das ist mir auch schon aufgefallen. Aber woher kommt der Duft? Ich kann mich zumindest nicht daran erinnern, dass wir ihn vom Markt mitgebracht haben.“

„Schön wär’s …“, säuselte Ricky Rodriguez augenzwinkernd.

Doch Salvador schüttelte nur den Kopf. „Du hast Besuch. Sie sitzt im Restaurant und wartet auf dich.“

Sie?

Es kam so trocken aus Salvadors Mund wie der in Plastikfolie verpackte Keks, den Alejandro vorhin zu seinem Café cortado bekommen hatte.

Er hatte sich also nicht getäuscht vorhin. Sie war zurückgekehrt.

Einen Augenblick lang spielte er die Möglichkeiten durch, die ihm in dieser Situation blieben: sich der Konfrontation mit ihr zu stellen – oder Reißaus zu nehmen. Beides nicht sehr verlockend. Gab es noch eine dritte Möglichkeit? Wenn, dann musste sie ihm schnell einfallen. Salvador blickte ihn fragend an, als mache er sich bereits darauf gefasst, seinen Chef durch die Hintertür davonrennen zu sehen.

„Ich … gib mir eine Minute“, versuchte Alejandro Zeit zu gewinnen. Schließlich machte er auf dem Absatz kehrt, als hätte er draußen im Wagen etwas vergessen.

„Zum Restaurant geht es aber da lang, oder?“

Salvadors Stimme ließ ihn innehalten. Mit dem Kopf nickte der Sous-Chef in Richtung der anderen Tür, so, als wäre Alejandro noch neu hier.

„Ja … ich wollte nur kurz vorher etwas … aber du hast recht, das kann ich eigentlich auch später …“, entgegnete dieser peinlich berührt.

Erst jetzt wurde ihm klar, dass er sich wie ein Sechzehnjähriger aufführte, der sich nach seinem allerersten gebrochenen Herzen vor seiner allerersten Exfreundin versteckt. Du bist achtunddreißig und einer der erfolgreichsten Küchenchefs der Welt, rief er sich innerlich zur Ordnung. Benimm dich wie ein Mann und nicht wie eine Memme!

Ohne ein weiteres Wort der Erklärung drehte er um und marschierte schnurstracks, bevor er es sich wieder anders überlegte, durch die Schwingtür in das Restaurant.

Er erblickte sie sofort.

Seinen Überraschungsbesuch.

Und – oh ja! Überrascht war er in der Tat!

Denn sie trug weder ein rotes Kleid noch floss sommerblondes Haar bis hinab zu ihren Hüften noch lächelte sie ihn aus blauen Augen verführerisch an, wie er es in Erinnerung hatte. Nein, sie steckte in einem strengen grauen Businesskostüm, unter dem eine hochgeschlossene weiße Bluse hervorschien, ihr Haar war von einem seltenen Zimtbraun und mit einer Klammer züchtig am Hinterkopf zusammengebunden. Sie musterte ihn aus Augen, deren Honigton nur vortäuschte, dass sich dahinter Wärme und Liebe verbargen. Ihre Lippen waren zusammengekniffen, als befürchte sie, ihr könne jeden Moment etwas Unpassendes aus dem Mund fallen. Denn für unpassende Bemerkungen hatte sie ein Händchen. Ein Händchen, das flink über die Tastatur ihres Computers huschte, um ihre unpassenden Bemerkungen in schriftlicher Form hinaus in die große weite Welt zu tragen. Jedenfalls wenn sie die war, für die er sie hielt.

Ihr Name war nicht Lisa – sondern …

„Kathy Jones“, bestätigte sie den Gedanken, den er gehabt hatte, während sie von ihrem Stuhl an einem der Zweiertische aufsprang und ihm die Hand entgegenstreckte. „Alias Kathy Cayenne.“

Nun wusste Alejandro, zu wem der Duft gehörte, den er in der Küche erschnuppert hatte. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit ihr! Was wollte sie hier? War sie nicht gerade erst wieder zurück nach London geflogen, um dort im übertragenen Sinne schriftlich alles auszuspucken, was sie bei ihm gegessen hatte? Andererseits war er froh, dass es nicht Lisa war. Denn mit dieser Zeitungstussi würde er sehr viel leichter fertig werden. Seine Pulsfrequenz ging von aufgeregt auf angriffslustig über.

Ihre Hand hing vor ihm in der Luft. Aber er dachte gar nicht daran, sie zu ergreifen. Nicht im Traum!

„Kathy Cayenne, soso. Dachte mir schon, dass Sie unter einem Pseudonym schreiben. Abgesehen von den Kriegsberichterstattern lebt in Ihrer Redaktion wohl niemand gefährlicher als Sie, oder?“

Noch immer machte er keine Anstalten, ihre Hand zu schütteln. Schließlich gab sie auf und ließ sie wieder nach unten sinken.

„Ich schreibe keinesfalls nur schlechte Kritiken“, erklärte sie trocken.

„Oh, dann vielen Dank, dass Sie bei mir eine Ausnahme gemacht haben“, erwiderte er scharfzüngig. „Womit kann ich Ihnen heute dienen, Miss Cayenne? Sind Sie auf der Suche nach einem weiteren Haar in der Suppe – oder haben Sie die weite Reise unternommen, um sich bei mir zu entschuldigen?“

Sie schüttelte energisch den Kopf. „Weder noch!“, erwiderte sie schroff und blickte ihm forsch in die Augen.

Sie hatte Nerven, das musste man ihr lassen. Wenn sie die Temperatur ihres Blicks noch ein wenig runterdrehte, würde er die Heizung anschalten müssen. Ein absolutes Novum im September.

„Und was wollen Sie dann?“, fragte er genervt.

„Mich um ein Praktikum bewerben“, erklärte sie. Ohne die leiseste Spur von Ironie in der Stimme. Jedenfalls wenn er richtig gehört hatte. Denn eigentlich konnte er nur träumen. „Ich … nun, ich möchte Ihnen beweisen, dass ich sehr wohl ein Omelett machen kann.“

Alejandro wusste nicht, wie ihm geschah. Er konnte nicht anders als … lauthals loszulachen! Er warf den Kopf in den Nacken und ließ es raus. Einfach alles. Direkt vor ihren Augen. Das war wirklich der beste Witz, den er seit Langem gehört hatte!

„Und … welche Ref…fer…enzen … entschuldigen Sie bitte …“ Er fasste sich an den Bauch. „Also noch mal: Welche Referenzen bringen Sie für Ihren … Praktikumswunsch … in einem Zwei-Sterne-Restaurant mit?“ Er lachte mit Tränen in den Augen, so unvorbereitet hatte ihn all das getroffen.

Sein Gegenüber schien die ganze Sache nicht im Geringsten lustig zu finden.

„Nun, ich … schreibe seit vielen Jahren die meistgelesene Food-Kolumne Englands und mein Studium habe ich mir in Londons besten Restaurants verdient – im Service“, erklärte sie stolz.

„Nein, Miss Cayenne, ich meine Referenzen aus der Küche“, erwiderte er und setzte eine betont unbeeindruckte Miene auf. „Denn dort wollen Sie doch Ihr Praktikum absolvieren, oder? Haben Sie überhaupt schon mal in der Küche gearbeitet, in einem Restaurant oder wenigstens in einer Pommesbude?“ Das letzte Wort sprach er so abschätzig aus wie nur irgend möglich. Als wäre es das Einzige, was er ihr zutraute.

Treffer! Kaum hatte er ausgesprochen, blickte sie betreten zu Boden. Offensichtlich war sie am Ende ihres Lateins.

„Nun … nein …“, gestand sie kleinlaut ein. „Aber …“

Zu spät. Er blickte sie nur kopfschüttelnd an, mit seinem kühlsten Siegerblick, als wäre sie seiner nicht wert.

„Kein Aber“, konstatierte er ohne die leiseste Gefühlsregung. „Praktikumsbewerbung mangels Eignung abgelehnt.“ Dann drehte er ihr den Rücken zu, um sich zurück an seinen Arbeitsplatz in der Küche zu begeben.

3. KAPITEL

Was bildete dieser eitle Gockel sich ein? Sie so zu behandeln! Kathy war außer sich. Sie hatte während ihres Studiums schon einige Sterneköche kennengelernt, aber Alejandro Severino war ohne jede Frage der Gipfel der Arroganz.

Offensichtlich waren ihm sein Erfolg und sein ein wenig zu gutes Aussehen zu Kopf gestiegen. Sternekoch und millionenschwerer Unternehmer mit noch nicht einmal vierzig Jahren, dazu ein Gesicht, das sie an den jungen Antonio Banderas erinnerte, volles, fast pechschwarzes Haar und dazu glänzende braune Augen. Ja, selbst von der Statur überragte er den klassischen Spanier deutlich. Schlanke eins achtzig, schätzte sie.

Doch all das war kein Grund, sie so herablassend zu behandeln.

Es war ihr gutes Recht, das zu schreiben, was sie schreiben wollte. Sie war einem Alejandro Severino keine Rechenschaft darüber schuldig.

Und doch: Es wurmte sie, dass er annahm, sie hätte noch nie in ihrem Leben eine Küche auch nur von innen gesehen und wüsste nicht einmal, wie man eine Pfanne erwärmte.

„Dir werde ich’s zeigen!“, sagte sie leise zu sich selbst – und folgte ihm in die Küche. So leicht würde sie sich nicht abschütteln lassen, schließlich war sie Journalistin! Dafür hatte sie den Weg nach Sevilla kein zweites Mal auf sich genommen. Was würde ihr Chefredakteur von ihr denken? Nein, ihre Berufsehre verlangte es, dass sie kämpfte. Selbst wenn sie dafür ihre Ehre als Mensch und Frau für einen Moment hinten anstellen musste.

„Das war nicht sehr freundlich!“, erklärte sie empört, kaum war sie durch die Schwingtür in die Restaurantküche getreten.

Wo sie sich urplötzlich allein unter Männern wiederfand. Es schien sich nicht eine einzige Frau in diesem Raum zu befinden.

Nicht nur Alejandro Severino, sondern auch die anderen Köche und Hilfsköche schauten neugierig von ihren Töpfen auf.

„Freundlich? Nun, das war Ihre Kritik auch nicht“, erwiderte ihr Gegenspieler mit gelassener Miene. „Und von meinen Bewerbern für ein Praktikum – für das es eine lange, lange, lange Warteschlange gibt, glauben Sie mir – erwarte ich, dass sie sich mit dem identifizieren, was wir hier tun. Denken Sie wirklich, dass ich dem Feind Zugang in mein Allerheiligstes gewähre und jemandem wie Ihnen meine Tricks und Kniffe offenbare? Nein, meine Liebe: Das hat etwas mit Vertrauen zu tun. Und Ihnen, so leid es mir tut, vertraue ich keinen Zentimeter weit. Weil Sie auch live und in Farbe keine Spur umgänglicher sind, als es Ihre Käseblatt-Kolumne vermuten lässt.“

Käseblatt-Kolumne?

Für eine Sekunde verschlug es Kathy die Sprache. Was bildete er sich ein? Sie war als Journalistin keineswegs schlechter oder weniger erfolgreich als er in seinem Metier. Auch wenn er mit einer Sache durchaus recht hatte: Er war gut beraten, ihr nicht zu vertrauen. Denn sie plante keinesfalls nächste Woche, in der Fortsetzung ihrer Kolumne vom vergangenen Wochenende, eine Lobeshymne auf ihn zu singen.

Doch dafür musste sie einen Weg finden, ihn dazu zu bringen, sie für die nächsten zwei, drei Tage als Praktikantin zu akzeptieren.

Während alle anderen sie fasziniert wie ein Wesen von einem anderen Planeten anstarrten – was sie als einzige Frau in diesem Raum wohl auch war –, blickte Kathy sich um.

Da! Da waren sie! An der Wand hingen die Schürzen. Kurz entschlossen, machte sie ein paar Schritte, um sich eine von ihnen zu greifen und sie sich umzubinden. All das dauerte nicht länger als ein paar Sekunden.

Der Meisterkoch starrte sie mit offenem Mund an.

„Was … in aller Welt … machen Sie da?“, fragte er sie schließlich, als sie sich kurzerhand an einen freien Platz an einem der großen modernen Gasherde gestellt und das Feuer gekonnt entfacht hatte.

Sie griff nach einer der glänzenden Kupferpfannen, die über der Kochstelle in der Luft baumelten. „Ich bereite Ihnen ein Omelett zu, wie Sie es in Ihrem Fax vorgeschlagen haben.“

Sofort hellten sich die Gesichter der anderen Köche auf. Gelächter erfüllte den Raum.

„Nein, ich meine es ernst.“ Ihr bestimmter Tonfall ließ das Lachen verstummen. „Alles, was ich brauche sind ein paar Eier und … was sich sonst noch hier finden lässt.“

Alejandro runzelte die Stirn. „Nun hören Sie schon auf, das ist lächerlich.“

„Vielleicht ist es das“, warf sie Mister Alleskönner an den Kopf. „Aber Sie müssen mir das Recht zugestehen, mich zu verteidigen. Sie haben mir vorgeworfen, ich könne nicht einmal ein einfaches Omelett zubereiten, das gut genug wäre, damit Sie mich als Praktikantin annehmen. Also habe ich mich in ein Flugzeug gesetzt und bin von London hierher nach Südspanien geflogen, um meine Ehre als Köchin zu verteidigen und Ihnen das Gegenteil zu beweisen. Mein Omelett wird Sie davon überzeugen, mir ein Praktikum anzubieten. Denn ich bin eine hervorragende Köchin!“

Das wiederum war gelogen.

Sie hatte einen sehr guten Geschmack, aber sie war nur eine mittelmäßige Köchin. Aber sie war perfekt vorbereitet und eine gute Vorbereitung war nun einmal die halbe Miete.

Im Internet hatte sie alle möglichen Rezepte gefunden, und Artikel darüber, wie Top-Köche an das Thema Omelett herangingen. Klassische und innovative Herangehensweisen. Den ganzen Tag vor ihrer Abreise hatte sie in ihrer normalerweise verwaisten Londoner Küche Omeletts zubereitet. Seit Matt, der sie an ihre gemeinsame Leidenschaft, das Kochen und das gute Essen, erinnert hatte, nicht mehr bei ihr lebte, war der Ofen kalt geblieben. Zumal sie berufsbedingt ohnehin fast immer auswärts aß. Doch wenn es ein Gericht gab, das sie nun wirklich beherrschte, war es das Omelett. Sie hatte an einem einzigen Tag so viele Varianten davon ausprobiert wie andere Menschen in ihrem ganzen Leben.

„Komm schon, Alejandro, gib ihr die Chance“, forderte einer der Köche, der hier der Sous-Chef zu sein schien. „Was soll’s? Es sind doch nur ein paar Minuten. Und ich bin, ehrlich gesagt, gespannt, was die junge Dame auf der Pfanne hat.“

Señor Severino stieß einen tiefen Seufzer aus. „Gut“, sagte er. „Sie haben sieben Minuten.“

Sieben Minuten? Mit geistig-mentaler Vorbereitung und dem Zusammensuchen der Zutaten? Kathy zuckte innerlich zusammen. Wie sollte sie das nur schaffen?

„Sieben Minuten? Das ist äußerst großzügig“, bedankte sie sich artig, um sich nichts anmerken zu lassen. „Ich habe schon Weltklasse-Omeletts in der Hälfte der Zeit zubereitet.“

Auch das war gelogen.

Und doch: Es gelang ihr. Auf die Minute pünktlich. Sie hatte sich für einen der innovativen Ansätze entschieden. Um zu zeigen, dass ihre Fähigkeiten voll auf der Höhe der Zeit waren.

„Dann wollen wir mal sehen.“ Langsam und unter den angespannten Blicken seines Teams nahm Alejandro Severino eine kleine Portion auf seine Gabel. Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören können.

Er kostete. Und verzog keine Miene.

„Und?“, durchbrach Kathy die angespannte Stille. „Was sagen Sie?“

Alejandro Severino blickte ihr tief in die Augen. Fast so, als hätte er sich beim ersten Bissen in sie verliebt.

„Praktikumsbewerbung mangels Eignung abgelehnt“, wiederholte er exakt wie beim ersten Mal, drückte ihr seine Gabel in die Hand und rauschte davon.

Kathy blickte ihm mit offenem Mund nach, während der Sous-Chef neben ihr ebenfalls eine Gabel nahm, um ihr Omelett zu probieren. In seinen Augen meinte sie ein Zeichen positiver Überraschung zu erkennen, kaum hatte er das Produkt ihrer erfolglosen Praktikumsbewerbung in seinem Mund.

„Also, mir schmeckt’s …“, urteilte er lächelnd.

„Danke“, erwiderte Kathy und fühlte sich zumindest für einen Augenblick nicht wie eine ausgemachte Versagerin. Immerhin war auch der Sous-Chef eines Zwei-Sternekochs bereits ein Meister auf seinem Gebiet. Vielleicht hatte er es aber auch nur aus Freundlichkeit gesagt. Eine Eigenschaft, die ihr selbst nach Alejandro Severinos Einschätzung angeblich vollkommen fehlte – doch bei ihm hatte sie davon auch noch nichts bemerkt.

„Ich bin Salvador“, stellte der zweite Mann in der Küche sich ihr vor.

„Kathy – aber das wissen Sie ja schon.“

Im Gegensatz zu seinem Chef schlug Salvador ihre Hand nicht aus.

„Sie sprechen gut Englisch“, lobte sie ihn.

„Nun, ich habe selbst ein paar Jahre in London gelebt“, sagte er. „Ich habe dort als Koch in einem Restaurant gearbeitet, aber das ist schon eine ganze Weile her.“

„Aha, und wie hieß das Restaurant?“

„Miracle“, antwortete er. „In Soho.“

Kathy riss begeistert die Augen auf. „Im Miracle? Da hab ich auch gearbeitet – als Kellnerin! Während meines Journalistik-Studiums!“ Sie konnte es kaum fassen. Hier im fernen Andalusien traf sie auf einen alten Arbeitskollegen, der möglicherweise um dieselbe Zeit in dem Restaurant angestellt gewesen war wie sie. „Moment mal!“, fuhr sie fort. „Salvador! Na klar, du hattest damals noch … mehr Haare … sehr viel mehr, oder?“, fragte sie ihn.

„Stimmt! Nein, jetzt erinnere ich mich: Du hast neben dem Kellnern die Pressearbeit für das Restaurant gemacht, oder?“

„Richtig!“

„Dann sind wir ja sozusagen Familie!“, rief Salvador in einer für diesen Landstrich offenbar typischen Begeisterungsfähigkeit aus und drückte sie an seine bestimmt hundert Kilo Lebendgewicht.

„Na ja, abgesehen davon, dass Señor Severino mich soeben aus der Familie verstoßen hat“, seufzte sie, nachdem Salvador sie wieder losgelassen hatte. „Ist er immer so oder rufe ich das in ihm hervor?“

Salvadors Stirn legte sich in tiefe Sorgenfalten. „Du im Speziellen vielleicht nicht unbedingt, aber du im Allgemeinen.“

Kathy schluckte. Was sollte das nun wieder heißen? Doch während sie den Blick durch den Raum schweifen ließ, in dem nur Männer beschäftigt waren, verstand sie die Anspielung langsam …

„Du meinst, weil ich eine Frau bin?“, fragte sie ungläubig.

„Das hast du gesagt, ich habe damit nichts zu tun.“

„Aber es ist so, oder? Er ist ein Frauenhasser, richtig?“

Sofort hob Salvador abwehrend beide Hände. „Nein, nein, nein – so ist es nun auch wieder nicht! Alejandro ist eigentlich ein prima Kerl, aber er hat ein paar unschöne Erfahrungen hinter sich, die ihn um ein Haar Kopf und Kragen gekostet hätten. Vor allem eine. Frauenhasser ist deshalb vielleicht ein bisschen zu hart ausgedrückt“, nahm Salvador seinen Chef in Schutz. „Er selbst bezeichnet sich eher als Frauenversteher. Und eben weil er sie versteht, hält er sich lieber von ihnen fern.“

Kathy rollte fassungslos mit den Augen. „Frauenversteher?“, fragte sie zurück. Sie konnte es nicht fassen. Was für ein Macho!

„Also, das bleibt unter uns, aber wenn Alejandro sagt, er versteht die Frauen, meint er damit, dass er angeblich weiß, was sie eigentlich von uns Männern wollen.“

Es war … unglaublich! Kathy hatte eigentlich angenommen, dass das Zeitalter der Machos langsam aber sicher seinem Ende entgegenging, aber offensichtlich tickten die Uhren hierzulande anders.

„Und was ist das, wenn ich fragen darf?“ Sie stemmte entrüstet ihre Hände in die Hüften.

„Nun, zum Beispiel: Wenn Frauen sagen, dass sie nicht an Liebe auf den ersten Blick glauben, weil sie das oberflächlich finden und Zeit brauchen, um die inneren Werte eines Mannes kennenzulernen, meinen sie damit eigentlich nichts anderes, als dass sie herausfinden wollen, wie viel Geld er auf dem Konto hat. Und das funktioniert nun mal bei der Liebe auf den ersten Blick nicht.“

Kathy starrte ihn einfach nur an.

Sprachlos.

„Und deshalb ist er zu dem Schluss gekommen, dass Frauen Männer nicht lieben, sondern sie nur benutzen“, brachte Salvador das Credo seines Chefs auf den Punkt. „Jedenfalls ist das seine Lebenserfahrung, so traurig es ist.“

„Ach … und ich dachte immer, es wäre genau anders herum.“ Etwas Besseres fiel Kathy dazu nicht ein. Aber was wahr war, musste wahr bleiben.

„Das ist seine Meinung – nicht meine!“, verteidigte Salvador sich. „Und wie gesagt: Abgesehen davon ist er …“

„… ein prima Kerl, ich weiß“, führte Kathy seinen Satz zu Ende. Ganz offensichtlich war hier wirklich Hopfen und Malz verloren. Wie sollte sie das nur Alistair Brown erklären? Ihrem Chefredakteur, der sich von ihrer Reise nach Sevilla so viel erhoffte? Eine brillante Story über die gut gehüteten und nie zuvor gelüfteten Geheimnisse eines andalusischen Starkochs. Innerlich schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen.

Kathy verbrachte den Nachmittag mit einem ausgedehnten Spaziergang durch die bezaubernde Altstadt Sevillas, die zu Recht als eine der schönsten in ganz Europa galt. Die junge Journalistin musste versuchen, einen klaren Gedanken zu fassen. Vielleicht gelang es ihr doch noch, durchs Hintertürchen den Praktikumsplatz in Alejandro Severinos Restaurant zu ergattern. Obwohl ihr persönlich vor einem zweiten Aufeinandertreffen mit dem Sternekoch graute.

Doch Fehlanzeige: Ihr wollte und wollte partout nichts einfallen.

Es war noch recht früh am Abend, zumindest für spanische Verhältnisse, als sie sich dazu entschloss, sich noch einen Gute-Nacht-Drink zu gönnen. Sie hatte ihr Essen mutterseelenallein in einem kleinen Restaurant eingenommen, bevor sie in ihr Hotel nahe dem Alcázar, dem maurischen Palast und Weltkulturerbe mit seinen prächtigen Gartenanlagen, zurückgekehrt war. An der edlen, lang gestreckten Bar des Fünf-Sterne-Schuppens hatten sich bereits einige Hotelgäste eingefunden – hauptsächlich Geschäftsleute.

„Auch allein hier?“

Kathy war so in Gedanken, dass sie beinahe erschrak, als sie von einer Frau angesprochen wurde, die neben ihr Platz genommen hatte. Sie trug ein leuchtend rotes Kleid, schwarze High Heels und war so blond und blauäugig, wie es nur Frauen aus dem hohen Norden Europas waren. Schwedin oder Dänin, schätzte sie. Etwa in ihrem Alter, Anfang dreißig.

„Ich? Nein … ich meine, ja“, erwiderte Kathy verdutzt.

„Was dagegen, wenn ich mich auf einen Drink zu Ihnen geselle?“, fragte die Fremde unverblümt. „Ich bin nicht gern allein, das bin ich eigentlich nicht gewöhnt.“

Nun, das wiederum konnte Kathy sich nur zu gut denken.

„In … Ordnung“, akzeptierte sie das Angebot, wenn auch ein wenig zögerlich. Im Grunde war es ihr egal, ein bisschen Unterhaltung würde sie schon nicht umbringen. Solange sie dabei nicht zu viel Zeit verlor, die sie dringend benötigte, um an einer neuen Strategie zu arbeiten, wie sie den Praktikumsjob bei Alejandro Severino doch noch bekam.

„Ich bin Lisa“, stellte die Blondine sich vor. „Aus Stockholm. Aber die letzten Jahre habe ich in Madrid gelebt.“

Sie hatte richtig getippt.

„Kathy – aus London“, erwiderte sie.

„Zwei Nordlichter in Südspanien … na dann Prost!“, stellte die Schwedin mit einem leichten Schwips fest und stieß ihr Weißweinglas gegen Kathys, das auf dem Tresen stand. Um ein Haar wäre es umgekippt, mitsamt seinem Inhalt.

„Und – auch auf Männerjagd?“

„Wie bitte?“ Kathy glaubte, sich verhört zu haben.

„Nun ja, ist doch ganz einfach: eine einsame hübsche junge Lady allein an der Bar eines Luxushotels, in dem erfolgreiche Geschäftsleute absteigen. Hab ich richtig getippt?“

Nein, hatte sie nicht. Obwohl die Worte Kathy schmeichelten, denn sie selbst betrachtete sich nicht als hübsche junge Lady. Adrett und ansehnlich ja, aber eben auch seriös. Doch nun fühlte sie sich für einen Augenblick wieder wie mit Anfang zwanzig. Ein durchaus willkommenes Gefühl an diesem Abend, nach einem durch und durch misslungenen Tag.

„Nein, ich … bin beruflich hier“, erklärte sie.

„Das eine muss das andere ja nicht ausschließen, oder?“

Kathy blieb der Mund offen stehen.

„Das war ein Scherz!“, polterte die Blondine los. Mit ihrem lauten Lachen lenkte sie für einen Moment die Aufmerksamkeit des ganzen Raums auf sich. Zusammen mit ihrem zugegeben ziemlich atemberaubenden Äußeren. Die ersten Männer prosteten ihnen bereits vom anderen Ende der Bar zu. Oh Gott, dachte Kathy bei sich: Wo war sie da nur hineingeraten?

„Aber mal im Ernst“, fuhr Lisa fort. „Was spricht gegen ein bisschen Spaß? Und am Ende ist doch jede Beziehung mehr oder weniger ein Deal, oder?“

„Ein Deal?“

„Na, du weißt schon: Er hat Spaß im Bett, du hast Spaß beim Shoppen.“

Jetzt musste Kathy wirklich schlucken. „Also, bei mir … nicht, ehrlich gesagt.“

„Das ist ein Witz, oder?“ Lisa hielt augenblicklich inne und starrte sie an, als hätte Kathy ihr soeben gestanden, dass sie nicht wusste, wie man das Licht in einem Raum an- und ausknipst. „Also, wenn das wirklich stimmt, spielst du dein Blatt nicht voll aus, sag ich dir. Dann kann ich nur sagen: Gratulation an dein Herzblatt! Richte ihm von mir aus, er ist ein Glückspilz! Kennt ihr euch schon lange?“

„Ähm, ehrlich gesagt: Ich bin momentan Single.“

Erneut prustete Lisa los. Sie war wirklich ein Hingucker, aber so dezent und feinfühlig wie eine Waschmaschine im Schleudergang.

„Da haben wir die Erklärung!“, lachte sie und prostete zurück zu den beiden Männern am Ende der Bar, die in gut sitzenden, teuer wirkenden Anzügen ihre Drinks genossen und die Sexbombe trotz ihrer offensichtlichen leichten Trunkenheit interessiert beäugten. Oder gerade deswegen?

Manchmal fragte Kathy sich wirklich, wer schlimmer war: Frauen oder Männer? Oder ob man einfach nur versuchen musste, sich von den schlimmsten Exemplaren seines eigenen Geschlechts genauso weit fernzuhalten wie von denen des anderen. Doch dafür war es in diesem Fall zu spät. Ihr musste dringend eine Ausrede einfallen, um von der Bar wegzukommen – und damit von Lisa.

„Und was machst du beruflich, wenn ich fragen darf?“

„Ich … bin Journalistin. Ich bereite hier eine Geschichte für die Sunday Times vor“, antwortete sie wahrheitsgemäß.

Lisas Augen weiteten sich beeindruckt. „Wow, das ist echt krass!“, erwiderte sie in einer Sprache, die auf dem Stand einer Vierzehnjährigen stehen geblieben zu sein schien. „Für den Reiseteil? Über Sevilla?“, hakte sie nach.

„Sowas in der Art“, bestätigte Kathy kurz und knapp, um dann das Thema schnellstmöglich von sich wegzulenken. „Und … du?“

„Ich?“ Ihre Barbekanntschaft rollte genervt mit den Augen. „Wie schon gesagt: Ich bin hier, um mir einen Mann zu angeln. Aber jetzt kommt der Clou: nicht irgendeinen. Es sei denn, ich treffe den Richtigen noch heute Abend hier an der Bar: meinen Ex!“

Kathy zog fragend die Augenbrauen hoch. „Deinen Ex?“

„Richtig gehört! Du musst wissen: Er hat mich über alles geliebt, und er ist so dieser Gentleman-Typ, der alles für einen tut. Macht einen auf hart, aber in seinem Inneren ist er total weich und lieb wie ein Schoßhündchen.“

Was für eine Geschichte, dachte Kathy. Diese Lisa war wirklich auf dem geistigen Stand eines Teenagers stehen geblieben.

„Und warum habt ihr euch dann getrennt?“, fragte sie, denn der Grund wollte ihr nach dieser durchaus sympathischen Vorstellung von Lisas Ex nicht wirklich einleuchten.

Lisa machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, das ist schon einige Jahre her. Ich hatte damals die Chance, nach Madrid zu gehen und mein eigenes Restaurant zu eröffnen …“

„Ein Restaurant?“

„Ja“, bestätigte die Schwedin und bestellte sich mit einem kaum merklichen, an den Barmann gerichteten Zwinkern ein weiteres Glas Wein. Sicher nicht erst das zweite, dachte Kathy. „Aber vor ein paar Wochen mussten wir es schließlich dichtmachen“, fuhr die Blondine fort. „Die Konkurrenz in Madrid war einfach zu groß.“

„Hm …“ Kathy tat interessiert, obwohl sie sich das Gehirn zermarterte, wie sie am schnellsten von hier wegkam.

„Na ja, jedenfalls hab ich mich kurzerhand an meinen lieben Exfreund erinnert. Als ich ihn damals verlassen habe, stand er gerade erst am Anfang – aber jetzt, wow! Jetzt ist er megaerfolgreich, so eine Art Star. Der scheffelt Millionen, sag ich dir. Und ich denke, er hat mich noch nicht überwunden – vielleicht geht da noch was, mit ein bisschen Verführungskunst, mal sehen …“ Lisa lächelte sie vielsagend an.

„Und er lebt hier in Sevilla?“ Langsam wurde Kathy aufmerksam. Ein Gedanke schoss ihr in den Kopf.

„Yep.“

Konnte es wirklich sein, was sie vermutete?

„Er ist nicht zufällig Koch, oder?“, fragte sie so beiläufig wie nur möglich.

„Doch? Wie kommst du darauf?“

„Ach, nur so“, erwiderte Kathy schnell und täuschte ein gelangweiltes Gähnen vor. „Ich dachte nur, weil du sagtest, dass du ein Restaurant hattest … Wie auch immer: Ich muss morgen früh raus, von daher mache ich mich jetzt besser auf.“

„Oh, wie schade“, entgegnete Lisa. Um in derselben Sekunde den beiden Geschäftsleuten am anderen Ende der Bar zuzuprosten. „Na ja, vielleicht finde ich noch ein paar nette Leute, mit denen ich mich unterhalten kann.“

Kathy hielt ihr die Hand zum Abschied hin. „Ganz bestimmt“, sagte sie. „War nett dich kennenzulernen.“

„Dich auch, Katie“, sagte Lisa.

Katie? Sie hatte noch nicht einmal ihren Namen behalten. Auf was für Frauen Männer doch immer wieder reinfielen!

Männer wie Alejandro Severino?

Kathy fragte sich, was hinter ihrem Bauchgefühl steckte. Sollte er tatsächlich mit dieser Lisa liiert gewesen sein, war es kein Wunder, dass er sich in einen Frauenhasser verwandelt hatte.

Pardon: Frauenversteher.

Als Kathy am nächsten Morgen erwachte, schien die Morgensonne bereits warm in ihr Hotelzimmer. In London war es noch eine Stunde früher, stockdunkel und sehr wahrscheinlich regnete es in Strömen. In Momenten wie diesen wurde Kathy klar, wie gut sie es hatte. Nach einer erfrischenden Dusche begab sie sich nach unten, um ein ausgiebiges Frühstück auf der Terrasse einzunehmen. Dabei ließ sie den vergangenen Abend noch einmal vor ihrem geistigen Auge Revue passieren.

Was für eine merkwürdige Begegnung! dachte sie.

Ein Gedanke, der sofort von einem anderen, sehr viel dringenderen abgelöst wurde: Noch immer hatte sie keinen Plan, wie es mit ihr und Alejandro Severino weiterging.

Beziehungsweise ob es überhaupt weiterging. Einen letzten Versuch musste sie noch unternehmen. Das erforderte ihre Berufsehre. Und falls Plan B auch nicht klappte, musste sie schleunigst Plan C ausarbeiten. Sonst würde Alistair Brown ihr die Hölle heiß machen, das war so sicher wie morgendlicher Sonnenschein in Sevilla.

Nachdem sie ein Weilchen unentschlossen hin und her überlegt hatte, entschied sich Kathy letzten Endes dafür, ihr Vorhaben aufzugeben, durch das Hintertürchen in das Restaurant von Alejandro Severino zu gelangen.

Und entschloss sich stattdessen, es so zu betreten, wie sie es normalerweise tat: durch den Vordereingang.

4. KAPITEL

Die ersten Gäste waren bereits eingetrudelt, als Alejandro seinen Blick kurz durch das Restaurant schweifen ließ. Er konnte nicht glauben, was er sah: Diese Kathy Cayenne war wirklich penetranter als er gedacht hatte! Sie saß doch tatsächlich gemütlich an einem der Tische, als wäre sie ein ganz normaler, also willkommener Gast in seinem Hause!

„Warte, dir werde ich was erzählen“, nuschelte er leise in seinen nicht vorhandenen Bart, um darauf schnurstracks in ihre Richtung zu marschieren.

Sie tat so, als sähe sie ihn nicht und wäre vertieft in die Speisekarte. Selbst noch, als er direkt neben ihr am Tisch stand.

„Hatte ich mich nicht klar genug ausgedrückt?“, fragte er sie streng, wenn auch leise, um die anderen Gäste nicht durch die nun sehr wahrscheinlich folgende Konfrontation mit einem unerwünschten Störenfried namens Kathy Cayenne zu verschrecken.

Erst jetzt schaute sie langsam wie in Zeitlupe von der Karte auf.

„Wieso?“, fragte sie mit einem absolut unschuldigen Blick, als könne sie kein Wässerchen trüben. „Bis jetzt habe ich Sie so verstanden, dass Sie mich nicht als Praktikantin akzeptieren. Aber sie haben nicht gesagt, dass ich darüber hinaus auch Hausverbot in Ihrem Restaurant habe. Ich bin hier als zahlender Gast, um bei Ihnen zu Mittag zu essen. Haben Sie daran etwa auch etwas auszusetzen?“

Alejandro schüttelte empört den Kopf. Sie wusste haargenau, dass sie hier nicht erwünscht war. Warum ließ sie es nicht einfach auf sich beruhen und nahm den nächsten Flug nach Hause?

„Wissen Sie was?“, erwiderte er. „Ihr Mittagessen geht auf mich – Sie sind Gast des Hauses. Aber danach trennen sich unsere Wege. Sie fliegen zurück nach London und können meinetwegen schreiben, was Sie wollen – es ist mir egal.“

„Es … ist Ihnen egal?“

„Ganz genau – Hauptsache, hier kehrt wieder Ruhe ein!“, zischte er.

„Und was soll ich Ihrer Meinung nach schreiben? Dass unbequeme Kritiker hier nicht erwünscht sind? Dass Sie überhaupt keine Kritik vertragen können?“

Alejandro stieß einen verzweifelten Seufzer aus. Er wusste, dass er dieses Spiel nicht gewinnen konnte. Er wollte einfach nur seinen Frieden, zurückkehren zum Tagesgeschäft. Im Grunde wusste er nicht einmal, warum er so harsch auf diese Kathy reagierte. War er wirklich böse auf sie, nur weil sie eine unappetitliche Kritik über ihn veröffentlicht hatte? Er hatte auch schon vor ihr hin und wieder schlechtere Kritiken bekommen, das gehörte einfach zum Job dazu. So etwas musste jeder Koch schlucken, ob mit Stern oder ohne. Also noch mal: Auf wen war er eigentlich böse? Auf Kathy Cayenne – oder auf das Leben, das ihn in den Menschen verwandelt hatte, der er heute war?

„Wissen Sie was, Miss Cayenne?“, erwiderte er schließlich. „Schreiben Sie doch einfach die Wahrheit: Dass ich ein arroganter und widerlicher Macho bin, der seine Sterne und seinen Erfolg schlicht und einfach nicht verdient hat. Das ist doch Ihre Wahrheit, oder?“

Er war ein bisschen zu laut geworden und hatte damit die Blicke vom nächstgelegenen Tisch auf sich gezogen. Sofort setzte er ein besänftigendes Lächeln auf.

Im Gegensatz zu seiner Gesprächspartnerin. Die blickte ihn nur fragend an.

„Warum hassen Sie mich eigentlich so?“, fragte sie ihn, als hätte sie seine Gedanken gelesen.

„Mann, oh Mann, Sie sind wirklich ein harter Brocken …“, erwiderte er nach einem kurzen, unangenehmen Schweigen, das sich unversehens zwischen sie geschlichen hatte. Schließlich ergänzte er deutlich leiser als zuvor und ihr tief in die Augen blickend: „Ich hasse Sie nicht, Kathy. Es ist nur so, dass ich …“

„… schlechte Erfahrungen gemacht habe?“, führte sie seinen Satz ebenso leise zu Ende.

Alejandro stutzte. Woher wusste sie, was er hatte sagen wollen?

„Haben wir die nicht alle schon gemacht? Gehören schlechte Erfahrungen nicht genauso zum Leben dazu wie die guten?“, ergänzte sie, bevor er etwas erwidern konnte.

Natürlich hatte sie recht damit. Keine Frage. Das einzige Problem war: Leider hatte er noch nie eine wirklich gute Erfahrung mit einem weiblichen Wesen gemacht. Höchstens kurzfristig.

Sehr kurzfristig, um genau zu sein. Soll heißen: Der erste Kuss. Die erste Nacht. Denn für ihn hätte es danach auf ewig so weitergehen können. Romantisch und harmonisch. Aber nicht für die Frauen, die er kennengelernt hatte. Romantik und Harmonie schienen sie zu langweilen. Sie fingen an zu sticheln, kleine Probleme zu erfinden, die sich schon bald in große verwandelten.

Und genau das verärgerte ihn: diese Unfähigkeit oder besser gesagt dieser Unwille, einfach nur glücklich zu sein. Zusammen mit der Ahnung, dass sie doch irgendwo da draußen auf ihn wartete, nicht weniger verzweifelt als er – seine media naranja, seine halbe Orange und Seelenverwandte, die existierte, aber von den bösen Mächten des Schicksals von ihm ferngehalten wurde. Aber all das konnte er dieser Kathy Cayenne natürlich unmöglich aufbinden.

„Also was ist es dann, was Sie so wütend auf mich macht?“, weckte sie ihn aus seinen Gedankenspielen. Jetzt, wo sie ihn mit ihren traurigen Honigmondaugen ansah, mochte er sie beinahe. Ihr Blick strahlte etwas Warmes, ja fast Liebevolles aus, das ihm bislang noch nicht aufgefallen war. Vielleicht, weil er nicht gewollt hatte, dass es ihm auffiel? Wenn man sich ihren Rollkragen und das Businesskostüm wegdachte und sie stattdessen in ein luftig leichtes Sommerkleid steckte, wäre sie wahrscheinlich sogar sehr hübsch, dachte er für einen Augenblick.

Ein Gedanke, den er sich sofort verbot.

„Nun, wahrscheinlich hat es etwas damit zu tun, dass ich mich in einen echten Mistkerl verwandelt habe“, beantwortete er kurz und bündig ihre Frage nach dem Warum und drehte ihr mit diesen Worten brüsk den Rücken zu. Auf halber Strecke in Richtung Küche drehte er sich noch einmal kurz zu ihr um: „Das Wildschwein an Kürbisragout und Waldfruchtravioli ist heute Mittag zu empfehlen.“

Dann eilte er endgültig davon, auf Siebenmeilenstiefeln, aber erhobenen Hauptes.

Erst als er sicheres Terrain erreicht hatte – die Küche – und die Schwingtür hinter ihm zuklappte, atmete er auf.

Zu früh, wie sich herausstellen sollte.

Denn die eigentliche Katastrophe überraschte ihn genau hier, wo er es am wenigsten erwartete.

„Du hast Besuch.“ Salvador starrte ihn an, als habe er gerade mit dem Leibhaftigen persönlich einen Small Talk geführt.

Alejandro winkte ab. „Weiß ich schon“, sagte er. „Ich habe vor einer Sekunde mit ihr gesprochen.“

Doch Salvador schüttelte nur den Kopf. „Nein, nicht Kathy …“

Kathy? Alejandro stutzte. Moment mal, was ging hier vor sich?

„Ihr duzt euch schon?“, fragte er Salvador, der nicht nur sein zweiter Mann in der Küche, sondern darüber hinaus auch ein guter Freund war, argwöhnisch.

Argwöhnisch? Oder neidisch? Nein, das war lächerlich! Wieso sollte er neidisch auf Salvador sein, bloß weil dieser mit Kathy Cayenne besser klar kam als er selbst?

Autor

Marion Lennox
Marion wuchs in einer ländlichen Gemeinde in einer Gegend Australiens auf, wo es das ganze Jahr über keine Dürre gibt. Da es auf der abgelegenen Farm kaum Abwechslung gab, war es kein Wunder, dass sie sich die Zeit mit lesen und schreiben vertrieb. Statt ihren Wunschberuf Liebesromanautorin zu ergreifen, entschied...
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