Romana Extra Band 49

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WEIHNACHTSZAUBER IN DER CAMARGUE von BAKER, HOLLY
Nur ein Flirt! Mehr hat Charmeur Stéphane nicht im Sinn, als er die süße Engländerin Phoebe trifft. Bis er merkt, dass er zum ersten Mal im Leben nicht genug von einer Frau bekommen kann. Doch kaum gesteht er sich seine tiefen Gefühle für Phoebe ein, zieht sie sich jäh zurück …

HEIMLICH VERLIEBT IN EINEN MILLIARDÄR von SHEPHERD, KANDY
Partyplanerin Andie fasst ihr Glück nicht: Sie darf die Weihnachtsfeier für Milliardär Dominic Hunt organisieren! Da verlangt er plötzlich, dass sie sich gegenüber seinem Geschäftspartner als seine Verlobte ausgibt. Ein gewagtes Spiel, denn heimlich begehrt sie Dominic tatsächlich!

GESTÄNDNIS AUF MAURITIUS von RIVERS, NATALIE
Ich liebe dich … Drei kleine Worte nur. Und doch hat Chloe sie noch nie aus dem Mund ihres Ehemannes, des faszinierenden Milliardärs Lorenzo Valente, gehört. Traurig beschließt sie, die Scheidung einzureichen. Aber dann verändert ein schicksalhaftes Ereignis alles …

DER PRINZ, DEN ICH HEIRATEN MUSSTE von RIMMER, CHRISTINE
Prinzessin Lili heiratet Prinz Alex einzig und allein, um der Pflicht gegenüber ihrem Land zu gehorchen. Als sie mit ihm zur Hochzeitsreise auf der Fürstenjacht aufbricht, hat sie all ihre romantischen Träume bereits begraben. Zu Unrecht? Schon bald erlebt sie eine Überraschung …


  • Erscheinungstag 29.11.2016
  • Bandnummer 0049
  • ISBN / Artikelnummer 9783733743697
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Holly Baker, Kandy Shepherd, Natalie Rivers, Christine Rimmer

ROMANA EXTRA BAND 49

HOLLY BAKER

Weihnachtszauber in der Camargue

Phoebe fühlt sich sofort zu dem charmanten Franzosen Stéphane hingezogen. Aber sie hat ihr Herz nicht all die Jahre lang geschützt, um es sich jetzt von einem unverbesserlichen Filou brechen zu lassen!

KANDY SHEPHERD

Heimlich verliebt in einen Milliardär

Dominic Hunt überredet Andie, seine Verlobte zu spielen. Natürlich nur, um einen wichtigen Deal an Land zu ziehen! Dass es heiß zwischen ihnen knistert, ignoriert er – mit verführerischen Folgen …

NATALIE RIVERS

Geständnis auf Mauritius

Die Nächte auf Mauritius könnten nicht leidenschaftlicher sein. Aber auf die drei Worte aus dem Mund ihres geliebten Ehemannes Lorenzo muss Chloe bislang vergeblich hoffen …

CHRISTINE RIMMER

Der Prinz, den ich heiraten musste

Eine reine Pflichtehe? Um den Frieden für sein Land zu sichern, erklärt Prinz Alex sich bereit, Prinzessin Lili zu heiraten. Doch anders als vereinbart, begehrt er seine schöne Braut bald immer mehr …

1. KAPITEL

„Wie geht es dir denn im Moment, so ohne Job?“, fragte Amy am anderen Ende der Leitung.

„Gut“, antwortete Phoebe, obwohl sie sich da nicht so sicher war. „Ich bin ja auch nicht direkt ohne Job, ich mache gewissermaßen eine Zwangspause.“

„Und was hast du jetzt vor? Bis du im Januar die neue Stelle antrittst, sind es ja noch ein paar Wochen.“

Das war eine gute Frage, auf die Phoebe leider auch keine Antwort hatte. „Keine Ahnung. Ausspannen?“

Phoebe hörte, wie Amy tief Luft holte. „Ich will dir ein Angebot machen, Phoebe. Was hältst du davon, wenn du für ein paar Wochen nach Saintes-Maries-de-la-Mer kommst und in der Zeit meine Praxis übernimmst? Ich möchte gerade am Anfang mehr für Marie da sein. Mein Onkel kann die Arbeit mit den Pferden und Stieren nicht übernehmen, außerdem ist er mit den Kleintieren vollkommen ausgelastet. Und einfach die Praxis schließen geht auch nicht. Dafür gibt es zu wenige Tierärzte hier in der Gegend. Die Verpflegung meiner Patienten muss gewährleistet sein.“

Phoebe, die gerade ihre Orchideen goss, ließ den Arm mit der Gießkanne sinken. „Du willst, dass ich zu dir nach Frankreich komme?“

„Wäre das nicht wunderbar? Seit deinem Auslandssemester in Paris haben wir uns kaum gesehen, und das ist immerhin schon ein paar Jahre her.“

Phoebe stellte die Kanne beiseite und ließ sich auf den weißen Sessel sinken, der direkt am Fenster stand.

„Ich weiß nicht“, sagte sie zögerlich. „Kann ich hier einfach alles stehen und liegen lassen?“ Sie sah sich in ihrem Wohnzimmer um. Obwohl sie erst seit ein paar Tagen nicht mehr zur Arbeit musste, sah es picobello aus: Die Fenster waren geputzt, sie hatte überall Staub gewischt und den Inhalt ihrer weißen Wohnzimmerschränke sortiert. Was sollte sie mit den kommenden zwei Monaten anfangen?

Amy lachte. „Was lässt du denn stehen und liegen? Wenn ich mich richtig erinnere, befindest du dich gerade zwischen zwei Jobs und in keiner festen Beziehung. Und jetzt komm mir nicht damit, dass du ausspannen willst. Ich kenne dich, dir würde in London die Decke auf den Kopf fallen.“

Nun lachte auch Phoebe. Amy kannte sie besser als die meisten ihrer Freunde, und dabei hatten sie sich wirklich schon lange nicht mehr gesehen. Zu lange.

Phoebe erinnerte sich an ihre gemeinsame Zeit in Paris, wo sie Veterinärmedizin studiert hatten. Sie mochten sich auf Anhieb, machten die Nacht zum Tag, verbrachten fast jede freie Minute zusammen. Doch dann musste Phoebe zurück nach London, und obwohl sie sich seitdem nur noch selten sahen, hatte ihre Freundschaft nie darunter gelitten.

Phoebe stellte sich bereits vor, wie es sein würde, endlich mal wieder mehr Zeit mit Amy zu verbringen. Sie blickte aus dem Fenster und betrachtete die bunt gestrichenen Fassaden Notting Hills. Das Leben in London gefiel ihr, aber Amy hatte recht: Innerhalb der nächsten Wochen würde Phoebe mit Sicherheit die Decke auf den Kopf fallen. Außerdem war jetzt die beste Gelegenheit, um ihre Freundschaft mit Amy wieder aufleben zu lassen. Bald würde sie wieder Verpflichtungen haben, doch im Moment war sie ungebunden und frei.

„Na komm, was überlegst du noch?“, hakte Amy nach. „Wir wissen beide, dass du es machen wirst.“

Phoebe lächelte in sich hinein und fasste einen spontanen Entschluss. „Okay, ich mach’s.“

Am anderen Ende der Leitung brach Amy in Jubel aus. „Oh, das ist toll, ich freue mich ja so! Dann lernst du auch endlich Nathan und Marie kennen.“

„Kaum zu glauben, dass ich deinen Mann und deine Tochter noch gar nicht kenne“, erwiderte Phoebe. „Jetzt brauche ich nur noch einen Platz zum Schlafen.“

„Mach dir darüber keine Gedanken“, sagte Amy sofort. „Das ist alles schon geklärt. Nathan hat doch einen Reiterhof, und jetzt im Oktober ist nicht mehr so viel los wie im Sommer. Du bekommst eine kleine Ferienwohnung mit Blick auf die Koppel, und zur Praxis meines Onkels ist es auch nicht weit.“

„Das hast du dir wohl schon alles zurechtgelegt, was?“, meinte Phoebe, doch sie war ihrer Freundin keineswegs böse. „Wann soll ich kommen?“

„Wann du willst, hier steht alles bereit für dich. Sag einfach Bescheid, wenn du einen Flug gefunden hast. Dann hole ich dich vom Flughafen ab.“

„Super, ich melde mich, sobald ich mehr weiß.“

Phoebe legte auf und klappte ihren Laptop auf, um nach Flügen von London nach Montpellier zu suchen. In ihrem Bauch breitete sich ein freudiges Kribbeln aus, und sie begann zu singen Das tat sie immer, wenn sie sich gut fühlte. Mit einem Mal konnte sie es kaum mehr erwarten, ihre einsame Wohnung in London für ein paar Wochen hinter sich zu lassen.

„Oh, ist das schön hier!“

Phoebe stieg aus dem schwarzen Jeep, der neben einem dunkelblauen Land Rover Defender gehalten hatte, und sah sich nach allen Seiten um.

Es gab weiß getünchte Ställe, eine riesige Weide, die bis weit in die Sumpflandschaft hineinreichen musste, zwei Reitplätze und natürlich die Häuser, in denen die Feriengäste untergebracht waren beziehungsweise Amy mit ihrer kleinen Familie lebte. Die Sonne schien, und auf einem der Plätze erblickte Phoebe eine Reitlehrerin mit zwei Schülerinnen.

„Und für Oktober ist es ganz schön warm. Das sind doch bestimmt zwanzig Grad. Ich sag dir, in England haben wir schon seit Wochen trübes Wetter mit Dauerregen.“ Phoebe zog ihre Jeansjacke aus und krempelte die Ärmel ihres Pullovers hoch. Dann hielt sie ihr Gesicht in die Sonne.

Amy lachte. „Hoffentlich hast du nicht nur dicke Pullis eingepackt. Wir sind hier in Südfrankreich, da wird es für gewöhnlich auch im Dezember nicht so kalt wie in England schon im Oktober.“

„Das hoffe ich doch.“ Phoebe betrachtete das weiß gestrichene Haus gegenüber der Pferdekoppel. Auf dem schmalen Rasenstreifen vor dem Haus wuchs Lavendel, der herrlich duftete, obwohl er schon fast verblüht war. In den Blumenkästen auf den Fensterbänken hatte jemand Kräuter gepflanzt: Von Pfefferminze bis Thymian war alles da.

„Das ist euer Wohnhaus?“, fragte sie, doch die Frage erledigte sich von selbst, als ein gut aussehender Mann, ein Baby auf dem Arm, aus der Haustür trat. Er stieg die wenigen Stufen hinunter und kam lächelnd auf sie zu. Neben ihm lief ein beigefarbener Labrador, der noch nicht ganz ausgewachsen zu sein schien. Der Hund kam schwanzwedelnd auf Phoebe zugelaufen und begrüßte sie stürmisch.

Derweil ging Amy zu ihrem Mann und nahm ihm das Baby ab, das mit den leuchtend blauen Augen und den dunkelbraunen Haaren bisher ganz nach dem Vater kam. Amy sah so glücklich aus, wie Phoebe sie noch nie gesehen hatte. Ihre grünbraunen Augen strahlten regelrecht.

Was für ein schönes Paar, dachte Phoebe, während sie den Hund hinter den Ohren kraulte. Sie ärgerte sich immer noch, dass ihr ausgerechnet damals zu Amys und Nathans Hochzeit der Blinddarm entfernt werden musste und sie deshalb nicht hatte kommen sein können.

„Phoebe, darf ich dir Nathan vorstellen, meinen Mann?“ In Amys Stimme klang eine Spur Stolz mit. Sie zeigte auf den Labrador. „Und das ist übrigens Jolie, aber wie ich sehe, habt ihr euch schon angefreundet.“

Phoebe und Nathan standen sich gegenüber. Sie wollte ihm die Hand reichen, doch er umfasste ihre Schultern und gab ihr zur Begrüßung drei Wangenküsschen. Phoebe fand ihn sofort sympathisch. „Schön, dass wir uns endlich mal kennenlernen. Amy hat schon so viel von dir erzählt.“

„Hoffentlich nur Gutes.“ Nathans Augen funkelten vor Vergnügen. „Ich freue mich, dass du hier bist. Es ist wirklich toll, dass du Amy in deinem Urlaub eine Weile vertrittst.“

Phoebe winkte ab. „Genau genommen habe ich ja keinen Urlaub, und ich mache das wirklich gern. Es kann nicht schaden, noch ein bisschen Erfahrung zu sammeln, bevor ich meine neue Stelle antrete. Und das ist eure Tochter? Sie ist wirklich goldig.“

„Ja, das ist Marie“, sagte Amy und legte ihrer Freundin das kleine Mädchen in die Arme.

Marie sah sie mit ihren großen Augen an, die winzige Hand griff nach Phoebes Finger. „Ich hab mich verliebt“, sagte diese, und die stolzen Eltern lachten.

„Hast du Hunger?“, wollte Nathan wissen.

„Und ob ich Hunger habe. Im Flugzeug gab’s ja bloß Erdnüsse und Chips.“

„Da hat sich seit dem Studium wohl nicht viel verändert“, meinte Amy, dann wandte sie sich an ihren Mann. „Ich hab Phoebe immer dafür beneidet, dass sie bis zum Umfallen essen konnte und trotzdem so schlank geblieben ist.“

Phoebe zuckte mit den Schultern. „Dafür habe ich dich um andere Dinge beneidet.“ Ihr Blick glitt kurz zu Nathan, dann wieder zu Marie. Obwohl sie sich für Amy freute und selbst nicht mehr an die Liebe glaubte, war sie doch ein bisschen neidisch auf Amys kleine Familie.

„Dann heize ich mal den Grill an“, sagte Nathan. Er nahm Marie wieder auf den Arm und ging zurück Richtung Haupthaus. Der Kies knirschte unter seinen schwarzen Stoffturnschuhen.

„Und ich zeige dir deine Wohnung“, sagte Amy. Sie öffnete den Kofferraum des Jeeps, um Phoebes Gepäck herauszuholen.

Phoebe atmete tief ein. So saubere Luft kannte sie aus London gar nicht. „Das werden bestimmt herrliche zwei Monate. Danke, dass du mich gefragt hast.“

Die beiden Freundinnen lächelten sich zu, dann griff Phoebe ebenfalls nach einer Reisetasche, fröhlich vor sich hin pfeifend.

Das kleine Apartment gefiel Phoebe sofort. Sie hatte alles, was sie für die nächsten Wochen brauchte: ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer mit Kochnische und Blick auf die Pferdekoppel sowie ein geräumiges Bad, in dem sich sogar eine frei stehende Badewanne auf Löwenfüßen befand.

Phoebe packte ihre Koffer aus, in denen sich neben ihren Kleidern und Kosmetikutensilien hauptsächlich Bücher befanden. Dann machte sie sich ein bisschen frisch und zog sich um. Sie entschied sich für ein buntes Sommerkleid mit Blumendruck und eine gelbe Strickjacke. Ihre blonden Haare, die sie für die Reise zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, ließ sie offen. Vor ihrer Abreise war sie extra noch einmal beim Friseur gewesen, und so reichten ihr die Haare jetzt nur noch bis zur Schulter. Doch der neue Schnitt gefiel ihr. Bevor sie aus dem Haus trat, zeichnete sie ihre Lippen in einem zarten Roséton nach.

Die Sonne empfing sie, Vögel zwitscherten. Auf der Weide graste ein braunes Fohlen, das zuvor noch nicht da gewesen war. Langsam ging sie hinüber. Das Fohlen sah auf und richtete die Ohren nach vorn. Vorsichtig streckte sie die Hand nach ihm aus, streichelte ihm über das Mäulchen. Das Tier blieb ruhig, und auch Phoebe spürte eine tiefe Zufriedenheit in sich.

Nicht einmal, als ein schwarzer BMW auf den Hof rollte und neben den anderen beiden Autos parkte, ergriff das Tier die Flucht. Neugierig betrachtete Phoebe den Wagen. Ein Mann stieg aus, groß gewachsen und unglaublich gutaussehend. Er trug Jeans und ein enges schwarzes T-Shirt, unter dem sich deutlich sein durchtrainierter Oberkörper abzeichnete. Phoebe schätzte ihn auf maximal Mitte dreißig. Sie konnte einfach nicht wegsehen, obwohl ihr klar war, wie aufdringlich das erscheinen musste. In der Hand hielt er eine Schachtel. Als er sie bemerkte, kam er lässig auf sie zugeschlendert. Seine Haare waren blond, allerdings eine Spur dunkler als ihre eigenen.

„Salut“, begrüßte er sie und nahm die dunkle Sonnenbrille ab. Darunter kamen grüne Augen zum Vorschein, die sie aufmerksam von oben bis unten musterten. „Feriengast oder neue Reitlehrerin?“

„Weder noch“, erwiderte sie. „Ich bin die neue Tierärztin.“

Überrascht sah er sie an. „Die neue Tierärztin?“

„Ja, genau. Phoebe James. Amy und ich sind alte Freundinnen. Wir kennen uns aus dem Studium, und sie hat mich gebeten, eine Weile für sie einzuspringen.“

„Ach ja? Warum weiß ich gar nichts davon?“

Er reichte ihr die Hand und schenkte ihr ein umwerfendes Lächeln. „Freut mich sehr, Phoebe. Stéphane Gauthier, Freund der Familie, Maries Patenonkel und außerdem Gendarm in Saintes-Maries-de-la-Mer. Wenn du also während deines Aufenthalts bei uns ein Problem haben solltest, kannst du dich vertrauensvoll an mich wenden.“ Er zwinkerte ihr zu. Flirtete er etwa mit ihr? Stéphane lehnte sich gegen den Zaun der Weide. „Also, woher kommst du?“

„Ich lebe in London. Dort arbeite ich normalerweise auch als Tierärztin, aber da meine alte Praxis vor Kurzem aus privaten Gründen schließen musste und meine neue Stelle erst im nächsten Jahr beginnt, greife ich Amy ein wenig unter die Arme.“

„Nett von dir. Dann sehen wir uns ja in nächster Zeit hoffentlich noch öfter. Ich geh mal schnell Hallo sagen und das hier abgeben.“ Er hielt die Schachtel hoch.

Phoebe zögerte. Sie wollte nicht, dass Stéphane einen falschen Eindruck bekam und dachte, sie würde ihm nachlaufen wie ein Welpe. „Ich komme mit, Amy und Nathan warten vermutlich schon längst mit dem Essen auf mich.“ Sie streichelte dem Fohlen noch einmal über den Hals, dann folgte sie Stéphane über den Hof zum Haupthaus.

„Wohnst du hier auf dem Reiterhof?“, fragte er.

Sie nickte. „Nathan hat mir die freie Ferienwohnung gegeben. Es ist wirklich schön hier, so ruhig und friedlich.“

„Wo in London wohnst du?“, fragte Stéphane.

„In Notting Hill. Das ist gar nicht so weit von der Innenstadt entfernt.“

Er grinste. „Na dann. Ist zwar eine schöne Gegend, und der Hyde Park ist auch nicht weit weg, aber mit der Camargue kann’s natürlich nicht mithalten.“

„Du kennst dich in London aus?“

Er zuckte mit den Schultern. „Auskennen ist zu viel gesagt, aber mein bester Freund ist Halbengländer.“

„Nathan?“, fragte Phoebe. „Das wusste ich gar nicht, aber es würde erklären, warum er so gut Englisch spricht.“

„Dein Französisch ist aber auch nicht schlecht.“ War da eine Andeutung in seiner Stimme? Phoebe hatte plötzlich den Eindruck, als würde er eigentlich von etwas ganz anderem reden.

Sie beschloss, es einfach zu ignorieren. „Auslandssemester in Paris.“

Stéphane schlug den gepflasterten Weg neben dem Haus ein, der direkt zur Terrasse führte. Der Duft von Grillkohle und Würstchen hing in der Luft, kleine Rauchschwaden stiegen auf. Der ovale Tisch war bereits gedeckt: frisches Baguette, Soßen, Salate. Es roch köstlich, und Phoebes Magen gab ein leises Grummeln von sich. Das Frühstück war schon viel zu lange her.

Nathan stand am Grill und wendete gerade das Fleisch. Jolie hatte nicht weit von ihm alle viere von sich gestreckt und döste in der Sonne. Marie lag in ihrer Wiege, sie schlummerte tief und fest. Aus dem Haus drang leise Musik. Mit einer weiteren Salatschüssel in den Händen trat Amy aus der offenen Terrassentür. Sie lächelte, als sie ihre Freunde erblickte.

„Ah, Stéphane. Wie ich sehe, hast du Phoebe schon kennengelernt.“ Sie stellte die Schüssel ab und begrüßte ihn.

Nathan, der die beiden noch gar nicht bemerkt hatte, drehte sich zu ihnen herum. „Ihr kommt gerade rechtzeitig, die Würstchen sind gleich fertig.“

„Ich wollte euch eigentlich nur die versprochenen Strampler vorbeibringen“, sagte Stéphane und reichte Amy die Schachtel. „Die Frau meines Arbeitskollegen hat sie extra noch mal gewaschen.“

„Danke, das ist lieb. Mittlerweile ist Marie aus fast allem herausgewachsen.“

„Das ist doch ein gutes Zeichen, oder? Dann will ich mal nicht länger stören.“

„So ein Blödsinn, du isst mit uns“, meinte Amy. „Es ist genug da. Du hast doch nichts dagegen, Phoebe?“

„Nein, gar nicht“, antwortete diese. Was hätte sie auch sonst sagen sollen? Dass sie an ihrem ersten Abend lieber mit ihrer Freundin allein wäre? Das wäre doch schrecklich unhöflich.

Stéphane stimmte sofort zu. „Schon überredet. Das riecht wirklich lecker.“

„Ich hol dir noch schnell ein Gedeck.“

Stéphane hielt Amy am Arm fest. „Ach was, das kann ich doch selbst machen. Ich weiß ja, wo alles steht.“ Schnell verschwand er im Haus.

Amy sah ihre Freundin an. „Ich hoffe, du hast wirklich nichts dagegen? Entschuldige, dass ich dich einfach so überrumpelt habe. Da blieb dir ja gar nichts anderes übrig, als zuzustimmen.“

„Schon okay“, beruhigte Phoebe sie und senkte ihre Stimme. „Und Stéphane ist wirklich Nathans bester Freund? Die beiden wirken auf mich so … unterschiedlich.“

Amy lachte. „So kann man es auch sagen. Stéphane ist wirklich nett, aber er ist eben auch ein Frauenheld. Bei ihm musst du aufpassen.“

„Keine Sorge. Ich habe nicht vor, mir die Finger zu verbrennen.“

Stéphane kam mit einem Teller und Besteck in der Hand zurück auf die Terrasse. Amy und Phoebe hatten bereits Platz genommen. Sie saßen einander gegenüber und plauderten über alte Zeiten. Nathan werkelte noch am Grill.

Ohne lange zu überlegen, nahm Stéphane neben Phoebe Platz. Die meisten Camarguerinnen hatten ihre Röcke und Kleider trotz des schönen Wetters bereits eingemottet, aber Phoebe, die in London vermutlich schon den Herbst zu spüren bekommen hatte, trug ein farbenfrohes Kleid. Es reichte ihr bis zum Knie, und wenn sie saß, so wie jetzt, gab es den Blick auf ihre langen, wohlgeformten Beine frei. Die Aussicht gefiel ihm.

Phoebe, die seinen Blick bemerkte, räusperte sich. „Du bist also Polizist. Das klingt spannend.“

Er musterte sie von der Seite. Ihre Augen waren braun, aber nicht so dunkel wie Schokolade, sondern eher wie Karamell. Und sie roch auch so, süß und verlockend. „Ich mag meinen Job, aber spannend ist er nicht wirklich. Immerhin haben wir hier in Saintes-Maries-de-la-Mer nicht einmal dreitausend Einwohner.“

„Dann wärst du lieber woanders Gendarm?“

Stéphane dachte an seinen Vater, der bei der Polizei in Montpellier gearbeitet hatte. Er schüttelte den Kopf. Tauschen wollte er ganz sicher nicht. „Nein, ich bin zufrieden. So kann ich wenigstens pünktlich Feierabend machen und Nathan nach der Arbeit noch bei einem Bier auf die Nerven gehen.“

„Apropos, wie wär’s mit einer Flasche?“ Nathan kam an den Tisch, in der Hand hielt er einen Teller, auf dem sich nicht nur Steaks und Würstchen befanden, sondern auch gegrillte Zucchini und Auberginen.

„Lieber eine Cola, ich bin mit dem Auto hier.“ Stéphane nahm sich ein Steak und seufzte. „Ach ja, das waren noch Zeiten, als Nathan und ich allein gegrillt haben und es nur Fleisch gab.“

„Besser?“, fragte Amy amüsiert.

„Anders, aber auf keinen Fall besser“, antwortete Nathan und gab Amy einen flüchtigen Kuss. Er goss seinem Freund eine Cola ein, nahm sich selbst ein Steak und ließ sich neben seiner Frau nieder.

Überrascht stellte Stéphane fest, dass auch Phoebe nach einem Stück Putensteak griff und das Gemüse, zumindest vorerst, links liegen ließ. „Nicht schlecht“, meinte er mit einem Nicken zu ihrem Teller, auf dem sich neben dem Putensteak bereits Olivensalat häufte. „Ich mag Frauen, die ordentlich zulangen, und zwar in jeder Hinsicht.“

Phoebe ließ sich von ihm ein Stück Baguette reichen. „Ich habe das Glück, dass ich essen kann, was ich will, und das tue ich für gewöhnlich auch.“

„Auch bei ersten Dates?“, fragte Stéphane. Er bemerkte, wie Amy und Nathan sich einen Blick zuwarfen, ignorierte es aber.

Phoebe schluckte. „Warum nicht? Ich sehe keinen Sinn darin, so zu tun, als sei ich nach einem Salatblatt bereits satt.“

„Das gefällt mir. Das gefällt mir sogar sehr.“

Phoebe schien sich zu einem Lächeln zu zwingen, dann widmete sie sich ihrem Essen.

Sie zog sich in ihr Schneckenhaus zurück, ging auf Abstand. Stéphane begriff, dass er behutsamer vorgehen musste. Wenn er diese Frau um den Finger wickeln wollte – und das wollte er nur zu gern –, musste er vorsichtiger sein. Früher oder später würde sie ihr Schutzschild herunterlassen, und dann würde sie zu Wachs in seinen Händen werden. Das war bisher noch immer so gewesen. Die Frauen konnten ihm einfach nicht widerstehen, und er ihnen auch nicht.

2. KAPITEL

„Wer möchte noch einen Nachtisch?“, fragte Amy, die Marie auf dem Schoß hatte. „Ich habe weiße Mousse au Chocolat gemacht.“

„Da sage ich nicht Nein“, antwortete Phoebe. „Ich bin zwar satt, aber deiner Mousse au Chocolat kann ich einfach nicht widerstehen.“

Amy wollte das Baby Nathan geben, doch er winkte ab. „Lass nur, ich mach das schon.“ Er stapelte die leeren Teller.

„Warte, ich helfe dir“, meinte Stéphane und folgte Nathan mit zwei Salatschüsseln ins Haus.

Einen Moment sahen die Frauen den Männern hinterher. Die Sonne ging allmählich unter, sie verfärbte den Himmel. Sogar die Wolken am Horizont waren rosarot und sahen aus wie Zuckerwatte.

„Nathan ist wirklich toll“, sagte Phoebe schließlich. „Ich freue mich, dass es mit euch beiden doch noch geklappt hat. Das scheint ja alles andere als einfach gewesen zu sein.“

Amy seufzte. „Einfach war es wirklich nicht. Du weißt ja, dass Nathan mit meiner Cousine verheiratet war, bevor sie ums Leben gekommen ist. Dann war mein Onkel gegen uns, aber das ist jetzt zum Glück alles vorbei. Nathan und ich sind glücklich.“

„Das glaube ich dir aufs Wort. Ich glaube, so happy habe ich dich noch nie gesehen. Versteh mich nicht falsch, du warst immer ein lebenslustiger, positiver Mensch, aber jetzt … Ich will nicht philosophisch werden, aber du machst erst jetzt den Eindruck, als seist du komplett.“

Amy lächelte. „So fühle ich mich auch, endlich komplett. Was ist mit dir? Keine neue Liebe in Sicht?“

Phoebe klaubte einen imaginären Fussel von ihrem Kleid. Das war kein Thema, über das sie gerne sprach, aber sie hatte ja damit angefangen. „Nein, niemand.“

„Nicht einmal ein kleiner Flirt?“ Phoebe schüttelte den Kopf, und Amy griff über den Tisch nach ihrer freien Hand. „Ich weiß, wie du zu dem Thema stehst, aber vielleicht ist es an der Zeit umzudenken. Glaub mir, es ist schön, jemanden an seiner Seite zu haben, mit dem man alt werden will.“

Phoebe atmete tief aus. „Mag sein, aber zwischen wollen und werden liegt ein großer Unterschied.“

„Ach, Phoebe. Nur weil deine Mutter schlechte Erfahrungen gemacht hat, heißt das doch noch lange nicht, dass es bei dir genauso laufen wird. Hab ein bisschen Vertrauen. Nicht alle Männer sind schlecht.“

„Das nicht, aber zur Liebe gehört unweigerlich nun auch mal der Schmerz dazu. Wer liebt, der leidet, das hast du doch am eigenen Leib erfahren.“

Amy verzog den Mund zu einem traurigen Lächeln. „Jetzt wirst du aber wirklich philosophisch. Ja, ich habe gelitten, aber das war es wert, denn nun bin ich glücklicher als jemals zuvor. Und du siehst, was Wunderbares dabei herauskommen kann, wenn man sich liebt.“ Sie blickte auf Marie, die zufrieden an ihrem Schnuller nuckelte. „Möchtest du denn nicht auch mal Kinder haben?“

Phoebe zuckte mit den Schultern, sie wusste es nicht. Im Grunde war sie viel lieber in Gesellschaft als allein, und sie wollte im Alter nicht einsam sein. Aber im Moment war sie noch jung, und sie hatte einfach nur Angst davor, so sehr verletzt zu werden wie ihre Mutter.

„Aber so sehr ich dir eine Liebe wünsche, nimm dich vor Stéphane in Acht“, sagte Amy geradeheraus, nachdem sie kurz hinter sich gesehen hatte. Die Männer waren immer noch im Haus verschwunden. Was machten sie so lange dort?

Phoebe verschränkte die Arme vor der Brust. „Da mach dir mal keine Sorgen. Stéphane ist überhaupt nicht mein Typ.“

Amy lächelte in sich hinein. „Jetzt lügst du aber.“

„Ja, okay, er ist schon ziemlich attraktiv, aber zu oberflächlich.“

Amy seufzte. „Du machst dir ein falsches Bild von Stéphane. Er ist nicht nur Nathans bester Freund, sondern auch ein wunderbarer Mensch, auf den man sich zu einhundert Prozent verlassen kann. Ich mag ihn wirklich gern. Aber sobald eine Frau im Spiel ist, wird er zu einem anderen Menschen.“

Phoebe konnte das zwar nicht so ganz glauben, aber es spielte auch keine Rolle. Sie hatte nicht vor, sich während ihrer Zeit in Südfrankreich von einem Mann ablenken zu lassen. Denn sie hatte ihr Herz ganz sicher nicht all die Jahre lang geschützt, um es sich jetzt von einem französischen Filou brechen zu lassen.

Die vier saßen noch lange zusammen und unterhielten sich über Gott und die Welt. Inzwischen war es dunkel und recht kühl geworden. Amy hatte Marie schlafen gelegt und sich eine dicke Strickjacke geholt, die sie über ihrem Pullover trug, doch Phoebe fror nach wie vor nicht. Für ihren Geschmack war es immer noch mild, und obwohl von den Wiesen ringsherum Feuchtigkeit aufstieg, hatten die Steine auf der Terrasse die Wärme des Tages gespeichert. Jolie lag mittlerweile dort und nicht mehr im Gras. Motten flatterten um das Terrassenlicht, und Amy hatte Kerzen angezündet, die einen dezenten Lavendelduft verströmten.

Phoebe legte den Kopf in den Nacken und blickte hinauf in den Himmel. Die wenigen Wolken waren verschwunden, und unendlich viele Sternen funkelten wie Diamanten. Im Radio lief ein Lied von Édith Piaf, und Phoebe summte eine Weile leise mit. „So einen wunderschönen Sternenhimmel habe ich schon lange nicht mehr gesehen. Das ist richtig romantisch.“

„Reitest du?“, fragte Stéphane.

„In London komme ich nicht oft dazu, aber ja, ich reite sehr gern.“

„Wenn du das hier schon romantisch findest, solltest du mal in der Abenddämmerung Richtung Strand ausreiten. Die untergehende Sonne, später die Sterne, die Brandung … Vielleicht können wir das ja mal machen, solange du hier bist.“

Phoebe bekam nur am Rande mit, dass Amy sich an ihrer Zitronenlimonade verschluckte. Sie wandte den Kopf und sah direkt in Stéphanes grüne Augen, die in diesem schummerigen Licht fast etwas Mystisches ausstrahlten. „Vielleicht“, antwortete sie und fragte sich, worauf er aus war.

„Seit wann reitest du?“, fragte Nathan seinen Freund mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Hey, wir leben immerhin in der Camargue. Außerdem bin ich früher schon geritten, mit meinem Vater. Vielleicht sollte ich es mal wieder versuchen. Man hat mich so oft gebeten, die berittenen Kollegen bei den verschiedenen Festivitäten zu unterstützen. Und demnächst ist es ja schon wieder so weit.“

Oh, là, là. Was für ein Sinneswandel! Bisher kannte ich dich nur als eingefleischten Pferdeignoranten.“ Amy unterdrückte ein Kichern. „Nathan macht dir sicher einen Sonderpreis, wenn es um Reitstunden geht.“

„Aber klar doch. Louise unterrichtet dich mit Sicherheit gern“, sagte Nathan. Er lachte, und nun fiel auch Amy mit ein.

„Ja, ja, lacht ihr nur“, meinte Stéphane. „Ihr werdet schon sehen. So, ich mache mich jetzt lieber auf den Weg, bevor ihr mich noch mehr blamiert.“ Er stand auf, aber er schien den Gekränkten nur zu spielen, denn seine Augen funkelten amüsiert und blickten nun zu Phoebe. „Es war sehr nett, dich kennenzulernen, Phoebe. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder.“

„Bestimmt“, antwortete sie und stand ebenfalls auf. „Ich denke, ich gehe jetzt auch ins Bett. Es war ein langer Tag.“

Nun erhoben sich auch Amy und Nathan. Sogar Jolie stand auf und wedelte mit dem Schwanz, während sie von einem zum anderen sah. „Brauchst du noch etwas?“, wollte Amy von Phoebe wissen.

„Lieb von dir, aber die Ferienwohnung ist ja bestens ausgestattet. Und wenn etwas sein sollte, melde ich mich.“

„So machen wir’s. Dann schlaf gut, und vielen Dank noch mal, dass du hier bist. Das ist großartig.“

„Ist doch Ehrensache“, erwiderte Phoebe. „Du bist schließlich meine Freundin.“

Nachdem beide sich verabschiedet und für das Essen bedankt hatten, legte Stéphane ganz leicht seine Hand auf Phoebes Rücken, um ihr den Vortritt zu lassen. Sie fragte sich, warum sie nicht ein paar Minuten gewartet hatte, aber gleichzeitig kam sie nicht umhin, zu registrieren, dass sich seine Hand auf ihrem Rücken gut anfühlte.

Der Bewegungsmelder schaltete das Licht an, als sie um das Haus herumliefen. Wie selbstverständlich begleitete er sie zu ihrer Haustür. Es war so still, wie es in London selbst mitten in der Nacht nicht wurde. Man hörte keine vorbeifahrenden Autos, kein Hundegebell. Ihre Schritte auf dem Kies waren das einzige Geräusch.

„Darf ich fragen, warum deine ehemalige Praxis in London nicht mehr existiert?“ Er warf Phoebe einen Seitenblick zu.

Sie war überrascht, dass er sich das gemerkt hatte und genauer nachfragte. Sie spürte die Leere in sich, als sie antwortete: „Der Praxisinhaber ist leider vor zwei Wochen ganz unerwartet verstorben.“

„Oh, das tut mir leid.“

„Ja, mir auch. Dr. Taylor war schon älter, aber das hat es trotzdem nicht einfacher gemacht.“ Phoebe schluckte. Im Laufe der Jahre, die sie in der Praxis gearbeitet hatte, war Dr. Taylor zu einem Vertrauten geworden. Oft hatte er ihr väterliche Ratschläge gegeben, die sie von ihrem eigenen Vater nie bekommen hatte. „Von seinen Söhnen ist leider keiner in seine Fußstapfen getreten, deshalb haben sie die Praxis verkauft. Ich glaube, es kommt jetzt ein Schönheitschirurg hinein. Oder war es ein Metzger?“

„Was ja auch irgendwie dasselbe ist“, bemerkte Stéphane.

Phoebe lachte, die getrübte Stimmung war so schnell fort, wie sie gekommen war. „Na, jedenfalls habe ich nicht lange gezögert, als Amy mich bat, eine Weile für sie einzuspringen. Ich hab zwar schon eine neue Stelle, aber die trete ich erst im neuen Jahr an, und vermutlich hätte ich mich bis dahin ohnehin bloß zu Tode gelangweilt.“

„Dann hast du niemanden, der zu Hause auf dich wartet?“

Phoebe forschte in seinem Gesicht. Da war er wieder, der Hintergedanke. „Nein, ich bin Single.“

Mittlerweile hatten sie ihre Haustür erreicht. Phoebe steckte den Schlüssel ins Schloss. „Komm gut nach Hause.“

Bevor sie die Tür aufschließen konnte, trat er einen Schritt auf sie zu, sodass sie ziemlich nah voreinander standen. „Das war ein sehr schöner Abend, Phoebe“, sagte er leise.

Seine Augen waren direkt auf sie gerichtet und sahen sie intensiv an. Obwohl er sie nicht berührte, bekam sie allein von seinem Blick eine Gänsehaut. Oje! Sie hatte geglaubt, immun zu sein gegen seinen Charme, aber die Reaktion ihres Körpers bewies ihr das Gegenteil. „Gute Nacht, Stéphane.“

Er machte noch einen Schritt auf sie zu. Sie wich zurück, spürte aber die Tür im Rücken. Er stand direkt vor ihr, schob ihr eine Strähne ihres blonden Haars hinter das Ohr. „Was würdest du sagen, wenn ich dich jetzt küssen würde?“

„Was …?“

Ihre Stimme versagte, und sein Mund verzog sich zu einem sexy Lächeln. Sein Blick hypnotisierte sie fast, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Er ließ seine Hand in ihren Nacken wandern, während er sich mit der anderen neben ihrem Kopf an der Tür abstützte. Ihr Körper war ein einziges Kribbeln. Sie spürte seinen Atem, so nah war er ihr. Er roch gut, herb und männlich, gleichzeitig aber auch irgendwie süßlich. Ihr Blick wanderte zu seinem geschwungenen Mund. Sie nahm seinen leichten Bartschatten wahr, doch sie konnte ihren Blick nicht von seinen Lippen nehmen.

Wie in Zeitlupe beugte er sich zu ihr, und sie schloss instinktiv die Augen. Sämtliche Alarmglocken in ihrem Kopf schrillten, doch sie konnte sich nicht aus dieser gefährlichen Situation befreien. Plötzlich wollte sie wissen, wie sich diese Lippen anfühlten.

Aber diesen Gefallen tat er ihr nicht. Er hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und berührte dabei fast ihren Mundwinkel, aber nur fast. Sie öffnete die Augen, er grinste sie an. Sein Gesicht hatte sich wieder von ihrem entfernt. Sie brachte keinen Ton heraus. Stéphane stieß sich von der Tür ab.

„Bis dann“, sagte er, während er schon über den Kies auf sein Auto zulief. Ganz kurz drehte er sich noch einmal zu ihr um, dann stieg er in seinen BMW und fuhr leise vom Hof.

Lange sah Phoebe ihm hinterher. Sie spürte immer noch seine warme Hand in ihrem Nacken, seinen Atem an ihrer Wange. Was war da gerade passiert? Irgendwann löste sie sich aus ihrer Starre, schüttelte über sich selbst den Kopf. Sie musste wirklich aufpassen. Stéphane wusste, wie man eine Frau verführt. Sie hatte geglaubt, er sei keine Gefahr für sie, aber da hatte sie sich offensichtlich gründlich getäuscht. Wenn sie nicht Acht gab, war sie ihm schneller verfallen, als sie Cheers sagen konnte, und das durfte unter keinen Umständen geschehen.

Stéphane konnte sich nur schwer auf seine Arbeit konzentrieren. Vor ihm auf dem Schreibtisch türmte sich ein Stapel Akten, er musste Berichte schreiben, aber ihm wollten diese karamellfarbenen Augen einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Er war verwirrt, weil es ausgerechnet ihre Augen waren, an die er immerzu denken musste. Das war untypisch für ihn.

Als er sich erinnerte, wie er sie gereizt hatte, stahl sich ein Grinsen auf sein Gesicht. Allerdings nur so lange, bis er sich an das Gefühl erinnerte, ihr so nahe zu sein. Einen Moment überlegte er, wie es wohl gewesen wäre, sie wirklich zu küssen. Sie hatte unglaublich sinnliche Lippen, weich und voll. Vielleicht hätte er es einfach tun sollen, denn er wollte unbedingt wissen, wie sich diese Lippen auf seinen anfühlten.

Er war sich sicher, dass sie ihn nicht weggestoßen hätte, zumindest nicht sofort, aber nun fragte er sich, ob er noch einmal die Chance dazu haben würde. Sie war auf der Hut, und obwohl sie in keiner festen Beziehung war, machte sie auf ihn nicht den Eindruck, als ob sie sich auf ihn einlassen würde.

Aber das spielte ohnehin keine Rolle. Er musste sie sich aus dem Kopf schlagen. Sie war Amys Freundin, und da er von vorneherein wusste, dass er nur auf ein bisschen Spaß aus war, ließ er lieber die Finger von ihr. Trotzdem stellte er sich vor, wie seine Handfläche den Saum ihres Kleides ein Stückchen nach oben schob, wie er über ihren nackten Oberschenkel strich …

„Du bist zum Arbeiten hier, nicht zum Träumen“, rief Philippe, ein Arbeitskollege. Er war Mitte vierzig und hatte einen Bierbauch. In der einen Hand hielt er eine Akte, in der anderen einen Kaffeebecher.

Stéphane zuckte ertappt zusammen. „Tut mir leid, ich war mit den Gedanken woanders.“

„Wo auch immer du warst, da wäre ich auch gerne. Du sahst ziemlich zufrieden aus.“

Stéphane räusperte sich. „Wie kann ich dir helfen?“

Philippe warf die Akte auf den vollen Schreibtisch, mit einem Knall landete sie vor Stéphane. „Der Pferdedieb hat erneut zugeschlagen.“

Seufzend stand Stéphane auf und ging hinüber zur Kaffeemaschine, um sich auch noch eine Tasse zu holen. „Wieder ein männliches Jungpferd von der Weide?“

Sein Kollege nickte. „Das ist schon das zweite Mal. Allmählich werden die Pferdebesitzer unruhig.“

Stéphane kehrte zurück zu seinem Schreibtisch, ließ sich auf seinen Stuhl sinken und warf einen kurzen Blick in die Unterlagen. „Ich verstehe das nicht. Draußen in der Sumpflandschaft gibt es genug Wildpferde. Warum macht er sich die Mühe und stiehlt die Pferde von der Weide?“

„Lösegeld?“

Stéphane runzelte die Stirn. „Glaube ich nicht, außerdem hätte das erste Opfer dann schon etwas vom Täter gehört. Immerhin ist es bereits zwei Wochen her. Nein, es muss etwas anderes sein.“

„Lass uns doch erst mal zum zweiten Opfer fahren und die Aussage aufnehmen. Vielleicht ist ihm ja etwas aufgefallen, das uns weiterhelfen könnte.“

Stéphane nahm noch einen großen Schluck Kaffee und griff nach seiner Jacke, die hinter ihm über der Stuhllehne hing. „Das bezweifele ich zwar, aber da wir ohnehin mit ihm werden sprechen müssen, können wir es auch gleich hinter uns bringen.“

„Guten Morgen“, begrüßte Nathan Phoebe, als sie hinaus in die Sonne trat.

Bonjour. Du bist ja schon fleißig.“

Er stand in Arbeitskleidung vor ihr, in der Hand einen Eimer. Offensichtlich war er auf dem Weg zum Stall. Auf dem Übungsplatz sah Phoebe eine Frau, wahrscheinlich eine Reitlehrerin, die eines der weißen Pferde für den Unterricht fertig machte.

Nathan lachte. „Ich bin bereits seit zwei Stunden auf den Beinen.“

„Seit zwei Stunden?“

Er nickte. „So ein Reiterhof macht viel Arbeit. Also, ich wünsche dir viel Erfolg für deinen ersten Tag.“

Phoebe bedankte sich und lief über den Hof auf das Haupthaus zu. Jolie lag neben den Stufen auf einem kleinen Fleckchen Rasen und schien das Haus zu bewachen.

Ein wenig aufgeregt war Phoebe schon, aber sie freute sich auch auf die neue Aufgabe. Sie hatte sich immer auf Pferde spezialisieren wollen, aber in London bisher nicht die Möglichkeit dazu gehabt. Nun war sie seit drei Tagen hier in der Camargue. Amy hatte sie eingewiesen und ihr die Gegend gezeigt, außerdem hatte sie Amys Onkel und die Praxis kennengelernt. Aber heute ging es zum ersten Mal zu den Patienten. Ein Bauer hatte angerufen, weil eines seiner Pferde lahmte.

Phoebe atmete die frische Morgenluft ein. Sie kraulte Jolie kurz hinter den Ohren, bevor sie die Haustür zum Haupthaus öffnete. Sie hatte sich sofort in die Camargue verliebt. Zwar mochte sie ihr Leben in London, doch London war nun mal eine Großstadt. Hier konnte sie die Ruhe und die Natur genießen.

Leichte Nebelschwaden hingen über den Wiesen, und die Sonne hatte noch nicht so viel Kraft wie zur Mittagszeit. Aber es würde wieder ein schöner Tag werden.

„Bonjour“, rief sie gut gelaunt. „Bist du fertig?“

Amy kam aus dem Wohnzimmer in den Flur, Marie auf dem Arm. „Guten Morgen. Na, schon aufgeregt?“

„Wenn ich ehrlich bin: ja, bin ich.“

Amy winkte ab. „Ach, das ist normal. Was meinst du, wie aufgeregt ich war, als ich in der Praxis meines Onkels angefangen habe? Aber die Pferdebesitzer hier in der Gegend sind alle sehr nett.“ Sie deutete auf einen schwarzen Arztkoffer, der unter einer Garderobenbank stand. „Das ist ab sofort deiner.“

Phoebe bückte sich und zog den Koffer hervor. „Du brauchst aber wirklich nicht mitzukommen, Amy. Ich komme schon klar, und das Navi wird mir den Weg weisen.“

„Das weiß ich doch. Ich komme auch eher mit, weil ich die Arbeit ein bisschen vermisse, und es macht sich auch gut, wenn wir den Wechsel offiziell vollziehen. Aber ich werde dir nicht reinreden, ich muss ja ohnehin auf Marie aufpassen.“

Gemeinsam verließen sie das Haus und gingen auf den schwarzen Jeep zu. Amy reichte Phoebe die Autoschlüssel. Da Amy und Nathan zwei Autos hatten, stand der Jeep Phoebe zur Verfügung, solange sie hier war. Sie schloss auf und verstaute die Arzttasche, während Amy Marie in die Babyschale legte und anschnallte. Nathan, der gerade aus dem Stall kam, winkte ihnen zu. Nachdem Phoebe die Adresse ins Navi eingegeben hatte, lenkte sie den Wagen auf die Straße. Nach wie vor fand sie es ungewohnt, auf der falschen Seite im Auto zu sitzen und vor allem auf der anderen Straßenseite zu fahren.

„Ich hätte dir den Weg auch sagen können“, meinte Amy.

„Schon, aber in den nächsten Wochen muss ich ja auch allein zurechtkommen. Deshalb tue ich jetzt so, als wärst du überhaupt nicht hier.“

Amy lachte. „Dann willst du nach deinem ersten Einsatz keinen Café au lait mit mir trinken gehen?“

„Das ist etwas anderes“, erklärte Phoebe. „Ist eigentlich immer so wenig los wie im Moment?“

Amy schüttelte den Kopf. „Ganz im Gegenteil, normalerweise habe ich immer gut zu tun. Aber jetzt konnte ich ja ein paar Wochen nicht praktizieren. Es spricht sich erst allmählich herum, dass wir endlich eine Vertretung gefunden haben.“

Phoebe warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. „Es ist wirklich schön in der Camargue, aber es ist doch bestimmt nicht so einfach, hier zu leben.“

Amy zuckte mit den Schultern. „Das würde ich so nicht sagen. Klar, in jungen Jahren ist das ein anderes Thema, wobei es herrlich war, hier aufzuwachsen. An den Wochenenden konnten wir ausreiten, in den Sommerferien jeden Tag schwimmen gehen. Nur große Einkaufstouren mussten gut geplant werden, aber wenn man älter ist und ein Auto hat, ist das alles kein Thema mehr. Montpellier ist ja nicht so weit, und dort gibt es alles. Nach Arles ist es sogar bloß eine halbe Stunde, und auch dort kann man gut bummeln oder ausgehen.“

„Das klingt nett und tatsächlich schöner als meine Jugend in London. Ich wollte ja auch immer ein Pferd haben, aber meine Mutter konnte sich nicht einmal den Reitunterricht leisten.“

Amy legte ihrer Freundin eine Hand auf den Arm. „Jetzt bist du hier, und du darfst dir jederzeit ein Pferd nehmen. Nathan hat nichts dagegen.“

„Danke, das ist lieb“, sagte Phoebe und versuchte, die traurigen Gedanken an früher zu verdrängen.

„Wir können gerne mal zusammen ausreiten, oder du nimmst Stéphanes Angebot an.“ Die Belustigung in Amys Stimme war deutlich zu hören.

Phoebe erwiderte nichts. Zwar überlegte sie kurz, ob sie Amy von dem Kuss erzählen sollte, doch sie tat es nicht. Im Grunde war ja auch nichts passiert. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass sie es überhaupt so weit hatte kommen lassen.

Wenn Stéphane es darauf angelegt hätte, hätte sie in jenem Moment all ihre Vorsicht über Bord geworfen und sich von ihm küssen lassen. Der Gedanke gefiel ihr ganz und gar nicht, obwohl er ihr gleichzeitig eine Gänsehaut bereitete. Das war doch nicht normal.

Schon bald hatten sie den Bauernhof erreicht. Phoebe stutzte, als sie ein Polizeiauto mitten auf dem Hof stehen sah. „Nanu, was ist denn hier los?“

„Hoffentlich nichts Schlimmes“, meinte Amy.

Vorsichtig fuhr Phoebe um den Polizeiwagen herum und parkte den Jeep seitlich. Dann stiegen sie aus und sahen sich um, Phoebe die Arzttasche in der Hand, Amy Marie auf dem Arm. Als sie Stimmen hörten, gingen sie in diese Richtung.

Wie bei Nathan war der Hof auch hier mit Kies ausgelegt, jedoch nicht so weitläufig. Linker Hand war Wald, rechter Hand eine Wiese mit Obstbäumen und parallel zur Straße ein gelb gestrichenes Haus mit Schieferdach. Doch als sie dem Weg zwischen Gebäude und Wiese gefolgt und um das Gebäude herumgelaufen waren, kamen die Stallungen und eine Koppel in Sicht. In der Mitte tat sich ein weiterer Innenhof auf, und dort standen drei Männer, die sich unterhielten, zwei davon in Gendarmuniform.

Phoebe musste zweimal hinsehen, doch sie meinte tatsächlich, Stéphane zu erkennen. Auch er entdeckte die Frauen in diesem Moment. Überrascht sah er ihnen entgegen.

Irritiert registrierte Phoebe, dass ihr Herz bei seinem Anblick ein bisschen schneller schlug. Was war nur los mit ihr? Sie war doch sonst nicht so unvernünftig.

Der Bauer drehte sich zu ihnen herum. „Ah, Madame Hill. Bitte entschuldigen Sie, ich bin gleich bei Ihnen.“

„Kein Problem“, sagte Amy und zeigte auf Phoebe. „Das ist übrigens Phoebe James, meine Vertretung. Darf ich fragen, was passiert ist?“

„Man hat mir heute Nacht ein Jungpferd von der Weide gestohlen“, erklärte der Bauer. „Noch dazu mein Bestes. Elendes Diebesgesindel!“

„Schon wieder?“, fragte Amy bestürzt. „Das ist nun schon das zweite Mal, dass in der Gegend ein Pferd gestohlen wurde.“

„Ein Pferdedieb in der Camargue?“ Phoebe sah nur kurz zu Stéphane. „Habt ihr schon eine Spur?“

Er schüttelte den Kopf und stellte ihr seinen Arbeitskollegen vor, einen Mann mittleren Alters, der Philippe hieß. „Der Dieb ist clever, aber wir werden ihn schon kriegen.“

„Na hoffentlich“, maulte der Bauer.

„Denkst du, er wird wieder zuschlagen?“, fragte Amy.

Stéphane verzog nachdenklich den Mund. „Vermutlich ja, wir müssen mit allem rechnen. Sag Nathan, er soll auf seine Pferde achtgeben, besonders auf die Jungtiere. Aber zum jetzigen Zeitpunkt können wir noch nichts Genaues sagen – weder, ob der Dieb noch mal zuschlagen wird, noch, ob er sich wirklich nur auf jüngere Pferde konzentriert.“

„Nathan wird nicht begeistert sein. Magst du eventuell heute Abend zum Abendessen vorbeikommen? Er hat sicher noch ein paar Fragen an dich, und es gibt Flammkuchen.“

Stéphane nickte. „Gern, ich bin so gegen sieben Uhr bei euch.“

„Sind wir dann hier fertig?“, fragte der Bauer. „Oder haben Sie noch Fragen an mich?“

Philippe schüttelte den Kopf. „Melden Sie sich bitte, wenn Ihnen doch noch etwas einfällt. Ansonsten erst einmal vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.“ Die Männer verabschiedeten sich voneinander, dann schlenderte Philippe Richtung Auto, während Amy und der Bauer bereits zum Stall gingen.

„Ich komme sofort nach“, rief Stéphane seinem Kollegen hinterher. Er zwinkerte Phoebe zu. „Dein erster Einsatz?“

„Genau, ein lahmendes Pferd.“ Ihre Stimme klang ein wenig zittrig, weil Stéphane schon wieder so nah vor ihr stand. Sie war nervös, seinetwegen, und das wusste er ganz genau. Phoebe blickte in die Richtung, in die Amy mit dem Bauern verschwunden war. „Ich sollte langsam mal.“

Stéphane seufzte. „Ja, ich muss auch los, Philippe kann ziemlich ungeduldig werden.“ Prompt hörte man eine Hupe, und die beiden grinsten sich an. Doch das Grinsen wich aus ihrem Gesicht, als er noch einen Schritt auf sie zutrat und ihr sanft über den Arm strich. „Wir sehen uns ja sicher heute Abend. Ich freue mich schon. Vielleicht können wir ja da weitermachen, wo wir beim letzten Mal aufgehört haben.“ Mit diesen Worten ließ er sie los und wandte sich zum Gehen.

Einen Moment sah Phoebe ihm sprachlos nach, dann rief sie: „Das werden wir ganz sicher nicht tun!“ Doch Stéphane drehte sich nicht mehr zu ihr um, sie hörte ihn nur leise lachen.

Sie wandte sich ab und ging in die entgegengesetzte Richtung. Sie wollte es sich nicht eingestehen, aber ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer, wenn sie daran dachte, Stéphane heute Abend erneut zu begegnen. Sie war wirklich komplett verrückt geworden. Ihre Mutter war das beste Beispiel, was dabei herauskam, wenn man sich auf einen Frauenhelden einließ. Und Phoebe wollte diesen Fehler ganz gewiss nicht wiederholen.

3. KAPITEL

Stéphane fuhr extra noch mal nach Hause, um sich ein wenig frisch zu machen, bevor er sich auf den Weg zu Amy und Nathan machte – und Phoebe. Nachdem er sie am Vormittag zufällig gesehen hatte, war sie ihm erst recht nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Warum nur? Vielleicht sollte er sie heute Abend wirklich einfach küssen, in der Hoffnung, dass er sich dann nicht unentwegt fragen würde, wie sie wohl schmeckte. Aber im Grunde wusste er, dass es nicht viel ändern würde. Es würde ihn lediglich dazu bringen, sich zu fragen, wie sie sich anfühlte …

Er schüttelte den Kopf und parkte den BMW schwungvoll neben dem schwarzen Jeep. Er sollte sich nichts dergleichen fragen. Phoebe war Amys Freundin und damit tabu für ihn. Sein Blick wanderte über den Hof, doch Phoebe war nirgends zu entdecken. In ihrer Wohnung brannte kein Licht, und auch sonst war es ruhig auf dem Anwesen. So ging er zielstrebig auf das Haupthaus zu. Da es bereits dämmerte und er nicht wusste, ob sie wieder auf der Terrasse essen würden, klingelte er dieses Mal. Es dauerte nicht lange, und Nathan öffnete ihm, eine Flasche Roséwein in der Hand, die er offensichtlich gerade aufmachen wollte.

„Komm rein, das Essen ist schon fertig.“

Nathan ging voraus, und Stéphane folgte ihm in die Küche, wo der Tisch bereits gedeckt war. Phoebe saß auf einem der Stühle, Amy holte gerade den Flammkuchen aus dem Ofen, und das Labrador-Weibchen lag wie immer mitten im Weg. Stéphane streichelte es kurz, dann stieg er über Jolie hinweg, um Amy mit Wangenküsschen zu begrüßen.

„Kann ich noch irgendwie helfen?“

Amy schüttelte den Kopf. „Ach was, setz dich und mach es dir gemütlich.“

Stéphane nahm neben Phoebe Platz. „Salut.“

Nur kurz sah sie ihn mit einem Lächeln an, bevor sie sich wieder dem Treiben in der Küche zuwandte. Amy stellte den Flammkuchen auf einem rustikalen Holzbrett auf den Tisch, während Nathan die Weingläser füllte.

Stéphane war sich sicher, dass Phoebe ebenso wie er in diesem Moment an ihren Beinahe-Kuss dachte, doch offensichtlich schien es ihr unangenehm zu sein. „Wie war dein erster Tag?“

„Gut“, antwortete Phoebe, ohne ihn anzusehen.

Stéphane nahm aus den Augenwinkeln wahr, dass Amy und Nathan gerade nur Augen füreinander hatten, also beugte er sich etwas näher zu Phoebe und fragte leise: „Woran denkst du?“

Seufzend wandte sie sich ihm zu. „Stéphane, ich halte es für keine gute Idee, wenn wir beide …“

Er war überrascht, dass sie so offen und ehrlich mit der Situation umging und wusste in diesem Moment nicht, wie er selbst reagieren sollte. Doch das war auch gar nicht mehr nötig, da Amy nun neben ihrem Mann am Tisch Platz nahm.

„Bon appétit!“

„Das riecht köstlich“, sagte Stéphane zu Amy. „Wie immer. Nathan hat es wirklich gut mit dir getroffen, vor allem, weil er selbst nicht kochen kann.“

„Weil du ja so viel besser kochst“, erwiderte Nathan spöttisch.

„Ich sag nicht, dass ich gut bin, aber besser als du bin ich allemal.“

Nathan ging nicht weiter darauf ein. „Wie sieht’s denn mit dem Pferdedieb aus? Weißt du schon mehr?“

Stéphane stieß einen Seufzer aus. „Eigentlich darf ich ja nicht über laufende Fälle reden. Aber wir haben nichts, rien, keinen einzigen Anhaltspunkt.“

„Ihr wisst aber, dass es sich um einen Serientäter handelt?“, fragte Amy.

„Das kann man so nicht sagen. Ja, es wurden nachts zwei männliche Jungpferde von den Weiden gestohlen, aber wir wissen weder hundertprozentig, ob es sich um ein- und denselben Täter handelt, noch, ob er wieder zuschlagen wird.“

„Das wird er, weil er es kann“, erwiderte Nathan grimmig. „So ein Mist, was soll ich denn jetzt machen? Topolino passt genau ins Beuteschema.“

Amy legte ihm eine Hand auf den Arm. Stéphane wusste, wie viel ausgerechnet Topolino ihm bedeutete. Das Pferd von Nathans verstorbener Frau hatte das Fohlen letztes Jahr zur Welt gebracht, Amy hatte bei der Geburt geholfen. Sie und Nathan waren sich in jener Nacht näher gekommen. Stéphane fühlte sich hilflos, weil er seinem besten Freund in dieser Situation nicht helfen konnte, obwohl er Polizist war.

„Es tut mir leid, aber wir können nicht jede Weide in Saintes-Maries-de-la-Mer bewachen. Bring das Pferd über Nacht am besten im Stall unter, und besorg dir eine Überwachungskamera. Mehr kann ich dir im Moment leider auch nicht raten.“

Nathan nickte. „Ich weiß, Mann, ich mache mir nur Sorgen. Keine Ahnung, ob es etwas bringt, die Junghengste in den Stall zu sperren, aber ich kann auch nicht jede Nacht aufpassen.“

„Wir könnten uns doch abwechseln“, mischte Phoebe sich das erste Mal ins Gespräch ein.

Nathan lächelte ihr zu. „Das ist nett, aber du brauchst deinen Schlaf. Glaub mir, als einzige Tierärztin in Saintes-Maries-de-la-Mer wirst du schon bald jede Menge zu tun haben, und es ist ja auch keine Dauerlösung.“

„Wir werden den Dieb schon schnappen“, sagte Stéphane, obwohl er sich da selbst nicht so sicher war. Wenn er wenigstens wüsste, wo er mit seiner Suche anfangen sollte, aber im Moment war der Täter besser versteckt als die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen. „Ihr habt doch Ahnung von Pferden. Vielleicht könnt ihr mir ja helfen. Warum macht sich jemand die Mühe und stiehlt die Tiere von der Weide? Wir leben in der Camargue, hier gibt es überall Wildpferde. Und warum nur Hengste, die noch nicht ausgewachsen sind?“

Nathan nahm sich noch ein Stück Flammkuchen, bevor er antwortete. „Also, das mit den Wildpferden stimmt so nicht ganz. Die Pferde, die man in der Sumpflandschaft oder bei den Seen sieht, gehören in den meisten Fällen zu einem wilden Gestüt. Du weißt, dass sich meine Pferde auch nicht alle auf der Weide aufhalten. Diejenigen, die nicht für den Reitunterricht ausgebildet wurden, sind wesentlich wilder und stromern umher. Das können sie auch, weil man sie am nächsten Tag ja nicht wieder braucht.“

„Verstehe“, murmelte Stéphane. „Jetzt müsst ihr mich für ganz schön dumm halten.“ Doch niemand sagte etwas dergleichen, ganz im Gegenteil.

„Das ist mir auch neu“, bemerkte Phoebe.

Stéphane sah sie kurz von der Seite an. Er lächelte ihr zu, bevor sie sich wieder ihrem Teller widmete. „Und was hat es mit den Jungpferden auf sich?“

„Camarguepferde sind erst mit sieben oder acht Jahren ausgewachsen“, erklärte Amy. „Sie werden braun oder schwarz geboren. Vollkommen weiß werden sie erst mit etwa zehn Jahren.“

„Und was hat das zu bedeuten?“, wollte Stéphane wissen. „Sind die Pferde wertvoller, solange sie noch nicht weiß sind?“

„Das kann man so nicht sagen“, meinte Nathan. „Es kommt darauf an, zu welchem Zweck man die Pferde braucht.“

„Ich tippe jetzt mal darauf, dass sich junge Hengste gut zur Zucht eignen“, wagte Stéphane einen Versuch.

Nathan nahm einen Schluck Wein. „Theoretisch schon, allerdings könnte der Dieb auch direkt die Zuchthengste stehlen, wenn es ihm darum ginge. Die sind schließlich dafür prädestiniert, während sich die jungen Hengste erst noch beweisen müssen.“

„Die müsste er aber erst einmal ausfindig machen“, bemerkte Phoebe. „Ich nehme nicht an, dass sie nur zu bestimmten Anlässen herausgelassen werden und sonst das ganze Jahr über in einer Box verbringen, auf der groß Zuchthengst steht.“

Nathan grinste. „Das ist wohl wahr. Meine Pferde befinden sich in der Regel auf der Weide oder im angrenzenden Gebiet. Ich lasse der Natur ihren Lauf und greife nicht ein, indem ich eine bestimmte Stute mit meinem besten Hengst paare. Aber ich kann da nur für mich sprechen, andere Pferdebesitzer handhaben das sicher anders, vor allem diejenigen, die die Tiere später verkaufen.“

Stéphane winkte ab. „Lassen wir das. Ich langweile euch nur mit meiner Arbeit. Irgendwann wird der Dieb einen Fehler machen, und dann bin ich zur Stelle.“ Er sah zu Amy. „Darf ich mir noch ein Stückchen Flammkuchen nehmen?“

„Jetzt frag doch nicht, bedien dich einfach.“

„Möchtest du auch noch etwas?“, fragte er Phoebe.

Sie nickte. „Gern.“

Nach wie vor gefiel Stéphane, dass Phoebe einfach aß, so viel sie wollte und worauf sie Lust hatte. Was wohl passieren würde, wenn sie ihren Gelüsten auch in anderen Lebensbereichen nachgab? Zwischen ihnen bestand eindeutig eine sexuelle Spannung, das spürte Phoebe sicherlich auch, aber sie wehrte sich dagegen. Und das war auch gut so, denn er selbst konnte einfach nicht aufhören, mit Phoebe zu flirten, obwohl er sich immer wieder sagte, dass sie tabu für ihn war.

Er reichte ihr noch ein Stück Flammkuchen. „Und, hast du dich mittlerweile eingelebt? Wie gefällt es dir hier in der Camargue?“

Sie nickte. „Es ist toll hier. Ich kann nicht sagen, ob es auf Dauer etwas für mich wäre, da ich das Stadtleben gewöhnt bin. Aber für den Moment ist es genau das Richtige.“

„Kann ich gut verstehen. Und die Arbeit?“

„Phoebe macht sich hervorragend“, mischte Amy sich ein. „Zumindest der Bauer vorhin war sehr zufrieden.“

„Dann lahmt das Pferd nicht mehr?“, fragte Stéphane.

Phoebe lachte. Es war ungewohnt, dass sie auf einmal so entspannt war. „So schnell geht das nicht, aber in ein paar Tagen ist sicher wieder alles beim Alten.“ Sie griff nach ihrem Weinglas und schwenkte den gekühlten Rosé. „Mir war gar nicht bewusst, wie sehr mir die Arbeit mit Pferden gefehlt hat.“

„Dann hast du schon mal mit Pferden gearbeitet?“, wollte Stéphane wissen. „Ich hatte es so verstanden, dass du in London in einer Kleintierpraxis angestellt warst.“

Sie nickte. „Das war ich auch, aber ich habe direkt nach dem Studium ein längeres Praktikum auf einem Gestüt gemacht. Englischer Landadel mit eigenem Tierarzt“, erklärte sie. „Sonst hätte Amy mich gar nicht als ihre Vertretung einstellen können.“

„Das wäre in der Tat schwierig geworden“, antwortete Amy und wandte sich an Nathan, der immer wieder aus dem Fenster in die dunkle Nacht hinaussah. „Wie wäre es, wenn du Topolino in den Stall bringst? Vorher hast du doch eh keine Ruhe.“

Er gab ihr einen Kuss auf die Nase. „Du kennst mich schon viel zu gut. Ihr entschuldigt mich?“

Stéphane nickte. „Nur zu. Ich glaube zwar nicht, dass der Dieb vor Mitternacht zuschlagen würde, aber wenn es dich beruhigt …“

Nathan stand auf. „Es dauert sicher nicht lange“, sagte er, schon halb aus der Küche.

Amy griff nach der Weinflasche. „Möchte noch jemand? Phoebe?“ Sie nickte, und noch während Amy ihrer Freundin nachgoss, ertönte ein Knacken im Babyfon, das auf der Arbeitsfläche stand. Kurz darauf hörte man Marie weinen. Entschuldigend erhob Amy sich. „Die Kleine hat bestimmt Hunger. Bedient euch, macht es euch gemütlich. Und lasst um Himmels willen alles stehen, darum kümmere ich mich später. Ich bin sofort zurück.“

Plötzlich waren Stéphane und Phoebe allein in der Küche. Phoebe klammerte sich an ihrem Weinglas fest. Mit Amy und Nathan als Puffer zwischen sich und Stéphane hatte sie sich endlich mal entspannt, aber nun wurde sie wieder nervös.

Doch Stéphane tat so, als würde er ihre Anspannung nicht bemerken. Lässig fuhr er mit dem Gespräch fort: „Und auf dem Gestüt hat es dir damals gefallen? Warum bist du nicht dort geblieben?“

„Das wäre ich gern, aber es ging leider nicht. Es war wirklich schön dort, und der Tierarzt mochte mich. Vielleicht hätte er mich sogar fest angestellt, aber …“ Sie zögerte. „Meine Familie war in London, und ich hatte sie schon lange genug allein gelassen. Erst das Auslandssemester in Paris, dann noch das Praktikum. Sie brauchten mich.“ Ganz kurz blickte sie zu ihm und versuchte zu lächeln, doch es wollte ihr nicht gelingen. Schnell senkte sie den Blick.

Gerne hätte Stéphane mehr gewusst, aber da er spürte, dass sie ihm ohnehin keine Antwort geben würde, hakte er nicht weiter nach. Als Phoebe aufstand und begann, das Geschirr aufeinanderzustapeln, fragte er geradeheraus: „Phoebe, warum hast du Angst vor mir?“ Er legte ihr eine Hand auf den Arm.

Phoebe lachte nervös. „Ich hab doch keine Angst vor dir.“ Doch ihre Reaktion hatte sie verraten. Sie war zusammengezuckt.

„Doch, hast du. Du hast Angst, dass ich dich wieder küssen und es dir gefallen könnte. Warum?“

Seufzend trug sie das Geschirr durch die Küche und begann es in die Spülmaschine zu räumen. „Hör zu, Stéphane, du hast kein Interesse an festen Beziehungen, und ich bin auch nicht auf der Suche.“

Er zog die Augenbrauen hoch. „Wo ist dann das Problem? Kann man in England nicht einfach nur ein bisschen Spaß miteinander haben? Diese Spannung zwischen uns musst du doch auch spüren. Bist du denn gar nicht neugierig?“ Gott, was tat er hier eigentlich? Amy würde ihm den Kopf abreißen, wenn sie wüsste, dass er versuchte, ihre Freundin ins Bett zu kriegen.

„Theoretisch schon, aber praktisch …“

Sie kam zurück zum Tisch, um die Gläser einzusammeln, doch Stéphane ergriff ihr Handgelenk und zog sie auf seinen Schoß. Sofort wollte sie sich befreien, aber er war stärker als sie. „Ich halte nichts von Theorie“, flüsterte er an ihrem Ohr, und dann küsste er die zarte Haut unterhalb ihres Ohrläppchens.

Phoebe bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper, und sie wusste, dass Stéphane es auch spürte. Sie konnte fühlen, wie sich sein Mund in ihrem Nacken zu einem kurzen Grinsen verzog. Mit der einen Hand umfasste er ihre Taille, während er mit der anderen ihr gelbes Kleid ein Stückchen nach oben schob und über die nackte Haut an ihrem Oberschenkel strich. Die Gänsehaut und das Kribbeln breiteten sich aus, erreichten längst in Vergessenheit geratene Stellen ihres Körpers. Nun hätte sie sich von ihm losreißen können, doch sie wollte es nicht mehr, konnte es nicht.

„Sag mir, dass sich das nicht gut anfühlt“, murmelte er, während seine Lippen eine Spur aus Küssen über ihren Nacken zogen.

Sie wollte es ihm sagen, damit er endlich aufhörte, doch die Worte wollten nicht über ihre Lippen. Es stimmte, es fühlte sich unglaublich gut an, und obwohl sie sich dagegen zu wehren versuchte, wollte sie mehr. Seine linke Hand fuhr immer noch über ihren Oberschenkel und verströmte eine Hitze, die sie sogar zwischen den Beinen spüren konnte, obwohl er von dieser Stelle mindestens zwei Handbreit entfernt war.

Seine rechte Hand fuhr von der Taille zu ihrem Bauch, zog sie enger an sich, sodass ihr Rücken gegen ihn drückte. Sie konnte fühlen, dass es ihm genauso sehr gefiel wie ihr. Sie legte ihren Kopf in den Nacken, gegen seine Schulter. Seine Lippen wanderten von ihrem Nacken zu ihrem Hals. Doch dann hörte er auf, sie zu streicheln, löste seinen Mund von ihrer Haut.

Sie setzte sich aufrechter hin, wandte sich ihm zu, öffnete die Augen, um ihn ansehen zu können. Was sie sah, gefiel ihr. Schon lange hatte sie kein Mann mehr so intensiv angeschaut. Es stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, wie sehr er sie begehrte, und sie begehrte ihn ebenfalls, auch wenn sie es nicht wollte. Ihre Mutter hatte ihr schon früh eingebläut, dass es niemals nur um Sex ging. Es bestand immer die Gefahr, dass man sich in den anderen verliebte, und was dann?

Aber in diesem Moment ignorierte sie die Worte ihrer Mutter. Sobald Stéphane sie berührte, war sie verloren. Sie wusste nicht, wer den ersten Schritt gemacht hatte, aber plötzlich befanden sich ihre Lippen auf seinen. Sie küsste ihn gierig, fast hungrig. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr sie sich nach körperlicher Nähe gesehnt hatte. Seine Hände legten sich auf ihren Rücken, pressten sie an seinen Oberkörper, während ihre in seine blonden Haare fuhren.

Es war das erste Mal, dass sie seine Berührungen erwiderte. Ihre Zungen fanden sich zu einem neckischen Spiel, bevor sie wieder ganz in diesem Kuss versanken. Phoebe wollte gar nicht daran denken, wie das alles geführt hätte, wenn sie nicht plötzlich Amys Schritte im Flur gehört hätte. Schnell sprang sie auf, glättete ihr Kleid und griff nach den leeren Gläsern.

„Falscher Alarm, Marie hat wohl nur schlecht geträumt.“

Phoebe räumte die Gläser in die Spülmaschine, erst dann wandte sie sich ihrer Freundin zu. Amys Blick wanderte von Stéphane zu Phoebe, sie musterte sie einen kurzen Augenblick. Ob sie etwas ahnte? Vielleicht waren Phoebes Lippen geschwollen oder ihre Haare zerwühlt, doch sie unterdrückte den Drang, das herauszufinden.

„Das ist lieb von dir, Phoebe, aber ich habe doch gesagt, dass ich mich später darum kümmere.“ Amy stützte sich mit den Händen auf der Lehne ihres Stuhls auf. „Kann ich euch noch etwas anbieten? Vielleicht noch etwas Süßes zum Nachtisch?“

Phoebe sah kurz zu Stéphane. Sie wusste, dass er dasselbe dachte wie sie: Sie hatten ihr Dessert bereits gehabt. „Für mich nicht. Ich denke, ich werde jetzt ins Bett gehen.“ Sie ging zu Amy und umarmte sie. „Danke für das leckere Essen. Salut, Stéphane.“

Bevor sie die Küche verließ, warf sie ihm noch einen flüchtigen Blick zu. Er sah enttäuscht aus. Enttäuscht darüber, dass sie sich einfach so aus dem Staub machte und ihnen nicht die Chance gab, darüber zu reden, was gerade passiert war. Aber sie wusste, dass es die richtige Entscheidung war, denn reden würden Stéphane und sie bestimmt nicht, wenn er sie wie in jener Nacht vor ein paar Tagen zu ihrer Wohnung begleitete. Die Gefahr, dass sie dann nicht allein ins Bett gehen würde, war viel zu groß, und Stéphane wäre am Ende ganz sicher nicht derjenige, der litt. Deshalb wandte sie ihm den Rücken zu. An der Haustür stieß sie fast mit Nathan zusammen.

„Hoppla. Du gehst schon?“

Sie nickte. „Ja, ich bin ganz schön müde. Die viele frische Luft bin ich einfach nicht gewöhnt, aber es war ein sehr schöner Abend.“

„Jederzeit wieder“, sagte er und machte ihr Platz.

Ohne sich noch einmal umzudrehen, hastete Phoebe über den Kies zu ihrer Wohnung. Sie wusste nicht, ob Stéphane ihr folgte. Nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, lehnte sie sich mit dem Rücken dagegen und holte tief Luft. Ihr Herz schlug immer noch zu schnell.

Stéphane machte sie nervös, in seiner Gegenwart wurde sie unsicher wie ein kleines Schulmädchen. Das gefiel ihr nicht, und sie kannte es auch nicht von sich. Natürlich hatte auch sie hin und wieder Bedürfnisse, aber ihren Körper hatte sie bisher immer im Griff gehabt.

Warum reagierte sie jetzt plötzlich in jeglicher Hinsicht so heftig auf diesen Mann? Das machte ihr Angst. Theoretisch würde sie nichts lieber tun, als endlich mal wieder ihren Bedürfnissen nachzugeben, aber nicht mit Stéphane.

Sie kannte ihn zwar kaum, doch sie spürte instinktiv, dass das Risiko bei ihm zu hoch war.

4. KAPITEL

Stéphane hatte Mittagspause. Um einen klaren Kopf zu bekommen, musste er an die frische Luft. Also holte er sich beim Bäcker um die Ecke ein belegtes Baguette und schlenderte durch die Altstadt zum Strand.

Das Wetter war windig und trüb, aber es passte zu seiner Stimmung. Phoebe ging ihm aus dem Weg, und das beschäftigte ihn mehr, als es sollte. Es gab so viele hübsche Frauen in Saintes-Maries-de-la-Mer, und er konzentrierte sich seit Tagen nur auf eine, obwohl diese ihm deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie nichts mit ihm anfangen wollte. Warum konnte er das nicht akzeptieren und einfach weitermachen, so wie sonst auch?

Vielleicht weil er spürte, dass sie sich und ihm etwas vormachte? Als er sie in Nathans Küche auf seinen Schoß gezogen und geküsst hatte, war sie plötzlich so leidenschaftlich gewesen. Die Intensität ihrer Gefühle hatte ihn überrascht. Er wollte mehr davon, und er wusste, dass sie es ebenso wollte, obwohl sie sich noch dagegen wehrte.

Er seufzte. Es gab Tage, an denen er sich fragte, ob es richtig war, die Frauen nur auf das Eine zu reduzieren. Er hatte seine Gründe, aber bei Phoebe fühlte es sich falsch an.

Vielleicht lag es daran, dass sie Amys Freundin war? Vielleicht wollte er sie unbedingt erobern, weil sie theoretisch verboten war? Nathan hatte ihm gleich am ersten Abend klar gemacht, dass Stéphane seine Finger gefälligst bei sich behalten solle.

Stéphane schob sich das letzte Stückchen Baguette in den Mund, wischte sich die Krümel von den Fingern und schlug den Kragen seiner Jacke höher, als er jemanden seinen Namen rufen hörte.

Er blieb stehen und sah sich nach allen Seiten um. Ein Mann mit schwarzen Locken eilte auf ihn zu, er war Anfang fünfzig. Es war Robert, Leiter des örtlichen Chors, in dem Stéphane schon seit seiner Kindheit Mitglied war.

„Stéphane, wie gut, dass ich dich hier treffe. Ich habe schlechte Neuigkeiten.“ Robert rang nach Atem.

Stéphane hingegen war sofort alarmiert. Das musste an seinem Beruf liegen. Als Polizist ging er immer gleich vom Schlimmsten aus, obwohl er als Mensch eigentlich gern positiv dachte. „Was ist passiert?“

„Es geht um Charlotte. Ihre Stimme … Es ist schrecklich, sie kann nur noch flüstern und krächzen. Ihr Mann sagte etwas von einer Kehlkopfentzündung.“

Stéphane fuhr sich durch die blonden Haare. „Auch das noch. Und jetzt?“

Robert schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht, es ist eine Katastrophe. Immerhin ist Charlotte unsere Solistin, und in ein paar Wochen ist schon Weihnachten. Wir müssen proben, proben, proben.“

„Das kannst du vergessen“, sagte Stéphane. „Charlotte muss ihre Stimme schonen, und zwar für einen längeren Zeitraum, um später keinen Rückfall zu riskieren. Wenn ich mich richtig erinnere, ist sie vorbelastet. Es ist nicht das erste Mal, dass sie mit einer Kehlkopfentzündung zu kämpfen hat.“

Robert sah aus, als würde er jeden Moment anfangen, sich die Haare zu raufen. „Mon Dieu, das ist gar nicht gut. Wir brauchen dringend einen Ersatz für Charlotte. Leider ist keine unserer Sängerinnen außer Sylvie gut genug für den Solopart, und Sylvie kann ich nicht fragen. Sie erwartet kurz vor Weihnachten ihr erstes Kind.“ Eine Weile sahen sich die beiden Männer schweigend an, dann fragte Robert: „Würdest du die Soli notfalls allein übernehmen? Eventuell ist das unsere einzige Möglichkeit, wenn wir an Heiligabend das Benefizkonzert geben wollen. Denn selbst wenn wir jemanden finden, der gut genug ist, heißt das noch lange nicht, dass eure Stimmen auch harmonieren.“

Stéphane zögerte nicht, immerhin ging es um eine gute Sache. Jedes Jahr sammelten sie Geld für Polizistenwitwen, und dieses Thema lag ihm seit jeher am Herzen. „Ich lass dich nicht im Stich, notfalls singe ich natürlich allein. Allerdings sind alle unsere Stücke für Duette ausgelegt, und so steht es ja auch auf den Plakaten. Es wäre schon besser, wenn wir noch einen Ersatz auftreiben können.“

Robert nickte. „Natürlich werde ich nichts unversucht lassen, eine geeignete Sängerin zu finden. Ich werde die anderen Chormitglieder darauf ansetzen, eine Notiz am schwarzen Brett im Rathaus aufhängen, vielleicht eine Anzeige in der Zeitung schalten … Es gibt viel zu tun, aber wir schaffen das. Pass du nur auf dich auf. Nicht, dass du mir auch noch ausfällst.“ Robert hastete schon wieder davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Seufzend sah Stéphane ihm nach. Er konnte nur hoffen, dass sie noch jemanden finden würden, denn das Benefizkonzert musste ein voller Erfolg werden. Stéphane wusste nur zu gut, was es für eine Frau bedeutete, ihren Mann bei einem Polizeieinsatz zu verlieren. Man stand plötzlich allein da, mit so viel Schmerz. Da sollten die betroffenen Frauen sich nicht auch noch Sorgen ums Geld machen müssen.

Außerdem stand ihm überhaupt nicht der Sinn danach, das Ave Maria allein zu singen. In letzter Zeit fühlte er sich ohnehin schon seltsam einsam, was gar nicht zu ihm passte. Es musste an der Vorweihnachtszeit und den Chorproben liegen. Sein Vater war schon Mitglied in dem Chor gewesen, und als Stéphane älter wurde, hatten sie gemeinsam dort gesungen. Er war bis jetzt dabei geblieben, obwohl man ihn zu Schulzeiten dafür ausgelacht hatte. Aber es war eines der wenigen Dinge, die ihm von seinem Vater geblieben waren, deshalb wollte er es um nichts auf der Welt missen.

Phoebe stieg aus dem Jeep und atmete tief durch. Es war der erste Tag, an dem sie richtig viel zu tun gehabt hatte. Sie fühlte sich ein wenig erschöpft, aber sie mochte diese Art von Erschöpfung. Es tat ihr gut, etwas zu tun zu haben.

Jetzt überlegte sie, ob sie noch einen Spaziergang machen sollte, doch dann entschied sie sich spontan um. Die Sonne stand bereits tief am Himmel, und sie musste dagegen anblinzeln. Auf dem Übungsplatz sah sie, dass Nathan noch Reitunterricht gab, mehr konnte sie wegen der Sonne nicht erkennen. Aber es brachte sie auf den Gedanken, selbst mal wieder auszureiten. Bisher war sie noch gar nicht richtig am Strand gewesen, sie hatte ihn nur einmal kurz gesehen, als Amy ihr den Ort gezeigt hatte.

Fröhlich vor sich hin summend wollte sie sich gerade auf den Weg machen, als Amy plötzlich neben ihr stand. „Meine Güte, hast du mich erschreckt.“ Phoebe fasste sich ans Herz.

„Wie war dein Tag?“, fragte Amy. „Ist alles gut gelaufen?“

„Alles bestens, und es hat mir sogar Spaß gemacht.“

„Das ist schön. Sag mal, ich hab dich gerade summen hören. Singst du eigentlich immer noch so gerne wie während des Studiums?“

Phoebe grinste. Sie gehörte zu den Menschen, die immer unter der Dusche sangen, und Amy hatte sie damals des Öfteren dabei erwischt. „Schon. Du weißt ja, das ist so eine schlechte Angewohnheit von mir. Immerzu summe oder pfeife ich vor mich hin, ohne es selbst zu merken.“

„Ich halte das eher für eine gute Angewohnheit. Warum ich frage: Du hast doch mal in einem Chor gesungen, richtig?“

Phoebe nickte und versuchte, die schlechten Erinnerungen zu unterdrücken. Bis sie zwölf war, war sie tatsächlich Mitglied in einem Chor gewesen. Phoebe hatte es geliebt, doch dann hatte ihre Mutter sie immer öfter gebeten, auf ihren jüngeren Bruder aufzupassen. So hatte sie ihren Part als Solistin verloren und konnte irgendwann gar nicht mehr zu den Proben gehen, weil sie es zeitlich neben der Schule, den Hausaufgaben und dem Babysitting nicht mehr schaffte. „Das ist aber schon viele Jahre her, Amy. Wie kommst du jetzt darauf?“

„Stell dir vor, auch in Saintes-Maries-de-la-Mer gibt es einen Chor, der an Weihnachten immer ein Benefizkonzert veranstaltet. Sie sammeln Geld für Polizistenwitwen. Allerdings ist die weibliche Solistin ausgefallen, Kehlkopfentzündung.“

„Oje.“ Phoebe fasste sich automatisch an den Hals. „Das klingt aber gar nicht gut.“

„Ist es auch nicht“, fuhr Amy fort, „denn nun haben sie gar keine Solistin mehr. Die einzige, die dafür infrage kommt, ist hochschwanger.“

„Das tut mir leid, aber warum erzählst du mir das?“ Doch noch bevor Amy antworten konnte, fiel bei Phoebe der Groschen. „No way. Du willst doch nicht ernsthaft, dass ich einspringe? Amy, ich komme nicht von hier. Die Leute kennen mich doch gar nicht. Ich bin nicht mal Französin. Außerdem ist es schon über fünfzehn Jahre her, dass ich in dem Chor gesungen habe. Ich hatte damals eine Kleinmädchenstimme, habe das aus Spaß gemacht.“

„Aber du warst gut, Phoebe, sonst hätte man dich niemals für den Solopart ausgesucht.“ Amy ergriff ihre Hände. „Ich weiß, ich habe dich immer nur unter der Dusche singen gehört, und auch das ist bereits einige Jahre her, aber auch da warst du unglaublich gut. Ich weiß, dass du das kannst. Und ich weiß, dass es dir großen Spaß machen würde.“

„Mag sein, aber eigentlich wollte ich ja Weihnachten schon wieder in London sein.“

„Aber du könntest doch hier feiern, bei uns. Ich hatte dich ohnehin schon längst einladen wollen. Was willst du denn allein in London? Wegen der zwei Stunden, die du mit deiner Mutter und deinem Bruder unter dem Tannenbaum verbringst, musst du doch nicht extra früher zurückfliegen. Und das Konzert ist wirklich wichtig. Na komm, gib dir einen Ruck. Wir wissen beide, dass du es machen wirst.“

Einen Moment sahen die Freundinnen sich an, dann prusteten sie los. Das waren genau die Worte, mit denen Amy die Freundin in die Camargue geholt hatte. „Na schön“, gab sie nach. Zu Hause wartete ja wirklich niemand auf sie. Weihnachten mit ihrer Familie war immer irgendwie einsam und traurig. Mit Amy und Nathan hätte sie sicher mehr Spaß. „Ich werde es machen, aber nur, wenn der Chorleiter meine Stimme mag und sonst wirklich niemanden findet.“

Amy nickte. „Abgemacht, ich werde mit Robert reden und sage dir dann Bescheid.“

„Wo hast du eigentlich Marie gelassen?“, wollte Phoebe wissen.

„Die schläft.“ Amy zeigte hinüber zum Haupthaus. Erst jetzt bemerkte Phoebe den Kinderwagen im Schatten und Jolie, die in der Sonne daneben Wache hielt.

„Herzig, die zwei. Du, ich wollte ausreiten. Hast du Lust, mich zu begleiten?“

„An sich gerne, aber mein Onkel wollte gleich noch vorbeikommen. Warum fragst du nicht Stéphane? Wolltet ihr nicht eh mal bei Sonnenuntergang zum Strand reiten?“

„Warum grinst du so?“, fragte Phoebe.

„Na ja, dreimal darfst du raten, wer da gerade Reitunterricht von Nathan bekommt.“

„Nein!“ Mit den Händen schirmte Phoebe das Gesicht gegen die Sonne ab und spähte hinüber zum Übungsplatz. Sie konnte Stéphane immer noch nicht wirklich erkennen, aber die blonden Haare und die Statur passten. „Das muss ich sehen. Kommst du mit?“

„Geht leider nicht. Ich habe eine Birnentarte im Ofen, nach der ich sehen muss, aber geh du nur. Und sag Nathan bitte, dass Peter gleich da sein wird.“

„Kein Problem“, erwiderte Phoebe und machte sich auf den Weg. Sie wunderte sich, dass ihr Stéphanes BMW nicht aufgefallen war, doch dann sah sie, dass das Auto gar nicht auf dem Hof parkte. War er zu Fuß gekommen? Je näher sie dem Übungsplatz kam, desto besser erkannte sie ihn. Er trug eine dunkelblaue Jeans zu einem weißen T-Shirt und machte gar keine so schlechte Figur auf dem Pferd. Er bemerkte sie nicht gleich, und so legte sie die Arme über den weiß gestrichenen Zaun und beobachtete ihn. Nathan winkte ihr unauffällig zu, und sie winkte zurück.

„Etwas mehr Spannung im Rücken“, rief Nathan seinem besten Freund zu. „Und gewöhn dich schon mal an den Gedanken, dass du morgen Muskelkater im Hintern haben wirst.“ Er grinste und zwinkerte Phoebe zu, die ebenfalls grinste.

Stéphane folgte Nathans Blick. „Oh, wirklich sehr lustig. Wie lange stehst du schon da?“

„Ach, erst seit etwa einer halben Stunde“, scherzte sie. Er sah tatsächlich verlegen aus, was sie irgendwie süß fand. Doch dann drückte er den Rücken durch und wirkte wieder so selbstbewusst, wie sie ihn kennengelernt hatte. „Und, macht’s Spaß?“, rief sie lachend.

Stéphane hielt einen Daumen nach oben.

Dann wandte Phoebe sich an wieder Nathan. „Sag mal, darf ich mir vielleicht ein Pferd ausleihen? Ich würde gern mal wieder ausreiten.“

„Sicher, ich sag Louise gleich Bescheid. Sie wird dir eins fertig machen.“

„Ach, und bevor ich das vergesse: Amy wartet auf dich, euer Besuch kommt gleich.“

„Okay, dann machen wir wohl besser Schluss hier. Aber du wirst immer besser, Stéphane. Das wird schon. Ich gehe mal Louise holen.“

Während sich Nathan entfernte, stieg Stéphane vom Pferd. Er klopfte sich die Hände an den Jeans ab, dann kam er hinüber zu Phoebe. Direkt vor ihr blieb er stehen. Sie hätte nur die Finger ein bisschen ausstrecken müssen, dann hätten sie seine Bauchmuskeln berührt. Ihr Herz schlug ein kleines bisschen schneller als sonst. Ob sie wollte oder nicht – dieser Mann löste etwas in ihr aus.

„Du willst ausreiten?“, fragte er. „Ganz alleine?“

„Ich bin ein großes Mädchen“, antwortete sie.

„Oh, das bezweifele ich nicht, aber ich würde mich wohler fühlen, wenn du Begleitung hättest. Du könntest von einem Vogel angegriffen werden oder vom Pferd fallen.“

Sie grinste immer noch. „Ich hätte Angst, dass du mir vom Pferd fällst, wenn ich dich mitnehme.“

Er trat noch einen Schritt auf sie zu, und nun berührten ihre Hände unfreiwillig seinen Bauch. Sie ließ sie dort liegen. „Wir passen einfach aufeinander auf, dann passiert uns beiden nichts. Was sagst du? Du, ich, der Sonnenuntergang?“

Das Lachen blieb ihr im Hals stecken, wohingegen sich das Kribbeln in ihrem Bauch verstärkte. Konnte sie es riskieren? Sie würden alleine sein, es würde vermutlich romantisch werden …

„Na komm, gib dir einen Ruck“, sagte er. „Ich hatte bisher eine miese Woche, du kannst mir jetzt nicht auch noch einen Korb geben.“

Sie nickte, ohne lange darüber nachzudenken. Es war schön, mal wieder ein wenig zu flirten, und so lange sie sich im Griff hatte … „Okay, ich bin dabei.“

Très bien, du wirst es nicht bereuen.“

Wenn er sich da mal nicht täuschte.

Zwanzig Minuten später ritten Phoebe und Stéphane Richtung Strand. Phoebe hatte sich vorher noch schnell einen gelben Pullover übergestreift. Die Sonne würde bald hinter dem Horizont verschwinden, und der Wind fühlte sich bereits kühl an auf der Haut. Immer wieder blickte sie zu Stéphane. Sie ließen es gemächlich angehen und ritten im Schritttempo. Trotzdem sah er ein wenig unbeholfen aus im Sattel. Er fing ihren Blick auf und hielt ihn fest.

„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte sie. Sie machte sich ein wenig Sorgen, obwohl er ein großer Junge war und auf sich selbst aufpassen konnte.

„Sicher, mir geht’s gut. Wirklich.“ Er lachte. „Glaub mir, Nathan hätte mir niemals eines seiner Pferde anvertraut, wenn er nicht denken würde, dass ich das hinbekomme. Und es ist ja nicht das erste Mal, dass ich auf einem Pferd sitze. Mein Vater und ich sind früher oft ausgeritten.“

„Warum tust du das eigentlich?“, fragte sie. „Reitunterricht nehmen, meine ich. Und jetzt sag nicht, dass du das nur machst, um mich zu beeindrucken.“

Chérie, um dich zu beeindrucken, würde ich so einiges machen.“

Sie spürte die Hitze in ihren Wangen. Da war er wieder – der Stéphane, der nur aufs Flirten aus war.

„Übermorgen findet das Festival d’abrivado statt. Wie jedes Jahr am 11. November. Du hast sicher schon davon gehört.“

„Amy hat es mal kurz erwähnt, ist aber nicht näher darauf eingegangen. Wir hatten keine Zeit mehr, und dann haben wir’s irgendwie vergessen.“

„Es handelt sich um eines der vielen Feste, mit denen die Camarguer traditionell die Pferde ehren“, erklärte Stéphane. „Wir frühstücken am Strand, und ab elf Uhr geht es dann mit den Reiterparaden los. Mehr als zweihundert Gardians treiben auf ihren Pferden Stiere über sechs Kilometer weit über den Oststrand zu den Arenen. Das Ganze geschieht elf Mal, also in elf Abrivados.“

„Das klingt spannend.“

„Das ist es auch, und das sage ich, der mit Pferden eigentlich nichts am Hut hat. Hast du Lust mitzukommen?“

Phoebe nickte. „Sicher, wenn ich schon mal hier bin, darf ich mir das doch nicht entgehen lassen. Aber einen Stierkampf werde ich mir nicht ansehen.“

„Keine Sorge, so etwas würde ich auch niemals unterstützen. Nach den Abrivados gibt es zwar auch noch ein Spektakel in den Arenen, aber dabei werden keine Stiere getötet.“

„Dann ist es ja gut. Und warum genau nimmst du jetzt Reitunterricht? Hat man dich mal wieder gebeten, die berittenen Kollegen zu unterstützen?“ Sie unterdrückte ein Lachen. Stéphane sah auf die Zügel in seiner Hand. Es war das erste Mal, dass er so etwas wie Verletzbarkeit zeigte. Es verwirrte sie, denn es passte so überhaupt nicht zu dem lockeren Womanizer, den er immer gab. „Tut mir leid“, murmelte sie. „Das war nicht böse gemeint.“

„Nein, es stimmt ja. Ich bin ein bisschen spät dran. Vielleicht kann ich mittlerweile wieder auf einem Pferd sitzen, ohne runterzufallen, aber bis Freitag schaffe ich es nie, wirklich sicher im Sattel zu sitzen. Ich weiß wirklich nicht, ob ich mich als Aufpasser eigne. Aber im Mai geht’s dann wieder weiter mit den ganzen Festivitäten, und bis dahin bin ich sicher so weit.“

Im Mai. Da würde sie schon lange wieder fort sein. „Ganz bestimmt“, sagte sie. „Übung macht den Meister, und du machst dich doch schon ganz gut.“

Inzwischen hatten sie den Strand erreicht. Es war kein Strand, wie man ihn aus Katalogen kannte. Das Meer war nicht türkis, sondern eher verwaschen blau, und statt Palmen gab es grasbewachsene Dünen. Der Strand von Saintes-Maries-de-la-Mer war eher rau und naturbelassen, trotzdem fand Phoebe ihn wunderschön. Tief atmete sie die salzige Meeresluft tief ein und stieg vom Pferd.

„Wir kommen gerade rechtzeitig“, sagte Stéphane und zeigte zum Horizont, wo sich das Blau des Himmels normalerweise mit dem Blau des Meeres vermischte. Die Sonne hatte sich bereits orange-rot verfärbt und tauchte nun auch den Himmel an dieser Stelle in die leuchtendsten Farben.

Phoebe trug zu dem gelben Pullover eine weiße Hose, dennoch setzte sie sich ohne zu zögern in den Sand. Stéphane stieg nun ebenfalls ab. Er rieb sich über das Steißbein, bevor er sich neben sie setzte. „Alles okay?“, fragte sie.

„Ich muss mich nur erst einmal daran gewöhnen, wieder im Sattel zu sitzen. Ich fürchte, Nathan hat recht. Morgen werde ich einen ordentlichen Muskelkater haben.“

Sie lächelte ihm zu. „Falls es dich beruhigt, ich sicherlich auch. Ich bin schon viel zu lange nicht mehr geritten.“ Eine Weile lauschte sie dem Klang der Wellen, die ziemlich hoch waren und unablässig an den Sand rollten. Bei diesem Seegang war niemand baden, der Strand war menschenleer. Nicht einmal Hundebesitzer waren zu sehen.

„Und, habe ich zu viel versprochen?“, brach Stéphane das Schweigen. „Ist es nicht furchtbar romantisch?“

Phoebe musste lachen. Um ihn ansehen zu können, drehte sie den Kopf in seine Richtung. „Ja, das ist es. Unglaublich, dass wir weit und breit die Einzigen sind.“

Er deutete ein Schulterzucken an. „Mich stört das nicht, ganz im Gegenteil.“

Ein warmes Gefühl breitete sich in Phoebes Bauch aus. Was war nur los mit ihr? Stéphane war gewiss nicht der erste Mann, der ihr deutlich zu verstehen gab, wie sehr er sie wollte, und doch hatte ihr Körper noch nie so eindeutig reagiert. Sie sah wieder hinaus aufs Meer. Der Wind war hier heftiger und wehte ihre blonden Haare in sämtliche Richtungen. „Ist es im Herbst immer so windig?“, fragte sie.

„Das ist der Mistral, der sich ankündigt, und glaub mir: Das ist noch gar nichts. Der Wind kann weit über einhundert Stundenkilometer erreichen.“ Er rutschte ein Stückchen näher an sie heran und schob ihr eine der umherwehenden Strähnen hinters Ohr. Als er weitersprach, war seine Stimme leiser. „Manche sagen, dass die Menschen während des Mistrals die verrücktesten Dinge tun.“

Ihr vorsichtig forschender Blick wandte sich wieder ihm zu. „Gilt das auch für dich?“ Sie sprach ebenso leise wie er, obwohl es dafür überhaupt keinen Grund gab.

„Ich brauche keinen Wind dafür“, antwortete er und wickelte sich eine Strähne um den Finger. „Hat dir schon mal jemand gesagt, wie wunderschön du bist?“

Sie seufzte. „Das sagst du doch nur, weil du mich rumkriegen willst.“

Stéphane zuckte mit den Schultern. „Vielleicht, aber ich meine es trotzdem ernst. Du bist wunderschön.“

„Danke“, flüsterte sie und senkte ihren Blick.

Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob es an, sodass sie ihm wieder in die Augen sehen musste. Sein Finger fuhr die Konturen ihrer Unterlippe nach, streifte ihre Wange, ihren Hals und wanderte dann über ihre Schulter zu ihrem Schlüsselbein. Ein Schauer nach dem anderen rieselte durch ihren Körper, und das lag nicht am Wind.

Stéphane beugte sich über sie und drückte sie nach hinten. Plötzlich lag sie in seinem Arm im Sand, während er sie mit der freien Hand unablässig streichelte – ihr Gesicht, ihren Hals, ihren Arm. Wenn er ihr nicht in die Augen sah, liebkoste er ihren Körper mit seinem Blick.

Für den Bruchteil einer Sekunde fühlte es sich so an, als ob da mehr zwischen ihnen wäre als pures Verlangen, aber sie wusste, dass dem nicht so war. Stéphane war nun mal ein Frauenheld. Trotzdem war es seltsam, dass er sich so viel Zeit nahm, wenn er sie nur ins Bett kriegen wollte. Zeit, in der sie ihm widersprechen oder ihn wegstoßen konnte. Und das hätte sie tun sollen, aber es war wieder dasselbe. Er berührte sie, und sie verlor jegliche Kontrolle über sich.

Seine Hand hatte ihre Hüfte erreicht. Er schob ein Bein zwischen ihre, sein Gesicht kam ihrem immer näher. Sie wusste, wenn er sie jetzt küssen würde, hätte er sie am Haken. In seinen Händen schmolz sie schneller als Schokolade in der Sonne, und doch ließ sie ihn gewähren. Obwohl sie es nicht gerne zugab, spürte sie sogar eine gewisse Enttäuschung, als auf einmal ein Handy klingelte.

Stéphane stieß einen französischen Fluch aus, fischte das Telefon aus seiner Hose und setzte sich auf. „Oui?“

Auch Phoebe setzte sich wieder auf und schüttelte sich den Sand aus den Haaren. Mit den Fingern berührte sie ihre Lippen, die ganz leicht kribbelten, so als hätte Stéphane sie bereits geküsst.

Autor

Kandy Shepherd
<p>Kandy Shepherd liebte das Schreiben schon immer. Um ihrer Leidenschaft auch beruflich nachzukommen, wandte sie sich dem Journalismus zu, arbeitete für angesehene Frauenmagazine und machte sich in dieser Branche als Redakteurin schnell einen Namen. Sie mochte ihren Job – doch noch lieber wollte sie Geschichten schreiben! Also ließ sie den...
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