Romana Extra Band 59

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AUF DER INSEL DER VERFÜHRUNG von CUDMORE, KATRINA
Trotz seines Rufes folgt Floristin Grace dem Tycoon Andreas Petrakis auf die einsame Insel. Denn er bietet ihr einen lukrativen Auftrag: die Dekoration für die Hochzeit seines Bruders. Dass sie die Nächte vor dem Fest allein mit dem berüchtigten Playboy verbringen muss, stand nicht im Vertrag …

DIE SONNE ÜBER DER TOSKANA von WINTERFIELD, AMY
Warum ist Mario Cassano ihr gegenüber bloß so feindselig? Sie spürt doch deutlich, dass er sie gleichzeitig begehrt? Annie muss herausfinden, was der attraktive Italiener verbirgt. Und macht sich mit den Waffen einer Frau daran, sein Geheimnis zu lüften …

HOCHZEIT MIT EINEM SPANISCHEN MILLIARDÄR von MAYO, MARGARET
Die schöne Elena hat keine Wahl: Um ihre Familie vor dem Ruin zu bewahren, muss sie schnellstens heiraten. Ausgerechnet den arroganten spanischen Milliardär Vidal Marquez, der statt einer Ehe auf dem Papier feurige Nächte voller Leidenschaft erwartet …

FRANZÖSISCHES LIEBESMÄRCHEN von GILMORE, JESSICA
Heißblütig und charmant - Gabriel ist eben ein echter Franzose! Aber Polly darf ihrer Sehnsucht nach seinen Umarmungen nicht nachgeben. Denn Gabriel ist kein Freund, sondern ihr Konkurrent, der ihr die Leitung des Unternehmens streitig machen will …


  • Erscheinungstag 05.09.2017
  • Bandnummer 0059
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744014
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Katrina Cudmore, Amy Winterfield, Margaret Mayo, Jessica Gilmore

ROMANA EXTRA BAND 59

KATRINA CUDMORE

Auf der Insel der Verführung

So heiß wie die Sonne Griechenlands sind ihre Küsse: Playboy Andreas Petrakis genießt die Stunden mit Grace. Aber sie sucht mehr als eine Affäre – und Andreas fragt sich, ob seine Gefühle stark genug sind …

AMY WINTERFIELD

Die Sonne über der Toskana

Auch wenn Annies Lippen süße Leidenschaft verspre-chen, weiß Sänger Mario Cassano, dass er ihr nicht trauen darf. Schließlich ist sie eine Reporterin und hat nur eine brandheiße Story im Sinn …

MARGARET MAYO

Hochzeit mit einem spanischen Milliardär

Muss Elena das unmoralische Angebot des arroganten Spaniers Vidal Marquez annehmen? Er rettet das Unternehmen ihrer Familie nur, wenn sie ihn heiratet. Doch er will mehr als eine Ehe auf dem Papier …

JESSICA GILMORE

Französisches Liebesmärchen

Sie ist perfekt – sinnliche Kurven, betörende Lippen, verheißungsvolle Augen: Gabe will Polly in seinen Armen! Ganz im Gegensatz zu ihr: Sie versucht, ihm seinen Job streitig zu machen …

1. KAPITEL

Oh, nein! Schon wieder Sofia, dachte Grace und starrte auf ihr Handy. Sie liebte ihre beste Freundin, die unter normalen Umständen nichts erschüttern konnte. Aber dass Sofia diesmal die Ruhe verlor, musste an ihrer kurz bevorstehenden Hochzeit liegen.

Grace war mit siebenstündiger Verspätung in Athen eingetroffen, hatte aber alles unter Kontrolle. Dennoch hatte Sofia in Panik die Familie ihres Bräutigams zu Hilfe gerufen und damit die Hoffnung zunichte gemacht, dass Grace die letzte Fähre in Piräus noch erreichen konnte. Stattdessen musste sie in der VIP-Lounge des Flughafens die Ankunft von Sofias gestrengem Schwiegervater erwarten.

Damit war ihr eng gestrickter Zeitplan gescheitert. Sie würde nicht rechtzeitig zur Anlieferung der Blumen auf der Insel Kasas eintreffen. Ihr blieben knapp drei Tage, um die „Hochzeit des Jahres“ vorzubereiten, wie die griechische Presse das Ereignis bezeichnete. Das war sehr wenig Zeit, um sich als Hochzeitsfloristin zu etablieren.

Vielleicht hat mein Vater doch recht, und ich bin eine hoffnungslose Träumerin, dachte Grace frustriert und schob das Champagnerglas beiseite, das eine Hostess ihr gereicht hatte.

In diesem Moment öffnete sich die Tür zur Lounge. Beim Gedanken an den bärbeißigen Vater Petrakis sank ihr Herz. Es kam jedoch ein deutlich jüngerer Mann herein. Er blickte sich um, entdeckte sie, lockerte die seidene Fliege um seinen Hals und kam geradewegs auf sie zu.

Fasziniert sah Grace dem selbstbewussten, hochgewachsenen Mann mit den klassisch-eleganten Zügen entgegen. Er trug einen perfekt sitzenden Smoking, sein Haar war jedoch so zerzaust, als käme er direkt aus dem Bett.

„Miss Chapman?“, fragte er mit wohlklingender Stimme.

Grace erhob sich mühsam aus dem tiefen Sessel und zerrte dabei am Saum ihres gelben Sommerkleids. Angesichts seines eleganten Abendanzugs erschien es ihr viel zu kurz und leger. Der Mann betrachtete sie eindringlich und schien auf eine Antwort zu warten, doch zum ersten Mal in ihrem Leben fehlten ihr die Worte. Ihr Kopf war wie leer gefegt, ihr einziger Gedanke war, wie attraktiv der Fremde doch aussah.

Er runzelte die Stirn, und eine winzige sichelförmige Narbe knapp oberhalb seiner linken Augenbraue wurde sichtbar.

Ehe das Schweigen allzu peinlich wurde, riss sie sich zusammen. „Ja, ich bin Grace Chapman. Das Bodenpersonal bat mich, hier auf Mr. Petrakis zu warten.“

„Das habe ich so veranlasst.“

„Oh!“ Erst jetzt begriff sie, wer vor ihr stand. „Sie sind bestimmt Andreas … Christos’ Bruder. Ich dachte, ihr Vater würde mich abholen. Ich habe ihn im vergangenen Monat in London bei der Verlobungsparty von Christos und Sofia kennengelernt.“ Grace reichte ihm die Hand. „Sind Sie nicht auch der Trauzeuge?“

Nach kurzem Zögern ergriff Andreas ihre Hand. Sein Händedruck war so fest, wie man es von einem mächtigen Mann erwarten konnte, der es gewohnt war, seinen Willen durchzusetzen.

Er war groß, sodass Grace den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Seine schönen grünen Augen waren von langen, dunklen Wimpern umrahmt, der feste, arrogante Blick erinnerte sie an seinen Vater. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, dachte sie. Auf seiner sonnengebräunten Haut zeichnete sich ein dunkler Bartschatten ab.

„Und Sie sind die erste Brautjungfer und Trauzeugin.“

Seinen frostigen Tonfall ignorierend, ließ Grace sich von ihrer Begeisterung über die Hochzeit hinreißen. „Und zugleich die Hochzeitsfloristin. Sofia und ich sind seit Jahren beste Freundinnen. Wie schade, dass Sie nicht an der Verlobungsparty teilnehmen konnten. Alle haben sich prächtig amüsiert.“

Er tat ihre Bemerkung mit einem Achselzucken ab. „Sie haben Ihren Flieger verpasst.“

Es klang wie ein Vorwurf, und Grace zuckte betroffen zusammen. Sie wollte ihm erklären, wie es dazu gekommen war, überlegte es sich dann aber anders. Verspätungen im britischen Bahnverkehr würden ihn kaum interessieren. „Ja, leider“, sagte sie stattdessen. „Nun muss ich zusehen, wie ich schnellstmöglich nach Kasas komme.“

„Die letzte Fähre hat bereits abgelegt.“

„Das ist mir bewusst.“ Bleib ruhig, sag nichts mehr, ermahnte sie sich, weil seine Arroganz sie irritierte. Gleich darauf vergaß sie diesen Vorsatz wieder. „Ich hätte sie noch erwischt. Wir sind pünktlich gelandet, und ich hatte bereits vorab ein Taxi bestellt, das mich zum Hafen bringen sollte.“

„Und morgen geht die Sonne im Westen auf …“, murmelte er.

„Ich hatte noch eine gute Stunde Zeit!“, protestierte Grace genervt.

„Christos hatte aber Sorge, dass Sie die Fähre verpassen. Er bat mich, Sie hier aufzulesen.“

Unter seinem finsteren Blick senkte Grace den Kopf. Seine arrogante Haltung ging ihr gegen den Strich. Offensichtlich hatte die Abholaktion seine Pläne für den Abend durchkreuzt. Sie betrachtete seinen eleganten Smoking. „Ich hoffe, ich habe Sie bei nichts Wichtigem gestört?“

In seinen Augen flackerte etwas auf – war es Zorn oder etwas anderes? Sofia hatte erzählt, dass ihr Schwager ein Playboy war. War er vielleicht bei einer Frau gewesen? War sein Haar so sexy zerrauft, weil er geradewegs aus dem Bett kam? Es war zwar noch früh am Abend, aber sie hatte keine Erfahrung mit den Bettgewohnheiten von Playboys … Ihre Exfreunde hatten nicht annähernd in dieser Liga gespielt.

„Vermutlich ist Sofia in Panik geraten. Sie weiß, dass ich zum ersten Mal in Griechenland bin, überhaupt zum ersten Mal allein im Ausland.“

Ein überraschter Blick traf sie, und für eine Weile herrschte angespanntes Schweigen. Als Grace es nicht mehr aushielt, sagte sie das Erste, was ihr in den Sinn kam: „Sie reisen bestimmt viel … geschäftlich und privat.“

„Haben Sie Ihre Hausaufgaben gemacht und sich über mich informiert?“

„Natürlich nicht!“ Sie spürte, wie sie errötete. Hoffentlich legte er das nicht als Eingeständnis aus. „Ich weiß nur, dass Sie Christos’ älterer Bruder sind.“

Andreas war der älteste Sohn aus dem reichen, mächtigen Haus Petrakis, und er hatte, unabhängig von der Familie, im Bau- und Immobiliensektor ein Vermögen erwirtschaftet.

Als er sie nur stumm betrachtete, fuhr sie fort: „Ich bin Christos noch nicht oft begegnet, habe aber auf den ersten Blick erkannt, dass er und Sofia füreinander geschaffen sind. Ich freue mich so für Sofia. Ihr Vater ist natürlich begeistert, dass sie einen Griechen heiratet. Seine Familie stammt ursprünglich aus Griechenland.“

Als Andreas immer noch nichts sagte, sondern sie nur weiterhin durchdringend anstarrte, wechselte sie das Thema. Eine ganz andere Frage brannte ihr ohnehin auf der Zunge. Sie deutete verstohlen auf die anderen Gäste in der Lounge. Dabei bemerkte sie, dass zwei elegant gekleidete Frauen Andreas mit unverhohlener Bewunderung anstarrten. „Wie haben Sie mich eigentlich erkannt?“

Andreas griff in die Innentasche seines Jacketts, zog sein Handy hervor, entsperrte den Bildschirm und reichte es ihr. Auf dem Display war ein Foto von Grace und Sofia zu sehen, auf dem sie Grimassen schnitten. Christos hatte das Bild nach Sofias Junggesellinnenabschied am vergangenen Wochenende in London aufgenommen. Sie hatten einige Mojitos zu viel getrunken …

Als sie entsetzt stöhnte, zuckte es um seine Mundwinkel. Gleich darauf wirkte er wieder so nüchtern wie zuvor. „Christos überhäuft mich mit Fotos von Sofia.“ Es klang ein wenig gequält.

Grace beschloss, darüber hinwegzugehen. Sie gab ihm das Handy zurück, und er steckte es wieder ein. „Die beiden sind ja so verliebt! Sofia hat mir erzählt, dass Kasas ein unglaublich romantischer Ort ist. Sie ist Ihnen überaus dankbar dafür, dass sie auf der Insel heiraten darf.“

Die Arme vor der Brust verschränkt, lächelte er höflich. Dabei fiel Grace sein wohlgeformter Mund auf, der fest und breit war, die Lippen nicht zu voll, gerade richtig zum Küssen …

Energisch rief sie sich zur Ordnung. Mit den Blumen für die Hochzeit hatte sie wirklich alle Hände voll zu tun. Sich von einem griechischen Gott von der Arbeit abhalten zu lassen, wäre keine gute Idee.

„Setzen Sie sich doch“, forderte er sie in diesem Moment auf. „Ich finde, wir sollten über Ihren Aufenthalt auf Kasas sprechen.“

Verwirrt ließ sie sich wieder in den Sessel sinken. Dabei rutschte der Saum ihres Kleides an ihren Schenkeln nach oben, und sie bemerkte, wie Andreas, der ihr gegenüber Platz nahm, voller Bewunderung auf ihre Beine starrte. Gleich darauf atmete er durch, hob den Kopf und stützte die Ellbogen auf die Knie.

„Ursprünglich wollte ich Sie heute Abend noch nach Kasas bringen …“

Froh und erleichtert unterbrach Grace ihn: „Das wäre wunderbar! Morgen in aller Früh werden die Blumen und Arbeitsmaterialien angeliefert. Ich muss vor Ort sein, um …“

Mit einer herrischen Geste schnitt er ihr das Wort ab. „Nachdem ich nun weiß, dass Sie Griechenland noch nicht kennen, schlage ich vor, die Hochzeitsplaner übernehmen auch das Arrangement der Blumen, während Sie einige Tage lang das Land erkunden. Kasas ist eine winzig kleine Insel. Eine Rundreise durch Griechenland wäre für Sie gewiss interessanter als langweilige Tage dort. Ich lebe und arbeite den Rest der Woche auf Kasas, daher stehen Ihnen mein Apartment hier in Athen und mein Chauffeur zur freien Verfügung.“

Grace starrte ihn aus großen Augen sprachlos an. „Unmöglich! Ich bin die Hochzeitsfloristin.“ Ein erschreckender Gedanke schoss ihr durch den Kopf. „Hat Christos Sie nicht darüber informiert, dass ich die gesamte Blumendekoration erstelle? Seit Wochen bereite ich alles dafür vor.“

„Schon möglich, dass er es gesagt hat. Im Chaos der Hochzeitsvorbereitungen … Mir war nicht bewusst, dass Sie so viel Zeit auf Kasas eingeplant haben.“

Offensichtlich war ihm ihre Anwesenheit auf der Insel unangenehm. Ebenso offenkundig hatte er keine Ahnung davon, welchen Zeitaufwand und welches Geschick das Arrangement von Blumen erforderte. Unwillkürlich musste Grace an die Kommentare ihres Vaters denken. ‚Mit Blumen herumspielen‘ war noch eine seiner höflichsten Bezeichnungen.

„Danke für das freundliche Angebot, doch morgen werden mehr als eintausend Blumen angeliefert, um die ich mich kümmern muss. Ich nehme meinen Job ernst. Allein das Design der Buketts und Gestecke hat Monate gedauert. Obendrein musste ich die besten Lieferanten finden und Floristen von den Nachbarinseln zur Unterstützung bestellen. Es kommt nicht infrage, dass ich mich jetzt vor meinen Verpflichtungen drücke und Urlaub mache.“

Andreas presste die Lippen fest aufeinander und warf ihr einen durchdringenden Blick zu. „Kasas wird Sie langweilen. Es gibt dort weder Geschäfte noch Bars, sondern nur mein Haus.“

Dass er immer noch zu glauben schien, sie hätte Zeit für derlei Vergnügungen, amüsierte Grace. Sie konnte sich das Lachen nicht verkneifen. „Ich bin schließlich nicht zum Einkaufen hier oder wegen des Nachtlebens.“

„Sie werden sich einsam fühlen. Die Hochzeitsplaner kehren abends nach Naxos zurück, auf Kasas lebt niemand außer mir, meiner Haushälterin und dem Gärtner.“ Fast beschwörend fügte er hinzu: „Wir werden ganz allein sein, Sie und ich.“

Plötzlich lag eine knisternde Spannung in der Luft. Grace spürte sie körperlich, und ihr Atem stockte, als allein ein verlockender Gedanke in ihr warme Wellen des Verlangens verursachte.

Konnte es sein, dass er etwas Ähnliches empfand? Seine Augen erschienen ihr dunkler als zuvor, seine Wangen waren leicht gerötet. Gleich darauf wandte er jedoch den Blick ab und räusperte sich. „Ich werde bis spätnachts arbeiten und kann nicht zu Ihrer Unterhaltung zur Verfügung stehen.“

Grace musste mehrmals blinzeln. Der unerwartete Ansturm von Begierde hatte sie aus dem Konzept gebracht. Am liebsten hätte sie sich auf seinen Schoß gesetzt, ihn umarmt, seinen betörenden Duft eingesogen, die Hitze seines Körpers gespürt. Was war nur los mit ihr?

Seit Monaten fieberte sie Sofias Hochzeit entgegen. Das Fest war die Chance, sich endlich einen Namen als Hochzeitsfloristin zu machen und irgendwann ein eigenes Geschäft zu eröffnen. Sollte sie ihre Pläne aufgeben und auf sein Angebot eingehen?

Die Aussicht, die Nächte allein mit ihm auf einer abgeschiedenen Insel zu verbringen, schreckte sie ab. Er zog sie unwiderstehlich an und irritierte sie zugleich. Die widersprüchlichen Gefühle raubten ihr den Seelenfrieden. Wollte sie wirklich Zeit mit einem Mann verbringen, dem ihre Anwesenheit so offenkundig lästig war?

Denk an Sofia und Christos, ermahnte sie sich. Sie durfte sich nicht durch Andreas davon abhalten lassen, perfekte Blumenarrangements für die Hochzeit herzustellen und ihre ganze Liebe und Kreativität in Sofias Brautbukett zu binden. Dass die Feier ihre Karriere beflügeln könnte, war dabei auch nicht zu verachten.

„Ich habe die Aufgabe, spektakulären Blumenschmuck herzustellen. Das erfordert einen hohen Arbeitsaufwand, sodass ich Ihnen nicht in die Quere kommen werde“, erklärte sie mit so viel Nachdruck, wie sie aufbringen konnte. „Griechenland erkunde ich nach dem Fest. Ich habe die Tour bereits geplant.“ Damit stand sie auf und ergriff Reisetasche und Koffer. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich jetzt gerne aufbrechen.“

Grace stand am Rand des Pfads, der vom Hubschrauberlandeplatz zur Villa führte. Der Helikopter hob gerade ab, mit dem Luftsog flog ihr Rock in die Höhe, und sie kämpfte mühsam dagegen an. Andreas hatte im Lauf seines Lebens schon tollere Beine gesehen, dennoch war es ihm während des Flugs schwergefallen, nicht ständig auf ihre zu starren. Sie waren wohlgeformt mit Grübchen an den Knien, und ihm waren eine Reihe unangemessener Dinge eingefallen, die er gern damit anstellen würde …

Während des gesamten Flugs hatte Grace geschwiegen, dabei hatte er sie am Flughafen für eine Plaudertasche gehalten. Hatte er sie zu schroff angefahren und dadurch verschreckt? Sie konnte schließlich nichts dafür, dass die Gäste bei dem Ball früher am Abend es auffällig vermieden hatten, über Christos’ bevorstehende Hochzeit zu sprechen. Und dann kam der Anruf mit der Bitte, die wichtigste Brautjungfer vom Flughafen abzuholen.

Wieso hatte er seinem Bruder überhaupt gestattet, auf seiner privaten Insel zu heiraten? Alles wurde von Tag zu Tag komplizierter und weckte zudem schmerzliche Erinnerungen, die er seit zwei Jahren erfolgreich verdrängte.

Er hatte gewusst, dass Grace Chapman vorzeitig anreisen würde. Wie enthusiastisch sie der Hochzeit entgegenfieberte, hatte ihm dagegen niemand verraten. Oder wie toll sie aussah. Ihre Begeisterung machte ihm erneut bewusst, mit welchem Widerwillen er dieser Veranstaltung entgegensah, obendrein hatte er weder Zeit noch Lust, sich um die Frau zu kümmern. Sein neuestes Projekt, eine Hotelanlage auf den Kaiman-Inseln in der Karibik, forderte seine gesamte Aufmerksamkeit. Einen anspruchsvollen Gast konnte er gerade nicht gebrauchen.

Grace, die von seinen Überlegungen nichts ahnte, sah derweil nach Naxos hinüber. Die Lichter der Nachbarinsel strahlten in der Dunkelheit, während zu ihren Füßen die Brandung der Ägäis unablässig gegen die Felsen schlug. „Was für ein Anblick!“, rief sie und rieb fröstelnd mit den Händen über ihre bloßen Arme. Ein silbernes Charmarmband an ihrem Handgelenk klimperte leise.

Andreas schlüpfte aus seinem Jackett und legte es ihr um die Schultern. Sie zuckte überrascht zurück, und er erhaschte einen Blick in ihre veilchenblauen Augen, die ihn vom ersten Moment an fasziniert hatten.

Sie zögerte, dann schob sie die Arme in das Sakko, und Andreas zog es um ihre schmalen Schultern. Grace hob ihr langes blondes Haar über den Kragen. Als sie es wieder fallen ließ, streifte es seine Hände. Es fühlte sich seidig weich an und duftete so köstlich, dass sich etwas in ihm zusammenzog. Am liebsten hätte er ihre Wangen gestreichelt, den Daumen über ihre vollen Lippen gleiten lassen. Stattdessen wich er einen Schritt zurück, und Grace wandte sich wieder zum Meer um.

Höflich ergriff er ihr Gepäck. „Der Weg zum Haus ist gut beleuchtet, aber steil. Passen Sie also gut auf. Ich gehe voran.“

Nach einer Weile erreichten sie die Stelle, von der aus man die Villa sehen konnte. Andreas hörte Grace nach Luft schnappen und wandte sich besorgt um. Doch nichts war passiert, sie bewunderte lediglich das von der Beleuchtung vorteilhaft in Szene gesetzte Gebäude.

„Wunderschön! Es sieht aus wie an den Berghang geklebte Zuckerwürfel. Wirklich außergewöhnlich.“

Unwillkürlich musste Andreas an die letzte Frau denken, die er hergebracht hatte. Wäre sie nur halb so begeistert gewesen! Rasch verdrängte er die Erinnerung. „Danke. Es ist spät. Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer, die Gärten können Sie morgen erkunden.“

„Jetzt verstehe ich, weshalb die Hochzeit hier stattfinden soll. Sofia hat mir Fotos von Kasas gezeigt, doch sie werden der Realität nicht annähernd gerecht. Ich stelle mir gerade vor, wie idyllisch es aussehen wird, wenn die Gäste bei Kerzenschein auf der Terrasse tanzen …“

„Sobald ich Ihnen Ihr Zimmer gezeigt habe, können wir eine Kleinigkeit essen.“

„Danke, aber ich bin nicht hungrig.“ Grace zog das Jackett enger um sich und verschränkte die Arme. „Freuen Sie sich denn gar nicht auf die Hochzeit?“

Erst wusste Andreas nicht, was er sagen sollte, dann beschloss er, die Karten offen auf den Tisch zu legen. „Ich finde, die beiden überstürzen es. Sie kennen sich erst seit vier Monaten.“

„Sie sind wahnsinnig verliebt und ganz offensichtlich füreinander bestimmt. Es war Liebe auf den ersten Blick“, fügte sie verträumt hinzu.

„Wohl eher Lust auf den ersten Blick“, murmelte er und zerstörte damit absichtlich die romantische Stimmung. „Jemanden kennenzulernen dauert lange – wenn es überhaupt gelingt. Menschen sind nicht immer so, wie sie sich geben.“

„Was wollen Sie damit andeuten?“

„Mein Bruder ist ein außergewöhnlich wohlhabender Mann.“

„Das bedeutet Sofia nichts“, protestierte sie.

Andreas tat es leid, sie mit seinem Zynismus verletzt zu haben. Allerdings war er selbst zum Narren gehalten worden. „Sind Sie sicher?“ Er lachte bitter.

„Absolut.“ Wütend trat sie auf ihn zu.

Wer’s glaubt, dachte er spöttisch. Er würde nicht leicht davon zu überzeugen sein, dass Sofia nicht auf Christos Namen und Reichtum aus war. Und Grace Chapman … War sie wirklich nur wegen der Blumenarrangements hier oder wollte sie mit dem Trauzeugen anbandeln?

Seine Überlegungen entsprangen keiner Eitelkeit, sondern basierten auf Erfahrung. Andreas hatte oft genug erlebt, wie sich Frauen ihm an den Hals warfen, weil sie von seinem Namen und seinem Vermögen geblendet waren. Er nutzte es durchaus aus, ließ aber keine von ihnen nahe an sich herankommen.

Eine Affäre mit der Brautjungfer war jedoch ausgeschlossen. Die beste Freundin seiner zukünftigen Schwägerin gehörte quasi zur Familie und man würde sich immer wieder begegnen.

Ein Klingelton riss ihn aus seinen Gedanken. Grace zückte ihr Handy, warf einen Blick auf den Bildschirm und drehte sich um. „Hallo, Matt. Natürlich vermisse ich dich!“

Sie lachte und plauderte vergnügt, und Andreas fragte sich, wann er zum letzten Mal am Telefon so liebevoll begrüßt worden war. Aber wieso ließ Grace diese Anziehungskraft und Schwingung zwischen ihnen zu, wenn sie einen Freund hatte?

„Ich liebe dich auch.“ Grace legte auf, massierte den verspannten Nacken und ging ins Haus, in dem Andreas bereits verschwunden war. Sie betrat ein riesiges Wohnzimmer mit weiß getünchten Wänden und einem offenen Kamin. Der Raum war von schlichter Schönheit. Antike Teakholzmöbel bildeten einen starken Kontrast zu den offensichtlich bequemen hellen Sofas auf dem weißen Marmorboden.

Der harmonische Anblick des Interieurs konnte jedoch nicht ihren Ärger darüber vertreiben, dass Andreas ihrer Freundin Habgier unterstellte. War er ebenso kalt und zynisch wie ihr Vater? So besessen von Geld und Macht, dass er wahre Liebe und Loyalität nicht erkannte?

Wie auch immer – Trauzeuge und Brautjungfer durften nicht auf Kriegsfuß stehen. Sie würde lernen müssen, mit ihm auszukommen.

Er war in die Küche vorausgegangen, lehnte lässig an der Arbeitsplatte und schälte eine Orange. Sorgfältig hängte sie sein Jackett über eine Stuhllehne und strich es glatt. Dabei bemerkte sie, dass er sie beobachtete, während er mit langen, eleganten Fingern die Orangenschale in Spiralen abzog, ohne auch nur einmal hinzusehen.

Nervös stellte sie eine Flasche Champagner auf die Küchentheke. „Das ist mein Dankeschön dafür, dass ich hier wohnen darf.“ So gut ihr die Idee zu Hause erschienen war, hier wirkte sie unpassend. Verlegen spielte sie mit den Anhängern an ihrem Armband, und allmählich ließ ihre Anspannung nach. „Wir müssen miteinander reden.“

Andreas nickte. „Kann ich Ihnen etwas anbieten? Wein? Bier?“

Erst wollte sie ablehnen, interpretierte es dann aber als Friedensangebot. „Morgen steht mir ein anstrengender Tag bevor, daher hätte ich lieber einen Fruchtsaft.“

Statt sich auf einen der Stühle zu setzen, die er ihr anbot, blieb sie stehen und lehnte sich an die Wand neben einem altmodischen Buffet voller bunter Keramikgegenstände, die nicht recht zu der modernen Küche passten, ihr aber Charakter verliehen.

Ihr Handy klingelte erneut, diesmal war es Lizzie. Sie ließ den Anruf auf die Mailbox umleiten. „Können wir jetzt reden?“, fragte sie, nachdem sie sich mit einem Schluck Apfelsaft erfrischt hatte.

Er prostete ihr mit Mineralwasser zu und trank, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Worüber?“

„Sofia ist meine beste Freundin. Die Hochzeit bedeutet ihr alles. An diesem Tag soll nichts und niemand sie anfeinden.“

„Damit meinen Sie mich?“

„Sofia heiratet Christos aus Liebe – aus keinem anderen Grund.“

„Das haben Sie bereits gesagt.“

„Wieso sind Sie eigentlich Trauzeuge und gestatten, dass die Feier hier stattfindet, wenn Sie nicht mit der Heirat einverstanden sind?“

Ohne mit der Wimper zu zucken, hielt er ihrem Blick stand, runzelte aber die Stirn. „Als Christos mich gebeten hat, sein Trauzeuge zu sein, habe ich ihm meine Bedenken dargelegt. Ich habe ihm zugesagt, weil ich an den Familienzusammenhalt glaube. Und die Insel … Als Kinder haben wir die Sommerferien immer hier verbracht. Damals haben wir uns geschworen, eines Tages in der Inselkapelle zu heiraten. Ich werde Christos diesen Wunsch nicht abschlagen, wie immer ich auch zu der Heirat stehe.“

Seine düstere Miene verbot jeden Einwand, zugleich meinte Grace, so etwas wie verletzten Stolz darin zu lesen. Wieso nur? Hatte es womöglich etwas mit der gescheiterten Ehe zu tun, die Sofia erwähnt hatte? Aus dem Gespräch mit ihrer Freundin hatte Grace allerdings geschlossen, dass er seit der Scheidung leichten Herzens eine Affäre nach der anderen hatte.

Sie trat dicht vor ihn hin und sah ihm fest in die Augen, obwohl sein zynischer Blick ihr Furcht einflößte. „Ich verstehe Ihre Bedenken. Glauben Sie mir, Sofia ist ein wunderbarer Mensch. Sie wird Ihren Bruder glücklich machen. Um der beiden willen sollten wir uns vertragen.“

Andreas stieß sich von der Theke ab und war ihr plötzlich so nahe, dass sie ihn riechen konnte. Sein sinnlicher Duft, männlich, würzig und mit einem Hauch Limone, raubte ihr fast den Verstand. Wie gebannt starrte sie auf seine breiten Schultern, die durch das enganliegende weiße Hemd noch betont wurden, während seine Beine in der dunklen Smokinghose unendlich lang wirkten.

„Was ist eigentlich mit Ihrem Freund? Kommt er auch zur Hochzeit?“, fragte er dicht an ihrem Ohr.

Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. Schauer jagten über ihren Körper, und ihr Herz klopfte heftig. Sie fühlte sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen, so zynisch er auch auftrat. „Ich habe keinen Freund.“

„Und wer ist dann Matt?“

„Mein Bruder.“

Einen Moment lang sah er sie skeptisch an, dann kehrte er ihr den Rücken. „Christos sagte, Sie benötigen einen Arbeitsraum. Sie können die Werkstatt oberhalb des Bootsanlegesteges für Ihre Vorbereitungsarbeiten benutzen. Mein Gärtner Ioannis zeigt Ihnen morgen den Weg dorthin. Er kann Sie mit dem Boot auch auf die Nachbarinseln bringen, wenn Sie das wünschen. Meine Haushälterin Eleni kümmert sich um die Mahlzeiten. Ihr Schlafzimmer, Grace, befindet sich im oberen Stockwerk, dritte Tür rechts. Ich habe das Gepäck bereits hochgebracht.“

Sein Befehlston weckte ihren Widerspruchsgeist. „Und Sie, Andreas, kommen Sie in Begleitung zur Hochzeit?“

„Ich gehe allein, so ist es mir am liebsten. Und zu Ihrer Bemerkung eben: Ich wüsste nicht, weshalb wir uns nicht verstehen sollten. Wollen wir nicht Du sagen, um das zu bekräftigen? Ich beuge mich Christos’ Wünschen, aber erwarte bitte keine Begeisterung von mir, denn ich habe den Glauben an Liebe und Romantik längst verloren.“ Er warf die Orange in den Mülleimer, ohne einmal davon abgebissen zu haben. „Kalinichta … gute Nacht.“

Damit ging er, und Grace lehnte sich erschöpft gegen die Wand. Sie flehte zum Himmel, dass am nächsten Tag keine weiteren Probleme auftraten. Hoffentlich träfe die Lieferung pünktlich ein, hoffentlich faszinierte Andreas sie bei Tageslicht nicht mehr so sehr wie eben.

2. KAPITEL

In gemächlichem Tempo schwamm Andreas die letzten einhundert Meter zurück an Land. Dabei ließ er den Blick über die Felswände schweifen, in die unzählige Terrassen eingelassen waren.

In drei Tagen würde die Insel von Hochzeitsgästen überrannt werden. Niemand würde ihn auf seine Hochzeit und das Ende seiner kurzen Ehe nach nur zwölf Monaten ansprechen, aber insgeheim auf Hinweise achten, ob er daran dachte.

Hoffentlich weiß Christos, was er tut, überlegte Andreas. Kannte er Sofia wirklich so gut, wie er behauptete? Er sollte nicht verletzt, die Familie nicht erneut gedemütigt und enttäuscht werden.

Andreas hatte zwar eingewilligt, Trauzeuge zu sein, sich darüber hinaus aber aus den Hochzeitsvorbereitungen herausgehalten. Umso wichtiger empfand er es, wenigstens ein gutes Verhältnis mit der ersten Brautjungfer anzustreben – und zugleich Distanz zu ihr zu wahren, so anziehend er sie auch fand. Sie war eine echte Romantikerin, während er Liebe für ein Fantasiegebilde hielt. Eine Affäre mit ihr wäre ein großer Fehler.

Am Ufer schnappte er sich sein Handtuch und stieg die in den Fels gehauenen Stufen zur Villa hinauf. Er hatte sich damals übereilt in die Ehe gestürzt und Verliebtheit mit wahrer Liebe verwechselt. Die Lügen und der Verrat seiner Frau hatten sein Herz für immer verhärtet. Nie wieder konnte er einer Frau vertrauen. Das Kapitel Ehe und Kinder hatte er für immer abgeschlossen.

Als er die oberste Stufe erreichte, kam Grace ihm entgegen. Sie hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, trug eine weiße Seidenbluse zu rosafarbenen Shorts und Turnschuhen und schleppte dicke Aktenordner. Der Anblick ihrer nackten Beine ließ sein Herz schneller schlagen. Die Morgensonne zauberte interessante Gold- und Karamelltöne in ihr blondes Haar, das einen starken Kontrast zu den veilchenblauen Augen bildete. Sie zog ihn unwiderstehlich an, am liebsten hätte er sie umarmt und geküsst …

Verlegen schob sie die Ordner von einem Arm in den anderen. Sie wirkte sehr nervös.

Kalimera – guten Morgen. Ist alles in Ordnung?“, erkundigte er sich besorgt.

Erst schien sie nicken zu wollen, dann überlegte sie es sich anders. „Ioannis hat mir gerade berichtet, dass die Blumen schon da sind und auf dem Anleger stehen. Sie wurden offenbar schon vor dem Morgengrauen angeliefert. Eigentlich sollte der Lieferant mir bei der Ankunft Bescheid geben, damit ich die Lieferung überprüfen kann. Außerdem sollte er alles in die kühle Werkstatt tragen.“

Die Werkstatt thronte hoch auf dem Gipfel eines steilen Hügels oberhalb der Bucht. Ganz allein würde sie es niemals schaffen, die vielen Blumen dorthin zu befördern. „Bitte Ioannis, dir zu helfen.“

„Er setzt gerade nach Naxos über, um die Caterer und Hochzeitsplaner abzuholen. Die Floristin, die mich heute unterstützen sollte, hat sich soeben telefonisch krank gemeldet.“

Andreas fluchte leise. Was ging denn noch alles schief? Grace hatte ihr Flugzeug und die Anlieferung der Ware verpasst. Jetzt war auch noch eine Hilfskraft erkrankt. „Dann sollen Ioannis und die Hochzeitsplaner dir helfen, sobald sie eingetroffen sind.“

„So lange kann man die Blumen nicht der Hitze aussetzen. Sie müssen sofort ins Kühle.“

Wäre ich nur bis zur Hochzeit in Athen geblieben! dachte Andreas frustriert. Er liebte seinen Bruder und hatte versprochen, etwaige Probleme bei den letzten Vorbereitungen auszubügeln. Andererseits musste er sich auch um dringende geschäftliche Angelegenheiten kümmern.

„Ist es normal, dass bei deiner Arbeit so viele Probleme auftreten?“

Grace warf ihm einen scharfen Blick zu. „Natürlich treten ständig unvorhergesehene Schwierigkeiten auf, mit denen ich fertig werden muss. Du kennst das sicher aus eigener Erfahrung und hast daher Verständnis, wenn ich dich um Hilfe bitte.“

„Mich?“ Er hatte einen Berg Arbeit zu bewältigen und keine Zeit, den Blumenträger zu spielen.

„Du hast gewiss viel zu tun. Wenn du mir dennoch eine halbe Stunde Zeit schenken könntest, wäre ich dir sehr dankbar.“ Die Worte kamen ihr sichtlich schwer über die Lippen.

„Eine halbe Stunde, mehr geht nicht. Aber erst muss ich mich anziehen und kurz telefonieren“, lenkte er ein, weil er ihre Hartnäckigkeit bewunderte.

Grace ging weiter zur Werkstatt. Ihr drehte sich alles im Kopf und sie fühlte sich gedemütigt. Andreas musste sie inzwischen für völlig inkompetent und unzuverlässig halten.

Ihr Puls raste, und der Boden unter ihren Füßen schien zu schwanken. Hatte sie zu lange in der Sonne über ihren Plänen gebrütet? Sie blieb stehen und atmete tief durch mit dem Bewusstsein, dass nicht die Sonne die Ursache war, sondern Andreas. Die Wassertropfen auf seiner nackten Brust, der flache Bauch, seine muskulösen Schenkel unter der Badehose … Mit den markanten Wangenknochen, der aristokratischen Nase, den wohlgeformten Lippen und dem vollen schwarzen Haar glich er einem griechischen Gott. Seine Muskeln sahen so hart aus wie die der Marmorstatuen im Britischen Museum in London, die Sofia und sie als Schülerinnen oft bewundert hatten.

Dreh dich bloß nicht nach ihm um, ermahnte sie sich, konnte der Versuchung aber nicht widerstehen. Seine breiten Schultern waren sonnengebräunt, die Hüften schmal, der Po knackig, und er hatte die Beine eines Athleten.

Andreas sah absolut umwerfend aus und stellte seltsame Dinge mit ihrem Herzen an. Leider blieb ihr für einen Mann keine Zeit, so gut er ihr auch gefiel. Sie hatte eine wichtige Aufgabe zu erledigen.

Frühmorgens war sie auf den Balkon getreten und hatte den Blick über die azurblaue Ägäis und die Inseln in der Ferne genossen. Es war vollkommen still gewesen bis auf eine sanfte Brise, die sie wie eine zärtliche Umarmung umfangen hatte. Das hatte sie in ihrer Absicht bekräftigt, jede Sekunde dieser Reise zu genießen, die den Beginn eines Abenteuers markierte, von dem sie seit Langem träumte.

Von Kindesbeinen an hatte ihr Vater sie kontrolliert und manipuliert. Erst seit Kurzem war sie frei. Frei für ein Leben voller Freude und Heiterkeit, frei, ihre eigenen Ziele zu verfolgen und zu beweisen, dass sie allein zurechtkam.

Sie würde sich nicht durch einen arroganten Playboy von ihren Plänen abbringen lassen. Falls sie bei Sofias Hochzeit versagte, konnte sie ihrer Karriere nämlich Adieu sagen. Obendrein wollte sie Andreas beweisen, dass sie keine inkompetente Wichtigtuerin war.

Die Werkstatt auf der Anhöhe war im selben Zuckerwürfelstil erbaut wie die Villa. Die hohen Räume mit freiliegenden Dachbalken und roh verputzten Wänden waren angenehm kühl und somit ideal geeignet für die Vorbereitung und Aufbewahrung der Blumenarrangements. Grace wischte den Staub von den Bänken und Tischen im vorderen Raum und schob sie in der Mitte zusammen. Hier ließ es sich gut arbeiten. Dann rannte sie hinab zum Bootsanleger, schnappte sich einen Stapel Blecheimer und kehrte damit zum Atelier zurück.

Vom steilen Anstieg brannten ihre Waden, sie atmete schwer. Was habe ich mir da nur aufgeladen? dachte sie beklommen. Wie sollte sie es schaffen, die vielen Blumen nach oben zu tragen, sämtliche Stiele zu kürzen und zu entlauben? Und dies bei etwa tausend Pfingstrosen und Glockenblumen?

In der Werkstatt angekommen, suchte sie nach einem Wasserhahn. Nichts. In Panik lief sie in den hinteren Raum und brach vor Erleichterung fast in Tränen aus, als sie ein Waschbecken entdeckte. Rostiges Wasser lief aus dem Hahn, als sie ihn aufdrehte, und sie fasste neuen Mut.

Bis Andreas sich zu ihr gesellte, war sie bereits mehrfach zum Anleger und zurück gelaufen und hatte Blumen und die Kiste mit dem wichtigsten Werkzeug heraufgeholt. Sie war schweißgebadet und durchnässt vom Blumenwasser.

Andreas dagegen wirkte cool und elegant in Jeans und grünem Poloshirt, das seinen athletischen Oberkörper betonte.

Wie wäre es wohl, in seinen starken Armen zu liegen? schoss es ihr durch den Kopf. Einen Moment lang war ihr ganz schwach zumute. Das änderte sich jedoch, als er betont auffällig auf seine Armbanduhr sah.

Sie deutete zum Anleger. „Die Blumen befinden sich in den großen, rechteckigen Schachteln. Die brauche ich zuerst. Alles andere kann warten.“

Als sie an ihm vorbei nach unten gehen wollte, hielt er sie mit einer Hand auf dem Arm zurück. „Ich hole die Blumen, du bleibst hier und tust, was immer ansteht.“

Die Berührung brachte sie aus dem Konzept. Es wurde sogar noch schlimmer, als sie bemerkte, wie er auf ihre Brust starrte. Ein Blick nach unten, und sie wäre fast in Ohnmacht gefallen: die Bluse war feucht geworden und so durchsichtig, dass ihr BH sich deutlich darunter abzeichnete.

Andreas lächelte breit. „Bleib besser hier oben. Ioannis und die Hochzeitsplaner legen nämlich jeden Augenblick an.“

Beschämt wandte Grace sich ab. Sie schnappte sich einen Eimer mit Blumen. „Leg los, deine halbe Stunde läuft. Ich hoffe, die Zeit reicht, um sämtliche Blumen heraufzubringen.“

„Das schaffe ich schon.“ Er warf einen letzten Blick auf ihre feuchte Bluse und grinste. „Dieser Job hat durchaus seinen Reiz.“

Grace errötete, was ihn noch mehr zu amüsieren schien. Verlegen kehrte sie ihm den Rücken und trug die Blumen zum Wasserhahn. Sie meinte, ihn lachen zu hören. Als sie in den vorderen Raum zurückkehrte, war er fort.

In regelmäßigen Abständen brachte er weitere Blumenkartons herauf. Sobald Grace seine Schritte hörte, verschwand sie im Hinterzimmer. Erst als sie bemerkte, dass er die Werkzeugkisten hereinbrachte, fing sie ihn ab und erklärte ihm, dass er sich darum nicht zu kümmern brauchte. Er ignorierte es.

Inzwischen standen blumengefüllte Eimer über die ganze Werkstatt verteilt. Grace fing an, die Stiele zu kürzen und überzählige Blätter abzustreifen. Die rosa- und elfenbeinfarbenen Pfingstrosen waren so perfekt, wie sie es sich erhofft hatte, und würden am Samstag in voller Blüte stehen.

Wenigstens das hat funktioniert, seufzte sie zufrieden und sog andächtig den süßen Blumenduft ein. Sie würde bis spätnachts arbeiten müssen, aber alles schaffen, was sie sich vorgenommen hatte.

Kurz darauf trug Andreas die letzte Kiste herein. Von einem zarten Schweißfilm auf der Stirn abgesehen, sah man ihm die Anstrengung nicht an.

Grace schaltete die Stoppuhr ihres Handys aus und zeigte ihm das Display. „Sechsunddreißig Minuten, vierzehn Sekunden.“

Grinsend hielt er ihr seine Armbanduhr entgegen. „Neunzehn Minuten, dreiundvierzig Sekunden für die Blumen. Der Rest war nicht vereinbart. Ich habe also gewonnen.“

„Ich wusste gar nicht, dass es um einen Wettlauf ging.“

„Wieso hast du dann die Zeit gestoppt?“

„Aus Neugier.“ Hastig wechselte sie das Thema. „Ich bin dir wirklich dankbar für deine Hilfe.“

Andreas zuckte mit den Schultern und sah sich staunend um. „Wozu brauchst du denn so viele Rosen?“

„Das sind keine Rosen, sondern Peonien oder Pfingstrosen, benannt nach dem griechischen Götterarzt Paian, der Hades von seinen Wunden geheilt hat. Ihnen werden Heilkräfte zugesprochen, obendrein stehen sie für ein gutes Leben und Eheglück. Du kaufst wohl nicht allzu oft Blumen?“, fügte sie hinzu, als sie seine skeptische Miene bemerkte.

„Gelegentlich.“ Er grinste schief. „Um die Details kümmert sich allerdings meine Assistentin.“

Er wirkte entspannt und geradezu fröhlich, und das gefiel Grace. „Hoffentlich sagst du ihr wenigstens, welche sie besorgen soll.“

„Wozu?“

„Weil jede Sorte für etwas anderes steht. Mit jedem Strauß sendest du eine Botschaft.“

Die Vorstellung schien ihn zu entsetzen. „Zum Beispiel?“

„Narzissen symbolisieren einen Neuanfang, Gardenien heimliche Liebe. Für wahre Liebe stehen Vergissmeinnicht, Jasmin verkörpert Sinnlichkeit.“

Ihre Blicke kreuzten sich, für einen Moment lag knisternde Spannung in der Luft.

„Was steht für: Danke für die heiße Nacht, mehr wird nicht draus?“, fragte Andreas unvermittelt.

Grace sank das Herz. „Eine gelbe Rose repräsentiert Freundschaft, falls du das meinst. Andernfalls würde ich eher keine Blumen schicken.“

Unter seinem eindringlichen Blick wurde ihr ganz seltsam zumute, und sie senkte den Kopf und bearbeitete den nächsten Blütenstiel. Im Geist ermahnte sie sich zur Distanz. Er würde ihr nur das Herz brechen.

„Ich verstehe immer noch nicht, wozu man für eine einzige Hochzeit so viele Blumen braucht“, sagte Andreas noch einmal.

Diese Frage hatte sie schon von zahlreichen zukünftigen Ehemännern gehört. Niemand hatte eine Vorstellung davon, welche Mengen nötig waren, um die richtige Stimmung für die jeweilige Hochzeit zu treffen. Wenn Grace ihnen das Konzept ausführlich erklärte, waren sie meist zufrieden und glücklich. Aus einem unerfindlichen Grund war es ihr mindestens ebenso wichtig, Andreas verständlich zu machen, dass sie mehr tat als mit Blumen spielen, wie ihr Vater es nannte.

„Es sind achthundert Pfingstrosen und zweihundert Lisianthus, Prärieglockenblumen, um genau zu sein. Daraus fertige ich das Brautbukett, die Brautjungfernsträuße, den Blumenschmuck vor und in der Kapelle und auf den Terrassen. Zudem werden auf jedem Tisch fünf Vasen mit je fünf Pfingstrosen stehen, das macht bei zwanzig Tischen …“

„Fünfhundert Blumen.“

„Exakt. Heute muss ich die Stiele kürzen und ins Wasser stellen. Morgen werden sie erneut beschnitten und bekommen frisches Wasser. Am Freitag werden fünfzig Lorbeerbäumchen in Töpfen angeliefert und ebenso viele Sturmlaternen, die abwechselnd den Weg vom Anleger zur Kapelle säumen sollen. Der Rest kommt auf die Hauptterrasse, wo der Empfang stattfindet und später getanzt wird.“

Andreas wies auf die ungeöffneten Kisten. „Was ist da drin?“

„Einhundert Glasvasen für den Tischschmuck, zweihundert Votivkerzen, fünfzig Laternenkerzen und dreißig Stumpenkerzen, Steckschaum, Draht, Bänder und so fort. Die Liste ist endlos. Ich packe heute alles aus, damit ich morgen direkt loslegen kann.“

Andreas warf einen Blick auf die Uhr. „Ich muss gleich einige Telefonate erledigen. Kann ich dir zuvor noch etwas helfen?“

„Ich komme schon zurecht. Morgen unterstützen mich zwei Floristen. Bis dahin muss alles vorbereitet sein, sonst wird die Zeit knapp.“

„Mir war nicht bewusst, wie viel Arbeit in Blumenschmuck steckt.“

Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Vielleicht verstehst du jetzt, weshalb ich keine Zeit habe, durch die Nachtklubs von Athen zu ziehen?“

„Oh, ja. Der Aufwand erscheint mir dennoch etwas übertrieben.“ Er schenkte Grace ein atemberaubendes Lächeln, das ihr Herz noch lange wild pochen ließ.

Sechs Stunden später kehrte Andreas zurück. Grace war nicht zum Essen erschienen und Eleni hatte ihn gebeten, ihr ein Lunchtablett zu bringen. Das bedeutete zwar eine weitere Störung in seinem Tagesablauf, doch seine Haushälterin schaffte es immer wieder, ihn um den kleinen Finger zu wickeln.

In der Werkstatt angekommen, staunte er nicht schlecht. Grace hatte ein gewaltiges Arbeitspensum erledigt. Der Boden war überhäuft mit Blättern und Pflanzenteilen, die sie gerade zusammenfegte. Sie wirkte erschöpft und angespannt, brauchte sichtlich Hilfe. Und er war der einzige, der sie ihr geben konnte.

„Eleni sorgt sich um dich, weil du den Lunch verpasst hast.“ Er stellte das Tablett auf den Arbeitstisch.

Grace griff nach einer Schaufel und einem Abfallsack. „Nett von ihr. Danke ihr in meinem Namen und sag ihr, dass das unnötig ist. Ich kann gut alleine für mich sorgen.“

Sie band den gefüllten Sack zu und zerrte ihn in eine Ecke, während Andreas sich den Besen schnappte und zu kehren begann.

„Du musst mir nicht helfen.“ Es klang müde, ihren Augen war die Erschöpfung anzusehen.

„Du brauchst eine Pause. Iss, während ich fege.“

Erst zögerte sie, dann setzte sie sich an den Tisch und schenkte sich Kaffee ein. Statt in Ruhe zu essen, zog sie jedoch den nächsten Blumenkübel heran und arbeitete zwischen den einzelnen Bissen weiter.

Energisch nahm Andreas ihr das Tablett weg und stellte es nach draußen. „Du kannst nicht gleichzeitig arbeiten und essen.“

„Ich habe noch viel zu tun.“

„Machen wir einen Deal: Wenn du dir zehn Minuten Ruhe gönnst, packe ich die restlichen Kisten aus.“

„Das würdest du tun?“

„Du bist schließlich mein Gast. Ich muss mich um dich kümmern.“

Grace überlegte kurz und nickte. „Danke für deine Hilfe. Die Kisten sind leider nicht beschriftet. Hier ist ein Teppichmesser, mit dem kannst du sie aufschneiden. Zuerst benötige ich die Glasvasen.“

Andreas machte sich an die Arbeit, fünf Minuten später gesellte sich Grace zu ihm. In der kurzen Zeit hatte sie gegessen und obendrein mit jemandem namens Lizzie telefoniert.

Ihre Arbeitshaltung nötigte ihm Respekt ab, gleichzeitig ärgerte er sich, weil sie ihren Teil der Vereinbarung nicht eingehalten hatte. Das war er nicht gewöhnt.

Eine Weile arbeiteten sie schweigend. „Wozu wurde dieser Ort ursprünglich genutzt?“, fragte Grace schließlich.

Andreas musste einen Kloß im Hals herunterschlucken, ehe er sprechen konnte. „Als Atelier meines Onkels. Er hat hier Keramiken angefertigt.“

„Diejenigen, die ich in der Villa gesehen habe?“

„Ja. Der Brennofen steht im Nebenraum.“

„Seine Werke sind wunderschön!“

„Leider ist er vor zwei Jahren verstorben.“

Grace ging um den Arbeitstisch herum und trat neben ihn. „Das tut mir leid. Wie war er denn so?“

Er war der Mittelpunkt meiner Welt, hätte Andreas gerne gesagt. „Er war ruhig und besonnen und hat diese Insel geliebt“, sagte er, während er einen Karton aufschnitt. „Ursprünglich war sie das Sommerdomizil meiner Großeltern, nur mein Onkel hat sie dauerhaft bewohnt. Im Sommer durften Christos und ich hier frei schalten und walten. Wir durften alles tun, was wir wollten. Es war himmlisch! Wir konnten nach Herzenslust schwimmen, klettern, und abends am Strand mit unserem Onkel Fische grillen. Er hat uns stundenlang Geschichten erzählt, meistens von irgendwelchen Seeungeheuern.“

„Im Wohnzimmer steht eine tolle Figur: ein Seeungeheuer mit Kindern.“

Es erstaunte ihn, dass seine Lieblingskeramik ihr aufgefallen war. „Die Kinder sind Christos und ich.“

„Du hast bestimmt die besten Erinnerungen an jene Zeit.“

Ihr mitfühlender Blick ließ ihn sich betreten abwenden. Er klappte den Deckel der Kiste zu, in der sich statt der gesuchten Vasen nur Kerzen befanden. Sonst sprach er nie über seinen Onkel, doch hier in der Werkstatt, mit dieser einfühlsamen Frau, empfand er das Bedürfnis danach.

„Er hat mich ermutigt, meine Träume zu verfolgen, selbst, wenn sie unkonventionell oder riskant waren. Er hat sogar in meine erste Immobilie investiert. Damals war ich neunzehn. Glücklicherweise konnte ich ihm das Geld samt Zinsen nach einem Jahr zurückerstatten. Er hat an mich geglaubt, mir vertraut, obgleich andere das nicht taten.“

Gedankenverloren strich Grace über einen Karton. Andreas bemerkte ihre kurzen, unlackierten Fingernägel, an einem Zeigefinger klebte ein Pflaster. Am liebsten hätte er ihre Hand ergriffen und geküsst.

Sie atmete tief durch. „Sei froh, dass es jemanden wie ihn in deinem Leben gab. Und einen Ort wie diesen. Kasas ist etwas Besonderes, geradezu magisch.“

„Nicht jedem gefällt die Insel.“

„Unmöglich! Sie ist der schönste Flecken Erde, den ich kenne.“

Die Leidenschaft, mit der sie sprach, tat ihm gut. Am liebsten hätte er ihr geglaubt, doch der Verstand verbot es ihm. Er wechselte das Thema, ehe das Gespräch allzu persönlich wurde. „Es sind keine Vasen dabei.“

Mit vor Schreck weit aufgerissenem Mund starrte Grace ihn an. „Sie müssen hier sein!“

„Ich habe jede Kiste zweimal durchgesehen.“

Noch während sie eine nach der anderen erneut überprüfte, zückte sie ihr Handy und telefonierte hektisch.

Um sie nicht zu stören, zog Andreas sich in den angrenzenden Raum zurück. Seit dem Tod seines Onkels war er nicht mehr im Atelier gewesen. Unvermittelt fühlte er sich sehr einsam.

Minuten später kam Grace herein. Sie blieb an der Tür stehen, blass im Gesicht und mit roten Flecken auf den Wangen. „Die Vasen sind nicht versandt worden. Sie stehen noch beim Lieferanten in Amsterdam. Bis Samstag lässt sich kein Ersatz beschaffen.“

Das hatte Andreas bereits vermutet. Gelassen wies er auf die etwa einhundert schlichten, weißen Porzellankrüge, die in Regalen an der Wand standen. „Nimm doch die.“

Verblüfft riss sie die Augen auf. Sie nahm einen Krug in die Hand. Ehrfürchtig streichelte sie das zarte, glatte Material. „Darf ich wirklich?“

„Im Jahr vor seinem Tod hat mein Onkel sich der Arbeit mit Porzellan zugewandt. Ich habe es nicht über mich gebracht, sie zu verkaufen …“ Von Trauer übermannt, brachte er kein weiteres Wort heraus.

Grace sah ihn voller Mitgefühl an. „Für dich ist das bestimmt nicht einfach.“

Hastig wandte er sich ab. „Er wäre glücklich, wenn seine Arbeiten bei Christos’ Hochzeit Verwendung finden.“ Damit kehrte er in den vorderen Raum zurück. Er brauchte Abstand zu Grace, sie brachte ihn aus dem Konzept. Wie schaffte sie es nur, dass er seine eigenen Regeln brach?

Ihm blieben noch zehn Minuten, ehe er an seinen Schreibtisch zurückkehren musste. Einige kleinere Schachteln waren noch nicht geöffnet. Er schnitt die erste auf und entdeckte darin ein Paar silberne Sandalen. „Ist das auch Floristenbedarf?“

„Meine Sandalen!“ Sie ließ den Blütenstiel fallen, den sie gerade beschnitten hatte, und nahm ihm die aufsehenerregenden Schuhe aus der Hand.

Andreas malte sich aus, wie ihre langen Beine darin zur Geltung kommen würden, und das Blut stieg ihm zu Kopf. Hastig griff er nach dem nächsten Karton.

„Im Laden gab es meine Größe nicht, daher habe ich sie nachliefern lassen … Mach das nicht auf!“

Zu spät! Andreas hatte den Deckel der nächsten Schachtel bereits abgehoben, schob die Finger unter zwei schmale Seidenbänder und hob ein sexy Spitzenbustier heraus.

Grace starrte entsetzt darauf, dann auf das erotische Teil aus pinkfarbener Spitze, das noch in einem Bett aus schwarzem Seidenpapier lag: das passende Höschen.

Andreas spürte, wie das Blut aus seinem Kopf in tiefere Körperregionen schoss. „Das gehört vermutlich ebenfalls dir?“

Unfähig auch nur einen Ton herauszubringen, entriss sie ihm das zarte Dessous und die Schachtel, stürmte davon und verstaute, ihm den Rücken zuwendend, alles wieder darin. „Das ist für die Hochzeit. Ich weiß aber noch nicht, ob ich es tragen werde.“

Für Andreas wurde es höchste Zeit zu verschwinden, ehe er eine Dummheit beging. Er ging zur Tür. „Ich muss meine Telefonate erledigen.“ Ehe er sie hinter sich zuzog, wandte er sich ein letztes Mal um. „Grace? Zieh die Sachen an.“

3. KAPITEL

Die Leiter schwankte, und Grace griff Halt suchend nach dem Glockenschwengel, an den sie gerade eine Schnur knoten wollte.

„Was machst du da oben?“, rief Andreas zornig von unten.

Sie hatte ihn nicht kommen hören, zuckte zusammen, und es wackelte noch stärker. Erschrocken stieß sie einen Schrei aus. Plötzlich hörte das Schwanken auf. Andreas hielt die Leiter fest und hatte einen Fuß auf die unterste Sprosse gestellt.

Unwillkürlich fragte sie sich, was ihr mehr zu schaffen machte: sein zorniger Blick in diesem Moment oder das Feuer in seinen Augen, als er am Nachmittag ihre Dessous entdeckt hatte. Letzteres hatte ihr den Atem geraubt. Sie mochten einander noch nicht einmal. Wie kam es dann, dass ihr Herz Trommelwirbel schlug, sobald Andreas nur in ihrer Nähe war?

„Ich finde, die Kapelle verlangt nach mehr Blumenschmuck als ursprünglich vorgesehen. Deswegen fertige ich eine Girlande an, die vom Glockenturm bis auf den Boden herabhängen wird. Dafür nehme ich gerade Maß.“

„Tu so etwas nie wieder allein! Die Bodenplatten sind uneben.“

Er hatte recht, doch das gab sie nicht zu. „Ich bin fast fertig.“ Sie befestigte die Schnur am Glockenklöppel, warf den Knäuel auf den Boden und stieg von der Leiter. Rasch zog sie das Maß bis zu der Stelle, an der die Girlande hängen sollte und schnitt die Schnur ab. „Ich muss nur noch den Knoten lösen.“

Kopfschüttelnd erklomm Andreas die Leiter, band die Schnur los und warf sie herunter. Sobald er wieder auf festem Boden stand, schob er die Ausziehleiter zusammen. „Ich will dich nie wieder da oben sehen“, knurrte er.

Grace widersprach nicht, um keinen Streit vom Zaun zu brechen. „Ist es dir recht, wenn ich für die Girlande Rosmarin und Lorbeer aus deinem Garten verwende?“

„Ich denke, du stehst bereits unter Zeitdruck?“, meinte er mit skeptischem Blick auf das lange Stück Schnur.

Das stimmte, doch Grace wusste, dass sie sich nur durch besondere, einfallsreiche Details von anderen Hochzeitsfloristen abheben konnte. „Das schaffe ich. Der Blumenschmuck soll dieser atemberaubenden Kulisse gerecht werden.“

Tatsächlich ragte die kleine, weißgetünchte Kapelle mit der blauen Kuppel malerisch auf dem Felsplateau hoch über dem goldfarbenen Sandstrand in den strahlenden Sommerhimmel empor.

„Sofia würde sicher nicht wollen, dass ihre Brautjungfer bei der Trauung im Gipsbein erscheint – nur wegen ein paar Blumen.“

Gekränkt wandte Grace sich ab. „Wenn du mich bitte entschuldigst. Ich muss die Dekoration für die Kapelle weiter planen – ein paar Blumen, wie du zu sagen beliebst.“

Um seine Mundwinkel zuckte es belustigt. „Es dämmert schon.“

„Ich brauche nicht lange. Du musst nicht auf mich warten“, fügte sie hinzu, als er sich nicht von der Stelle rührte.

„Damit du dich auf dem Rückweg verläufst, und ich dich die zweite Nacht in Folge retten muss?“ Er trat zu der niedrigen Mauer, die den Platz vor der Kapelle einfasste, und setzte sich darauf. Hinter ihm überzog die Abendsonne das Meer mit purpurnem Schimmer. Es war ein idyllischer Anblick wie auf einer Postkarte, von dem düster dreinblickenden Mann im Vordergrund abgesehen.

Grace schritt den Vorplatz ab und machte sich dabei eifrig Notizen. Ab und zu schaute sie ihn böse an, doch das war Andreas gleichgültig. Seine Laune war auf dem Tiefpunkt.

Den ganzen Nachmittag über hatten ihn Bilder von ihr in den sexy Dessous gequält. Er hatte sich vorgestellt, wie das Bustier sich an ihre schmale Taille schmiegte und ihre Brüste anhob, wie das winzige Höschen ihren knackigen Po umspannte …

Vergiss es, ermahnte er sich streng.

Stattdessen beobachtete er, wie Grace immer noch mit Feuereifer bei der Sache war. Von einer kurzen Pause abgesehen, arbeitete sie bereits seit zwölf Stunden. War der Blumenschmuck bei einer Hochzeit wirklich so wichtig? Wer achtete überhaupt darauf? „Wieso liegt dir diese Hochzeit so am Herzen?“

Sie wandte sich zu ihm um, ihr Pferdeschwanz fiel ihr über eine Schulter. Andreas erinnerte sich daran, wie seidig ihr Haar sich anfühlte und wie verlockend es duftete. Auch ihre langen Beine machten ihn wahnsinnig! Unwillkürlich zog sich etwas in ihm zusammen.

Die schönsten Frauen Athens lagen ihm zu Füßen – wieso reizte gerade Grace ihn so? Wieso die eine Frau, die er nicht haben durfte?

In diesem Moment kam sie näher und setzte sich neben ihn auf die Mauer – mit deutlichem Abstand. „Ich habe Sofia auf dem Spielplatz kennengelernt, als wir vier Jahre alt waren. Ein Junge hatte mich von der Schaukel geschubst. Sie trat ihn vors Schienbein, dann half sie mir auf. Wir haben dieselbe Schule besucht und wollten zusammen zur Uni gehen … nur konnte ich das nicht.“ Sie seufzte. „Sie hat mich zu zahllosen Schulkonzerten begleitet und bei eisigen Temperaturen neben mir am Rand des Fußballfeldes ausgeharrt. Dafür bin ich ihr zutiefst dankbar.“

„Wie kam es dazu?“

„Unsere Eltern hatten wenig Zeit, daher habe ich meistens Matt zu seinen Spielen und meine jüngere Schwester Lizzie zu ihren Konzerten begleitet. Sofia hat mir Gesellschaft geleistet, obwohl sie interessantere Dinge hätte tun können.“

Vielleicht ist Christos’ Braut doch nicht so übel, ging es Andreas durch den Kopf.

Als könnte sie Gedanken lesen, fuhr Grace fort: „Christos hat Glück, er heiratet eine wunderbare, kluge und warmherzige Frau.“

„Hört sich ganz so an.“

„Deswegen sollten wir alles tun, um den beiden einen wunderbaren Tag zu bereiten.“

„Du bist eine unheilbare Romantikerin.“ Insgeheim fürchtete Andreas immer noch, Christos könnte die rasche Heirat eines Tages bereuen.

Nachdenklich runzelte Grace die Stirn. „Ich schäme mich nicht dafür, dass ich an die Liebe glaube … und an die Ehe. Durch meine Arbeit begegne ich ihr immer wieder. Sofia und Christos sind das beste Beispiel dafür.“

„Hast du jemals geliebt?“

„Nein.“

„Aber du möchtest es, nicht wahr?“

Sie lächelte, und ihre veilchenblauen Augen glänzten verträumt. „Was ich mir wünsche, ist Liebe auf den ersten Blick. Eine Wirbelwindromanze, Ehe, Kinder, zusammen alt werden, den perfekten Mann.“

„Ein perfekter Mann? Wie sieht der denn aus?“

„Er erobert mein Herz im Sturm, er bringt Freude und Spannung in mein Leben. Außerdem glaubt auch er an die Liebe, ist lieb und zärtlich.“

Sein entgeisterter Blick feuerte sie erst recht an. „Er ist intelligent, ehrenwert, loyal … und fantastisch im Bett.“ Sie stolperte über die letzten Worte und hielt verdutzt inne.

Andreas hätte beinahe gelacht, verkniff es sich aber. „Wow, das klingt nach einem tollen Kerl! Leider entspricht das nicht der Realität. Liebe ist kompliziert und chaotisch. Sie birgt jede Menge Enttäuschungen. Ein Märchen, wie du es beschreibst, ist sie nicht. Und deinen Traumprinzen gibt es nicht, oder glaubst du das etwa?“

„Ich hoffe es“, sagte sie feierlich, ehe Zweifel ihren Blick überschatteten. Eine Weile saß sie schweigend da. „Wie denkst du denn über die Liebe?“

Andreas betrachtete Grace, ihre hohen Wangenknochen, das entzückende Muttermal unter ihrem rechten Ohr, und wunderte sich über ihre Naivität … und ihren Optimismus. Irgendwie beneidete er sie darum. „Wie ich gestern schon gesagt habe: Liebe, romantische Beziehungen interessieren mich nicht.“

„Wie kommt das?“

„Darüber möchte ich nicht reden.“

Erst sah sie ihn enttäuscht an, dann lächelte sie. Unwillkürlich fragte er sich, ob sie von seiner kurzen Ehe wusste? Vermutlich hatte Christos darüber gesprochen, wie viel hatte er wohl erzählt? Ich brauche dein Mitleid nicht, dachte Andreas missmutig. Es wäre ihm nur peinlich.

„Sofia hat erwähnt, dass du verheiratet warst“, sagte Grace in diesem Moment.

„Hat die Trauung hier …?“

„Ich habe nicht auf Kasas geheiratet“, erwiderte er, obwohl er das Thema lieber ausgespart hätte.

„Ich dachte … Gestern hast du gesagt, dass Christos und du hier heiraten wolltet.“

„Meine Ex hat auf Athen bestanden.“

Das musste sie erst verdauen. „Hast du es bedauert, nicht hier zu heiraten?“

Das hatte er damals tatsächlich, doch seine Braut hatte die Society-Hochzeit des Jahres unbedingt in Athen zelebrieren wollen. Sie hatte auf seinen erst kürzlich verstorbenen Onkel hingewiesen und gemeint, es wäre zu schmerzlich für Andreas.

Später hatte sie zugegeben, dass das nur ein Vorwand gewesen war. Inzwischen war Andreas froh, dass die Insel nicht mit bitteren Erinnerungen an die dümmste Entscheidung seines Lebens belastet war.

Er nahm sich Zeit, um sich wieder zu fassen. „Das ist Vergangenheit und nicht länger von Bedeutung.“

„Wie schade, dass deine Ehe nicht funktioniert hat. Es war bestimmt schwer für dich.“

Verblüfft sah Andreas sie an. Sie war die Erste, die das so ausdrückte. Alle anderen hatten wütend über seine Ex hergezogen oder geschwiegen.

Sein Stolz erforderte es, ihre Bemerkung mit einem Achselzucken abzutun, doch ihr verständnisvoller Blick ließ ihn innehalten. „Ja, es war schwer“, gab er widerstrebend zu.

„Vielleicht findest du dein Glück irgendwann bei einer anderen.“

„Sag bitte, dass du nicht zu den Frauen gehörst, die glauben, sie könnten einen Mann ändern und in sich verliebt machen.“

Grace riss erstaunt die Augen auf, dann aber bedachte sie ihn mit einem kühlen Blick. „Ich habe weiß Gott die Nase voll davon, um die Liebe eines Mannes zu kämpfen. Ein Mann, der nicht an Liebe glaubt oder unfähig ist zu lieben, aus welchem Grund auch immer, kommt meiner Vorstellung von der Hölle nahe. Eine Märtyrerin bin ich nicht!“

Betont gleichmütig hakte Andreas nach: „Mit wem bist du denn aneinander geraten?“

Grace ließ die Schultern sinken und strich sich erschöpft mit der Hand übers Gesicht. „Lass uns lieber etwas trinken gehen.“

Wenig später saßen sie auf der Hauptterrasse der Villa und genossen den farbenprächtigen Sonnenuntergang. Andreas hatte eine Flasche Weißwein und tiropita aufgetischt, eine griechische Käsepastete, die Eleni am Nachmittag zubereitet hatte.

Der zarte Blätterteig zerschmolz förmlich im Mund, dennoch brachte Grace nur wenige Bissen herunter. Der Gedanke, Andreas von sich zu erzählen, bereitete ihr Bauchschmerzen. Sie trank einen Schluck Wein, schob den Stuhl vom Tisch zurück und faltete die Hände im Schoß. Am liebsten hätte sie die Vergangenheit ruhen lassen, andererseits sollte er begreifen, weshalb sie keinen Menschen überreden wollte, sie zu lieben.

„Mutter ging fort, als ich siebzehn war. Matt war damals zwölf, Lizzie vierzehn. Im Jahr darauf hätte ich an die Uni gehen sollen, aber ich konnte meine Geschwister nicht allein lassen.“

„Warum nicht?“

Im Geist sah sie sich erneut an die Tür des winzigen Cottage in Schottland klopfen. Sie hatte ihre Mutter angefleht, wenigstens Matt und Lizzie bei sich aufzunehmen. Vergebens.

„Mein Vater …“ Es fiel ihr schwer, darüber zu sprechen. Würde Andreas sie verstehen? Er war ein ebenso ehrgeiziger Geschäftsmann. Bezog er seine Motivation ebenfalls ausschließlich aus Geld und Macht? War seine Ehe daran gescheitert?

Dieser Gedanke bedrückte sie. Sie wollte unbedingt herausfinden, inwieweit er ihrem Vater ähnelte. „Was ist für dich das Wichtigste im Leben?“

„Wozu willst du das wissen?“, fragte er vorsichtig.

„Das erkläre ich dir gleich.“

„Meine Familie. Christos, meine Mutter“, sagte er, und fügte nach kurzem Zögern hinzu: „Mein Vater.“

Grace wurde hellhörig. Sie hatte seinen Vater bei der Verlobungsparty kennengelernt: ein schroffer, ungeduldiger Mann, der keinen Spaß zu verstehen schien.

„Habt ihr Probleme miteinander?“, fragte sie leise.

„Unsere Beziehung ist kompliziert.“

Erneut verschloss er sich vor ihr. Vielleicht würde sich das ändern, sobald er von ihrem schwierigen Vater-Tochter-Verhältnis wusste.

„Für meinen Vater ist die Firma das Einzige, was zählt. Die Familie rangiert ganz unten auf seiner Prioritätenliste. Nachdem Mutter fort war, musste ich mich um Matt und Lizzie kümmern, denn er tat es nicht. Am liebsten hätte er sie aufs Internat geschickt, aber wir konnten es uns damals nicht leisten. Außerdem waren die beiden am Boden zerstört. Sie brauchten Trost und Liebe, keine unpersönliche Schule.“

Das hatte sie noch niemandem außer Sofia anvertraut. Es war ihr peinlich, sie fühlte sich unendlich verletzlich. Unwillkürlich fragte sie sich, wieso sie ausgerechnet Andreas davon erzählte?

„Ich finde es bewundernswert, dass du deinen Geschwistern zuliebe aufs Studium verzichtet hast.“

Grace musste den Kloß in ihrem Hals herunterschlucken, ehe sie wieder sprechen konnte. „Ich hatte gehofft, Dad dazu zu bringen, Matt und Lizzie zu lieben. Leider bin ich nie zu ihm durchgedrungen. Also habe ich dafür gesorgt, dass sie an die Universität kamen, fort von ihm. Matt hat sein Studium in diesem Jahr begonnen, Lizzie ist bereits im dritten Jahr. Beide sind glücklich und zufrieden.“

„Und du?“

„Ich bin zeitgleich mit Matt von Zuhause ausgezogen. Irgendwann will ich eine Wohnung kaufen, die uns dreien als Heim dient. Und ich arbeite mittlerweile in meinem Traumberuf. Ich habe an den Wochenenden bei einem Hochzeitsfloristen ausgeholfen und eine Abendschule besucht. Seit ich alleine wohne, arbeite ich ganztags als Floristin. Sobald wie möglich mache ich mich selbstständig und eröffne meinen eigenen Blumenladen.“

„Was reizt dich an dem Beruf?“

Grace fasste das als Kritik auf. Im Vergleich mit seinen Erfolgen erschienen ihm ihre Träume vermutlich unbedeutend. „Warum willst du das wissen?“

„Reine Neugier.“ Grinsend fügte er hinzu: „Die Trauzeugen sollten sich doch gut kennen.“

Grace betrachtete ihn skeptisch. „Haben wir gerade einen Fortschritt erzielt bei unseren Friedensverhandlungen?“

Er grinste breit. „Schon möglich. Übrigens: Ich wollte deinen Job keineswegs herabwürdigen.“

„Ich fürchte, ich bin überempfindlich, was das angeht. Dad findet, als Florist hätte man keine Zukunft.“

„Wie kommt er darauf?“

„Man verdient zu schlecht, gemessen an seinem Standard. Ich habe nach der Schulzeit für ihn gearbeitet und sollte später die Logistikleitung übernehmen. Er hat mir sogar Firmenanteile angeboten.“

„Hat dich das nicht gereizt?“

„Keine Sekunde. Damit wollte er mich lediglich unter Kontrolle behalten.“

„Emotionale Erpressung“, sagte Andreas und ließ den Blick in die Ferne schweifen. Eine ganze Weile schwiegen sie einvernehmlich. „Warum ausgerechnet Floristin?“, fragte er irgendwann.

„Ich liebe Blumen: ihren Duft, die Textur, die Farben. Ein schönes Bukett, eine Tischdekoration zu kreieren, ist eine künstlerische Herausforderung. Gleichzeitig macht es wahnsinnig viel Spaß, besonders, wenn man auf ein freudiges Ereignis wie eine Hochzeit hinarbeitet.“

„Ich bin schwer beeindruckt, dass du diese Hochzeit übernommen hast. Sie ist ein Riesenprojekt für einen Neuling in dem Job.“

Schlagartig kehrten all ihre Zweifel und Versagensängste zurück. Das Herz schlug Grace bis zum Hals, sie wusste nicht, was sie erwidern sollte. Gespielt gleichmütig zuckte sie mit den Schultern. „Ich stecke meine Ziele hoch … Hoffentlich endet es nicht in einem Fiasko.“

„Bestimmt nicht, bei der sorgfältigen Planung und Vorbereitung.“

„Der Blumenschmuck soll Sofias und Christos’ Liebe und ihren Gelübden gerecht werden.“

„Wieso auf Hochzeiten spezialisieren? Sind die nicht besonders anstrengend?“

„Ich liebe es, für jedes Paar etwas Neues, Einzigartiges zu schaffen. Für Verliebte hängt der Himmel voller Geigen, sie sind begeisterungsfähig. Angenehmere Kunden gibt es nicht. Ich musste jahrelang meinen harten, zynischen Vater ertragen. Jetzt möchte ich etwas Positives tun, das mir Freude bereitet. Ich will in einer Welt leben, in der die Menschen füreinander da sind, wo Freundlichkeit und Respekt regieren. Hört sich das verrückt an?“

Andreas dachte eine Weile über ihre Worte nach. „Ein wenig, aber es ist ein schöner Traum. Ich glaube, du hast deinen Geschwistern viel Zuversicht und Liebe geschenkt.“

„Ich versuchte, immer für sie da zu sein.“

„Bist du deswegen noch nie allein verreist?“

„Wir konnten uns nicht viele Reisen leisten, aber wenn, waren wir zusammen unterwegs. Manchmal hat Sofia uns begleitet.“

„Ihr schreibt und telefoniert häufig. Fühlst du dich immer noch für sie verantwortlich?“

„Ja.“

„Womöglich solltest du die Zügel lockerer lassen und dich auf deine eigene Zukunft konzentrieren.“

Davon wollte Grace nichts wissen. Sie fühlte sich ihren Geschwistern verpflichtet und verdrängte den unangenehmen Gedanken, dass er vielleicht recht hatte. „So einfach ist das nicht.“

Grace sprang auf und begann den Tisch abzuräumen, ohne Andreas einen Blick zu gönnen.

„Ich wollte dich nicht ärgern.“

„Schon gut.“ Sie hielt inne und seufzte. „Du bist nicht der einzige, der das Falsche zur falschen Zeit sagt. Es tut mir leid, wenn ich dir mit meiner Begeisterung für die Hochzeit gelegentlich auf die Nerven falle. Nicht jeder ist so ein Hochzeitsfreak wie ich.“

Er beschloss, es dabei bewenden zu lassen. „Den Begriff kannte ich noch nicht!“, scherzte er.

„Jedenfalls vielen Dank für deine Hilfe.“

Andreas war froh zu wissen, dass er ihr hatte helfen können. Wann hatte er zum letzten Mal jemandem geholfen? Wann hatte er sich von aller Welt abgekapselt?

Ihre nächsten Worte rissen ihn aus den unbequemen Gedanken. „Ich weiß, du bist ein vielbeschäftigter Mann. Es tut mir leid, dass ich dich gestört habe.“

„Der Inhalt der letzten Schachtel hat mir zugegebenermaßen für den Rest des Tages die Konzentration geraubt.“

Grace lächelte nervös und ergriff den Stapel mit dem schmutzigen Geschirr. „Ich hole mir einen Pulli und brauche einen Kaffee. Soll ich dir auch einen mitbringen?“

„Gerne.“

Als sie ging, sah er ihr hinterher. Ihre Hüften schwangen verführerisch, ihr Po war stramm und knackig. Nach der Arbeit hatte sie sich umgezogen, sie trug Jeans und ein enganliegendes blaues T-Shirt, das ihre festen, runden Brüste wunderbar umspannte.

Verdammt, sie ist viel zu attraktiv! dachte er. Er wollte sie halten, ihre Lippen kosten, ihren Po streicheln und ihre Brüste berühren. Aber das war unmöglich.

Grace sehnte sich nach Liebe und einem Happy End. Das konnte er ihr nicht geben. Den Schmerz, die Demütigungen von damals wollte er nie wieder erleben. Und diese sanfte, ehrenwerte Frau, die selbstlos ihre Geschwister aufgezogen und sich ihm gerade so vorbehaltlos offenbart hatte, verdiente Besseres als eine kurze, oberflächliche Affäre.

Als sie nach zehn Minuten noch nicht zurückgekehrt war, fragte er sich, ob es ihr gut ging. Hatte er sie stärker aus der Ruhe gebracht, als ihm bewusst war?

Besorgt ging er nach drinnen, um nach ihr zu sehen. Im mittlerweile dunklen Erker prallten sie aufeinander. Grace taumelte, er konnte sie gerade noch auffangen und vor einem Sturz bewahren. Sie bebte am ganzen Körper.

„Alles in Ordnung?“, fragte er fürsorglich.

„Ja, ja. Ich kann nur meinen Pulli nicht finden. Ich dachte, ich hätte ihn heute Morgen in der Küche vergessen.“

Ihr Atem ging stoßweise, und er zog sie fester an sich. Die Dunkelheit machte alles intensiver: ihre Nähe, Wärme und ihren zarten, blumigen Duft. Er spürte ihre glatte Haut, die schlanken Arme.

Als er sprach, klang seine Stimme belegt. „Eleni hat ihn vermutlich weggeräumt. Du kannst einen von meinen haben.“

Unvermittelt schwankte Grace ihm entgegen, als verspürte sie genau wie er das überwältigende Bedürfnis nach Nähe. Er reagierte, indem er sie fester umarmte. Ihre Körper tanzten einen Reigen, bei dem der Verstand kein Mitspracherecht hatte.

Andreas hörte sie nach Luft schnappen. „Schon gut, danke. Ich gehe besser direkt schlafen, ich bin müde.“

Die Vorstellung von Grace im Bett ließ ihn vor Verlangen die Augen schließen. Er wusste, er sollte sie loslassen. Jetzt. Doch ihr Haar, der Pferdeschwanz, der ihren Nacken umspielte, stellten eine zu starke Versuchung dar. Zärtlich zog er daran.

Aufseufzend bog sie den Hals nach hinten. „Ich sollte wirklich schlafen gehen.“

„Ja, das solltest du.“

Sie blieben, wo sie waren.

Das ist nicht gut, mahnte die Stimme der Vernunft, doch sein Verlangen drohte ihn zu überwältigen, und Andreas wusste, er würde sie gleich küssen. „Wir sollten vorsichtig sein“, sagte er stockend.

„Auf jeden Fall.“ Ihr atemloses Flüstern raubte ihm fast den Verstand.

„Wir werden uns im Lauf der Jahre immer wieder bei Christos und Sofia begegnen“, warnte er mit leisem Bedauern.

Es dauerte einen Moment, ehe Grace begriff. „Okay.“ Sie schluckte und wich einen Schritt zurück. „Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir uns vertragen.“

„Und wir dürfen die Situation nicht unnötig verkomplizieren.“

„Nein.“ Sie räusperte sich und tat einen weiteren Schritt von ihm fort.

Andreas beschloss, ganz offen zu sein. „Ich kann dir nichts bieten, denn an einer festen Beziehung bin ich nicht interessiert.“

Verletzt und zornig fuhr sie ihn an: „Ich will auch nichts von dir.“

Andreas atmete tief durch. „Gute Nacht, Grace.“

Einige Sekunden lang stand sie stocksteif da, dann nickte sie und machte kehrt.

Traurig sah Andreas ihr hinterher. Es war natürlich richtig, die Situation nicht aus dem Ruder laufen zu lassen, doch manchmal war es unheimlich schwer, vernünftig zu sein.

4. KAPITEL

Mit schmerzendem Rücken und knurrendem Magen stand Grace am nächsten Nachmittag im Atelier. Sie hatte seit dem Frühstück nichts gegessen, genoss aber die Ruhe nach dem turbulenten Vormittag.

Eifrig band sie Rosmarin- und Lorbeerzweige zu duftenden Sträußchen, als draußen Schritte näherkamen. Ihr Herz schlug bis zum Hals, denn sie erkannte am Klang, wer es war.

Werde bloß nicht rot! befahl sie sich streng. Denk nicht dran, dass er dich gestern Abend beinahe geküsst hätte. Die halbe Nacht hatte sie wach im Bett gelegen und von ihm geträumt.

„Wieso bist du alleine?“, fragte Andreas. Er sah sehr attraktiv und wie immer elegant aus: hellgraue Hose, weißes Hemd mit offenem Kragen und lässig über die Schultern gehängtes Jackett. Sein Anblick ließ ihren Pulsschlag in die Höhe schnellen.

„Meine Helfer sind mit den Hochzeitsplanern zur Siesta nach Naxos zurückgekehrt. Sie kommen erst am Spätnachmittag wieder…“ Die ausgedehnte Mittagspause hatte sie in ihrem Zeitplan dummerweise nicht bedacht. „Willst du ausgehen?“

„Ich war gerade zum Lunch auf Naxos.“

Das Herz wurde ihr schwer, und sie lächelte matt. Sofia hatte sein abwechslungsreiches Liebesleben erwähnt. „War es nett?“

Er runzelte die Stirn und trat näher. Äußerlich gelassen band Grace ein weiteres Kräuterbüschel, doch es missriet ihr gründlich.

„Ich habe meinen Anwalt getroffen“, erklärte er nach einer Pause.

„Oh!“, entfuhr ihr ein Stoßseufzer. Als er zu der Wand ging, an der ihre Entwurfszeichnungen hingen, wurde ihr mulmig zumute. Wieso hast du sie nicht abgenommen, schalt sie sich.

„Machst du keine Mittagspause?“

„Keine Zeit. Ich bin Stunden im Rückstand.“

Er betrachtete ihre Skizzen ausgiebig, und das machte sie schrecklich nervös. Was, wenn sie ihm nicht gefielen?

Ohne ein Wort darüber zu verlieren, kehrte er zu ihr an den Arbeitstisch zurück und legte sein Jackett auf der Bank ab. „Zeig mir, was ich tun soll.“

„Du brauchst mir nicht zu helfen.“

„Eins solltest du wissen: Ich biete meine Hilfe nicht leichtfertig an und schon gar nicht zweimal.“

„Das sind schon zwei Dinge!“

Erst sah er finster drein, dann musste er lächeln. Dabei glitzerten seine Augen gefährlich.

Was soll’s? dachte Grace. Sie konnte wirklich jede Hilfe gebrauchen. „Ich stelle gerade die Girlande für die Kapelle her. Auf der Bank dort drüben liegen die Kräuter, die ich dafür benötige.“

Sie schnitt ein Stück Blumendraht von einer Rolle ab und zeigte ihm die benötigte Länge. „Nimm je drei Zweige Rosmarin und Lorbeer und binde sie so mit dem Draht zusammen.“

Es sah ganz einfach aus, als sie es vorführte, dennoch geriet sein erstes Sträußchen daneben. Nach einigen Versuchen beherrschte er die Technik, und sie arbeiteten schweigend Seite an Seite.

Grace fand es seltsam, dass einer der mächtigsten Männer Griechenlands neben ihr saß und Sträuße band. Seine Nähe machte sie unruhig, und das Atmen fiel ihr schwer.

„Wieso bist du so nervös?“

„Das bin ich gar nicht!“

Andreas betrachtete sie skeptisch, zuckte mit den Schultern und arbeitete schweigend weiter.

„Ich möchte einfach, dass alles perfekt wird.“ Für einen Moment schnürte Lampenfieber ihr die Kehle zu. „Die griechische High Society sowie einflussreiche englische Freunde von Christos kommen zu diesem Fest. Wenn ich versage, kann ich meine Zukunftspläne begraben. Niemand wird mich dann als Hochzeitsfloristin ernst nehmen.“

Andreas wies mit einer Kopfbewegung auf die Zeichnungen an der Wand. „Du hast doch alles unter Kontrolle. Entspann dich, es wird schon alles gelingen.“

„Du hast gut reden, bei deinem Erfolg und Hintergrund.“ Erschrocken schnappte sie nach Luft. „Entschuldigung, das hätte ich nicht sagen dürfen.“

„Warum hast du es dann getan?“

„Weil ich mir gerade schrecklich unzulänglich vorkomme.“

Andreas fixierte sie eine ganze Weile, bis sie verlegen wegsah.

„Unzulänglich? Wieso das?“

Sein mitfühlender Blick öffnete die Schleusen in ihr. „Wir waren nie besonders wohlhabend, daher sind mir die feinen Nuancen im Umgang mit dieser Gesellschaftsschicht fremd. Außerdem habe ich kein Studium absolviert. Möglicherweise habe ich mich mit dieser Hochzeit übernommen. Wenn dem so ist, werde ich als Brautjungfer die kritischen Kommentare über die Blumendekoration aus erster Hand zu hören bekommen.“

Sie hielt inne und schlug verlegen eine Hand vor den Mund. „Ich weiß gar nicht, warum ich dir das erzähle. Wie erbärmlich! Du musst nichts darauf erwidern.“

„Ich habe jede Menge dazu zu sagen.“

Grace wurde ganz blass, so ernst war seine Miene. Was hatte sie nur getan? Wieso hatte sie den Mund nicht gehalten?

„Du bist eine talentierte, engagierte Floristin und willst deiner Freundin einen traumhaften Hochzeitstag bescheren. Auf eine akademische Ausbildung hast du wegen deiner Familie verzichtet. In Reichtum aufzuwachsen, ist außerdem kein Garant für Erfolg im Leben.“ Er rückte ein Stück näher und sah sie beschwörend an. „Wieso fühlst du dich unzulänglich? Wie kommst du darauf, dass die Leute deine Arrangements nicht mögen könnten?“

Andreas strahlte Ruhe und Kraft aus, und Grace fühlte sich noch verletzlicher. Sie kannte Drohungen und Streitgespräche, aber keine aufmunternde Freundlichkeit. Mit einem bewusst lässigen Schulterzucken tat sie seine Einwände ab. „Vielleicht habe ich zu viel Zeit mit meinem Vater verbracht.“

„Das bedeutet?“

„Er traut niemandem – auch mir nicht. In der Firma und zu Hause hat er grundsätzlich alles infrage gestellt, was ich tat, jede Entscheidung, die ich traf. Sobald ich versucht habe, mich zu behaupten, hat er es an Matt und Lizzie ausgelassen. Er hat ihnen Hausarrest erteilt, sie spätnachts aus dem Bett gezerrt, weil die Wohnung angeblich nicht sauber war, sie beschimpft …“

Nachdenklich zerrupfte Andreas einen Zweig. Würziger Rosmarinduft erfüllte die Luft. „Wieso bist du geblieben? Gab es niemanden, zu dem du hättest gehen können?“

„Meine Tante in Newcastle hat selbst Familie, und Matt und Lizzie hatten ihre Freunde vor Ort. Ich war siebzehn, hatte kein Geld … mein Verdienst hat nicht gereicht, um die beiden mit durchzubringen. Ich habe den Job in Dads Firma nur angenommen, weil er gut zahlte. Es war seine Art, mich zu kontrollieren. Ich versuchte, möglichst viel zu sparen, um rasch ausziehen zu können.“

Andreas neigte sich vor und legte eine Hand auf ihre. „Ich mache dir keine Vorwürfe, sondern versuche dir nur begreiflich zu machen, dass du alles andere als unzulänglich bist.“

Grace lächelte matt und versuchte vergeblich, ihm ihre Hand zu entziehen.

„Sag es laut: Ich bin nicht unzulänglich.“

„Andreas, bitte!“

„Sag es.“

Erst wand sie sich und schüttelte den Kopf, schließlich gab sie nach. „Ich bin nicht unzulänglich“, murmelte sie mit erstickter Stimme.

Andreas nickte zufrieden und sah ihr tief in die Augen. „Soll ich dir sagen, was du bist? Du bist sehr süß, loyal, entschlossen, freundlich und … wunderschön. Eine Frau mit einer unglaublich erfolgreichen Zukunft vor sich.“

So etwas hatte noch niemand zu ihr gesagt, und Grace errötete. „Ich hoffe es.“

„Du brauchst gar keinen Mann, kein romantisches Märchen.“

Da täuschst du dich, dachte sie. Liebe und Romantik waren für sie überlebenswichtig. Nur Liebe konnte die abgrundtiefe Einsamkeit vertreiben, die sie innerlich auffraß. „Sie bringen zumindest Freude ins Leben.“

„Pass aber auf, was und wen du dir wünschst“, warnte er ernst.

Die nächste halbe Stunde arbeiteten sie schweigend weiter. Nach außen hin gab Grace sich gelassen, in ihr tobte ein Aufruhr der Gefühle. Dass er sie schön fand, freute sie, obwohl sie das Kompliment nicht ernst nahm. Und sie bedauerte zutiefst, dass er jeden Gedanken an Liebe zurückwies.

Irgendwann legte er Schere und Draht beiseite. „Ich kann es nicht mehr mit anhören, wie dein Magen knurrt. Ich hole dir etwas zu essen, dann muss ich an meiner Rede arbeiten.“

Während er fort war, band Grace die letzten Sträußchen, dann befestigte sie eines nach dem anderen an der dafür vorbereiteten Schnur. Am Hochzeitsmorgen wollte sie noch einige Pfingstrosen dazwischen einfügen.

Ihre Hände zitterten, sie musste wirklich etwas essen – und ihren Kopf untersuchen lassen. Sie hätte sich Andreas niemals anvertrauen dürfen. Er lenkte ein internationales Unternehmen und hatte keine Zeit für ihre jämmerlichen Sorgen und Nöte.

Dennoch hatte ihr das Gespräch gutgetan. Sie fühlte sich geradezu befreit. Er akzeptierte sie, wie sie war, und verstand sogar ihre Probleme mit ihrem Vater.

Fluchend ging Andreas die Kalkulation der Kosten nochmals durch. Die Verzögerungen bei der Renovierung seines jüngsten Objekts auf den Kaiman Inseln verschlangen täglich ein Vermögen. Er musste einigen Leuten die Leviten lesen und hatte dazu für den Abend eine Videokonferenz einberufen. Darauf sollte er sich konzentrieren, doch das fiel ihm schwer. Die Hochzeitsplaner hatten stundenlang vor seinem Fenster über die Anordnung der Tische für den Empfang diskutiert, später war Grace dazugestoßen, um die Platzierung der Blumenarrangements abzustimmen.

Grace. Unentwegt spukte sie ihm durch den Kopf, warum auch immer. Als sie ihm ihr Herz ausgeschüttet hatte, hätte er sie am liebsten in den Arm genommen und gehalten. Verlor er allmählich den Verstand?

Nachdenklich stützte er die Arme auf die Tischplatte und massierte seine Schläfen. Sie duftete immer so köstlich, am Vorabend hatte er gespürt, wie zart ihre Haut war. Wie wäre es wohl, ihre Brüste zu umfassen?

„Meditierst oder schläfst du?“

Grace lachte, als er fluchend zusammenzuckte. Sie hatte geduscht, das noch feuchte Haar im Nacken zusammengebunden und ihre Arbeitskleidung gegen ein kurzärmliges Jeanskleid ausgetauscht, das oberhalb der Knie endete. Der tiefe Ausschnitt gewährte ihm einen sinnverwirrenden Einblick.

Willst du schon wieder körperliche Anziehung über den Verstand dominieren lassen? dachte er. Mach denselben Fehler nicht zweimal! Kurzerhand beschloss er, Grace rasch abzufertigen. „Ich verfluche gerade denjenigen, der bestimmt hat, dass der Trauzeuge eine Rede halten muss.“

„Ist deine fertig?“

Er schnaubte, und sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. „Erst muss ich das erledigen.“ Er deutete auf den hohen Aktenstapel vor sich. Die zahlreichen misslungenen Entwürfe der Rede erwähnte er lieber nicht.

„Fang besser sofort an. Es sind nur noch zwei Tage bis zur Hochzeit.“

„Notfalls improvisiere ich.“

„Bloß nicht! Bei deiner Einstellung zu Liebe und Ehe könnte das in einer Katastrophe enden. Du kondolierst womöglich, statt zu gratulieren. Die Rede des Trauzeugen ist wichtig!“

„Grace, ich bin ein geübter Redner. Das werde ich schon hinbekommen.“

„Hast du schon Ansprachen als Trauzeuge gehalten?“

„Mehrfach sogar.“

„Vor oder nach deiner Scheidung?“

„Was macht das für einen Unterschied?“

„Deine Sicht auf die Ehe hat sich vermutlich seitdem verändert.“

Insgeheim gab er ihr recht. „Heute Abend schaffe ich es nicht mehr, aber morgen kümmere ich mich darum“, versprach er.

Grace kam um den Schreibtisch herum und zog hinter ihrem Rücken ein Buch hervor.

Er griff danach. Überlebenshandbuch für Trauzeugen, las er. „Das ist nicht dein Ernst!“

„Die Hochzeitsplanerin hat es mir gegeben. Sie hat immer ein Exemplar dabei – für Notfälle. Wie sieht’s aus, soll ich dir helfen?“

„Ich muss mich auf eine Videokonferenz vorbereiten, die in zwei Stunden beginnt.“

„Zwanzig Minuten, länger dauert es nicht.“

„Ich habe vorhin gehört, wie du die Hochzeitsplaner eingewickelt hast, aber bei mir funktioniert deine Taktik nicht. Mich zermürbst du nicht mit Hartnäckigkeit.“

„Das habe ich nicht vor“, log sie lachend.

„Wieso willst du mir eigentlich helfen?“

Das Lachen erstarb auf ihren Lippen. Sie setzte sich auf die Tischkante. „Als Dank für deine Unterstützung mit den Blumen.“

„Ich brauche keine Hilfe.“

„Gut. Dann improvisiere deine Rede einfach für mich. Wenn sie gut ist, lasse ich dich in Ruhe.“

Andreas sah ein, dass er keine Chance hatte, außerdem konnte er keiner Herausforderung widerstehen. Er begann seine Ansprache schwungvoll und erzählte einige amüsante Anekdoten, die Grace zum Lachen brachten. Danach geriet er jedoch ins Stocken und verstummte schließlich ganz. Er wusste einfach nicht weiter. Wie sollte er Liebe und Ehe preisen, wenn er nicht daran glaubte? „Ich hätte niemals Trauzeuge werden dürfen“, stöhnte er.

„Es bedeutet Christos viel.“

Andreas konnte seinen Bruder nicht im Stich lassen, hatte aber nicht den Nerv, noch länger über die Rede nachzudenken. Geschickt wechselte er das Thema. „Er hat vor wenigen Minuten angerufen. Sofia und er freuen sich, dass wir so gut miteinander auskommen. Woher wissen sie davon?“

„Ich habe gestern Abend mit Sofia telefoniert“, erklärte Grace. „Hätte ich ihr etwa sagen sollen, dass du gegen die Hochzeit bist? Dass meine Vorbereitungen mehr Zeit in Anspruch nehmen als geplant? Dass wir über alles streiten?“

„Nicht über alles, denn du findest mich sexy.“

Es dauerte einen Moment, ehe Grace begriff. „Ich bringe Sofia um! Sie wollte wissen, was ich von dir halte. Ich habe das nur gesagt, um sie mir vom Hals zu schaffen. Sie versucht ständig, mich mit den unmöglichsten Typen zu verkuppeln.“

„Findest du mich denn unmöglich?“, tat er gekränkt.

„Natürlich bist du das! Du glaubst nicht an Liebe und Ehe. Muss ich mehr sagen?“

„Immerhin bin ich sexy.“

Er hatte recht, doch das durfte Grace sich nicht einmal selbst eingestehen, wenn sie in den kommenden Tagen einen kühlen Kopf bewahren wollte. „Das war nur ein Scherz. Was ist denn jetzt mit deiner Rede? Zwanzig Minuten, dann ist sie fertig.“

Andreas erwog ihr Angebot kurz, schüttelte dann aber den Kopf. „Zehn Minuten sind bereits um, bleiben nur noch zehn.“

„Okay. Der Anfang war gut. Danach musst du etwas Nettes über Sofia sagen und dem Paar gute Wünsche mit auf den Weg geben. Was wünschst du den beiden?“

„Ich weiß nicht … Glück bis ans Ende ihrer Tage?“

„Das ist zu allgemein. Lass dir etwas Besseres einfallen.“

Entnervt stand er auf, trat ans Fenster und blickte aufs Meer hinaus, bevor er sich wieder zu ihr umwandte. „Ich habe meinen Anwalt beim Lunch beauftragt, meine Exfrau auszubezahlen, damit sie keine weiteren Ansprüche an mich stellt. Dann kann ich Christos zur Hochzeit die halbe Insel schenken. Möglicherweise bin ich deswegen gerade besonders zynisch, was Liebe und Ehe angeht. Mir fallen nur landläufige Klischees ein, die ich obendrein für unrealistisch und unerreichbar halte.“

Verblüfft riss sie die Augen auf. „Ist das eine Spitze gegen mich?“

„Nur, wenn du es so auffassen willst.“

Einen Moment lang starrten sie sich wütend an, dann schlug die Stimmung um, und Aggression wich knisternder Spannung, heißem Verlangen.

Mit wenigen Schritten war Andreas bei Grace und riss sie in seine Arme. Er murmelte etwas, das sie nicht verstand, und ehe sie reagieren konnte, presste er den Mund auf ihren.

Autor

Jessica Gilmore
Jessica Gilmore hat in ihrem Leben schon die verschiedensten Jobs ausgeübt. Sie war zum Beispiel als Au Pair, Bücherverkäuferin und Marketing Managerin tätig und arbeitet inzwischen in einer Umweltorganisation in York, England. Hier lebt sie mit ihrem Ehemann, ihrer gemeinsamen Tochter und dem kuschligen Hund – Letzteren können die beiden...
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