Romana Extra Band 69

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SCHICKSALSNÄCHTE IN KALIFORNIEN von CHILD, MAUREEN
Hotelmanagerin Aine ist fassungslos: Der neue Besitzer will ihr ehrwürdiges irisches Schloss in ein Erlebnishotel verwandeln! Um ihn davon abzubringen, fliegt sie zu ihm ins sonnige Kalifornien. Doch Milliardär Brady Finn erweist sich als Traummann, der ihr gehörig den Kopf verdreht …

EINE LIEBE AUF SIZILIEN von CALLAHAN, NANCY
Seit einem schweren Schicksalsschlag hat Geschäftsmann Lorenzo Lombardi nur flüchtige Affären. Keine Frau kann sein Herz erobern. Bis die bezaubernde Laura in sein Leben tritt. Unter der Sonne Siziliens kommen sie sich bald näher - aber ist er wirklich bereit für die Liebe?

ZURÜCK ZU DIR, GELIEBTE von WALKER, KATE
Ein Schauer läuft Penny über den Rücken, als sie den Fremden am Hafen sieht. Diese männliche Ausstrahlung, dieser Sex-Appeal: genau wie ihr Ehemann Zarek, der vor zwei Jahren spurlos verschwand! Und noch bevor der Tag vorbei ist, entdeckt Penny fassungslos: Der Fremde ist Zarek …

SÜßE VERSUCHUNG UNTER PALMEN von NIGHT, NICKI
Chloe stockt der Atem, als Donovan Rivers am Strand von Puerto Rico aus den Fluten auftaucht. Aber er ist für sie tabu: Zuhause in New York konkurrieren ihre Familien um den Auftrag für die glamouröseste Gala des Jahres. Doch ihr Verlangen ist stärker als jede Vernunft …


  • Erscheinungstag 12.06.2018
  • Bandnummer 0069
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744380
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Maureen Child, Nancy Callahan, Kate Walker, Nicki Night

ROMANA EXTRA BAND 69

MAUREEN CHILD

Schicksalsnächte in Kalifornien

Ein modernes Eventhotel in Irland – so der Plan von Milliardär Brady Finn. Doch Hotelmanagerin Aine will das ehrwürdige Schloss erhalten. Und sie ist ebenso dickköpfig wie unwiderstehlich …

NANCY CALLAHAN

Eine Liebe auf Sizilien

Auf Sizilien will Laura ein neues Leben beginnen: ein Job als Bibliothekarin, Sonne, Meer – und bloß keine Männer. Warum nur geht ihr neuer Boss, der attraktive Lorenzo, ihr dann nicht mehr aus dem Sinn?

KATE WALKER

Zurück zu dir, Geliebte

„Wo bist du gewesen, Geliebter?“, flüstert Penny. Doch umsonst: Wo Zarek zwei Jahre lang war, ist so rätselhaft wie das Verlangen, das sie damals wie heute in seine starken Arme treibt …

NICKI NIGHT

Süße Versuchung unter Palmen

Donovan Rivers bekommt immer, was er will. Und seit er mit Chloe sinnliche Nächte auf Puerto Rico verbracht hat, weiß er: Er will nur sie. Doch ihre Familien trennt eine langjährige Feindschaft …

1. KAPITEL

Brady Finn war sehr zufrieden mit seinem Leben. Das jüngste Projekt seiner Firma Celtic Knot Games bereitete ihm jedoch Bauchgrimmen. Seine Partner, zwei Brüder, hatten sich verbündet und ihn überstimmt, während sie in anderen wichtigen Fragen nur selten einer Meinung waren.

Er akzeptierte die Entscheidung in dem Bewusstsein, dass er sein angenehmes Leben der Freundschaft mit den Ryans zu verdanken hatte. Er hatte die beiden auf dem College kennengelernt, gemeinsam hatten sie eine Firma gegründet und ihr erstes Computerspiel entwickelt, voller Idealismus, Träume und jugendlicher Arroganz. Fate Castle basierte auf einer alten irischen Legende und hatte sich so gut verkauft, dass sie das nächste Spiel davon finanzieren konnten. Mittlerweile war Celtic Knot einer der führenden Computerspielproduzenten, obendrein gaben sie Comics und Brettspiele heraus.

Mit dem Erwerb eines Hotels betraten die drei Männer gänzlich unbekanntes Terrain. Was sie übers Gastgewerbe wussten, passte auf eine Briefmarke.

Per Los hatten sie bestimmt, wer das heruntergekommene Hotel in eine Fantasiewelt verwandeln sollte. Brady hatte das Los gezogen. Er war fest entschlossen, der Herausforderung gerecht zu werden. Nichts anderes kam für ihn infrage.

Celtic Knot war aus dem Nichts entstanden, heute residierte die Firma in einem viktorianischen Herrenhaus am Ocean Boulevard in Long Beach, Kalifornien. Hier ließ es sich gut arbeiten. Es herrschte eine entspannte Atmosphäre, die Mitarbeiter waren motiviert und effizient. Ein modernes Bürogebäude aus Glas und Stahl hätte weder Brady noch den Ryans behagt. Lieber hatten sie die alte Villa, die ausreichend Platz bot, ihren Bedürfnissen entsprechend umgebaut, sodass ihre Arbeitsumgebung alles andere als steril wirkte.

Von der Hausfront aus sah man den Strand, ihre Pause verbrachten die Angestellten gerne im Garten hinter dem Haus. Sie empfanden ihren Arbeitsplatz als eine Art zweites Zuhause. Für Brady hingegen war die Villa das erste Zuhause, und er teilte sie mit der einzigen Familie, die er jemals gehabt hatte.

„Die Designs für das neue Spiel sind gut“, sagte Mike Ryan.

„Findest du?“ Sein jüngerer Bruder Sean griff nach einer der Zeichnungen, die auf dem Konferenztisch ausgebreitet lagen. „Peter hatte drei Monate Zeit für das neue Szenenbuch, und was hat er uns geschickt? Macht dir diese Todesfee etwa Angst? Sie sieht aus wie ein halb verhungerter Surfer, nicht wie eine Dienerin des Todes.“

Mike blätterte durch die Bilder, bis er fand, was er suchte. Er deutete auf einen mittelalterlich anmutenden Jäger. „Dafür ist der umso besser. Die Todesfee bekommt Peter auch noch hin, wie immer auf die letzte Minute.“

„Genau das ist das Problem“, mischte sich Brady ein. „Bei ihm läuft es jedes Mal auf die letzte Minute hinaus. Seit er bei uns angefangen hat, hat er keinen einzigen Abgabetermin eingehalten.“ Kopfschüttelnd griff er nach seiner Kaffeetasse und trank einen Schluck von dem lauwarmen Gebräu.

„So ist es“, pflichtete Sean ihm bei. „Wir haben ihm zahlreiche Chancen gegeben, uns zu beweisen, dass er sein Geld wert ist. Er hat keine genutzt. Daher würde ich es gerne mit Jenny Marshall versuchen. Vertrauen wir ihr das Storyboard an.“

„Marshall?“ Mike tat, als wüsste er nicht, von wem sie sprachen.

„Du kennst sie“, sagte Brady. „Sie ist seit sechs Monaten als Grafikerin bei uns tätig und hat die Hintergründe für Forest Run gemacht. Sie hat Talent und verdient eine Chance.“

„Ist sie schon bereit für eine leitende Position?“

Sean wollte etwas sagen, doch Brady gebot ihm mit einer Geste Einhalt, um eine der endlosen Debatten zwischen den Brüdern zu verhindern. „Davon bin ich überzeugt. Bevor wir jedoch eine endgültige Entscheidung fällen, spreche ich mit Peter. Sein letzter Abgabetermin ist morgen. Hält er ihn nicht ein, war’s das. Okay?“

„Absolut.“ Sean nickte und warf seinem Bruder einen finsteren Blick zu.

„Einverstanden.“ Mike lehnte sich bequem im Stuhl zurück und legte die Füße auf die Ecke des Konferenztisches. „Nächstes Thema: Wann trifft der Gast aus Irland ein?“

Die Brüder sahen Brady an. Sie ähnelten ihm, obwohl sie nicht verwandt mit ihm waren. Genau wie er hatten sie schwarzes Haar, blaue Augen und waren hochgewachsen. Er liebte sie, auch wenn sie ihn häufig bis zur Weißglut reizten. „Sie landet in einer Stunde.“

„Wärst du nicht besser nach Irland geflogen und hättest das Schloss persönlich erkundet?“

„Für einen Trip nach Europa habe ich zu viel zu tun. Außerdem haben wir die 360-Grad-Videos vom Schloss gesehen.“

„Stimmt.“ Mike grinste zufrieden. „Es eignet sich perfekt als Fate Castle.“

Das irische Schloss sollte zu einer luxuriösen, modernen Fantasiewelt umgebaut werden, dem Spiel Fate Castle nachempfunden. Die Gäste sollten sich als Teil der Handlung fühlen. Brady erkannte zwar das Potenzial der Idee, dennoch war er nicht überzeugt von der Entscheidung, ins Hotelbusiness einzusteigen. Die Reaktion der Fans auf der letzten Comic-Messe, bei der sie ihr jüngstes Projekt präsentiert hatten, war jedoch eindeutig ausgefallen: Sie waren außer Rand und Band geraten, als sie hörten, dass sie die finsteren, gefährlichen Fantasiewelten, die sie so liebten, bald auch in der Realität aufsuchen konnten.

„Wie heißt die Irin?“, fragte Sean.

„Ms. Donovan“, sagte Brady. „Ihr Vorname schreibt sich A-I-N-E. Keine Ahnung, wie man das ausspricht.“

„Das ist sicher ein gälischer Name.“ Sean stand auf und sammelte die Zeichnungen ein, die er zur Besprechung mitgebracht hatte.

„Hm.“ Brady schlug die Hotelakte auf. „Sie ist seit drei Jahren dort Managerin und offensichtlich gut in ihrem Job, obwohl das Haus in den vergangenen Jahren Verluste eingefahren hat. Sie hat einen Abschluss an einer Hotelfachschule gemacht, ist achtundzwanzig und lebt mit ihrer Mutter und einem jüngeren Bruder in einem Gästehaus auf dem Anwesen.“

„Sie ist fast dreißig und lebt noch bei der Mutter?“ Sean schüttelte den Kopf. „Gibt es ein Foto von ihr?“

„Ja.“ Brady zog es aus dem Ordner und reichte es weiter. Die Irin wirkte unscheinbar, was ihm gerade recht war. Brady liebte Frauen, wollte aber nichts mit einer Angestellten anfangen. Niemals. Außerdem zog er es vor, sich voll auf die Arbeit zu konzentrieren. Sich mit den Unwägbarkeiten zu beschäftigen, die die Leitung der Firma mit sich brachte, erschien ihm befriedigender, als sich mit einer Frau zu befassen. Frauen erwarteten doch immer mehr von ihm, als er zu geben bereit war.

„Sie sieht … sympathisch aus“, sagte Sean.

Der beklagenswerte Versuch, nett zu sein, entlockte Brady ein abfälliges Schnauben. Auf dem Foto hatte die Irin das Haar straff aus dem Gesicht gekämmt. Eine große Brille mit dunklem Rand ließ ihre grünen Augen riesig erscheinen, über der prüde hochgeschlossenen schwarzen Bluse wirkte ihr Teint fahl. Aus einem unerfindlichen Grund empfand er jedoch das Bedürfnis, sie zu verteidigen. „Sie ist Hotelmanagerin, kein Model.“

„Lass mich mal sehen“, sagte Mike. Er nahm das Foto zur Hand, betrachtete es und sah Brady an. „Sie wirkt … tüchtig.“

Kopfschüttelnd nahm Brady ihm das Foto ab und steckte es zurück in den Ordner. „Hauptsache, sie macht ihren Job gut. Und das tut sie, den Berichten nach zu schließen.“

„Hast du ihr schon erzählt, was wir uns vorgenommen haben?“

„Das wäre auf die Distanz zu kompliziert gewesen, zudem sind die Pläne ja gerade erst fertig geworden.“

In gerade einmal einem Monat wollten sie mit umfangreichen Umbauarbeiten beginnen. Es wurde höchste Zeit, Aine Donovan auf den aktuellen Stand zu bringen.

„Ist das Thema Irland damit abgehandelt? Dann hätte ich nämlich noch etwas“, sagte Sean. „Eine Spielwarenfabrik hat Interesse bekundet, unsere Charaktere zu vermarkten.“

„Spielwaren?“ Mike schnaubte abfällig. „Das passt nicht zu uns.“

„Das stimmt. Unsere Zielgruppe geht vom Teenager aufwärts“, pflichtete Brady ihm bei.

„Denkt in Richtung Sammlerstücke.“ Sean grinste, als Brady und Mike ihn verblüfft ansahen und dann nickten.

„Das klingt schon besser“, meinte Brady. „Es könnte sogar unseren Absatz steigern.“

„Besorg uns doch Zahlen“, schlug Mike vor. „Sobald wir eine genauere Vorstellung von dem Lizenzvertrag haben, reden wir darüber.“

„Wird gemacht.“ Sean stand auf und sah Brady an. „Holst du die Irin vom Flughafen ab?“

Brady stand ebenfalls auf und klemmte sich den Ordner unter einen Arm. „Ich habe einen Wagen geschickt, der sie direkt ins Hotel bringt.“

„Wie persönlich“, stichelte Sean.

„Das ist kein Date“, fuhr Brady ihn an. „Sie ist zum Arbeiten hier.“

„Bringst du sie im Seaview unter?“, wollte Mike wissen.

„Ja.“ Celtic Knot unterhielt in dem fußläufig entfernten Hotel, in dessen Penthouse Brady lebte, eine Suite für Gäste. „Ich treffe sie heute Nachmittag dort. Morgen zeige ich ihr dann, wie wir uns den Umbau vorstellen.“

„Hallo Mom, ich bin angekommen. Hier ist es wunderschön!“

„Aine?“

Beim Klang der schlaftrunkenen Stimme zuckte Aine schuldbewusst zusammen. Sie stand auf dem Balkon ihrer Suite, hoch über dem strahlend blauen Pazifik, und hatte die Zeitverschiebung zwischen Kalifornien und ihrer Heimat völlig vergessen. Um vier Uhr nachmittags war es in Long Beach warm und taghell, im County Mayo war es … Mitternacht.

Eigentlich hätte Aine todmüde sein müssen, doch die vielen neuen Eindrücke und die Angst vor der Begegnung mit Brady Finn hielten sie hellwach. Was mochte er wohl mit ihrem Hotel vorhaben? Er war zwar seit einigen Monaten der neue Besitzer von Castle Butler, doch was wusste er schon von dessen Geschichte und Tradition? Von seiner Bedeutung für das nahegelegene Dorf, in dem ihre Freunde lebten? Nichts. Das würde sie ändern, bevor Brady Finn irgendwelche Änderungen vornahm.

Was wollte ein Computerspielexperte mit einem jahrhundertealten Schloss in einem winzigen Dorf im ländlichen Irland anfangen? Castle Butler war kein Touristenmagnet, in Irland gab es zahlreiche interessantere, leichter zugängliche Burgen und Schlösser.

„Bist du gut angekommen, Aine?“

„Ja. Tut mir leid, Mom. Ich habe völlig vergessen, dass …“

„Macht nichts.“ Die Stimme am anderen Ende der Leitung wurde immer klarer. „Ich bin froh, dass du dich meldest. War der Flug gut?“

„Mehr als das.“ Aine war nie zuvor in einem Privatjet geflogen. „Ich dachte, ich sitze in einem luxuriösen Wohnzimmer mit Sofa und Tischen. Überall standen Blumen, sogar auf dem Klo. Es gab eine richtige warme Mahlzeit, Champagner und frisch gebackene Kekse. Ich hätte ewig weiterfliegen können.“

Das war nicht gelogen, zumal sie genau gewusst hatte, dass ihr nach der Landung die Begegnung mit dem Mann bevorstand, der die Macht hatte, ihr Leben und das so vieler anderer zu ruinieren.

Warum sollte er das tun?, sprach sie sich Mut zu. Das Hotel zu schließen wäre nicht sinnvoll, wenngleich die Zahlen seit Jahren nicht mehr den Erwartungen entsprachen. Aine hatte zahlreiche Ideen, wie sich das ändern ließe, der bisherige Besitzer hatte davon jedoch nichts hören wollen. Hoffentlich dachte der neue anders.

Bislang verstand sie ihn jedoch nicht. Einerseits ließ er sie im Privatjet einfliegen, andererseits holte er sie nicht vom Flughafen ab, sondern schickte lediglich eine Limousine mit Chauffeur. Er brachte sie in einer Suite unter, die größer war als das Erdgeschoss des Hauses, in dem sie mit ihrer Familie lebte, hieß sie aber nicht persönlich willkommen. Ob sich alle Superreichen so widersprüchlich verhielten?

„Das hört sich gut an. Und jetzt?“, fragte ihre Mutter. „Bist du schon im Hotel?“

„Bin ich.“ Aine atmete genüsslich die würzige Seeluft ein. „Ich stehe auf meinem Balkon mit Meerblick, die Sonne scheint, es ist wunderbar warm. So gar nicht wie zu Hause.“

„Aye, hier regnet es den ganzen Tag und die halbe Nacht. Wirst du den neuen Schlossherrn bald treffen?“

„Ja.“ Ihr Magen verkrampfte sich, und sie presste eine Hand darauf, in dem vergeblichen Versuch, sich zu beruhigen. „Er wird um fünf herkommen.“ Unwillig schüttelte sie den Kopf. Er hatte sich also weder die Mühe gemacht, sie vom Flughafen abzuholen, noch sie im Hotel zu begrüßen. Wollte er ihr auf diese Weise zu verstehen geben, wer der Chef war? Dass er künftig sämtliche Entscheidungen traf? Wie auch immer, sie würde sich zumindest Gehör verschaffen.

„Du musst Geduld mit ihm haben und ihn nicht gleich mit deinen Ideen überfallen“, mahnte ihre Mutter besorgt.

Geduld war nicht gerade Aines Stärke. Warten fiel ihr schwer, auf wen oder was auch immer. Dass sie nach der Nachricht vom Verkauf des Schlosses monatelang keinerlei Informationen erhalten hatte, wie es weitergehen sollte, hatte sie an den Rand des Wahnsinns getrieben. Sie brauchte Antworten, musste wissen, was der neue Besitzer mit Castle Butler plante. Und zwar schnell.

„Ich lasse ihn ausreden.“ Selbst dieses Versprechen würde sie nur schwer einhalten können. Dabei war es so wichtig, den neuen Besitzer bei Laune zu halten. Ihre Familie, das gesamte Dorf lebte vom Hotel und seinen Gästen. Alle sorgten sich darum, wie es weiterging.

Aine managte das Hotel bereits seit drei Jahren und hatte den vorherigen Besitzer um jeden Nagel, jeden Eimer Farbe anbetteln müssen. Wie würde der neue sich verhalten?

Die Reise nach Kalifornien hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Wäre Brady Finn nach Irland gekommen, hätte sie sich der Situation gewachsen gefühlt. In der fremden Umgebung glaubte sie, auf Zehenspitzen gehen und den neuen Besitzer von seiner Verantwortung für sein neues Eigentum überzeugen zu müssen.

„Du wirst tun, was am besten ist“, hörte sie ihre Mutter sagen.

Alle, die sie kannten und liebten, bauten auf sie. Ihre Mutter, ihr Bruder, das ganze Dorf. Sie durfte sie nicht im Stich lassen.

„Das tue ich. Geh wieder schlafen, Mom. Ich melde mich morgen wieder, zu einer günstigeren Uhrzeit.“

Aine kehrte in die Suite zurück, um sich frisch zu machen. Als ihr neuer Chef jedoch nicht wie versprochen um fünf Uhr eintraf, wurde sie sauer. War sie so unbedeutend, dass er es nicht für nötig hielt, sie über seine Verspätung zu informieren?

Minuten später klingelte das Telefon. „Ms. Donovan, der Fahrer ist eingetroffen, der Sie zu Celtic Knot bringen soll.“

„Der Fahrer?“

„Mr. Finn wurde aufgehalten und hat ihn geschickt, um Sie ins Büro zu bringen.“

Dass er sie zu sich beorderte wie ein Edelmann seine Magd, ließ Aine rotsehen. Vermutlich hat er eine samtene Kordel im Büro, die er nur zu ziehen braucht, damit Diener herbeieilen und ihm sämtliche Wünsche von den Augen ablesen, dachte sie zornig.

„Ms. Donovan?“

„Verzeihung. Richten Sie dem Fahrer bitte aus, dass ich sofort bei ihm bin.“

Sie legte auf und warf einen Blick in den Spiegel. Vor Zorn waren ihre Wangen gerötet, ansonsten empfand sie ihren Anblick als zufriedenstellend. Oder sollte sie sich umkleiden? Sie entschied sich dagegen, um ihren neuen Boss nicht warten zu lassen.

Aine atmete tief durch, dann machte sie sich auf dem Weg zu dem Treffen mit dem Mann, der seine Untergebenen nach Gutdünken springen ließ. Dennoch war sie fest entschlossen, ihr aufbrausendes Temperament zu zügeln. Es würde ihr allerdings sehr, sehr schwerfallen.

2. KAPITEL

„Wir brauchen die neuen Storyboards bis spätestens morgen Nachmittag“, bellte Brady ins Telefon. Nach zwei Stunden fast ununterbrochenen Telefonierens war seine Geduld am Ende. „Keine Ausreden mehr, Peter. Entweder du hältst den Termin ein oder du bist raus.“

Künstler waren generell schwierig, Peter Singer gehörte zu den besonders komplizierten Exemplaren. Ohne jeglichen Ehrgeiz und Gefühl für Zeitmanagement akzeptierte er Termine, hielt sie wegen der Unfähigkeit, sich zu organisieren, jedoch nie ein.

Sein Talent stand außer Frage. Er war so gut, dass Brady ihm die Abgabefrist bislang immer verlängert hatte. Damit war es nun aber vorbei.

„Du bekommst sie Ende der Woche“, versprach Peter. „Ich habe gerade eine Eingebung. Bis morgen schaffe ich es unmöglich. Das Warten lohnt sich, das kannst du mir glauben.“

„Morgen, Peter.“ Brady drehte den Bürostuhl zum Fenster und sah nach draußen. „Sind sie nicht bis fünf Uhr hier, musst du dich nach einem neuen Job umsehen.“

„Kunst lässt sich nicht herbeizwingen.“

„Solange ich dafür bezahle, schon. Erinnere dich, wir haben die Abgabefrist bereits um drei Monate verlängert. Du kannst dich wirklich nicht beklagen. Liefere oder lass es. Es liegt in deiner Hand.“ Er legte auf, ehe Peter den nächsten dramatischen Appell starten konnte.

Den Großteil des Tages hatte Brady sich mit Marketingfragen beschäftigen müssen – nicht gerade sein Lieblingsthema. Daher brachte er weniger Geduld als sonst für Peter auf. Außerdem musste er ebenfalls Zeitpläne einhalten. Vielleicht wurde es wirklich Zeit, einem neuen Grafiker wie Jenny Marshall eine Chance zu geben.

Jetzt käme mir ein Bier gerade recht, dachte Brady, doch ihm stand ein weiteres Treffen bevor. In diesem Moment klopfte es auch schon.

„Herein“, rief er.

Die Tür ging auf, und eine Frau mit kastanienbraunem Haar und grünen Augen trat ein. Damit endete die Ähnlichkeit mit der Irin von dem Foto jedoch. Statt wie eine altjüngferliche Bibliothekarin sah Aine Donovan in Realität total heiß aus.

Zu ihrer schwarzen Hose trug sie eine knallrote Bluse, darüber eine kurze schwarze Jacke. Ihr langes Haar fiel in dichten Wellen auf ihre Schultern, die Augen waren nicht hinter einer Brille versteckt, sondern mit Make-up so geschickt betont, dass sie geradezu strahlten. Sie war hochgewachsen, ihre atemberaubende Figur ließ ihm den Atem stocken. Ihr fester Blick ließ auf einen starken Charakter schließen, und Brady liebte selbstbewusste Frauen. Plötzlich überfiel ihn eine Woge heftigen Verlangens, intensiver als jemals zuvor.

Verwirrt kämpfte er dagegen an. Sie arbeitet für dich, sagte er sich. Schwärmereien für Angestellte führten nur zu Problemen. Dieser Gedanke dämpfte sein Verlangen jedoch nicht, und als er Aines melodischen irischen Akzent vernahm, überlief es ihn siedend heiß.

„Brady Finn?“

„Der bin ich. Ms. Donovan?“ Er stand auf und genoss den Anblick, wie sie den Raum mit anmutigen Schritten durchquerte. Unwillkürlich musste er an seidene Bettlaken, Vollmondnächte und sanfte Berührungen von Haut auf Haut denken. Verdammt!

„Bitte nennen Sie mich Aine.“ Es klang so ähnlich wie Anja.

„Ehrlich gesagt, habe ich mich schon gefragt, wie man Ihren Vornamen ausspricht.“„Es ist ein gälischer Name.“

Brady reichte ihr die Hand. Bei der Berührung schoss ein Stromschlag durch seinen Arm. Erschrocken ließ er ihre Rechte los und hätte sich beinahe die brennende Hand gerieben. „Das dachte ich mir schon. Bitte, nehmen Sie Platz.“

Aine setzte sich auf einen der Stühle an der Stirnseite seines Schreibtischs und schlug langsam die Beine übereinander, was er wahnsinnig sexy fand.

„Wie war der Flug? Gefällt Ihnen das Hotel?“, platzte er heraus, um sich abzulenken.

„Beides bestens, vielen Dank.“ Angriffslustig reckte sie das Kinn. „Geht es bei diesem Treffen darum: den Flug, das Hotel? Ich fände es sinnvoller zu klären, weshalb Sie mich zweimal versetzt haben.“

Verblüfft, weil sie es wagte, ihren neuen Boss herauszufordern, starrte Brady sie an. „Zweimal?“

„Sie haben mich vom Flughafen abholen lassen, statt persönlich dort zu erscheinen, und dann noch einmal vom Hotel.“ Gelassen schlang sie die Hände um ein Knie. Falls sie nervös war, ließ sie es sich nicht anmerken.

Brady betrachtete sie schweigend. „Gab es Probleme mit dem Fahrdienst?“

„Oh, nein. Ich wundere mich lediglich, weshalb Sie Ihre Hotelmanagerin um die halbe Welt einfliegen lassen und sich dann nicht einmal die Mühe machen, einen Block weit zu gehen, um sie persönlich zu begrüßen.“

Auf dem Foto hatte sie tüchtig, gelassen und leidenschaftslos gewirkt, jetzt sah sie aus wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Ihre Augen sprühten Funken und die Luft um sie herum knisterte vor Spannung. Das gefiel Brady. Er respektierte ihre forsche Art, begehrte sie jedoch im gleichen Augenblick. Das bedeutete, dass er in großen Schwierigkeiten steckte.

Aine hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Trotz ihres guten Vorsatzes, ihr Temperament zu zügeln, hatte sie ihren neuen Boss bei der ersten Gelegenheit angegriffen. Sie musste sich entschuldigen, wusste aber, dass es ihr extrem schwerfallen würde. Schließlich hatte sie nichts als die Wahrheit gesagt. Es war ein Fehler gewesen, mit Wut im Bauch zu ihm zu gehen. Ihr Zorn war übergekocht, nun herrschte zwischen ihnen eine Spannung, die sie irgendwie wieder abbauen musste.

Nachdenklich betrachtete sie ihn. Dass er so umwerfend attraktiv war, hatte sie nicht erwartet. Auf der kurzen Fahrt zu seinem Büro hatte sie versucht, die Beherrschung über sich wiederzuerlangen. Der erste Blick auf dieses Prachtexemplar von einem Mann hatte ihr jedoch die Fassung geraubt. Ihre guten Vorsätze waren mit einem Schlag verpufft.

Schwarzes Haar fiel ihm tief in die Stirn, am liebsten hätte sie es zurückgestrichen. Ein festes Kinn, durchdringende blaue Augen und der abendliche Bartschatten ließen ihn eher wie einen Piraten oder Straßenräuber aussehen, als wie einen Geschäftsmann, der ein Vermögen mit dem Erfinden von Computerspielen gemacht hatte. Wie den romantischen Helden aus den Liebesromanen, die sie mit Begeisterung verschlang. Unangemessene Gedanken gingen ihr durch den Sinn, ein köstliches Prickeln durchzog ihren Körper. Und so sehr sie auch dagegen ankämpfte, ihr wurde ganz heiß, ihr Puls begann zu rasen.

Am liebsten hätte sie die Hand, die er ihr reichte, festgehalten. Entsprechend dankbar war sie, als er sie abrupt losließ. Gleichzeitig war sie enttäuscht. Ich widerspreche mir selbst, stellte sie fest. Das war kein gutes Zeichen!

Um auf andere Gedanken zu kommen, sah sie sich um. Das Bürogebäude war eine ebenso große Überraschung wie der Mann selbst. Sie hatte einen modernen Glas- und Chrompalast erwartet. Die charmante alte Villa gab ihr Hoffnung für ihr Schloss. Wenn Celtic Knot ein altes Gebäude wie dieses modernisieren und dabei seinen Charakter erhalten konnte, gelang der Firma dasselbe vielleicht auch mit Castle Butler.

Diesen Gedanken im Hinterkopf, richtete Aine sich auf und schluckte ihren Stolz wie eine bittere Pille: „Zunächst einmal möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich Ihnen zur Begrüßung gleich solche Vorwürfe gemacht habe.“ Als er lediglich fragend die Augenbrauen hob, fuhr sie hastig fort: „Bestimmt ist der Jetlag daran schuld.“ Das klang wenigstens logisch.

„Selbstverständlich“, sagte Brady. Er schien ihr nicht wirklich zu glauben. „Es tut mir leid, dass ich Sie nicht persönlich abgeholt habe. Derzeit haben wir viel um die Ohren. Diese Woche kommt ein neues Spiel auf den Markt, das nächste folgt im Dezember.“

Spiele! Innerlich schüttelte Aine den Kopf. Ihr Bruder Robbie war ein Fan der Spiele dieses Mannes, die auf alten irischen Legenden basierten. Die Spieler bekämpften in der Rolle keltischer Krieger das uralte Böse. Was eine Firma, die Computerspiele produzierte, mit einem Hotel in Irland anfangen würde, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen.

„Heute reicht die Zeit nicht, Ihnen unsere Pläne für das Schloss vorzustellen. Es werden jedenfalls große Veränderungen auf Sie zukommen.“

In ihrem Magen formte sich ein Eisklumpen. „Veränderungen, sagen Sie?“

„Was haben Sie erwartet?“ Er neigte sich vor, stützte die Unterarme auf den Schreibtisch und sah ihr in die Augen. „Das Hotel hat in den letzten Jahren rote Zahlen geschrieben.“

Ein Angstschauer jagte ihr über den Rücken. Gab er ihr die Schuld dafür? Hatte er sie über den Atlantik fliegen lassen, nur um sie zu feuern? Dann würde sie nicht nur ihren Job verlieren, sondern auch ihr Heim. „Wenn Sie glauben, ich hätte das Hotel schlecht gemanagt …“

„Der Gedanke liegt mir fern“, unterbrach er sie und gebot ihr mit einer Geste Schweigen. „Meine Partner und ich haben die Bücher studiert. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass das Hotel die vergangenen Jahren nur dank Ihnen durchgehalten hat.“

Erleichtert atmete Aine auf, gleich darauf kehrten ihre Ängste zurück.

„Dennoch …“, fuhr er fort, und sie starrte ihn wie hypnotisiert an. Er zog sie an wie ein Magnet, gleichzeitig warnte ihr gesunder Menschenverstand sie unüberhörbar. Warum war er kein unbeholfener schmächtiger Computernerd? Das hätte ihre Zusammenarbeit leichter gemacht. Stattdessen trat er auf wie ein mächtiger Mann, dessen Anweisungen widerspruchslos zu erledigen waren. Blinder Gehorsam war jedoch noch nie Aines Ding gewesen.

„… werden wir grundlegende Veränderungen vornehmen, sowohl am Schloss als auch am Führungsstil.“

Angstschweiß trat ihr auf die Stirn. „Was genau haben Sie im Sinn?“

„Damit befassen wir uns morgen“, sagte er und stand auf.

Morgen. Einerseits war Aine froh über den Aufschub, andererseits wusste sie, dass sie vor Sorgen keine Sekunde Schlaf finden würde.

Nachdenklich betrachtete sie Brady. Er war hochgewachsen, seine breiten Schultern wurden durch das weiße Hemd noch betont. Sie stand ebenfalls auf und sah ihm in die Augen. Er erwiderte ihren Blick auf eine Art, wie nur reiche Männer es konnten, mit einer Mischung aus Macht und Selbstwertgefühl und dem Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit. Sich solchen Männern entgegenzustellen war nicht einfach.

„Sie sind bestimmt hungrig“, sagte er unvermittelt.

„Ein wenig“, gab sie zu. Nur würde sie keinen Bissen herunterbringen, solange er sie so ansah.

„Gehen wir essen und unterhalten uns dabei.“ Er durchquerte den Raum, zog ein blaues Sakko aus einem Schrank und schlüpfte hinein.

„Reden? Worüber?“

Brady trat zu ihr, ergriff ihren rechten Arm, schob ihn unter seinen und führte sie zur Tür. „Über Sie und das Schloss.“

Sich selbst wollte Aine ausklammern, von dem Schloss, den Menschen, die dort arbeiteten, und dem nahegelegenen Dorf wollte sie jedoch gern erzählen. „Einverstanden. Zuerst muss ich mich aber umkleiden.“

„Nicht nötig, Sie sehen großartig aus.“

„Es wäre mir lieber.“

„Wie Sie wünschen.“

Das Warten hat sich gelohnt, dachte Brady, als er Aine über den Tisch hinweg betrachtete. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid mit breiten Trägern und rechteckigem Ausschnitt, der ihren Brustansatz gerade noch sehen ließ. Ihre Haut schimmerte im Kerzenlicht wie feinstes Porzellan, goldene Funken tanzten in ihrem rotbraunen Haar und spiegelten sich in den winzigen, goldfarbenen Ohrsteckern. Sie war die Verführung pur, eine Verlockung, der er nicht widerstehen wollte, es aber tun musste.

„Der Wein ist ausgezeichnet“, sagte sie gerade.

„Erlesen.“ So, wie sie ihn ansah, wusste sie, dass sich seine Antwort nicht auf den Wein bezog. Verdammt! Er hätte sie besser in ein schlichtes, lebhaftes Burgerrestaurant ausführen sollen statt in diesen eleganten Gourmettempel.

Die einzige Möglichkeit, sein Verlangen nach ihr im Griff zu behalten, war, sich ganz aufs Geschäft zu konzentrieren. „Erzählen Sie mir von dem Schloss. Welche Reparaturen sollten aus Ihrer Sicht Vorrang haben?“

Aine atmete tief durch und trank einen Schluck Wein, ehe sie loslegte. „Sie haben natürlich recht, eine Renovierung ist überfällig. Die Bäder sind veraltet, das Mobiliar ist heruntergekommen. Von der Substanz her ist das Schloss aber stabil und sicher. Es wurde im Jahr 1430 errichtet.“

Vor fast sechshundert Jahren! Wie sollte ein Mann ohne Familie, ohne nennenswerte eigene Geschichte, eine solche Zeitspanne verstehen und akzeptieren? Andererseits machten Brady Veränderungen weniger zu schaffen als Menschen, die an Traditionen und Überlieferungen hingen.

„Das alles wird erledigt und noch mehr“, sagte er.

„Das mehr bereitet mir Sorgen“, gab sie zu. „Können Sie mir Ihre Pläne nicht wenigstens in groben Zügen erklären?“

Es fiel Brady zunehmend schwer, sich auf das Gespräch zu konzentrieren. Ihr irischer Akzent schürte sein Verlangen. Um sich wieder zu fassen, trank er einen Schluck Wein. „Unsere Firma steigt ins Hotelgeschäft ein. Castle Butler ist das erste von drei Häusern, die wir neu erfinden.“

„Das klingt nach mehr als einer Renovierung.“

„Sie haben recht. Wir wollen die Hotels unseren drei meistverkauften Computerspielen nachempfinden. Das erste Projekt wird zu Fate Castle, unserem ersten großen Erfolg.“

„Das kenne ich“, warf sie ein.

Überrascht sah er sie an. „Sie sehen gar nicht aus wie eine Computerspielerin.“

„Wie sehen die denn aus?“ Geistesabwesend ließ sie die Finger am Stiel ihres Weinglases herabgleiten. „Sie haben recht. Ich kenne es durch meinen jüngeren Bruder Robbie, der ein großer Fan Ihrer Spiele ist.“

„Er hat einen ausgezeichneten Geschmack.“

„Meinen Sie? Der Gedanke, Zombies und Geister auf dem Monitor zu jagen, reizt mich gar nicht.“

„Ehe Sie unsere Spiele abtun, sollten Sie sie ausprobieren.“

„Wieso glauben Sie, das hätte ich nicht längst getan?“

„Weil Sie in dem Fall nicht so negativ eingestellt wären“, sagte er, überzeugt von der Qualität seiner Produkte. „Bei unseren Spielen geht es nicht nur ums Töten und Davonlaufen. Es gilt, Rätsel zu lösen, Entscheidungen zu treffen und Konsequenzen zu tragen. Sie sind anspruchsvoll und fordern die Spieler zum Nachdenken heraus.“

Aine schmunzelte. „Wenn Robbie schreiend und fluchend vor dem Computer sitzt, wirkt das nicht, als unterzöge er sich einem Intelligenztest.“

„Auch schlaue Leute ärgern sich, wenn sie ein Level nicht auf Anhieb schaffen.“

„Das ist wohl wahr.“

In diesem Moment brachte der Kellner das Essen. Das elegante La Bella Vita, Bradys Lieblingsrestaurant, servierte Speisen, die ebenso köstlich waren wie die Atmosphäre angenehm. Italienische Motive schmückten die pastellgelb gestrichenen Wände, auf den mit weißem Leinen gedeckten Tischen brannten Kerzen, dezente Musik erklang aus Lautsprechern. Ansonsten hörte man lediglich das Klirren von Kristall und Porzellan sowie sanftes Gemurmel von den benachbarten Tischen.

„Wie schmeckt’s?“, fragte Brady, als Aine die Ravioli mit Krabbenfüllung probierte.

„Köstlich. Führen Sie häufig Ihre Angestellten in edle Lokale aus?“

„Nein“, gab er zu, während er sich fragte, weshalb er bei ihr eine Ausnahme gemacht hatte. Sie hätten genauso gut im Hotel bleiben oder irgendwo einen Burger essen können. Stattdessen führte er sie aus wie auf ein Date. Das sie nicht hatten. Er beschloss, das Gespräch zurück aufs Geschäft zu lenken. „Hier können wir ungestört reden.“

„Über das Schloss.“

„Und darüber, wie Sie uns bei der Umsetzung unserer Pläne unterstützen können.“

„Ich?“ Sie sah ihn überrascht an.

„Sie werden vor Ort die Arbeiten überwachen, dafür sorgen, dass der Zeitplan eingehalten wird, das Budget …“

„Ich trage die Verantwortung?“

„Sie sind meine Verbindungsfrau. Bei Problemen wenden Sie sich an mich. Ich regle alles. Sie überwachen die korrekte Durchführung meiner Anweisungen.“

„Verstehe. Wer wird die Arbeiten durchführen?“

„Die angesehenste Baufirma Kaliforniens. Sie stellt auch vertrauenswürdige Leute.“

Aine runzelte die Stirn. „Die Arbeiten würden schneller und komplikationsloser verlaufen, wenn Sie zusätzlich irische Arbeiter beschäftigten.“

„Ich arbeite nicht gern mit Leuten, die ich nicht kenne.“

„Mich kennen Sie doch auch nicht!“

„Stimmt.“ Er nickte. „Ich lasse es mir durch den Kopf gehen.“

„Sie haben mir immer noch nicht verraten, welche Art von Veränderung Ihnen vorschwebt. Was genau planen Sie?“

„Nichts, was an die Substanz ginge. Uns gefällt Castle Butler, sonst hätten wir es nicht gekauft. Drinnen wird es allerdings zahlreiche Neuerungen geben.“

Seufzend legte Aine die Gabel beiseite. „Das bereitet mir Sorgen.“

„Inwiefern?“

„Werden Zombies in den Fluren lauern und die Wände mit Spinnennetzen überzogen sein?“

Ihr ängstlicher Blick amüsierte Brady. „Gute Idee, aber nein. Morgen gehen wir in die Details, für heute lassen Sie mich Ihnen lediglich versichern, dass unsere Ideen Ihnen gefallen werden.“

Aine verschränkte die Hände und legte sie auf den Tisch. „Ich arbeite im Castle Butler, seit ich sechzehn bin, erst als Küchenhilfe, dann als Zimmermädchen, später am Empfang, bis ich mich ins Management hochgearbeitet habe. Ich kenne jede knarrende Holzdiele, jeden Riss im Putz, weiß, welche Wände einen Anstrich benötigen, welcher Baum im Garten beschnitten werden muss.“ Sie atmete hörbar durch, ehe sie fortfuhr: „Jeder Angestellte im Schloss ist wie ein Freund oder Familienangehöriger für mich. Auch das Dorf hängt vom Hotel ab. Die Sorgen der Dorfbewohner sind meine. Sie können mir glauben, Ihre Pläne für das Schloss sind für mich kein Spiel.“

Davon war Brady überzeugt. Sie war dickköpfig und stark. Er sah zahlreiche anstrengende Kämpfe auf sich zukommen – auf die er sich, verdammt noch mal, freute.

3. KAPITEL

Am nächsten Morgen erwachte Aine in der Überzeugung, es sich mit Brady verscherzt zu haben. Statt sich zusammenzureißen und den heutigen Tag abzuwarten, um mehr von seinen Plänen zu erfahren, hatte sie zu viel von sich preisgegeben und ihren Sorgen um das Dorf freien Lauf gelassen.

Beim Morgentee auf dem Balkon beobachtete sie den Tanz der Sonnenstrahlen auf den Wellen. Das Gebräu schmeckte grauenhaft. Wieso brachten es die Amerikaner eigentlich nicht fertig, eine trinkbare Tasse Tee zu servieren? Zum Glück war wenigstens die Aussicht atemberaubend: saphirblaue, von weißen Kronen gesäumte Wogen brandeten gegen das Ufer, in der Ferne erblickte sie ein Boot mit knallroten Segeln in den Wellen.

Wenn der Anblick sie nur von den zahlreichen Dummheiten ablenken würde, die sie am Vorabend begangen hatte! Geschehen ist geschehen, sagte sie sich. Es war zwecklos, sich deswegen den Kopf zu zerbrechen.

Stattdessen nahm sie sich vor, sich an diesem Tag zusammenzunehmen. Sie würde Bradys Partnern professionell gegenübertreten …

Knapp zwei Stunden später zerbarst ihr guter Vorsatz wie Glas. „Das ist nicht Ihr Ernst!“

Den größten Teil des Meetings mit den drei Inhabern von Celtic Knot hatte Aine schweigend beobachtet, wie sich die drei Männer Ideen zugespielt hatten wie Pingpongbälle. Es war ihr die ganze Zeit schwergefallen, Ruhe zu bewahren. Inzwischen waren sie jedoch an einem Punkt angelangt, an dem ihre Geduld erschöpft war.

Aine sah von einem Mann zum anderen. Ihr Blick blieb an Sean Ryan hängen, der ihr halbwegs vernünftig erschien. „Sie wollen ein geschichtsträchtiges Stück Irland in einen schlechten Witz verwandeln“, platzte sie heraus.

Ehe Sean den Mund aufmachen konnte, warf sein Bruder ein: „Ich verstehe, dass Sie sich als Beschützerin des Schlosses fühlen, aber …“

„Es geht um viel mehr.“ Beschwörend sah sie die Männer an, diesmal blieb ihr Blick auf Brady haften. „Denken Sie an die Tradition, die Jahrhunderte, die jeder einzelne Stein auf dem anderen steht.“

„Es ist doch nur ein Gebäude, das dringend der Renovierung bedarf.“

Aine neigte sich vor, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. „Ich bin froh, dass Sie einige der überfälligen Reparaturen vornehmen wollen. Seit Langem überlege ich, wie wir unseren Gästen den Aufenthalt angenehmer gestalten können, ohne die Seele des Gebäudes zu zerstören, wenn Sie mir den Ausdruck gestatten.“

„Sie glauben, das Schloss hat eine Seele?“, fragte Brady amüsiert.

„Es existiert seit 1430“, sagte sie empört und warf ihm einen wütenden Blick zu. Die anderen Männer im Raum hatte sie völlig vergessen. „Menschen kamen und gingen, das Schloss hat überdauert. Es hat Angriffe überstanden, Vernachlässigung und Gleichgültigkeit. Es hat Könige und Bauern beherbergt und alles dazwischen. Wie könnte es da keine Seele besitzen?“

„Das ist … eine sehr irische Denkweise.“

Seine herablassende Miene trieb sie fast zur Weißglut. „Als Ire sollten Sie genauso denken.“

Brady erstarrte zusehends. Verblüfft fragte sich Aine, was ihn dermaßen erschüttert hatte. Mit ihrer harmlosen Bemerkung hatte sie offensichtlich einen wunden Punkt getroffen.

„Nur mein Name ist irisch“, knurrte er kurz angebunden.

„Was für eine faszinierende Aussage.“

„Sie bedeutet, dass Sie keine verwandte Seele in mir finden werden, falls Sie danach suchen.“

„Okay“, mischte Sean sich ein und grinste aufgesetzt fröhlich. „Wir alle hier sind Iren – der eine etwas mehr als der andere. Können wir jetzt weitermachen?“

Aine ignorierte den Versuch, Frieden zu stiften. „Ich bin nicht auf der Suche nach einem Vertrauten oder gar nach einer verwandten Seele.“ Mühsam rang sie um Gelassenheit. „Ich bin Tausende Meilen gereist, um über die Zukunft von Castle Butler zu diskutieren. Selbstverständlich gebe ich Ihnen gerne sämtliche Informationen über das Gebäude, das Dorf und das County. Sie hätten alles selbst herausfinden können, hätten Sie sich die Mühe gemacht, Ihr Eigentum persönlich aufzusuchen.“

Einige Sekunden lang herrschte betretenes Schweigen, dann ergriff Brady das Wort. „Ich bewundere Ihren Freimut. Gleichzeitig frage ich mich, ob Sie es für klug halten, Ihren neuen Chef gegen sich aufzubringen.“

„Tut mir leid, ich wollte Sie nicht beleidigen.“

„Eine Entschuldigung ist überflüssig.“

„Wann ich im Unrecht bin, entscheide ich selbst, vielen Dank. Ich hatte mir geschworen, mein Temperament zu zügeln. Das ist mir nicht gelungen, was ich sehr bedauere.“

„Okay.“

Die drei Männer betrachteten Aine wie eine tickende Bombe, die jeden Moment hochgehen konnte. „Aber ich entschuldige mich nicht dafür, dass ich Ihnen meine Meinung über die von Ihnen geplante Zukunft des Schlosses gesagt habe.“

Tapfer sah sie einem nach dem anderen in die Augen. Erneut fiel ihr Blick zuletzt auf Brady. „Vor unserer ersten Begegnung war ich sehr aufgeregt. Ich möchte, dass alle Angestellten, ich eingeschlossen, ihre Jobs behalten, und das Schloss in neuem Glanz erstrahlt.“

Brady hielt ihrem Blick stand, auch die Ryans sahen sie an. Ich hätte den Mund halten sollen, dachte Aine. Sie hatte nicht das Recht, die Pläne für den Ort, den sie liebte, zu kritisieren. Genauso wenig konnte sie aber still dasitzen und vorgeben, alles stünde zum Besten, wenn dem nicht so war.

Brady immer noch fest im Blick, fragte sie: „Haben Sie mich den weiten Weg hierhergeholt, damit ich Ihre Entscheidungen abnicke? Erwarten Sie von Ihrem Hotelmanager stillschweigend alles zu tun, was Sie anordnen?“

Brady neigte den Kopf zur Seite. „Sie fragen, ob ich einen Jasager will? Natürlich nicht“, fuhr er sie schroff an. „Mich interessierte Ihre Meinung, wie ich Ihnen bereits gestern Abend erklärt habe.“

Aine stieß den Atem aus, den sie angehalten hatte, ohne es zu merken. „Ich hoffe, Sie werden es nicht bereuen.“

„Ihre Ehrlichkeit gefällt mir, wenngleich ich nicht in allen Punkten Ihrer Meinung bin.“

Tief durchatmend sah Aine zu den Ryans. „Um mir eine fundierte Meinung über Ihre Pläne bilden zu können, müsste ich genauere Informationen von Ihnen bekommen.“

„Das lässt sich machen“, sagte Mike. „Zeichnungen können Ihnen vermutlich ein besseres Bild von unseren Ideen vermitteln.“

Brady nickte. „Jenny Marshalls Entwürfe enthalten die wesentlichen Details.“

„Schon wieder Jenny Marshall“, stöhnte Mike. „Ist sie mittlerweile unsere Chefgrafikerin?“

Aine sah staunend zwischen den Männern hin und her. Sie bildeten eine Einheit, Brady hielt sich jedoch zurück, als beobachtete er die Brüder lieber aus sicherer Entfernung. Während sich zwischen den Ryans eine hitzige Debatte entspannte, behielt sie Brady im Blick. Er verfolgte den Wortwechsel entspannt. Als Iren stritten die Brüder vermutlich oft. Das erklärte jedoch nicht, weshalb er sich aus der Diskussion heraushielt. War ihm die Grafikerin gleichgültig oder war ihm Nähe generell fremd?

„Jenny ist gut, glaub mir.“ Sean zuckte die Achseln. „Sieh dir wenigstens ihre Zeichnungen an. Peter hätte bereits vor fünf Monaten liefern sollen.“

„Es war Peters Job, nicht ihrer. Wieso sollte ich mich damit befassen?“

„Um zu erkennen, wie großartig sie ist.“

Mike warf seinem Bruder einen finsteren Blick zu. „Wieso versuchst du, sie uns aufzudrängen?“

„Das hat er gerade erklärt“, sagte eine Stimme von der Tür her, und eine zierliche Blondine mit kurzem, gelocktem Haar trat ein. Sie warf Mike einen finsteren Blick zu, lächelte Sean freundlich an und reichte ihm eine große, schwarze Mappe. „Tut mir leid. Es hat länger gedauert als erwartet. Ich wollte noch letzte Details fertigstellen.“

„Kein Problem, Jenny. Danke.“

Jenny sah erneut zu Mike, der sie über den Konferenztisch hinweg finster anstarrte. Aine meinte die knisternde Spannung zwischen den beiden greifen zu können, während Sean und Brady nichts zu bemerken schienen. Sie konzentrierten sich auf den Inhalt der Mappe und bemerkten auch den spöttischen Blick nicht, den Jenny im Hinausgehen Mike zuwarf.

Du stehst auch für dich ein, dachte Aine. Jenny war ihr sympathisch.

„Du hättest mich warnen können, dass sie heute Morgen herkommt“, knurrte Mike.

„Wozu? Damit du einen Streit vom Zaun brichst?“ Sean schüttelte den Kopf und breitete Blätter aus der Mappe auf dem Tisch aus. „Sieh dir das an.“

Aine stand auf, um Jennys Werke besser betrachten zu können. Sean hatte recht, die Frau war eine wahre Künstlerin. Die fantasievollen Zeichnungen faszinierten sie, obwohl ihr das Thema missfiel. Castle Butler wirkte darauf ganz anders als der Ort, den sie kürzlich verlassen hatte.

„Sie sind gut“, gab Mike kurz angebunden zu.

„Wow, was für ein Lob!“, höhnte Sean.

„Halt die Klappe. Das ist noch lange kein Grund, dass sie Peters Job übernimmt.“

„Das finde ich durchaus“, warf Brady ein und zog eine Zeichnung von der großen Halle des Schlosses zu sich. „Peter hat nichts Vergleichbares geliefert seit … noch nie.“

„Da hast du’s.“ Sean klopfte Brady auf den Rücken und warf seinem Bruder einen triumphierenden Blick zu. „Wir befördern Jenny zur Chefgrafikerin.“

„Ich weiß nicht …“ Mike schüttelte den Kopf.

„Womit können wir dich überzeugen?“, wollte Sean wissen.

„Diskutiert das anderswo“, schlug Brady vor.

„Gute Idee“, meinte Sean. „Aine, es war nett, Sie kennenzulernen.“

„Danke.“ Fast widerwillig löste sie den Blick von den Zeichnungen.

„Wir sehen Sie bald wieder“, sagte Mike.

„Bestimmt“, murmelte sie geistesabwesend, so vertieft war sie in den Anblick der durch wenige geschickt platzierte Farbkleckse besonders lebhaft wirkenden Bilder.

Sobald sie mit Brady allein im Raum war, schob er ihr das Bild der großen Halle hin, in der Hochzeitsempfänge sowie gelegentlich Firmenevents veranstaltet wurden. Auf der Skizze waren mittelalterliche Banner und bunte Wandteppiche zwischen Fackeln und Armleuchtern mit Kerzen darin zu sehen. An langen Tafeln und Bänken mochten gut fünfzig Leute Platz finden. Der Kamin, der seit Jahren nicht benutzt wurde, war ordentlich in Stein gefasst, auf dem Sims standen zahlreiche Kelche und Zinnkrüge.

„Was halten Sie davon?“

Aine wusste nicht, was sie denken sollte. Sie hatte erwartet, angewidert zu sein. Stattdessen faszinierte der Anblick sie. Sie ertappte sich bei der Frage, welche Überraschungen Jenny noch in petto hielt. „Es ist …“ Sie legte eine kurze Denkpause ein. „… großartig. Die Künstlerin hat Talent. So ähnlich musste die Halle ausgesehen haben, als Lord und Lady Butler in dem neu erbauten Schloss Gäste hatten.“

„Was für ein Lob von der Frau, die von der Sorge gequält wurde, im Schloss überall auf Zombies und Spinnweben zu stoßen.“

Aine nahm sich vor, künftig jedes ihrer Worte auf die Waagschale zu legen. „Mein Fehler, da haben Sie recht. Ich habe aber längst noch nicht alle Pläne gesehen.“

„Behalten Sie sich Ihr Urteil lieber bis zuletzt vor?“

„Ist das nicht am klügsten?“

„Doch.“ Brady schob ihr weitere Zeichnungen hin. „Sehen Sie sich die anderen an.“

In der nächsten Stunde gingen sie die Pläne für das Schloss durch. Einige waren wunderbar, andere gefielen Aine nicht. „Spielkonsolen in jedem Gästezimmer?“ Sie schüttelte den Kopf. „Das passt nicht zum Schloss.“

Brady lehnte sich im Stuhl zurück, griff nach dem Glas Mineralwasser vor sich auf dem Tisch und trank. Dann schob er sich die letzten Pommes in den Mund, die er sich zum Mittagessen hatte kommen lassen. Aine hatte ihr Clubsandwich kaum berührt. Sie mochte nicht essen, solange ihre Zukunft im Ungewissen lag.

„Die Menschen im Mittelalter haben auch gespielt“, betonte er.

„Nicht mit Konsolen und riesigen Flachbildfernsehern.“

„Weil es die Technik nicht gab. Die TV-Geräte werden übrigens in Schränken versteckt, die zur Ära passen.“

„Damit muss ich mich wohl begnügen.“ Klein beigeben fiel Aine schwer, doch Brady entkräftete ihre Argumente eines nach dem anderen, mit einer Leichtigkeit, die sie widerwillig bewunderte. Dennoch fühlte sie sich verpflichtet, ihr Castle Butler und die Menschen, die davon abhingen, zu verteidigen. Unermüdlich wies sie auf die Geschichte des Hauses und seine Traditionen hin.

„Der Speiseraum soll mit Wandbildern aus dem Spiel dekoriert werden?“

„Es repräsentiert schließlich Fate Castle.“

„Sind darauf Zombies und Geister zu sehen?“

„Ja.“

„Der Anblick könnte den Gästen den Appetit verderben.“

Brady runzelte die Stirn und tippte nachdenklich mit einem Finger auf die Tischplatte. „Die Gemälde ließen sich in die Eingangshalle verlegen …“

Aine atmete tief durch. „Was ist mit den Stammgästen, die sich nichts aus dem Spiel machen? Sie sind an die Tradition und Würde des Schlosses gewöhnt.“

„Bei all seiner Würde ist das Schloss hochgradig reparaturbedürftig und der Pleite nahe.“

Aine schnappte nach Luft und wollte ihm eine heftige Erwiderung an den Kopf werfen, fand aber kein Argument, das die unschöne Wahrheit entkräftet hätte. Ihr geliebtes Schloss steckte in Schwierigkeiten. Ob es ihr nun gefiel oder nicht, Brady Finn war der einzige Retter in Sicht. Sie konnte ihn sich nicht zum Feind machen, auch wegen der vielen Menschen, die vom Hotel abhingen. Dennoch fühlte sie sich als einzige Verteidigerin des Erbes von Castle Butler.

„Es braucht Aufmerksamkeit und Pflege. Ob es in einen Vergnügungspark zu verwandeln die Lösung ist, bezweifle ich aber.“

„Es wird weder Achterbahnen noch Zuckerwattebuden geben.“

„Das ich doch schon etwas“, murmelte sie.

„Wir machen ein Themenhotel daraus“, betonte Brady, lehnte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. „Menschen aus aller Welt werden Fate Castle besuchen, um das Spiel, das sie lieben, in der Realität zu erleben.“

„Fans meinen Sie.“

Abrupt richtete er sich wieder auf. „Nicht nur Fans des Spiels, sondern auch Menschen, die wie im Mittelalter leben wollen.“

„Realität sagen Sie?“ Sie tippte auf die Zeichnung eines Geistes mit wirrem grauem Haar. „Ich lebe schon immer nahe beim Schloss. Dem hier bin ich nie begegnet.“

„Relativ real“, gab Brady zu, und um seine Lippen zuckte es.

Unwillkürlich tat ihr Herz einen kleinen Satz. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich wieder aufs Gespräch zu konzentrieren. „Gibt es wirklich genügend Fans, um die Kosten hereinzuholen?“

„Fate Castle hat sich über einhundert Millionen Mal verkauft.“

„So oft?“ Ihr Verstand mochte die Zahl kaum zu fassen.

„Und es verkauft sich weiterhin gut“, versicherte er ihr.

Seufzend betrachtete Aine die Bilder auf dem Tisch. Sie versuchte, sie mit dem Schloss, wie sie es kannte, zu vereinen. Alles wird ganz anders werden, dachte sie. Gleichzeitig raunte ihr eine innere Stimme zu: „Es wird überleben.“ Das war das Wichtigste.

„Vermutlich haben Sie recht. Allerdings mache ich mir Sorgen um Gäste wie Mrs. Deery und ihre Schwester, Ms. Baker.“

„Wer sind diese Leute?“

Seufzend strich Aine eine Haarsträhne hinters Ohr. „Stammgäste. Seit den Achtzigerjahren besuchen sie Castle Butler einmal pro Jahr und lassen sich vom Personal verwöhnen.“

„Sie können gerne weiterhin kommen.“

Aine betrachtete skeptisch den Geist auf einem der Bilder. „Ich bezweifle, dass sie das wollen. Was werden sie von den Zombies halten?“

„Die Renovierung erfolgt nicht nur wegen des Spiels. Wir restaurieren alles, machen das Schloss sicherer. Die gesamte Elektrik muss erneuert werden. Ein Wunder, dass es noch nicht abgebrannt ist.“

„So schlimm ist es nicht!“

„Meinem Bauingenieur zufolge schon. Außerdem tauschen wir die Rohrleitungen und Bäder aus, das Dach, die Isolierung. Das Schloss wird mittelalterlich aussehen, sich aber nicht so anfühlen.“

Aine hielt den Atem an, um bloß nichts Falsches zu sagen. Er hatte ja recht, das Gebäude bedurfte dringend einer Generalüberholung. Im Winter fuhr der kalte Wind durch jede Ritze und brachte die Vorhänge zum Flattern.

„Wir modernisieren die Küche, installieren eine Zentralheizung und tauschen abgenutzte Möbel aus. Marodes Gebälk wird erneuert …“

Es klang, als wäre ihr geliebtes Schloss eine heruntergekommene Bruchbude. „Die Stürme der vergangenen Jahre …“

Mit einer Geste gebot er ihr Schweigen. „Sie brauchen nicht jedes Brett, jedes Fenster zu verteidigen. Das Schloss ist alt …“

„Geschichtsträchtig“, berichtigte sie.

„Und es muss renoviert werden. Das lasse ich erledigen.“

„Sie werden seine Substanz verändern.“ Es klang traurig.

„Sie sind stur, was ich durchaus schätze. Ich bin es selbst. Allerdings treffe ich in diesem Fall die Entscheidungen. Sie können mit mir zusammenarbeiten oder …“

An seinen kühlen blauen Augen konnte Aine ablesen, was er meinte: Mach mit oder verschwinde. Da sie Castle Butler niemals freiwillig den Rücken kehren würde, hieß es abwarten und die Zunge hüten. Sie musste künftig sorgfältig abwägen, welche Schlachten sie schlagen wollte und welche sie besser ausließ.

Bedächtig nickte sie. „Also gut. Sie bestehen auf den Wandmalereien. Sollten wir sie nicht lieber in der großen Halle anbringen? Dort treffen sich Ihrer Aussage nach die Rollenspieler, und gerade sie wissen diese Art von … Kunst am meisten zu schätzen.“

Erneut zuckte es um seine Lippen, wieder spürte sie, wie ihr Herz einen Satz tat und ein Prickeln durch ihren Körper lief. Mach dich nicht lächerlich, ermahnte sie sich und kämpfte gegen den Aufruhr ihrer Hormone an.

Sie durfte sich keinen heißen Fantasien über ihren Boss hingeben, erst recht nicht, seit er deutlich gemacht hatte, dass sie nicht unersetzlich war. Wissen und Tun waren jedoch Zweierlei. Allein wenn sie sich im selben Raum mit ihm aufhielt, spürte sie ihr Blut wie glühende Lava durch ihre Adern schießen.

„Geben Sie zu, dass Jennys Skizzen gut sind“, sagte er abrupt.

„Das sind sie.“ Aine war froh über die Ablenkung. „Großartig sogar – für ein Spiel. Als Dekoration für ein Hotel …?“

„Für diese Art von Hotel sind sie perfekt. Sie haben übrigens recht, was die Wandgemälde angeht. Sie kommen in die große Halle.“

„Einfach so?“

„Wenn die Situation es erfordert, gehe ich Kompromisse ein.“

Insgeheim vermerkte sie ihren ersten Punkt auf einer imaginären Anzeigentafel. Brady lag in Führung, doch ihr erster Sieg verlieh ihr Hoffnung: Mit ihm war schwer umgehen, unmöglich war es aber nicht.

Ehe sie allzu große Zuversicht schöpfen konnte, holte er sie in die Realität zurück. „Ich werde die Dinge auf meine Weise erledigen.“

Das war zugleich Warnung und Herausforderung. Aine betrachtete ihn fasziniert.

In diesem Augenblick klopfte es, und eine junge Frau steckte den Kopf zur Tür herein. „Tut mir leid, Brady. Peter ist am Telefon. Er besteht darauf, dich zu sprechen.“

„Schon gut, Sandy. Stell ihn durch. Ich muss das Gespräch annehmen“, entschuldigte er sich bei Aine.

„Soll ich rausgehen?“

„Nicht nötig. Es dauert nicht lange.“

Brady wirkte unerbittlich, als er den Hörer abnahm. Aine hätte schwören können, dass sich in seinen blauen Augen Eiskristalle formten. Insgeheim bedauerte sie den ihr unbekannten Peter. Er würde es bitter bereuen, Brady Finn gestört zu haben.

„Peter? Ich will keine Entschuldigungen mehr hören“, sagte Brady kurz angebunden und hörte dann schweigend zu, während am anderen Ende der Leitung gesprochen wurde. Aine konnte einige Worte aufschnappen: Zeit … Kunst … Geduld.

„Ich war bereits mehr als geduldig“, unterbrach Brady irgendwann den Redefluss. „Damit ist jetzt Schluss. Du warst gewarnt davor, was passiert, wenn du nicht bis heute Nachmittag lieferst.“

Peter wurde immer hektischer, immer lauter, und Brady runzelte unwillig die Stirn. „Sandy schickt dir einen Scheck, der den Betrag abdeckt, den wir dir schulden.“

Einen Moment lang herrschte Stille. Aine konnte die Panik des unbekannten Mannes fast mit Händen greifen.

„Tu dir selbst einen Gefallen und denk an die Schweigeverpflichtung, die du unterschrieben hast. Deine bislang fertiggestellten Zeichnungen sind unser Eigentum. Sollte etwas an die Konkurrenz durchsickern …“

Er lächelte kalt, und Aine fing seinen zufriedenen Blick auf. „Gut. Ich bin froh, das zu hören. Du hast Talent, Peter. Wenn du dich zusammennimmst, steht dir eine große Karriere bevor. Nur nicht bei uns.“

Ein eisiger Schauer jagte Aines Rücken herab. Brady hatte den armen Peter abgefertigt, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Würde es ihm mit ihr ebenso leichtfallen? Erneut nahm sie sich vor, Zunge und Temperament künftig zu hüten.

Nachdem er aufgelegt hatte, sah Brady sie an. „Entschuldigen Sie die Unterbrechung. Es musste sein.“

„Wer ist Peter?“

„Ein Grafiker, der mehr Entschuldigungen abliefert als Zeichnungen.“ Offenbar sah er ihr die Sorgen an. „Er hat mehr als eine Chance bekommen und jede einzelne vertan.“

„Deswegen haben Sie ihn gefeuert.“

„Ja.“ Brady sah ihr in die Augen. „Irgendwann reißt mein Geduldsfaden. Im Geschäftsleben muss man manchmal schwere Entscheidungen treffen.“

Schwer ist dir der Rausschmiss nicht gefallen, dachte Aine. Er war sofort wieder zur Tagesordnung übergegangen. Insgeheim glaubte sie zu spüren, wie der sicher geglaubte Grund unter ihren Füßen bebte.

4. KAPITEL

Brady war Aines ehrfürchtiger Blick während seines Telefonats mit Peter nicht entgangen. Hätte er den Anruf besser nicht in ihrer Gegenwart entgegennehmen sollen? Andererseits diente er ihr ja vielleicht als Warnung, und sie begriff, dass er jeden Angestellten feuerte, der seine Erwartungen nicht erfüllte. Er respektierte harte Arbeit und verabscheute Menschen, die sich mit halbgaren Entschuldigungen ihrer Verantwortung zu entziehen versuchten.

Jenny Marshall musste sich bei dem neuesten Projekt als leitende Grafikerin bewähren, andernfalls würde er sie ebenfalls loswerden. Er und seine Partner steckten ihre ganze Energie in die jeweiligen Projekte, dasselbe erwarteten sie von ihren Mitarbeitern.

„Hier würde es meinem Bruder gefallen“, meinte Aine, als Brady sie wenig später durch die Grafikabteilung im Obergeschoss der alten Villa führte.

Überall standen Zeichentische und Staffeleien, neben den Computern auf den Schreibtischen lagen Blei- und Buntstifte, Marker und Papierstapel. Rockmusik dröhnte durch den Raum, einige Grafiker bewegten Kopf oder Fuß im Takt oder sangen mit. Es duftete nach frischem Popcorn.

In dieser Umgebung fühlte Brady sich immer wie ein Eindringling. „Manche Grafiker arbeiten gern am Computer, die meisten ziehen Papier und Stifte vor“, erklärte er, während Aine seinen Angestellten neugierig über die Schultern spähte. „Wie sie ihren Job erledigen, ist mir egal. Hauptsache, das Ergebnis ist gut und sie bleiben im Zeitplan.“

Sie warf ihm einen Seitenblick zu. „Ich habe nicht vergessen, was Sie zu Peter gesagt haben.“

„Er hatte genügend Chancen.“

„Sie sind kein einfacher Mensch, oder?“

„Nichts ist einfach.“ Er sah ihr tief in die moosgrünen Augen, die ihn seit der ersten Begegnung verfolgten, dann nahm er sie am Arm und führte sie weiter. Einige der jungen Männer beäugten Aine neugierig, und er warf ihnen strenge Blicke zu. Sofort machten sie sich wieder an die Arbeit. Währenddessen trat sie an eine Staffelei, an der eine Grafikerin zeichnete. „Oh, ja! Robbie wäre definitiv begeistert.“

„Ihr Bruder?“

„Er ist verrückt nach Ihren Spielen, außerdem ist er selbst Künstler. Ein guter sogar. Dieser Raum voller talentierter Grafiker, die seine Lieblingsfiguren zeichnen, wäre für ihn der Himmel auf Erden.“

„Würde er gerne Spieldesigner werden?“

„Dazu ist er wild entschlossen.“ Sie verstummte und sah einem jungen Mann über die Schulter, der gerade eine nächtliche Waldszene farbig unterlegte.

„Traumhaft schön“, schwärmte sie, und der Künstler lächelte strahlend. „Der Wald wirkt richtig gehend lebendig.“

Es missfiel Brady, wie sein Angestellter Aines Figur musterte und sein charmantestes Lächeln aufsetzte. Ein seltsames Gefühl drohte ihn zu ersticken.

„Danke. Warten Sie erst ab, bis ich die Werwölfe hinzugefügt habe.“

Kopfschüttelnd betrachtete sie die Skizze. „Es sieht so friedlich aus. Monster werden den Eindruck zerstören.“

„Unsere Spieler lieben sie aber“, warf Brady rasch ein.

Der junge Mann wandte sich hastig wieder seiner Staffelei zu. „Der künstlerische Aspekt ist uns wichtig“, erklärte er, während er mit geschickten Strichen den Umriss eines Werwolfs mit bedrohlichen Fangzähnen in das Bild einfügte. „‚Der Wolf von Clontarf Forest‘ kommt irgendwann nächstes Jahr heraus.“

„Wie beängstigend das jetzt aussieht! Dabei war der Wald gerade noch so ruhig und verträumt.“

„Dafür sind unsere Spiele bekannt“, sagte Brady.

„Für Werwölfe?“

Der Künstler lachte. „Der Boss hat recht. Wir schaffen etwas Wunderschönes und verwandeln es in etwas Bedrohliches. Unter der friedlichen Oberfläche lauert die Gefahr.“

Brady betrachtete Aine. Hinter ihrer gelassenen Fassade meinte er ebenfalls eine Bedrohung zu spüren. Ein Monster war sie zwar nicht, eine Frau wie sie hatte er jedoch nie zuvor getroffen. In ihr glomm ein Funke, der sich leicht zum Flächenbrand ausbreiten konnte. Er wollte ihre zarte Haut berühren. Doch das könnte ihn in weitaus schlimmere Bedrängnis bringen als die Begegnung mit einem Werwolf.

„Clontarf?“, fragte sie unvermittelt. „Das Spiel handelt von der Schlacht von Clontarf?“

„Das ist die Rahmenhandlung. Sie haben davon gehört?“

„Jedes Kind in Irland kennt die Geschichte vom Hohen König Brian Boru und seinem Tod.“

Beeindruckt nickte Brady. Er und die Ryans hatten sich intensiv mit der irischen Geschichte befasst. Die Eltern der Brüder stammten aus Irland und hatten ihren Söhnen die Traditionen und Mythen ihrer Heimat überliefert, soweit sie sie kannten. Celtic Knot nutzte bevorzugt historische Gestalten und Ereignisse als Hintergrund. Das ließ die Spiele realistischer wirken. „Die Kulissen der Kampfszenen werden Ihnen gefallen, und die Spieler lieben es, mit Breitschwertern zu kämpfen …“

„Sie machen ein Spiel über die Schlacht?“ Der Gedanke entsetzte sie sichtlich, und der Anblick der wütenden Aine fesselte Brady.

„König Brian hat die Wikinger besiegt und Irland befreit. Dabei ist er gefallen“, fauchte sie empört.

„So ist es auch im Spiel.“ Brady ergriff ihren Arm und führte sie weiter. „Nur wird er dabei von einem Rudel Werwölfe unterstützt. Ein erfolgreicher Spieler kann zum nächsten Hohen König von Irland gekrönt werden. Sehen Sie es doch einmal so: Beim Spielen lernen die Leute die Geschichte Irlands kennen und erfahren alles über König Brian Boru.“

„In Irland gibt es keine sabbernden Werwölfe.“ Aine atmete tief durch und versuchte sich zu beruhigen.

Brady merkte, dass sie sich allmählich entspannte. „Ihr Iren glaubt doch an Elfen, Todesfeen, Pookas und was noch alles. Wieso nicht auch an Werwölfe?“

„Schon.“ Sie warf ihm einen Seitenblick zu. „Ihr Iren? Sie halten sich also nicht für einen?“

Brady ignorierte die Bemerkung und führte sie zu einem anderen Zeichentisch. „Die Storyboards für unsere Spiele werden auf ihren historischen Gehalt hin geprüft. Wir unterlegen die Geschichten mit genügend Text, um das Geschehen zu erklären.“

„Es geht also nicht nur ums Töten und getötet werden?“

„Man muss auch Rätsel lösen, Geduld beweisen und Geheimnisse aufklären.“

„Ein Computerspiel für den denkenden Menschen“, warf sie ein, und in ihren Augen funkelte es spöttisch.

„Haargenau.“

Die Antwort schien sie zu überraschen. Brady und die Ryans waren jedoch stolz auf ihre intellektuell herausfordernden, an historische Ereignisse angelehnten und zugleich fantasievollen Spiele.

Wenig später betraten sie einen Raum voller Computer auf der gegenüberliegenden Seite der Villa.

„Hier sitzen die Programmierer“, erklärte Brady. Er ließ Aine den Vortritt und sah zu, wie sie den Raum durchquerte. Die Computerfreaks ignorierten Besucher normalerweise, es war sogar schon vorgekommen, dass Brady sich mit einem Pfiff Aufmerksamkeit verschaffen musste. Gerade aber fixierte jeder Mann im Raum Aine. Kein Wunder, dachte er. Er war ja selbst fasziniert von ihr.

Als sie über den Scherz eines Programmierers lachte, zog sich etwas in ihm zusammen. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, das rotbraune Haar fiel in weichen Wellen um ihre Schultern. Beiläufig legte sie dem Programmierer, der ihr gerade etwas auf seinem Bildschirm zeigte, die Hand auf die Schulter.

Brady runzelte die Stirn. Du bist doch nicht etwa eifersüchtig? überlegte er, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Dennoch kürzte er den Besuch bei den Informatikern ab und führte Aine nach draußen.

„Wirklich eindrucksvoll. Ich habe nicht die Hälfte von dem verstanden, was hier geschieht“, meinte sie.

„Ich habe ebenso wenig Ahnung davon, wie man ein Schlosshotel managt.“

„Das würden Sie sicher rasch herausfinden und bald ein Experte sein.“

„Vermutlich.“ Er geleitete sie durch einen langen Flur zu einer doppelflügeligen Tür, die zum Garten führte. „Das wird jedoch nicht nötig sein, da ich bereits eine Expertin habe.“

Draußen empfing sie strahlender Sonnenschein. Ein Windstoß ließ Aines Haar um ihre Schultern tanzen. „Als Managerin werde ich verantwortlich für die Umbauten am Schloss sein?“

„Ja.“

„Bekomme ich eine Aufstellung der Arbeiten?“

„Mehr als das.“ Brady führte sie zu einer Sitzgruppe, wo sie Platz nahmen. „In den kommenden drei Wochen arbeiten wir gemeinsam an den Renovierungsplänen. Ich will Ihre Meinung zu sämtlichen Veränderungen hören. Küche, Schlafzimmer und Halle sollen nach Mittelalter aussehen, dabei aber gleichzeitig über alle modernen Annehmlichkeiten verfügen.“

„Entschuldigung, sagten Sie drei Wochen?“, unterbrach Aine ihn.

„Ist das ein Problem?“

„Ich habe nicht im Traum daran gedacht, so lange zu bleiben.“

Brady konnte geradezu die Rädchen in ihrem Kopf rotieren sehen. Offenbar war sie es nicht gewohnt, ihre Gedanken zu verbergen. Ihre Miene war für ihn zu lesen wie ein offenes Buch. Er dagegen hatte seine Gefühle stets vom Rest der Welt abgeschirmt, bis er sogar gelernt hatte, Gefühle gar nicht erst zuzulassen. Lediglich mit den Ryans verhielt es sich anders. Sie waren wie Geschwister für ihn, die einzige Familie, die er kannte. Anfangs war es ihm schwergefallen, sie an sich herankommen zu lassen, doch Mike und Sean hatten sich hartnäckig geweigert, sich aus seinem Leben herauszuhalten. Sie hatten ihn überrumpelt und Freundschaft mit ihm geschlossen.

Nur ihnen traute er so weit, dass er Gefühle mit ihnen teilte. Anderen öffnete er sich nicht, und ganz bestimmt nicht einer Angestellten.

„Ist das ein Problem?“, wiederholte er barscher als beabsichtigt.

Abrupt straffte sie die Schultern und hob trotzig das Kinn. Der Anblick ließ ihn genüsslich erschauern, aus einem unerfindlichen Grund.

„Drei Wochen … darauf war ich nicht eingestellt. Das Personal muss informiert werden und meine Mutter … Sie würde sich sonst Sorgen machen, glauben Sie nicht?“

„Keine Ahnung.“ Woher sollte er wissen, wie Mütter tickten? Seine hatte ihn der Fürsorge übergeben, als er sechs Jahre alt gewesen war. Er hatte sie nie wiedergesehen. Wenn die Ryans ihre Eltern besuchten, begleitete Brady sie nie. Als Student war er einmal mitgekommen und hatte sich dabei ausgesprochen unwohl gefühlt, trotz intensiver Bemühungen der gesamten Familie.

Aine sah ihn verwirrt an. „Ich bleibe natürlich gern“, sagte sie nach einer Weile wenig überzeugend.

„Gut.“ Brady ahnte, dass die Wochen mit ihr seine Selbstbeherrschung auf eine harte Probe stellen würden. Neben ihr zu sitzen machte ihn nervös. Wenn er ihren Blick auffing, löste das ein sehnsüchtiges Prickeln in ihm aus. Das hatte er nicht erwartet. Vielleicht würde er eines Tages bereuen, dass er sie in den Staaten festhielt, momentan konnte er jedoch nur an die Glut denken, die sie in ihm entfachte.

Die nächsten Tage kämpfte sich Aine durch einen Wirbelsturm namens Brady Finn. Er war unermüdlich. Gemeinsam durchforsteten sie zahllose Antiquitätenläden, stritten um Tische, Stühle und das eine oder andere Bett. Zu ihrer Überraschung gab Brady sich widerspruchslos geschlagen, sobald sie eine bessere Alternative bieten konnte. Er nahm sie die ganze Zeit in Beschlag. Tagsüber waren sie unterwegs, abends diskutierten sie beim Dinner weiter.

Mit jedem Tag fiel es Aine schwerer, seine Anziehungskraft zu ignorieren. Sie schämte sich fast dafür, doch es gelang ihr nicht, ihn sich aus dem Kopf zu schlagen. Dabei war er herrschsüchtig, steckte voller Vorurteile, redete mit ihr wie mit einer Sekretärin und benahm sich allgemein des Öfteren unmöglich. Er war ihr Chef, nicht der Prinz of Wales. Und selbst wenn, als Irin würde sie sich selbst dann nicht vor ihm verneigen.

Dennoch ertappte sie sich häufig dabei, wie sie an seinen Lippen hing, wenn er sprach, und sich fragte, wie sie sich wohl auf ihrem Mund anfühlen würden. Wie sie schmeckten. Selbst im Schlaf fand sie keine Ruhe, denn ihre Träume kreisten um ihn.

Er benahm sich auch nicht ausschließlich herrsch- und kontrollsüchtig. Sie hatte miterlebt, wie er einer mit Einkaufstaschen beladenen Frau die Tür aufgehalten hatte, wie er Straßenmusikern Geldscheine in den Gitarrenkoffer warf oder einem Obdachlosen eine großzügige Spende in die Hand drückte. Er war eine verwirrende Mischung aus hart und freundlich, schneidend scharf und weichherzig, und er faszinierte sie mit jedem Tag mehr.

„Das war’s für heute“, sagte Brady und riss sie aus ihren Gedanken.

Der Wind zerzauste sein dunkles Haar, und sie musste die Hände hinter dem Rücken verschränken, um es nicht glatt zu streichen. Er nahm die Sonnenbrille ab und legte sie auf den Tisch, an dem sie saßen. Das Straßencafé in Newport Beach war seit einigen Tagen ihr Stammlokal. Hier sprachen sie über ihre Neuerwerbungen und diskutierten weitere Pläne.

„Wirklich? Wir kaufen heute keine Tischdecken mehr?“

Brady grinste. „Haben Sie etwa keine Lust mehr zum Shoppen? Ich hätte nie gedacht, das jemals von einer Frau zu hören.“

„Dann bin ich eben die erste. Ich glaube, ich habe mein Quantum Shopping fürs gesamte Jahr erfüllt.“

„So geht’s mir auch. Es ist jedoch wichtig. Das Hotel muss bis ins Detail perfekt ausgestattet sein.“

Aine fand diese Einstellung bewundernswert, fragte sich aber zugleich, wie viel persönliche Verantwortung er für jeden Bereich des Geschäfts zu übernehmen bereit war.

„Ganz meine Meinung. Der vorige Eigentümer hat sich nie um solche Angelegenheiten gekümmert, daher sind Sie eine angenehme Überraschung für mich.“

„Er hat das Hotel letztendlich verloren.“

„So ist es.“

„Ich werde es nicht verlieren.“

Das glaubte sie ihm aufs Wort. Unwillkürlich fragte sie sich, wie es wäre, ein Leben zu führen wie er? Immer die Kontrolle zu haben. Nur rufen zu müssen, und die ganze Welt gehorchte aufs Wort. Sie war überzeugt, dass reiche Menschen nichts vom wirklichen Leben verstanden. Bradys Arroganz bestätigte sie in dieser Ansicht. Er erwartete, dass alles nach seinen Vorstellungen ging, und so geschah es auch. Hindernis überrollte er einfach. Er war nicht zu stoppen, ließ sich nicht ändern und erst recht nicht ignorieren.

Das fand sie faszinierend, es erschien ihr jedoch nicht immer richtig. Sie konnte ihn nicht ignorieren, wenn er bei ihr war, wenn er sie bei seltenen Gelegenheiten berührte. Wenn ihre Hände sich zufällig streiften, er ihr die Hand auf den Rücken legte, um sie durch einen der zahllosen Läden zu dirigieren, die sie in den vergangenen Tagen aufgesucht hatten. Es machte sie stolz, wenn er sie nach ihrer Meinung fragte oder wenn er sie gelegentlich betrachtete, als wäre sie geradewegs aus dem Himmel gefallen.

Diese und andere Augenblicke nährten die Träume, die sie morgens wie gerädert aufwachen ließen. Sie glaubte ständig am Rand eines Abgrunds zu stehen und beim kleinsten Stoß herabzufallen. Diese Gefühle waren jedoch ebenso sinnlos wie Träumen nachzuhängen, die niemals Wirklichkeit werden konnten. Eine tiefe Kluft trennte sie von Brady, unüberwindlich breit. Was hatte ein Mädchen aus einem winzigen Dorf in Irland schon gemein mit einem Multimillionär?

„Gibt es ein Problem?“, riss seine angenehm tiefe Stimme sie plötzlich aus ihren Überlegungen. „Sie sind plötzlich so still und sehen aus, als hätten Sie Sorgen.“

„Bin ich so leicht zu durchschauen?“

Um seine Mundwinkel zuckte es. „Pokern ist eher nicht Ihr Spiel.“

„Leider haben Sie recht.“ Aine seufzte. Er war nicht der Erste, der ihr die Gedanken an der Stirn ablesen konnte. Hoffentlich sah er nicht allzu genau hin, sonst müsste sie sich in Grund und Boden schämen. „Ein Problem habe ich nicht gerade, ich frage mich lediglich, was zu Hause vorgeht, während ich hier bin.“

„Sie leben mit Ihrer Mutter und Ihrem Bruder zusammen?“

„Jetzt fragen Sie sich bestimmt, warum eine Frau meines Alters das tut.“ Seufzend erklärte sie: „Ich bin mit zwanzig von zu Hause ausgezogen, habe mir eine eigene Wohnung im Dorf genommen und die Zeit dort genossen. So sehr ich meine Familie auch liebe … Vor fünf Jahren ist dann mein Vater gestorben.“

„Das tut mir leid.“

„Danke.“ Sie lächelte, um ihm zu verstehen zu geben, dass sie darüber hinweg war. Sie vermisste ihren Dad, doch der schlimmste Schmerz war vorüber. Mittlerweile konnte sie über ihn sprechen, an ihn denken, ohne dass ihr das Herz brach. „Er war Fischer. Eines Tages gab es einen heftigen Sturm. Er kehrte nie zurück. Meine Mutter war am Boden zerstört. Er war die Liebe ihres Lebens, sie waren Partner in allem gewesen. Sie war völlig verloren, also zog ich zurück und half ihr, für Robbie zu sorgen. Er war damals erst zwölf.“

„Das war bestimmt eine schwere Zeit.“

„Schon. Inzwischen geht es besser. Mom ist nicht mehr so traurig.“

„Sie haben Ihr Leben der Familie zuliebe auf Eis gelegt.“

Aine zuckte mit den Schultern. „Das macht man für die Menschen, die man liebt.“

Als er nachdenklich die Stirn runzelte, fragte sie sich, wieso er das nicht verstand. Gab es niemanden in seinem Leben, der ihm so viel bedeutete? Unwillkürlich tat er ihr leid.

„Vermissen Sie es?“

„Irland? Natürlich, es ist meine Heimat.“

„Erzählen Sie mir davon. Von Ihrem Dorf und dem Schloss.“

Um sie herum redeten und lachten andere Gäste an den Tischen, Kellner schlängelten sich geschickt durch das volle Restaurant, auf der Straße dröhnte der Verkehr, im Hintergrund brauste der Ozean, die Sonne strahlte vom blauen Himmel. Es war wunderschön, und Aine fühlte sich wohl. Zu Hause war sie hier jedoch nicht.

„Das Dorf ist winzig, dennoch gibt es dort alles zum Leben Notwendige. Was darüber hinausgeht, findet man in Galway, etwa eine Autostunde entfernt. Das Dorf ist hübsch, die Einwohner sind warmherzig und freundlich, zumindest wenn man sie durch meine rosa Brille betrachtet. Die schmalen Straßen sind von Fuchsien und Ginster gesäumt und …“

„Sind das Pflanzen?“, fragte er lachend.

„Dichte Hecken mit rosafarbenen und gelben Blüten in Frühjahr und Sommer. Manche Straßen sind so eng, dass kaum zwei Autos aneinander vorbeipassen. Übers Land verstreut liegen zahlreiche von Steinwällen eingefasste Bauernhöfe, Kuh- und Schafherden grasen auf den Weiden, und dann gibt es natürlich jede Menge Ruinen.“

Sie stützte die Unterarme auf die Tischplatte. „Es sind die Überreste alter Wehrtürme und Festungen. Steinkreise gibt es auch noch. In ihnen kann man, wenn man gut genug hinhört, das Echo von Stimmen aus der Vergangenheit hören. Der Himmel leuchtet in einem unglaublichen Blau, und die Wolken, die der Wind über den Atlantik heranweht, bringen entweder sanften Regen oder heftigen Sturm, der durch die Schlossmauern fährt. Das hört sich an, als würden verlorene Seelen um Rettung flehen.“

Einen Moment lang herrschte Stille, dann brach Brady den Zauber, den sie gewoben hatte. „Verlorene Seelen, die um Rettung flehen“, wiederholte er nachdenklich. „Das würde den Besuchern von Fate Castle gefallen.“

„Das ist alles, was Sie gehört haben? Etwas, das dem Geschäft nützt?“, fragte Aine fassungslos. Konnte er an nichts sonst denken?

„Nicht alles, aber mein Hauptaugenmerk gilt dem Geschäft. Deswegen sind Sie hier“, sagte er und zuckte die Achseln. „Hätte ich das Schloss nicht gekauft, würden Sie noch in Irland darüber nachgrübeln, wie das Hotel zu retten ist.“

Die Magie Irlands war an ihn offenbar verschwendet. „Sie reduzieren die Dinge gern auf das Wesentliche.“ Vermutlich sah er ihr die Verzweiflung an, doch das störte sie nicht. Sie ärgerte sich, weil er ihr altehrwürdiges Hotel, ein jahrhundertealtes Schloss, mit einem Achselzucken abtat.

Als er plötzlich auflachte, sah sie ihn verblüfft an. „Was ist so lustig?“

„Sie. Sie sind beleidigt wegen Ihres Schlosses.“

„Es ist nicht meins, sondern Ihres, wie Sie gern betonen.“

Er neigte den Kopf zur Seite. „In Ihren Erzählungen von Irland taucht kein Mann auf. Gibt es keinen, der sie besonders vermisst?“

Schlagartig wurde Aine bewusst, dass nur sie etwas von sich preisgab, während er für sie weiterhin ein Buch mit sieben Siegeln blieb. Vielleicht konnte sie im Gegenzug für Offenheit Informationen aus ihm herauspressen? „Nein“, gestand sie daher. „Es gibt derzeit keinen.“

„Derzeit?“

„Ich war verlobt.“ Verblüfft stellte sie fest, dass sie an Brian Feeny denken konnte, ohne Kummer oder Bedauern zu empfinden. „Er hat in Dublin gearbeitet. Soweit ich weiß, ist er inzwischen glücklich verheiratet.“

„Woran ist die Beziehung gescheitert?“

„Geht Sie das etwas an?“

„Nein.“

Aine lachte. „Also gut. Es war nichts Dramatisches. Brian hatte kein Verständnis, als meine Familie mich brauchte. Er meinte, ich zöge sie ihm vor.“

„Das verstehen wohl die wenigsten Männer.“

„Hätten Sie es verstanden?“

„Ich weiß zumindest, dass ich für die Ryans da wäre, wenn sie mich brauchten, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer. Genügt das als Antwort?“

„Aye, das tut es.“ Aine atmete tief durch. „Dass die Verlobung geplatzt ist, hat mir nicht das Herz gebrochen. Wahrscheinlich habe ich ihn nicht wirklich geliebt.“

Sie hatte Brian lieben wollen, es aber nicht geschafft. Würde sie jemals eine wahre Liebe finden, wie ihre Eltern sie erlebt hatten? Barg so eine Liebe nicht auch Risiken? Sie hatte erlebt, wie der Verlust ihre Mutter an den Rand des Abgrunds getrieben hatte. Insgeheim fragte sie sich, ob Liebe so großen Schmerz wert war?

„Vielleicht lag es gar nicht an Ihnen, sondern an Brian. Vielleicht war er ein Idiot?“

Verblüfft sah Aine auf. Sie musste lächeln. So hatte sie das noch nie betrachtet.

„Das war genug Tiefgang für heute, finde ich. Wollen wir spazieren gehen?“ Brady stand auf und reichte ihr die Hand.

Verblüfft sah Aine darauf. Sie zögerte einen Moment, ehe sie ihre hineinlegte. Der Mann trieb sie zur Weißglut und faszinierte sie zugleich. Als ihre Hände sich berührten, jagte ein Stromstoß ihren Arm hinauf. Sie musste sich beherrschen, um nicht zurückzuzucken. „Gern. Die frische Luft wird uns guttun.“

„Gehen wir zum Pier“, schlug er vor und umfasste ihre Finger fest. „Sie können den Pazifik betrachten und sich vorstellen, es wäre der Atlantik.“

5. KAPITEL

Einen Spaziergang mit Brady hielt Aine eigentlich für keine kluge Idee. Ihr schwirrte der Kopf, wenn er nur an ihrer Seite war. Dennoch willigte sie ein. Vielleicht würde die Seeluft das Feuer kühlen, das in ihr brannte.

Doch nicht nur das ungewohnte Verlangen, sondern auch der Verkehrslärm und das Menschengewirr ringsum irritierten sie. Sie war die Stille des ländlichen Irlands gewöhnt. Daher atmete Aine erleichtert durch, als sie den Pier erreichten. Hier waren lediglich das Brausen der Wellen, die Schreie der Möwen und das Quietschen des Steges zu hören. Genüsslich sog sie die salzige Luft ein und hob das Gesicht dem Himmel entgegen.

„Sie sehen zum ersten Mal seit Ihrer Ankunft völlig entspannt aus“, stellte Brady fest.

„Das liegt am Meer. Die Wellen sind zwar weniger wild als zu Hause, der gleichmäßige Rhythmus tut mir dennoch gut nach dem Straßenlärm. Hätte ich ständig so viele Menschen um mich, würde ich den Verstand verlieren.“

„Ich dagegen würde durchdrehen, wenn es um mich herum immer ruhig wäre.“

„Ist das der Grund, aus dem Sie Ihr Schloss nicht persönlich in Augenschein genommen haben?“

„Ich hatte keine Zeit, außerdem sind jetzt Sie hier, um mir Bericht zu erstatten.“

„Sind Sie denn kein bisschen neugierig?“ Durch den Wind wurde ihr Haar verweht, und sie strich sich einzelne Haarsträhnen hinters Ohr.

„Nein.“

„Sie geben Millionen für ein Schloss aus, investieren noch mehr, um es nach Ihren Vorstellungen umzubauen, und haben nicht das Bedürfnis, es zu sehen?“

„Falls Probleme auftauchen, die Sie nicht bewältigen können, werde ich darüber nachdenken.“ Er neigte den Kopf zur Seite. „Gibt es solche Probleme?“

„Bislang nicht.“

„Dann habe ich die richtige Managerin.“

„Das denke ich auch.“ Seine Haltung verstand sie dennoch nicht. Er widmete sich dem Projekt hingebungsvoll, wollte aber keinen persönlichen Anteil daran nehmen. Hing das damit zusammen, dass er sein irisches Erbe leugnete? Wollte er das Schloss nicht besuchen – oder Irland? „Ich frage mich …“

„Wenn eine Frau das sagt, bedeutet es nie etwas Gutes“, warf Brady ein.

Sie lächelte. „Sie haben einmal gesagt, das einzige Irische an Ihnen wäre Ihr Name.“

„Ja.“ Er erstarrte sichtlich.

„Was bedeutet das?“

Erst glaubte sie, er würde nicht antworten. Er sah eine ganze Weile aufs Meer hinaus, während Aine schweigend wartete.

„Es heißt, dass ich nicht mit irischen Legenden aufgewachsen bin wie Sie. Auch nicht mit irischer Musik oder dem Nationalstolz der Ryans.“ Er umfasste das Geländer des Piers und stemmte sich gegen den Wind, der ihm das dunkle Haar aus dem Gesicht blies. „Ich bin aufgewachsen …“ Er brach ab. „Egal. Ein Name ist ein Name, nichts weiter. Irland ist mir so fremd wie Ihnen Amerika.“ Er sah finster drein, als hätte er mehr gesagt, als ihm lieb war.

„Wurden in Ihrer Familie keine Traditionen gepflegt? Woher stammte sie?“, hakte sie neugierig nach, obwohl sie merkte, dass er das Thema lieber fallen gelassen hätte.

„Ich habe keine Familie.“ Sein Ton ließ keine weiteren Fragen zu.

Aine konnte sich ein Leben ohne Angehörige, ohne feste Basis, auf die man ein Leben aufbauen konnte, gar nicht vorstellen. Brady tat ihr leid, obwohl er auf ihr Mitleid gewiss gern verzichtet hätte. Dazu war er zu stolz.

„Dennoch besitzen Sie jetzt ein Schloss in Irland.“

„Das bedeutet nichts.“ Nachdem er seine Gedanken sortiert hatte, fuhr er fort. „Ich habe in den letzten Tagen Sie beobachten und gut einschätzen gelernt.“ Mit dem Ozean im Hintergrund wirkte er wie ein Pirat. Der Kragen seiner schwarzen Bomberjacke war gegen den Wind aufgestellt, das Haar wehte ihm verwegen ums Gesicht. Sein Anblick raubte ihr den Atem.

„Und was meinen Sie, wie ich bin?“, fragte sie, als sie wieder Herr der Lage war.

„Sie sind ebenso zielstrebig und entschlossen, Ihr Bestes zu geben, wie ich. Dabei macht es Sie fast wahnsinnig, dass Sie das Schloss nur retten können, indem Sie das, was Sie als seine Seele betrachten, verändern.“

Nervös trat Aine von einem Fuß auf den anderen. Dass er sie so leicht durchschaute, war ihr unangenehm, zumal er für sie ein Buch mit sieben Siegeln blieb.

„Ich werde darum ringen, dass sein Herz und seine Seele erhalten bleiben. Aber Sie fällen die letzte Entscheidung, es gehört Ihnen. Es wäre sinnlos, Sie zu bekämpfen.“

„Und wenn es das nicht täte?“

„Was?“ Verblüfft sah sie ihn an. Er stand im Gegenlicht, die Sonne umkränzte seine Konturen mit goldenem Licht. Seine Miene, seine Augen konnte sie jedoch nicht erkennen und nicht darin lesen, was er dachte.

„Wenn das Schloss nicht mir gehörte …“ Er trat einen Schritt näher, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Schlagartig fühlte sich ihr Mund an wie ausgetrocknet, ihr Magen verkrampfte sich. Sie schnappte nach Luft, rang um Atem.

Nun war er ihr so nahe, dass sie die Wärme seines Körpers spüren konnte. Sie standen ganz allein am Ende des Piers, nichts als der Ozean und weiße Wolken am Himmel, durch die sich vereinzelte Sonnenstrahlen verirrten, war zu sehen. Der Wind vom Meer her frischte auf und schien sie aufeinander zuzutreiben.

Aine schluckte und beschloss, ihrem Fluchtinstinkt nicht zu folgen, obwohl es vermutlich klüger gewesen wäre zurückzuweichen. „Dann wäre ich nicht hier.“

„Umso besser, dass es mir gehört, oder?“

„Vermutlich.“ In diesem Moment erschien es ihr tatsächlich wunderbar, dass er sie zu sich geholt hatte, an diesen einsamen Ort.

„Und das, was da zwischen uns knistert? Ist das auch gut?“, fragte er so leise, dass es über dem Brausen des Ozeans kaum zu hören war.

Aine spürte, wie sie errötete, und hoffte, er bemerkte es nicht. Sie reagierte so schnell, so heftig auf ihn wie auf keinen anderen Mann zuvor. Auf seine Frage, ob ihr gefiel, was zwischen ihnen vorging, wusste sie jedoch keine Antwort. Die war ohnehin nicht nötig. Es existierte etwas, das sich nicht länger ignorieren ließ. Darüber sprechen wollte sie aber nicht, schon gar nicht mit ihm.

„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden …“

„Tun Sie nicht so“, schnitt er ihr das Wort ab. „Wir spüren es doch beide, vom ersten Tag an.“ Er legte eine Hand auf ihre Rechte, die auf dem Geländer lag.

Die Berührung schien sie zu verbrennen. Aine meinte innerlich zu verglühen. Sie wusste, sie konnte ihre Gefühle nicht länger leugnen. „Also gut, da ist etwas …“

„Seit über einer Woche verbringen wir jeden Tag zusammen. Es ist höchste Zeit, darüber zu reden.“

Autor

Maureen Child
<p>Da Maureen Child Zeit ihres Lebens in Südkalifornien gelebt hat, fällt es ihr schwer zu glauben, dass es tatsächlich Herbst und Winter gibt. Seit dem Erscheinen ihres ersten Buches hat sie 40 weitere Liebesromane veröffentlicht und findet das Schreiben jeder neuen Romance genauso aufregend wie beim ersten Mal. Ihre liebste...
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