Romana Extra Band 75

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LAVENDELDUFT UND SÜßE KÜSSE von LANCASTER, PEGGY
In der malerischen Provence begegnet Rebecca dem geheimnisvollen Landgutbesitzer Jean. Eigentlich ist er der Feind ihrer besten Freundin. Aber seine Küsse sind so süß wie der Duft des Lavendels. Bald geschieht etwas, woran Rebecca nicht mehr geglaubt hat: Sie verliebt sich!

ZÄRTLICHE WEIHNACHT IN VENEDIG von YAYE, PAMELA
Zoe ist entrüstet: Glaubt der italienische Millionär Romeo Morretti ernsthaft, er könnte sie mit luxuriösen Geschenken kaufen? Das funktioniert bei ihr nicht! Es ist so viel einfacher, sie zu verführen. Er muss ihr nur gestehen, dass er sich genauso heftig nach Liebe sehnt wie sie …

SCHNEE, EIS UND EIN TRAUMMANN von COLTER, CARA
Ein gutaussehender Fremder mit einem Baby auf dem Arm stand eigentlich nicht auf Emmas Wunschliste. Aber in ihrer weihnachtlich geschmückten Pension ist noch ein Zimmer frei. Und in ihrem einsamen Herzen ein Platz für zwei besondere Menschen …

ICH SCHENK DIR MEIN HERZ, GELIEBTE von CHRISTENBERRY, JUDY
Das erste Weihnachten ohne ihre Eltern: Sally ist traurig. Doch inmitten der bittersüßen Vorweihnachtszeit betritt der attraktive Hunter Bedford ihren Laden, und zum Fest der Liebe küsst er sie. Aber wird er bei ihr bleiben?


  • Erscheinungstag 27.11.2018
  • Bandnummer 0075
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744441
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Peggy Lancaster, Pamela Yaye, Cara Colter, Judy Christenberry

ROMANA EXTRA BAND 75

PEGGY LANCASTER

Lavendelduft und süße Küsse

Landgutbesitzer Jean Bertrand findet die hübsche Rebecca bezaubernd! Unter dem tiefblauen Himmel der Provence küsst er die junge Engländerin. Auch wenn er weiß, dass es nicht für immer sein kann …

PAMELA YAYE

Zärtliche Weihnacht in Venedig

Das hat Romeo noch nie erlebt: Zoe gibt ihm seine Geschenke zurück! Was wünscht sie sich denn bloß? Das erkennt der erfolgsverwöhnte Millionär erst, als er mit Zoe ins weihnachtliche Venedig reist …

CARA COLTER

Schnee, Eis und ein Traummann

Inmitten eines Schneesturms erreicht Ryder die kleine Pension – und steht plötzlich vor einer hinreißenden Frau. Obwohl er Weihnachten nie mochte, entführt Emma ihn mit einem Kuss in ein Wintermärchen …

JUDY CHRISTENBERRY

Ich schenk dir mein Herz, Geliebte

Mit Sally die Vorweihnachtszeit zu genießen ist für Hunter wie ein Geschenk. Doch auch er hat etwas für sie, als sie zusammen in Sallys Haus einschneien – zärtliche Küsse zum Fest der Liebe …

1. KAPITEL

Nicht mal auf dem Weg durch die Wolken machte das Londoner Schmuddelwetter vor Rebecca Halt. Als die Stewardess darum gebeten hatte, die Sicherheitsgurte zu schließen, hätte Rebecca es am liebsten gelassen. Es fiel ihr schwer, sich um die eigene Sicherheit zu sorgen, während sie den Menschen, der ihr Leben war, gerade verloren hatte!

Als das Flugzeug die Wolkendecke durchstieß, hörte zwar der Regen auf, gegen die kleine, runde Fensterscheibe zu peitschen, aber Rebeccas Tränen flossen weiter.

Ma petite, wir landen gleich in Frankreich. Egal, welches Unglück auf Ihrem Herzen lastet, in Marseille kann es nur besser werden“, raunte ihr die ältere Dame neben ihr zu, deren graue Haare in perfekte Wellen gelegt waren. Ganz anders als Rebeccas aschblondes Haar, das sich vorwitzig aus ihrem locker hochgesteckten Dutt schlich, sodass sich die Frisur jeden Moment aufzulösen drohte.

Fast trotzig wiederholte Rebecca den Satz ihrer Sitznachbarin in Gedanken. Egal, was passiert war, es konnte nur besser werden. Und es war eine Menge passiert! Aber all das wollte sie in der Provence vergessen. Rebecca schloss die Augen und träumte sich in das malerische Dorf Cordes, das von Lavendelfeldern und Olivenhainen umgeben war. Wie glücklich war sie damals gewesen, als sie dort während eines Schüleraustausches bei Ana und ihrer Mutter gelebt hatte! Das war jetzt fast zehn Jahre her, aber dennoch war Ana für sie immer noch wie eine Schwester, der sie regelmäßig ihr Herz ausschüttete. Wie schön fühlte es sich an, eine Freundin zu haben, die ihr trotz Tausender Kilometer Entfernung nicht nur bei jedem Telefonat zuhörte, sondern ihr auch ein neues Zuhause auf Zeit anbot. Und was für ein Zuhause! Lieblich, mit dem Meer an lilafarbenen Blüten, das die Julisonne gerade wach geküsst haben musste. Wild, mit den kargen Felsen, die sich dem Blick in den Weg stellten, wenn er in die Ferne schweifen wollte. Ja, Rebecca glich selbst diesem einzigartigen Landstrich. Ihr Wesen war einerseits sanft und um Harmonie bemüht, aber wehe, jemand, den sie gern hatte, wurde ungerecht behandelt! Dann stellte sie sich in den Weg wie eben diese grauen Felsketten!

Die Dame neben ihr reichte ihr ein Taschentuch. „Also sagen Sie schon, was ist passiert?“

„Ich habe wirklich geglaubt, dass Tom und ich unser Leben miteinander verbringen würden. Als er mich in unser Lieblingsrestaurant eingeladen hat, um mit mir etwas Wichtiges zu besprechen, war ich mir sicher, dass er mir einen Heiratsantrag machen wird“, schluchzte Rebecca leise. Bei dem Gedanken an diesen Abend, zog sich ihr Herz zusammen.

„Und was ist stattdessen passiert?“, fragte ihre Sitznachbarin. Obwohl sie sehr neugierig war, empfand Rebecca sie überhaupt nicht als aufdringlich. Im Gegenteil, es lenkte sie ein wenig von ihrem Kummer ab.

„Er hat mir noch vor der Hauptspeise verkündet, dass Schluss sei. Ich hätte mich doch ohnehin nur noch mit meiner Arbeit beschäftigt. Ich wäre also selbst schuld daran, dass er sich in eine andere verliebt hat“, antwortete Rebecca.

Die Erinnerung daran glich noch immer einer kalten Eisenkette, die sich um ihre Brust schnürte. Lange hatte Rebecca all die kleinen Zurückweisungen von ihm geduldig hingenommen, jedes Mal war ihr eine Entschuldigung für ihn eingefallen, wenn er selbst gereizt war oder sich immer mehr zurückgezogen hatte, aber die letzte große Abweisung hatte ihrem Herzen den Todesstoß versetzt. Dass jetzt überhaupt noch eine Träne aus ihren graublauen Augen floss, glich fast einem Wunder.

Als die Stewardess den Rollwagen mit Sandwiches den engen Mittelgang entlangschob, wurde Rebecca schon beim Gedanken an Essen flau im Magen. Der Kummer hatte ihr allen Appetit genommen.

Die alte Dame schüttelte den Kopf. „Wenn ich so einen Schürzenjäger in die Finger bekommen würde …“

Obwohl Rebecca zum Heulen zumute war, musste sie über den altmodischen Begriff schmunzeln.

„Weinen Sie diesem Halunken keine Träne nach. Sie haben etwas Besseres verdient! Und warten Sie nur ab, ich habe im Gespür, dass Sie bald den Richtigen treffen werden!“

Auch wenn Rebecca wusste, dass ihre Sitznachbarin das nur sagte, um sie aufzumuntern, empfand sie diesen Gedanken als tröstlich.

„Vielleicht bin ich irgendwann bereit für einen neuen Mann. Aber jetzt möchte ich in der Provence erst mal wieder zur Ruhe kommen“, sagte Rebecca mehr zu sich selbst.

Sie war aus London geflüchtet, um Tom zu vergessen, und doch war es zuerst sein Aftershave, das ihr inmitten all der luxuriösen Schachteln und Flakons im Duty-free-Shop am Flughafen von Marseille auffiel. Und als wäre der Anblick der schwarz-silbernen Verpackung, die sie jahrelang in Toms Bad gesehen hatte, nicht genug, träufelte ein junger Mann sich das parfümierte Wasser auf das Handgelenk und ließ seine Freundin daran schnuppern. Der herbe Duft katapultierte Rebecca direkt in die Vergangenheit. Und das glückliche Lächeln der beiden erinnerte sie noch schmerzhafter an alles, was sie verloren hatte. Sie musste hier weg. Wo war denn die Süßwarenabteilung? Ana liebte Pralinen, und Rebecca hatte die englischen Toffees auf dem Küchentisch ihrer Eltern vergessen, bei denen sie eine Weile in ihrem alten Kinderzimmer untergekommen war, nachdem Tom sie vor die Tür gesetzt hatte.

Suchend lief sie zwischen all den hektischen Geschäftsleuten und fröhlichen Touristen durch die Gänge des Shops und nahm auf einmal einen anderen Duft wahr. Einen, der sie beruhigte. Sie schloss kurz die Augen, um durchzuatmen. Das war Lavendel. Es musste ein Zeichen sein – schließlich würde sie in der Lavendelmanufaktur, die Ana betrieb, zur Ruhe kommen und ihr gebrochenes Herz heilen können. Sie öffnete wieder die Augen und schaute auf das Verkaufsregal, über dem ein Schild mit lilafarbener Schrift befestigt war:

Die beliebtesten Andenken aus der Provence – dem Land des blauen Goldes

Darunter standen hübsch verpackte Seifen, Duftsäckchen und Kissen, Öle, Tees und sogar Likör mit Lavendelgeschmack. Rebecca nahm ein kleines Kissen in Herzform und mit Karomuster in die Hand und roch daran, als müsse sie alles tun, um den Geruch von Toms Aftershave zu überdecken.

„Jetzt sagen Sie nicht, dass Ihnen so ein Touristenkitsch gefällt. Lavendel. Lavendel ist etwas für Großmütter oder amerikanische Touristen“, riss eine männliche Stimme sie aus ihren Gedanken.

Der zynische Ton des Fremden hätte sie am liebsten entgegnen lassen, dass er wohl ganz dringend eine große Portion des beruhigenden Krautes bräuchte. Aber als sie hochblickte und in zwei tieftraurige dunkle Augen sah, ahnte sie, dass dieser Mann genauso verletzt worden war wie sie. Er schien ein paar Jahre älter zu sein, feine Fältchen umrahmten seine Augen. Rebecca konnte ein paar einzelne graue Haare in seinen dichten dunklen Locken erkennen. Vielleicht wusste er selbst noch gar nichts davon? Er sah extrem gut aus, aber auf eine lässige Art, die zeigte, dass er Besseres zu tun hatte, als stundenlang vor dem Spiegel zu stehen. Sein Körper wirkte selbst in dem Anzug und dem weißen Hemd athletisch, die Haut leicht gebräunt. Wahrscheinlich verbrachte er viel Zeit im Freien beim Wandern oder Klettern, dachte Rebecca unwillkürlich. Der Koffer, den er neben seinen Füßen abgestellt hatte, sah nicht danach aus, als würde sein Besitzer sich allzu lange in Marseille aufhalten wollen.

„Ich mag Lavendel. Sehr sogar, und ich bin weder eine Großmutter noch eine amerikanische Touristin – wobei ich auch nicht weiß, was Sie gegen amerikanische Touristen haben“, konterte Rebecca dem fremden Mann und hielt seinem Blick stand.

„Nichts, solange sie nicht zu der Sorte gehören, die auf so einen Nepp hereinfallen!“

Er zeigte auf das Lavendelkissen, das sie immer noch in der Hand hielt. Rebecca hatte nicht vorgehabt, es zu kaufen, aber auf einmal wollte sie es haben, nur um diesem Mann zu zeigen, dass er keine Ahnung hatte.

„Mir gefällt es!“, sagte sie fast trotzig, legte das Herz in den kleinen Einkaufskorb an ihrem Arm und drehte sich in die entgegengesetzte Richtung, um weiter zum Schokoladenregal zu ziehen. Ana würde bestimmt schon vor dem Flughafen auf sie warten.

„Und was sind Sie?“, rief er ihr nach. Rebecca drehte sich wieder um. Sie konnte nicht erklären warum, aber ihr wurde warm ums Herz, als sie sah, dass die Traurigkeit in seinen Augen einem spitzbübischen Lächeln gewichen war. Sein klassisch geschnittenes Gesicht hatte etwas Jungenhaftes.

„Was glauben Sie denn, was ich bin?“ Sie blieb nicht nur stehen, sondern ging auch wieder auf ihn zu, den Einkaufskorb in der einen, den großen Koffer in der anderen Hand.

„Engländerin? Ihr Akzent verrät Sie! Auch wenn Sie ziemlich gut Französisch sprechen“, entgegnete er, wobei sein arroganter Blick immer weicher wurde.

„Stimmt. Ich komme aus London.“ Rebecca betrachtete den Mann, der sie einfach so angesprochen hatte. Ob er das öfter tat? Sie konnte es sich nicht erklären, aber sie mochte diesen Mann vom ersten Augenblick an.

„Und Sie möchten hier Urlaub machen?“

Rebecca bemerkte, dass ihr Gegenüber einen Blick auf seine teure Armbanduhr warf. Wahrscheinlich hatte er einen Termin.

„Ich möchte Sie nicht aufhalten“, antwortete sie knapp.

„Ich lasse mich gerne aufhalten. Der Grund, aus dem ich heute in Marseille gelandet bin, ist kein schöner“, antwortete er wieder mit Trauer im Blick.

Bevor Rebecca danach fragen konnte, ergriff er das Wort. „Also warum sind Sie hier?“

Eigentlich wollte sie nur antworten, dass sie in der Provence bei ihrer Freundin arbeiten würde. Stattdessen sprudelte der eigentliche Auslöser dieses Neuanfangs aus ihr heraus: „Ich bin hier, um jemanden zu vergessen.“

Das grelle Neonlicht in dem Shop schien unbarmherzig in ihr Gesicht. Rebecca kam sich auf einmal ganz nackt vor. Sie hatte dem fremden Mann gerade einen Blick in ihre Seele gewährt. Und dennoch fühlte es sich gut an.

„Das kann nicht funktionieren. Ich bin jahrelang fort gewesen, um etwas zu vergessen, und denke dennoch jeden Tag daran“, sagte er mit einer Stimme, die Rebecca einen Schauer durch den ganzen Körper laufen ließ.

„Und trotzdem wünsche ich Ihnen von Herzen, dass Sie über ihn hinwegkommen. Sie haben den besten Mann verdient, den es geben kann. Ich wünsche Ihnen alles Gute.“ Als hätte er es nun doch eilig, streckte er ihr die Hand entgegen, um sich zu verabschieden, obwohl sie sich doch gar nicht kannten. Rebecca legte ihre Finger um seine. Und sie hielten einander länger fest, als es üblich war.

Hatte seine Stimme sie schon erschauern lassen, so entfachte seine Berührung in ihr eine Sehnsucht, die sie für tot gehalten hatte.

Frag mich, ob wir uns wiedersehen, betete sie. Du könntest mir helfen, ihn zu vergessen. Und ich könnte dir helfen, deinen Kummer zu vergessen, was immer es auch sein mag.

Bevor sie ihre Gedanken aussprechen konnte, tauchte in dem Gang plötzlich eine attraktive Frau auf, die ungefähr in seinem Alter sein musste. Ihr schwarzer Bob war akkurat geschnitten, sie hatte das Gesicht einer Frau, die wusste, dass sie alles haben konnte. Perfekt geschminkt und selbstbewusst.

„Da bist du ja, mon cœur!“

Rebecca ließ die Hand des Mannes los, als sie bemerkte, wie die elegante Frau ihn ansah, während sie auf ihn zusteuerte. Mon Cœur. Mein Herz. Ich bin eine Idiotin, dachte Rebecca.

„Ich habe dich schon gesucht!“, rief die Schwarzhaarige ihm zu, ohne Rebecca zu beachten. Auf einmal kam sie sich nicht nur schäbig vor, weil sie mit einem offensichtlich vergebenen Mann geflirtet hatte. Nein, sie fühlte sich auch noch schrecklich unscheinbar in ihrer Jeans und der weißen Bluse, die vom Flohmarkt stammte. Wahrscheinlich hatte die Frau sie nicht mal bemerkt. Was auch besser so war. Ja, Rebecca fühlte sich unsichtbar mit ihrem aschblonden, locker zusammengebundenen Haar und den ungeschminkten blaugrauen Augen.

Sie sah dem Paar hinterher. Die Frau mit dem perfekten Bob hatte sich bei dem Mann untergehakt, von dem Rebecca gerade noch gehofft hatte, dass er ihr Seelenverwandter wäre. Sie schritt sehr sicher auf ihren High Heels. Ihr edles Samtkostüm, das ihren schmalen, geraden Rücken betonte, ließ Rebeccas Aufmachung noch trister wirken. Trotzdem war es gut, dass die Seifenblase, die für ein paar Minuten in ihrem Blickfeld ausgeharrt hatte, zerplatzt war. Sonst hätte sie bestimmt an nichts anderes denken können, als daran, ob sie diesen schönen Mann, der es geschafft hatte, ihr Herz zu berühren, je wiedersehen würde.

In diesem Moment drehte er sich um, suchte ihren Blick und lächelte sie an. Doch Rebecca wandte sich ab. Hastig legte sie das Lavendelkissen wieder ins Regal und entschied sich für eine Schachtel Nougatpralinen für ihre Freundin.

Rund zwei Stunden später saß Rebecca bei einem Café au Lait und einem Teller Eclairs in Anas Küche. Eigentlich hatte Rebecca nur aus Höflichkeit zu dem Gebäck gegriffen, aber schon der erste Bissen war so köstlich, dass sie jetzt spürte, was für einen Hunger sie in Wirklichkeit hatte. Der sonnendurchflutete Raum war im gemütlichen Landhausstil eingerichtet. Anas Wohnung lag in einem der jahrhundertealten Sandsteinbauten des kleinen, hübschen provenzalischen Dorfes Cordes, das nicht weit von dem berühmten mittelalterlichen Ort Moustiers-Sainte-Marie entfernt war.

„Ach Rebecca, es ist so schön, dich endlich wieder hierzuhaben! Und wenn das nicht Schicksal ist! Ich habe so dringend nach einer Unterstützung in meiner Lavendelmanufaktur gesucht, und da schickt mir der Himmel nicht irgendwen, sondern meine Freundin!“

Rebecca drückte Anas Hand.

„Danke, du kannst dir gar nicht vorstellen, was es für mich bedeutet, dass du mich aufnimmst.“ So aufrichtig Rebecca diese Worte auch meinte, die Nachdenklichkeit in ihrer Stimme war für Ana nicht zu überhören.

„Kann dich nicht mal der Genuss dieses leckeren Gebäcks von deinem Liebeskummer ablenken? Tom war es nicht wert!“, versuchte Ana sie zu trösten. „Du bist hier, um einen Neuanfang zu wagen. Vergiss den Typ. Oder weine dich bei mir aus und vergiss ihn dann!“

Rebecca seufzte und lächelte. „Du hast recht! Ich sollte nach vorne schauen. Ich freue mich sehr darauf, mit dir zusammenzuarbeiten!“

„Ich mich auch! Wir werden ein unschlagbares Team sein. Eine Sache muss ich dir noch sagen, von der ich nichts ahnte, als wir den Entschluss gefasst haben, dass du mich hier unterstützt“, sagte Ana und schob ihre Porzellantasse beiseite.

Rebecca sah sie gespannt an.

„Letzte Woche ist mein Verpächter ganz überraschend an einem Herzinfarkt gestorben. Er hat mir all die Jahre die Lavendelfelder und die kleine Manufaktur immer zu einem Spottpreis überlassen. Es könnte sein, dass sein Erbe mehr verlangt. Das bedeutet, dass wir beide alles geben müssen, damit der Laden gut läuft.“

Rebecca nickte Ana aufmunternd zu. „Das werden wir! Und ich habe schon Ideen, was wir noch alles herstellen könnten. Wir könnten auch nach England liefern. In London sind alle ganz wild auf provenzalische Produkte!“

Nachdem Rebecca das alte Dorf mit seinen verwinkelten Gassen bereits wunderschön fand, raubte ihr der Anblick des Lavendelfeldes, das sich in sanften Wellen über die Ebene zog, schier den Atem. Das violette Blütenmeer strahlte vor dem Hintergrund einer grauweißen Gebirgskette. Mandel- und Olivenbäume säumten den Weg, der um das Feld herumführte. Ana wollte ihr, so schnell es ging, die kleine Manufaktur zeigen, die hier am Rande des Lavendelmeers lag, doch Rebecca konnte den Blick nicht von dem dicht gewebten Blütenteppich abwenden. Sie ging in die Knie, um den Duft, der über dem Feld schwebte, besser einatmen zu können, und schloss die Augen. Ein betörendes Summen drang in ihre Ohren. Sie schreckte hoch, als etwas sie am Nacken kitzelte. Als sie genauer auf die Blütendolden sah, musste Rebecca lachen. Na klar, die Bienen.

Ana hatte ihren Blick auf die fleißigen Insekten bemerkt. „Ich glaube, deine Haare sind für die Bienen genauso verlockend wie der Lavendel, dabei sollen sie sich doch darauf konzentrieren, Pollen für den Lavendelhonig zu sammeln“, sagte sie und lachte, während sie vorsichtig zwei Bienen verscheuchte, die sich in Rebeccas Haar verirrt hatten. In der Sonne schimmerte es golden statt aschblond, als komme ihr wahrer Glanz erst hier zur Geltung.

„Danke“, sagte Rebecca, „es ist so wunderschön hier!“

„Ja, und deshalb möchte ich hier auch nie wieder weg. Kennst du die Legende darüber, wie die Provence entstanden ist?“, fragte Ana, die hier auch ihre Kindheit verbracht hatte.

„Nein, aber erzähle mir davon“, forderte Rebecca ihre Freundin auf und sog noch einmal den Duft des Lavendels ein.

„Als Gott die Sonne, die Erde, das Meer und die Berge erschaffen und alles verteilt hatte, merkte er, dass er von allem noch etwas übrig hatte – und schuf damit die Provence“, verkündete Ana pathetisch.

„Ein Meer sehe ich hier nicht“, scherzte Rebecca.

„Ach komm, es gibt hier Seen und Flüsse, und Marseille mit seinem gigantischen Hafen ist doch um die Ecke“, konterte Ana.

Rebecca nickte. Außer einem Blick aus dem Flugzeugfenster in Marseille hatte sie vom Meer bisher nichts erhascht. Aber wenn die Zeit es zuließ, könnten sie bestimmt den einen oder anderen Ausflug dorthin machen. Nun mussten sie jedoch den Laden für Kunden öffnen, sie hatten heute Morgen in Anas Küche schon genug getrödelt. Und schließlich war Rebecca ja auch in die Provence gereist, um bei Ana zu arbeiten.

Im Inneren der kleinen Manufaktur fühlte sich Rebecca wie im Paradies. Das alte Sandsteingebäude lag direkt an dem Lavendelfeld unweit einer schmalen Straße, die zum Dorf führte. Der eine Teil des Gebäudes diente als Laden, in dem es nicht nur Souvenirs zu kaufen, sondern auch eine gemütliche Sitzecke zum Verweilen gab. Und kaum ein Kunde konnte der Versuchung widerstehen, dort einen Kaffee zu trinken und etwas von den kleinen Köstlichkeiten zu naschen, die Ana anbot. Heute waren es eine Mutter und deren kleine Tochter, die zuerst auf den weiß getünchten Stühlen Platz nahmen, nachdem sie Massageöle und Badeseife ausgesucht hatten.

„Darf ich Ihnen die Sachen als Geschenk einpacken?“, fragte Ana, als wäre sie schon immer in dem Geschäft.

„Sehr gerne! Sie sind für meine beste Freundin. Sie sagt, es gäbe nichts Entspannenderes als Ihre Produkte. Und diese Macarons!“ Die Mutter biss in das knusprig zarte Plätzchen, das im Lavendelfarbton leuchtete.

„Herrlich! Ich wusste gar nicht, dass man Lavendel auch in Süßspeisen verwenden kann“, fügte sie hinzu.

„Und ob“, antwortete Ana, „wie viele Blüten. Sie sollten auch mal meine Veilchen- oder Rosenmacarons kosten!“

„Das mache ich. Am liebsten würde ich Ihnen in Ihrer Zauberküche mal über die Schulter schauen.“

Rebecca band gerade noch eine violette Schleife um das Geschenk und reichte das Paket der Kundin. Dann schaute sie erst das kleine Mädchen und dann Ana fragend an, und Ana nickte. Sie verstanden sich eben wortlos.

„Darf ich Ihrer Tochter noch einen Lavendelzuckerlutscher schenken?“

Die Mutter nickte, und das Mädchen mit den geflochtenen Zöpfen strahlte.

„Und jetzt führe ich Sie in meine Zauberküche. Komm, Rebecca, wir zeigen den beiden Damen, was wir so machen, wenn wir nicht im Laden stehen.“

Alle drei folgten Ana in den Nebenraum, der fast doppelt so groß war. Dort gab es eine Küchenzeile aus Edelstahl, einen großen alten Holztisch, auf dem ebenfalls eine Edelstahlplatte eingelassen war, jede Menge Gerätschaften, Töpfe und Tiegel. Und es roch noch intensiver nach ätherischen Blütenölen als in dem Ladenlokal.

Daneben befand sich ein Lagerraum mit deckenhohen Regalen, die aber nie voll wurden, weil der Umsatz so groß war.

„Wusstest du, dass man Seife auch kochen muss?“, fragte Ana das kleine Mädchen, das sich mit glänzenden Augen umschaute.

„So wie Nudeln?“

„Eher wie die Soße.“ Ana lachte. „Schau mal, mit diesem Löffel rührt man die Seifensuppe um.“

Dann öffnete sie eine Schublade mit unterschiedlichen Förmchen, die Rebecca an Weihnachtskekse denken ließen.

„Und hiermit kann man die Seife in alle möglichen Formen gießen. Egal, ob in Sterne, Blumen, Hasen oder hier“, sie hielt eine Form hoch, „sogar in Tauben.“

„Wie schön! Das will ich auch mal machen!“, sagte das Mädchen.

„Möchte ich, heißt das“, rügte die Mutter streng.

Rebecca fragte sich, was denn so schlimm daran war, etwas zu wollen. Natürlich kann man nicht alles haben, dachte sie, aber wenn ich mal öfter darauf gehört hätte, was ich eigentlich will, wäre meine Beziehung nicht so katastrophal gelaufen.

Schnell schob sie den Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf ihr neues Leben. Hier war es traumhaft. In dem kleinen alten Dorf in der Provence lagen die Hektik und der Lärm Londons weit entfernt. Die Sonne schien es auch besser mit dem französischen Örtchen zu meinen, die Luft war klar, die meisten Bäume höher als die Häuser. Ja, hier würde sie zur Ruhe kommen.

2. KAPITEL

Jean saß in dem Büro seines Vaters, einem der wenigen modernen Gebäude am Rande von Cordes, und wartete auf seinen Termin. Das dunkelgraue, glatt verputzte Bauwerk mit den großen Glasfronten und dem flachen Dach wirkte beinahe futuristisch im Gegensatz zu den bunten und beigen Häusern, die es umgaben. Deren Fenster waren klein, ihre Dächer schief und mit roten Dachziegeln überzogen, und auf den kurzen Treppen vor den Hauseingängen saßen Kinder oder hatten sich Katzen zusammengerollt. Die Wohnungen der tausend Einwohner des historischen Städtchens drängten sich an dem dicht bebauten Ortskern. Wahrscheinlich hatten die Menschen früher so eng gebaut, um gegen das unberechenbare Wetter oder Angriffe von Feinden besser gewappnet zu sein. Von Weitem erinnerte das Dorf tatsächlich an eine Burg, da eine Steinmauer Cordes noch immer vor feindlichen Angriffen schützte, obwohl die Zeiten von Rittern und Wegelagerern längst vorüber waren. Jeans Vater hatte die Genehmigung für den Bau eines so modernen, wenn auch nicht hohen, aber dennoch großen Gebäudes direkt am Ortskern wohl vor allem der Tatsache zu verdanken, dass er in seinem Pharmabetrieb das halbe Dorf beschäftigte. Von der traditionellen Handwerkskunst, etwa der Herstellung von Lavendelprodukten oder Geschirr aus Steingut, konnten schließlich die wenigsten heute leben. Es schien, als wären sie dankbar für Leute wie seinen Vater.

Während Jean sich auf dem Bürostuhl seines Vaters angespannt hin- und herdrehte, dachte er an die Begegnung mit der jungen Frau am Flughafen. Ob es ihr gelingen würde, ihren Liebeskummer in der Provence zu vergessen? Etwas an ihr hatte ihn berührt, obwohl er das ganz und gar nicht wollte.

Und er wusste selbst, wie es sich anfühlte, wenn man jemanden vergessen wollte. Jean hatte den Kontakt zu seinem Vater seit … selbst in Gedanken schob er den Vorfall beiseite … seit Jahren auf das Nötigste reduziert. Förmliche Grüße zu Geburtstagen und Feiertagen. Zu mehr hatte er sich nicht überwinden können. Es war auch leicht gewesen, da er nach dem Bruch mit seinem Vater auf ein Internat geschickt worden war und danach in den USA studiert hatte. Seit ein paar Jahren leitete er ein großes Unternehmen in Paris und hatte ohnehin kaum Zeit für ein Privatleben. Genauso wie sein Vater, der auch alles seiner Firma untergeordnet hatte. Selbst an diesem Ort hier, an dem sie ein Anwesen auf dem Land besaßen, auf dem sie ihre Ferien verbrachten, hatten er und seine Mutter immer an letzter Stelle gestanden. Ja, der Vater hatte an ihrem Urlaubsort sogar eine weitere Niederlassung seines Geschäfts errichtet. Wenn es nach seinem Vater gegangen wäre, wären sie damals ganz hierhergezogen – doch seine Mutter hatte sich nicht ohne Grund geweigert, die Stadt zu verlassen.

Und jetzt erwarteten alle, dass Jean nach dem plötzlichen Tod seines Vaters dessen Platz einnehmen würde. Er war der alleinige Erbe. Gut, er könnte einen anderen Geschäftsführer für das Pharmaunternehmen einsetzen. Oder es gleich ganz verkaufen.

Es klopfte an der Tür. Monique, die die Assistentin seines Vaters gewesen war, steckte den Kopf zur Tür herein. Jean hatte immer das Gefühl gehabt, dass sein Vater lieber eine Tochter wie Monique gehabt hätte als einen Sohn wie ihn. Sie war genau wie Jean sechsunddreißig Jahre alt und hatte ebenfalls im Ausland studiert. Ihre Familien waren seit Ewigkeiten miteinander befreundet, und Jean Bertrand war begeistert gewesen, als Monique sich anbot, seine Assistentin zu werden.

„Madame Palet ist da! Soll ich sie hereinschicken?“

Wie immer war Monique perfekt gekleidet, dennoch sah sie aus, als ärgere sie etwas. Sie war doch wohl nicht eifersüchtig auf die Frau, die nach seiner Zustimmung auf ihr Nicken hin den Raum betrat?

Ana Palet war schon auf den ersten Blick das Gegenteil von Monique. Ungezähmte Locken, ein buntes, langes Sommerkleid, Ketten aus Halbedelsteinen um den Hals. Mit so etwas hätten weder seine Mutter noch Monique sich unter Leute gewagt. Bei ihnen musste es schon echte Diamanten sein.

„Danke, Monique. Wir sehen uns dann in der Mittagspause.“ Er machte ihr unmissverständlich klar, dass er alleine mit Madame Palet reden wollte.

Lächelnd ließ sich diese auf dem ihr angebotenen Stuhl ihm gegenüber nieder. „Bonjour, Monsieur Bertrand. Ich bin froh, dass Sie so schnell die Zeit gefunden haben, damit wir über Ihre Pläne sprechen können. Natürlich kann ich es verstehen, dass Sie den günstigen Preis, den wir mit Ihrem Vater verhandelt hatten, nicht fortführen wollen, aber ich bitte Sie inständig, unsere kleine Firma zu unterstützen. Ich habe gerade erst eine neue Mitarbeiterin eingestellt. Mit Sicherheit können wir unsere Umsätze noch steigern, sodass wir Ihnen mehr zahlen können. Aber bitte lassen Sie nicht zu, dass diese wunderbare Manufaktur schließt.“

Jean hörte sich den Redeschwall der jungen Frau ungerührt an. Als wenn das Geld für ihn eine Rolle spielen würde!

„Meine neue Mitarbeiterin hat beste Kontakte nach England. Sie kommt aus London, wenn wir vielleicht sogar dort Geschäfte beliefern, können wir unseren Gewinn auf jeden Fall ausbauen“, fuhr sie fort und nestelte an den lilafarbenen Amethysten an ihrer Kette.

„Madame Palet, wenn Ihr Geschäft so gut läuft, werden Sie damit auch an einem anderen Standort erfolgreich werden. Ich habe andere Pläne mit meinen Besitztümern.“

Jean hätte gern einen Schluck Wasser getrunken, aber dann hätte er auch Madame Palet ein Glas anbieten müssen. Und das wollte er nicht. Sie sollte so schnell wieder aus seinem Büro verschwinden, wie es nur ging.

„Monsieur Bertrand, ich bitte Sie im Namen Ihres Vaters, uns weiterhin die Manufaktur zu verpachten. Ihr Vater hat schon meine Mutter unterstützt, weil er seinen Teil dazu beitragen wollte, das traditionelle Handwerk vor Ort lebendig zu halten“, versuchte Ana Palet es weiter.

Jeans Augen verengten sich zornig. Nun war der letzte Zweifel erloschen. Ana Palet war die Tochter von Amelie Schneider, der ursprünglichen Pächterin der Lavendelfelder und der kleinen Manufaktur, auch wenn sie einen anderen Nachnamen trug. Und diese Amelie hatte sein Leben zerstört. Das Leben seiner ganzen Familie.

„Wie gesagt, Sie können Ihr Handwerk auch an einem anderen Ort ausüben. Ich werde das Unternehmen meines Vaters fortführen und will hier expandieren. Die Manufaktur und große Teile des Lavendelfeldes werden einem Bürokomplex weichen müssen!“

„Das können Sie nicht tun!“ Ana sprang entsetzt auf.

„Natürlich kann ich das“, antwortete Jean mit scheinbarem Gleichmut, obwohl er innerlich kochte vor Wut. In all den Jahren war sie nicht kleiner geworden. Selbst die Nachricht vom Tod seines Vaters hatte ihn nicht besänftigen können. „Lebt Ihre Mutter noch?“

„Ja, und auch, wenn sie mir den Laden übergeben hat, ist sie Ihrem Vater immer noch dankbar für alles, was er für sie getan hat. Bitte tun Sie es wenigstens für Ihren Vater“, bat Ana Palet eindringlich und verschlimmerte es damit nur.

Jean ballte seine Hände unter dem Schreibtisch zu Fäusten. Es gab nur einen Weg: Rache. Das war ihm gerade klar geworden. Er würde erst wieder Frieden finden, wenn der Ort, an dem sein Leben zerstört worden war, ebenfalls zerstört war.

Wie das Gespräch wohl lief? Rebecca schaute immer wieder auf ihre Uhr, wenn der Andrang an Kunden es erlaubte. Heute war eine ganze Reisegesellschaft aus Deutschland in dem provenzalischen Dorf gelandet, und alle wollten ihren Verwandten wohl etwas aus einem traditionellen Geschäft mitbringen. Die Dinge, die es in Anas Manufaktur zu kaufen gab, waren nicht mit den Souvenirs vom Flughafen zu vergleichen. Rebecca musste lächeln, als sie an den unverschämten Franzosen dachte. In einem anderen Leben hätte sie ihn gerne näher kennengelernt. Nein, auch in diesem Leben, aber nur, wenn er Single war – wonach es ja eindeutig nicht ausgesehen hatte.

Als sie Ana durch die Tür treten sah, ahnte Rebecca bereits, wie der Termin ausgegangen war. Die verheulten Augen ihrer Freundin verrieten alles. Da noch Kunden im Laden waren, rauschte Ana ohne ein Wort zu sagen in die kleine Werkstatt und schloss die Tür hinter sich. Als die letzten beiden Rentnerinnen sich dankend verabschiedet hatten, drehte Rebecca das „Geschlossen“-Schild um und ging zu Ana, die sich schluchzend auf dem Tisch abstützte.

„Ana, war es wirklich so schlimm?“ Rebecca schob einen Stuhl neben ihre Freundin und setzte sich zu ihr.

„Ja! Dieser Mistkerl! Dieser Idiot!“

„Na ja, du sollst ihn ja nicht heiraten, wir müssen nur mit ihm verhandeln“, versuchte es Rebecca mit einem Scherz.

„Das würde ich auch nicht, wenn es der letzte Mann wäre! Er will …“, sie brach wieder in Schluchzen aus, „er will die Manufaktur abreißen lassen und einen Bürokomplex darauf errichten!“

Rebecca wurde blass. Das konnte doch nicht wahr sein! Es gab sicher Bestimmungen, über die man sich nicht so einfach hinwegsetzen konnte! Aber als Ana ihr von dem ganzen Gespräch erzählte, war Rebecca klar, dass es hier um irgendetwas anderes ging, als die Expansionspläne eines Bauherrn. Etwas, von dem sie beide keine Ahnung hatten.

„Ruf deine Mutter an! Vielleicht kann sie ihn überreden?“

Ungeachtet ihrer verheulten Stimme wählte Ana sofort die Pariser Telefonnummer ihrer Mutter. Rebecca nahm derweil die Visitenkarte von Jean Bertrand in die Hand und betrachtete sie. Er war als Geschäftsführer einer Pariser Firma betitelt. Seine Handynummer stand auch auf der Karte. Er wollte etwas anderes als Geld, das war klar. Aber was? Um Ana in Ruhe telefonieren zu lassen, zog sich Rebecca auf die Terrasse hinter dem Haus zurück. Die Visitenkarte hielt sie noch immer in der Hand. Von der Terrasse aus hatte sie eine wunderschöne Aussicht auf den blühenden Lavendel. Ein sanfter Wind strich über die Blütendolden und verbreitete einen intensiven Duft. Rebecca atmete tief ein und ließ ihren Blick über das lilafarbene Meer wandern. Hier durfte kein Bürokomplex entstehen. Wenn die Bagger einmal kamen, würden sie nach und nach bestimmt immer mehr von der Fläche umgraben.

„Rebecca?“

Sie drehte sich um und sah Ana hinter sich stehen.

„Ja?“

„Ich habe mit meiner Mutter gesprochen. Sie sagt, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als uns den Wünschen seines Erben anzupassen. Alles hätte eben seine Zeit.“

Rebecca schüttelte den Kopf. Sie hatte Anas Mutter als kämpferische Frau kennengelernt, für die die Manufaktur neben ihrer Tochter ihr Lebensinhalt war! Sie konnte sich genau daran erinnern, wie Ana und sie während des Schüleraustauschs an dem Holztisch im Laden ihre Hausaufgaben machten und Amelie unermüdlich Kunden beriet, Geschenke einpackte und Seifen und Öle produzierte.

„Hast du ihr nicht gesagt, was Jean Bertrand vorhat? Hat sie nicht irgendeine Idee, warum er die Manufaktur zerstören will?“, fragte Rebecca.

„Doch, aber sie meinte, wir sollten die Vergangenheit ruhen lassen. Ich verstehe das alles nicht! Ich kenne Jean sogar flüchtig von früher. Er war manchmal dabei, wenn sein Vater die Manufaktur besuchte. Damals war ich noch ein kleines Kind und er schon ein Teenager. Das Verhältnis zwischen uns allen war immer freundlich. Und meine Mutter hat nie ein schlechtes Wort über die Bertrands verloren.“

Die Freundinnen schauten einen Moment beide auf das wogende Lavendelfeld. Schließlich ergriff Ana das Wort: „Meinst du, wir sollten einfach aufgeben und woanders neu anfangen?“

Rebecca atmete tief durch. Sie hatte viel zu oft im Leben nachgegeben. „Nein, wir werden kämpfen! Und wenn wir nur eine Abfindung für den Neuanfang bekommen, wir geben nicht auf.“

Es hatte einen Sinn, dass sie hier war – das spürte Rebecca immer mehr.

„Und was hast du für eine Idee?“, fragte Ana nach.

„Ich werde mich mit ihm treffen und mit ihm reden! Ich habe schließlich nichts mit eurer Geschichte zu tun. Mir muss er in Ruhe zuhören!“

Nach dem aufwühlenden Gespräch mit dieser Ana Palet hatte Jean das Bürogebäude wütend verlassen, war in seinen alten Porsche gestiegen und aus dem Dorf hinaus über Land zu der herrschaftlichen Villa gebraust, die er ebenfalls geerbt hatte. Monique war ihm in ihrem eigenen Sportwagen direkt hinterhergefahren, weil sie sich Sorgen um ihn machte, wie sie in der Auffahrt vor dem Anwesen behauptet hatte, als er sie zur Rede stellte.

Nun zog Jean seine Bahnen in dem Swimmingpool nah an dem imposanten Gebäude aus hellem Ziegel und weiß gerahmten Sprossenfenstern, in dem er seine halbe Kindheit verbracht hatte – und das er jetzt so schnell wie möglich verkaufen wollte. Das parkähnliche Grundstück war durch eine mannshohe Backsteinmauer geschützt – vor seiner Wut und Trauer konnte Jean jedoch niemand schützen. Nicht einmal das Schwimmen beruhigte ihn. Normalerweise konnte er beim Sport immer entspannen, aber jetzt dachte er nur an die Begegnung mit Ana Palet, die ihn so sehr an ihre Mutter Amelie erinnerte. Und er dachte an seinen Vater, auf den er immer noch wütend war, obwohl er nun tot war. Und er war wütend auf sich selbst, weil er die Tränen, die immer schwerer auf ihm lasteten, nicht loslassen konnte. Ja, er war auch traurig über den plötzlichen Tod seines Vaters. Nun war die letzte Tür zur Versöhnung zugeschlagen.

Jean wusste, dass sein Vater sich gewünscht hätte, auf dem kleinen Dorffriedhof beerdigt zu werden. Aber Jean wusste auch, dass die letzte Ruhestätte für seinen Vater schon seit Generationen bestimmt war. Auf François Bertrand wartete seit seiner Geburt ein Platz in der Familiengruft auf dem großen Friedhof in Marseille. Genauso wie auf ihn. Alle Mitglieder der Familie Bertrand würden in dem prächtigen Grabmal wieder zusammenfinden – ganz egal, wie sie sich zu Lebzeiten verstanden hatten.

Und warum sollte er sich jetzt gegen diese Tradition auflehnen und den Vater in der Provence beerdigen lassen? Monique hatte ihm schon hundertfünfzig Adressen genannt von Leuten, die unbedingt zur Beerdigung eingeladen werden mussten. All die Leute der feinen Gesellschaft würden gar nicht auf den kleinen Dorffriedhof passen. Außerdem war es doch genau das, was sein Vater immer mit ihm getan hatte: ihm einen Platz im Leben zuzuweisen. Er war dazu erzogen worden, einmal der perfekte Erbe für das Unternehmen seines Vaters zu sein. Wie wütend war sein Vater gewesen, als er gegen seinen Willen in den USA einen Job angenommen hatte, anstatt direkt in das Familienunternehmen einzusteigen.

Das Klingeln seines Handys war eine willkommene Ablenkung von seinen Grübeleien. Jean stieg aus dem Pool und schlang sich ein Handtuch um die Lenden. Er bemerkte Moniques begehrlichen Blick auf seinen durchtrainierten Körper und lächelte sie an. Ohne sie wäre sein Vater aufgeschmissen gewesen. Als seine persönliche Assistentin regelte sie nun auch einen Großteil seiner geschäftlichen Angelegenheiten, auch wenn Jean als Erbe natürlich alles gegenzeichnen musste. Nun saß sie im eleganten weißen Leinenkleid an dem Teakholztisch auf der Terrasse und adressierte die Einladungen für die Beerdigung. Jean hatte es noch nicht über sich gebracht, in dem alten, zerfledderten Lederadressbuch zu blättern, durch das bestimmt viele Erinnerungen wach würden. Er selbst hatte nur eine Einladung verschickt. Per Mail an seine Mutter. Vielleicht wollte sie nun mit ihm sprechen. Er zog sich aus Moniques Blickfeld zurück und nahm den Anruf entgegen.

Bonjour, hier ist Rebecca Johnson. Ich würde gern mit Jean Bertrand sprechen. Bin ich da richtig?“

Jean hatte den Namen noch nie gehört, obwohl ihm die Stimme vertraut vorkam.

„Ja, das bin ich. Was kann ich für Sie tun?“

Monique kam näher, sie trug nun ihren Seidenschal und ihre Handtasche und beobachtete seinen verwunderten Gesichtsausdruck.

Jean gab Monique durch Handzeichen zu verstehen, dass sie einen Moment warten sollte und hörte dann weiter zu. Am liebsten hätte er ins Telefon geschrien, dass es nichts mehr zu verhandeln gäbe und aufgelegt, aber irgendetwas in der Stimme dieser Rebecca Johnson machte ihn neugierig.

„Gut, kommen Sie gleich vorbei, wobei ich Ihnen keine Hoffnungen machen kann“, schlug er der Unbekannten vor.

Als er aufgelegt hatte, schaute Monique ihn fragend an.

„Wer war denn das?“

„Die Kollegin von dieser Ana Palet, der Pächterin unseres Grundstücks. Sie möchte mich überreden, die Manufaktur nicht zu schließen. Ich wüsste zwar nicht, womit sie mich umstimmen könnte, aber ich könnte etwas Ablenkung gebrauchen“, behauptete Jean mit einem Grinsen.

Monique strich lächelnd über seine nackte Brust. „Ablenkung könnte ich dir auch bieten. Was hältst du davon, wenn wir heute Abend essen gehen? Damit du den Kopf frei bekommst?“

Ihre Stimme hörte sich an, als hätte sie Lust, es nicht nur bei einem gemeinsamen Essen zu belassen. Als wäre das nur ein Vorspiel. Jean erschauerte kurz. Er war Single. Und es war schon länger her, dass er … und Monique war wahnsinnig attraktiv und machte ihm unverkennbar Avancen. Aber er kannte Monique gut genug, um zu wissen, dass es bei ihr nichts umsonst gab. Mit sechzehn hätte er alles darum gegeben, ihr nahe zu sein, und hatte gelitten, als sie ihn hatte abblitzen lassen. Aber er war darüber hinweggekommen. Kein Wunder, schließlich hatten ihm selbst im verhassten Internat die Mädchen zu Füßen gelegen. Und er hatte immer gewusst, wie er die nächtlichen Besuchsverbote umgehen konnte.

Er lächelte Monique an. „Mal schauen. Vielleicht habe ich heute Lust auf ein Essen zu zweit.“

Rebecca fuhr mit Anas Peugeot die malerische Landstraße entlang, die laut Navi zu dem Landgut dieses Jean Bertrand führen sollte. Sie hatte die Scheiben heruntergelassen, um den zarten Duft des Lavendels einzuatmen, nach dem sie mittlerweile süchtig war. Das brauchte sie auch, um sich zu beruhigen. Sie würde sich gleich zusammenreißen müssen, um diesen elenden Geizkragen nicht anzuschreien. Sie setzte ihre Sonnenbrille auf und drehte die Musik im Radio lauter. Jean Bertrand war sicher ein verbitterter alter Mann. Wer sonst kam auf die Idee, eine alte Manufaktur, die der Vater immer unterstützt hatte, von heute auf morgen abreißen zu lassen? Und ein Lavendelfeld umzupflügen, um dort einen Bürokomplex zu errichten? Aber Rebecca musste höflich bleiben, schließlich ging es darum, das Unheil für Ana und sie abzuwenden. Und wenn das nicht ging, musste sie mit diesem Mistkerl zumindest verhandeln, um Ana einen Neubeginn zu ermöglichen.

Ihr Puls schlug immer schneller, je näher sie dem Anwesen kam. Sie bog in die nächste Seitenstraße ein, die direkt auf eine stattliche Steinmauer zuführte. Rebecca parkte ihr Auto davor und ging auf das schmiedeeiserne Tor in der Mitte zu. Aufgeregt drückte sie auf das Klingelschild. Eine Stimme ertönte.

„Ja, wer ist da?“

Die Gegensprechanlage knisterte etwas, sodass die Stimme verzerrt klang.

„Hier ist Rebecca Johnson. Ich habe einen Termin mit Jean Bertrand.“

„Dann kommen Sie bitte herein und warten vor dem Haus.“

Dieser Jean Bertrand wollte wohl direkt klarmachen, dass sie nach seiner Pfeife tanzen sollte. Auf das Summen hin, drückte sie gegen das Tor und betrat das menschenleere Grundstück.

Der Weg führte zu einem prächtigen Landhaus aus Sandstein und war gesäumt von Terrakottatöpfen, in denen Olivenbäume thronten. Der weiße Kies knirschte unter Rebeccas Füßen. Sie war froh, die flachen Ballerinas gewählt zu haben, auch wenn ihr ohne Absätze immer ein paar Zentimeter Körpergröße fehlten. Die hellen Kiesel harmonierten perfekt mit den weißen Fensterläden und den Sprossenfenstern. Kunstvoll beschnittener Buchsbaum, üppig blühende Rosen, ja sogar Lavendel entdeckte Rebecca – nur keinen Menschen weit und breit.

„Hallo, ist da jemand?“, rief sie, doch nur ein Schmetterling tauchte wie aus dem Nichts auf und flatterte auf ihre Hand. Das musste doch ein gutes Omen sein. Sie lief um das Haus herum und entdeckte einen Swimmingpool, der ebenerdig in den gepflegten Rasen eingelassen und rundherum mit Steinen gepflastert war. Auf den Steinen lagen Jeans und ein weißes T-Shirt – unordentlich auf dem Boden hinterlassen, obwohl zwei Meter daneben eine Liege stand.

War der Hausherr wohlmöglich halbnackt? Dabei hatte sie extra ihr Etuikleid angezogen, das sie nur für geschäftliche Anlässe trug, um gleich klarzustellen, dass sie seriös und hart verhandelte. Und ihr Gesprächspartner stieg fünf Minuten vor dem Termin aus dem Pool?

„Könnten Sie bitte die Augen für einen Moment schließen, damit ich mich anziehen kann? Sie stehen vor meinen Sachen“, hörte sie da eine männliche Stimme.

Rebecca entfuhr ein erschrockener Schrei. Was war, wenn dieser Jean Bertrand nicht nur ein Geizkragen, sondern auch noch ein Perverser war? Andererseits würde er sie dann kaum bitten, die Augen zu schließen, sondern sich direkt nackt zeigen.

Rebecca schloss also die Augen und legte die Hände vor das Gesicht. Sie wollte von diesem Kerl wirklich keinen Zentimeter Haut mehr sehen als nötig.

„Was soll das, Monsieur Bertrand? Sie wussten doch, dass ich komme!“, konnte Rebecca sich dennoch nicht verkneifen.

„Ja, aber ich habe die Zeit vergessen. Und ich habe Sie gebeten, vor dem Haus zu warten. Hätten Sie sich daran gehalten, wäre es nicht zu dieser peinlichen Situation gekommen!“

Klang er ärgerlich oder amüsiert? Eher beides, dachte Rebecca und presste weiter ihre Hände auf das Gesicht.

„Entschuldigung“, sagte sie, obwohl sie sich doch vorgenommen hatte, diesem Mann Kontra zu geben.

„Sie können die Augen wieder öffnen“, forderte er sie auf. Der Anblick von Jean Bertrand in Jeans und T-Shirt hätte sie kaum weniger schockieren können, als den ganzen Mann nackt zu sehen.

„Oh, mein Gott!“, rief sie aus und ging einen Schritt zurück.

Er streckte ihr seine Hand entgegen.

„Nein, nur Jean Bertrand“, antwortete er mit einem schelmischen Grinsen, das dennoch die Traurigkeit in seinen dunklen Augen nicht überdecken konnte.

Doch ehe Rebecca seine Hand ergreifen konnte, trat sie ins Leere. Besser gesagt in den Swimmingpool hinter sich. Jean Bertrand sprang nach vorn und hielt sie im letzten Moment. Eine Sekunde später, und Rebecca wäre im Pool gelandet. Er zog sie einen Meter fort vom Wasser.

„Sie sind …“, sagten beide gleichzeitig und mussten lachen.

„Sie zuerst“, ließ Jean Bertrand ihr den Vortritt.

„Also Sie sind der Mann vom Flughafen“, antwortete Rebecca.

„Und Sie sind die Frau vom Flughafen“, erklärte er grinsend. Rebecca schluckte. Sie hatte sich so sehr gewünscht, diesen Mann wiederzusehen. Aber zu wissen, dass es Jean Bertrand war, der die Lebensgrundlage ihrer Freundin Ana zerstören wollte, machte diesen Wunsch zunichte.

„Tja, so sieht es aus“, antwortete sie unschlüssig. Vielleicht war es ja eine große Chance, und er ließ sich umstimmen? Vielleicht sollte sie mit ihm einfach über seine Gründe reden, und sie würden zu einer guten Lösung für alle kommen?

Als könnte er Gedanken lesen, wich sein schelmischer Blick einem geschäftsmäßigen Gesichtsausdruck.

„Madame Johnson. Sie sind ja nicht zum Vergnügen hier, sondern weil Sie mit mir über meine Ankündigung sprechen wollen, oder?“

Rebecca nickte. Dieser Mann sah so umwerfend gut aus, dass ihr schwindelig wurde. Oder war es immer noch das Feuer, das auf der Haut an ihrer Taille brannte. Da, wo er sie berührt hatte, um sie vor dem Sturz in den Pool zu retten. Rebecca war es noch nie passiert, dass sie sich zu einem Mann auch körperlich so hingezogen fühlte. Sie atmete tief durch. Und sagte sich in Gedanken, dass sie nicht mal daran denken sollte, mit diesem Mann …! Er war nicht nur ihr geschäftlicher Gegner, sondern auch liiert. Und Rebecca wusste, wie weh es tat, betrogen zu werden. Oder war diese Frau, die ihn am Flughafen abgeholt hatte, gar nicht mit ihm zusammen? Vielleicht seine Schwester? Oder eine gute Freundin? Sie schaute auf seine rechte Hand. Ein Ring war dort nicht zu entdecken.

„Genau, nur aus diesem einen Grund bin ich hier“, bemühte sie sich ebenfalls um eine nüchterne Stimme.

„Dürfte ich Ihnen dennoch auf der Terrasse etwas zu trinken anbieten? Bei der Hitze können Sie bestimmt eine Erfrischung vertragen“, sagte er.

Abkühlung könnte ich in mancher Hinsicht vertragen, dachte Rebecca und nickte.

Jean Bertrand führte sie zu dem Teakholztisch auf der Terrasse hinter der Villa. Er schob ihr einen Stuhl heran und verschwand im Haus. Rebecca schaute sich um. Auch hier wuchs Lavendel. Das Anwesen war so schön, dass sie sich kaum einen schöneren Urlaubsort vorstellen konnte. Urlaub! Wann hatte sie das letzte Mal richtig Urlaub gemacht? Das war schon Jahre her.

Als sie aufschaute, sah sie Jean Bertrands Blick auf sich ruhen. Es war ein warmer, weicher Blick. Ein Blick wie eine Decke, die jemand über einen legt, nachdem man stundenlang gefröstelt hat. Dieser Blick passte nicht zu dem, was er vorhatte. Was verbarg sich hinter seinem Plan, alles zu zerstören?

Jean Bertrand stand im Holzrahmen der Terrassentür und hielt ein Tablett mit zwei großen Gläsern in der Hand, die randvoll mit einer sprudelnden rosafarbenen Flüssigkeit gefüllt waren. An jedem Glas steckte eine Zitronenscheibe, und ein Strohhalm schwamm in der Mitte.

„Granatapfellimonade“, er stellte das Tablett auf dem Tisch ab und setzte sich ihr gegenüber.

„Eigentlich wollte ich meiner Gesprächspartnerin höchstens ein stilles Wasser anbieten, weil ich davon ausgegangen bin, dass unser Termin nach fünf Minuten beendet sein wird. Aber jetzt habe ich Sie gesehen und würde Ihre Gesellschaft gerne etwas länger genießen“, gestand er.

Rebecca schluckte. Er würde also mit sich reden lassen. Und sie musste versuchen, ihn besser zu verstehen, damit sie eine Lösung finden würden. Jean Bertrand reichte ihr ein Glas, wobei sein kleiner Finger kurz ihren Handrücken streifte. Sie zog die Hand zurück und versuchte den Stromschlag zu ignorieren, der sie durchfuhr. Sie errötete und nahm einen Schluck von dem köstlichen Getränk. Er hatte genau bemerkt, wie verlegen sie war! Das sah sie in seinen Augen. Machte er sich über sie lustig? Spielte er mit ihr?

„Und Sie arbeiten mit Ana Palet zusammen? Das war also die Freundin, die Sie besuchen wollten, um den Mann in London zu vergessen?“, fragte er direkt.

„Ja, genau so ist es. Und genau deshalb bin ich hier. Ich bitte Sie inständig, uns weiterhin die Manufaktur und das Lavendelfeld zu verpachten“, Rebecca hielt seinem Blick stand.

„Sie wissen, dass mein Vater Madame Palet und auch ihrer Mutter das Gebäude und die Felder zu einem Spottpreis überlassen hat?“, nun mischte sich Zorn in seinen Blick.

Wie kann ein Mann, der so unendlich reich ist, wütend sein, weil sein Vater anderen etwas geschenkt hat? Oder sind die Reichen genau deshalb so reich? Weil sie niemandem etwas abgeben? Rebecca spürte, dass hier irgendwo ein Eisberg in der Seele dieses Mannes thronte, den es zu umschiffen galt.

„Monsieur Bertrand, wir sind uns der Großzügigkeit Ihres Vaters bewusst. Natürlich erwarten wir nicht, dass Sie sich mit diesem Preis zufriedengeben. Wir sind bereit, mehr Pacht zu zahlen. Das Geschäft läuft gut. Wir haben viele neue Ideen. Bitte geben Sie uns eine Chance“, bat sie ihn. Am liebsten hätte sie nach seiner Hand gegriffen, die auf dem Tisch lag.

Jean räusperte sich umständlich. „Sie sind sich anscheinend nicht darüber bewusst, dass das Grundstück für mich einen viel größeren Nutzen hat – egal, wie viel Pacht Sie zahlen. Ich werde die Geschäfte meines Vaters vorerst übernehmen. Der alte Firmensitz hier vor Ort ist längst zu klein, wir müssen uns vergrößern“, erklärte er.

„Und da gibt es keinen anderen freien Platz in der Provence als ausgerechnet das Feld, auf dem die Manufaktur steht?“

Sie sahen einander an, als wüssten sie beide, dass sie sich lieber nicht streiten wollten. Dennoch antwortete er: „Nein, es gibt keinen anderen Platz als diesen.“

Rebecca ließ ihren Blick über das Anwesen schweifen. Es war kaum zu glauben, dass Jean Bertrand auf das Gebäude angewiesen war, in dem Ana und sie ihre Lavendelprodukte herstellten und verkauften.

„Darf ich Sie etwas Persönliches fragen, Monsieur Bertrand?“

Was hatte diesen Mann nur so verletzt, dass nicht mal das Lächeln seine Traurigkeit verbergen konnte? Was hatte ihn so wütend gemacht, dass er mit der Tradition brechen wollte?

„Natürlich“, antwortete er kühl. „Aber danach muss ich Sie bitten zu gehen.“ Er machte Anstalten aufzustehen.

„Am Flughafen hatte ich den Eindruck, Sie würden Lavendel hassen. Aber in Ihrem Garten blüht er überall.“

Überrascht ließ er sich in seinen Stuhl zurücksinken. „Es ist nicht mein Garten. Es ist das Haus meines Vaters, das ich geerbt habe. Sie haben recht, ich sollte den Lavendel herausreißen lassen. Andererseits bin ich nach der Beerdigung sowieso wieder fort von hier“, seine Stimme war kälter geworden.

Rebecca schämte sich. Dass dieser Mann erst kürzlich seinen Vater verloren hatte, hatte sie ganz vergessen.

„Entschuldigen Sie, ich hatte ganz vergessen, Ihnen mein Beileid auszusprechen. Es tut mir furchtbar leid, dass Sie Ihren Vater verloren haben. Meine Freundin hat immer erzählt, was für ein toller Mann er war“, kondolierte sie ihm. Als spürte der Himmel den Gedanken an den Tod, verdeckte genau in diesem Moment eine dunkle Wolke die Sonne. Fast fröstelte Rebecca es.

Doch noch mehr an Wärme verlor Jean Bertrands Stimme. „Ist schon in Ordnung. Mein Vater und ich hatten keinen Kontakt mehr“, antwortete er und schaute in die Ferne.

Rebecca hätte ihn in diesem Moment am liebsten tröstend in den Arm genommen. Sein Wunsch, die Manufaktur und das Lavendelfeld dem Erdboden gleichzumachen, musste mit seinem Vater zu tun haben. Vielleicht sollten sie sich wirklich etwas Neues suchen, damit er mit der Vergangenheit abschließen konnte?

„Das tut mir leid. Wirklich. Möchten Sie darüber reden?“

Sie sah seinem Gesicht an, dass er sein Herz gerne ausschütten würde, aber er lehnte ab. „Nein. Reden wir von Ihnen. Haben Sie den Mann vergessen, dessentwegen Sie aus London geflüchtet sind?“

Er fragte sie nicht nur, sondern nahm ihre Hand, als wolle er ihr helfen, über allen Liebeskummer hinwegzukommen. Konnte es so einfach sein? Nein, das durfte es nicht! Wenn sie jetzt auf seine Annäherungsversuche einging, konnte sie nur verlieren. Sie musste erst klären, ob er Single war. Und sie musste erst das Geschäftliche bereinigen. Für klare Verhältnisse auf allen Seiten sorgen!

Aber warum erschauerte sie so unter seiner Berührung? Wie musste es erst sein, wenn seine vollen Lippen ihre berührten? Wenn sie in seinen starken Armen lag?

„Vielleicht fange ich an, ihn langsam zu vergessen“, hauchte sie fast und konnte sich nicht überwinden, ihre Hand unter seiner wegzuziehen. Es konnte doch kein Zufall sein, dass sie sich heute schon zum zweiten Mal begegneten? Er streichelte über ihren Handrücken, bevor er die Hand zum Glas führte.

„Und darf ich Ihnen helfen, ihn etwas schneller zu vergessen?“, er nahm einen Schluck von der perlenden Limonade. Wie süß mussten seine Lippen jetzt schmecken? Ihr Herz, ihr Körper schrien „Ja!“, obwohl sie diesen Mann kaum kannte. Ihr Verstand schalt sie. Sie hatte schon genug durchgemacht in letzter Zeit. Dieser Mann würde vielleicht Leidenschaft bedeuten. Aber ganz sicher Ärger!

Was sollte sie ihm nur antworten?

Bevor sie sich entscheiden konnte, hörte sie Schritte. Rebecca drehte sich um und wusste, dass sie Nein sagen musste. Dass sie diesem Mann klarmachen musste, dass er nicht mit ihr spielen durfte.

„Hallo! Und wer sind Sie? Ach, ja, der Termin heute. Jean hat mir davon erzählt, dass Sie die Manufaktur nicht kampflos aufgeben wollen“, beantwortete die Frau in dem weißen Leinenkleid und mit dem perfekt geschminkten roten Mund sich ihre Frage selbst. Über dem Arm trug sie ein paar Einkaufstüten aus teuren Boutiquen. Aus einer Tasche ragte eine Flasche Rotwein heraus.

„Falls wir es nicht mehr schaffen, heute auszugehen, können wir es uns gerne zu Hause gemütlich machen“, raunte sie Jean zu, der nur nickte.

Rebecca fühlte sich beschämt. Wie hatte sie nur einen Moment glauben können, Jean Bertrand interessiere sich ernsthaft für sie? Das war die Frau, die ihn am Flughafen abgeholt hatte. Alle weiteren Fragen waren nun überflüssig.

Die Frau mit dem akkuraten Haarschnitt setzte sich wie selbstverständlich dazu und zog eine Zigarettenschachtel aus ihrer Handtasche.

„Ich brauche jetzt unbedingt eine Pause. Ich habe das perfekte Kleid für die Beerdigung gefunden. Und ich habe noch mal mit dem Floristen telefoniert. Dein Vater wird die schönsten Lilien bekommen, die Marseille je gesehen hat.“

Jean versteifte sich merklich, als fühle er sich unwohl zwischen den beiden Frauen. Für Rebecca konnte es nur das schlechte Gewissen sein, das seine Miene verfinsterte. Zu Recht, denn erst flirtete er schamlos mit ihr und dann setzte sich seine Frau oder Freundin an den Tisch.

„Monique, darf ich vorstellen, Rebecca Johnson. Die Geschäftspartnerin von Ana Palet“, stellte er sie förmlich vor, ohne Rebecca darüber aufzuklären, wie Monique mit ihm verbunden war.

Monique reichte ihr die perfekt manikürte Hand. „Ach, ja, der hübsche Lavendelladen. Er wird hier fehlen. Aber bestimmt finden Sie ein anderes Haus. Im Dorf steht gerade einiges frei“, antwortete Monique zuckersüß.

In Rebecca kroch Wut empor. Die beiden machten sich über sie lustig. Da saßen sie, dekadent, reich und verwöhnt. Sie hatten alles und gönnten Menschen, die hart arbeiteten, aber gerade so über die Runden kamen, wie Ana, nicht, dass sie ihren Laden weiterführten. Rebecca erinnerte sich daran, warum sie heute hier war. Nicht um mit Jean Bertrand zu flirten, sondern um dafür zu sorgen, dass Ana und sie eine Zukunft hatten!

„Madame Bertrand“, sprach Rebecca Monique an, und Monique lächelte daraufhin noch zuckersüßer und warf Jean einen kecken Seitenblick zu, „danke für den Tipp, aber wir möchten uns mit Ihnen gerne darauf einigen, die Manufaktur weiterhin pachten zu dürfen.“

Rebecca richtete ihren Blick auf Jean Bertrand, aus dessen Gesicht all die Wärme, die gerade immer wieder darin aufgeblitzt war, verschwunden war.

„Monsieur Bertrand, was können wir Ihnen anbieten, damit Sie den Pachtvertrag verlängern?“, brachte Rebecca hervor.

„Nichts. Ich kann mir nichts vorstellen, mit dem Sie mich umstimmen könnten.“

Jean Bertrand schaute sie an, als wolle er einen Rachefeldzug gegen sie führen. Er verschränkte seine Arme vor der Brust.

„Wären Sie im Sinne Ihres Vaters denn bereit, Ana Palet eine Entschädigung zu zahlen? Sie hat alle Rücklagen in die Sanierung des Hauses gesteckt. Um woanders neu anfangen zu können, braucht sie eine Starthilfe. Ihrem Vater war es sehr wichtig, die Manufaktur zu unterstützen“, versuchte Rebecca es erneut.

„Wenn es meinem Vater wichtig gewesen wäre, dann hätte er das in seinem Testament erwähnt“, antwortete Jean scharf. Rebecca sah, wie Monique kurz zusammenzuckte. Und sich dann hastig zurückzog, um sich frisch zu machen, wie sie betonte.

Rebecca nahm allen Mut zusammen, als Monique im Haus verschwunden war: „Und wenn Sie es einfach mir und meiner Freundin zuliebe tun?“

Jean Bertrand stand auf. „Madame Johnson. Wir sollten das Gespräch jetzt wirklich beenden. Ich werde die Manufaktur abreißen und ein Büro dort errichten lassen. Und eine Entschädigung werde ich mit Sicherheit nicht zahlen. Ihre Freundin kann froh sein, dass sie solange zu dem Spottpreis das Gebäude und das Feld nutzen durfte. Aber nun ist das Kapitel endgültig abgeschlossen!“

Jean Bertrand erhob sich und signalisierte damit das Ende der Unterhaltung. „Madame Johnson, ich weiß, dass Sie hier keine Schuld trifft“, nun sah er ihr wieder in die Augen, „und unter anderen Umständen hätte ich Sie gerne näher kennengelernt. Aber vielleicht ist es besser, wenn sich unsere Wege jetzt trennen. Und bitte lassen Sie mich mit der Manufaktur in Ruhe. Ich habe Gründe dafür, sie abreißen zu lassen.“

Rebecca erhob sich und strich ihr Kleid glatt. Ihr Glas war noch halbvoll. „Wenn das Ihr letztes Wort ist, ist es wohl wirklich besser, wenn wir das Gespräch beenden“, antwortete sie und reichte ihm dennoch die Hand.

„Sollten Sie Ihre Meinung ändern, Sie wissen ja, wo Sie mich finden“, sagte Rebecca und spürte seine Hand in ihrer. Jean Bertrand hielt ihre Finger erneut einige Sekunden länger umschlossen als üblich bei einer Verabschiedung. Rebecca ignorierte, den wohligen Schauer, der über ihren Rücken lief.

„Ich finde allein heraus“, sagte sie laut und eilte über den breiten Kiesweg zum Tor. Am liebsten hätte sie geweint. Sie schlug das Tor hinter sich zu und schaffte es gerade in ihr Auto, bevor sie in Tränen ausbrach. Sie war hierhergekommen, um die Manufaktur zu retten. Und jetzt hatte sie die letzte Chance, ihn umzustimmen, verdorben, sodass die Abrissbagger noch schneller anrücken würden! Wie sollte sie das Ana nur erklären?

3. KAPITEL

Jean goss die beiden langstieligen Weinkelche auf dem Terrassentisch halbvoll mit dem Rotwein, den Monique mitgebracht hatte. Obwohl diese Rebecca Johnson schon vor einiger Zeit gegangen war, war er immer noch aufgewühlt. Die zierliche, wunderschöne Frau, die selbst in ihrem schlichten Outfit bezaubernder wirkte als Monique in all ihrer Perfektion, hatte ihn so durcheinandergebracht, wie es lange keine Frau mehr getan hatte. Unter anderen Umständen hätte er um sie gekämpft. Sie erobert. Allein der Gedanke daran, wie er ihre Taille umfasst hatte, erregte ihn. Er hatte Lust, sie lachen zu hören, mit ihr zu scherzen, sie herauszufordern. Aber sie stand auf der feindlichen Seite.

Monique hatte sich umgezogen, trug ein knappes Trägerkleid in Gold, das ihre zarte Bräune betonte. Sie zündete Kerzen auf dem Tisch an, stellte sich dann hinter Jean und massierte seinen Nacken.

„Entspann dich. Du bist völlig verspannt“, sagte sie und ließ ihre Hand seinen Rücken herunterwandern.

„Ich kann mich nicht entspannen. Vaters Tod nimmt mich doch mehr mit, als ich dachte. Vielleicht war es falsch von mir, dass ich so lange nichts mit ihm zu tun haben wollte“, Jean nahm einen kräftigen Schluck Wein.

Monique hob ihr Glas und stieß mit ihm an: „Auf uns. Dein Vater hätte gewollt, dass du hierhin zurückkommst. Er hat dir das alles vermacht, damit du hier glücklich wirst.“ Monique machte eine ausladende Geste über den Tisch hinweg, als präsentiere sie ihm den ganzen Garten zum ersten Mal.

Jeans Augen verengten sich dennoch. „Ich war hier mal glücklich, aber mein Vater hat alles kaputt gemacht! Hier haben wir als Familie fast jedes Wochenende und die Ferien verbracht, bis mein Vater …“, statt zu reden, trank er weiter.

„Bis er was?“, bohrte Monique nach.

„Er hat … er hat in dem einen Sommer die ganze Familie zerstört. Er und diese Amelie Schneider!“ Jean ballte seine Hände zu Fäusten, dass sie knackten.

„Und jetzt möchtest du dich dafür rächen?“, fragte Monique mit übertrieben verständnisvoller Stimme. Sie streichelte seine Oberschenkel.

„Genau. Ich zerstöre, was mich innerlich zerstört hat“, antwortete Jean und spürte Moniques Hand immer weiter nach oben gleiten.

„Und jetzt helfe ich dir, dich zu rächen!“

Moniques Gesellschaft lenkte ihn etwas von seinem inneren Chaos und den schmerzhaften Beerdigungsvorbereitungen ab. Sein Vater war so überraschend gestorben, dass Jean es nicht mehr möglich gewesen war, sich mit ihm zu versöhnen. Auch wenn er so manchen Anlauf unternommen hatte. Doch jedes Mal hatte er die Bitte um Vergebung wieder heruntergeschluckt. Zu viel hätte er umgekehrt auch seinem Vater vergeben müssen. Und sein Vater war stolz gewesen. Nie hätte er einen Fehler zugegeben. Nun war es zu spät. Jean war das einzige Kind. Und er musste seine Trauer allein tragen. Seine Mutter hatte sich zwar zur Beerdigung angekündigt – aber für sie bedeutete der Tod ihres Ex-Mannes nicht viel.

Die zweite Flasche Wein war ausgetrunken, die Kerzen heruntergebrannt.

„Monique, soll ich dir ein Taxi bestellen? Keiner von uns kann mehr fahren“, sagte Jean schließlich. Ein Uhu durchbrach die Stille der Nacht, ein paar Glühwürmchen tanzten um den Tisch. Romantisch fühlte es sich dennoch nicht an.

„Ach, was! Das Haus hat tausend Zimmer! Ich nehme das Gästezimmer mit den Rosentapeten“, antwortete Monique übermütig.

Sie kennt sich also hier aus, dachte Jean – trotz allem war er recht nüchtern. Wer weiß, was mein Vater mir noch alles verheimlicht hat?

„Obwohl … Warum teilen wir uns nicht einfach ein Zimmer? Oder gleich ein Bett?“, sie ließ ihren zarten Träger von der Schulter rutschen, beugte sich über Jean und küsste ihn auf die Stirn.

Wie einfach wäre es jetzt, sie mit in sein Bett zu nehmen. Er schlief ebenfalls in einem der Gästezimmer. Niemals hätte er sich in das Doppelbett seiner Eltern gelegt, das sein Vater immer noch benutzt hatte. Aber etwas in ihm hielt ihn auf. Es war der Gedanke an Rebecca.

Zur selben Zeit saßen auch Rebecca und Ana an einem Tisch, allerdings tranken sie nur Tee statt Wein und trugen ihre Pyjamas.

„Ich verstehe einfach nicht, was er gegen dich und deine Mutter hat“, sagte Rebecca, die Ana ausführlich von der Begegnung mit Jean Bertrand berichtet hatte. Nur von ihrem eigenen Begehren erzählte sie nichts. Sie schämte sich dafür, dass ein Teil von ihr sich immer noch nach ihm sehnte.

„Ich auch nicht. Die Firma von François Bertrand stellt teure Medikamente her. Vielleicht sind Jean unsere Naturkosmetik und all die Entspannungsmittel aus Lavendel deshalb ein Dorn im Auge. Vielleicht sieht er uns als Konkurrenz“, überlegte Ana.

„Das glaube ich nicht. Der Grund muss ein persönlicher sein. Jean Bertrand hasst uns!“

Rebecca überlegte einen Moment, ob sie ihre Freundin mit dem Verdacht konfrontieren durfte. Dann gab sie sich einen Ruck. „Kann es sein, dass deine Mutter eine Affäre mit dem alten Bertrand hatte?“

„Nein, das kann ich mir absolut nicht vorstellen!“, antwortete Ana entrüstet. „Ich kann mich an keine einzige Begegnung mit dem Monsieur erinnern, bei der mir etwas zwischen ihm und meiner Mutter aufgefallen wäre“, fuhr sie fort. „Andererseits ist es schon komisch, dass sie mir gesagt hat, dass ich die Vergangenheit ruhen lassen soll“, ergänzte sie und schenkte sich noch etwas von dem heißen Tee mit Honig ein. Obwohl es Sommer war, fröstelten die beiden jungen Frauen in Anas Wohnung. Sie fühlten sich beide, als wäre eine Grippe im Anmarsch. Wahrscheinlich war es aber einfach die Sorge, die ihnen in den Knochen steckte.

„Was ist eigentlich mit deinem Vater?“, fragte Rebecca unvermittelt.

„Wir haben selten Kontakt. Meine Mutter hat sich scheiden lassen, als ich drei war, und sogar wieder ihren Mädchennamen angenommen. Sie hatte ganz schön zu kämpfen als Alleinerziehende in diesem traditionellen Dorf. Aber die meisten haben sie unterstützt. Allen voran François Bertrand, der durch die günstige Pacht dafür gesorgt hat, dass meine Mutter für unseren Lebensunterhalt sorgen konnte. Mein Vater hatte vorher durch seine Spielsucht jede Menge Schulden angehäuft. Und er hat zu viel getrunken. Als er weg war, wurde alles einfacher für uns. Ich glaube, meine Mutter hat danach nie wieder einem Mann wirklich vertraut.“

Rebecca nahm ihre Freundin tröstend in den Arm. Warum war die Liebe immer nur in Filmen oder Büchern so einfach? Irgendwann fand doch jeder in Hollywood sein Happy End. Im echten Leben waren gerade alle um sie herum ziemlich gebeutelt vom Liebesschicksal – inklusive ihr selbst.

„Ana, wir werden kämpfen! Wir retten die Manufaktur! Egal wie! Vielleicht sammeln wir Unterschriften im Dorf? Oder reden mal mit dem Bürgermeister? Dieser Jean Bertrand kann doch nicht einfach alles kaputt machen, egal, wie reich und erfolgreich er ist!“

Ana drückte ihre Freundin ebenfalls. „Ach, Rebecca. Wie gut, dass du hier bist! Ohne dich hätte ich schon längst aufgegeben!“

„Das kommt gar nicht infrage“, antwortete Rebecca. Sie würde nicht aufgeben. Und ein Teil von ihr wollte mit Jean Bertrand ganz persönlich kämpfen.

Früh am nächsten Morgen saßen Rebecca und Ana im Büro des Bürgermeisters. Pascale Brunot war ein gemütlicher, dicker Herr mit Nickelbrille, der sich von seiner Sekretärin schnell alle Unterlagen zu den Örtlichkeiten bringen ließ.

Die beiden Freundinnen hatten die halbe Nacht an einer Liste von Gründen gearbeitet, aus denen die Manufaktur auf keinen Fall abgerissen werden durfte.

„Können wir Jean Bertrand nicht allein aus rechtlichen Gründen aufhalten? Die Manufaktur gehört zu den ältesten und beliebtesten Geschäften hier vor Ort. Gibt es kein Gesetz zur Bewahrung von Traditionen?“, fragte Ana verzweifelt. Der Anbau von Lavendel war nicht nur seit gut hundertfünfzig Jahren die Lebensgrundlage vieler Bauern, sie lockte auch Touristen aus aller Welt an. Besonders zu den Lavendelfesten nach der Ernte Ende August, wenn in der ganzen Provence Rauchschwaden von der Lavendeldestillation in den Himmel stiegen, überall Lavendelsträuße zum Trocknen hingen und die letzten Mähdrescher die Blütenfelder abernteten, kamen die Touristen in Scharen. Eben auch in ihren Laden. Ana war so stolz darauf, dass sie zwar nicht mit der Hand erntete, aber wohl noch ätherisches Lavendelöl in einer Destilliermaschine selbst herstellte. Fast hundertfünfzig Kilogramm Lavendelblüten brauchte sie für einen Liter reines, ätherisches Öl. Aber mit diesem Liter kam sie fast das ganze Jahr aus, weil die meisten Rezepturen nur wenige Tropfen der kostbaren Tinktur brauchten.

Der Bürgermeister schüttelte traurig den Kopf und rückte seinen schweren Schreibtischstuhl ein Stück zurück, als bräuchte er mehr Luft zum Atmen.

„Ich muss Sie enttäuschen. Rein rechtlich kann Monsieur Bertrand mit dem Grundstück tatsächlich machen, was er möchte. Es gibt keine Auflagen für dieses Stück Land. Es gehört ganz allein der Familie Bertrand. Obwohl ich Sie bei einer Aktion gegen den Abriss unterstützen würde. Unsere Touristen lieben ihre kleine traditionelle Manufaktur! Das war schon so, als ihre Mutter den Laden noch geführt hat. Wie geht es ihr eigentlich? Wir haben uns alle gewundert, warum sie unserem Dorf den Rücken gekehrt hat. So schön wie hier kann es doch nirgendwo sonst sein!“, sagte er, als wäre er nicht nur der Bürgermeister, sondern hätte diesen malerischen Ort in der Provence selbst erbaut.

Rebecca sah ihrer Freundin an, dass sie überlegte, was sie von ihrer Mutter preisgeben sollte. Für sie bestätigte sich immer mehr der Verdacht, dass Amelie aus schwerwiegenden Gründen die Provence verlassen hatte.

„Meiner Mutter geht es gut. Sie genießt das Großstadtleben in Paris“, antwortete Ana möglichst neutral.

„Dann grüßen Sie sie bitte herzlich von mir“, trug der ältere Herr ihr auf, ohne weiter nachzufragen.

„Meinen Sie, wir könnten hier im Rathaus Unterschriften gegen den Abriss sammeln? Wenn das ganze Dorf die Manufaktur erhalten will, dann kann Jean Bertrand sich doch nicht dagegenstellen!“, sagte Rebecca und umklammerte den Stift in ihrer Hand, als wäre es der Laden. In erster Linie ging es ihr darum, ihrer Freundin zu helfen, aber wenn sie ehrlich mit sich war, ging es ihr auch um ihre Zukunft.

Schon in der kurzen Zeit hatte sie die Arbeit mit den Kräutern und Ölen, aber auch mit den freundlichen Kunden lieben gelernt. Sie hatte immer gerne in der Londoner Apotheke gearbeitet, aber das Glücksgefühl, das sie erfüllte, wenn sie morgens den lichtdurchfluteten provenzalischen Laden betrat und den feinen Lavendelduft wahrnahm, war unvergleichlich zu ihren Londoner Zeiten. Zurück in die Großstadt konnte und wollte sie nicht mehr. Zu schmerzhaft war der Gedanke daran, durch die Straßen zu laufen, in denen sie mit ihrem Ex-Freund so oft spazieren war. Ihre Stelle in der Apotheke war längst vergeben. Und ihre Wohnung an eine Arbeitskollegin untervermietet.

„Eine Unterschriftenaktion ist eine gute Idee. Ich unterschreibe als Erstes und ermuntere jeden dazu, den ich kenne“, sagte Pascale Brunot, als wäre er froh, überhaupt etwas tun zu können.

Rebecca und Ana bedankten sich und verabschiedeten sich dann herzlich. Die Unterstützung des Bürgermeisters tat ihnen gut, auch wenn er ihnen nicht wirklich helfen konnte. Als sie das historische Rathaus verlassen hatten, überquerten sie den kleinen Marktplatz. Die Sonne kitzelte Rebeccas Nase, der Duft von frischen Croissants und gerade aufgebrühtem Kaffee erinnerte Rebecca und Ana daran, dass sie heute Morgen noch nicht einmal gefrühstückt hatten.

„Ich kaufe uns Croissants und einen Café au Lait zum Mitnehmen“, beschloss Rebecca und stellte sich an der Schlange des beliebten Bäckereistandes an.

Ana schaute auf die Uhr. „In einer halben Stunde müssen wir den Laden öffnen“, bemerkte sie mit besorgter Miene.

„Eben. Und damit wir für den Kampf gegen Jean Bertrand gestärkt sind, brauchen wir erst einmal ein gutes Frühstück. Wir können ja im Auto essen. Und im Laden fragen wir direkt jeden Kunden, ob er auf unserer Liste unterschreibt!“, ermutigte Rebecca ihre Freundin.

„Na gut“, antwortete Ana zögerlich. Rebecca bemerkte jedoch, dass sie es geschafft hatte, wieder etwas mehr Zuversicht in die Augen ihrer Freundin zu zaubern. Wer weiß? Vielleicht würde Jean Bertrand sich doch erweichen lassen, wenn er merkte, dass das ganze Dorf die Manufaktur vermissen würde.

Monique schob den Brief hastig zurück in die Schublade des Nachttischs, als es an der Tür klopfte. Ihr Chef, der alte Bertrand hatte ihr diesen Brief eines Tages in die Hand gedrückt und sie gebeten, diesen im Falle seines Todes an Jean weiterzugeben. Natürlich hatte François Bertrand auch ein ordentliches Testament aufsetzen lassen. Aber diesen Brief hatte er ihr einmal bei einem sehr privaten Abendessen überreicht. Monique hatte ihren Chef immer verehrt. Wie stolz war sie gewesen, als er sie ins Vertrauen gezogen und ihr von dem Zerwürfnis mit seinem Sohn berichtet hatte.

„Monique, ich vertraue Ihnen so sehr, dass ich Ihnen eine wichtige Aufgabe übertrage. Sollte ich einmal unerwartet sterben, dann bitte ich Sie, meinem Sohn diesen Brief zu geben. Damit er mich versteht. Wenn er diese Zeilen liest, wird seine Wut vergehen“, hatte er ihr mit Tränen in den Augen gesagt.

„Und warum geben Sie Jean die Nachricht nicht schon jetzt?“, hatte sie den alten Herrn gefragt.

„Weil er mir jetzt nicht zuhören wird. Jean ist genau so ein Sturkopf wie ich. Ich habe es schon ein paar Mal versucht, doch er will nichts davon hören. Er gibt mir immer noch die alleinige Schuld daran, dass unsere Familie zerbrochen ist“, hatte François damals gesagt.

Ein zweites Klopfen holte Moniques Gedanken wieder in die Gegenwart zurück. „Komm rein“, antwortete sie, während sie die Schublade zuschob. Sie versuchte zu lächeln, als sie Jeans Blick auf ihrer Hand ruhen sah.

„Frauenkram“, sagte sie, als wolle sie ihn davor warnen, in die Schublade zu schauen. Eigentlich hatte sie ihm heute endlich den Brief geben wollen, aber eine innere Stimme hatte sie dazu aufgefordert, ihn erst zu lesen. Sie war froh, dass sie es getan hatte. Denn nun wusste sie, warum Jean Bertrand die Manufaktur so hasste, dass er sie abreißen lassen wollte. Und wenn er den Brief lesen würde, dann würde sein Hass verschwinden.

„Alles in Ordnung, Monique?“, fragte Jean, der an diesem Morgen wie immer umwerfend aussah. Sein Hass auf die Manufaktur durfte sich nicht einfach in Luft auflösen, dachte Monique und nickte. Wenn er den Brief gelesen hätte, würde er Ana Palet und diese unsägliche Rebecca Johnson um Entschuldigung bitten und sie weiter unterstützen, wie es sein Vater getan hatte. Und das durfte nicht passieren!

Seit dem Moment, in dem Monique Jean wiedergesehen hatte, wusste sie, dass sie ihn für sich wollte! Sie begehrte diesen Mann! Und sie war nicht bereit, den Platz aufzugeben, den sie sich in der Firma seines Vaters erarbeitet hatte.

„Jaja, alles in Ordnung. Bei dir auch? Ich hätte die ganze Nacht mit dir weiter unter dem Sternenhimmel sitzen können“, sagte sie und griff nach ihrer Perlenkette, die auf dem Nachttischchen lag. Sie reichte sie Jean: „Würdest du mir bitte helfen, die Kette umzulegen? Ich bekomme den Verschluss alleine nicht zu.“

Monique drehte sich um, ohne seine Antwort abzuwarten. Sie sah sich zufrieden in dem golden gerahmten Spiegel an. In dem weißen Seidenkleid sah sie hinreißend aus. Selbst nach letzter Nacht, in der sie viel zu viel Rotwein getrunken hatte. Und was für ein schönes Bild sie als Paar abgaben! Im Spiegel beobachtete sie, wie Jean die Kette um ihren Hals legte. Sie spürte seine Finger in ihrem Nacken. Ob er sie gleich auf den Hals küssen würde? So wie mit sechzehn?

Gestern hatte sie vergeblich versucht, ihn in ihr Bett zu locken. Aber Jean war allen Annäherungsversuchen ausgewichen. Und sie ahnte auch, weshalb. Sie hatte das Glitzern in seinen Augen gesehen, als er Rebecca betrachtete. Gut, sie war um einiges jünger als sie, aber ansonsten konnte diese straßenköterblonde Frau ihr mitnichten das Wasser reichen.

„Weißt du noch, Jean? Der Sommer damals? Als wir in dem Lavendelfeld lagen und du mich mit Küssen bedeckt hast?“

Das waren wohl die falschen Worte gewesen, dachte sie, als sie sah, wie er einen Schritt zurückging, als er die Kette verschlossen hatte.

„Ja, an diesen Sommer kann ich mich gut erinnern. Allerdings ist er mir nicht in bester Erinnerung geblieben“, sagte er.

Sie drehte sich um und fasste ihn am Hemdkragen. „Ich weiß, dass ich entsetzlich dumm war, so zu tun, als hätte ich dich so schnell vergessen. Aber es tat mir so weh, als du auf das Internat verschwunden bist. Ich musste so tun, als wäre ich nicht mehr in dich verliebt. Anders hätte ich es nicht ausgehalten“, hauchte sie mit einer Spur Belustigung in der Stimme. Als wären sie beide noch Kinder gewesen, die man nicht ernst nehmen konnte.

Jean schob ihre Hände weg. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich damals gelitten habe. Meine Familie war zerbrochen. Ich trug ebenfalls Schuld daran. Meine Eltern haben mich in dieses schreckliche Internat verbannt. Ich hätte deine Liebe damals gebraucht!“ Jeans Augen funkelten, als wäre der Schmerz des Jungen immer noch in ihm gegenwärtig.

„Ich sagte es doch. Ich war dumm. Heute würde ich dir alles geben, was du willst!“

Sie schlüpfte in ihre Ballerinas. Es war besser, das Schlafzimmer zu verlassen. Nachher entdeckte er noch den Brief.

„Es gibt etwas, was ich von dir will!“ Er schaute ihr in die Augen. Monique wurde es mulmig zumute, obwohl sie sich wünschte, dass er etwas von ihr wollte. Es kam darauf an, ob es etwas war, was sie zu geben bereit war.

„Und zwar?“, fragte sie.

„Die Wahrheit. Du warst die persönliche Assistentin meines Vaters. Erzähl mir alles von ihm. Wollte er sich mit mir versöhnen? Glaubst du, es gibt noch etwas, was ihm wichtig war?“, fragte Jean.

„Dein Vater ist so plötzlich gestorben. Wie sollte er dir da noch eine Botschaft hinterlassen haben?“

Nein, er durfte nichts von dem Brief erfahren, wenn sie ihn für sich haben wollte!

Monique streichelte ihm tröstend über den Rücken. „Aber ich bin mir sicher, dass er stolz auf dich ist, wenn du die Firma in seinem Sinne weiterführst. Er hat trotz eures Streits nie schlecht über dich geredet. Wahrscheinlich hätte er sich längst mit dir versöhnt. Nimm das einfach an und nehme seinen Platz ein“, sagte sie.

Jean setzte sich auf das Bett und stützte den Kopf in die Hände. „Er hat mir nie verziehen, dass ich Maman und ihn vor allen bloßgestellt habe.“

Monique erinnerte sich an den Eklat in der Familie Bertrand, über den das ganze Dorf damals geredet hatte. Bei einer Feier auf dem Landgut, zu der sie auch eingeladen war, hatte der sechzehnjährige Jean, der schon das eine oder andere Glas Cidre getrunken hatte, seinen Vater vor den amüsierten bis entsetzten Augen der Gäste angeschrien. Sein Vater solle nicht so scheinheilig tun! Schließlich habe er eine Affäre mit Amelie Schneider! Jeans Mutter war damals vor Schreck das Champagnerglas aus der Hand gefallen. Und François hatte seinem Sohn vor den Gästen eine schallende Ohrfeige verpasst. Im Dorf hatte es tagelang kein anderes Gesprächsthema mehr gegeben.

„Ach, Jean. Du warst noch ein halbes Kind! Du warst nicht schuld, dass deine Eltern sich auseinandergelebt haben“, versuchte sie ihn zu trösten.

Jean hob den Kopf. „Auseinandergelebt? Meine Mutter hat uns verlassen, weil mein Vater sie betrogen hat! Bis dahin habe ich geglaubt, dass die beiden sich lieben. Heute glaube ich, dass es so etwas wie Liebe gar nicht gibt!“

Er sprang auf und strich sich das Hemd wieder glatt, das seine sportliche Figur betonte.

„Natürlich gibt es die Liebe. Wir sind nur nicht mehr so naiv wie früher“, entgegnete Monique.

Jeans Blick wirkte auf einmal abwesend. „Vielleicht wären sie heute noch zusammen, wenn meine Mutter es nicht erfahren hätte. Wahrscheinlich hat mein Vater Amelie Schneider noch nicht einmal geliebt. Es würde mich nicht wundern, wenn sie ihn nur verführt hat, damit er ihr den Laden verpachtet. Aber damit ist es nun vorbei! Auch für ihre Tochter. Die wohl dachte, ich wäre genauso verblendet wie mein Vater.“

Monique wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, ohne etwas zu verraten. Am Klügsten wäre es, ihn von dem Thema abzulenken. „Das Beste wäre es doch, unter das ganze Thema einen Schlussstrich zu ziehen und nach vorne zu schauen.“

„Ich kann erst nach vorne schauen, wenn alle Spuren dieser Geschichte beseitigt sind. Ich möchte, dass die Manufaktur dem Erdboden gleichgemacht wird. Sonst bekomme ich dieses Bild nie mehr aus dem Kopf!“, presste Jean hervor. Was genau er mit „diesem Bild“ meinte, konnte Monique nur ahnen.

Jean glaubte schon lange nicht mehr an die Liebe. Seit er Rebecca begegnet war, ahnte er tief in seinem Herzen, dass er sich wünschte, dass es wirkliche, selbstlose Liebe gäbe. Diese Leichtigkeit, die in Rebeccas Gegenwart trotz aller Sorgen immer wieder in seiner Seele aufgeblitzt war, ließ ihn alles hinterfragen, was er über die Liebe dachte. Und er fragte sich, ob er sich nicht geirrt hatte, als er glaubte, dass Rebecca nur hinter seinem Geld her war. Sie war ihm gegenüber erst in dem Moment so abweisend gewesen, als Monique auf der Terrasse aufgetaucht war.

Jean ärgerte sich, als ihm klar wurde, dass Rebecca ihn für einen echten Filou halten musste. Einen, der mit einer fremden Frau anbändelte, während die eigene Frau daneben stand. So wie sein Vater damals. Kein Wunder, dass sie abgeschreckt war! Und hatte er wirklich das Recht, Rebecca für etwas zu bestrafen, das nur mit ihrer Freundin und deren Mutter zu tun hatte?

Das Gespräch mit Monique hatte wieder seine alten Wunden aufgerissen. Jean hatte Monique nach ihrer Unterhaltung alleine in der Villa zurückgelassen. Er wollte die Absprache mit dem Pfarrer für die Beerdigung unter vier Augen führen. Dass Monique davon nicht begeistert war, kümmerte ihn nicht. Jean trat auf das Gaspedal seines 911-Porsches. Die Landschaft flog an ihm vorbei. In einer guten Stunde würde er in Marseille sein und dem Pfarrer erzählen, was für ein toller Mensch sein Vater gewesen war. Warum durfte er nicht wenigstens nach dessen Tod ehrlich sein?

Vor ihm wurde eine Ampel rot, obwohl auf der ganzen Landstraße kaum Verkehr herrschte. Jean bremste und sein Wagen kam gerade noch vor dem roten Licht zum Stehen. Und dann hielt die Rotphase so lange an, als wolle das Schicksal ihm Zeit geben umzukehren.

Was kann Rebecca dafür, dass Amelie Schneider unsere Familie kaputt gemacht hat, fragte Jean sich. Die Ampel blieb immer noch rot. Die ganze Straße war frei. Jean schaute in den Rückspiegel. Auch hier niemand. Er beschleunigte den Motor und legte eine riskante Wendung auf der Straße hin. Es gab nur eine Möglichkeit herauszufinden, wer Rebecca wirklich war – er musste erneut zu dem Ort zurückkehren, den er so hasste.

Jean nahm den Weg zurück in das Dorf und hielt vor der Manufaktur, die inmitten des blühenden Lavendels wie ein Postkartenmotiv wirkte. Damals, an jenem schrecklichen Tag im Sommer, hatte der Lavendel ebenfalls in voller Blüte gestanden. Nur war Jean damals nicht mit dem Porsche gefahren, sondern mit der Vespa, die er zum sechzehnten Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Jean erinnerte sich noch genau, wie er damals die Vespa auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Gebäude geparkt hatte, seinen Helm absetzte und den Laden betrat – um ein Geschenk für Monique zu kaufen. Sein Puls raste bei der Erinnerung daran, wie er als Teenager die Ladentür geöffnet und sich im leeren Ladenlokal umgeschaut hatte. Auch heute war die Tür offen, und das Ladenlokal leer.

Wie damals standen die weiß getünchten Regale voller Öle, Seifen und Lavendelkissen. Der Postkartenständer war neu. An die Sitzecke konnte er sich ebenfalls nicht erinnern. Die Kasse stand unbewacht auf der Theke. Wie damals. Das passte doch gar nicht zu jemandem, dem es nur um das Geld ging. Eigentlich ganz hübsch hier, dachte Jean und hörte plötzlich ein Lachen.

Das hatte er damals auch gehört. Er betrat den kleinen Flur und blieb vor der verschlossenen Tür stehen, die zur Werkstatt führte. Ob er anklopfen sollte? Oder einfach wieder verschwinden? Damals war er einfach hineingegangen, um nach der Verkäuferin zu suchen. Jeder im Dorf wusste, dass sie alle Produkte selbst herstellte. Wenn Amelie Schneider nicht im Laden stand, war sie in der Werkstatt oder auf dem Feld. Diese Frau mit den roten Wangen und den Händen, die nach harter Arbeit aussahen. Die hübsch, aber nie aufgetakelt war, ganz anders als seine Mutter.

Nie hätte Jean sich vorstellen können, dass sein Vater sie begehren könnte. Aber als er die Tür geöffnet hatte, sah er die beiden auf dem großen Tisch in der Werkstatt. Amelie Schneider lag auf dem Tisch, sein Vater in eindeutiger Pose vor ihr. Jean sah den Schreck in ihren Augen, hörte, wie sie seinen Vater bat aufzuhören, doch der nahm sie gar nicht ernst. In der Werkstatt roch es süßlich nach frischer Seife. Auf dem Herd blubberte es in einem Topf. Förmchen lagen auf dem Tisch. François Bertrand hatte sich erst umgedreht, als er hörte, wie Jean eine Flasche mit Mandelöl auf den Boden schmetterte.

Sein Vater betrog seine Mutter. Mit der Frau, bei der selbst seine Mutter gern einkaufte. Der Frau, die das ganze Dorf für besonders tapfer hielt, nachdem sie mit ihrem Ex-Mann, einem Trinker, die Hölle erlebt hatte und nun alleine die Tochter großzog.

Auch heute hörte Jean ein Lachen aus dem Raum. Der Geruch von frischer Seife und Lavendel erregte Brechreiz bei ihm. Er durchlebte ein Déjà-vu, als er auf die Klinke drückte. Sein Vater war ihm damals noch hinterhergerannt. Hatte ihm gesagt, dass er darüber schweigen solle. Es hätte nichts zu bedeuten. Das würde er verstehen, wenn er ein erwachsener Mann wäre. Jean wollte in diesem Moment nie erwachsen werden. Dennoch hörte er bis zu dem verhängnisvollen Eklat auf seinen Vater und verschloss das, was er gesehen hatte, tief in seinem Inneren, wo es jedoch keinen Deut weniger schmerzte.

Jean atmete tief durch. Nun war er erwachsen, glaubte nicht mehr an die Treue und ewige Liebe, hatte seinem Vater aber immer noch nicht verziehen. Egal, was hinter der Tür lag, es würde nicht sein Vater mit Amelie Schneider sein.

Er öffnete die Tür und sah Rebecca und Ana an dem Tisch stehen, während sie Seife aus Förmchen pressten. Es war immer noch derselbe Tisch wie damals. Jean versuchte, gelassen zu bleiben, doch er spürte, wie sich seine Kiefermuskeln versteiften und seine Augen sich verengten.

„Meine Güte, haben Sie mich erschreckt“, beruhigte ihn Rebeccas Stimme ein wenig.

„Was wollen Sie hier?“, kam es deutlich unfreundlicher von Ana.

Jean betrachtete die beiden jungen Frauen: Die eine schaute ihn feindselig an, die andere kämpfte mit sich. Rebecca. Rebecca wusste also nicht, ob sie ihn anlächeln durfte. Er konnte sie verstehen. Wäre es nicht das Einfachste, einfach nachzugeben? Den beiden die freudige Botschaft zu überbringen, dass er es sich anders überlegt hatte? Dass er ihnen den Laden gerne weiterhin überließ? Nein, wenn er schon die Geschäfte seines Vaters weiterführte, brauchte er ein neues Bürogebäude hier vor Ort, redete er sich ein. Die Niederlassung im Dorf war längst zu klein. Und der Standort in Marseille zu weit weg von der Produktion. Außerdem konnte er nur seinen Frieden finden, wenn dieses schreckliche Gebäude nicht mehr existierte. Nur die Vergeltung konnte ihn von den Dämonen der Vergangenheit befreien.

„Ich möchte mit Ihnen verhandeln“, sagte Jean in einem Tonfall, der eindeutig vermittelte, dass nur er die Bedingungen dabei stellen würde. Dennoch wurden Anas Gesichtszüge weicher.

„In Ordnung, wie gesagt, wir zahlen gerne mehr Pacht, solange wir hierbleiben dürfen“, antwortete Ana und strich fast zärtlich über die Tischplatte.

„Wissen Sie, all das hat meine Mutter hier aufgebaut, es würde mir das Herz brechen, wenn es völlig verschwinden würde.“

Jean fühlte sich tief getroffen von Anas Worten. Auf wessen Kosten hatte Amelie das alles aufgebaut? Auf die seiner Familie! Anas Mutter hatte seinen Vater um den Finger gewickelt, um ihren Traum leben zu können. Ohne Rücksicht auf die Familie Bertrand.

Jean hätte schreien können. Er wollte nicht wirklich verhandeln, aber er wollte Rebecca. Nur der Blick auf ihre warmherzigen Augen rettete ihn davor, dass der Schmerz der Vergangenheit ihn wahnsinnig werden ließ. Wieder fühlte er sich wie der Junge von damals, dessen Vorstellung von seiner Familie in Sekunden zerbrochen war wie die Ölflasche, die er geworfen hatte. Rebecca könnte ihn heilen, das wusste er auf einmal. Trotzdem war er nicht bereit, den Weg der Versöhnung zu gehen. Diese Ana Palet sah aus wie ihre Mutter. Der gleiche Blick. Und sie wollte auch jetzt noch die Privilegien genießen, die sich ihre Mutter durch die schmutzige Affäre erkämpft hatte.

„Madame Palet, ich möchte nur mit Rebecca Johnson verhandeln“, sagte er und zog sich seine Lederjacke aus, weil es heiß war in dem Raum.

„Ana ist die Geschäftsführerin, ohne sie können wir nicht verhandeln“, versuchte Rebecca zu vermitteln.

Jeans Stimme wurde zornig: „Ohne mich können Sie nicht verhandeln. Ich kann mir also aussuchen, mit wem ich reden möchte.“

Ana kam hinter dem Tisch hervor und stemmte ihre Hände in die Hüften. „Was soll das? Warum hassen Sie mich so?“

Als Rebecca Ana vorsichtig am Arm berührte, schob Ana ihre Freundin weg. „Ich möchte eine Antwort, Monsieur Bertrand!“

Jean fühlte Genugtuung. Er hatte Macht über die Familie, die seine kaputt gemacht hatte. Ob diese Ana Palet wirklich nichts wusste? So wie er damals?

„Fragen Sie Ihre Mutter. Die kann Ihnen genau erklären, was passiert ist! Wenn sie nicht zu feige dafür ist zuzugeben, dass sie hier auf diesem Tisch …“, rutschte Jean heraus, was er im selben Moment bereute und den Satz nicht beendete. Er sah, wie Ana bleich wurde und die beiden Freundinnen einen Blick wechselten. Ob sie doch etwas ahnten? Rebecca ergriff das Wort: „Monsieur Bertrand, was immer auch zwischen Anas Mutter und Ihrem Vater vorgefallen ist, wir wissen nichts davon. Und können vor allem nichts dafür!“

Jean beobachtete, wie Ana sich leichenblass an der Tischkante festhielt, als drohe sie, ohnmächtig zu werden.

„Ich konnte auch nichts für das Verhalten meines Vaters und musste trotzdem dafür büßen“, entgegnete er Rebecca. Gleichzeitig ärgerte er sich. Er wollte sich doch mit ihr treffen und präsentierte sich dann gleich als Idiot? Normalerweise hatte er ein Händchen im Umgang mit Frauen – obwohl er wahrscheinlich gelassener war, wenn sie ihm nicht so viel bedeuteten.

Selbst in der Arbeitskleidung – schmalen Jeans, einem schlichten, weißen T-Shirt und der Schürze um ihre schlanke Taille – sah Rebecca umwerfend aus. Ihre Schönheit kam von innen, was ihr klassisches Gesicht noch anziehender machte, als es jedes Make-up könnte. Dennoch hatte sie ihre Wimpern dezent mit etwas Mascara getuscht, was vollkommen reichte, um ihre Augen zu betonen.

„Geht es Ihnen um Rache oder um eine faire Verhandlung?“, wollte Rebecca wissen und hielt seinem Blick stand. Ana setzte sich auf einen Stuhl und funkelte Jean böse an, während sie zu Rebecca sprach: „Vergiss es, Rebecca, mit dem Mann kann man nicht verhandeln. Er spinnt sich was zurecht über meine Mutter, was nicht stimmen kann.“ Dann richtete sie sich an Jean: „Hauen Sie ab! Lieber lasse ich die Manufaktur abreißen, als von Ihnen abhängig zu sein!“

Jean zuckte zusammen, als Ana ihn anschrie. Anscheinend wusste sie tatsächlich nichts von der Affäre ihrer Mutter.

„Gut, dann richten Sie sich darauf ein, dass die Bagger bald kommen“, zischte Jean zurück.

„Stopp!“

Jean und Ana schauten erschrocken auf Rebecca, die ihre Schürze auszog und wütend auf den Boden warf.

„Ihr benehmt euch wie Geschwister, die sich um das letzte Bonbon streiten! Drama hatte ich zu Hause genug! Monsieur Bertrand, ich möchte mich gerne in Ruhe mit Ihnen über den Laden unterhalten. Vielleicht finden wir eine Lösung.“

„Rebecca, hast du es nicht verstanden? Er möchte keine Lösung! Er möchte nur Ärger machen!“, wetterte Ana und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Jean sah den Schmerz in Anas Augen. War er zu weit gegangen? War es für sie genauso wie für ihn damals? Nein! Schließlich war ihre Familie nicht zerstört worden. Nur das Bild, das sie von ihrer Mutter gehegt hatte, war zusammengebrochen. Mehr nicht.

„Ana, hör mir gut zu: Als ich am Ende war, weil Tom mich betrogen hatte, hast du mir durch dein Angebot hierherzukommen, das Leben gerettet. Es gibt immer eine Lösung! Und nicht miteinander zu reden, macht alles nur schlimmer. Deshalb werde ich mich jetzt nebenan mit Monsieur Bertrand zusammensetzen“, schloss Rebecca.

Jean liebte ihre kämpferische Art. Rebecca setzte sich für ihre Freundin ein.

„Unser Gespräch könnte länger dauern. Und ich brauche keine Zeugen bei unserer Verhandlung. Madame Johnson, begleiten Sie mich? Ich möchte an einem ruhigen Ort mit Ihnen reden. Allein.“

Jean konnte ihren Blick schwer deuten. Vertraute sie ihm? Durfte sie ihm überhaupt vertrauen?

„Gut, suchen Sie sich den Ort aus, ich komme mit“, antwortete Rebecca mit festem Blick und schob sich eine Haarsträhne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, hinter das Ohr.

„Jetzt sofort?“, fragte er und versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken. Die Vorstellung, gleich mit Rebecca allein zu sein, ließ Schmetterlinge in seinem Bauch tanzen, wie er es nicht mehr für möglich gehalten hatte.

„Jetzt sofort. Ich will das Problem endlich aus der Welt schaffen, damit wir wissen, woran wir sind“, erwiderte sie.

„Rebecca, ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist“, wandte Ana ein.

„Warum? Du schmeißt den Laden doch für eine Weile locker alleine, oder?“

Ausgerechnet in diesem Moment erklang die Türglocke. Schritte waren zu hören.

„Hallo? Ist da jemand?“, erklang eine weibliche Stimme.

„Sofort!“, rief Ana und wurde dann wieder leise.

„Ich komme klar, aber ich weiß nicht, ob du ein Gespräch mit diesem Verrückten überstehst!“

Autor

Judy Christenberry
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Cara Colter
<p>Cara Colter hat Journalismus studiert und lebt in Britisch Columbia, im Westen Kanadas. Sie und ihr Ehemann Rob teilen ihr ausgedehntes Grundstück mit elf Pferden. Sie haben drei erwachsene Kinder und einen Enkel. Cara Colter liest und gärtnert gern, aber am liebsten erkundet die begeisterte Reiterin auf ihrer gescheckten Stute...
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