Romana Gold Band 25

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DIE GELIEBTE DES MILLIARDÄRS von JORDAN, PENNY
Zwischen Carly und dem Frauenschwarm Ricardo Salvatore, für den sie in Saint Tropez eine glamouröse Party plant, prickelt es sofort. Bis sie erfährt, dass der prominente Milliardär sie für ein verwöhntes Jetset-Girl hält, das sich nur einen reichen Mann angeln will …

DAS FERIENHAUS DER LIEBE von HART, JESSICA
Polly glaubt, sich verhört zu haben: Zwei Wochen soll sie vor wichtigen Geschäftspartnern die Verlobte von Simon Taverner spielen, dem großen Bruder ihrer besten Freundin. Ort der Handlung: Sein von wildem Thymian und Lavendel umgebenes Ferienhaus in der Provence …

VERSUCHUNG AN DER CÔTE D'AZUR von KER, MADELEINE
Nur er und sie, mit Wind in den Haaren, im Cabrio an der Côte d’Azur entlangbrausend … Zu gern würde Multimillionär Anton Zell einfach anhalten und seine schöne Assistentin am Meer lieben, dort wo die Brandung tost. Aber Amy weicht jeder Nähe aus. Was hält sie zurück?


  • Erscheinungstag 20.02.2015
  • Bandnummer 25
  • ISBN / Artikelnummer 9783733740702
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Penny Jordan, Jessica Hart, Madeleine Ker

ROMANA GOLD BAND 25

Provence – Wo die Sehnsucht erblüht

PENNY JORDAN

Die Geliebte des Milliardärs

Er findet sie verlockend schön – doch nichts liegt Ricardo ferner, als sich in die Eventplanerin Carly zu verlieben! Ihr süßes Lächeln, warnt ihn sein kühler Verstand – sicher ist es pure Berechnung! Luxusfrauen wie sie, die es ins noble Saint Tropez zieht, wollen doch bloß eins: einen Mann mit Geld verführen! Allein sein Herz sieht mehr in ihr …

JESSICA HART

Das Ferienhaus der Liebe

Wo nimmt er so schnell eine neue Braut her? Nachdem er sich im Streit von seiner Verlobten getrennt hat, fehlt Simon die Frau an der Seite, die er Geschäftspartnern in Südfrankreich vorstellen wollte. Da läuft dem attraktiven Investor seine Jugendfreundin Polly über den Weg. Charmant, hübsch – eigentlich genau passend, um ihr einen verwegenen Vorschlag zu machen …

MADELEINE KER

Versuchung an der Côte d’Azur

Für die französische Vogue hat er das attraktivste Männergesicht. Und auch Amy fasziniert ihr neuer Chef, der brillante Unternehmer Anton Zell. Mit ihm will sie die Welt bereisen. Nur eins will sie nicht, auch wenn die Versuchung groß ist: sich in ihn verlieben! Schon einmal hat ein Reicher wie er ihr das Herz gebrochen. Nie wieder will sie so verletzt werden!

1. KAPITEL

Unauffällig musterte Carly die bunt zusammengewürfelte Gruppe, die sie als Mitarbeiterin einer der renommiertesten und exklusivsten Event-Agenturen des Landes betreute. Heute hatte ihre Agentur eine Party für einen Banker organisiert, der beschlossen hatte, seinen vierzigsten Geburtstag im „CoralPink“ zu feiern – dem Londoner Nachtclub. Sie selbst hätte diesen Ort bestimmt nicht gewählt, aber bei ihnen war der Kunde König.

Dass seine Ehefrau sich allerdings zunehmend darüber ärgerte, wie viel Beachtung er den Partyludern schenkte, war nicht zu übersehen. Auf seinem Tisch standen schon sechs leere Flaschen Champagner, und ein Gast des Kunden lud gerade eine junge Frau ein, sich zu ihnen zu setzen. Niedergeschlagen stellte Carly wieder einmal fest, dass in der erotisch aufgeladenen Atmosphäre eines Nachtclubs die Libido der Männer unheilvoll anstieg und die Ehefrauen infolgedessen immer gereizter wurden.

Von Anfang an hatte sie sich gegen diesen Auftrag gesträubt. So etwas war einfach nicht ihr Fall. Viel lieber mochte sie solche Events wie den am letzten Wochenende: Eine kinderreiche Familie wünschte sich für die Großmutter eine fröhliche Überraschungsparty zum achtzigsten Geburtstag. Weil die Leute nicht viel Geld ausgeben konnten, hatte Carly ziemlich tricksen müssen, damit sie ihnen trotzdem alle Wünsche erfüllen konnte. Auf das Ergebnis war sie mit Recht stolz gewesen.

Wenn Mike Lucas nicht endlich aufhörte, mit der Brünetten zu flirten, die er sich geschnappt hatte, würde seine Frau bald vor Wut explodieren. Schnell stand Carly auf und ging zu ihm, um die Situation zu entschärfen, bevor sie völlig außer Kontrolle geriet.

Missmutig fragte sich Ricardo, warum um alles in der Welt er sich hatte überreden lassen, hierherzukommen. Schon jetzt hatte er die Lust an dem geplanten Geschäft verloren. Die ganze Gesellschaft in diesem Laden war ihm zuwider. Reiche unmoralische Männer, die von habgierigen und genauso unmoralischen Frauen ausgenommen werden, dachte er zynisch.

An einem Tisch einige Meter von ihm entfernt saßen Männer um die vierzig mit ihren Partnerinnen oder Ehefrauen und beobachteten die spärlich bekleideten Partymiezen, von denen es im Nachtclub nur so wimmelte. Gerade stand eine Frau von ihrem Platz auf – jünger als die anderen in der Gruppe, aber auch kein junges Mädchen mehr – und ging um den Tisch, dorthin, wo einer der Männer eine kichernde langbeinige Brünette befummelte, für die er eine Sekunde zuvor eine weitere Flasche Champagner bestellt hatte.

„Mike.“ Lächelnd neigte sich Carly zu ihm.

„Hallo, meine Schöne. Möchtest du Champagner?“ Mike griff nach ihr, zog sie auf sein Knie und umfasste ihre Brust.

Augenblicklich erstarrte Carly. Sie warf ihm einen warnenden Blick zu, doch Mike war viel zu betrunken, um es zu bemerken. Nun zog er die Brünette auf sein anderes Knie, und im Gegensatz zu Carly machte sie deutlich, dass sie die Aufmerksamkeit genoss.

„Seht mal, was ich hier habe!“, rief Mike seinen Freunden zu. Er betatschte auch die Brünette und grölte: „He, wie wäre es mit diesen beiden Süßen für einen flotten Dreier, Jungs?“

Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete Ricardo die unappetitliche Szene. Für ihn war der Anblick von Frauen, die sich verkauften, nichts Neues, schließlich war er in den Armenvierteln von Neapel aufgewachsen. Doch diese verzogenen, verwöhnten und faulen Frauen der Oberschicht mit ihren Designerkleidern und dem Cartierschmuck waren seiner Meinung nach viel verdorbener als die Prostituierten in den engen Gassen Neapels. Schlecht gelaunt schob er seinen Stuhl zurück, stand auf und warf einen Haufen Geldscheine auf den Tisch. Der Mann, der ihn in den Club eingeladen hatte, unterhielt sich mit jemandem an der Bar. Ohne sich von ihm zu verabschieden, verließ Ricardo den Nachtclub.

Als Milliardär konnte er es sich leisten, auch einmal unhöflich zu sein.

Ordentlich lagen die Zeitungen auf dem Schreibtisch, sorgfältig vom ranghöchsten seiner vier persönlichen Assistenten dort hingelegt. Längst war es zu einem Ritual geworden, dass Ricardo morgens im Büro zwei Tassen starken Kaffees ohne Milch und Zucker trank und bei der zweiten Tasse die Zeitungen las. Mit geschultem Blick durchblätterte er die Seiten und hatte schnell gefunden, was er suchte. Mit einem zynischen Lächeln, das gar kein richtiges Lächeln war, bleckte er kurz die strahlend weißen Zähne. Blendend setzten sie sich gegen den dunklen Teint ab, der seine italienische Herkunft verriet. Mochten seine Gesichtszüge vielleicht nicht klassisch schön sein, war er doch ein so attraktiver Mann, dass er schnell Aufmerksamkeit erregte, besonders bei Frauen, die sich der feurigen, provozierenden Sexualität bewusst waren, die er ausstrahlte.

Er brauchte nicht lange auf die erst kürzlich überarbeitete und mit viel Gerede verbundene „Liste der Superreichen“ zu blicken, um seinen Namen zu entdecken. Tatsächlich konnte er die über ihm aufgeführten Leute an den Fingern einer Hand abzählen.

Ricardo Salvatore, Milliardär. Geschätztes Vermögen … Als er die Zahl las, die bei Weitem nicht an sein tatsächliches Vermögen herankam, lachte Ricardo grimmig. Dass er Single und zweiunddreißig Jahre alt war, traf zu. Falsch war allerdings, dass angeblich das Erbe seines Onkels den Grundstock für seinen Reichtum gebildet hatte. Darunter stand, es gehe das Gerücht, dass Ricardo Salvatore in Anerkennung seiner großzügigen Spenden für karitative Zwecke die Ritterwürde verliehen werden sollte.

Jetzt lächelte Ricardo zum ersten Mal an diesem Morgen richtig. Die Ritterwürde! Nicht schlecht für jemanden, der in früher Kindheit seine Eltern bei einem Zugunglück verloren hatte, aus dem Waisenhaus ausgerissen und im Grunde mutterseelenallein in den schlimmsten Vierteln von Neapel aufgewachsen war. Es war hart und brutal gewesen, trotzdem respektierte Ricardo die Gefährten seiner Jugend eher als die meisten Menschen, mit denen er heute verkehrte.

Familiäre Bindungen und enge Freundschaften hatten niemals zu seinem Leben gehört, daher vermisste er auch beides nicht. Im Grunde gefiel es ihm sogar, dass er allein und vollkommen unabhängig von den Forderungen anderer war. Er lebte nur nach seinen eigenen Regeln; was andere von ihm dachten, war ihm nicht wichtig. Mit achtzehn Jahren hatte er beim Glücksspiel so viel Geld gewonnen, dass er sein erstes Containerschiff kaufen konnte.

Ricardo legte die Zeitung zur Seite und griff nach einem Ordner mit der Aufschrift „Potenzielle Käufe“. Als umtriebiger Geschäftsmann hielt er ständig Ausschau nach vielversprechenden Firmen, und die Event-Agentur Prêt a Party würde sehr gut in sein Imperium passen.

Vor Kurzem hatte ein Geschäftsfreund das Unternehmen erwähnt und ihm erzählt, er sei gut mit der Familie der jungen Besitzerin bekannt. Nach ersten Nachforschungen war Ricardo überrascht gewesen, dass ein Finanzgenie wie Marcus Canning das Potenzial der Firma nicht selbst bemerkt hatte.

Da Ricardo von Natur aus ein Jäger war, genoss er – wie alle Jäger – die Verfolgung fast ebenso sehr wie den unvermeidlichen „Abschuss“. Prêt a Party mochte nur eine kleine „Beute“ sein, dennoch plante er die Jagd sehr sorgfältig. Sich detaillierte Geschäftsberichte zu besorgen wäre der normale Weg bei einer Firmenübernahme, doch Ricardo hielt nicht viel davon. Erstens würde er damit andere Jäger auf sein Interesse aufmerksam machen, und zweitens zog er seine eigenen Methoden vor und verließ sich lieber auf seinen Instinkt.

Zunächst einmal wollte er so viel wie möglich darüber herausfinden, wie effizient und rentabel das Unternehmen war. Natürlich könnte die Besitzerin Lucy Blayne ihm diese Informationen am ehesten geben, aber es war unwahrscheinlich, dass sie ihm die nötigen Auskünfte für eine feindliche Übernahme ihrer Agentur liefern würde. Deshalb hatte Ricardo beschlossen, sich als potenzieller Kunde auszugeben. Als pedantischer und sehr wählerischer Kunde, der genau wissen wollte, wie alles funktionierte. Er würde darauf bestehen, mit eigenem Auge zuzusehen, wie bei Prêt a Party ein Event organisiert wurde.

Damit man ihm diesen exzentrischen Wunsch erfüllte, musste er natürlich einen sehr verlockenden Köder für Lucy Blayne auslegen.

Und genau das würde er tun.

„Carly! Dem Himmel sei Dank, dass du da bist! Hier herrscht das absolute Chaos!“

Als Carly das elegante Büro von Prêt a Party in der Sloane Street betrat, hatte sie das Gefühl, dass die Dinge wirklich schlimm stehen mussten. Denn ihre alte Schulfreundin und jetzige Arbeitgeberin, die gutherzige, freundliche Lucy Blayne, war so in Hektik, dass sie nicht einmal fragte, wie der Event vom letzten Abend gelaufen war.

Mindestens ebenso hektisch lief eine hübsche, aber reichlich verängstigt aussehende neue Kollegin herum und versuchte, mit dem Nonstopklingeln des Telefons fertig zu werden. Währenddessen versicherten zwei andere Angestellte, die nicht neu waren, ihren Kunden, dass die Vorbereitungen für ihren großen Event im Gang seien und problemlos liefen.

„Wir haben sooo erstaunlich viel zu tun. Die Werbeparty, die wir für das It-Girl der angesagten Schmuckdesigner organisiert haben, wurde in Vogue erwähnt. Und Nick hat enorm viele neue Kunden in die Agentur gebracht“, schwärmte Lucy.

Stumm hörte Carly ihr zu und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie Nick nicht mochte. Keinesfalls konnte sie ihrer Freundin erzählen, warum. Schwer verliebt in ihren Ehemann, wie Lucy es nun einmal war, würde es sie sehr verletzen, wenn sie erfuhr, dass er sich an Carly herangemacht hatte. Und das nur wenige Tage nachdem Lucy ihn ins Unternehmen eingeführt hatte.

„Oh!“ Die hübsche junge Frau sah geschockt aus und ließ vor Schreck fast den Telefonhörer fallen. „Es ist der Duke of Ryle“, verkündete sie atemlos. „Er möchte Sie sprechen.“

Lucy verdrehte lachend die Augen. „Verschwinde bitte nicht gleich wieder, ich muss etwas Wichtiges mit dir besprechen“, flüsterte sie Carly noch schnell zu, bevor sie fröhlich sagte: „Onkel Charles, das ist aber nett. Wie geht es Tante Jane?“

In ihrem eigenen kleinen Büro entdeckte Carly sofort den Zettel auf ihrem Schreibtisch. Während sie ihn las, lächelte sie breit.

ACHTUNG! Lucy ist schwer am Rotieren. Jules.

Sie waren zusammen auf dem Internat gewesen – Lucy, Julia und Carly. Ebenso wie Julia, genannt Jules, war auch Carly zuerst sehr skeptisch gewesen, als Lucy ihnen von ihrem Plan, eine Event-Agentur zu gründen, erzählt hatte. Aber Lucy konnte sehr überzeugend sein. Und da sie keinen anderen Job in Aussicht hatten und Lucy dank ihres großen Treuhandvermögens nicht nur das Unternehmen gründen, sondern ihren Freundinnen auch ein ansehnliches Gehalt zahlen konnte, gab es keinen Grund abzulehnen.

Jetzt, drei Jahre später, musste Carly zugeben, dass es ganz danach aussah, als würde Lucys Firma ein großer Erfolg werden. Allerdings nur, wenn sie selbst weiter darauf bestand, dass sie hübsch auf dem Teppich blieben und ihre Kosten im Griff hatten.

„Komm zurück, du kleine Träumerin!“, rief eine Stimme hinter ihr und riss sie damit aus ihren Gedanken.

„Jules!“

„Und? Wie ist es gestern Abend gelaufen?“

Carly verzog das Gesicht. „Der Journalist, der Mike Lucas dabei geknipst hat, wie er mit der einen Hand die Honourable Seraphina Ordley und mit der anderen mich betatscht hat, wird seinen Fehler inzwischen eingesehen haben: ‚Du solltest die Nichte eines Großaktionärs unserer größten Boulevardzeitung niemals in einer Pose fotografieren, die sich eher für eine gescheiterte Kandidatin aus ‚Big Brother‘ eignet.‘“

„Ordley?“, fragte Jules nachdenklich. „Dann ist sie eine Harlowe.“ Da Jules die Enkeltochter eines Earls war, kannte sie den Adelskalender „Burke’s Peerage“ in- und auswendig. „Angeblich lautet das Motto der Harlowes in etwa: ‚Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.‘ Charles II. hat diesen Titel verliehen“, erklärte sie weiter. „Er hat solche Titel mit Vorliebe als Abschiedsgeschenk an seine abgelegten Geliebten verteilt. Du lächelst ja gar nicht“, beschwerte sie sich.

„Das würdest du auch nicht tun, wenn du gestern Abend dort gewesen wärst.“

„Oje! So schlimm?“

Statt zu antworten, sah Carly ihre Freundin nur an.

„Okay, ich entschuldige mich. Ich hätte hingehen sollen, und ich habe es auf dich abgeschoben. Hat er dich wirklich begrapscht? Was hast du gemacht?“

„Ich habe mich daran erinnert, dass uns der Abend sechstausend Pfund einbringt.“

„Ah.“

„Und dann habe ich eine volle Flasche Champagner in seinen Schritt fallen lassen.“

„Oh!“ Jules lachte.

„Es war nicht lustig. Ich habe Lucy sehr gern, und die meiste Zeit bin ich ihr wirklich sehr dankbar, dass sie mich bei der Gründung dieses Unternehmens mit einbezogen hat. Aber wenn es um Events wie den von gestern Abend geht …“

„Nick hat uns den Auftrag verschafft, oder?“

„Ja.“

„Und dein Wochenende? Hast du … sie besucht?“, fragte Jules vorsichtig.

Carly runzelte die Stirn. Obwohl die drei sich so nahestanden, dass sie keine Geheimnisse voreinander hatten, war ihr die Loyalität der eigenen Familie gegenüber trotzdem in Fleisch und Blut übergegangen. Dabei hätte sie allen Grund, sich von ihrer sogenannten Familie zu distanzieren.

Jules, die Honourable Julia Fellowes, wie die korrekte Anrede lautete, legte ihr tröstend die Hand auf den Arm, und da erst gab Carly ihre Verschwiegenheit auf.

„Es war grässlich. Ich glaube, sie haben es noch immer nicht richtig begriffen, und sie haben mir so leidgetan. Schließlich haben sie das Gut verloren und alles, was dazugehört. Dabei war ihnen das Prestige immer so wichtig, das ihnen der Besitz verliehen hat.“

„Zumindest haben sie dank dir ein Dach über dem Kopf.“

„Das Witwenhaus.“ Bitter verzog Carly das Gesicht. „Im Grunde hassen sie es, darin wohnen zu müssen.“

„Wie bitte? Und was heißt hier müssen? Dürfen wäre wohl eher angebracht. Du hast dich fast an den Bettelstab gebracht, um es ihnen zu kaufen. Also wirklich, Carly!“, ereiferte sich Jules.

„Auch wenn ich mir keinen Designerlebensstil leisten kann, nage ich wohl kaum am Hungertuch. Und weil du so großzügig bist, wohne ich mietfrei in einer der nobelsten Gegenden von London. Ich habe einen Job, den ich liebe, mache schöne Reisen …“ Anfangs hatte Carly sich gegen Jules großherziges Angebot gesträubt, bei ihnen beiden einzuziehen. Die „beiden“ waren Jules und ihr berüchtigter Tick, einkaufen zu gehen, wenn sie einen schlechten Tag hatte. Andere aßen Schokolade oder fetzten sich mit ihrer Mutter, Jules kaufte Schuhe. Sie selbst hingegen hatte immer nur gespart. Erst Pennys und dann ihr Taschengeld – ihr Trostgeld. Nicht, dass es sie wirklich getröstet hatte. Zumal ihr Bankkonto ständig leer war – dank der Bedürfnisse ihrer Adoptiveltern.

„… und du trägst eine Last, die man niemandem aufbürden sollte“, beendete Jules Carlys Aufzählung.

„Ich wünschte, ich hätte länger bleiben können. Ich habe mich so schuldig gefühlt, als ich sie allein gelassen habe“, überging Carly den Einwand der Freundin.

„Das ist doch vollkommen verrückt, Carly. Du schuldest ihnen nichts. Ganz im Gegenteil! Wenn ich nur daran denke, was sie dir angetan haben, könnte ich aus der Haut fahren!“

„Immerhin haben sie mir eine erstklassige Ausbildung ermöglicht“, erwiderte Carly ruhig. In Momenten wie diesem wurde ihr immer schmerzlich bewusst, wie groß die Kluft zwischen ihr und den anderen beiden war. Obwohl sie zusammen auf demselben exklusiven Internat gewesen waren, lagen Welten zwischen ihnen.

„Aber du hast einen ziemlich hohen Preis dafür zahlen müssen.“

Carly antwortete nicht. Schließlich stimmte es, wenn auch nicht so, wie Jules es gemeint hatte. Für Carly war das Wissen, dass sie immer eine Außenseiterin bleiben würde, eine unerträgliche Belastung.

Voller Mitgefühl umarmte Jules sie liebevoll.

Die hübsche brünette Julia und die weichherzige blonde Lucy. Carly hatte beide beneidet. Genau wie alle anderen Mädchen auf dem Internat. Mädchen, die wussten, dass sie ihren rechtmäßigen Platz einnahmen. Wohingegen Carly immer das Gefühl gehabt hatte, nicht berechtigt zu sein, auf eine so privilegierte Schule zu gehen. Ganz offensichtlich hatte sie nicht in diese fremde Welt der Reichen und Adligen gepasst, ganz offensichtlich konnte sie sich nicht in ihr Leben einfügen. Denn sie war und blieb nun mal ein Sozialfall, eine Arme mit einem gekauften Leben! Und natürlich hatten die anderen Schülerinnen sehr schnell erfahren, wie sie zu ihrem Internatsplatz gekommen war.

„Manchmal frage ich mich, was ich hier eigentlich mache“, sagte Lucy seufzend, die gerade zu ihnen ins Zimmer gekommen war.

„Nur manchmal?“, neckte Carly sie.

Lucy lächelte. „Wir erwarten einen wichtigen Kunden. Nick ist mit ihm auf dem Weg zu uns.“

Plötzlich sah Jules bedrückt aus. Sie war es gewesen, die Lucy Nick vorgestellt hatte, und Carly überlegte, ob Jules vielleicht ebenso anfällig für seinen angeberischen und schmeichlerischen Charme war wie Lucy. Oder war sie selbst vielleicht einfach übertrieben misstrauisch, weil sie befürchtete, dass Nick sich nicht richtig in Lucy verliebt hatte, sondern eher an ihrem Treuhandvermögen und der gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie interessiert war? Um Lucys willen hoffte Carly, dass Nick seine Frau tatsächlich liebte. Aber alles war so schnell gegangen. Zu schnell. Und jetzt spielte er in der Agentur eine führende Rolle.

Wie wichtig?“, fragte Carly.

„Jules, rufst du bitte mal eben ins Vorzimmer durch? Ich brauche dringend einen Espresso! Sehr wichtig. Anscheinend kennt er Marcus. Und ihr könnt euch vorstellen, wie mir damit zumute ist!“

Marcus Canning war Lucys bête noire: ein Freund der Familie und einer ihrer Vermögensverwalter. Bevor er ihr erlaubt hatte, Geld aus ihrem Treuhandvermögen in die Agentur zu investieren, hatte er verlangt, regelmäßig über alle Aspekte des Unternehmens informiert zu werden. Da er für seine klugen Geldgeschäfte und seinen Sachverstand bekannt war, war Carly sehr froh, dass er ein wachsames Auge auf die Agentur warf. Und als er sie bei der letzten Besprechung gelobt hatte, weil sie die administrativen und finanziellen Aufgaben im Unternehmen so gut erledigte, hatte sie sich enorm gefreut.

„Und wenn er uns einen Auftrag gibt, werden wir natürlich ganz groß rauskommen!“, erklärte Lucy begeistert.

„Wer ist er, und was will er?“, hakte Jules nach.

„Ricardo Salvatore. Er ist megareich und ein echter Selfmademan. Vor zwei Monaten war in einer der Sonntagsbeilagen ein Artikel über ihn. In Neapel aufgewachsen, ist er mit zehn Jahren aus dem Waisenhaus weggelaufen und hat sich einer Kindergang angeschlossen. Sie haben vom Handtaschenraub und Betteln gelebt. Inzwischen ist er Milliardär und besitzt – unter anderem – drei Luxuskreuzfahrtschiffe. Bei den Landausflügen sollen wir Partys und andere Events für die Gäste organisieren, in Villen überall auf der Welt. Die Häuser gehören ihm auch, in einem Fall sogar die Insel, auf der die Villa steht. Er hat vorhin angerufen, leider in einem sehr ungünstigen Moment. Wir waren noch zu Hause im Bett.“ Lucy verzog das Gesicht, dann lachte sie. „Der arme Nick war … Jedenfalls hat Nick mir gerade Bescheid gegeben, dass sie auf dem Weg hierher sind. Bevor er eine Entscheidung trifft, möchte Ricardo sich ein paar von unseren nächsten Events ansehen, als eine Art inoffizieller Gast.“

„Du willst ihn ohne Einladung mit auf die Partys anderer Kunden nehmen?“, fragte Carly schockiert. „Hältst du das wirklich für klug?“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass es unsere Kunden stört, einen Milliardär als zusätzlichen Gast zu haben“, verteidigte sich Lucy. „Wie dem auch sei, Nick hat bereits sein Okay gegeben. Und es wäre am besten, wenn du ihn begleitest, Carly.“

„Ich?“

„Eine von uns muss ihn begleiten. Außerdem …“ Unsicher biss Lucy sich auf die Lippe. „Hör zu, fass das jetzt bitte nicht falsch auf, aber ich denke, du hast mehr mit ihm gemeinsam als Jules und ich. Mit dir wird er sich wohler fühlen.“

Es dauerte einen Moment, bis Carly begriff. Dann brannte ihr Gesicht. „Ich verstehe. Weil er ein Selfmademan ist. Er kommt nicht aus der Oberschicht und …“

„Ach, Quatsch! Ich wusste, du würdest es falsch auffassen.“ Lucy stöhnte. „Ja, es stimmt, er hat sich vom armen Schlucker zum Milliardär hochgearbeitet, Carly. Aber das habe ich nicht gemeint! Es hat nichts, aber auch gar nichts mit der Gesellschaftsschicht zu tun. Ich möchte, dass du ihn begleitest, weil du einen besseren Eindruck auf ihn machen wirst als Jules oder ich. Denn anscheinend mag er all die Sachen, die du gern magst: Bücher, Museen, Kunstgalerien. Und es ist schrecklich wichtig, dass wir einen guten Eindruck machen und den Auftrag bekommen.“ Sie zögerte einen Moment. „Ich wollte euch das eigentlich nicht erzählen … Aber es läuft nicht mehr so gut bei uns. Wir hatten Anfang des Jahres diesen Lagerhausbrand, bei dem viel zerstört worden ist, und …“

„Aber wir waren versichert!“, protestierte Carly.

Betreten schüttelte Lucy den Kopf. „Nein, waren wir nicht. Nick fand die Prämien zu hoch und hat mich gebeten, nicht mehr zu zahlen, bis er sich über andere Versicherer informiert hat. Ich dachte, er hätte uns längst bei einer neuen Gesellschaft versichert, aber das habe ich wohl falsch verstanden. Und weil ich die Prämien nicht mehr bezahlt habe, ist unser Versicherungsanspruch erloschen.“

Lucy sah angespannt und verlegen aus. Versuchte sie, Nick zu schützen, indem sie seine Nachlässigkeit auf sich nahm? Insgeheim sagte sich Carly, dass sie dem potenziellen neuen Kunden dankbar sein sollte. Zumindest würde er sie eine Zeit lang von ihren Sorgen wegen Nicks Umgang mit dem Firmenkonto ablenken. Da Lucy sehr deutlich gemacht hatte, dass ihr Mann unbeschränkte Vollmacht über ihr Konto hatte und Geld abheben konnte, wann immer er wollte, konnte Carly nichts machen. Erst vor ein paar Tagen hatte Nick seine immer höher werdenden Abbuchungen mit einem Schulterzucken abgetan und lässig erklärt, dass ein mögliches Defizit aus Lucys Treuhandvermögen gedeckt werden würde.

„Sie werden in wenigen Minuten hier sein. Ich hoffe wirklich, wir bekommen den Auftrag.“ Lucy gähnte. „Ich bin sooo müde, und heute Abend haben wir zu allem Überfluss auch noch ein Familienessen. Was ist mit euch? Habt ihr etwas vor?“

„Nur meinen Literaturkurs“, erwiderte Carly.

„Ich verstehe nicht, warum du da noch immer hingehst“, sagte Jules.

Dabei war sie es gewesen, die vorgeschlagen hatte, an dem Kurs teilzunehmen – wahrscheinlich weil sie damals gerade in einen aufstrebenden Romanschriftsteller verliebt gewesen war. Doch schon nach einigen Wochen war es wieder aus gewesen, und Jules hatte lange Urlaub genommen und ihre Schwester in Australien besucht. Seitdem ging Carly allein zu den wöchentlichen Treffen.

„Tja …“

„Worüber sollt ihr denn heute schreiben?“ Bei der Erinnerung an einen ihrer gemeinsamen Abende in dem Club schüttelte sich Jules. „Nicht wieder über Abfall, oder?“

„Nein. Über Fantasiesex.“

„Du meinst, ihr sollt euch Sexszenen ausdenken?“ Lucy lachte. „Warum denn das?“

„Professor Elseworth will, dass wir unsere schöpferische Fantasie spielen lassen und in eine neue Dimension überführen.“

„Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass du über Sex schreibst, Carly“, sagte Jules. „Du tust es doch überhaupt nicht, stimmt’s?“

„Ich tue es nicht und werde es auch nicht tun, bis ich einen Mann finde, mit dem es sich lohnt!“

„Okay, damit habe ich kein Problem. Aber wie in aller Welt willst du über Sex schreiben, wenn …?“

Carly warf ihrer Freundin einen vernichtenden Blick zu. „Ich werde eben meine Fantasie spielen lassen. Darum geht es schließlich bei der Aufgabe.“

„Na klar!“

„Keine Gespräche über Sex während der Arbeitszeit“, mahnte Lucy scherzhaft.

Zu Carlys Erleichterung kam in diesem Moment die Neue mit Lucys Espresso. Wenn sie ehrlich war, hätte Carly heute nur allzu gern einen guten Grund gehabt, um den Kurs ausfallen zu lassen. Sie wollte nicht über Sex schreiben. Denn ihr war sehr wohl bewusst, dass sie sich gegen ihre Sexualität sperrte. Aber wie sollte sie sich einem Mann denn frei und unbefangen hingeben, wenn sie sich nicht einmal vorstellen konnte, ihm ihre seelischen Narben zu offenbaren? Wenn sie so eine Angst vor echter Intimität hatte? Angst, als nicht gut genug, nicht annehmbar eingeschätzt und zurückgewiesen zu werden? Schon sehr früh hatte sie gelernt, wie weh diese Form der Zurückweisung tat.

Mehr als alles andere brauchte sie emotionale und finanzielle Sicherheit in ihrem Leben: eine Karriere, einen netten und stabilen Freundeskreis, Reisen; und niemals wollte sie den Fehler begehen, sich zu verlieben.

Erst wenn sie einen Mann kennenlernte, den sie leidenschaftlich begehrte und der kein Risiko darstellte, würde sie eine sexu­elle Beziehung eingehen. Ein Frauenheld kam nicht infrage. Außerdem musste sie hundertprozentig sicher sein, dass keine Gefahr bestand, sich emotional auf ihn einzulassen. Da sie jedoch nicht einmal ernsthaft nach diesem Musterexemplar suchte, würde sie wohl noch auf unbestimmte Zeit Jungfrau bleiben.

Nicht, dass sie diese Aussicht beunruhigte.

2. KAPITEL

„Und meine Bedingungen sind wirklich kein Problem für Sie, Nick? Ich weiß, dass Sie nur wenige Mitarbeiter haben“, sagte Ricardo höflich.

„Überhaupt keins. Lucy hat mir erzählt, dass Carly sich sofort auf die Chance gestürzt hat. Tatsächlich hat sie geradezu darum gebettelt.“ Nick lachte. „Was ihr wohl auch niemand verübeln kann. Wenn eine Frau nur das Allerbeste gewohnt ist und es plötzlich nicht mehr zu haben ist, freut sie sich natürlich, wenn sie die Gelegenheit bekommt, Zeit mit einem reichen Mann zu verbringen.“

„Sie ist also auf der Suche nach einem reichen Ehemann?“

Nick grinste anzüglich. „Wer hat denn von Heirat gesprochen?“

„Haben Sie nicht gesagt, sie sei Teilhaberin?“

„Angestellte. Lucy, Julia und Carly waren zusammen auf dem Internat und haben die Agentur gemeinsam aufgebaut, aber weder Carly noch Julia haben Geld in die Firma gesteckt.“

„Dann gehört ‚Prêt a Party‘ also …“

„Nur Lucy und mir. Carly erledigt normalerweise den finanziellen Kram, allerdings glaube ich nicht, dass sie dem Job gewachsen ist. Sie würden mir sogar einen Gefallen tun, wenn Sie sie mir für eine Woche oder so vom Hals schaffen, damit ich die Finanzen endlich einmal richtig ordnen kann. Und Lucy ist ihren Freundinnen natürlich treu ergeben. Sie kennen den Typ: gute Manieren und nicht ein Gramm Verstand.“ Nick zuckte abfällig mit den Schultern. „Und natürlich möchte ich ihr auch nicht allzu viel Schlechtes über die beiden erzählen. Aber keine Sorge, Ricardo, Sie können nur gewinnen, wenn Carly Sie mit zu den Events nimmt. Sie sieht gut aus und ist sehr entgegenkommend, wenn Sie verstehen, was ich meine. Besonders, wenn Sie großzügig sind.“

„Sprechen Sie etwa aus persönlicher Erfahrung?“, fragte Ricardo trocken.

„Um Himmels willen, nein. Ich bin ein verheirateter Mann. Aber Carly hat mich wissen lassen, dass sie zu haben wäre, wenn ich es wollte“, prahlte Nick. Natürlich wusste er, dass Carly ihn nicht mochte, aber es machte ihm einen Heidenspaß, sie in eine unmögliche Lage zu bringen. Außerdem musste er sich überhaupt keine Sorgen machen, wenn er Carly anschwärzte, denn sie würde nicht zu Lucy gehen und petzen können. „Carly ist unglaublich gut darin, andere Leute für sich zahlen zu lassen. Sie hat es sogar geschafft, sich ein mietfreies Zimmer in Julias Wohnung zu erschnorren. Wenn sie keinen reichen Mann findet, der sie finanziert, hat sie immer noch den Job bei ‚Prêt a Party‘ als zweitbeste Lösung. All die Flüge erster Klasse und die Hotelaufenthalte auf Kosten der Kunden, außerdem lernt sie dort laufend deren Gäste kennen.“ Nick zwinkerte Ricardo vielsagend zu. „Ideal für eine Frau wie sie. Ich werde sie Ihnen vorstellen, und dann können Sie die Liste unserer nächsten Events mit ihr durchgehen und diejenigen auswählen, die Sie gern besuchen möchten.“

„Ausgezeichnet.“ Insgeheim dachte Ricardo, dass Nick sich nicht wie ein Geschäftsmann, sondern eher wie ein Zuhälter anhörte. Oder war das in der Branche vielleicht ein und dasselbe?

Inzwischen hatten sie die Agentur erreicht, und Nick hielt Ricardo die Tür auf. „Ah, da ist sie ja schon. Carly, kommst du bitte einmal?“

Nur widerstrebend gehorchte Carly. Sie trug ihr normales Büro-Outfit: Jeans und T-Shirt. Die Hose saß perfekt, aber das T-Shirt war aus dem Bund gerutscht, sodass ihr flacher, straffer Bauch zu sehen war. Carly joggte, wann immer sie Zeit dazu hatte. Kein Wunder, dass sie eine fantastische Figur hatte und ihren fast einen Meter fünfundsiebzig großen Körper mit einer sinnlichen Eleganz bewegte, deren sie sich überhaupt nicht bewusst war.

Während sie gelassen auf Nick zuging, schwang ihr das dichte, honigbraune Haar um die Schultern. Aber sie geriet aus dem Tritt, als sie den Mann sah, der neben Nick stand. Wenn sie einen Mann wollte – für Sex, an mehr war sie ja nicht interessiert –, dann diesen. Selbst aus dieser Entfernung spürte sie seine erotische Anziehungskraft. Er war eine wandelnde Verlockung für alle Frauen. Abgesehen von ihr natürlich. Sie war vor solchen Gefahren gefeit.

Ricardo erkannte sie sofort wieder. Während er beobachtete, wie sie auf ihn zukam, stellte er vollkommen nüchtern fest, dass er sie unbedingt ins Bett locken wollte. Außerdem verkörperte sie alles, was er an ihrer Gesellschaftsschicht und ihrem Typ nicht mochte. Sie war umwerfend schön und aufreizend selbstsicher. Und von Nick wusste Ricardo bereits, dass sie eine Frau war, die einen Mann danach beurteilte, wie reich er war und wie viel Geld sie ihm abknöpfen konnte. Mit anderen Worten: eine Goldgräberin.

„Hallo, meine Schöne. Das ist Ricardo Salvatore. Und übrigens: Mike Lucas hat mich angerufen und mir gesagt, wie sehr er deine Gesellschaft gestern Abend genossen hat.“ Schmeichlerisch legte Nick Carly den Arm um die Schultern und zog sie an seine Seite.

Abrupt riss sie sich los, streckte die Hand aus und lächelte Ricardo aufrichtig erfreut an. Schließlich würde er dafür sorgen, dass sie Nick eine Weile nicht ertragen musste.

Meine Güte, sie verschwendet wahrlich keine Zeit, dachte Ricardo, als er Carly die Hand schüttelte.

„Ricardo möchte sich die Liste mit unseren nächsten Events ansehen und sich diejenigen aussuchen, die er gern besuchen würde. Du kannst mein Büro benutzen, Carly“, sagte Nick freundlich.

Sein Büro? Bis er aufgetaucht war, hatte es ihr gehört. Und genau genommen war es noch immer ihres, da sie als Einzige darin arbeitete. Nick betrat es nur, wenn er wollte, dass sie einen weiteren Scheck gegenzeichnete.

Lächelnd bat Carly Ricardo, ihr in den kleinen Raum zu folgen. Längst konnte Ricardo die Frauen nicht mehr zählen, die ihn so herzlich und verheißungsvoll angelächelt hatten, wie Carly es jetzt tat. Verwöhnte Luxusgeschöpfe, die eine Privatschule besucht hatten und nur ein Ziel kannten: einen Mann zu finden, der ihnen den gewünschten Lebensstil finanzierte.

Habgierige Frauen waren ein Risiko für jeden Mann, dem die Presse das Etikett „reich“ anheftete. Das hatte Ricardo schon vor vielen Jahren feststellen müssen. Mit zweiundzwanzig, noch sehr naiv und als frischgebackener Millionär, war er das erste Mal so einer wohlerzogenen jungen Frau begegnet, die glaubte, dass jemand wie er sein Geld mit vollen Händen für sie ausgeben würde, weil ihm die Beziehung zu ihr gesellschaftliches Ansehen einbrachte.

Besagte Frau war die Schwester des jungen Unternehmers gewesen, mit dem er damals geschäftlich zu tun hatte. Anfangs dachte er, er müsse sich irren, sie könne sich unmöglich dermaßen offen an ihn heranmachen. Einem teuren Mittagessen folgte ein noch teurerer Einkaufsbummel, bei dem sie ihm die Rolex zeigte, die sie haben wollte. Nachdem sie sich für den Abend verabredet hatten und sie nach Hause zurückgekehrt war, ging Ricardo in den Laden und kaufte ihr die Uhr. Dann tauschte er sein Hotelzimmer gegen eine Suite, bestellte eine Magnumflasche Champagner und ein Luxusessen und träumte von den Wonnen, die auf sie beide warteten. Nach einer berauschenden Nacht mit fantastischem Sex würde er sie am Morgen wachküssen und mit der Uhr überraschen …

Doch Ricardo wurde sehr schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. „Mach schnell“, raunzte sie gereizt, anstatt seine zärtlichen Liebkosungen zu genießen. Und hinterher schmollte sie, bis er ihr die Armbanduhr gab. Am nächsten Tag erzählte ihm sein Geschäftspartner, dass seine Schwester so gut wie verlobt mit einem megareichen älteren Mann sei. Damit waren Ricardos Illusionen zwar zerstört worden, aber immerhin war sein Herz heil geblieben, und das Erlebnis hatte ihn etwas Wertvolles gelehrt: Der einzige Unterschied zwischen den verwöhnten Frauen der Oberschicht und den Prostituierten in Neapel war, dass die Prostituierten keine andere Wahl hatten – sie mussten sich verkaufen, wenn sie nicht verhungern wollten.

Er musste die Frau erst noch finden, deren Verlangen nach ihm nicht Hand in Hand mit ihrem Verlangen nach seinem Geld ging. Bis dahin wäre es sicher billiger und bequemer, wenn er für seine Bedürfnisse Professionelle bezahlen würde. Aber er war wählerisch, und deshalb befriedigte er lieber die finanziellen Ansprüche der Schickeriafrauen. Obwohl diese Frauen seine Überzeugung bestätigten, dass keine Frau aus einer vornehmen Familie darüber erhaben war, ihre „Vorzüge“ einzusetzen, um sich finanziell abzusichern.

Mit Carly würde er ins Bett gehen, und damit basta. Warum sollte er es nicht ausnutzen, dass sie so war wie die anderen? Er hatte schon lange keinen Sex mehr gehabt, und sie war eine schöne Frau. Aber ihr gesellschaftlicher Rang zog bei ihm nicht.

„Hier ist die Liste mit unseren nächsten Events“, sagte Carly ein bisschen atemlos, nachdem sie die Aufstellung ausgedruckt hatte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich Ricardos erotischer Ausstrahlung so stark bewusst sein würde. An diesen Typ Mann war sie nicht gewöhnt, daher war sie aufgekratzt und nervös, als hätte ihr ganzer Körper einen Gang höher geschaltet.

Als Ricardo sein Jackett ablegte, seufzte Carly unwillkürlich leise vor Bewunderung. Das perfekt sitzende weiße Seidenhemd betonte seine breiten Schultern und die kräftige Brust. Gegen ihren Willen spürte Carly, wie sich eine sinnliche Hitze in ihr ausbreitete. Wie war es möglich, dass sie so auf einen Mann reagierte, den sie gerade erst kennengelernt hatte?

Er las die Liste, die sie ihm gegeben hatte, und bemerkte offensichtlich nicht, was in ihr vorging. Natürlich war sie froh darüber. Oder? Sie war keine Frau, die sich ärgerte, wenn ein Mann kein Interesse an ihr zeigte.

Weil sie den richtigen Mann für sich bis jetzt noch nicht getroffen hatte?

„Ich könnte die besten Events für Sie raussuchen, wenn Sie mir sagen, wie Ihre Veranstaltungen ablaufen sollen“, schlug sie schnell vor.

„Ich weiß noch nicht, was ich will“, erwiderte er langsam.

Verblüfft sah sie ihn an. Natürlich hatte sie angenommen, dass er wie ihre anderen Kunden schon bestimmte Vorstellungen hatte.

Innerlich feixte Ricardo. Falls alles klappte, würde der erste Event, den Prêt a Party für ihn organisierte, die Party sein, mit der er den Kauf der Agentur feiern würde. „Ich habe gehört, dass Sie für Verwaltung und Buchführung verantwortlich sind?“

„Ja …“

„Sie müssen Ihre Arbeit gut im Griff haben, wenn Sie daneben auch noch Zeit haben, Kunden zu ihren Events zu begleiten.“

„Das mache ich normalerweise nicht. Ich springe nur manchmal für die anderen ein.“

Das klingt ja gerade so, als müsste sie dazu gezwungen werden, dachte Ricardo. Tja, er wusste es besser.

„Carly, Ihre Mutter hat angerufen. Sie möchte, dass Sie zurückrufen … Oh, tut mir leid.“ Die Neue war einfach ins Büro geplatzt und wurde rot, als sie sah, dass Carly nicht allein war.

„Ist in Ordnung, Izzie, ich rufe sie später an. Danke.“ Sie wusste schon, was ihre Adoptivmutter wollte. Auch wenn Carly ihr Bestes tat, die Frau würde es einfach nie lernen, mit Geld umzugehen. Früher war ihr Adoptivvater einmal ein reicher Mann gewesen. Ein luxuriöser Lebensstil und unbedachte Investitionen hatten das ganze Vermögen jedoch innerhalb weniger Jahre aufgefressen. Nach einem Schlaganfall konnte ihr Adoptivvater keiner Arbeit mehr nachgehen, und seitdem unterstützte Carly ihre Eltern. Leicht war es nicht. Denn ihre Adoptivmutter kaufte und bestellte ständig neue Sachen, und dann weinte sie, wenn sie die Rechnungen nicht bezahlen konnte. Oft fühlte sich Carly wegen der Verzweiflung ihrer Eltern schuldig, besonders da …

Ich habe so ein Glück, Freundinnen wie Lucy und Jules zu haben, dachte Carly gerührt. Trotz aller Sorgen kam sie mit ihren Adoptiveltern inzwischen einigermaßen gut aus, aber das war nicht immer der Fall gewesen. Was hätte sie ohne Lucy und Jules nur gemacht? Sich das Leben genommen? Sie hätte mit Sicherheit daran gedacht.

Wo ist sie wohl mit ihren Gedanken, fragte sich Ricardo neugierig, während er Carly beobachtete. Er räusperte sich. „Hier, das sind die Events, die ich besuchen möchte.“

Eilig verdrängte Carly ihre privaten Probleme und sah sich die Liste an. Er hatte drei Events angekreuzt: eine Einweihungsparty an Bord einer neuen exklusiven Jacht in St. Tropez, ein Medien-Event in den Hamptons – Werbung für ein Hochglanzmagazin –, zu dem altes Geld, neue Berühmtheiten und jeder eingeladen war, der in der Modewelt etwas zählte, und die Geburtstagsfeier eines weltberühmten älteren Rockstars auf seinem Schloss in Frankreich.

„Was ist los?“, fragte Ricardo, als Carly die Stirn runzelte.

„Die Jachtparty ist am nächsten Wochenende, und die Hamptons sind nur zwei Tage später dran. Es könnte schwierig werden, die Flüge und Hotelzimmer zu organisieren.“ Carly hielt die Kosten niedrig, oder zumindest hatte sie es getan, bis Nick angefangen hatte, sich einzumischen. Wenn sie nicht von den Kunden zu Events im Ausland geflogen wurden, buchte sie grundsätzlich nur Billigflüge.

Ricardo zog die Augenbrauen hoch. „Das ist kein Problem. Wir nehmen meinen Privatjet. Einer meiner persönlichen Assistenten kann die Einzelheiten ausarbeiten. Ach ja, und er muss Ihren Reisepass haben – so bald wie möglich. Ich weiß von Nick, dass Sie normalerweise einen Tag vor dem Event vor Ort sind. Das ist mir sehr recht, dann kann ich mir ansehen, wie die Dinge ablaufen.“

Als Ricardo aufstand, erhob sich auch Carly. Doch plötzlich wollte sie nicht an ihm vorbei zur Tür gehen, weil sie ihm dabei zu nahe kommen würde. Zu nahe? Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich.

„Mein persönlicher Assistent wird Sie wegen der Abflugzeiten anrufen“, sagte Ricardo abschließend.

Mit energischen Schritten ging Carly zur Tür. Jetzt war sie fast neben ihm. Nur noch wenige Schritte, und sie wäre draußen. In Sicherheit.

In Sicherheit? Vor was? Glaubst du etwa, er würde über dich herfallen, verspottete sie sich selbst. Und dann machte sie den Fehler, Ricardo anzusehen.

Ihr Herz hämmerte sofort wie verrückt, und ihre grauen Augen wurden dunkler vor Verlangen, als sie auf seinen Mund blickte. Wie würde es sich anfühlen, ihn zu küssen?

„Ich warne Sie …“, begann Ricardo.

Sofort wurde Carly rot.

„… davor, irgendjemandem zu sagen, warum ich diese Partys besuche. Das muss absolut vertraulich bleiben.“

Er sprach von den Events! Carly seufzte erleichtert. „Ja, natürlich“, versicherte sie ihm schnell, während sie es mit weichen Knien endlich durch die Tür schaffte.

„Und noch eins.“

„Ja?“ Carly drehte sich zu ihm um.

„Wenn Sie das nächste Mal so auf meinen Mund starren …“

„Ich habe nicht …“

„Lügnerin. Sie haben ihn angesehen, mich angesehen, als könnten Sie es kaum erwarten, von mir geküsst zu werden. Als wünschten Sie sich, ich würde Sie gegen den Türrahmen drücken und hier und jetzt über Sie herfallen.“

„Nein!“ Und das war die Wahrheit. So weit hatte sie nicht gedacht!

Zu ihrer Erleichterung kam Lucy in diesem Augenblick auf sie beide zu.

Obwohl er bereits vor einer guten Stunde gegangen war, beschäftigte Ricardo Carly noch immer. Kein Wunder, nur eine Frau ohne das kleinste Fünkchen Leidenschaft könnte übersehen, wie attraktiv er war, versuchte sie sich zu beruhigen.

Das war aber auch ihre einzige Entschuldigung. Carly schob die Tastatur zurück und stand auf. Ihr Gesicht brannte, und sie registrierte voller Unbehagen, dass sie erregt war. Körperlich erregt, aber natürlich nicht emotional. Das war unmöglich. Schließlich hatte sie sich geschworen, sich niemals zu verlieben, niemals ihr seelisches Gleichgewicht in Gefahr zu bringen.

Unruhig wanderte sie in dem kleinen Büro auf und ab. In ihrer Kindheit hatte sie gelernt, wie weh es tat, zurückgewiesen zu werden. Ein gelassenes, selbstsicheres Auftreten und das Recht, von anderen Menschen Respekt zu fordern, hatte sie sich hart erkämpft und dabei völlig verdrängt, was für ein mitleiderregendes, liebebedürftiges Kind sie gewesen war. Und so sollte es auch bleiben.

Also warum machte sie sich jetzt Gedanken? Schließlich bedrohte niemand ihr Selbstbewusstsein – am allerwenigsten Ricardo Salvatore. Wahrscheinlich hasste er emotionale Bindungen ebenso wie sie, wenn auch aus ganz anderen Gründen.

3. KAPITEL

Nach dem ersten großen Geschäftserfolg der Agentur hatte Lucy Carly und Jules eine elegante „Tank Française-Uhr“ von Cartier geschenkt. Jetzt sah Carly auf ihre Armbanduhr und griff nach dem Koffer. In zwei Minuten sollte das Auto da sein, das Ricardo ihr geschickt hatte. Höchste Zeit, dass sie nach draußen ging.

Am Donnerstagmorgen war Lucy ins Büro geplatzt und hatte geschrien: „Du liebe Güte, Carly, mir ist gerade klar geworden, dass im Kostümfundus nichts ist, was dir passt!“

Der „Kostümfundus“ war in Wirklichkeit ein kleines Zimmer im Londoner Haus von Lucys Eltern. Dort hingen die glamourösen Outfits, die Lucy und Jules bei den Events trugen. Glücklicherweise hatten beide Frauen dieselbe Kleidergröße.

Die Designersachen waren alle second-hand gekauft und stammten aus den verschiedensten Quellen.

„Guckt euch das an“, hatte Lucy nach ihrer letzten Einkaufsexpedition staunend gesagt und etwas hochgehalten, was wie ein mit Pailletten besetztes Taschentuch aussah. „Wer in aller Welt würde so ein Ding kaufen?“

„Du hast es getan“, hatte Carly lachend erwidert.

„Ja, aber ich habe nur fünfzig Pfund dafür bezahlt. Neu hat es über eintausend gekostet.“

„Es ist sehr sexy“, meinte Jules nach einem gründlichen Blick.

Doch Carly hatte ihr widersprochen. „Ich finde es eher vulgär und flittchenhaft.“

„Hm … Tja also, Nick hat es entdeckt.“

Weil Carly die Sachen im „Kostümfundus“ nicht passten, hatte Lucy am Donnerstag energisch verkündet: „Los, Carly. Wir müssen auf einen Fischzug gehen und dich einkleiden!“

Anfangs hatte sie sich gesträubt, doch Jules und Lucy hatten nicht lockergelassen.

Sämtliche in Secondhandshops und Marktbuden gefundenen Outfits waren an diesem Morgen aus der Reinigung gekommen und lagen jetzt in Carlys Koffer, zusammen mit ihren eigenen Sachen. Sie sah im Geiste noch einmal alles durch: ein weißer Seidenhosenanzug, zwei Abendkleider, ein Badeanzug mit passendem Hosenrock und Jacke. Ihre eigenen sportlich-eleganten Sommersachen waren von Lucy begutachtet und für perfekt erklärt worden.

Den Koffer hinter sich herziehend, stieß Carly die Haustür auf und trat hinaus in die Vormittagssonne.

Vom Rücksitz aus beobachtete Ricardo Carly, während der Chauffeur die Limousine aus der Parklücke fuhr, die er ein Stück vom Haus entfernt gefunden hatte.

Keine Kosten scheuen, aber jemand anderen dafür zahlen lassen. Für diesen Lebensstil ist Carly ein typisches Beispiel, dachte Ricardo verächtlich. Weißes T-Shirt, perfekt sitzende Bluejeans, langes, glänzendes Haar, dezentes Make-up, Sonnenbrille, „gute“ Armbanduhr, Slipper. Die viel zu dünne Frau im Designermix, die gerade auf Stilettoabsätzen an Carly vorbeistöckelte, konnte ihr nicht das Wasser reichen. Keine Frage: Carly hatte Klasse.

Wie würde sie im Bett sein? Neugierig? Oder doch eher passiv gelangweilt?

Unwillkürlich musste Ricardo an eine andere Frau aus ihrer Schicht denken, eine, die er kennengelernt hatte, als er schon etwas verbittert, aber noch nicht völlig abgestumpft war. Er hatte sie hübsch gefunden, bis sie ihre finanziellen Forderungen immer höher geschraubt und einen Ehering im Austausch gegen den angeblichen Vorteil, in eine höhere Gesellschaftsschicht aufzusteigen, verlangt hatte. Voller Verachtung hatte er ihr daraufhin gesagt, er würde eine ehrliche Hure vorziehen.

Natürlich forderten Frauen wie Carly niemals offen Geld für Sex, doch sie suchten mit Argusaugen nach dem reichsten Ehemann, den sie finden konnten. Er zahlte und bekam dafür Sex mit einer Luxuspuppe, deren Ansprüche höher waren als das Vermögen ihrer vornehmen Familie. Das war ein Tauschhandel, der Ricardo anekelte.

Schon lange machte er sich keine Illusionen mehr über Frauen oder Sex. Er war so reich, dass er jede Frau bekommen konnte. Auch Carly. Das hatte sie ihm schon deutlich zu verstehen geben, als sie ihn so unverfroren angestarrt hatte. Ihr Blick war eine offene Einladung gewesen. Vermutlich würde sie bei der erstbesten Gelegenheit mit ihm schlafen. Und am nächsten Morgen ein Schmuckstück erwarten oder einen Anruf aus einem exklusiven Laden – sie möge doch vorbeikommen und sich etwas aussuchen …

So wurden diese Dinge in ihren Kreisen geregelt.

Ich denke zu viel an sie, warnte sich Ricardo. Schließlich wollte er in erster Linie Prêt a Party kaufen und nicht Carly Carlisle.

Als die elegante stahlgraue Limousine neben ihr hielt und Ricardo ausstieg und nach ihrem Koffer griff, war Carly völlig verblüfft. Unsicher blickte sie zum Chauffeur.

„Charles fährt. Ich bin sehr wohl imstande, einen Koffer hochzuheben“, sagte Ricardo trocken.

„Er ist schwer.“

Doch Ricardo ignorierte den Einwand und beförderte ihn in den Kofferraum, als wäre er federleicht.

In seiner hellbraunen Hose und einem schwarzen T-Shirt war Ricardo unglaublich attraktiv. Möglichst unauffällig beobachtete Carly, wie sich seine Armmuskeln anspannten, aber sie wollte sich die Reaktion lieber nicht eingestehen, die sein Anblick in ihr auslöste. Also hatte er eine so athletische Figur, dass er den Macho spielen konnte. Na und, dachte sie, während er sich über den offenen Kofferraum beugte. Trotzdem sah sie seinen breiten Rücken im Geiste plötzlich nackt vor sich, über ihren nackten Körper gebeugt … Das Bild war so erotisch, dass sie weiche Knie bekam.

Einige Minuten später saß Carly sittsam neben Ricardo auf dem Rücksitz und war sich sehr bewusst, dass ihre Gedanken alles andere als sittsam waren. Grund für ihre einwandfreie Haltung war lediglich der „Sitz gerade!“ – Reflex nach den vielen Benimmstunden auf dem Internat.

Sie ist perfekt, dachte Ricardo im selben Moment neben ihr. Mit dieser kühlen, abweisenden Pose forderte Carly es geradezu heraus, sie zu erobern. Bei den meisten Männern würde es zweifellos funktionieren. Nur war er nicht wie die meisten Männer. Ohne sie weiter zu beachten, öffnete Ricardo seinen Aktenkoffer und nahm einige Papiere heraus.

Sobald sie den Innenstadtverkehr hinter sich gelassen hatten, fuhr der Chauffeur schneller. Carly war froh, dass Ricardo in seine Arbeit vertieft war. Anstatt höflich Konversation zu betreiben, konnte sie so an ihre eigenen Aufgaben denken. Da die Party auf der Jacht des Kunden stattfand, brauchten keine Zelte aufgebaut zu werden. Koch und Küchenpersonal des Kunden wurden vom Koch eines exklusiven Caterers unterstützt, den Carly beauftragt hatte. Die Menüs waren abgesprochen, ebenso die Blumenarrangements. Der Florist war extra aus London eingeflogen worden, am nächsten Morgen würde sie sich mit ihm treffen. Außerdem war sie dafür verantwortlich, dass der Friseur, die Visagistin und eine Ankleidefrau aus dem bevorzugten Haute-Couture-Haus der Gastgeberin rechtzeitig eintrafen. In ihrem Aktenkoffer hatte Carly einen zentimeterdicken Stapel Listen, und die meisten hatte sie tatsächlich auswendig gelernt.

Sie lehnte sich zurück gegen das Lederpolster. Wie lächerlich, dass sie sich Ricardos Nähe so stark bewusst war! Und noch lächerlicher war, wie heftig sie körperlich auf seine erotische Anziehungskraft reagierte. Unwillkürlich betrachtete sie seine schönen Hände, und sofort bildete sie sich ein, sie auf ihrer Haut zu spüren, als würde Ricardo sie streicheln.

Augenblicklich durchströmte eine wohlige Hitze ihren Körper. Ärgerlich schlug Carly die Beine übereinander und stellte sie gleich darauf wieder nebeneinander. Das war ja völlig verrückt. Als hätte Ricardo Salvatore ein sehr sinnliches Alter Ego in ihr geweckt. Und dieses Alter Ego versuchte nun anscheinend, die Kontrolle über sie zu übernehmen! Nein. Das war wirklich verrückt.

Erleichtert registrierte Carly aus dem Augenwinkel, dass sie den Flughafen erreicht hatten. Der Chauffeur hielt vor einem Tor mit der Aufschrift „Kein Zutritt“, und ein Zollbeamter kam zum Auto.

„Ihren Reisepass, bitte“, sagte Ricardo.

Dummerweise war sie nicht auf diese Formalität vorbereitet und brauchte mehrere Sekunden, um den Pass herauszuholen. Während sie ihn Ricardo gab, rutschte ihr die offene Handtasche weg. Münzen, ihr Lippenstift, ihr Portemonnaie und andere persönliche Gegenstände fielen auf den makellosen Ledersitz und den Boden der Limousine.

Knallrot im Gesicht löste Carly den Sicherheitsgurt und sammelte alles so schnell wie möglich wieder ein. Inzwischen fuhr der Wagen weiter, und durch die Bewegung rollte der Lippenstift über den Sitz und blieb direkt neben Ricardos Oberschenkel liegen.

Sie konnte das Ding nicht da wegholen, ohne Ricardo zu berühren.

„Könnte ich bitte meinen Lippenstift wiederhaben? Er ist … Sie sitzen darauf.“

„Was?“ Ricardo warf ihr einen verständnislosen Blick zu.

„Mein Lippenstift. Er ist aus meiner Handtasche gefallen, und jetzt liegt er …“ Carly sah vielsagend auf die Stelle.

Ganz eindeutig klang Ricardos Seufzen genervt. Unwirsch griff er nach dem Stift und gab ihn ihr.

In dem Moment, in dem Carly den Lippenstift entgegennahm, fuhr Charles in ein Schlagloch, dem er wegen eines entgegenkommenden Fahrzeugs nicht ausweichen konnte. Dabei wurde Carly gegen Ricardo geschleudert und hielt sich unwillkürlich an seinem Arm fest. Ihr Gesicht war an seine Brust gedrückt, und sie atmete seinen Duft ein, spürte die harten Muskeln und den langsamen, schweren Herzschlag. Unerwünschte Bilder tauchten vor ihrem geistigen Auge auf. Ricardo trug sie, er war nackt, sie ließ die Hände über seine warme, straffe Haut gleiten … Ein unbändiges Verlangen durchflutete sie, und instinktiv verstärkte sie den Druck ihrer Finger auf seinen Arm.

Plötzlich wurde ihr bewusst, was sie da tat. Entsetzt ließ sie Ricardo los und rückte von ihm ab.

Als sie sich auf ihre Seite der Rückbank zurückzog, bewegte sich auch Ricardo und wandte sich von ihr ab, um seine Erregung zu verbergen. Allmählich sah er ein, dass er die Wirkung unterschätzt hatte, die Carly auf ihn ausübte. Sein Verlangen nach ihr war viel stärker, als er sich vorgestellt hatte. Noch schlimmer, es bedrohte seine Selbstbeherrschung. Er wollte nicht diesen unwiderstehlichen Drang spüren, Carly zu berühren, sie zu lieben und …

Zu seinem Ärger wurde seine Erregung nicht schwächer, sondern immer stärker. Um sie zu verbergen, musste Ricardo die Zeitung aufschlagen und sie noch einmal lesen.

„Danke, Charles.“

Carly konnte den Chauffeur zum Abschied nur flüchtig anlächeln, dann wurde sie auch schon von einem Steward in den Privatjet geführt, während Ricardo noch mit dem Piloten sprach. Schon oft hatte Lucy von den luxuriösen Reisen in den Privatjets einiger ihrer reicheren Kunden geschwärmt; heute erlebte Carly es zum ersten Mal selbst.

Von innen ähnelte das Flugzeug einem modernen Apartment. Ganz in Weiß- und Grautönen gehalten, brachte der Raum die schwarzen Ledersofas besonders gut zur Geltung. Der Steward wies sie taktvoll darauf hin, dass hinter dem Sitzbereich ein Schlafzimmer mit Dusche eingebaut war.

„Die Küche liegt kurz vor dem Cockpit, und dort gibt es auch eine weitere Toilette …“ Auf einmal verstummte er und sagte förmlich: „Guten Morgen, Sir.“

Auch Carly drehte sich jetzt um und sah Ricardo in die Kabine kommen.

„Guten Morgen, Eddie. Wie geht es Sally und dem Baby?“

„Beiden geht es sehr gut, danke. Sally war überglücklich, dass Sie ihre Eltern zur Geburt einfliegen haben lassen. Sie hatte sich schon damit abgefunden, dass sie nicht kommen.“

Woraufhin Ricardo nur die Schultern zuckte und das Thema wechselte. „Phil sagt, wir werden einen guten Flug haben, nach Nizza und auch nach New York.“ Er sah Carly an. „Ich muss arbeiten, aber Sie können Eddie gern um alles bitten, was Sie brauchen.“

„Möchten Sie sich vielleicht dorthin setzen, bis wir in der Luft sind, Madam?“, schlug Eddie höflich vor und zeigte auf einen der Sofaplätze.

Fügsam ging Carly zu dem Sofa und setzte sich.

„Kann ich Ihnen ein Glas Champagner bringen?“, fragte der Steward.

Sie dachte an den Abend im Nachtclub und schüttelte sich innerlich. „Mineralwasser bitte“, erwiderte sie energisch.

Überrascht runzelte Ricardo die Stirn. Warum lehnte Carly Champagner ab? An dem Abend im „CoralPink“ hatte sie keine Skrupel gehabt, das Zeug zu trinken.

Carly dankte Eddie für das Wasser und holte ihren Laptop heraus. Denn Ricardo war nicht der Einzige, der arbeiten musste. Fünf Minuten später, als der Jet die Startbahn entlang­rollte, las sie bereits konzentriert ihre E-Mails. Und dennoch war sie sich Ricardos Gegenwart äußerst bewusst.

Sie konnte nicht vergessen, was für eine beunruhigende Wirkung der flüchtige Körperkontakt im Auto auf sie gehabt hatte. Und sobald sie daran dachte, kehrte das Verlangen jenes Moments zurück. Hatte Eddie nicht gesagt, das Flugzeug habe ein Schlafzimmer?

In diesem Moment hob der Jet ab. Carly hielt den Atem an und zwang sich, nicht mehr an Ricardo zu denken.

„Ich würde Ihnen gern einige Fragen dazu stellen, wie bei ‚Prêt a Party‘ gearbeitet wird.“

Gehorsam legte Carly die Liste beiseite, die sie gerade las. Schließlich war Ricardo ein potenzieller Kunde.

„Wenn ich der Agentur den Auftrag geben würde, ein Event für mich zu organisieren, wer wäre dann für die Kostenaufstellung verantwortlich?“

„Ich.“

„Und wer beauftragt die Lieferanten?“

„Normalerweise auch ich. Wir sind inzwischen lange genug im Geschäft, um einen Stamm von Firmen zu haben, die wir regelmäßig einsetzen. Manche Kunden möchten jedoch einen bestimmten Caterer, Floristen oder Musiker. Mit den Leuten verhandeln wir dann entweder im Namen des Kunden, oder er verhandelt selbst mit ihnen. Wenn er sich für Letzteres entscheidet, verlangen wir, dass die Rechnung direkt an ihn geht. Denn wir wissen genau, wie hoch der Rechnungsbetrag sein wird, wenn wir für die Kostenvoranschläge der Lieferanten verantwortlich sind. Läuft der Auftrag allerdings über den Kunden, ist das nicht immer der Fall.“

„Vermutlich bekommen Sie bei Ihren Stammpartnern gute Rabatte?“

„Natürlich, und wir geben sie ohne Aufschlag an unsere Kunden weiter. Aber der Preisnachlass ist nicht das Hauptkriterium bei der Wahl der Lieferanten. Qualität, Zuverlässigkeit und Exklusivität sind unseren Kunden oft wichtiger als Billigangebote.“

„Und was machen Sie, wenn Ihnen jemand sagt, es würde sich für Sie lohnen, ihm den Auftrag zu geben?“

Nach dieser Frage konnte Carly Ricardo nicht mehr offen ansehen. Sie spürte, dass sie rot wurde. Seit Nick in dem Unternehmen arbeitete, hatte sie mehrere solcher Angebote erhalten. Und jedes Mal hatten die Lieferanten behauptet, Nick habe ihnen die Arbeit versprochen. Nick hatte Carly gedrängt, die Angebote zu nutzen, doch sie hatte sich geweigert. Lucy würde derartige Geschäftspraktiken niemals gutheißen. Weil sie ihrer Freundin nicht wehtun wollte, hatte Carly ihr allerdings nichts von den Spielchen ihres Ehemanns erzählt. Und zweifellos konnte sie auch nicht mit Ricardo – einem potenziellen Kunden – darüber sprechen.

„Wir … ich … ich möchte klarstellen, dass wir keine Schmiergelder annehmen“, erwiderte sie nervös.

Doch ihre Körpersprache verriet Ricardo, dass sie log. Wahrscheinlich bessert sie ihr Gehalt mit Schmiergeldern beträchtlich auf, dachte er grimmig. Es überraschte ihn ein wenig, dass sie während des Flugs noch nicht versucht hatte, ihm näherzukommen. War er darüber etwa enttäuscht? Ricardo tat den Gedanken mit einem Schulterzucken ab. Wohl kaum. Er hatte einfach nur angenommen, dass sie ihm sehr schnell ihre Verführungskünste vorführen würde.

Frauen wie Carly waren unglaublich geschickt darin, einen Mann anzumachen. Ganz unschuldig gaben sie vor, ihm etwas zeigen zu wollen, und neigten sich dabei so weit zu ihm, dass er ihr Parfüm einatmete. Noch hatte er den Duft nicht erkannt, den Carly benutzte. Vielleicht eine exklusiv für sie zusammengestellte Mischung? Von einem der drei Top-Parfümeure der Welt? Und bezahlt von einem sehr reichen und sehr verliebten Mann!

Zumindest hatte sie keine Brustvergrößerung machen lassen. Das hatte er gemerkt, als sie im Auto gegen ihn gefallen war. Aber sie trug einen BH, einen schlichten, nahtlosen. Ungewöhnlich für eine Frau, die sich einen Mann angeln wollte. Und vollkommen unnötig bei so schönen, festen Brüsten.

Wenn sie sich jetzt über ihn beugen würde, könnte er ihr das T-Shirt und den BH hochschieben und ihre Brüste mit den Händen und dem Mund erforschen … Während er versuchte, seine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, bewegte sich Ricardo unruhig hin und her.

„Wir landen in wenigen Minuten“, verkündete Eddie mit einem freundlichen Lächeln.

Dankbar lächelte Carly den Steward an und packte ihre Unterlagen ein. Obwohl sie keine Angst vorm Fliegen hatte, war sie froh, bald aus dem Flugzeug aussteigen zu können. Zumindest keine Angst im sexuellen Sinn. Da, schon wieder! Sie dachte an Sex. Weil sie mit Ricardo schlafen wollte? Schön wär’s! Aber wenn sie die Gelegenheit bekommen würde …

Vor dem Flughafengebäude bettelten Kinder. Dünn und schmutzig, in schäbigen zerrissenen Sachen drängten sie sich zu einer mitleiderregenden Gruppe zusammen, aber alle Fluggäste ignorierten sie. Das kleinste Kind konnte gerade laufen.

Ricardo war den Leihwagen holen gegangen und hatte Carly gebeten zu warten. Im Terminal hatte sie einen Sandwichladen gesehen. Man sollte Essen statt Geld geben, richtig? Weil ihnen das Geld blitzschnell wieder abgenommen werden konnte. Den Koffer hinter sich herziehend, ging Carly zurück in die Ankunftshalle.

Als sie sich den Kindern anschließend mit einem Arm voller Sandwiches näherte, entrissen ihr die jüngeren sofort das Essen.

„Euros“, verlangten die älteren mürrisch.

Aber Carly schüttelte den Kopf. Sie bemerkte die missbilligenden Blicke der Leute. Zweifellos dachten sie, sie ermuntere die Kinder zum Betteln.

Als ihr Handy klingelte und sie sah, dass es ihre Adoptivmutter war, spürte sie die vertraute Angst und Verzweiflung. Durch Schuldbewusstsein und Pflichtgefühl war sie an ihre Adoptiveltern gebunden. Schuldbewusstsein, weil sie sie nicht liebte und am Leben war, während die leibliche Tochter tot war.

Fenella war an einer Überdosis gestorben. Ihr Tod war für Carly kein so großer Schock gewesen wie für ihre Eltern. Denn im Gegensatz zu ihnen hatte sie Bescheid gewusst. Wie oft war Fenella bei ihr aufgetaucht und hatte so lange auf sie eingeredet, bis sie ihr Geld für Drogen gegeben hatte. Und als sie zusammen aufgewachsen waren, hatte Fenella ihr das Leben zur Hölle gemacht. Immer war sie die innig geliebte Tochter gewesen, während sie selbst … Carly verdrängte die Gedanken. Jetzt war sie erwachsen.

Es dauerte einige Minuten, bis sie herausgefunden hatte, was los war. Ihre Adoptiveltern hatten eine Rechnung über mehrere Tausend Pfund nicht bezahlt und alle Mahnungen ignoriert. Wie hatten sie nur so viel Geld ausgeben können? Carly war ein bisschen übel. Sie hatte gerade genug auf dem Konto, um ihnen zu helfen.

„Keine Sorge, ich bringe das in Ordnung“, versprach sie und beendete das Gespräch. Als sie sich zu ihrem Trolley umdrehte, starrte sie ungläubig auf die Stelle, an der er gerade noch gestanden hatte. Während sie gegen ihre aufsteigende Panik kämpfte, sah sie Ricardo auf sich zukommen.

Er nahm ihr den Laptop und das Bordcase ab. „Das Auto steht ein Stück weiter vorn. Wo ist Ihr Koffer?“

„Ich … also … er ist weg.“ Carly war sich völlig darüber im Klaren, dass sie selbst an diesem Missgeschick schuld war. Ihre gute Tat war nach hinten losgegangen.

„Weg?“

„Ja. Jemand muss ihn gestohlen haben.“

Mit einem bösen Lächeln quittierte Ricardo die keineswegs subtile Botschaft. Ihren Koffer „zu verlieren“ war ein dramatischer Auftakt zu ihrem Plan, sich von ihm ihre Garderobe auffüllen zu lassen. Was hatte sie mit dem Koffer gemacht? Ihn in ein Schließfach gestellt?

„Und jetzt haben Sie nichts anzuziehen?“, fragte er hilfsbereit. Fürs Erste würde er mitspielen. Wenn auch nur, um sich ihren Modus Operandi anzusehen.

„Nur das, was ich anhabe.“ Und dank ihrer Adoptiveltern würde sie es sich nicht leisten können, die verlorenen Sachen zu ersetzen.

„Das ist natürlich ärgerlich, aber zumindest wird Ihre Versicherung den Schaden abdecken.“ Ricardo beobachtete Carly und musste zugeben, dass sie sehr gut war. Sie atmete hörbar ein, und ihr Blick flackerte. „Sie sind doch versichert, hoffe ich?“

„Ja“, sagte Carly, doch ihr war gerade klar geworden, dass ihre Versicherung wohl kaum die mit Lucy ausgesuchte Designergarderobe ersetzen würde.

„Dann ist es ja kein Problem, stimmt’s? Schließlich ist St. Tropez das ideale Pflaster für eine Einkaufstherapie.“

„Ja, aber ich bin sicher, dass es auch eins der teuersten ist“, erwiderte Carly sarkastisch. „Ich sollte ein Polizeirevier suchen und den Diebstahl melden.“

Voller Anerkennung hörte Ricardo zu. Sie war wirklich sehr gut. „Ich bezweifle, dass es etwas nützen wird. Außerdem können Sie das auch von der Villa aus telefonisch erledigen“, sagte er kurz angebunden.

Carly begriff, dass er losfahren wollte und sie ihn aufhielt. Und er war ein potenzieller Kunde. Was sollte sie jetzt machen? Gerade noch hatte sie ihrer Adoptivmutter versprochen, das Geld zu überweisen. Danach würde sie nicht mehr genug auf ihrem Konto haben, um neue Designeroutfits zu kaufen. Aber sie wollte auf keinen Fall das Firmenkonto belasten, indem sie Lucy um Geld bat, damit sie Sachen ersetzen konnte, die sie verloren hatte. Besonders, da sie das Budget bereits ausgeschöpft hatten.

Dies war kein guter Zeitpunkt, um sich an den Vortrag zu erinnern, den sie Lucy und Jules neulich gehalten hatte. Eindringlich hatte sie den beiden geraten, ihrem Beispiel zu folgen und auf Kreditkarte zu verzichten.

Carly hatte lediglich ein paar Hundert Euro in bar dabei. Wahrscheinlich reicht das in St. Tropez gerade für T-Shirts und neue Wäsche, dachte sie bitter.

Was bedeutete …

Tja, was? Jules anrufen, ihr erzählen, was passiert war, und sie bitten, ihr Geld zu schicken? Aber Jules würde es sicher Lucy erzählen, und die würde darauf bestehen, es aus der Agentur zu nehmen. Jemand anderen darum bitten, ihr auszuhelfen? Einen ihrer Vertragslieferanten? Oder … Unsicher sah Carly Ricardo an, während sie zum Auto gingen.

Sie hasste es, jemandem zu Dank verpflichtet zu sein. Und es lief allen ihren Prinzipien zuwider, sich Geld zu leihen. Wenn es für sie persönlich wäre, würde sie lieber verhungern, als es überhaupt in Erwägung zu ziehen. Aber sie musste bei den Events gut angezogen sein, und ihre Verpflichtungen gegenüber der Agentur hatten doch sicher Vorrang vor ihrem Stolz?

Ricardo musterte Carly, während er ihr die Beifahrertür aufhielt. Ihm war klar, dass sie hoffte, er würde ihr – ganz Gentleman – anbieten, die verlorenen Sachen zu ersetzen. Die Ärmste! Nun tat sie ihm fast leid, denn wie in aller Welt konnte man von ihr erwarten, mit dem zurechtzukommen, was sie am Leib trug und im Handgepäck hatte? Es war unmöglich, und als sehr reicher Mann sollte er sie selbstverständlich mit einer angemessenen neuen Garderobe versorgen.

Und wenn er nicht so reagierte, wie sie es sich erhoffte? Wie würde ihr nächster Schachzug aussehen?

Ob es in St. Tropez wohl Secondhandshops gibt, überlegte Carly besorgt.

„Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte Ricardo.

Fast war sie in Versuchung zuzugeben, wie viel nicht in Ordnung war. Allerdings bezweifelte sie, dass er ihr Entsetzen teilen würde. Was war für einen Milliardär schon eine Rechnung über viertausend Pfund? Also entschied sie sich für Diskretion und sagte stattdessen: „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie selbst fahren. Ich hatte einen Wagen mit Chauffeur erwartet.“

Natürlich. Das taten Frauen wie sie.

„Ich fahre gern Auto, und ich bin in Neapel aufgewachsen. Wer dort gefahren und am Leben geblieben ist, kann überall fahren.“

Vom Flughafen wegzukommen war eine Geduldsprobe. Während sie in einer langen Schlange standen, beobachtete Carly, wie ein junger Mann am Straßenrand einer bildhübschen Sechzehn- oder Siebzehnjährigen einen Pfirsich anbot. Das Mädchen blickte den Jungen unverwandt an, während sie die Hand auf seine legte und in den reifen Pfirsich biss, sodass der Saft über ihre und seine Hand lief.

Die kleine Szene war so sinnlich und intim, dass Carly schnell den Kopf abwandte – und direkt in Ricardos Augen sah. Ahnte er, dass sie sich vorgestellt hatte, wie er ihr den Pfirsich anbot und der Saft über ihre Hände lief? Wie er sich hinunterbeugte und den Saft von ihrer Haut leckte?

Als Ricardo heftig Gas gab und das Auto vorwärtsschoss, wurde Carly abrupt nach vorn gegen den Sicherheitsgurt geworfen.

Was ist nur mit mir los, fragte sich Ricardo wütend. Er war doch keinesfalls so dumm, dass er auf die abgedroschene Vorstellung hereinfiel, die Carly gerade bei ihm probiert hatte. Sieh auf meinen Mund, stell dir vor … Es waren ihre verdammten Augen! Wie schaffte sie es nur, dass sie auf Wunsch dunkler wurden und vor Verlangen funkelten? Verdammt, einen verrückten Moment lang war er überzeugt gewesen, dass der Anblick dieser beiden Jugendlichen mit dem Pfirsich Carly dazu gebracht hatte, sich nach ihm zu sehnen, als wäre er der einzige Mann auf der Welt.

4. KAPITEL

„Wo genau wohnen wir?“, fragte Carly und hoffte, dass die Stadt und der Hafen bequem zu Fuß zu erreichen wären. Morgen früh musste sie sich mit den Lieferanten treffen, zur Bank gehen, wie sie es ihren Adoptiveltern versprochen hatte, und irgendwie die Zeit finden, sich etwas zum Anziehen zu kaufen. Vorausgesetzt, dass Ricardo ihr Geld lieh.

„‚Villa Mimosa‘“, erwiderte er. „Sie liegt außerhalb von St. Tropez, oben in den Bergen, mit Blick aufs Meer. Ich mag den Medienrummel um diese Hotels nicht, die angeblich ‚in‘ sind. Jeder kleine Prominente, den Fernsehen oder Zeitschriften hervorgebracht haben, will wegen der Publicity dort wohnen. Ich habe lieber meine Ruhe und ziehe Qualität der Quantität vor.“

„Oh ja, ich auch“, sagte Carly. „Aber ich muss schnell und bequem nach St. Tropez hineinkönnen.“

„Sie wollen Ihre verschwundenen Sachen ersetzen.“

„Das auch. Wichtiger ist jedoch, dass ich mich mit den Lieferanten zusammentue.“

„Hm. Ich dachte, bei dieser Reise geht es vor allem darum, dass Sie sich mit mir zusammentun.“ Ricardo verfluchte sich, als er sah, dass Carly die subtile Bemerkung sehr wohl registrierte. Warum hatte er das getan? Warum hatte er nicht gewartet, bis sie sich an ihn heranmachte? Jetzt wusste sie, dass sie bei ihm landen konnte!

Ricardo hatte gerade mit ihr geflirtet! Freude und Erregung durchfluteten Carly. Gleichzeitig beschwor sie sich aufzupassen. Sie wollte nicht in eine Situation geraten, die sie sich nicht leisten konnte. Andererseits war sie vielleicht übertrieben vorsichtig. Schließlich würde ein Mann wie Ricardo nicht an einer Beziehung interessiert sein. Und damit war er doch ideal für eine Frau wie sie, die sich nicht verlieben wollte, sondern nur darüber nachdachte, wie wohl der Sex mit ihm sein würde. Ihr Gefühl sagte ihr, dass Ricardo ein fantastischer Liebhaber war. Warum sollte sie nicht wenigstens ein Mal ein kleines bisschen leichtsinnig sein?

„Tja, ich will natürlich tun, was ich kann, um Sie zufriedenzustellen“, erwiderte sie.

Ricardo sah sie an. Das ließ sich schon eher hören!

Sein Blick war unmissverständlich, und Carlys Herz setzte einen Schlag aus. Süße, sinnliche Erregung strömte durch ihren Körper.

„Wir sind da.“

„Wie bitte? Oh. Ja.“

Kaum zu glauben, aber sie ist tatsächlich rot geworden, dachte er verblüfft. Und unter ihrem T-Shirt zeichneten sich die hart gewordenen Brustspitzen ab. Mochte es noch so lächerlich sein, plötzlich war er so scharf auf Carly, als wäre er ein Jugendlicher und dies sein erstes Mal.

Carly sammelte all ihren Mut und beschloss, ihn jetzt um Hilfe zu bitten. Dann hatte sie es hinter sich. Wenn sie erst im Haus waren …

Was dann? Hoffte sie tatsächlich, dass er mit ihr ins Bett gehen würde?

Ihre Gedanken schockierten und erregten sie gleichzeitig. Ja, sie wollte ihr Unbehagen wegen dieser lästigen Angelegenheit mit dem Geld loswerden. Damit sie ihn unbelastet ermutigen konnte, mit ihr zu flirten und – vielleicht – mit ihr zu schlafen. Sie räusperte sich und atmete tief durch.

„Ricardo … ich … also … mir ist das sehr unangenehm, aber …“, stammelte sie verlegen.

„Ja?“, ermunterte er sie, als sie zu zögern vorgab. Je eher er diese Farce hinter sich brachte, desto schneller konnte er sein Verlangen nach ihr befriedigen.

„Ich muss zumindest einige der Kleidungsstücke ersetzen, die in meinem Koffer waren. Lucy möchte ich damit nicht belästigen, und … ich wollte Sie fragen, ob Sie mir wohl Geld leihen würden … nur vorübergehend, natürlich.“ Vor Scham brannte ihr Gesicht. Wie hatte sie das nur für eine gute Idee halten können? Was musste Ricardo jetzt von ihr denken? „Ich fühle mich grauenhaft dabei“, gab sie ehrlich zu, „aber ich weiß nicht, was ich sonst tun soll.“

Wirklich, dachte er hämisch. Hatte sie kein eigenes Konto? Keine Kreditkarte? Keine EC-Karte? War sie unfähig, eine Bank zu betreten?

„Ich würde Ihnen das Geld natürlich zurückzahlen.“

Oh ja. Und ob sie das tun würde. Mit Zinsen. Da war er sich sicher.

Ricardo nahm ihre Hand und tätschelte sie. „Ich helfe Ihnen sehr gern“, sagte er freundlich. „Wie viel brauchen Sie denn?“

Daraufhin sah Carly ihn so strahlend an, als könnte sie ihr Glück kaum fassen.

Eine so heroische Leistung verdient eine Belohnung, fand Ricardo und warf ihr noch einen Happen hin. „Moment mal! Ich habe eine bessere Idee.“ Eine, die Carly zweifellos schon vor ihm gehabt hatte. „Warum fahren wir nicht morgen früh zusammen nach St. Tropez, und Sie suchen sich einfach alles aus, was Sie benötigen?“

Aus irgendeinem Grund sah sie nicht so begeistert aus, wie er erwartet hatte.

Das war zwar ein nettes und überaus großzügiges Angebot, doch Carly fühlte sich nicht recht wohl dabei.

„Danke. Das ist sehr großzügig von Ihnen“, sagte sie leise.

„Ich freue mich, Ihnen helfen zu können“, versicherte ihr Ricardo. „Kommen Sie, gehen wir ins Haus.“

Auch wenn Carly daran gewöhnt war, in schönen Häusern zu wohnen, die Villa Mimosa überraschte sie und war wirklich atemberaubend. Allein die Lage – an einem Hang, mit direktem Blick aufs Mittelmeer – musste jeden zutiefst beeindrucken.

Vom Balkon ihres Schlafzimmers aus konnte Carly über die gepflegte Gartenanlage bis zum Horizont sehen, und zwei Stunden nach der Ankunft ging sie immer noch alle paar Minuten nach draußen auf den Balkon und bewunderte die Aussicht.

Vor dem Haus hatte eine Französin mittleren Alters Ricardo und Carly empfangen und gesagt, sie sei das Hausmädchen, würde aber nicht in der Villa wohnen. Kurz darauf war die Frau zu Carlys großer Überraschung wieder gegangen, und Ricardo hatte ihr erklärt, er möge keine fremden Angestellten und komme lieber ohne sie aus.

„Meine eigenen Leute wissen, wie ich die Dinge haben möchte. Und sie wissen auch, dass ich gern meine Ruhe habe. Jetzt ist es kurz nach drei, und ich muss mich um einige geschäftliche Angelegenheiten kümmern. Wie wäre es, wenn wir uns um sechs auf der Terrasse treffen? Ich würde es vorziehen, wenn wir uns das Essen ins Haus liefern lassen. Was sagen sie dazu?“

Bei dem Gedanken, was sich daraus ergeben könnte, hier allein mit Ricardo zu Abend zu essen, hatte Carlys Herz einen Schlag ausgesetzt.

„Ja, wundervoll“, hatte sie erwidert und sich sofort Sorgen gemacht, dass sie vielleicht zu begeistert geklungen haben könnte.

Jetzt war es fünf. Sie konnte sich zwar nicht umziehen, wollte aber zumindest duschen und sich etwas zurechtmachen.

Eine halbe Stunde später saß Carly frisch geduscht in dem flauschigen Frotteebademantel, den sie im Badezimmer gefunden hatte, am Toilettentisch und bürstete sich gerade das Haar, als es klopfte und Ricardo unmittelbar darauf hereinkam.

„Ich habe Ihnen einen Bellini gemixt. Ich hoffe, Sie mögen den Cocktail.“

Autor

Madeleine Ker
Hinter dem Pseudonym Madeleine Ker verbirgt sich der Amerikaner Marius Gabriel. Er ist einer der wenigen Männer, die Liebesromane verfassen. Er studierte englische Literatur – insbesondere Shakespeare – an der Universität von Newcastle im Norden Englands. Um seine Doktorarbeit zu finanzieren, fing er an, Liebesromane zu schreiben. Sein erstes Buch...
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