Romana Gold Band 38

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  • Erscheinungstag 21.04.2017
  • Bandnummer 38
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744199
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Joanna Neil, Jo Leigh, Emma Darcy

ROMANA GOLD BAND 38

1. KAPITEL

„Es geht ihm ziemlich schlecht, oder?“ Die Stimme der jungen Frau zitterte, und ihre großen Augen glitzerten verdächtig. Mit einer Mischung aus Angst und Ungeduld sah sie Amber an. „Können Sie nicht irgendetwas für ihn tun? Warum hilft ihm denn niemand?“

Amber nahm den Ausdruck aus dem EKG-Gerät und betrachtete ihn stirnrunzelnd. Der Herzschlag ihres Patienten war unregelmäßig und gefährlich arrhythmisch. „Ich verstehe ja, dass das eine schwierige Situation für Sie ist“, versuchte sie die Frau zu beruhigen, „aber ich kann Ihnen versichern, dass wir alles Menschenmögliche tun, um Ihrem Vater zu helfen. Ich habe ihm vorhin ein Schmerzmittel gegeben, und die Infusion soll dafür sorgen, dass er sich etwas stabilisiert.“ Sie warf einen Blick auf den Defibrillator, den man für alle Fälle neben das Bett gestellt hatte, verzichtete jedoch darauf, der Tochter diese Vorsichtsmaßnahme zu erläutern.

Die junge Frau seufzte traurig. „Er sieht so schrecklich krank aus. Natürlich weiß ich, dass es ihm schon seit Monaten nicht besonders gut geht, aber sein Zusammenbruch war trotzdem ein furchtbarer Schock für mich. Als ich ihn in seinem Büro gefunden habe, war mir sofort klar, dass es sehr ernst ist.“

Sie schluckte und warf ihrem Vater einen besorgten Blick zu. „Die Sekretärin hat mir gesagt, dass er ganz normal an seinem Schreibtisch gesessen hat, und dann war ihm plötzlich schwindelig und er bekam Atemnot. Er hat es zuerst für einen normalen Übelkeitsanfall gehalten, aber dann kam ein schrecklicher, unerträglicher Schmerz in der Brust dazu … Wir haben sofort den Notarzt gerufen.“

„Die Rettungskräfte haben ihn notfallmäßig versorgt, bevor sie ihn zu uns gebracht haben“, erklärte Amber ihr. „Sie haben dafür gesorgt, dass er den Transport unbeschadet übersteht.“

Martyn Wyndham Brookes war bei Bewusstsein gewesen, als er in der Notaufnahme angekommen war. Trotz seiner starken Schmerzen hatte seine Sorge allein seiner Tochter gegolten. „Sie ist noch so jung“, hatte er gestöhnt. „Und sie ist so weit weg von zu Hause. Sie studiert hier an der Uni. Es war immer ihr Wunsch, in London zu studieren.“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht hatte er Amber angesehen. Sie war gerührt über seine Fürsorge gewesen und hatte ihn beruhigt.

„Ich verspreche Ihnen, dass wir uns um sie kümmern“, hatte sie ihm versichert. „Eine der Krankenschwestern wird bei ihr bleiben und sie trösten. Aber jetzt müssen wir uns erst einmal auf Sie konzentrieren.“

Amber hatte sich vom ersten Augenblick an zu diesem starken, warmherzigen Mann hingezogen gefühlt.

Nachdem er nun erschöpft in einen unruhigen Schlaf gefallen war, hatte sie endlich Zeit, seiner Tochter zu erklären, was passiert war. „Ich vermute, er hatte einen Herzinfarkt“, sagte Amber. „Und wahrscheinlich blockiert noch immer ein Blutgerinnsel irgendwo eine Arterie, sodass er Probleme mit dem Kreislauf hat.“

Tränen liefen Caitlin Wyndham Brookes Wangen hinunter. „Das haben die Leute vom Rettungsdienst auch schon gesagt. Es steht sehr schlimm um ihn, oder?“

„Wir tun, was wir können.“ Nachdenklich sah Amber die junge Frau an. „Gibt es jemanden, den wir für Sie anrufen könnten? Der herkommen und bei Ihnen bleiben könnte?“

Caitlin schüttelte den Kopf. „Meine Mutter ist vor einigen Jahren gestorben, und sonst lebt niemand aus meiner Familie hier in Europa. Ich habe nur ein paar Freunde an der Uni.“ Ein wenig ungeduldig sah sie Amber an. „Können Sie nicht noch irgendetwas für ihn tun? Was, wenn Sie zu einem der anderen Patienten gerufen werden? Ich weiß, dass Sie sehr viel zu tun haben, aber ich möchte, dass immer jemand bei ihm ist. Und zwar keine Schwester, sondern ein erfahrener Arzt!“

Erschrocken bemerkte sie, was sie gesagt hatte. „Bitte, denken Sie nicht, dass ich an Ihrer Kompetenz zweifle“, beeilte sie sich zu erklären. „Aber es ist einfach schrecklich, ihn so hilflos dort liegen zu sehen. Er war immer stark und lebendig und unternehmungslustig.“ Die Verzweiflung ließ ihre Stimme zittern, und Amber beeilte sich, sie erneut zu beruhigen.

„Wir können ihm noch besser helfen, wenn wir ihn gründlich untersucht und alle notwendigen Tests gemacht haben. Und in der Zwischenzeit passen wir gut auf ihn auf. Er bekommt Sauerstoff, und sein Zustand wird ununterbrochen von all den Geräten hier überwacht. Selbst wenn ich zu einem anderen Patienten gerufen werde, habe ich immer einen Überblick, denn sobald es ihm schlechter geht, rufen die Schwestern mich.“

Stirnrunzelnd hörte sie ihn mit ihrem Stethoskop ab. Am Anfang war sein Herzschlag alarmierend schnell gewesen, während man seinen Puls kaum hatte tasten können. Doch nun hatte sein Herzschlag einen so chaotischen, unregelmäßigen Rhythmus, dass Amber ehrlich besorgt war.

„Leider haben wir seine Krankenakte nicht“, bedauerte sie und musterte die besorgte Tochter noch einmal genauer. Caitlin Wyndham Brookes war eine höchstens zwanzig Jahre junge, schlanke Frau, die eine schick geschnittene Kurzhaarfrisur trug. Ihre Augen glänzten in einem sanften Grau, das Amber an Regenwolken erinnerte.

„Sie haben vorhin erwähnt, dass er die meiste Zeit in Übersee lebt“, fuhr Amber fort. „Wissen Sie, wer sich dort um seine medizinische Versorgung kümmert?“

„Er hat seinen eigenen Arzt in Oahu … auf Hawaii.“ Caitlin sah Amber an. „Ich könnte versuchen, meinen Cousin dort zu erreichen. Er will sicher gern Bescheid wissen, die beiden sind wie Vater und Sohn. Dad hat sich um Ethan gekümmert, nachdem dessen Eltern gestorben waren.“

Sie zögerte einen Augenblick, während sie angestrengt nachdachte. „Ethan kann bestimmt mit Daddys Arzt sprechen, wenn Sie möchten. Und ich bin mir sicher, dass er großen Wert darauf legt, über Daddys Behandlung informiert zu werden.“

Amber nickte. „Das wäre gut. Da er so weit weg ist, schickt er die Krankenakte Ihres Vaters am besten per Fax an uns. Oder per E-Mail. Sarah, unsere Krankenschwester, wird Ihnen alle notwendigen Kontaktinformationen geben.“

Sarah nickte Amber augenzwinkernd zu. „Kommen Sie, Miss Wyndham Brookes, wir besprechen alles draußen.“

Erleichtert sah Amber ihnen nach. Natürlich wollte sie gern der verängstigten Tochter beistehen, doch im Augenblick war die Versorgung des Vaters einfach wichtiger. Es war anstrengend und auch ein bisschen lästig, die überbesorgte Caitlin zu beruhigen.

Amber wandte sich nun ihrem Patienten zu. Martyn Wyndham Brookes war Mitte fünfzig, groß, kräftig und mit silbernen Strähnen im noch immer dichten dunklen Haar. Sie nahm an, dass er ein wohlhabender Geschäftsmann war, denn die Rettungsassistenten hatten ihr erzählt, dass sein Büro in den renommierten Docklands lag und einen atemberaubenden Blick über die Themse bot.

Aber, so war es nun einmal, auch reiche Menschen wurden von Krankheit und Leid nicht verschont. Martyns Zustand verschlechterte sich rapide, und Amber war klar, dass sie all ihr Wissen und ihre Erfahrung brauchen würde, um ihn zu retten. Sein Gesicht war grau, seine Haut kaltschweißig, und ihm fehlte inzwischen die Kraft, mit ihr zu sprechen.

„Wie läuft’s?“

Sie blickte auf und sah, dass ihr Freund James hereingekommen war. Genau wie Amber war er Assistenzarzt im letzten Jahr. Voller Zuneigung sah Amber ihn an. „Es könnte besser sein“, antwortete sie leise. „Aber schön, dass du da bist. Wie war es bei dir?“

Er zuckte die Achseln und legte seinen Arm um ihre Schultern. Sofort fühlte Amber sich geborgen. „Geht so. Ich hatte ziemlich viel zu tun heute, und es macht mich nervös, dass ich immer noch nicht die Ergebnisse des Bewerbungsverfahrens habe. In wenigen Wochen laufen hier unsere Verträge aus. Hast du schon etwas gehört?“

Amber schüttelte den Kopf. „Noch nicht. Aber heute hatte ich noch gar keine Zeit, in mein Postfach zu schauen. Hier war die Hölle los.“

Er sah sie mit einem halbherzigen Lächeln an. „Bei dir wird es vermutlich keine Probleme geben. Du bist einfach überragend gut und hast alle Prüfungen mit Bravour bestanden. Ich wüsste nicht, warum du die Stelle in der Notaufnahme, für die du dich beworben hast, nicht bekommen solltest.“ Obwohl er sie lobte, klang in James Stimme etwas mit, das Amber aufhorchen ließ.

James hatte sie losgelassen, und Amber fühlte sich plötzlich verlassen. Was war los mit ihm? Irgendetwas stimmte nicht. Schon seit einigen Wochen war er nicht mehr er selbst. Zuerst hatte Amber gedacht, der Prüfungsstress habe ihm zu stark zugesetzt, doch inzwischen überlegte sie immer öfter, ob es vielleicht noch etwas anderes gab.

„Ich bin nicht so sicher wie du, diesen Job zu bekommen“, widersprach sie. „Und deshalb warte ich genauso gespannt auf die Ergebnisse wie alle anderen auch. Angeblich soll die Jobverteilung mit einem speziell dafür entwickelten Computerprogramm abgewickelt werden, das aber andauernd Fehler macht. Beängstigend, oder? Sarah hat mir gesagt, dass sie mehrere Leute kennt, die deshalb keinen Job bekommen haben. Einige der Kollegen überlegen sogar, in die Wirtschaft zu gehen, um dieser Willkür nicht länger ausgesetzt zu sein.“

Verständnislos schüttelte Amber den Kopf, sodass ihre braunen Locken wild durcheinanderwirbelten. „Was für eine Verschwendung nach all den Jahren des Studiums und der Ausbildung!“

Sie wandte sich wieder ihrem Patienten zu, der offensichtlich nicht wahrnahm, was um ihn herum geschah.

„Ich glaube trotzdem nicht, dass es bei dir schwierig wird“, bekräftigte James. „Die Oberärzte sind allesamt so sehr von deiner Kompetenz überzeugt, dass sie schon dafür sorgen werden, dass du hierbleiben kannst. Neben dir bin ich nur ein armseliger Anfänger.“ Er verzog schmollend den Mund, und Amber sah ihn prüfend an. Warum war er nur so pessimistisch?

„Du hörst dich müde und erschöpft an“, sagte sie mitfühlend, bevor sie ihrem Patienten das Pulsoxymeter anlegte. Sofort fing das Gerät an zu piepen, denn die Sauerstoffsättigung war dramatisch niedrig. Amber beschloss, den Oberarzt zu rufen, um die weitere Behandlung mit ihm abzusprechen. Sie hätte gern sofort mit der Lysetherapie begonnen, um das Blutgerinnsel aufzulösen, oder zumindest zu verkleinern, doch ihr Chef operierte gerade einen Notfall, sodass sie ihn nicht fragen konnte.

„Ich hoffe wirklich sehr, dass wir beide hier am London University Hospital bleiben können. Wir haben in der Notaufnahme doch prima zusammengearbeitet, oder?“ Amber sah James an und bemerkte, dass er ihrem Blick auswich. „Gehen wir später gemeinsam Mittagessen und reden darüber? Ich bin mir sicher, dass du den Forschungsjob bekommst, für den du dich beworben hast.“

„Wahrscheinlich hast du recht. Es interessieren sich bestimmt nicht sonderlich viele Absolventen für dieses spezielle Gebiet der Asthmaforschung.“

Sofort sah James etwas entspannter aus und wandte sich zur Tür. „Ich gehe mal ins Büro und sehe nach, ob die Post inzwischen da ist.“ Mit mitleidigem Blick betrachtete er Martyn. „Der arme Kerl. Es scheint ihm wirklich schlecht zu gehen.“

Amber nickte und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihr lockiges, kastanienbraunes Haar war widerspenstig wie eh und je. Genau wie ihre Mutter brauchte Amber Unmengen von Haarklammern und Bändern, um es einigermaßen im Zaum zu halten. Auch ihre smaragdgrünen Augen hatte sie von ihrer Mutter geerbt.

„Soll ich auch in deinem Postfach nachsehen, ob der Brief angekommen ist?“

„Ja bitte.“ Amber hatte sich schon wieder ihrem Patienten zugewandt und trug die Medikation in seine Akte ein, als Sarah mit den Röntgenbildern herein kam. Die Krankenschwester warf James einen missbilligenden Blick zu, der wortlos an ihr vorbeigegangen war. Durch die geöffnete Tür sah Amber, dass Caitlin auf dem Gang stand und telefonierte.

Ein Blick auf Martyns Röntgenaufnahmen genügte Amber, um zu erkennen, dass es ihrem Patienten noch schlechter als erwartet ging. Sein Herz war stark vergrößert.

Sarah überprüfte die Infusion und fragte betont beiläufig: „Ist alles in Ordnung zwischen dir und James? In letzter Zeit benimmt er sich irgendwie seltsam. Ich kann es gar nicht genau beschreiben, aber …“

„Genau das Gleiche habe ich vorhin auch gedacht“, unterbrach Amber sie. „Mir liegt wirklich viel an ihm – schließlich sind wir schon seit einem Jahr zusammen. Und eigentlich habe ich immer gedacht, dass zwischen uns alles in Ordnung ist. Doch in den letzten Wochen hat er sich irgendwie verändert. Er lächelt kaum noch und ist immer so deprimiert und pessimistisch, findest du nicht auch?“

Sarah nickte. „Vielleicht sind das noch Nachwirkungen von der Prüfungszeit. Und dann natürlich die Ungewissheit wegen der Bewerbung. Mein Freund ist auch immer noch total gestresst.“

„Ich hoffe, diese Phase legt sich bald“, bemerkte Amber abschließend und sah zu Caitlin herüber, die einen etwas zögerlichen Eindruck machte.

„Ist alles in Ordnung, Miss Wyndham Brookes?“

Caitlin deutete auf ihr Handy. „Mein Cousin Ethan ist am Telefon. Er möchte, dass ich den Lautsprecher anstelle, damit er sich an unserem Gespräch beteiligen kann.“

„Kein Problem“, stimmte Amber bereitwillig zu. „Aber bitte gehen Sie mit dem Handy nicht noch dichter an die Geräte heran.“

Sie überprüfte Martyns Puls, der eine beunruhigende Frequenz erreicht hatte. Sein Gesicht war inzwischen so grau, dass Amber sich ernsthafte Sorgen machte. „Es ist sicher frustrierend für Sie, so weit weg von Ihrem Onkel zu sein und ihm nicht helfen zu können“, sagte sie in Richtung des Lautsprechers.

„Das ändert sich hoffentlich bald“, antwortete eine krächzende männliche Stimme. Sein Ton war so knapp und autoritär, dass Amber zusammenzuckte. „Ich möchte sofort mit dem Arzt sprechen, der meinen Onkel behandelt.“

„Das tun Sie bereits“, antwortete Amber gelassen. „Ich bin Dr. Amber Shaw, Assistenzärztin im letzten Ausbildungsjahr, und ich hatte gerade Dienst in der Notaufnahme, als Ihr Onkel eingeliefert wurde. Und wie heißen Sie, wenn ich fragen darf?“

„Mein Name ist Ethan Brookes – ohne das Wyndham. Meine Cousine hat mir bereits geschildert, was passiert ist. Vielen Dank, dass Sie sich um meinen Onkel kümmern. Wenn ich Caitlin richtig verstanden habe, verschlechtert sich Martyns Zustand, obwohl Sie ihm ein antikoagulierendes Mittel gegeben haben.“

„Wir haben die Situation im Griff, Mr. Brookes“, erwiderte Amber eine Spur zu kühl. „Wie ich Ihrer Cousine bereits gesagt habe, warten wir noch auf die Untersuchungsergebnisse. Sie werden sicher bald da sein.“

„Hm. In einer solchen ‚Situation‘ ist die Zeit ein entscheidender Faktor, nicht wahr? Ich würde daher gern den zuständigen Oberarzt sprechen, falls Sie nichts dagegen haben.“

Trotz seiner höflichen Formulierung verstand Amber seinen Wunsch als das, was er war: eine unmissverständliche Anweisung. Seine Art zu sprechen und sein Ton ließen keinen Zweifel daran, dass er es gewohnt war, Befehle zu erteilen. Obwohl er erst Mitte dreißig zu sein schien.

„Kein Problem. Ich rufe ihn, sobald er seine Operation abgeschlossen hat. Im Augenblick ist er noch im OP. In der Zwischenzeit können Sie gern mir Ihre Fragen stellen. Ich kann Ihnen versichern, dass wir alle Möglichkeiten ausschöpfen, um Ihrem Onkel zu helfen.“

„Das freut mich. Meine Cousine und ich sind nämlich sehr besorgt.“

Amber spürte, dass es Ethan Brookes nicht gefiel, mit einer vermeintlichen Anfängerin sprechen zu müssen, doch sie gab sich Mühe, ruhig zu bleiben und es nicht persönlich zu nehmen.

„Es ist mir vollkommen klar, dass das für Sie beide momentan schwierig ist“, murmelte sie mitfühlend. „Sie dürfen mir glauben, dass wirklich alles Menschenmögliche für Ihren Onkel getan wird. Er ist leitliniengerecht behandelt worden – Sauerstoff, Aspirin, Glycerin-Trinitrat und Schmerzmittel. Außerdem natürlich Blutverdünner. Und ich habe ihn bereits in der Angiographie angemeldet. Sobald mein Chef seine OP beendet hat, wird er herkommen und entscheiden, ob wir ihn interventionell behandeln.“

„Sie halten es also für möglich, dass er operiert werden muss?“

„Es ist zumindest eine Möglichkeit. Natürlich nur, falls sein Allgemeinzustand es zulässt. Vielleicht gelingt es uns aber auch, das verstopfte Blutgefäß mit Hilfe eines Katheters zu entfernen. Seine Röntgenbilder zeigen, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Vorerkrankung hatte. Es wäre sehr hilfreich für uns, seine Krankenakte zu bekommen.“

„Ich kümmere mich bereits darum. In der Zwischenzeit würde ich gern eine Videokonferenzschaltung einrichten lassen, damit ich bei der Behandlung anwesend sein kann. Könnten Sie dafür sorgen, dass Ihr technischer Dienst eine Kamera in seinem Zimmer installiert?“

Amber stockte der Atem. Dieser Mann wusste wirklich ganz genau, was er wollte. Und Hindernisse schien es für ihn nicht zu geben.

„Da Ihr Onkel in einem Einzelzimmer liegt, lässt sich das bestimmt einrichten. Natürlich nur, sofern seine Tochter nichts dagegen hat.“ Sie sah Caitlin an.

„Gute Idee“, erklärte die junge Frau. „Es würde mich sehr beruhigen, wenn Ethan quasi anwesend wäre.“

Amber war sich nicht sicher, ob sie Caitlins Begeisterung teilte. Besonders verlockend fand sie die Vorstellung, dass ein Fremder jeden ihrer Schritte überwachte, nicht. Doch wenn es half, dieser Familie die Situation zu erleichtern, war sie gern bereit, es zu tolerieren.

„Mein Chef ist in wenigen Minuten hier“, sagte Amber. „Ich spreche mit ihm, und wenn er zustimmt, rufe ich sofort einen Techniker an. So, falls es jetzt nichts mehr zu besprechen gibt, würde ich mich gern wieder Ihrem Onkel widmen.“

„Ja, gut. Und danke für Ihr Verständnis.“ Klang da ein Hauch von Ironie aus Ethan Brookes Worten?

Amber atmete erleichtert auf, als Caitlin mit dem Telefon auf dem Gang verschwand.

Einige Minuten später überließ sie Martyn ihrer Kollegin Sarah, während eine weitere Krankenschwester Caitlin in einen Warteraum brachte und ihr eine Tasse Tee kochte. Endlich konnte Amber sich wieder um ihre anderen Patienten kümmern.

Als ihr Chef aus dem OP kam, informierte Amber ihn über Martyns Zustand.

„Wenn er eine Videoschaltung möchte, kann er sie haben“, stimmte der Oberarzt achselzuckend zu. „Den Brookes gehört ein international agierender Konzern, der Obst und Südfrüchte in die ganze Welt exportiert. Diese Leute gehören zur High Society und haben großen Einfluss. Wenn es sich irgendwie vermeiden lässt, sollten wir sie nicht verärgern. Also rufen Sie ruhig den Techniker an. Wenn es Mr. Brookes glücklich macht …“

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Amber ihren Chef an. Eine Bevorzugung reicher Patienten war eigentlich nicht seine Art.

„Professor Halloran“, unterbrach Sarah sie, „Sie werden im Aufwachraum gebraucht. Einer Ihrer Schrittmacher-Patienten hat Probleme.“

Der Oberarzt nickte und sah Amber an. „Bereiten Sie Mr. Wyndham-Brookes auf die OP vor. Bin gleich wieder da.“

Nachdem sie mit dem Techniker telefoniert hatte, ging Amber zurück zu ihrem Patienten. Martyn war kaum bei Bewusstsein, doch sie erklärte ihm trotzdem ruhig und leise, was sie vorhatten.

„Haben Sie noch Fragen?“

„Nein. Danke. Ich bin sehr müde.“ Vergeblich versuchte er, seine Hand zu heben. Dabei keuchte er vor Anstrengung. „Ich weiß, dass Sie Ihr Möglichstes für mich tun. Bitte machen Sie sich keine Vorwürfe, falls es schiefgeht.“

Amber spürte, wie ihr Tränen in die Augen schossen. Seltsam, dass dieser Mann es scheinbar mühelos schaffte, ihre Schutzmauer zu durchdringen. Obwohl sie ihn erst seit wenigen Stunden kannte, spürte sie bereits eine tiefe Verbundenheit mit ihm.

„Es wird nichts schiefgehen“, versprach sie. „Ich passe gut auf Sie auf, und Professor Halloran ist wirklich der Beste.“

Martyn war wieder in einen Dämmerzustand abgeglitten. Der Monitor piepte und zeigte beunruhigend unregelmäßige Linien. Entsetzt starrte Amber auf das Gerät – und drückte den Alarmknopf. „Ich brauche Hilfe! Ruft Professor Halloran!“ Ihr Patient war inzwischen in einem Schockzustand, sodass jede Sekunde mit einem Herzstillstand gerechnet werden musste. „Er flimmert!“ Was bedeutete, dass Martyns Herz den Blutkreislauf nicht mehr in Gang halten konnte. Wenn sie nicht schnell etwas taten, würde er sterben.

James und Sarah waren sofort da. Sarah begann umgehend mit der Herzdruckmassage, während James den Defibrillator vorbereitete. Amber bemerkte, dass Caitlin noch immer im Raum stand und starr vor Schreck das Geschehen beobachtete. Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. Doch im Augenblick konnte Amber sich nicht um sie kümmern. Mit routinierten Bewegungen intubierte sie Martyn und stellte sicher, dass er ausreichend Sauerstoff bekam.

„Weg vom Patienten!“, ordnete James an, und gab Martyn einen Elektroschock. Amber überprüfte den Puls.

„Er flimmert noch immer. Geben wir ihm einen zweiten Schock.“ Inzwischen hatte Caitlin angefangen, haltlos zu schluchzen, und noch ein seltsames Geräusch fiel Amber auf.

James setzte den Defibrillator erneut auf, doch auch diesmal hatte der Elektroschock nicht den gewünschten Effekt. „Mach mit der Druckmassage weiter“, bat Amber Sarah. „Ich spritze ihm Adrenalin.“

„Sie schaffen es, Martyn“, flüsterte Amber, während sie ihm das Medikament verabreichte.

James warf der weinenden Caitlin einen besorgten Blick zu und löste dann Sarah mit der Druckmassage ab. Gerade als Amber darüber nachdachte, ob sie Martyn auch noch Atropin spritzen sollte, kam Professor Halloran herein. „Wie geht es ihm? Hat er wieder einen Rhythmus?“

Amber sah auf den Monitor und atmete auf. „Ja. Er hat es geschafft.“ Professor Halloran nickte zufrieden.

„Gut gemacht, Kollegen.“ Dann drehte er sich zu einem großen Flachbildschirm um, der in der Ecke stand. „Es ist noch einmal gut gegangen“, erklärte er und endlich erkannte Amber, woher das seltsame Geräusch einige Minuten zuvor gekommen war.

Auf dem Bildschirm war ein großer, schlanker Mann zu sehen, der anscheinend auf einer Veranda stand. Im Hintergrund konnte Amber einige Palmen und ein Stück goldgelben Strand erkennen.

„Ja“, erwiderte der gut aussehende Fremde. „Ich konnte alles mitverfolgen.“ Er trat noch näher an die Kamera heran. Jetzt konnte Amber zwar den malerischen Hintergrund nicht mehr sehen, dafür jedoch klare, ausdrucksstarke Gesichtszüge und dichtes, dunkles Haar. Doch am meisten beeindruckten sie die stahlblauen Augen, deren Farbe an den Ozean erinnerte, und die sie unverwandt ansahen.

„Wir bringen Ihren Onkel jetzt in den Katheterraum“, erklärte Professor Halloran. „Wir müssen den Eingriff so schnell wie möglich vornehmen. Würden Sie ihn bitte nach oben bringen, Amber? Ich bereite inzwischen alles vor.“

Amber nickte und war froh, einen Grund zu haben, nicht länger in diese blauen Augen sehen zu müssen. Irgendetwas in Ethan Brookes Blick beunruhigte sie zutiefst. Es kam ihr fast vor, als könne er direkt in ihre Seele sehen. Ein unangenehmer Gedanke.

Noch beunruhigender fand sie allerdings den Anblick von James und Caitlin, die in ein intensives Gespräch vertieft waren.

„Was soll ich nur tun?“, fragte Caitlin gerade. „Er ist doch der einzige Mensch, den ich habe.“

„Sie sind nicht allein“, tröstete James sie. „Ich kümmere mich um Sie. Meine Schicht ist gleich zu Ende; dann können wir uns in Ruhe unterhalten.“

Die junge Frau blickte ihn aus tränennassen Augen an, und James tat, was jeder Mann in einer solchen Situation getan hätte. Er nahm sie in den Arm und führte sie aus dem Raum. Es war nur eine harmlose, nette Geste, doch sein Ausdruck von Zärtlichkeit und Fürsorge erschütterte Amber. James hatte seine Augen nicht von Caitlins Gesicht abgewandt, und in seinem Blick lag nicht nur Mitleid, sondern auch noch etwas anderes. Bewunderung? Zuneigung?

„Dr. Shaw? Sind Sie noch bei uns?“ Ethan Brookes Stimme klang verzerrt aus dem Lautsprecher. Mit einem Schlag war Amber wieder in der Wirklichkeit und versuchte erfolglos, das Bild von James und Caitlin aus ihrem Kopf zu verbannen.

„Ich möchte mich bei Ihnen für ihr umsichtiges Handeln bedanken“, erklärte Ethan. Amber sah wieder auf den Bildschirm.

Diese unglaublich blauen Augen betrachteten sie unverblümt. „Dank Ihnen hat mein Onkel ein bisschen Zeit gewonnen.“

Sie nickte wortlos. „Ich hab nur meinen Job gemacht“, murmelte sie.

„Ja, aber ich sehe, dass Sie noch jung und unerfahren sind. Auch wenn Sie alles richtig gemacht haben, denke ich darüber nach, einen Herzspezialisten einfliegen zu lassen, der sich um meinen Onkel kümmert. Ich möchte kein Risiko eingehen.“

Amber richtete sich auf. Sie war so gut wie fertig mit ihrer Facharztausbildung und absolut in der Lage, sich adäquat um ihre Patienten zu kümmern.

„Das ist natürlich Ihre Entscheidung“, sagte sie mit nur mühsam unterdrückter Wut. „Im Augenblick wäre es allerdings fatal, die Behandlung zu unterbrechen, um auf einen Kollegen zu warten. Mr. Wyndham Brookes hat dem Eingriff bereits zugestimmt, und deshalb werden wir jetzt umgehend den Katheter legen. Also entschuldigen Sie mich bitte. Ich muss Ihren Onkel nach oben bringen.“

„Das verstehe ich. Ich wollte Sie keinesfalls aufhalten. Danke noch einmal für Ihre Hilfe.“

Ethan Brookes bedankte sich zwar bei ihr, doch seine Worte klangen unecht. Das Bild von seiner Cousine und James tauchte wieder vor Ambers Augen auf, und ohne näher erklären zu können, wieso sie so dachte, wünschte sie sich plötzlich, dass die Familie Brookes niemals in ihr Leben getreten wäre.

2. KAPITEL

„Mehr können wir im Augenblick nicht für ihn tun“, erklärte Professor Halloran, als sie kurz darauf den Behandlungsraum verließen. „Wir haben zwar das akute Problem erfolgreich gelöst, doch Mr. Wyndham Brookes ist sehr krank.“

Amber nickte. „Zumindest konnten Sie das Blutgerinnsel entfernen, sodass die unmittelbare Gefahr gebannt ist. Bedauerlicherweise hat er noch einige zusätzliche Probleme.“ Martyn konnte froh sein, überlebt zu haben. Seine Untersuchungsergebnisse hatten gezeigt, dass er künftig mit erheblichen Einschränkungen würde leben müssen.

„Ich schätze, sein Neffe möchte ganz genau darüber informiert werden, was wir gefunden haben“, vermutete Professor Halloran. „Würden Sie bitte mit ihm sprechen, und ihm klarmachen, dass sein Onkel sich in den nächsten Monaten unbedingt schonen muss?“

„Möchten Sie ihn nicht lieber persönlich informieren?“, fragte Amber ihren Chef erstaunt.

„Vielleicht später. Jetzt muss ich mich erst einmal um meinen Schrittmacher-Patienten kümmern.“ Er lächelte sie aufmunternd an. „Und abgesehen davon habe ich nicht den geringsten Zweifel, dass Sie das genauso gut machen wie ich. Ich schaue am Nachmittag noch einmal vorbei.“

Amber freute sich über sein Vertrauen – auch wenn sie wusste, dass ein gewisser Eigennutz dahintersteckte. Professor Halloran war zwar ein exzellenter Chirurg, doch Gespräche mit Angehörigen gehörten nicht gerade zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Ethan würde sicher alles andere als begeistert darüber sein, dass sie weiterhin Martyns behandelnde Ärztin blieb.

Sie ging hinunter in die Notaufnahme, um Martyns Tochter zu suchen. Obwohl Caitlin ihr leidtat, gelang es Amber nicht, den Gedanken an die junge Frau in inniger Zweisamkeit mit James zu vertreiben.

War sie überempfindlich? James war ein netter, fürsorglicher Mann. Hatte er nur normal gehandelt, als er die traurige Caitlin getröstet hatte?

Während sie im Katheterraum gewesen war, hatte James sich durch die scheinbar endlose Schlange von Patienten in der Notaufnahme gearbeitet. Sie traf ihn, als sie gerade am Empfangstresen stand.

„Ich habe dir diesen Brief hier aus deinem Fach mitgebracht“, sagte er und reichte ihr einen offiziell aussehenden Umschlag. „Das ist sicher die Antwort auf deine Bewerbung.“

„Oh, danke.“ Stirnrunzelnd betrachtete Amber das Logo des Absenders. Er hatte recht: Der Brief enthielt offensichtlich die lang erwartete Antwort. Unsicher sah sie James an. „Hast du auch einen bekommen?“

Er verzog das Gesicht. „Ja. Eine Absage. Aber sie wünschen mir alles Gute und viel Glück für die Zukunft.“ Sein Sarkasmus war nicht zu überhören.

Erschrocken sah Amber ihn an. „Oh, James …“ Tröstend drückte sie ihn an sich. „Tut mir leid. Du hast dir diese Stelle so sehr gewünscht. Sicher bist du schrecklich deprimiert.“

Er nickte. „Irgendwie hab ich damit gerechnet, eine Absage zu bekommen. Als ich den Brief dann gelesen habe, war es trotzdem ein Schock.“

„Was machst du jetzt?“

Gleichgültig zuckte er die Achseln. „Mal sehen, ob es eine Stelle in einem anderen Forschungsprojekt gibt. Auch wenn mich das Thema vielleicht nicht ganz so brennend interessiert. Irgendetwas wird sich schon ergeben.“

„Tut mir leid, dass ich störe, Amber“, unterbrach Sarah sie, „aber Mr. Wyndham Brookes ist gerade in seinen Raum zurückgebracht worden. Seine Tochter macht sich große Sorgen, weil er so schlecht aussieht. Und außerdem hat sie die Krankenakte gelesen, die per Fax aus Hawaii gekommen ist – und das hat ihren Optimismus auch nicht gerade gestärkt. Könntest du vielleicht mit ihr sprechen?“

„Natürlich. Ich komme sofort.“

Amber sah James noch einmal mitleidig an, doch er hatte sich bereits die nächste Patientenakte vom Tresen genommen. „Das Mädchen tut mir leid“, erklärte er bewegt. „Ihr Vater ist so krank, und sie ist ganz allein hier; weit weg von zu Hause.“

„Ich vermute, sie hat sich sehr darüber gefreut, dass du dich um sie gekümmert hast“, bemerkte Amber trocken und steckte ihren Briefumschlag ungeöffnet in die Kitteltasche. Falls es eine Absage war, wollte sie beim Lesen lieber allein sein.

„Stört es dich, dass ich heute Abend mit ihr essen gehe?“, fragte James. „Sie hat einen so verlorenen und deprimierten Eindruck gemacht …“

Resigniert sah Amber ihn an. „Nein, schon gut. Wenn du meinst, dass es ihr hilft. Ich hab heute noch jede Menge zu tun, also mach dir keine Sorgen um mich.“

Bildete sie es sich ein, oder war da ein Ausdruck von Erleichterung im Gesicht von James?

„Schön, dass du nichts dagegen hast“, freute sich James. „Wir verstehen uns ausgesprochen gut. Und wir haben eine Menge gemeinsam. Stell dir vor, Caitlin möchte auch in der klinischen Forschung arbeiten. Sie studiert Pharmazie. Ziemlicher Zufall, oder?“

Amber nickte wortlos. Die beiden duzten sich also schon. Abrupt wandte sie sich ab und folgte Sarah ins Patientenzimmer.

„Ich hätte ihm nicht so einfach erlaubt, den Abend mit einer anderen Frau zu verbringen“, bemerkte Sarah leise.

Amber sah sie traurig an. „Du hast ja recht. Aber was soll ich machen? Wenn man sich nicht mehr vertrauen kann, ist die Beziehung doch auch zu Ende.“

„Miss Wyndham Brookes hat es wirklich gut. Sie kann nicht nur an einer der besten Universitäten der Welt studieren, sondern hat noch diesen netten Vater und einen absolut scharfen Cousin.“ Sarah grinste. „Bestimmt ist er ein begehrter Junggeselle, der sich jeden Abend von einer anderen Frau abschleppen lässt.“

Amber machte eine wegwerfende Geste. „Das ist doch Quatsch. Er hat so eine arrogante, bestimmende Art – darauf stehen Frauen nicht.“

„Du bist wie immer viel zu vorsichtig“, neckte Sarah sie. „Sicher ist er im wirklichen Leben noch viel netter, als auf dem Bildschirm.“

Amber sah sie zweifelnd an. „Ist er jetzt gerade online?“

„Allerdings. Er hat mich vorhin gefragt, wie es mit dem Katheter gelaufen ist. Ich hätte noch stundenlang mit ihm plaudern können, doch leider kam Caitlin herein.“ Sie sah träumerisch zu Amber herüber. „Er hat einfach alles: Er sieht gut aus, hat Selbstbewusstsein, Charme, Geld und ein traumhaftes Haus direkt am Strand.“

Als Amber in Martyns Zimmer trat, bemerkte sie sofort, dass ihr Patient völlig erschöpft war. Sie sah in seine Akte, drehte die Infusion etwas weiter auf und wandte sich erst dann an seine Tochter, die mit besorgtem Blick neben dem Bett saß.

Die Videokamera war so platziert, dass Ethan sowohl seinen Onkel als auch seine Cousine sehen konnte. Amber gab sich zwar Mühe, die Kamera zu ignorieren, während sie mit Caitlin sprach, doch sie konnte nicht verhindern, dass ihr Ethans virtuelle Anwesenheit ständig bewusst war.

„Professor Halloran hat das Blutgerinnsel erfolgreich entfernt“, erklärte sie. „Sein Kreislauf hat sich danach deutlich erholt, und es sollte ihm in einigen Minuten besser gehen. Allerdings hat er wohl schwere Herzprobleme. Seine Prognose ist leider nicht besonders gut. Er wird sich vermutlich nie wieder völlig erholen.“

Caitlin sah sie unglücklich an.

„Wie sieht Ihr Behandlungskonzept nun aus?“, mischte Ethan sich ein. „Es gibt ja einige Möglichkeiten, um seine Lebensqualität zu verbessern.“

„Natürlich tun wir für ihn, was wir können“, antwortete Amber, während sie sich zur Kamera umdrehte. Ethan Brookes blaue Augen schienen sie durchbohren zu wollen. „Wir werden ihm ein Medikament geben, das die Leistung seines Herzmuskels fördert. Professor Halloran hat es bereits angeordnet.“

Sie wandte sich wieder an Caitlin. „Ich weiß, dass es schwer zu akzeptieren ist, aber Ihr Vater wird nie wieder der Mann sein, der er einmal war. Er ist von nun an sehr anfällig, und schon leichte Anstrengungen können ihm Atemnot verursachen. Er muss sich ab jetzt schonen.“

„Das wird er niemals!“, befürchtete Caitlin. „Er ist immer so energisch und stark gewesen. Sein Unternehmen bedeutet ihm alles. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich zurücklehnt und die Zügel aus der Hand gibt.“

„Naja, er hat keine andere Wahl“, erklärte Amber bestimmt. „Sofern er sich an die Anweisungen hält, hat er gute Chancen, noch einige Jahre zu leben. Ich hoffe, Sie unterstützen mich darin, ihm klarzumachen, dass er von nun an kürzertreten muss.“

Caitlin hatte sich zur Kamera gewandt und sah ihren Cousin an. „Kannst du dir vorstellen, dass er die Firmenleitung aus der Hand gibt?“

„Überlass das einfach mir, Caitlin. Ich überzeug ihn schon. Aber was ist mit dir? Kommst du allein zurecht? Es dauert noch einige Wochen, bevor das Semester vorbei ist und du nach Hause kommen kannst. Möchtest du, dass ich nach London komme?“

Caitlin schüttelte den Kopf. „Ich weiß doch, wie beschäftigt du bist. Gerade jetzt hast du keine Zeit, dich auch noch um mich zu kümmern. Und es ist auch nicht nötig. Ich bin erwachsen, mach dir keine Sorgen. Ich habe Freunde, die mir beistehen. Außerdem bist du doch schon hier. Es ist sehr beruhigend für mich zu wissen, dass du Dads Behandlung überwachst.“

Erstaunt sah Amber sie an. Es war das erste Mal, dass Caitlin sich wie eine erwachsene Frau benommen hatte. Wenn Ethan Brookes normalerweise gar nicht im Familienunternehmen arbeitete, was machte er dann?

„Halten Sie mich über den Zustand meines Onkels auf dem Laufenden, Dr. Shaw?“, unterbrach Ethan ihre Gedanken.

Amber fühlte sich ertappt und blickte verlegen auf den Bildschirm.

„Selbstverständlich. Ich kümmere mich persönlich um Ihren Onkel. Sobald es ihm besser geht, können wir ihn vielleicht in unser Reha-Zentrum verlegen. Die Kollegen dort sind wirklich gut.“

Ein wenig skeptisch sah Ethan sie an. „Ich muss Sie warnen, Dr. Shaw. Sobald es Martyn etwas besser geht, will er bestimmt sofort wieder arbeiten.“

„Darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist“, erwiderte Amber. Dachte Ethan etwa, sie wäre nicht in der Lage, mit einem störrischen Patienten fertig zu werden? Im Übrigen konnte sie sich nicht vorstellen, dass dieser liebenswürdige Mann ihr Probleme machen würde.

Sie ließ ihren Blick über den Hintergrund auf dem Bildschirm schweifen und bewunderte das atemberaubende hawaiianische Panorama. „Man sieht den Ozean im Hintergrund“, murmelte sie seufzend. „Sieht wirklich wunderschön bei Ihnen aus.“

„Danke. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen bei Gelegenheit mit der Webcam ein paar besonders schöne Ecken.“

„Sehr gern“, stimmte Amber lächelnd zu. „Wenn ich den Sand und die Palmen und das Meer sehe, sehne ich mich nach meinem Sommerurlaub. Leider kann ich nicht nach Hawaii reisen, aber ein wenig zu träumen macht Spaß.“

Lag es an ihrem Lächeln? Ethans Blick hielt sie gefangen und er schien sie zum ersten Mal richtig wahrzunehmen. Verlegen bemerkte Amber, dass er sie von Kopf bis Fuß musterte und jedes Detail aufnahm. Ihren Rock, der locker ihre sanft gerundeten Hüften umspielte, das enge Baumwolltop und ihre schlanken Beine.

„Ich bin sicher, es würde Ihnen hier gefallen“, erklärte er.

In diesem Augenblick machte Martyn ein leises, stöhnendes Geräusch, und Amber drehte sich sofort zu ihm um. „Wie geht es Ihnen?“

„Ich habe Schmerzen“, antwortete Martyn. „Und bin furchtbar müde. Schlapp.“

„Das war zu erwarten“, beruhigte Amber ihn. „Ihr Körper sagt Ihnen einfach, dass Sie sich schonen müssen.“

Er verzog das Gesicht. „Ich mich schonen?“ Suchend blickte er sich im Raum um. „Da waren Stimmen …“, murmelte er. „Ethan, mein Junge. Wie schön, dass du da bist! Wie läuft es auf der Plantage?“ Er atmete schwer. „Kommst du ohne mich zurecht?“

Amber verdrehte die Augen. Anscheinend hatten Ethan und Caitlin mit ihren Befürchtungen recht gehabt. Martyn konnte sich nicht aus dem Geschäft zurückziehen.

„Ich muss mich jetzt um meine anderen Patienten kümmern“, sagte sie entschuldigend. „Plaudern Sie doch noch ein wenig mit Ihrer Familie. Aber bitte überanstrengen Sie sich nicht. Sie brauchen jetzt vor allem Ruhe.“

Sie blickte auf den Bildschirm und sah, dass Ethan ihr verschwörerisch zublinzelte. „Ich pass auf ihn auf“, versprach er lächelnd.

Amber verabschiedete sich von Caitlin und machte sich auf den Weg zu ihren Patienten. Schon bald war ihre Schicht zu Ende, und sie fuhr nach Hause.

In ihrem Apartment angekommen bemerkte Amber, wie erschöpft sie war. Erschöpft und allein. Denn ihr Freund war genau in diesem Moment damit beschäftigt, Caitlin zu trösten.

Deprimiert holte sie den Brief aus der Tasche. Obwohl sie während der letzten Stunden viel zu tun gehabt hatte, hatte es einer großen Willensanstrengung bedurft, mit dem Öffnen der Nachricht zu warten, bis sie zu Hause war. All ihre Hoffnungen, im Grunde ihre ganze berufliche Zukunft, lag in diesem Briefumschlag.

Sie riss den Umschlag auf. „Sehr geehrte Frau Dr. Shaw, es tut uns leid Ihnen mitteilen zu müssen, dass aufgrund eines administrativen Fehlers Ihre Bewerbung an die falsche Klinik geleitet wurde, und Sie daher für die von Ihnen gewünschte Position nicht berücksichtigt werden konnten, da in der Zwischenzeit ein anderer Bewerber eingestellt wurde. Bitte entschuldigen Sie unseren Fehler.“

Amber zerknüllte den Brief und warf ihn in die Ecke. Innerhalb weniger Sekunden waren all ihre Träume geplatzt. Verzweiflung machte sich in ihr breit.

Sie hatte während der Facharztausbildung hart gearbeitet, und ihre ganze Energie darauf verwandt, Notfallmedizinerin werden zu dürfen. Und nun hatte sich herausgestellt, dass alles vergeblich gewesen war. In wenigen Wochen würde sie arbeitslos sein. Aussicht auf eine andere Stelle gab es kaum, denn die Bewerbungsverfahren waren fast überall bereits beendet. Sie musste also ein ganzes Jahr warten.

Noch immer unfähig, diese vernichtende Nachricht wirklich sacken zu lassen, ging sie in der Wohnung auf und ab. Wie gern hätte sie James angerufen und sich von ihm trösten lassen, doch da er sich nicht noch einmal gemeldet hatte, war es offensichtlich, dass ihm andere Dinge wichtiger waren als ihre Zukunft.

Stattdessen rief Amber ihre Mutter an, die schon mehrmals nach den Ergebnissen gefragt hatte.

„Oh, Amber!“, rief Ms. Shaw. „Ich hätte niemals gedacht, dass du nicht genommen wirst. Und das nur wegen eines Verwaltungsfehlers! Kannst du nicht irgendwie dagegen protestieren?“

„Ich schätze, das hat wenig Zweck“, entgegnete Amber resigniert. „Für dieses Jahr sind alle neuen Stellen inzwischen besetzt. Mir bleibt nur die Möglichkeit, mich als Vertretungsärztin zu bewerben. Für Urlaubs- und Krankheitsvertretungen in verschiedenen Kliniken.“

„Vielleicht ist das gar nicht so schlecht“, versuchte ihre Mutter sie aufzumuntern. „Dabei kannst du sicher viele wertvolle Erfahrungen sammeln.“

„Ja, schon möglich“, entgegnete Amber wenig begeistert.

Sie plauderten noch eine Weile über Ms. Shaws Arbeit als Grafikdesignerin und über Ambers Vater, der als Allgemeinmediziner für das lokale Gesundheitszentrum arbeitete.

„Er hat im Augenblick unglaublich viel zu tun – genau wie ich“, erklärte Ms. Shaw. „Ich habe ihm gerade gestern noch gesagt, dass wir beide dringend einen längeren Urlaub brauchen.“

Die Vorstellung, einige Wochen lang gar nichts zu tun, fand auch Amber äußerst verlockend. Vor ihrem inneren Auge erschien eine malerische Bucht mit Palmen und kleinen Booten, die sich sanft im Meer wiegten. Bunte Paradiesvögel flatterten umher und jemand reichte ihr einen kühlen Cocktail. Jemand mit stahlblauen Augen und einer braun gebrannten, durchtrainierten Figur.

Sie zuckte erschrocken zusammen und verabschiedete sich hastig von ihrer Mutter. Warum um alles in der Welt dachte sie an Ethan Brookes? Hatte sie im Augenblick nicht genügend Probleme, auch ohne dass er ihr alle zwei Minuten in den Sinn kam?

3. KAPITEL

Am übernächsten Tag begann Ambers Schicht erst nachmittags. Als Erstes ging sie in Martyns Zimmer und stellte zu ihrem Erstaunen fest, dass James bereits dort war und sich angeregt mit Caitlin unterhielt, während Martyn aufrecht in seinem Bett saß und einen Laptop auf den Knien hatte. Er sah müde und angestrengt aus, blickte jedoch konzentriert auf den Bildschirm. Besorgt beobachtete Amber ihn. James und Caitlin waren so sehr in ihr Gespräch vertieft, dass sie Martyns offensichtliche Erschöpfung gar nicht bemerkten.

„Ich dachte, ich schaue vor der Arbeit kurz bei Ihnen herein“, begrüßte Amber ihren Patienten und nickte James und Caitlin höflich zu. „Aber da Sie ja bereits Gesellschaft haben, komme ich später wieder.“

James war aufgesprungen und kam auf Amber zu. „Ich habe dich schon gesucht“, erklärte er. „Es tut mir leid wegen des Jobs. Sarah hat mir alles erzählt. Wirklich eine Unverschämtheit! Ich war mir so sicher, dass es wenigstens bei dir klappt.“

„Tja, dumm gelaufen“, stimmte sie traurig zu. Es fühlte sich gut an, von ihm in den Arm genommen zu werden, doch Amber konnte sich nicht gegen den Gedanken wehren, dass es zu spät war. Vorgestern Abend hätte sie ihn gebraucht. Außerdem fand sie es unpassend, vor einem Patienten Vertraulichkeiten auszutauschen. Entschlossen trat sie einen Schritt zurück.

„Ich habe gehört, Sie konnten bereits kurz aufstehen“, lobte sie Martyn. „Das ist sehr gut. Aber überanstrengen Sie sich bitte nicht. Wir möchten schließlich nicht, dass Sie einen Rückfall erleiden.“ Stirnrunzelnd sah sie ihn an. „Schwester Sarah hat mir gesagt, dass sie den ganzen Vormittag telefoniert haben. Ich hoffe, das waren keine geschäftlichen Gespräche?“

Er sah sie reumütig wie ein kleiner Junge an. „Es geht mir schon viel besser“, erklärte er beschwichtigend. „Und das liegt nur daran, dass sie mich so gut behandelt haben. Machen Sie sich bitte keine Sorgen um mich. Sie haben mir das Leben gerettet, und ich stehe für immer in Ihrer Schuld. Ich käme niemals auf die Idee, Ihre wundervollen Behandlungserfolge durch unvernünftiges Verhalten zu gefährden.“

Amber sah ihn tadelnd an. „Sie glauben doch wohl nicht, dass Sie mich so leicht um den Finger wickeln können, oder? Ich durchschaue Sie, und außerdem hat Ihr Neffe mich bereits gewarnt.“

„Ja, stimmt“, ertönte unvermittelt eine tiefe männliche Stimme. Amber zuckte erschrocken zusammen. Musste dieser Mann sich immer gerade dann zuschalten, wenn sie am wenigsten mit ihm rechnete?

Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Sie sind ja zu einer wahrhaft unchristlichen Zeit aufgestanden. Bei Ihnen auf Hawaii ist es doch erst – lassen Sie mich nachrechnen – fünf Uhr morgens?“ Was machte dieser Mann nur beruflich? Und wieso sah er schon so früh am Morgen so unverschämt gut aus?

„Der frühe Vogel fängt den Wurm“, erwiderte Ethan leichthin. „Wie kommt es, dass Sie hier sind? Ich dachte, Sie wären in der Notaufnahme tätig?“

„Professor Halloran hat mich gebeten, mich persönlich um Martyn zu kümmern. Meine Arbeit hier teilt sich zwischen Notaufnahme und Station auf, sodass ich meine Patienten auch nach der Erstversorgung weiter behandeln kann. Was sehr vorteilhaft ist, denn so bekommt man einen gründlichen Überblick über mehrere Fachgebiete. Deswegen hatte ich mich auch um eine Facharztstelle hier beworben.“

„Habe ich das richtig verstanden, dass Sie also eine Absage bekommen haben?“, erkundigte Martyn sich. Obwohl er konzentriert an seinem Laptop gearbeitet hatte, war ihm ihre Unterhaltung mit James nicht entgangen.

„Ja, richtig“, bestätigte Amber. „Meine Bewerbung wurde an die falsche Klinik geleitet, und als man den Fehler endlich bemerkt hat, war meine Stelle bereits anderweitig vergeben. Jetzt sieht es so aus, als müsste ich mich auf dem Arbeitsamt melden, sobald mein Vertrag ausläuft – was in einigen Wochen der Fall ist.“

Ungläubig schüttelte Martyn den Kopf. „Wie konnte denn so etwas passieren? Wenn ich für die Abwicklung zuständig wäre …“

„… würdest du alle ordentlich auf Trab halten“, führte Ethan den Satz für seinen Onkel zu Ende und schlenderte über seine Veranda. „Du musst lernen, Aufgaben abzugeben. Ich hab einen sehr guten Überblick über alle Vorgänge auf der Plantage und bin absolut in der Lage, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen.“

„Aber du brauchst mich doch als Ratgeber“, protestierte Martyn. „Du warst bis jetzt überhaupt nicht am Tagesgeschäft beteiligt, und außerdem hast du genug mit deinen Patienten zu tun. Du kannst doch nicht zwei Vollzeitjobs bewältigen!“

Patienten? Verwirrt blickte Amber von Martyn zum Bildschirm und wieder zurück. Doch noch ehe sie fragen konnte, hatte Caitlin sich in die Unterhaltung eingemischt. „Du bist wirklich unmöglich, Dad! Du musst dich schonen und solltest keinen Gedanken an die Firma verschwenden. Ethan ist durchaus in der Lage, dich zu vertreten.“

„Ich habe nur kurz nachgesehen, ob die Techniker schon mit der Montage der neuen Presse begonnen haben und …“

„Du hast dich ins Firmennetzwerk eingewählt?“, fragte Ethan entsetzt.

„Ich muss doch einen Überblick behalten.“ Martyn klang wie ein störrisches Kind.

Interessiert sah Amber sich seinen Laptop an. „Das ist das neueste Modell, nicht wahr? Ein Superrechner, der alles kann außer Kaffeekochen? Darf ich ihn mir einmal genauer ansehen?“

Stolz nickte Martyn und reichte ihr das Gerät herüber.

„Soso, Sie benutzen den Computer also gar nicht, um Solitär zu spielen und DVDs anzusehen? Genau das haben Sie aber Schwester Sarah gesagt. Könnte es sein, dass Sie sie angeschwindelt haben?“

Amber sah Martyn streng an, der ihrem Blick verlegen auswich. „Ich bin nur noch nicht dazu gekommen …“

„Tja, tut mir leid, aber jetzt ist es zu spät. Ihr Büro ist hiermit geschlossen.“ Und ohne lange zu fackeln klappte sie den Laptop zu. „Hiermit ist das Gerät konfisziert. Sie bekommen es erst zurück, wenn ich der Ansicht bin, dass Sie sich ausreichend ausgeruht haben.“

„Das geht doch nicht!“, rief Martyn empört. Er war es offensichtlich nicht gewohnt, dass ihm jemand einen Strich durch die Rechnung machte.

„Nun, scheinbar geht es durchaus, oder?“

Aus dem Lautsprecher klang ein unterdrücktes Lachen. „Anscheinend hast du endlich einen ebenbürtigen Gegner gefunden, Martyn“, schmunzelte Ethan und sah Amber anerkennend an. „War wohl doch keine so schlechte Idee von Professor Halloran, Martyn in Ihrer Obhut zu lassen. Ich hatte ja eigentlich vorgehabt, einen Spezialisten einfliegen zu lassen, aber Martyn war dagegen.“

Mürrisch blickte Martyn von Ethan zu Amber. „Vielleicht sollte ich meine Meinung noch ändern“, drohte er. „Ich kenne einen oder zwei Kardiologen, die sich sicher nach meinen Wünschen richten würden.“

Doch Amber ließ sich nicht beeindrucken. „Was auch immer Sie tun – ich gebe Ihnen den Computer erst zurück, wenn Sie sich ordentlich ausgeruht haben.“

Caitlin schlug sich die Hand vor den Mund, doch es war nicht klar, ob sie ein Lachen verstecken wollte, oder schockiert über Ambers respektloses Verhalten war. James strich ihr sanft über den Arm und murmelte: „Ich muss zurück an die Arbeit. Schön, dass es dir heute besser geht.“ Er nickte Ethan zu. „Sie können sich auf Amber verlassen. Sie pflegt ihre Pläne umzusetzen – auch gegen alle Widerstände.“

Er lächelte Amber an, als sie gemeinsam zur Tür gingen. „Bleibt es dabei, dass wir heute gemeinsam zu Mittag essen?“

Sie nickte. „Sehr gern.“ Prüfend sah sie ihn an, doch sein Gesicht verriet nichts über seinen Gemütszustand. Was war nur in der letzten Zeit mit ihm los? Wusste er überhaupt selbst, was er wollte?

Nachdem sie den Laptop in Sicherheit gebracht hatte, ging Amber zurück in Martyns Zimmer. Caitlin war hinausgegangen, um sich einen Kaffee zu holen, und Martyn saß allein neben seinem Bett.

„Ich würde gern Ihren Blutdruck messen“, erklärte Amber. Martyn streckte ihr zwar seinen Arm entgegen, blickte sie jedoch ein wenig mürrisch an. Amber warf einen schnellen Blick auf den Bildschirm, doch Ethan war verschwunden. Sie wusste nicht genau, ob sie erleichtert oder enttäuscht darüber war.

„Er ist zur Arbeit gefahren“, brummte Martyn. „Genau wie Sie arbeitet er als Arzt in einem Krankenhaus. Er ist leitender Oberarzt in der Notaufnahme der größten Klinik auf unserer Insel. Die Notfallmedizin war immer sein Steckenpferd, doch er interessiert sich auch für viele andere Dinge. Zum Beispiel für die Plantage, die ihm immerhin zur Hälfte gehört. Bis jetzt war er allerdings eher ein stiller Partner.“ Martyn seufzte bedauernd.

Ethan war also Arzt. Das erklärte einiges. Er wusste demnach, wie ernst es um seinen Onkel stand. Kein Wunder, dass er die bestmögliche Behandlung für ihn wollte.

„Ich bin sicher, er macht seine Sache großartig“, versuchte Amber ihn aufzumuntern, während sie die Blutdruckmanschette anlegte. „Vertrauen Sie ihm einfach.“

Kläglich sah Martyn sie an. „Es ist nicht damit getan, das Beste zu wollen. Der Anbau von Ananas zum Beispiel erfordert jahrelange Erfahrung. Neue Sorten müssen kultiviert und neue Produktionsverfahren entwickelt werden, wenn man auf dem Markt bestehen will. Ich muss ihm helfen! Und dafür brauche ich unbedingt meinen Laptop zurück. Oder jedenfalls mein Handy.“

„Alles zu seiner Zeit“, wehrte Amber ruhig, aber entschieden ab. „Ihre Firma wird schon nicht in den nächsten zwei Stunden Konkurs anmelden müssen. Ich stelle Ihnen jetzt den Fernseher an, damit Sie etwas Ablenkung haben, in Ordnung?“

„Ich will aber nicht fernsehen“, protestierte er störrisch.

„Martyn, Sie können nicht so weitermachen wie bisher“, ermahnte Amber ihn und wies auf den Monitor. „Ihr Blutdruck ist noch immer viel zu hoch. Es grenzt an ein Wunder, dass Sie sich seit vorgestern so schnell erholt haben, und Sie sollten diesen Erfolg jetzt wirklich nicht durch unvernünftiges Handeln aufs Spiel setzen.“

„Sind in Ihrer Familie alle so tyrannisch wie Sie?“, erkundigte Martyn sich lächelnd. „Vielleicht gibt es ein Gen für Sturheit und Tyrannentum, das bei Ihnen dominant vererbt wird.“

„Glaub ich nicht“, erwiderte Amber ernsthaft. „Mein Vater ist ein sehr gutmütiger, umgänglicher Allgemeinmediziner, und auch meine Mutter ist normalerweise ein ruhiger und freundlicher Mensch. Gelegentlich platzt ihr allerdings der Kragen und sie wird sehr deutlich.“

Lächelnd sah sie Martyn an. „Ich weiß zum Beispiel genau, was sie jetzt zu Ihnen sagen würde, wenn sie hier wäre: ‚Die Natur, Zeit und Geduld – das sind die besten Ärzte. Lass sie einfach ihre Arbeit tun.‘“

„Hm.“ Martin sah sie plötzlich aufmerksam an. „Das ist ein eher unübliches Sprichwort, oder?“

„Ich weiß nicht.“ Amber überlegte. „Meine Mutter sagt es andauernd. Vielleicht ist es bei Ihnen in Hawaii nicht so verbreitet.“

„Sieht Ihre Mutter Ihnen ähnlich? Ihre dichten, rotbraunen Locken sind sehr ungewöhnlich. Haben Sie sie von Ihrer Mutter geerbt?“

„Auf alten Fotos sieht sie mir tatsächlich ziemlich ähnlich“, gab Amber zu. „Aber jetzt haben wir genug geplaudert. Ich muss Ihre Medikation anpassen, damit wir Ihren Blutdruck in den Griff bekommen.“

„Ist Ihre Mutter auch Ärztin?“ Martyn war offenbar nicht bereit, das Thema schon fallen zu lassen.

„Nein, nur mein Vater ist Mediziner. Meine Mutter ist Grafikdesignerin. Und eine ziemlich talentierte noch dazu. Sie hat hier in London studiert und lange in einer Werbeagentur gearbeitet. Ihr Büro war ganz in der Nähe Ihrer Geschäftsräume in den Docklands. Doch das ist schon Jahre her. Sie hat nie gern in London gelebt und ist irgendwann nach Henley-on-Thames gezogen. Dort hat sie auch meinen Vater kennengelernt und sich auf der Stelle in ihn verliebt. Schon nach wenigen Wochen waren die beiden verheiratet.“

„Haben Sie noch Geschwister?“

„Nein.“ Amber überlegte einen Augenblick, bevor sie weitersprach. „Ich hab es mir aber immer sehr schön vorgestellt, eine große Familie zu haben. Leider ist es beim Wunsch geblieben. Ich glaube, es gab bei meiner Geburt irgendwelche Komplikationen, sodass meine Mutter danach keine Kinder mehr bekommen konnte. Ich bin über zwei Monate zu früh auf die Welt gekommen.“ Sie lächelte Martyn verlegen an.

„Und sehen Sie, was aus Ihnen geworden ist. Sie haben alles im Griff und schaffen es sogar, mir die Stirn zu bieten. Ich sehe meinen Computer also so bald nicht wieder, oder?“

Amber schüttelte den Kopf. „Definitiv nicht. Ich möchte, dass Sie schnell wieder auf die Beine kommen, und dazu brauchen Sie nun einmal Ruhe. Caitlin und Ethan haben mich gewarnt und behauptet, dass es mir nicht gelingt, Sie zum Nichtstun zu bewegen. Aber da haben sie sich geirrt. Sie grummeln und knurren vielleicht ein bisschen, doch im Grunde sind Sie fromm wie ein Lamm, stimmt’s?“

Martyn konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Sie haben mich durchschaut“, gab er zu und griff nach Ambers Hand. „Setzen Sie sich doch eine Weile zu mir. Es ist so unglaublich langweilig hier, und Sie sind so unterhaltsam und liebenswürdig – ein wahrer Engel. Wenn Sie hereinkommen, wird es gleich heller in diesem düsteren Krankenzimmer. Erzählen Sie mir doch von Ihrer Familie. Wo leben Sie und wo sind Sie aufgewachsen?“

Lächelnd setzte Amber sich an sein Bett. „Ich bin in Henley-on-Thames aufgewachsen“, begann sie. „Es war alles sehr idyllisch und wohlgeordnet. Eine Kindheit voller Geborgenheit. Meine Mutter hat von zu Hause aus gearbeitet, als ich noch klein war. Dann hat mein Vater seine Praxis eröffnet, die mit der Zeit immer größer geworden ist, sodass er inzwischen mehrere Partner hat.“

„Hört sich wunderbar an. Ihre Eltern sind bestimmt sehr stolz auf Sie. Ich bin mir sicher, dass Sie eine hervorragende Ärztin sind – das habe ich ja schließlich am eigenen Leib erfahren, und auch einige anderen hier in der Klinik halten viel von Ihnen.“ Noch immer hielt er ihre Hand und streichelte sie gedankenverloren.

„Ich hoffe, ich störe nicht“, ertönte plötzlich Ethans schneidende Stimme.

Amber zuckte zusammen und drehte sich sofort zum Bildschirm um. „Sie sind also wieder da“, murmelte sie. „Sind Sie nicht bei der Arbeit? Wie soll Ihr Onkel sich ausruhen, wenn Sie alle paar Minuten mit ihm sprechen wollen?“

Ethan sah sie missbilligend an. „Ich habe also tatsächlich gestört. Sehr interessant. Sie scheinen über meine Anwesenheit ja nicht sonderlich erfreut zu sein.“

„Ich finde es ein wenig anstrengend, dass Sie sich ständig zuschalten und ohne Vorwarnung Ihre Kommentare abgeben. Abgesehen davon braucht Martyn Ruhe.“

„Es wird ihm kaum gelingen, sich zu entspannen, wenn Sie die ganze Zeit seine Hand halten“, bemerkte Ethan spitz. Amber spürte, wie sie rot wurde. Was wollte er damit andeuten? Sie verhielt sich vollkommen korrekt, und außerdem war es Martyn gewesen, der ihre Hand ergriffen hatte. Doch vielleicht sah es von Ethans Blickwinkel aus verdächtig aus. „Sein Blutdruck ist sowieso schon zu hoch“, fügte Ethan hinzu. „Und jetzt ist er vermutlich in astronomische Höhe gestiegen.“

Hilfesuchend sah Amber Martyn an, doch der schmunzelte nur. „Kinder“, sagte er amüsiert und blickte von der einen zum anderen. „Bitte zankt euch nicht. Ihr solltet an meine Gesundheit denken, denn schließlich darf ich mich nicht aufregen.“

„Oh, Sie sind unmöglich. Einer wie der andere!“ Zornig zog Amber ihre Hand zurück und stand auf. „Er würde sich weit besser erholen, wenn Sie jetzt die Kamera abschalteten“, informierte sie Ethan knapp. „Vielleicht sollten wir begrenzte Zeiten für Ihre Videokonferenzen festlegen.“

„Und wenn ich damit nicht einverstanden bin?“, fragte Ethan drohend.

„Dann könnte es passieren, dass ich das Kabel durchschneide. Und ich schätze, das möchten Sie beide nicht.“

Martyn sah seinen Neffen mit blitzenden Augen an. „Ganz schön zielstrebig, unsere Frau Doktor, nicht wahr? Wir sollten sie besser nicht noch weiter verärgern.“

Ethan lachte verächtlich. „Ich bin schon mit ganz anderen zurechtgekommen. Außerdem hat Professor Halloran mir seine Unterstützung zugesichert. Ich habe es also kaum nötig, mich mit ihren leeren Drohungen zu beschäftigen.“ Er hatte seine Hände in die Hüften gestemmt und sah aus wie ein aufgeplusterter Gockel. Fast hätte Amber gelacht. Aber nur fast. Seine Arroganz und Überheblichkeit machten sie wütend.

„Ich habe heute Morgen mit dem Geschäftsführer der Plantage gesprochen, Martyn“, wechselte Ethan abrupt das Thema. „Er lässt dir ausrichten, dass die Entwicklung der neuen Sorten ausgezeichnet vorangeht. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen. Und jetzt“, er richtete seinen Blick wieder auf Amber, „verlasse ich Sie, denn meine Schicht in der Klinik beginnt gleich. Ich melde mich heute Abend noch einmal – ob es Ihnen passt oder nicht.“

Noch ehe Amber antworten konnte, hatte er die Verbindung unterbrochen. Wütend drehte sie sich zu Martyn um.

„Anscheinend ist das ‚Ich-bin-für-alles-zuständig-Gen‘ in Ihrer Familie dominant. Zumindest bei den männlichen Familienmitgliedern.“

Martyn lachte glucksend. „Ethan ist schon in Ordnung. Sie sollten ihn näher kennenlernen. Er ist immer etwas misstrauisch, wenn es um Frauen geht, denn sowohl er als auch ich selbst haben unangenehme Erfahrungen mit Vertreterinnen Ihres Geschlechts gemacht, die letztlich nur an unserem Geld interessiert waren. Mir heuchelten einige vor, mich über meine Einsamkeit hinwegtrösten zu wollen, doch ich habe sie immer durchschaut. Abgesehen davon kann sowieso niemand meine geliebte Grace ersetzen.“

Einen Augenblick lang schwieg er nachdenklich. „Bei Ethan ist es etwas schwieriger. Er lässt sich nur sehr schwer auf andere Menschen ein. Vielleicht liegt es daran, dass seine Eltern bei einem Bootsunglück ums Leben gekommen sind, als er zehn Jahre alt war. Dieser Schicksalsschlag hat ihn hart gemacht, doch es hat ihm auch geholfen, unabhängig seinen Weg zu gehen.“

„Caitlin hat mir erzählt, dass Sie Ethan bei sich aufgenommen haben, nachdem seine Eltern gestorben sind. Für sie ist er eher wie ein Bruder als ein Cousin.“

„Stimmt. Er ist ständig damit beschäftigt, auf sie aufzupassen. Doch natürlich habe ich mich nicht allein um Ethan gekümmert. Ganz im Gegenteil. Grace war wie eine zweite Mutter für ihn. Leider ist sie vor einigen Jahren gestorben.“

„Tut mir sehr leid. Sie vermissen sie schrecklich, nicht wahr?“ Aus Ambers Worten klang ehrliches Mitgefühl.

Martyn sah sie ernst an. „Ja, sehr.“

In diesem Augenblick kam die Krankenschwester herein, um Martyn seine Medikamente zu verabreichen. Amber beschloss, ihn allein zu lassen.

„Ich muss jetzt gehen und mich um meine anderen Patienten kümmern“, erklärte sie. „Benehmen Sie sich gut und kommen Sie nicht auf die Idee, die Schwestern mit Ihrem Laptop zu nerven. Ich habe die Anweisung gegeben, dass sie Ihnen das Gerät keinesfalls geben dürfen.“

„Darauf können Sie sich verlassen“, bestätigte die Schwester. „Sarah hat mir schon erzählt, dass wir es bei Mr. Wyndham Brooke mit einem Workaholic zu tun haben. Sie hat vorgeschlagen, einen entsprechenden Vermerk in seine Krankenakte zu machen.“

„Was für eine glänzende Idee!“, rief Amber. „Ich werde gleich eine entsprechende Notiz machen.“ Ein wenig boshaft lächelte sie Martyn an und ging zur Tür. Noch bevor sie auf dem Gang war, konnte sie hören, wie er sich bei der Schwester über übereifrige Ärztinnen beschwerte, die über sein Leben bestimmen wollten.

Martyn war ein freundlicher, liebenswürdiger Mann, doch er brauchte jemanden, der ihm Grenzen setzte und dafür sorgte, dass er seine Gesundheit nicht weiter gefährdete. Ethan gab sich die größte Mühe, Martyn zu beruhigen, doch aus der Ferne konnte er im Grunde nicht viel für ihn tun. Es war nicht nett von ihr gewesen, ihn wegen seiner ständigen Videoschaltungen so anzugreifen. Sicher meinte er es nur gut mit seinem Onkel. Doch Amber konnte es nicht ändern. Dieser Mann machte sie einfach nervös. Und mit jedem Auftauchen auf diesem verdammten Bildschirm verwirrte er sie noch ein bisschen mehr. Was war nur los mit ihr?

4. KAPITEL

Während der nächsten Tage verbesserte sich Martyns Zustand stetig. Zwar würde er nie wieder der aktive, vitale Mann sein, der er früher einmal gewesen war, doch seine Wangen hatten etwas Farbe bekommen, und er konnte allmählich wieder frei atmen.

„Wann entlassen Sie ihn?“, fragte Ethan eines Tages, als Martyn gerade zu einer Röntgenaufnahme gebracht worden war, und Amber noch an seinem Bett saß und Notizen in der Krankenakte machte.

„Ich denke, er sollte noch mindestens eine Woche hierbleiben“, erklärte Amber. „Und danach wäre eine mehrwöchige Reha gut. Er ist noch ganz schön wacklig auf den Beinen. Eine gute Physiotherapie wirkt da oft Wunder.“

„Sie hätten mit seiner Behandlung aber nichts mehr zu tun, sobald er in der Reha-Abteilung ist, oder?“, erkundigte sich Ethan und sah sie forschend an.

Die Frage erschien Amber eigenartig. „Ich werde mich von Zeit zu Zeit nach seinen Fortschritten erkundigen“, gab sie zurück. „Aber ansonsten kümmern sich selbstverständlich die Kollegen aus der Physiotherapie um ihn.“ Skeptisch sah sie ihn an. „Warum fragen Sie? Sind Sie nach wie vor unzufrieden damit, dass ich Ihren Onkel behandle?“ Sie hatte angenommen, dass Ethan seine Vorbehalte ihr gegenüber aufgegeben und akzeptiert hatte, dass sie die Entscheidungen über die Behandlung seines Onkels traf.

„Sie kümmern sich sehr gut um ihn. Ich wollte mich keineswegs beschweren. Es befremdet mich allerdings ein wenig, dass Sie beide sich von Tag zu Tag näherzukommen scheinen“, murmelte Ethan. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Natürlich bekommt man per Video nicht alles mit, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass mein Onkel ein ganz besonderes Interesse an Ihnen entwickelt hat.“

„Ich habe keine Ahnung, wie Sie darauf kommen. Und es tut mir leid, wenn mein gutes Verhältnis zu Martyn ein Problem für Sie ist. Ich mag ihn einfach sehr. Er ist ein verständnisvoller und kluger Mann, der sich sogar dann noch um andere sorgt und kümmert, wenn es um ihn selbst schlecht steht.“

„Er hält auch große Stücke auf Sie.“ Ethan sah sie grüblerisch an. „Er scheint sehr betrübt darüber zu sein, dass Sie Ihren Job verlieren, sobald Ihr Vertrag hier ausläuft. Ich verstehe nur nicht so ganz, weshalb das Martyns Problem sein soll.“ Sein Blick durchbohrte sie förmlich.

Völlig perplex sah Amber ihn an. „Natürlich ist das nicht Martyns Problem“, erwiderte sie. „Ich denke, Sie irren sich, Ethan. Martyn interessiert sich nicht mehr für mich, als für jeden anderen Menschen, mit dem er zu tun hat.“

„Doch. Er will alles über Sie wissen und hört nicht auf, Sie ständig über den grünen Klee hinaus zu loben. So habe ich ihn noch nie erlebt.“

„Ich glaube, er ist einfach nur ein gütiger, mitfühlender Mann“, widersprach Amber.

„Sicher“, stimmte Ethan zu. „So war er schon früher. Grace hat immer gesagt, er habe ein so großes Herz, dass die ganze Welt hineinpasse. Leider kommt es immer wieder vor, dass Menschen seine Gutmütigkeit ausnutzen.“

Amber sah ihn scharf an. Wollte er ihr etwa unterstellen, dass sie unlautere Motive hatte? Doch um eine hässliche Auseinandersetzung zu vermeiden, entschloss sie sich, nicht näher darauf einzugehen. „Ich muss mich jetzt um meine anderen Patienten kümmern“, erklärte sie. „Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, mein Engagement habe nachgelassen, nur weil ich nicht übernommen wurde.“

„Haben Sie inzwischen eine andere Stelle in Aussicht?“

Sie schüttelte den Kopf, sodass ihre Locken danach noch ein wenig widerspenstiger aussahen. „Nein. Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll.“

In diesem Augenblick kam Sarah ins Zimmer.

„Probleme?“, fragte Amber die Krankenschwester.

„Nein, eigentlich nicht. Die Laborergebnisse von deinem Leberpatienten sind da, und ich dachte, du möchtest sie vielleicht gleich ansehen.“

„Danke. Ich komme sofort.“ Amber sah zum Bildschirm hinüber und bemerkte, dass Ethan sie noch immer aufmerksam ansah. „Wir können uns später weiter unterhalten“, erklärte sie. Inzwischen hatte sie sich an seine virtuelle Anwesenheit gewöhnt und freute sich sogar darauf, mit ihm zu sprechen. Lediglich seine Unterstellungen über ihre Motive Martyn betreffend kränkten sie etwas.

Er nickte. „Ja, bis später.“

Martyns Zustand besserte sich täglich, und Amber war sehr zufrieden mit ihrem Patienten. Erfreut über die letzten Laborergebnisse machte sich Amber auf die Suche nach Caitlin, um ihr die guten Neuigkeiten zu überbringen.

„Ich habe sie vorhin im Aufenthaltsraum gesehen“, sagte Sarah. „Sie wollte sich einen Tee machen.“

„Danke, Sarah“, murmelte Amber und machte sich auf den Weg. Mit Schwung öffnete sie die Tür – und erblickte James, der Caitlin im Arm hielt und sie gerade leidenschaftlich küsste.

Starr vor Entsetzen sah Amber die beiden an. Ihre Knie begannen zu zittern, und ihre Kehle schien plötzlich zu eng zum Atmen geworden zu sein. James, der sie inzwischen bemerkt hatte, sah betreten zu Boden. Mit Tränen in den Augen drehte Amber sich um und stürmte aus dem Raum. Ihre schlimmsten Ängste waren Wirklichkeit geworden, und sie hatte keine Ahnung, was sie nun tun sollte.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Martyn besorgt, der ihr genau in diesem Augenblick auf dem Gang entgegen kam. „Sie sehen schrecklich aus. Geht es einem Ihrer Patienten nicht gut?“

Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, starrte Amber ihn an. Nach einer kleinen Ewigkeit hatte sie sich zumindest so weit wieder gefasst, dass sie ihm antworten konnte. „Nein, es ist alles in Ordnung.“

Martyn versuchte, ihren schnellen Schritten zu folgen, als Amber fluchtartig davonlief. „Könnten Sie auf mich warten?“, bat er. „Wohin laufen Sie denn?“

Amber antwortete nicht auf seine Fragen, doch in diesem Moment kamen Caitlin und James aus dem Aufenthaltsraum. James war blass und sah verstört aus, während Caitlins Gesichtsausdruck eher eine naive Verwunderung widerspiegelte.

Martyn, der die Situation mit einem Blick erfasst hatte, wandte sich wieder Amber zu. „Wären Sie so freundlich, mich in mein Zimmer zu bringen? Ich fühle mich ein wenig wacklig auf den Beinen. Eigentlich wollte ich im Aufenthaltsraum etwas fernsehen, doch ich glaube, jetzt möchte ich mich lieber wieder hinlegen.“

„Ja, natürlich“, sagte Amber. Sie wäre eigentlich gern eine Weile allein gewesen, doch Martyn war ihr Patient, und so musste sie ihre eigenen Bedürfnisse wie immer hintenanstellen. Sie nahm seinen Arm und führte ihn den Korridor hinunter, ohne James und Caitlin eines weiteren Blickes zu würdigen.

„Machen Sie sich Sorgen, weil Sie noch immer keinen neuen Job gefunden haben?“, erkundigte sich Martyn, als sie das Krankenzimmer erreicht hatten. „In letzter Zeit machen Sie einen ziemlich unglücklichen Eindruck.“

Amber half ihm, sich in seinem Lehnstuhl hinzusetzen. Er war außer Atem, und sie befürchtete, dass der Spaziergang über die Station ihn zu sehr erschöpft hatte. „Sie haben sich überanstrengt“, schalt sie und reichte ihm ein Glas Saft. „Ruhen Sie sich jetzt ein wenig aus.“

Martyn nickte schuldbewusst und lehnte sich erschöpft zurück. Allmählich bekamen seine blassen Wangen wieder etwas Farbe.

Amber versuchte verzweifelt, das Bild von James und Caitlin aus ihren Gedanken zu verbannen. Die beiden in dieser innigen Umarmung zu überraschen hatte ihr einen gewaltigen Schock versetzt, doch allmählich gewannen ihre Vernunft und ihr Pragmatismus wieder die Oberhand, und sie versuchte herauszufinden, wie sie sich wirklich fühlte.

Hatte sie nicht schon seit einer ganzen Weile das Gefühl gehabt, dass sie und James sich immer weiter voneinander entfernten? Wäre ihre Beziehung nicht vielleicht auch ohne Caitlins Erscheinen in die Brüche gegangen? Was hatte James doch gleich vor einigen Tagen gesagt? Amber pflegt ihre Pläne umzusetzen. Auch gegen alle Widerstände. Vielleicht lag dort das Problem. Sie war vollkommen unabhängig und sehr tatkräftig, während Caitlin sich in der Rolle der jungen und verletzlichen Frau gefiel. Sie hatte in James einen Beschützerinstinkt geweckt, den er bei Amber niemals ausleben konnte. Natürlich war auch Amber manchmal von Selbstzweifeln erfüllt und sehnte sich nach einer starken Schulter zum Anlehnen. Doch sie gab sich Mühe, alle Probleme selbst zu lösen und neigte nicht dazu, andere an ihrer Unsicherheit teilhaben zu lassen. Nicht ohne einen gewissen Stolz konnte sie von sich sagen, dass sie ihre beispiellose Karriere ganz allein sich selbst verdankte. Doch vielleicht wollte James gar keine erfolgreiche, ebenbürtige Frau, überlegte Amber traurig.

Mit hängenden Schultern stand sie da und fühlte eine kalte Leere in sich. Nichts war übrig geblieben – keine gemeinsamen Träume, kein Seelenverwandter, mit dem sie Hand in Hand durchs Leben gehen konnte, kein Job, der sie von ihrem desaströsen Privatleben ablenkte. Ihre Zukunft erschien ihr wie ein endloser dunkler Tunnel.

Martyn regte sich in seinem Sessel, und Amber bemerkte, dass er sie aufmerksam betrachtete. Es ging ihm viel besser, als noch vor wenigen Minuten, und Amber sah, dass er besorgt die Stirn runzelte.

„Möchten Sie, dass ich Ihnen das Radio anstelle?“, fragte sie und griff bereits nach den Kopfhörern.

Doch Martyn schüttelte den Kopf. „Nein. Ich hab keine Lust, Radio zu hören.“ Er holte tief Luft. „Ich frage mich die ganze Zeit, was passieren wird, wenn ich wieder zu Hause in Hawaii bin.“ Zögernd sah er sie an. „Mein Leben wird nie wieder so sein wie früher, oder? Mir ist in den letzten Tagen klar geworden, dass ich ab jetzt Hilfe brauche. Hier in der Klinik ist immer jemand da, der sich um mich kümmern kann, falls ich einen Rückfall erleide, doch daheim werde ich völlig hilflos sein.“

„Sie haben doch Ethan“, widersprach Amber. „Er ist Arzt, und er ist Ihr Neffe. Er wird sich sicher gut um Sie kümmern.“

„Ethan hat schon jetzt viel zu viel zu tun. Die Plantage und seine Arbeit im Krankenhaus vereinnahmen ihn völlig. Ich kann unmöglich noch mehr von ihm verlangen.“

„Und was ist mit Caitlin? Sie ist doch bald mit der Uni fertig. Kann sie sich dann nicht um Sie kümmern?“

Martyn verzog das Gesicht. „Sie ist doch noch so jung. Ihr ganzes Leben liegt vor ihr. Ich kann unmöglich von ihr verlangen, zu Hause bei ihrem alten Vater herumzusitzen. Außerdem hat sie vor, nach dem Studium als Forschungsassistentin am pharmazeutischen Institut der Universität Oahu zu arbeiten. Sie hat hier in London alle Prüfungen mit Auszeichnung bestanden, sodass sie ganz sicher eine Stelle bekommt.“

Amber schüttelte den Kopf. „Ich verstehe nicht, weshalb Sie sich Sorgen machen, Martyn. In Ihrer Position haben Sie doch sicher die finanziellen Möglichkeiten, einfach jemanden einzustellen, der vierundzwanzig Stunden am Tag für Sie da ist. Ob Sie es allerdings ertragen können, wenn jemand den ganzen Tag um Sie herumscharwenzelt, weiß ich nicht.“

Martyn grinste. „Sie kennen mich schon sehr gut, stimmt’s? Obwohl wir uns erst vor so kurzer Zeit begegnet sind.“ Er schwieg einen Moment, bevor er fortfuhr: „Es gibt natürlich eine ganz einfache Lösung für mein Problem. Sie wären die ideale Betreuerin für mich. Ich könnte mir niemanden vorstellen, der besser geeignet wäre, sich um mich zu kümmern.“

Amber starrte ihn an. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen folgen kann.“

Martyn beugte sich vor und griff nach ihrer Hand. Er sah aus, als sei plötzlich eine große Last von ihm abgefallen. „Nun, es ist doch so: Alles passt perfekt zusammen. Sie haben gerade keinen Job und ich suche jemanden, der sich auf Hawaii um meine medizinische Versorgung kümmert. Wie wäre es, wenn Sie dieser Jemand wären? Auf Teilzeitbasis natürlich, damit Sie weiterhin in der Notaufnahme arbeiten können. In unserer Klinik werden ständig gute Leute gesucht, und ich habe ausgezeichnete Beziehungen zur Krankenhausverwaltung.“

Amber war sprachlos über sein Angebot. „Aber warum gerade ich? Es gibt doch sicher sehr viele Menschen, die nur zu gern bereit wären, sich um Sie zu kümmern. Und die dafür nicht um die halbe Welt reisen müssen.“

„Wahrscheinlich“, stimmte Martyn zu. „Aber ich schätze Sie. Und ich habe Sie sehr gern. Außerdem – und das ist vielleicht das Wichtigste – vertraue ich Ihnen, Amber. Betrachten Sie es doch einfach als eine außergewöhnliche Chance, die sich zum genau richtigen Zeitpunkt bietet. Sie würden nicht nur weiterhin in einer Notaufnahme arbeiten, sondern bekämen auch noch Einblicke in ein ganz anderes Gesundheitssystem und natürlich in die Besonderheiten unseres Klimas.“

Erwartungsvoll sah er sie an. „Und außerdem sehen Sie aus, als könnte Ihnen ein Tapetenwechsel guttun. Überlegen Sie doch einmal – Sonne, Sand, der Ozean, immer gutes Wetter. Gibt es etwas Verlockenderes?“

„Ich … Sie haben mich völlig überrumpelt“, stammelte Amber. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Wie wäre es mit Ja?“, drängte Martyn. „Sie haben doch keinen Grund, hierzubleiben, oder? Abgesehen natürlich von Ihrer Familie. Doch sicher lässt es sich einrichten, dass Ihre Eltern Sie besuchen kommen.“

„Ich weiß nicht …“ Amber gelang es kaum, sich dieses neue Leben vorzustellen. Doch im Grunde hatte Martyn recht. Was hielt sie hier? Nichts außer Arbeitslosigkeit und Liebeskummer. Ihr gesamtes Leben war in den letzten Wochen aus den Fugen geraten. Ihre Karriere würde in wenigen Wochen vorläufig beendet sein, und ihr Liebesleben hatte sich an diesem Nachmittag in Luft aufgelöst. Was hielt sie davon ab, den Weg des geringsten Widerstands zu wählen und einfach zu verschwinden? Und war es nicht wirklich die Chance ihres Lebens, von einem Tag auf den anderen auf eine tropische Insel im Pazifik zu ziehen und dort zu arbeiten? Noch dazu in einer Notaufnahme …

„Sie könnten es zunächst für eine überschaubare Zeit ausprobieren“, schlug Martyn vor. „Vielleicht sechs Monate lang. Was halten Sie davon?“

Autor

Jo Leigh
<p>Seit Jo Leigh 1975 bei der großen Filmgesellschaft 20-Century-Fox als Lektorin in der Abteilung für Comedys einstieg, ist sie im Filmgeschäft zu Hause. Sie war für die Mediengesellschaften CBS, NBC und verschiedene andere große Produktionsfirmen tätig, wobei sie zunehmend Drehbücher konzeptionierte und bearbeitete. Kein Wunder, dass bei so viel Sachkenntnis...
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