Romana Gold Band 39

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EINE NACHT IN VENEDIG von SINCLAIR, TRACY
Mit jedem Tag, den Jill in der Nähe des galanten Gianni di Destino verbringt, wächst ihre Hoffnung. Als Sekretärin des vornehmen Venezianers hat sie ihr Herz an ihn verloren. Dieser Mann ist einfach ein Traum! Doch Jill muss fürchten, dass er ein schöner Traum bleibt …

KOMM IN DEN GARTEN DER LIEBE von LAMB, CHARLOTTE
Zwei Jahre hat Saskia ihren Mann Domenico nicht gesehen, als sie ihm überraschend in Venedig begegnet. Die Versuchung, seine zärtlichen Küsse heiß zu erwidern, ist groß. Doch Saskia weiß, dass seine Familie sie hasst …

KÜSS MICH, MEIN PRINZ von WOOD, SARA
Zu ihrer eigenen Überraschung soll Sophia ein Millionenerbe antreten. Rozzano di Barsini, der Mann, der ihr das mitteilt ist ein Prinz. Doch was Sophia wirklich beunruhigt, sind die Gefühle, die er in ihr weckt und dass niemand von ihnen erfahren darf.


  • Erscheinungstag 23.06.2017
  • Bandnummer 39
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744205
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Tracy Sinclair, Charlotte Lamb, Sara Wood

ROMANA GOLD BAND 39

1. KAPITEL

„Sind Sie bereit, diesen Mann zu Ihrem rechtmäßig angetrauten Ehemann zu nehmen?“

Ein Schauer rann Jillian über den Rücken, als sie den ernsten Worten lauschte, die sie für immer an Rinaldo Marsala binden würden. Einen Mann, den sie kaum kannte. Beging sie einen furchtbaren Fehler?

Rinaldo stieß sie sanft in die Seite. Jillian wurde bewusst, dass er und der Priester auf ihre Antwort warteten. Sie blickte sich um, suchte nach einem Ausweg, nach einem Grund, die Zeremonie nicht zu vollziehen.

Die alte Kirche an einem der kleineren Kanäle von Venedig war beinahe leer. Jillian kannte niemand sonst in der Stadt. Rinaldo hatte weder Familie noch Freunde zu der Hochzeit eingeladen. Nur wenige Leute, die zu früh zur Abendmesse erschienen waren, saßen in den Bänken. Unter ihnen befand sich eine junge Frau mit einem Baby im Arm. Sie musste später hereingekommen sein, denn Jillian hatte sie zuvor nicht bemerkt.

Als Rinaldo sie erneut anstieß, gab sie fast unhörbar leise ihr Jawort.

„Weiß irgendjemand einen Grund, warum dieser Mann und diese Frau nicht den heiligen Bund der Ehe eingehen sollten?“, fragte der Priester.

Es war nur eine Formalität, deshalb reagierten alle überrascht, als die Frau mit dem Baby aufstand und mit schriller Stimme verkündete: „Ich weiß einen sehr guten Grund! Rinaldo hat versprochen, mich zu heiraten. Dies hier ist sein Kind!“ Sie hielt das Baby hoch, das zu weinen begann, als ihre Worte von den antiken Mauern widerhallten.

Nach einem Augenblick des schockierten Schweigens begannen alle gleichzeitig durcheinanderzureden: die fremde Frau, Rinaldo, der Priester und die wenigen Zuschauer. Alle außer Jillian. Sprachlos starrte sie Rinaldo an, während er von allen Seiten Anschuldigungen abwehrte.

Schließlich wurde ihm ihr Schweigen bewusst. Er nahm ihre Hände in seine und drückte sie bestimmt. „Es tut mir so leid, dass Maria unsere Hochzeit stören muss.“

„Du kennst sie? Sie ist nicht irgendeine Verrückte, die nur zufällig hier ist? Sagt sie etwa die Wahrheit? Bist du der Vater ihres Babys?“

„Nun, es ist ein bisschen kompliziert. Bitte vertrau mir. Wenn du nur etwas Geduld hast, wird sich gewiss alles klären.“

Fassungslos starrte Jillian ihn an. „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“

„Wir müssen reden, cara. Aber nicht hier. Wir gehen an einen ruhigeren Ort.“

Maria schrie über das Gebrüll ihres Babys hinweg, der Priester versuchte, auf das Brautpaar einzureden, und die wenigen Schaulustigen rückten näher, um sich nichts entgehen zu lassen.

Jillian riss sich von Rinaldo los und rannte zum Ausgang. Endlich draußen, lief sie wie blind durch die Gassen Venedigs, bis sie ein ruhiges Villenviertel am Canal Grande erreichte.

Außer Atem setzte sie sich auf die Kaimauer vor einem Palazzo und blickte hinaus auf den Kanal, ohne ihre Umgebung wirklich wahrzunehmen. Sie war wie betäubt. Die hässliche Szene in der Kirche ging ihr immer wieder durch den Kopf, so wie ein Albtraum, der nicht enden wollte.

Als sie sich etwas beruhigt hatte, fragte sie sich, was sie als Nächstes tun sollte. Ihr Geld war beinahe aufgebraucht, aber eine Rückkehr nach Hause kam nicht infrage. Wie konnte sie ihren Freunden und Angehörigen gegenübertreten, die sie gewarnt hatten, sich nicht in eine Ehe zu stürzen? Sie würde nichts als Vorhaltungen zu hören bekommen. Doch welche andere Wahl hatte sie denn?

Versunken in der verzweifelten Suche nach einer Lösung sah sie das Schnellboot nicht, das sich in rasantem Tempo näherte und eine Woge Wasser aufwirbelte, die sie von Kopf bis Fuß durchnässte.

Der Mann am Steuer sah aus wie ein Gondoliere in einem weißen Hemd mit offenem Kragen und einem Tuch um den Hals. Die Abendsonne ließ sein dichtes schwarzes Haar glänzen und unterstrich die klassischen römischen Züge seines tief gebräunten Gesichts. Er sah auffallend gut aus, doch Jillian war zu empört, um es zu bemerken.

Er vertäute das Boot vor der eindrucksvollen venezianischen Villa zu ihrer Rechten und sprang geschmeidig auf den Kai. Er reichte ihr die Hand und sagte auf Italienisch: „Es tut mir furchtbar leid. Ich hoffe, ich habe Ihr Kleid nicht ruiniert.“

„Das ist die Geringste meiner Sorgen“, murmelte sie in seiner Sprache, während sie sich das nasse Haar aus dem Gesicht strich. „Ich habe nicht vor, es noch einmal zu tragen.“

Sein Interesse erwachte, als er sie näher betrachtete. Sie trug Orangenblüten im Haar, und das zarte Kleid mit der Perlenstickerei um den Ausschnitt konnte durchaus als schlichtes Brautkleid durchgehen. Aber was tat sie da ganz allein? Sicherlich hätte kein Mann eine so wundervolle Frau am Altar versetzt. Doch warum saß sie dann so einsam und niedergeschlagen da?

„Sie müssen sich sehr unbehaglich fühlen in diesem nassen Kleid. Kommen Sie mit ins Haus. Ich gebe Ihnen ein paar Handtücher. Mein Name ist Gianni, ich wohne hier.“

Es war ein verlockendes Angebot. Ihr war nicht danach zumute, mit tropfnassem Haar und in dem Kleid, das wie ein nasser Lappen an ihrem Körper klebte, zum Hotel zurückzugehen. Jeder Passant hätte sie angestarrt und verhöhnt.

Die Pracht der Villa zog sie vorübergehend in ihren Bann. Dicke Teppiche bedeckten die Marmorböden. Damastgardinen waren kunstvoll an den Fenstern drapiert, die einen atemberaubenden Blick auf den Kanal boten. Die Möbel schienen wie aus einem Museum, ebenso wie die Gemälde in verzierten goldenen Rahmen und die geschmackvollen Kunstgegenstände auf Regalen und Tischen.

„Kommen Sie mit mir, und ich gebe Ihnen etwas anzuziehen, während Ihre Kleidung getrocknet und gebügelt wird.“ Gianni blieb am Fuße einer gewundenen Treppe stehen und wartete, dass Jillian ihm folgte.

Sie zögerte einen kurzen Moment. Dann sagte sie sich, dass sie nichts zu befürchten hatte. Dieser Mann war offensichtlich eine bedeutungsvolle Persönlichkeit. Er sah außerdem atemberaubend aus, wie sie erst jetzt richtig bemerkte. Er hatte es gewiss nicht nötig, irgendeiner Frau gegenüber zudringlich zu werden, und schon gar nicht bei einer, die wie ein begossener Pudel aussah.

Sie folgte ihm die Treppe hinauf und in ein prunkvolles Schlafzimmer. Während er in ein angrenzendes Ankleidezimmer ging, blickte sie sich in dem luxuriösen Raum um.

Ein riesiges Bett stand auf einer niedrigen Plattform. Darauf lag eine dunkelblaue Samtdecke, die ein geometrisches, mit Goldfaden gesticktes Muster zierte. Die Gardinen an den hohen Fenstern waren aus dem gleichen Stoff gefertigt.

Auf der gegenüberliegenden Seite standen zwei große, bequem aussehende Sessel und ein Sofa vor einem Kamin mit Marmorsims. Bücher und Zeitschriften bedeckten den Couchtisch.

Gianni kehrte mit einem weißen Seidenmantel in japanischem Stil zurück. „Sie können den hier anziehen, bis Ihr Kleid fertig ist. Legen Sie es einfach auf das Bett. Ich lasse es dann von einem der Angestellten holen.“

„Vielen Dank. Sie sind sehr aufmerksam.“

„Es ist das Mindeste, was ich tun kann, nachdem ich Sie durchnässt habe. Sie finden einen Haartrockner im Badezimmer. Kommen Sie hinunter in die Bibliothek, wenn Sie fertig sind. Es ist das Zimmer zur Rechten der Eingangshalle.“

Nachdem er sich zurückgezogen hatte, ging Jillian in das Badezimmer. Es war sehr prachtvoll eingerichtet. Wände, Fußboden und Waschtisch bestanden aus braunem Marmor mit weißen Sprenkeln, und eine Wand war völlig verspiegelt.

Bestürzt musterte sie ihre Haare. Sie trug immer noch den Kranz aus Orangenblüten. Was musste Gianni von ihr denken? Sie warf den Haarschmuck in den Mülleimer und griff nach dem Fön.

Als sie kurze Zeit später die Bibliothek betrat, saß Gianni an einem großen antiken Schreibtisch. In Leder gebundene Bücher nahmen zwei Wände vom Boden bis zur Decke ein.

Selbst in legerer Kleidung wirkte Gianni, als gehörte er in diese luxuriöse Umgebung. Jillian wünschte, von sich dasselbe sagen zu können. Sie fühlte sich sehr unbehaglich in dem dünnen Mantel, unter dem sie nichts als einen knappen Slip trug. Hastig blickte sie an sich hinab, um sich zu überzeugen, dass die Robe fest geschlossen war.

Ein kurzer Anflug von Verlangen leuchtete in Giannis Augen auf, als er sie betrachtete. Glänzendes kastanienbraunes Haar fiel ihr locker und natürlich auf die Schultern. In dem dünnen Morgenmantel, der die Rundungen des Körpers darunter erahnen ließ, sah sie aus, als wäre sie gerade nach einem Liebesspiel aus dem Bett gestiegen.

Als Jillian aufblickte, fragte er freundlich: „Haben Sie alles gefunden, was Sie brauchen, Signorina …?“ Er hielt inne und blickte sie erwartungsvoll an.

Sie nannte ihm ihren Namen und sagte dann: „Ja, danke. Ich habe die Handtücher in den Wäschekorb gelegt und mein Kleid im Badezimmer gelassen, weil es so nass ist. Es reicht, wenn es nur ein paar Minuten in den Trockner gesteckt wird. Mir ist egal, wie es aussieht.“

„Ich bin sicher, dass wir mehr tun können. Ich würde mich schlecht fühlen, wenn es ruiniert wäre. Es ist ein sehr schönes Kleid.“

„Das dachte ich auch, als ich es gekauft habe, aber inzwischen habe ich meine Ansicht geändert.“

Rinaldo hatte das Kleid im Grunde genommen ausgesucht und sie zum Kauf gedrängt, obwohl es wesentlich mehr gekostet hatte, als sie eigentlich hatte ausgeben wollen.

Hat er eine Provision dafür bekommen? fragte sie sich nun. Noch am Vortag wäre ihr dieser Gedanke nie gekommen, aber ihr Vertrauen in ihn war offensichtlich naiv gewesen.

„Kommen Sie und setzen Sie sich auf die Couch“, forderte Gianni lächelnd.

Als er in dem Sessel daneben Platz nahm, klopfte es diskret an die Tür. Ein Butler in schwarzem Anzug trat ein und stellte ein barockes Tablett mit einem silbernen Service auf den Couchtisch. Während er Kaffee in zwei zierliche Tassen schenkte, beauftragte Gianni ihn, sich um Jillians Kleid zu kümmern.

Als sich der Butler zurückgezogen hatte, bemerkte sie: „Sie haben ein wundervolles Haus. Ich habe diese großen Palazzi von den Wassertaxis aus gesehen und mich immer gefragt, ob wirklich Leute in ihnen wohnen.“

„Jetzt wissen Sie, dass es wahr ist.“ Er lächelte wieder. „Sie leben nicht hier in Venedig?“

„Nein. Ich bin nur auf Besuch. Bestimmt merkt man an meinem Akzent, dass ich keine Italienerin bin.“

„Sie sprechen unsere Sprache ausgezeichnet. Aus welchem Land stammen Sie?“

„Den Vereinigten Staaten. Ich habe Italienisch und Französisch studiert und unterrichte an einer Privatschule.“

„Also besuchen Sie diese Länder regelmäßig, um Ihre Kenntnisse aufzufrischen?“

„Ich habe mir eingeredet, dass es als Geschäftsreise betrachtet werden könnte.“ Jillian lächelte zum ersten Mal, als sie sich an ihre Rechtfertigung der Unkosten erinnerte. „Es ist mein erster Besuch in Venedig.“

„Ich hoffe, es wird nicht Ihr letzter sein.“

Ihr Lächeln schwand. „Ich bezweifle, dass ich je wiederkommen werde.“

„Es täte mir sehr leid, wenn meine Achtlosigkeit verantwortlich für Ihre Entscheidung wäre.“

„Sie trifft keine Schuld. Außerdem sollte man auf Reisen auf kleine Missgeschicke vorbereitet sein.“

„Das ist eine sehr gesunde Einstellung. Vielleicht überlegen Sie es sich noch einmal und geben Venedig doch noch eine Chance.“

„Das bezweifle ich sehr.“ Als ihr bewusst wurde, dass ihre Bemerkung unhöflich klang, fügte sie hinzu: „Venedig ist eine zauberhafte Stadt, aber es gibt so viele andere Orte, die ich mir ansehen möchte.“

„Dann ist es also nur ein kurzer Stopp auf einer großen Tour?“

„Ursprünglich war es so geplant. Meine Schwester und ich wollten nach ihrem Schulabschluss gemeinsam durch Europa reisen, aber sie hat ihre Pläne geändert.“

„Das ist sehr schade. Ich hoffe, dass der Grund nichts Ernstes war.“

Jillian lächelte erneut. „Man könnte es so nennen. Bettina hat beschlossen, lieber zu heiraten.“

„Das ist allerdings ernst“, bemerkte Gianni in sarkastischem Ton. „Hat sie sich für eine große Hochzeit entschieden?“

„Vor der Trauung wurden viele Partys gegeben, aber die Hochzeit selbst war eine schlichte Zeremonie im Garten meines Elternhauses. Bettina und David sind der Meinung, dass sie mit dem Geld, das eine üppige Hochzeit verschlungen hätte, etwas Besseres anfangen können. Sie sind beide erst einundzwanzig und beabsichtigen, die Universität zu besuchen.“

„Das klingt sehr vernünftig.“

„Ja, das war eine Überraschung für uns alle. Ich wurde immer als die Vernünftige angesehen und Bettina als der impulsive Teenager.“ Sie verzog das Gesicht zu einem selbstironischen Lächeln.

Verstohlen musterte Gianni sie und fragte sich, was in ihrem Leben schiefgelaufen war. „Sicherlich war es eine schöne Hochzeit. Waren Sie die Trauzeugin?“

Jillian nickte.

Nichts, was sie ihm bisher erzählt hatte, erklärte die Orangenblüten in ihrem Haar oder warum sie einsam und traurig auf seiner Kaimauer gesessen hatte.

„Es war eine schöne Hochzeit“, sagte Jillian. Warum stellte er ihr all diese Fragen? Sein Interesse an ihr, einer völlig Fremden, wirkte suspekt. Sie traute keinem Mann mehr und beschloss daher, selbst ein paar Fragen zu stellen. „Leben Sie ganz allein in diesem großen Haus?“

Er nickte. „Abgesehen von der Dienerschaft, ja. Ich bin unverheiratet.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, in einem so großen Haus ganz allein zu leben.“

„Die Einsamkeit wirkt wie ein Segen, nachdem meine Neffen wieder weg sind.“ Er schmunzelte. „Ich mag sie sehr, aber neunjährige Zwillinge sind das personifizierte Chaos.“

„Haben Sie viele Nichten und Neffen?“

„Nein. Angelina ist meine einzige Schwester, und ich bezweifle, dass sie weitere Kinder bekommen wird. Joseph und Roberto scheinen ihr zu genügen.“

„Ich freue mich darauf, Tante zu werden, aber ich fürchte, dass es noch lange dauern wird. Bettina und David haben noch Jahre der Ausbildung vor sich.“

„Gewiss freuen Sie sich für Ihre Schwester, aber es ist sehr schade, dass sie diese Reise nicht mit Ihnen unternehmen konnte.“

Jillians Miene wurde ernst. „Ja, es hätte so schön sein können.“

„Sie werden alle Unannehmlichkeiten vergessen, sobald Sie wieder zu Hause bei Ihrer Familie sind“, sagte Gianni sanft. „Im Nachhinein erinnert man sich nur an das Schöne.“

Eine kurze Weile lang war es ihr gelungen, den durchgestandenen Albtraum ebenso wie das bevorstehende Dilemma zu verdrängen. Nun dachte sie wieder an ihre Probleme. Gianni war zweifellos ein einflussreicher Mensch und hatte sich als sehr freundlich erwiesen. Vielleicht konnte er ihr helfen.

„Sicherlich trifft es zu, dass man sich nur an die schönen Dinge erinnert, aber ich habe eigentlich keine schlechten Erfahrungen hier gemacht“, sagte sie in sorgsam gelassenem Ton. „Venedig ist ganz anders als Kalifornien. Ich würde gern noch ein paar Wochen bleiben und mir hier alles anschauen.“

„Das klingt vernünftig.“

„Das Problem ist nur, dass ich mir einen Job besorgen müsste, um bleiben zu können. Kennen Sie zufällig jemanden, der eine vorübergehende Hilfskraft braucht? Vielleicht in einem Büro als Urlaubsvertretung. Ich bin sehr gut im Umgang mit Computern. Oder ich könnte als Hauslehrerin oder Kassiererin arbeiten. Ich bin bereit, fast alles zu tun, was nicht gegen das Gesetz verstößt.“ Jillian hasste es, ihn darum zu bitten, aber sie wusste nicht, an wen sie sich sonst wenden sollte.

Sie sah so jung und verletzlich aus, dass Gianni sie in die Arme schließen und ihr eine Lösung all ihrer Probleme versprechen wollte. Leider bat sie um etwas, das selbst ihm bei seinen guten Beziehungen nicht möglich war – zumindest nicht sofort, wie sie es sich erhoffte.

Als er zögerte, sagte sie: „Ich brauche nur genug Geld, um mein Hotelzimmer zu bezahlen. Das Monaco ist ein kleines Touristenhotel für Leute mit wenig Geld. Vielleicht bekomme ich sogar einen günstigeren Preis, wenn ich länger bleibe.“

„Wenn das Ihr einziges Problem ist, kann ich Ihnen helfen. Sie können mein Gast für ein paar Wochen sein.“

„Ich hatte es nicht auf eine Einladung abgesehen“, protestierte sie.

„Das habe ich auch nicht angenommen. Aber es ist eine gute Lösung. Wie Sie sehen, habe ich genügend Platz.“

„Sie sind sehr freundlich, aber ich kann unmöglich annehmen“, entgegnete sie entschieden. „Allerdings würde ich Ihre Hilfe bei der Beschaffung eines Jobs akzeptieren.“

„Ich wünschte, Sie hätten mich um etwas Einfacheres gebeten. Es ist sehr schwierig für einen Ausländer, in Venedig zu arbeiten“, erklärte er. „Sie brauchten eine Arbeitserlaubnis, deren Beschaffung Monate dauern kann – vorausgesetzt, dass Sie überhaupt eine bekommen. Die Genehmigungen werden nur sehr sparsam ausgestellt.“

„Das überrascht mich nicht. Es ist nicht anders in den Vereinigten Staaten.“

„Ich könnte den Prozess zwar abkürzen, aber Sie müssten trotzdem wochenlang warten.“

„Das ist das Problem. Ich kann nicht warten.“ Sie ließ die schlanken Schultern hängen. „Nun, trotzdem danke. Ich werde wohl die bittere Pille schlucken und nach Hause zurückkehren müssen.“

„Wie lange können Sie durchhalten? Vielleicht fällt mir noch etwas ein.“

Bevor Jillian antworten konnte, trat der Butler nach einem diskreten Klopfen ein. „Entschuldigung, Signore, aber die Contessa di Rivoli wünscht Sie am Telefon zu sprechen.“

„Sagen Sie ihr, dass ich momentan beschäftigt bin und sie zurückrufen werde“, entgegnete Gianni.

„Sie können das Gespräch ruhig annehmen“, warf Jillian ein. „Mein Kleid muss inzwischen trocken sein. Ich werde mich umziehen gehen.“

Doch Gianni winkte den Butler hinaus und erwiderte: „Sie brauchen nicht so überstürzt zu gehen. Ich werde frischen Kaffee bestellen. Oder möchten Sie vielleicht etwas Stärkeres?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe Ihre Zeit schon genügend in Anspruch genommen.“ Es war ihr peinlich, dass sie ihn um einen Gefallen gebeten hatte – und zurückgewiesen worden war. Er musste sie für eine Opportunistin halten.

Hastig stand sie auf und stolperte in ihrer Eile über den langen Mantel. Der Stoff öffnete sich, und als ob das nicht schlimm genug wäre, taumelte sie geradewegs in Giannis Arme, der sich gleichzeitig mit ihr erhoben hatte und sie auffing.

Der unerwartete Anblick ihres schlanken, beinahe nackten Körpers bestätigte, was er bereits vermutet hatte. Obwohl ihr Gesicht unschuldig und engelhaft wirkte, besaß sie den makellosen Körper einer Sirene. Unwillkürlich glitten seine Hände über ihre zarte Haut.

Jillians Wangen erglühten wie wilde Rosen. Konnte ihr noch Schlimmeres widerfahren an diesem unglückseligen Tag? Sie atmete erleichtert auf, als sie das Gleichgewicht wiederfand und Gianni sie losließ.

„Ich scheine heute besonders unfallgefährdet zu sein“, bemerkte sie in leichtem Ton, doch sie wagte nicht, ihn anzusehen.

„Keiner der Zwischenfälle war Ihre Schuld.“ Er unterdrückte mühsam ein Lachen, als sie den Gürtel so festzog, dass sie vermutlich kaum noch atmen konnte.

„Ja, nun, ich sollte lieber verschwinden, bevor noch etwas passiert.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, raffte sie die Robe bis zu den Knien und rannte zur Tür.

Gianni versuchte nicht, sie aufzuhalten. Er wusste, wie verlegen sie war, weil er einen Blick auf ihren Körper erhascht hatte. Er hätte ihr sagen können, dass sie stolz auf ihre Figur sein konnte, aber sie hätte es nicht als Kompliment erachtet. Jillian war nicht wie die raffinierten Frauen, die er kannte.

Sie war wie keine andere Frau, die er kannte. Ihre Unschuld wirkte sehr erfrischend. Er fragte sich, was geschehen sein mochte, befand dann jedoch, dass er es nicht wissen wollte. Er erinnerte sich lieber an ihre strahlend blauen Augen und das bezaubernde Lächeln, das sie ihm zu seinem Bedauern nur selten geschenkt hatte.

Hastig zog Jillian sich an. Ohne wirkliches Interesse stellte sie fest, dass ihr Kleid wieder wie neu aussah. Sie wollte es zwar nie wieder tragen, aber zumindest brauchte sie sich nicht in ihr Hotel zu schleichen.

Am liebsten wäre sie aus dem Haus geschlüpft, ohne Gianni noch einmal zu begegnen, aber sie konnte schlecht gehen, ohne ihm für seine Gastfreundschaft zu danken. Ihre gute Kinderstube hätte es niemals zugelassen, auch wenn sie ihn nie wiedersehen würde.

Ausnahmsweise stand das Glück auf ihrer Seite. Sie hörte seine Stimme, als sie sich der Bibliothek näherte. Er telefonierte offensichtlich. Während sie in der Halle zögerte, erschien der Butler.

„Ich gehe jetzt“, teilte sie ihm mit. „Bitte richten Sie dem Signore meinen Dank aus und sagen Sie ihm, dass ich ihn nicht stören wollte.“

Als sie sich schnellen Schrittes von der Villa entfernte, wurde ihr bewusst, dass sie Giannis Nachnamen gar nicht erfahren hatte. War er davon ausgegangen, dass sie wusste, wer er war? Ein so reicher und selbstsicherer Mensch war vermutlich in der ganzen Stadt bekannt. Er sah gut genug aus, um ein italienischer Filmstar zu sein. Außerdem war er äußerst maskulin, wie sie entdeckt hatte, als sie mit nackten Brüsten an seine harte Brust gestolpert war.

In jenen peinlichen Momenten hatte sie intime Bekanntschaft mit seinem eindrucksvollen Körper geschlossen. Hätte Rinaldo ihr nicht für die vorhersehbare Zukunft das gesamte männliche Geschlecht verleidet, hätte sie sich durchaus zu Gianni hingezogen gefühlt. Große, schlanke Männer mit südlichem Charme hatten ihr schon immer gefallen.

Doch das war vorbei. Nun interessierte sie nur noch, wie sie angesichts ihrer rasch schwindenden Finanzen in Venedig bleiben konnte. Entschlossen reckte sie das Kinn vor. Noch wollte sie sich nicht geschlagen geben. Wenn sie diesen furchtbaren Tag durchgestanden hatte, konnte sie alles überleben!

2. KAPITEL

Es enttäuschte Gianni zu erfahren, dass Jillian gegangen war. Er hätte sie gern näher kennengelernt. Doch da sie sich vermutlich nie wieder begegnen würden, erwartete er, sie rasch zu vergessen. Es überraschte ihn, dass er an diesem Abend immer wieder an sie denken musste, und sogar noch am nächsten Morgen. Vermutlich lag es an der geheimnisvollen Aura, die sie umgab. Und dieses Geheimnis wirkte besonders reizvoll, weil es ungeklärt bleiben würde.

Ein Anruf von seiner Sekretärin am späten Vormittag erschien ihm wie ein Omen. Bella war eine sehr kompetente Frau Ende dreißig und arbeitete seit einer ganzen Weile für Gianni. Nachdem sie und ihr Mann die Hoffnung auf ein Baby schon aufgegeben hatten, war sie schließlich schwanger geworden. Doch nun, im achten Monat, hatten sich Komplikationen eingestellt.

„Der Doktor hat mich gewarnt, dass es in meinem Alter keine leichte Schwangerschaft werden würde.“ Sie seufzte. „Ich soll mindestens zwei Wochen im Bett bleiben.“

„Dann sollten Sie genau das tun“, riet Gianni.

„Aber Sie geben doch in einem Monat den Maskenball. Wie wollen Sie denn ohne mich zurechtkommen?“

„Denken Sie nicht einmal daran. Ihr Job besteht jetzt darin, auf sich aufzupassen, damit ich Patenonkel werden kann.“

„Ich weiß, dass Sie recht haben, aber ich hasse es, Sie im Stich zu lassen. Es gibt so viel zu tun. Männer sind sich dessen nicht bewusst. Meinen Sie, dass Sie jemanden finden, der vorübergehend für mich einspringen kann?“

„Ich habe sogar eine junge Frau kennengelernt, die Arbeit sucht. Ich werde sie anrufen.“

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich so leicht zu ersetzen bin“, sagte Bella in gekränktem Ton.

Gianni verbarg seine Belustigung, während er sie hastig beruhigte. „Diese Person könnte niemals Ihren Platz einnehmen, aber zumindest kann sie das Telefon beantworten und die Zusagen und Absagen registrieren.“

„Aber es gibt wesentlich mehr zu tun.“ Sie gab ihm eine lange Liste mit Anweisungen, die er weitergeben sollte. Schließlich schloss sie: „Sagen Sie ihr, dass sie mich anrufen soll, falls sie Probleme hat.“

Nachdem Gianni sich von Bella verabschiedet hatte, versuchte er, sich an den Namen von Jillians Hotel zu erinnern. Etwas mit M. Moroni? Moresco? Da fiel es ihm wieder ein: Monaco. Er ließ sich die Telefonnummer von der Auskunft geben und vom Portier mit Jillian verbinden.

Ihre düstere Stimmung wich unglaublicher Freude, als sie sein Angebot hörte. „Natürlich bin ich interessiert! Ich nehme liebend gern an.“

„Hervorragend. Wann können Sie anfangen? Bella ist erst seit zwei Tagen weg, und schon stapelt sich die Arbeit.“

„Ich komme sofort.“

Als Jillian in der Villa eintraf, waren Gianni gewisse Bedenken gekommen. Es war zwar ein schönes Gefühl, jemandem helfen zu können, und er würde es genießen, sie um sich zu haben und sie besser kennenzulernen. Aber er brauchte wirklich eine Sekretärin. War sie eine kluge Wahl? Warum wollte sie trotz ihrer schlechten Erfahrungen in Venedig bleiben? Würde sie es sich nach ein paar Tagen anders überlegen und nach Hause zurückkehren? Jillian war sich seiner negativen Gedanken nicht bewusst, als sie ihm gegenüber an Bellas Schreibtisch saß. Ihr Gesicht strahlte wie ein Sonnenaufgang.

Insgeheim stöhnte er. Sie sah so jung und eifrig aus, dass er sein Angebot nicht zurückziehen konnte. Doch zumindest musste er etwas mehr über sie in Erfahrung bringen. „Ich bin der Ansicht, dass wir alles gründlich besprechen sollten, bevor Sie sich verpflichten, diesen Job anzunehmen“, eröffnete er.

„Ich weiß, dass ich die Aufgabe meistern kann“, versicherte sie hastig. „Ich bin mit allen Arten von Computern vertraut, und ich kann Geschäftsbriefe schreiben und archivieren. Ich kann sogar die Bücher führen, falls es nötig sein sollte.“

„Ich bin überzeugt, dass Sie sehr kompetent sind, aber ich brauche jemanden, auf den ich mich verlassen kann. Ich werde eine große Party geben, die sehr viel Koordination erfordert. Es wäre ausgesprochen unangenehm für mich, wenn Sie plötzlich Heimweh bekämen und ich jemand anderen engagieren müsste.“

„Ich verstehe Ihre Besorgnis, aber ich will aus gutem Grund nicht nach Hause zurückkehren. Ich habe allen erzählt, dass ich heirate, und dann … haben sich meine Pläne geändert. Es wäre ein bisschen peinlich zu erklären, was passiert ist.“

„Es tut mir leid, dass Sie enttäuscht wurden. Leider machen viele Männer Versprechungen, die sie nicht zu halten beabsichtigen“, sagte er sanft.

„Ich wünschte, Rinaldo hätte sein Versprechen mir gegenüber nicht halten wollen!“, platzte sie unwillkürlich hervor.

Gianni blickte sie verwirrt an. „Das verstehe ich nicht. Als ich Sie in einem Brautkleid und mit Orangenblüten im Haar vor meiner Tür vorgefunden habe, bin ich davon ausgegangen, dass der Bräutigam Sie am Altar versetzt hat.“

„Nein. Er ist aufgetaucht – ebenso wie die Mutter seines Kindes. Rinaldo hatte ihr ebenfalls versprochen, sie zu heiraten.“

„Wie lange kennen Sie diesen Mann schon?“

„Offensichtlich nicht lange genug.“ Sie spürte seine Missbilligung, die nur einen kleinen Vorgeschmack dessen darstellte, was sie zu Hause erwartete. „Ich bin für gewöhnlich sehr vernünftig, aber der Zauber von Venedig hat es in sich.“

Er nickte. „Und Sie waren vermutlich einsam.“

„Das hatte ich befürchtet, aber eigentlich war ich es nicht. Alle waren so freundlich zu mir.“

Das überraschte Gianni nicht. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie viele Männer versucht hatten, mit ihr anzubandeln.

„Ich bin tagsüber durch die Stadt spaziert und abends manchmal in ein kleines Lokal eingekehrt, um Musik zu hören und einen Cappuccino zu trinken. So habe ich Rinaldo kennengelernt. Er sieht sehr gut aus und ist sehr redegewandt.“

„Er hat Ihnen den Kopf verdreht?“

„Zumindest hat er es versucht. Am nächsten Tag hat er eine Schiffsfahrt durch Venedig mit mir unternommen. Er hat als mein privater Touristenführer fungiert und mir all die faszinierenden alten Gebäude erklärt.“

„Aber dabei blieb es nicht.“

„Nein. Er benahm sich wie ein perfekter Gentleman, und als er mich zum Dinner einlud, nahm ich an.“

„Und da hörte er auf, ein perfekter Gentleman zu sein“, warf Gianni trocken ein.

„Nicht sofort. Er führte mich in ein kleines Restaurant mit viel Atmosphäre, und wir unterhielten uns angeregt. Er wollte alles über mich wissen. Also habe ich ihm erzählt, dass ich die Universität von Los Angeles besucht habe und danach in meine Heimatstadt Sacramento zurückgekehrt bin. Er hat sich auch nach meiner Familie erkundigt, und ich habe ihm gesagt, dass mein Vater in der Innenstadt von Sacramento ein Warenhaus besitzt.“

„Und all seine Fragen haben Sie nicht argwöhnisch gemacht?“

„Nicht wirklich. Ich war wohl wie die meisten Leute geschmeichelt, dass sich jemand so für mich interessiert. Und man muss ihm lassen, dass er ein sehr attraktiver Mann ist.“

Giannis Abscheu spiegelte sich in seiner Stimme wider, als er sagte: „Vermutlich hat er nach dem Dinner vorgeschlagen, in seine Wohnung zu gehen.“

„Ja, aber ich habe mich geweigert, und er wirkte nicht verärgert. Wir sind stattdessen durch die Seitengassen spaziert und haben uns auf einem dieser bezaubernden Plätze auf eine Bank gesetzt. Da hat er dann einen Annäherungsversuch unternommen.“

Er konnte sich die Szene lebhaft vorstellen. Die kleinen Gassen, die nicht von Touristen frequentiert wurden, waren nur schwach beleuchtet. Allerdings konnte er nicht begreifen, warum sie die Beziehung nicht auf der Stelle beendet hatte.

Sie sah seinem Gesicht an, was er dachte.

„Ich war sehr zornig, weil er vorgetäuscht hatte, meinen Standpunkt begriffen zu haben – dass ich nicht an einer Beziehung interessiert bin. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn nie wiedersehen will, und ihn stehen lassen. Am nächsten Tag hat er mir einen riesigen Strauß Rosen geschickt und mich angerufen. Ich habe den Hörer aufgelegt, aber er hat vor dem Hotel auf mich gewartet. Er war so schuldbewusst und so … jungenhaft zerknirscht, dass ich ihm nicht länger böse sein konnte. Schließlich hatte er nicht versucht, sich mir mit Gewalt aufzudrängen.“

„Also stimmten Sie zu, ihn weiterhin zu treffen.“

„Es erschien mir einfacher, denn sonst hätte er mich wie ein Spaniel mit kummervollem Blick auf Schritt und Tritt verfolgt.“ Sie seufzte. „Rinaldo hat nie wieder versucht, mit mir zu schlafen, aber er war so … so romantisch.“

Mit glühenden Wangen senkte Jillian den Blick auf ihre fest ineinander verschlungenen Hände. Sie hatte es nun sehr eilig, ihre peinliche Geschichte zu beenden.

„Als er mich heiraten wollte, habe ich ihm gesagt, dass es zu früh ist, dass wir uns nicht gut genug kennen. Aber er hat mich überzeugt, dass es töricht ist zu warten, wenn man verliebt ist. Wenn ich allein war, war ich nicht sicher, ob ich ihn liebe, aber ich war selten allein. Und sobald wir zusammen waren, erschienen mir meine Zweifel töricht. Als meine Eltern dann genau die Gegenargumente vorbrachten, die ich Rinaldo aufgezählt hatte, wurde ich trotzig.“

„Und dann?“, hakte Gianni nach.

„Danach überstürzten sich die Ereignisse. Er ging mit mir das Brautkleid kaufen. Bevor ich wusste, wie mir geschah, stand ich am Altar. Ich wünschte, ich hätte mit ihm geschlafen, wie er es wollte!“, rief sie aufgebracht. „Zumindest wäre mir dann die furchtbare Szene in der Kirche erspart geblieben.“

„Ich bin überzeugt, dass er liebend gern mit Ihnen geschlafen hätte, aber es hätte nichts geändert. Sein ultimatives Ziel war es, Sie zu heiraten. Männer wie Rinaldo sehen Touristinnen, vor allem amerikanische, als Goldesel an.“

„Aber ich bin nicht reich. Ich bin in einem bescheidenen Hotel abgestiegen, und ich muss jeden Penny umdrehen.“

„Sie haben ihm erzählt, dass Ihr Vater ein Warenhaus besitzt.“

„Ein kleines, das mein Großvater gegründet hat. Mein Vater war nie daran interessiert, zu expandieren oder Filialen zu eröffnen. Er ist es zufrieden, einen anständigen Lebensunterhalt zu verdienen und Zeit mit seiner Familie zu verbringen.“

„Womöglich hat Rinaldo beabsichtigt, Ihren Vater nach der Hochzeit aus dem Geschäft zu drängen und es zu übernehmen.“

„Rinaldo hat die Moral eines streunenden Katers, aber ich kann kaum glauben, dass er mich heiraten wollte, um an das Geld meines Vaters zu kommen. Selbst er kann nicht so hinterlistig sein.“

„Ich könnte mich irren“, räumte Gianni ein.

Doch wenn er recht hatte, war ihre Urteilsfähigkeit noch dürftiger, als sie gedacht hatte. Mit sechsundzwanzig Jahren hätte sie schlauer sein sollen. Er musste sie für einen Hohlkopf halten. Wie konnte sie ihn überzeugen, dass sie eine reife Frau war, die den Job meisten konnte?

Sie holte tief Luft. „Ich habe Ihnen wahrscheinlich mehr erzählt, als Sie hören wollten. Aber ich wollte Sie wissen lassen, warum mir dieser Job so viel bedeutet, warum ich nicht plötzlich weggehen werde. Es ist meine einzige Chance, in Venedig zu bleiben.“

Er blickte sie mit einem leichten Stirnrunzeln an. „Warum sollten Sie bleiben wollen nach allem, was geschehen ist?“

„Ich mache Venedig nicht dafür verantwortlich.“ Ihr Versuch zu lächeln versagte. „Das Problem ist, dass ich meiner Familie immer wieder vorgeschwärmt habe, wie wundervoll Rinaldo ist und wie glücklich wir zusammen sind. Wie kann ich jetzt nach Hause gehen und erklären, dass ich es mir anders überlegte habe? Ich kann unmöglich die Wahrheit eingestehen – dass er ein Betrüger ist. Es wäre zu demütigend.“

„Sie werden es früher oder später erzählen müssen.“

„Ich weiß. Aber ich dachte mir, ich könnte sagen, dass wir einen Streit hatten und die Hochzeit abgesagt haben. Sie können nicht erwarten, dass ich am Telefon jedes Detail erkläre. Ferngespräche sind dazu zu teuer. Wenn ich bis Ende des Sommers hier durchhalte, wird sich der Wirbel legen.“

„Wird sich Ihre Familie nicht wundern, warum Sie nicht wie geplant nach Hause kommen, obwohl die Hochzeit geplatzt ist? Vielleicht sollten Sie lieber sagen, dass Sie die Hochzeit nur verschoben haben, um Rinaldo erst besser kennenzulernen.“

„Eine ausgezeichnete Idee! Dann kann ich später sagen, wir hätten festgestellt, dass wir nicht zusammenpassen. Meine Eltern werden sogar erleichtert sein.“

„Also tun Sie es nur für Ihre Familie.“

„Ich versuche, es für uns alle leichter zu machen. Meine Eltern wären sehr besorgt um mich, wenn sie die Wahrheit wüssten. Aber es ist kein dauerhafter Schaden entstanden. Ich war nicht wirklich in Rinaldo verliebt und habe hoffentlich aus der Erfahrung gelernt.“

„Ich glaube, Sie haben seinen Nachnamen nie erwähnt.“

„Marsala“, sagte sie voller Abscheu. Sie wollte nicht mehr über ihn reden. „Wenn ich Sie überzeugt habe, dass ich so lange bleibe, wie Sie mich brauchen, könnten Sie mir jetzt vielleicht sagen, was ich zu tun habe.“

„Sie werden sich um die Details für eine Party kümmern, die ich nächsten Monat gebe. Es ist ein Maskenball für ungefähr fünfhundert Leute und erfordert viele Vorbereitungen. Bella hat bereits den Lieferanten für Speisen und Getränke, den Floristen und andere nötige Firmen beauftragt, aber Sie werden mit den Leuten konferieren und alles koordinieren müssen.“

Tief beeindruckt starrte Jillian ihn an. Durch die Erwähnung des Maskenballs wurde ihr bewusst, wer dieser Mann war, zu dem sie so offenherzig gesprochen hatte: Gianni di Destino, der Herzog von Venedig – einer der reichsten, begehrtesten Junggesellen in Italien, wenn nicht auf dem gesamten Kontinent!

Die Lokalzeitungen berichteten seit Tagen über das Kostümfest, das er veranstaltete. Kaufleute, Hoteliers und Restaurantbesitzer rieben sich voller Vorfreude die Hände. Giannis Gäste waren allesamt prominent und wohlhabend. Sie kamen aus der ganzen Welt mit reichlich Geld zum Verprassen angereist.

„Sie brauchen keine besonderen Fachkenntnisse für den Job, aber er wird sehr viel Zeit in Anspruch nehmen“, erklärte er. „Außerdem können einige der Leute, mit denen Sie zusammenarbeiten werden, sehr temperamentvoll sein.“ Er musterte ihr liebliches Gesicht mit einem Anflug von Zweifel. „Trauen Sie sich zu, mit ihnen fertig zu werden?“

„Da ich es in der Privatschule mit verwöhnten Gören und schwierigen Eltern zu tun habe, die der Ansicht sind, dass meine ganze Aufmerksamkeit ihrem Kind allein gelten sollte, wird es ein Leichtes sein.“

„Natürlich werden Sie so viel Hilfe bekommen, wie Sie brauchen. Und wenn sich ernste Probleme ergeben sollten, können Sie jederzeit zu mir kommen.“

„Das wird nicht nötig sein. Ich werde so gute Arbeit leisten, dass Sie nicht einmal merken, dass ich hier bin.“

„Ich bezweifle, dass das möglich ist.“

Irgendetwas leuchtete in seinen goldbraunen Augen auf, als er sie betrachtete. Aber es verschwand so schnell wieder, dass sie es sich wohl nur eingebildet hatte. Es musste so sein. Schließlich hatte er die freie Wahl unter adeligen, prachtvollen Frauen von mehreren Kontinenten. Warum sollte er an eine gewöhnliche Person wie sie auch nur einen Gedanken verschwenden?

Er blickte zur Uhr. „Es tut mir leid, dass ich Sie an Ihrem ersten Tag allein lassen muss, aber ich habe einen Termin. Ich schlage vor, dass Sie mit der angesammelten Post beginnen, wobei es sich hauptsächlich um Antworten auf die Einladung handelt. Bella hat irgendwo eine Gästeliste. Tragen Sie dort die Absagen und Zusagen ein.“

Jillian nickte ohne Kommentar, obwohl sie nicht glauben konnte, dass irgendjemand eine Einladung zu der aufsehenerregendsten Party des Jahres ausschlug.

Gianni ließ sie allein. Bevor er das Haus verließ, führte er in der Bibliothek jedoch ein Telefonat mit seinem Anwalt und trug ihm auf, von einer Detektei Nachforschungen über Rinaldo Marsala anstellen zu lassen.

Gianni war bewusst, dass er sich sehr viele Umstände für eine Frau machte, die er kaum kannte. Aber es war ihm ein humanitäres Anliegen. Die Tatsache, dass Jillian jung und auffallend hübsch war, hatte nichts damit zu tun. Nun, zumindest sehr wenig, dachte er mit einem Grinsen.

3. KAPITEL

Am nächsten Morgen erschien Jillian sehr früh zur Arbeit. Zu ihrer Überraschung hatte Gianni das Haus jedoch bereits verlassen. Sie hatte angenommen, dass er die Nächte durchfeierte und stets bis Mittag schlief. Entsprach das nicht dem Lebensstil der Reichen und Berühmten?

„Der Herzog hat Anweisungen für Sie auf Ihren Schreibtisch gelegt“, teilte Marco, der Butler, ihr mit.

Bellas Büro war hell und freundlich. Die Sonne strömte zu den hohen Fenstern herein, die einen wundervollen Ausblick auf den Garten boten. Die Einrichtung war modern und funktionell, im Gegensatz zu den kostbaren Antiquitäten im Rest des Palazzos. Außer dem großen Schreibtisch waren mehrere Aktenschränke, zwei Sessel und eine kleine Couch vorhanden.

Die Nachricht von Gianni wirkte sehr geschäftsmäßig. Kurz und bündig erklärte er, was getan werden musste. Seine Schroffheit enttäuschte Jillian ein wenig. Nach seinem verständnisvollen Verhalten am Vortag hatte sie geglaubt, dass zwischen ihnen zumindest ein gutes Einvernehmen bestand. Doch offensichtlich war das nur ihre Interpretation.

Jillian war in ihre Arbeit vertieft, als Gianni gegen Mittag zurückkehrte. Er war leger gekleidet in eine helle Hose und ein seidenes Polohemd.

„Haben Sie alles zu Ihrer Zufriedenheit vorgefunden?“, erkundigte er sich. „Es tut mir leid, dass ich nicht hier war, um Ihnen zu helfen, sich einzuarbeiten. Ich hatte eine seit Langem bestehende Verabredung zum Golf.“

„Ich wusste gar nicht, dass hier Golf gespielt wird“, bemerkte sie überrascht.

„Dachten Sie, dass Italiener nur leben, um zu essen, zu trinken und sich mit hübschen Mädchen zu vergnügen?“

„Nun, nicht unbedingt in dieser Reihenfolge“, entgegnete sie mit schelmisch funkelnden Augen.

„Wie ich sehe, werde ich Ihre Meinung über italienische Männer ändern müssen.“

„Das haben Sie bereits getan. Mich wundert, wo man in Venedig genügend Land gefunden hat, um einen Golfplatz zu errichten.“

„Auf der Insel Lido. Waren Sie noch nie dort?“

„Nein.“

„Vielleicht können wir irgendwann einmal hinfahren und dort zu Mittag essen.“

„Das wäre sehr schön“, erwiderte sie höflich. Vermutlich handelte es sich um eine dieser vagen Einladungen, die sich niemals verwirklichten. „Ich habe die Post geöffnet und verschiedene Stapel der Briefe angelegt, die Ihre Aufmerksamkeit erfordern. Die meisten hängen mit der Party zusammen. Es sind Dutzende von Zusagen gekommen.“

„Und Absagen?“

„Nur zwei. Baron Stanhope liegt wegen einer Herzoperation im Krankenhaus, und Lily Marchands Tochter heiratet an dem Abend. Sie schreibt, dass es sie vernichtet, nicht am Ball teilnehmen zu können, aber dass ihre Tochter nie wieder ein Wort mit ihr redet, wenn sie der Hochzeit nicht beiwohnt.“ Gianni schmunzelte. „Lily hasst es, eine Party zu versäumen.“

„Vor allem diese. Sie wird fantastisch!“ Jillian hatte sich die Speisekarte, die Entwürfe des Floristen und eine Vielzahl der anderen Vorbereitungen angesehen.

„Ich glaube, dass es amüsant wird. Seit einer ganzen Weile hat niemand ein Kostümfest gegeben, und es gefällt den Leuten, jemand anderen darzustellen. Sie können alle möglichen ungehörigen Dinge tun, während ihre Identität hinter Masken verborgen ist.“

„Es ist die Art von Veranstaltung, die auch die Regenbogenpresse liebt“, bemerkte Jillian. „Vermutlich schicken alle Fotografen her.“

„Ich habe einen Sicherheitsdienst beauftragt, aber ich bin sicher, dass sie trotzdem einige Fotos erhaschen werden. Meine Gäste sind daran gewöhnt, und über mich gibt es nichts Neues zu berichten. Mein Leben ist wie ein offenes Buch.“

Gianni di Destino war in Amerika nicht sonderlich bekannt, aber Jillian wusste einiges über ihn aus den venezianischen Zeitungen. Er war vierunddreißig, ledig und der Erbe eines riesigen Vermögens.

„Wenn Sie momentan keine Fragen haben, möchte ich schnell vor dem Essen duschen“, verkündete er.

„Ich wollte allerdings über eine Sache mit Ihnen sprechen. Mir ist aufgefallen, dass Ihre Sekretärin den Computer da drüben nicht benutzt hat.“

Gianni lächelte. „Bella ist erstaunlich altmodisch für eine junge Frau. Aber Sie müssen verstehen, dass Computer hier nicht so allgegenwärtig sind wie in Ihrem Land. Ihr sind einige Missgeschicke unterlaufen, und seitdem weigert sie sich strikt, diese Höllenmaschine zu benutzen, wie sie es nennt.“

„Ich weiß, dass es am Anfang verwirrend ist, aber ein Computer kann die Dinge erheblich vereinfachen. Die Gästeliste zum Beispiel. Die Namen stehen auf mehreren Bogen Papier, und zwar nicht in geordneter Reihenfolge. Ich musste die ganze Liste durchgehen, um die neuesten Antworten einzutragen. Es würde sehr viel Zeit sparen, wenn alles in alphabetischer Reihenfolge im Computer gespeichert wäre.“

„Dann tun Sie es ruhig auf diese Weise. Wir sehen uns später.“

Es war sehr zeitaufwendig, Bellas Liste zu übertragen. Einige Namen erschienen doppelt, und hinter anderen standen kleine Zusätze, die schwer zu entziffern waren.

Als Gianni zurückkehrte, fragte er: „Haben Sie schon zu Mittag gegessen?“

„Nein.“ Sie blickte zur Uhr. „Ich habe gar nicht gemerkt, dass es schon so spät ist.“

„Wenn Sie beabsichtigen, mich mit Ihrem Eifer zu beeindrucken, dann ist es Ihnen gelungen“, neckte er. „Jetzt ist es Zeit für eine Pause.“

Sie stand auf und dehnte ihren Rücken. „Ich werde irgendwo ein Sandwich essen gehen. Ich habe heute Morgen nur Kaffee getrunken.“

„Dann ist ein Sandwich nicht genug.“ Anerkennend musterte Gianni ihre schlanke Gestalt. Sie trug einen gelben Pullover, der ihre hohen, festen Brüste betonte. „Leisten Sie mir zu einem gehaltvolleren Mahl Gesellschaft.“

„Vielleicht würde es Zeit sparen.“

„Ich hatte gehofft, Sie würden akzeptieren, weil Sie mich unwiderstehlich finden.“

Argwöhnisch blickte Jillian ihn an und sah zu ihrer Beruhigung ein belustigtes Funkeln in seinen Augen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeine Frau Ihnen widerstehen kann“, entgegnete sie leichthin.

„Das hatte ich zu hören gehofft. Ich werde Marco sagen, dass er noch ein Gedeck auflegen soll. Kommen Sie in zehn Minuten ins Esszimmer.“

Das Esszimmer war groß und recht formell eingerichtet. Um einen Tisch aus poliertem Mahagoniholz standen zwölf Stühle mit Sitzkissen aus rotbraunem Satin, und darüber hing ein massiver Kristalllüster.

Jillian fühlte sich etwas eingeschüchtert von dieser vornehmen Eleganz. Kein Wunder, dass Gianni nicht allein in diesem Raum essen wollte. Während sie sich umblickte, erschien er an der Terrassentür, die in einen umzäunten Garten führte.

„Es ist so ein schöner Tag, dass ich dachte, Sie würden gern draußen essen“, bemerkte er.

Inmitten üppiger Blumenpracht in Töpfen und auf Beeten war ein runder Tisch gedeckt. „Es ist bezaubernd“, bemerkte sie, als sie auf schmiedeeisernen Stühlen Platz nahmen. „Man erwartet nicht, mitten in Venedig einen Garten zu finden.“

„Ich wünschte nur, ich hätte mehr Zeit, ihn zu genießen.“

„Was haben Sie denn sonst zu tun?“, hakte sie nach, ohne nachzudenken. Dann wurden ihre Wangen so rot wie die Kamelienblüten an einem Busch in der Nähe. „Es tut mir so leid! Das war sehr unhöflich von mir.“

Er wirkte amüsiert. „Ich kann Ihnen nicht verdenken, dass Sie ebenso von mir denken wie viele andere: dass ich ein fauler Playboy bin, der die Nächte durchfeiert. Über mein Privatleben wird ausgiebig geschrieben. Ich kann nicht verstehen, warum.“

„Es macht Spaß, über reiche Leute zu lesen, die ein Leben führen, das wir übrigen uns nur erträumen können.“

„Ich bin überzeugt, dass Sie zu Hause ein sehr interessantes Leben führen.“ Er musterte ihren sanft geschwungenen Mund und beneidete all die Männer, die das Glück hatten, sie geküsst zu haben.

„Ihnen muss doch klar sein, dass gewöhnliche Menschen nicht so leben wie Sie.“

„Ich würde Sie nie als gewöhnlich bezeichnen.“ Seine Stimme klang so weich wie Samt.

Jillian wusste, dass sein Kompliment nicht ernst gemeint war. Italienische Männer waren bekannt für ihr Charisma. Sie waren von Natur aus verführerisch, ohne sich etwas dabei zu denken. Dennoch war sie erleichtert, als Marco den ersten Gang servierte und Wein einschenkte.

„Ich verzichte lieber auf den Wein“, sagte Jillian. „Ich habe heute Nachmittag zu arbeiten.“

„Sie haben schon den ganzen Vormittag geschuftet. Vielleicht sollte ich Ihnen eine Hilfskraft besorgen.“

„Ich komme schon zurecht“, versicherte sie eilig. „Ich wollte mich nicht beklagen. Ich liebe diesen Job.“

„Den ganzen Vormittag über Namen in einen Computer einzugeben, klingt nicht besonders interessant.“

„Das war nicht alles, was ich getan habe. Ich habe mit faszinierenden Leuten gesprochen! Die Contessa di Albion hat angerufen und gefragt, ob sie einen anderen Gast mitbringen darf.“

Belustigt musterte er ihr lebhaftes Gesicht. „Ellie ist eine sehr nette Person, aber selbst ihre besten Freunde würden sie nicht faszinierend nennen.“

„Sie war sehr nett am Telefon, selbst als ich ihr keine Antwort geben konnte. Ich habe ihr gesagt, dass ich neu hier bin und Sie fragen muss. Sie möchten zurückrufen.“

„Tun Sie es für mich. Sagen Sie ihr, dass es mir recht ist. Ich habe keine Zeit, eine Stunde lang mit Ellie zu telefonieren. Ich habe meiner Schwester versprochen, sie nach dem Lunch zu besuchen.“

Zum ersten Mal erwähnte er etwas Privates von sich. Jillian hätte gern mehr erfahren, aber sie wollte nicht allzu neugierig wirken. In gelassenem Ton bemerkte sie: „Es ist schön, dass Sie eine Schwester in der Nähe haben.“

Ihr Trick funktionierte nicht. Gianni wechselte das Thema. „Wie hat Ihre Familie die Neuigkeit von der verschobenen Hochzeit aufgenommen?“

„Ich habe es noch nicht erzählt.“

Er zog eine Augenbraue hoch. „Das sollten Sie aber. Es wird nur schwerer, je länger Sie es hinauszögern.“

„Ich weiß.“ Jillian seufzte. „Aber ich werde eine Menge Fragen beantworten müssen, und ich bin keine besonders gute Lügnerin.“

„Betrachten Sie es einfach als kleine Verdrehung der Wahrheit. Sie haben Rinaldo doch wirklich zu überzeugen versucht, dass Sie sich erst einmal besser kennenlernen sollten, bevor Sie heiraten.“

„Das stimmt.“

„Also ist es keine Lüge.“

„Aber was ist, wenn sie einen anderen Grund dahinter vermuten, dass ich nicht nach Hause kommen will?“

„Das wäre unlogisch. Sie und Rinaldo können sich kaum besser kennenlernen, wenn Sie sich auf verschiedenen Kontinenten aufhalten.“

„Das hatte ich gar nicht bedacht. Sehen Sie? Deswegen lüge ich so ungern. Man muss so viele Details im Auge behalten.“

Er grinste. „Übung macht den Meister.“

Sprach er aus Erfahrung? Wie viele Frauen mochten ihm geglaubt haben, als er ihnen Worte der Liebe ins Ohr geflüstert hatte? Ein Mensch wie Gianni hatte von vornherein Vorteile. Er war gut aussehend, charmant und dazu äußerst gütig. Sie verdankte ihm viel. Aber wahrscheinlich war er nicht anders als jeder andere Mann in seinen Beziehungen zu Frauen. Kann man überhaupt einem Mann trauen? fragte sie sich düster.

Eine Zofe schob einen wundervollen antiken Servierwagen mit einem Mahl an den Tisch, das wie aus einer Gourmetzeitschrift aussah. Muscheln und riesige rosige Garnelen bedeckten eine Schale mit würzig duftender Pasta.

„Du meine Güte, wird das als durchschnittlicher Lunch betrachtet?“, fragte Jillian beeindruckt.

„Wir Italiener halten viel von anständigen Mahlzeiten. Wir können nicht begreifen, wie ihr Amerikaner euch mit einem Hamburger zufriedengeben könnt.“

„Woher kennen Sie denn unsere Essgewohnheiten?“, hakte sie verblüfft nach.

„Von Besuchen in Ihrem Land. Es hat mich schockiert, was Sie als Lunch bezeichnen.“

„Das kann ich mir denken. Für uns ist vor allem wichtig, dass es schnell und sättigend ist.“ Sie lachte. Es war ihr unmöglich, sich Gianni in einem Schnellimbiss vorzustellen. „Wo waren Sie denn in den USA?“

„Meistens fahre ich geschäftlich nach New York oder Washington, aber letztes Jahr war ich auch in Kalifornien. Ich hatte meinen Neffen zu ihrem achten Geburtstag eine Reise nach Los Angeles versprochen. Sie wollten die Filmstudios und Disneyland besuchen.“

„Sie waren im Disneyland?“

„Leider kam etwas Unerwartetes dazwischen, und ich konnte sie an dem Tag nicht begleiten. Sie waren mit ihrem Kindermädchen dort.“

Jillian fragte sich zynisch, ob es eine Blondine oder eine Brünette gewesen war, die unerwartet dazwischengekommen war. „Es ist ohnehin kein Ort, der Sie interessieren würde.“

Er wirkte ein wenig irritiert. „Sie glauben, dass ich eine Ausrede erfunden habe, um nicht mitgehen zu müssen, aber Sie irren sich. Ich bin gern mit meinen Neffen zusammen. Ich mag Kinder.“

„Sie müssen viel Spaß machen in dem Alter“, sagte sie höflich.

„Ja, aber ich habe sie als Babys auch genossen.“

„Wie schade, dass Sie keine eigenen Kinder haben. Sie haben reichlich Platz für eine große Familie.“

„Ich habe gesagt, dass ich Kinder mag. Das bedeutet nicht, dass ich eine Frau will.“

„Als Pauschalangebot ist es aber bequemer“, entgegnete sie trocken. „Wollen Sie denn nie heiraten?“

„Vielleicht. Aber es ist keine Priorität. Ich glaube nicht, dass man zu zweit durch das Leben gehen muss, um glücklich zu sein. Das ist ein Konzept, das sich Romantiker erträumt haben.“

Jillian blickte hinab auf ihren Teller. Ihr wurde bewusst, dass er sie für einen dieser dummen Romantiker hielt. Rinaldo gegenüber hatte sie sich dementsprechend benommen.

„Ich habe nicht Sie gemeint.“ Er griff über den Tisch und legte eine Hand auf ihre. „Sie waren das Opfer eines skrupellosen Betrügers.“

Das stimmte zwar, aber dadurch fühlte sie sich nicht besser. „Zumindest habe ich gelernt, nicht so leichtgläubig zu sein. Ich hoffe nur, dass meine Familie es nie herausfindet.“

„Es gibt keinen Grund, warum sie es erfahren sollte. Rufen Sie doch jetzt gleich an. Sie werden sich besser fühlen, wenn Sie es hinter sich gebracht haben.“

„Ich rufe lieber heute Abend aus dem Hotel an. Es wird bestimmt ein längeres Gespräch, und ich will Sie nicht mit den hohen Kosten belasten.“

„Ich ziehe es Ihnen vom Gehalt ab, wenn Sie sich dadurch besser fühlen. Tun Sie es jetzt. Oder zumindest nach dem Dessert.“

„Ich bringe keinen Bissen mehr hinunter. Das war wesentlich mehr, als ich normalerweise esse. Ich glaube, ich lasse heute Abend das Dinner ausfallen.“

„Ich merke schon, dass sich Ihr Lebensstil ändern muss. Ich werde Ihnen die Kunst, gut zu leben, beibringen müssen.“

Jillian war überzeugt, dass er ihr vieles beibringen konnte, aber sie war besser daran, gewisse Dinge nicht zu wissen. Gianni und seine Freunde lebten in einer anderen Welt.

Kurze Zeit später griff Jillian in ihrem Büro widerstrebend zum Telefon.

Ihre Eltern waren entzückt, von ihr zu hören. Bevor sie nach der Hochzeit fragen konnten, erkundigte Jillian sich nach ihrer Schwester und den verschiedenen anderen Angehörigen.

Schließlich sagte ihre Mutter: „Dieses Gespräch kostet dich ein Vermögen! Erzähl mir schnell von der Hochzeit, und vielleicht können wir dann einen Moment mit unserem neuen Schwiegersohn sprechen.“

„Ich habe meine Pläne geändert, Mom.“

„Was ist denn passiert, Liebes?“

„Nichts Schlimmes. Ich glaube sogar, dass ihr euch freuen werdet.“ Jillian bemühte sich, fröhlich zu klingen. „Ich wollte zuerst nicht auf euch hören, als ihr versucht habt, mir die Hochzeit auszureden. Aber ich habe es mir durch den Kopf gehen lassen und eingesehen, dass ihr recht habt.“

„Oje, es tut mir so leid! Ich hätte mich nicht einmischen sollen. Hattet ihr beide Streit deswegen?“

„Nein, wir sind deiner Meinung. Eine überstürzte Hochzeit wäre sehr romantisch gewesen, aber wir haben erkannt, dass wir uns noch nicht gut genug kennen.“

„Ich kann nicht behaupten, dass es mich nicht erleichtert, aber geht es dir denn gut?“

„Es geht mir bestens, Mom. Mach dir keine Sorgen um mich.“

„Wie könnte ich mich nicht sorgen? Ich glaube, dass du die richtige Entscheidung getroffen hast, aber ich wünschte, ich könnte bei dir sein.“

„Was ist los?“, fragte eine Männerstimme im Hintergrund.

„Sie haben nicht geheiratet“, teilte Sarah Colby ihrem Mann mit.

„Prima! Wann kommt sie nach Hause? Lass mich mit ihr reden.“ Ben Colby übernahm den Hörer. „Wie geht es dir, Honey?“

„Großartig, Dad. Ich liebe Venedig. Es ist so wundervoll, wie ich gedacht habe.“

„Aber was ist mit dir und deinem Verlobten? Ich kann nicht glauben, dass du plötzlich eingesehen hast, dass Eltern es besser wissen“, bemerkte er trocken.

„Dir kann man es auch nie recht machen, Dad“, neckte Jillian.

„Was ist wirklich passiert?“, wollte er in ernstem Ton wissen.

„Genau das, was ich Mom gesagt habe. Wir haben beschlossen, eine Weile zu warten.“

„Dann kommst du also nach Hause?“

„Nein. Ich bin schließlich immer noch verlobt. Sag allen, dass sie die Hochzeitsgeschenke aufbewahren sollen.“

„Wie lange willst du denn dableiben? Du bist schon seit zwei Wochen weg. Dein Geld muss allmählich knapp werden.“

„Nein, ich habe genug. Du weißt doch, wie gut ich haushalten kann.“

„Das habe ich anders in Erinnerung. Wenn du wirklich noch bleiben willst, schicke ich dir Geld.“

„Nein, Dad, ich brauche nichts. Ich habe einen Job angenommen. Ich verdiene mehr, als ich ausgebe.“

Ben war nicht so naiv, wie Jillian es gewesen war. „Wie hast du denn in einem fremden Land einen Job ohne Arbeitsgenehmigung bekommen? Ich bin sicher, dass dort dieselben Einschränkungen gelten wie bei uns. Die Formalitäten können Monate in Anspruch nehmen.“

„Ich hatte Glück. Ich …“ Sie verstummte. Beinahe hätte sie ihm von ihrer Bekanntschaft mit Gianni erzählt. Doch ihr Vater hätte ihn bestimmt für einen dekadenten Playboy gehalten, der nur darauf aus war, sie zu verführen.

„Was für eine Art von Arbeit ist es denn?“, wollte Ben mit einem Anflug von Strenge wissen.

„Ich bin keine Nachtklubtänzerin oder so. Ehrlich, Dad, ich hätte gedacht, du würdest mir etwas mehr Vernunft zutrauen!“

„Ich habe vollstes Vertrauen in dich. Ich möchte nur wissen, was für eine Art von Arbeit du ausübst.“

„Als Sekretärin. Ist das respektabel genug für dich?“

„Du hast die Position ohne Papiere bekommen?“

„Nun, das ist das Beste daran.“ Jillian holte tief Luft und gab die einzige Erklärung, die ihr einfiel. „Mein Verlobter hat mir den Job angeboten.“

„Das bedeutet, dass du dich von ihm aushalten lässt.“ Selbst über Tausende von Meilen war seine Missbilligung deutlich zu hören.

„Nein. Es ist ein echter Job. Seine Sekretärin bekommt ein Baby und kann nicht mehr arbeiten, sodass er auf jeden Fall jemanden einstellen musste. Gianni ist ein sehr wichtiger Mann mit vielen geschäftlichen Angelegenheiten.“

„Wer ist Gianni? Ich dachte, dein Verlobter heißt Rinaldo.“

„Oh … nun, das stimmt.“ Es war ein unverzeihlicher Versprecher. „Weißt du, Gianni ist sein zweiter Vorname“, improvisierte sie hastig. „Seine Freunde nennen ihn Gianni, und nachdem ich sie kennengelernt habe, nenne ich ihn auch so. Es ist weniger verwirrend, wenn wir alle zusammen sind.“ Mit angehaltenem Atem hoffte sie, dass er ihr diese Erklärung abkaufte.

„Ich bin nicht glücklich über die gesamte Situation“, sagte Ben nachdenklich.

„Keine Sorge, Dad. Ich würde nie etwas tun, dessen du und Mom sich schämen müsstet.“

„Das weiß ich, Honey. Aber ich kann nicht umhin, mir Sorgen zu machen, auch wenn mir klar ist, dass du eine erwachsene Frau bist. Du wirst es verstehen, wenn du erst mal selbst Mutter bist.“

„Ich weiß, was du sagen willst. Ich habe dich lieb, Dad“, sagte Jillian in rauem Ton.

„Ich habe dich auch lieb, Baby. Ich lasse dich jetzt wieder mit deiner Mutter sprechen. Sie reißt mir schon fast den Hörer aus der Hand.“

„Du arbeitest für Rinaldo?“, hakte Sarah nach. „Und wer ist Gianni? Hast du noch jemand kennengelernt?“

„Dad wird dir die ganze Geschichte erzählen. Ich muss jetzt auflegen, Mom. Ich rufe nämlich aus dem Büro an.“

„Natürlich, Liebes. Ich werde dich im Hotel anrufen. Um welche Zeit kommst du von der Arbeit zurück?“

„Das ist schwer zu sagen. Nicht vor sieben, und eher später, wenn ich irgendwo zu Abend essen gehe. In Venedig herrscht ein anderer Rhythmus als bei uns.“

„Dann gib mir deine Nummer im Büro, und ich rufe dich dort an.“

„Ich rufe dich lieber an“, wehrte Jillian hastig ab. „Ich finde, dass ich während der Arbeit keine Privatgespräche führen sollte, auch wenn ich für meinen Verlobten arbeite. Es ist nicht geschäftsmäßig.“

„Das ist sehr lobenswert, aber Rinaldo hätte bestimmt nichts dagegen, dass deine Mutter gelegentlich anruft. Ich verspreche auch, mich kurz zu halten. Vielleicht könnte ich ihn auch begrüßen. Wir haben noch nie mit ihm gesprochen.“

„Es würde ihn bestimmt sehr freuen, euch kennenzulernen“, murmelte Jillian matt.

„Gut. Dann gib mir die Nummer.“

Notgedrungen befolgte sie die Aufforderung, um nicht noch mehr Verdacht zu erregen. Nachdem sie sich verabschiedet hatte, legte sie niedergeschlagen den Hörer auf. Die Situation erschien ihr wie eine Verwechslungskomödie, nur dass sie nicht witzig war. Wenn Gianni herausfand, dass sie ihn als ihren Verlobten ausgab, würde er sie vermutlich feuern.

Wie auf ein Stichwort tauchte er unerwartet in der Tür auf. „Haben Sie Ihre Eltern angerufen?“

„Ja, und Sie hatten recht. Ich bin erleichtert.“

„Diesen Eindruck habe ich aber nicht.“

„Ich fühle mich nicht wohl dabei, dass ich ihnen nicht die Wahrheit gesagt habe.“

„Vielleicht hätten Sie sich momentan besser gefühlt, aber es hätte Ihre Eltern nur aufgeregt. Eltern sorgen sich um ihre Kinder, selbst nachdem sie erwachsen und ausgeflogen sind.“

Jillian lächelte matt. „Das klingt, als hätten Sie meine Eltern kennengelernt.“

Gianni schmunzelte. „Diesen Zug haben alle gemeinsam.“

„Haben Ihre Eltern Sie auch so umsorgt?“

Sein Lächeln schwand. „Ich erinnere mich kaum. Meine Mutter starb, als ich noch recht klein war.“ Er blickte zur Uhr. „Ich muss jetzt gehen. Ich bin schon spät dran.“

Nachdem er fort war, rätselte Jillian über sein Verhalten. Hatte er eine schlechte Beziehung zu seinen Eltern? Oder stellte sie sich nur Probleme vor, die gar nicht existierten? Wie Freud vorgeblich gesagt hatte, war eine Zigarre manchmal nur eine Zigarre. Es musste nichts zu bedeuten haben, dass Gianni nicht über seine Eltern sprach.

Er schien keine Probleme zu haben. Und warum auch? Er hatte alles, was ein Mann sich wünschen konnte – außer einer gesunden Einstellung zur Ehe. Jillian beneidete die Frau nicht, die sich in ihn verliebte.

4. KAPITEL

Als Jillian an diesem Abend von der Arbeit ins Hotel zurückkehrte, wartete Rinaldo auf sie im Foyer.

Cara mia, endlich!“, rief er. „Ich warte schon seit Stunden auf dich.“

„Wie kannst du es wagen, mir nach der schändlichen Szene in der Kirche unter die Augen zu treten!“

„Wir müssen miteinander reden.“

„Was gibt es da noch zu sagen? Ich will dich nie wiedersehen.“

„Das kann nicht dein Ernst sein, meine Liebe. Was an jenem Tag geschah, ist bedauerlich, und ich bin bereit, alle Schuld auf mich zu nehmen. Ich gebe zu, dass ich dir von Maria hätte erzählen sollen, aber ich hatte Angst, dass du es missverstehen würdest. Unsere Beziehung war lange vorbei, als ich dich kennenlernte.“

„Und wie steht es mit deiner Beziehung zu deinem Baby?“

„Ich werde natürlich für das Baby sorgen. Ich liebe Kinder. Du und ich würden wundervolle Bambini zusammen machen“, sagte er in sinnlichem Ton.

Die Stimme, die sie einmal für sexy gehalten hatte, klang nun ölig in ihren Ohren. „Lass mich in Ruhe, Rinaldo. Es ist aus.“

„Das ist nur verletzter Stolz, der aus dir spricht, aber ich kann dich die Unannehmlichkeiten vergessen lassen.“ Er versuchte, ihre Hand zu nehmen, doch sie zuckte zurück. „Unsere Pläne für die Zukunft können immer noch wahr werden.“

Jillian schüttelte den Kopf. „Ich war dumm genug, dir einmal zu glauben, aber ich bin nicht so töricht, mich noch einmal reinlegen zu lassen.“

„Und doch bist du immer noch hier“, entgegnete er sanft. „Würdest du mich wirklich nicht mehr sehen wollen, wärst du nach Hause zurückgekehrt. Dein Urlaub ist schon seit ein paar Tagen vorbei.“

„Deinetwegen schäme ich mich, nach Hause zu gehen!“, rief sie verärgert. „Was sollte ich meiner Familie und meinen Freunden sagen? Dass ich die Hochzeit abgesagt habe, weil die Mutter des Kindes meines Bräutigams ältere Rechte auf ihn hat?“

Einen flüchtigen Moment lang vergaß Rinaldo, seine Verärgerung zu verbergen. „Du benimmst dich, als wäre ich der einzige Mann, der jemals ein nicht eheliches Kind gezeugt hat. Es soll häufiger vorkommen.“

„Vielleicht wird deine nächste Zukünftige mehr Verständnis aufbringen.“ Forschend musterte Jillian ihn. „Warum hast du mich gebeten, dich zu heiraten? Und warum sollte es so rasch gehen? Weil du mich für reich hältst?“

„Wie kannst du mir unterstellen, dass ich an deinem Geld interessiert wäre? Ich würde dich genauso lieben, wenn du mittellos wärst!“, erklärte Rinaldo leidenschaftlich.

„Ich nage nicht am Hungertuch, aber ich bin auch keine reiche Erbin.“

„Aber du hast mir doch erzählt, dass dein Vater ein Warenhaus besitzt.“

„Das stimmt auch, aber es ist keine große Kette, wie du vielleicht dachtest. Es ist nur ein kleiner Familienbetrieb.“

„Es könnte in eine Goldgrube verwandelt werden – durch richtige Beratung und geschicktes Marketing. Ich würde sehr gern meine Fachkenntnisse anbieten – nur als Service gegenüber deiner Familie.“ Er bemühte sich, gelassen zu klingen, aber das Funkeln in seinen Augen beeinträchtigte die Wirkung. „Wir sollten nicht hier im Foyer herumstehen. Lass uns hinauf in dein Zimmer gehen und über uns reden.“ Er ließ die Hand an ihrem Arm hinaufgleiten.

Sie wich zurück. „Du hast genug gesagt. Ich möchte, dass du jetzt gehst.“

„Das willst du nicht wirklich“, widersprach er in honigsüßem Ton.

„Oh doch. Lass mich in Ruhe, Rinaldo. Ich bin seit dem frühen Morgen auf den Beinen. Ich bin müde und hungrig.“

„Dann lass uns in unser Lokal essen gehen.“

„Meinst du die schäbige Eckkneipe mit den billigen Papierservietten?“

„Du hast gesagt, dass sie Atmosphäre hat.“

„Ich wollte höflich sein.“ Abrupt verlor Jillian die Geduld. „Ich will nicht länger hier mit dir streiten. Wenn du nicht sofort gehst, rufe ich die Polizei.“

Erneut versuchte er, ihre Hand zu nehmen.

Sie stürmte an ihm vorbei zum Empfang und sagte zu dem Portier, der die Szene voller Interesse beobachtet hatte: „Würden Sie bitte die Polizei rufen? Dieser Mann belästigt mich.“

Er war jung und muskulös und bot an: „Vielleicht kann ich die Angelegenheit für Sie erledigen, Signorina.“

Als er hinter dem Tresen hervortrat, lief Rinaldo hastig zur Tür. „In Ordnung, ich gehe, wenn du es wünschst. Aber ich werde nie die Hoffnung aufgeben. Du bist die Liebe meines Lebens!“

Angewidert schüttelte Jillian den Kopf. Wie hatte sie sein theatralisches Getue nur ernst nehmen können? Nun verspürte sie nur noch Erleichterung, dass sie ihn endlich los war. Als sie den Portier anblickte, bemühte er sich, ein Lachen zu unterdrücken.

„Ich fürchte, er wird es überleben“, bemerkte er.

„Dessen bin ich mir sicher. Danke für Ihre Hilfe.“

Er tat ihren Dank mit einem Achselzucken ab. „Per niente.“

Jillian fand ihre Arbeit so interessant, dass es ihr am nächsten Tag kein Problem bereitete, Rinaldo zu vergessen. Den Vormittag über führte sie Besprechungen mit Hotelmanagern, dem Besitzer einer Flotte Motorboote und einem Beleuchtungsexperten. Der Ballsaal sollte in eine mittelalterliche Schlosshalle verwandelt und von Fackeln erhellt werden, die echt aussahen, aber elektrisch betrieben wurden.

Zwischen den Meetings führte sie Telefonate. Es erstaunte sie, welche Zauberformel Giannis Name darstellte. Sobald sie erwähnte, dass sie im Auftrag des Herzogs von Venedig anrief, wurde sie unverzüglich durchgestellt. Es war eine betörende Erfahrung für sie, die es gewohnt war, endlos zu den Klängen von Musikkonserven warten zu müssen.

Am späten Nachmittag schaute Gianni vorbei. Einige Minuten lang unterhielten sie sich über den Ball, und dann verkündete er: „Ich habe eine geschäftliche Besprechung auf der Insel Murano. Sie können mich über mein Handy erreichen, falls Sie etwas brauchen.“

„Wird dort das berühmte Murano-Glas hergestellt?“

Er nickte. „Waren Sie etwa noch nicht da? Es ist ein Muss für jeden Touristen.“

„Ich weiß, und ich wollte immer hin, aber ich bin einfach nie dazu gekommen.“

„Warum kommen Sie nicht heute mit? Sie können bummeln gehen und sich ansehen, wie das Glas geblasen wird, während ich mich um mein Meeting kümmere.“

„Das könnte ich nicht. Ich bin doch im Dienst.“

„Da ich Ihr Arbeitgeber bin und der Vorschlag von mir stammt, können Sie es als Dienstreise betrachten.“

„Wenn Sie es so ausdrücken, kann ich nicht ablehnen.“ Jillians kornblumenblaue Augen leuchteten vor Vorfreude.

Während sie zu seinem schnittigen Motorboot gingen, bemerkte Jillian: „Bevor ich hierherkam, konnte ich mir nicht vorstellen, wie eine Stadt ohne Autos existieren kann. Aber es ist eine sehr zivilisierte Lebensart. Ich liebe es, mitten auf der Straße spazieren zu können, ohne Fahrzeugen ausweichen zu müssen. Aber es kommt mir immer noch seltsam vor, dass man in ein Boot anstatt in ein Auto steigt, wenn man irgendwohin fahren will.“

„Das macht zum Teil den einzigartigen Charme von Venedig aus.“

„Sie werden keinen Widerspruch von mir hören.“ Sie beobachtete das lebhafte Treiben auf dem Canale. „Ich liebe es hier!“

Gianni musterte ihr klares Profil. „Wir werden uns etwas einfallen lassen müssen, damit Sie bleiben können.“

Bevor sie antworten konnte, erreichten sie das Motorboot, das im Kielwasser eines Ausflugsdampfers heftig schaukelte.

Gianni ging an Bord und reichte ihr die Hand. „Seien Sie vorsichtig. Es ist ein bisschen schwierig, wenn die großen Boote vorbeifahren.“

Als Jillian einen Fuß in das Boot setzte, raubte ihr prompt eine weitere Welle das Gleichgewicht. Er legte die Hände auf ihre Taille und hob sie an Bord. Sie griff automatisch nach seinen Schultern und spürte das Spiel seiner Muskeln.

„Entschuldigung.“ Sie lachte verlegen. „Normalerweise bin ich nicht so linkisch.“

„Es war nicht Ihre Schuld.“ Er strich ihr eine lange Haarsträhne aus den Augen.

Ihre Wange prickelte, wo seine Finger sie berührt hatten. Sie blickte in seine Augen und fühlte sich gefangen von seiner Anziehungskraft.

Einen Moment lang verstärkte er den Druck um ihre Taille, und seine Augen nahmen einen goldenen Schimmer an. Sie hielt den Atem an, als sie spürte, dass sich die Atmosphäre zwischen ihnen änderte.

Dann gab er sie frei und machte das Boot los. „Ich hoffe, es stört Sie nicht, sich allein auf Murano umzusehen.“

„Sie brauchen sich keine Sorgen um mich zu machen“, entgegnete sie ein wenig atemlos. „Ich werde es nie leid, mir Sehenswürdigkeiten anzusehen.“

„Vielleicht kann ich Sie ein wenig herumführen. Mein Termin dürfte nicht allzu lange dauern.“

„Haben Sie geschäftliche Interessen auf Murano?“

„Nein. Ich treffe mich mit einem alten Freund, der meinen Rat wegen einer geplanten Investition möchte.“

„Das klingt, als wären Sie ein Experte.“

Er zuckte die Achseln. „Ich wurde in jungen Jahren in Finanzen ausgebildet. Als zukünftiges Oberhaupt der Familie musste ich das Vermögen der Familie verwalten.“

„Das muss eine schwierige Aufgabe sein.“ Angesichts der Größe des Vermögens, dachte Jillian.

„Es erfordert viel Wachsamkeit. Ich bin dafür verantwortlich, das Erbe an künftige Generationen weiterzugeben, angefangen mit meinen kleinen Neffen.“

Es war ein perfekter Einstieg, um sich nach seiner Familie zu erkundigen. Doch bevor Jillian ihn befragen konnte, begrüßte ihn ein Freund in einem vorüberfahrenden Boot. Dann, als sie sich Murano näherten, verdichtete sich der Verkehr auf dem Kanal, und Gianni musste sich darauf konzentrieren, das Motorboot an den Steg zu manövrieren.

Nachdem sie angelegt hatten, begleitete er sie zum Zentrum des kleinen Ortes und zeigte ihr die Glaswarenfabrik und die Geschenkläden. Sie verabredeten einen Zeitpunkt, und dann ließ er sie allein.

Zufrieden spazierte Jillian umher und nahm all die Einblicke und Geräusche in sich auf. Eine Weile lang beobachtete sie, wie die Glasbläser mit langen Rohren aus geschmolzenem Glas farbenfrohe Vasen und charmante Skulpturen herstellten.

Die Zeit verflog, ohne dass sie sich dessen bewusst wurde. Gianni erschien, als sie gerade in einem Laden Briefbeschwerer bewunderte. Er schmunzelte. „Ich wusste, dass ich Sie früher oder später in einem dieser Geschäfte finden würde.“

Sie blickte zur Uhr. „Es tut mir leid. Ich habe die Zeit völlig vergessen.“

„Das bedeutet, dass Sie sich amüsiert haben.“

„Oh ja! Aber ich wollte Sie nicht warten lassen, nachdem Sie so nett waren, mich hierher mitzubringen.“

„Ich habe jetzt nichts Dringendes zu erledigen. Gehen wir doch irgendwo etwas trinken. Sie müssen darauf brennen, sich hinzusetzen, nachdem Sie so lange umhergelaufen sind.“

Gianni führte sie in ein Straßencafé mit bunten Sonnenschirmen und bestellte Wein für beide. Von ihrem Tisch aus konnten sie Passanten beobachten und einen wundervollen Blick über den Kanal genießen.

Jillian seufzte zufrieden. „Es ist schön zu sitzen. Hatten Sie ein nettes Treffen mit Ihrem Freund?“

Er zuckte die Achseln. „Wir haben über Geschäfte geredet. Nicht besonders aufregend.“

„Ich dachte, dass Männer es liebend gern tun – wenn sie nicht gerade über Frauen reden“, scherzte sie.

Er erwiderte ihr Lächeln. „Das Thema würde ich vorziehen.“

Autor

Tracy Sinclair
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