Romana Gold Band 46

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DAS GEHEIMNIS DER GRIECHISCHEN INSEL von WELLS, ANGELA
Für eine Weile in die Rolle der Braut von Alexos Faradaxis schlüpfen - ein verlockendes Spiel für Ilona. Doch sie ahnt nicht, wie bald sie sich schon wünschen wird, dass alles wahr wäre.

AUF DEM WEG NACH ATHEN von LAMB, CHARLOTTE
Heimlich träumt Leonie schon lange von dem berühmten Playboy Paul Caprel. Jetzt ist sie mit ihm verheiratet, weil ihr Großvater es gefordert hat. Leonie beginnt Paul leidenschaftlich zu lieben, doch er scheint nur Augen für eine andere zu haben …

HAST DU MICH NIE GELIEBT? von JAMES, JULIA
Seit Janine auf der herrlichen Insel Skarios den griechischen Tycoon Nikos Kiriakis kennen gelernt hat, scheint sich ihr Traum von wahrer Liebe zu erfüllen. Er umwirbt sie zärtlich. Allerdings ahnt sie nicht, dass Nikos ihr etwas Wichtiges verschweigt.


  • Erscheinungstag 10.08.2018
  • Bandnummer 46
  • ISBN / Artikelnummer 9783733744649
  • Seitenanzahl 444
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Angela Wells, Charlotte Lamb, Julia James

ROMANA GOLD BAND 46

1. KAPITEL

„Ich hoffe, Du verstehst das und freust Dich für mich“, hatte Philip geschrieben.

Ilona blickte in das große Glas in ihrer Hand, bevor sie nachdenklich einen Schluck trank. Der kräftige „El Greco spezial“ war etwas anderes als der Eiskaffee, den sie normalerweise wählte. Wehmütig verzog sie ihre hübschen sinnlichen Lippen und dachte an Manolis’ überraschten Blick, während er ihr den Drink gemixt hatte.

Zum Glück war heute ihr freier Abend. Irgendwelche Pflichten als Reiseleiterin standen nicht auf dem Dienstplan. Und sie brauchte dringend etwas gegen den Schmerz, der sie nach der Lektüre von Philips Brief erfasst hatte. Immerhin hatte Philip sie vor zwölf Monaten gebeten, seine Frau zu werden. Leider wirkte der Cocktail nicht.

Zumindest kann ich die nächsten drei Monate noch für „Happy Hellenic Holidays“ auf Kreta arbeiten, versuchte Ilona sich zu trösten. Die Insel hatte ihre Erwartungen mehr als erfüllt. Sie trank einen weiteren Schluck und musste gleich darauf husten, weil die Flüssigkeit heftig in ihrer Kehle brannte. Jetzt lehnte sie sich zurück und warf einen Blick durch die Bar, die sich nach dem Abendessen langsam mit Gästen füllte.

Mit ihren großen dunkelbraunen Augen beobachtete sie Manolis und stellte mitleidig fest, dass er erschreckend blass aussah. Seine rechte Gesichtshälfte war stark geschwollen und gerötet. Er hätte schon vor Tagen zum Zahnarzt gehen müssen. Stattdessen hatte er tapfer abgewartet und gehofft, die Schmerzen würden von selbst nachlassen. Ein Irrtum, wie sich herausgestellt hatte. Ein feiner Schweißfilm stand auf seiner Stirn. Hoffentlich konnte er heute Nacht wenigstens schlafen.

Ilona schaute nach hinten, denn eine Gruppe junger Schweden kam lachend herein. Plötzlich hörte sie Manolis’ Stimme, die ungewöhnlich laut geworden war.

„Tut mir leid, Kyrie, aber wir bedienen in diesem Hotel keine Einheimischen“, sagte der Barkeeper.

„Oriste?“ So schneidend konnte nur ein Grieche das Wort aussprechen. Es drückte eine ganze Skala von Gefühlen aus, die von Ungläubigkeit über Verblüffung bis zu höchster Verärgerung reichten. Ilona spürte die aggressive Stimmung zwischen den beiden Männern sofort, und Mitleid mit Manolis erfasste sie.

„Anordnung der Direktion“, sagte der Barkeeper kurz angebunden. „Wir bedienen nur Touristen.“

„Tatsächlich?“

Ilonas Blick glitt zu dem Sprecher mit der tiefen trägen Stimme. Seine Antwort hatte wie eine Drohung geklungen. Normalerweise wurde Manolis mit solchen Situationen spielend fertig. Doch bei diesen Zahnschmerzen konnte er auf weiteren Ärger bestimmt verzichten.

Der Neuankömmling setzte sich auf den Rand des Bar­hockers, während ein Fuß den Boden berührte. Er musste über eins achtzig groß sein und wirkte ausgesprochen dominierend. Ilona betrachtete ihn verstohlen. Der Mann hatte eine auffallende Nase, ein ausgeprägtes Kinn, eine schön geschwungene schmale Oberlippe sowie eine volle sinnliche Unterlippe. Dichtes blauschwarzes Haar fiel ihm schwungvoll über die hohe Stirn und kräuselte sich im Nacken.

Nicht nur wegen seines Gesichts und seiner Gestalt wirkte der Mann wie ein ernst zu nehmender Gegner. Selbst aus der Entfernung spürte Ilona seine überlegene Persönlichkeit und seine Arroganz, die sich auf mehr stützen musste als reine Muskelkraft.

Dieser Mann könnte jedem gefährlich werden, überlegte Ilona, und ein Schauer rieselte ihr den Rücken hinab. Der Fremde war Anfang Dreißig und sicherlich nicht der Typ, der sich nach solch einer Demütigung davonschleichen oder sich der peinlichen Situation schleunigst durch eine Flucht entziehen würde. Nein, überlegte Ilona mit wachsender Besorgnis, dieser Mann bedeutet zweifellos Ärger.

Wie zur Bestätigung beugte sich der Fremde nach vorn und sah Manolis fest an. „Falls Sie sich weigern, mich zu bedienen, weil Ihnen meine Kleidung oder mein Benehmen nicht gefällt, gehe ich auf der Stelle“, erklärte er und unterdrückte nur mühsam seinen Zorn. „Aber ich denke nicht daran, die Bar zu verlassen, weil ich Grieche bin!“

Merkt denn niemand vom Personal, was hier los ist, und kommt Manolis zur Hilfe? dachte Ilona. Verzweifelt schaute sie sich um. Aber es war niemand in der Nähe. Also musste sie selber die Initiative ergreifen und versuchen, den Ärger abzuwenden. Das war das Mindeste, was sie für Manolis tun konnte. Er hatte sie seit ihrer Ankunft auf Kreta vor drei Monaten schon mehrmals zu seiner Familie eingeladen.

Seufzend stand sie auf und ging zu den beiden Kontrahenten hinüber. Ihre hohen Absätze klickten gebieterisch auf dem Marmorboden.

„Tut mir leid, Sie zu unterbrechen…“, begann Ilona etwas atemlos. Sofort drehte sich der Fremde zu ihr um. Ihr Herz hämmerte wie wild, während er sie durchdringend ansah. Sie schluckte nervös und suchte verzweifelt nach den richtigen Worten. „Dieser Mann ist mit mir verabredet“, fuhr sie fort und lächelte dem Barkeeper freundlich zu, der sie ausdruckslos anblickte. „Entschuldigen Sie, Manolis, ich hätte Ihnen ­sagen müssen, dass ich einen Gast erwarte. Wir wollen uns über die Möglichkeit unterhalten, Bootsausflüge als Urlaubs­attraktion in unser Gästeprogramm aufzunehmen.“

„Bootsausflüge?“, fragte Manolis ungläubig.

Ohne den Fremden anzusehen, der schweigend neben ihr stand, redete sie weiter. Sie wollte Manolis unbedingt einen Wortwechsel mit dem unerwünschten Einheimischen ersparen. Die Hoteldirektion war unglaublich streng. Wenn es jetzt zu einem Streit käme, würde der Barkeeper womöglich seine Stellung verlieren, obwohl ihn keine Schuld an dem Zwischenfall traf.

„Ich hätte wohl meine Dienstkleidung anziehen sollen“, fuhr Ilona hastig fort und betrachtete ihr hübsches Crêpe-de-Chine-Kleid, das sie aus ihrer beschränkten Privatgarderobe gewählt hatte. „Ich war so in Gedanken versunken, dass ich Ihre Ankunft gar nicht bemerkt hatte.“

Mit wachsendem Unbehagen erkannte sie, dass Manolis sie eher tadelnd als dankbar betrachtete, und wandte sich direkt an den großen Griechen neben ihr. „Ich bin Ilona Frankard von Happy Hellenic Holidays“, erklärte sie und lächelte strahlend. „Sie waren doch auf der Suche nach mir, nicht wahr?“

Der Fremde schaute sie mit seinen dunkelblauen Augen unter den dichten langen Wimpern so spöttisch an, dass ihr das Blut in die Wangen schoss. Insgeheim verwünschte sie ihre peinliche Neigung, bei der geringsten Herausforderung zu erröten.

Dieser seltsame Fremde war doch hoffentlich intelligent genug, um zu begreifen, dass sie ihm nur einen ehrenhaften Rückzug verschaffen wollte. Seine Miene verriet keine Regung. Erst als er die Fäuste öffnete, die Schultern unter seinem engen hellblauen Hemd senkte und sein vorgeschobenes Kinn ein wenig entspannte, atmete sie erleichtert auf.

„Ilona Frankard“, wiederholte er ihren Namen und verzog lächelnd die Lippen, sodass seine schönen weißen Zähne sichtbar wurden. „Ja, natürlich. Es war mir zwar nicht bewusst, als ich hereinkam. Aber Sie sind genau das, wonach ich suchte.“

Seine Stimme klang höflich und kultiviert. Doch der Glanz in seinen dunkelblauen Augen machte Ilona stutzig. War die zweideutige Antwort Absicht gewesen?

Nun, zumindest habe ich die heikle Situation entschärft, tröstete sie sich. Jetzt brauchte sie nur noch dafür zu sorgen, dass der Unruhestifter seinen Drink bekam und wieder verschwinden konnte, nachdem er sich in seinem Stolz nicht mehr gekränkt fühlen musste.

So würdevoll wie möglich bestellte sie einen weiteren „El Greco special“ und blickte ihren unwillkommenen Gast fragend an.

„Ich habe bereits gesagt, dass ich einen Ouzo mit Eis und wenig Wasser möchte“, sagte er. Mit einer leichten Verbeugung nahm er ihre Einladung an und fasste entschlossen ihren Ellbogen. „Dort drüben, bitte.“ Er deutete auf einen freien Tisch für zwei Personen. Ilona sah gerade noch, dass Manolis höflich nickte, dann führte der Fremde sie von der Theke fort.

„War das wirklich nötig?“, fragte sie.

„Darauf zu bestehen, in einem öffentlichen Hotel bedient zu werden?“ Seine klaren Augen blitzten einen Moment verärgert. Gleich darauf sah er Ilona wieder träge an. „Ja, denn ich verabscheue die Diskriminierung von Ausländern in jeder Form.“

„Ich ebenfalls“, stimmte sie ihm sofort zu. „Aber in diesem Fall hielt Manolis sich nur an die Vorschriften.“ Unbehaglich rutschte sie auf ihrem Stuhl hin und her, zu deutlich spürte sie den durchdringenden Blick des Mannes. „Damit will ich nicht sagen, dass ich die Anordnung der Hotelleitung billige. Ich verstehe durchaus, weshalb Sie – und alle anderen Griechen dieser Gegend – über die Regelung verärgert sind. Sie wurde eingeführt, um zu verhindern, dass scharenweise junge Einheimische in die Bar kommen und nach…“ Sie zögerte, weil er sie belustigt anschaute.

„Und nach dem Ausschau halten, worauf die meisten jungen Griechen aus sind“, beendete er ihren Satz unverblümt. „Zufällig ist es dasselbe, was die meisten jungen Nordeuropäerinnen ihnen nur allzu gern geben würden, nicht wahr?“

Ilona zuckte die Schultern. Sie war nicht bereit, mit diesem verwirrenden Mann über die Moral der Touristinnen zu diskutieren. Insgeheim musste sie jedoch zugeben, dass einige jüngere weibliche Reisende wenig Zurückhaltung bei der Auswahl oder der Anzahl ihrer Urlaubsflirts übten.

„Das Hotel ist erst seit drei Monaten geöffnet, und die ­Direktion legt größten Wert darauf, anspruchsvolle Gäste zu gewinnen“, erklärte sie kühl. „Man fürchtet, dass die älteren wohlhabenden Kunden abgeschreckt werden und ihr abendliches Vergnügen woanders suchen, wenn die Bar ständig von Griechen belagert wird, die auf der Suche nach einem Abenteuer sind. Um nicht alle Einheimischen zu diskriminieren, hat man beschlossen, gar keine hereinzulassen.“

Verächtlich zog der Fremde die Brauen in die Höhe. „Das ist nicht nur rechtlich eine äußerst zweifelhafte Entscheidung, sondern auch völlig unverständlich. Wenn ich mich nicht täusche, befinden sich hier zahlreiche Damen, die junge, attraktive Griechen jederzeit mit offenen Armen empfangen würden – höflich ausgedrückt.“

Obwohl sie privat die Meinung des Fremden teilte, ließ Ilona sich nicht beirren. „Ich wollte damit sagen: Die Entscheidung stammt nicht von Manolis“, erklärte sie ungerührt. „Sie hatten keinen Grund, mit ihm zu streiten. Vor allem nicht, weil man auf den ersten Blick erkennt, dass er sich heute nicht wohl fühlt und vermutlich gar nicht in der Lage wäre, sich erfolgreich gegen einen Angriff von Ihnen zu verteidigen.“

„Einen Angriff von mir?“, fuhr der Fremde auf und beugte sich über den Tisch. Instinktiv wich Ilona zurück. „Wie kommen Sie darauf, dass ich den Barkeeper angreifen wollte?“

Finster blickte der Fremde sie an. Plötzlich ergriff er ihre Hand und hielt sie fest.

Ilona wunderte sich über die heftige Reaktion, die sie mit ihrem Tadel ausgelöst hatte, und schob trotzig das Kinn vor. Sie spürte seine raue Handfläche viel zu deutlich, um ihm selbstbewusst in die Augen sehen zu können.

„Ich habe es aus Ihrer Körpersprache geschlossen“, antwortete sie schlagfertig. „Sie hatten die Hände zu Fäusten geballt, und Ihre Muskeln waren gespannt. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Sie zugeschlagen hätten.“

Der Fremde antwortete nicht, sondern sah sie unverwandt an. Ilona bedauerte ihr spontanes Eingreifen immer mehr, das sie in diese peinliche Lage gebracht hatte. Offensichtlich war ihr nicht einmal Manolis dankbar. Dabei war sie sicher, dass der Barkeeper sie durchschaut hatte. Trotzdem billigte er anscheinend ihre List nicht.

Es wurde ihr immer unbehaglicher unter dem stahlharten Blick ihres unwillkommenen Gastes, und sie seufzte innerlich. Aber sie musste besonnen bleiben.

„Nun, wenn Sie es abstreiten, habe ich mich vielleicht getäuscht. Wenigstens hatte ich diesen Eindruck.“ Misstrauisch musterte sie seine gereizte Miene.

„Sie haben sich getäuscht.“ Seine Stimme klang nicht mehr ganz so scharf, und seinen Griff hatte er gelockert. „Sie scheinen doch keine so gute Expertin für Körpersprache zu sein, wie Sie glauben. Ich leugne gar nicht, dass ich wütend war. Aber ich hatte nicht die Absicht, Ihren Freund zu verprügeln.“

„Manolis ist nicht mein Freund“, protestierte Ilona heftig. Sie ärgerte sich über den herablassenden Ton des Fremden, und ihre Antwort klang hitziger als nötig. „Er ist ein verheirateter Mann mit vier Töchtern.“

„Wunderbar. Dann habe ich ja keinen Grund, seine Eifersucht zu fürchten.“ Zum ersten Mal lächelte der Mann flüchtig. „Nachdem wir den Abend gemeinsam verbringen müssen, gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Mein Name ist Alexandros Faradaxis.“

„Angenehm, Kyrie Faradaxis“, antwortete Ilona. Die ungeheure Anziehungskraft des Griechen machte sie nervös.

„Alexos, bitte“, unterbrach er sie gleichmütig. „Schließlich sind wir gerade dabei, geschäftliche Beziehungen aufzunehmen.“

„Oh nein, durchaus nicht!“ Das kam nicht in Frage. „Außerdem habe ich nicht die Absicht, den ganzen Abend mit ­Ihnen zu verbringen. Sie wissen genau, dass ich nur eingegriffen habe, damit Sie keinen Ärger bekommen. Bei mir macht man eine Ausnahme von der Regel. Weil ich Reiseleiterin bin und ein Zimmer im Hotel habe, darf ich mich mit griechischen Geschäftsleuten in dieser Bar treffen.“ Sie lächelte flüchtig. „Sobald Sie Ihr Glas geleert haben, ist mein Interesse an Ihnen beendet, und Sie können wieder dorthin verschwinden, woher Sie gekommen sind.“

„Heißt das, Sie bedauern Ihr ritterliches Eingreifen bereits, agapi mou?“ Er betrachtete sie nachdenklich, und Ilona erschauerte unter seinem Blick. „Wäre es Ihnen lieber gewesen, ich hätte weitergemacht, und das Barmesser Ihres Freundes steckte jetzt in meiner Brust?“

So unverblümt hätte Ilona es zwar nicht ausgedrückt. Doch Alexos hatte genau gemerkt, was in ihr vorging. Andererseits: Was fiel ihm ein, sie agapi mou – meine Liebe – zu nennen?

„Ich habe Ihnen schon gesagt…“, begann sie. Doch er unterbrach sie sofort.

„Dass Manolis nicht Ihr Freund ist, ich erinnere mich.“ ­Alexos nickte selbstgefällig. „Haben Sie einen Freund?“

„Im Moment nicht.“ Die Worte waren heraus, bevor Ilona klar wurde, wie ungehörig Alexos’ Frage war. Sie bemerkte seinen zufriedenen Blick und wandte sich ab. Es war ausgesprochen ärgerlich, dass sie nicht aufgepasst hatte. Natürlich lag das an Philips überraschendem Brief, dessen Inhalt sie noch längst nicht verarbeitet hatte.

Verlegen biss sie sich auf die Unterlippe und war froh, dass Manolis in diesem Augenblick mit den Drinks kam.

Alexos wartete, bis der Barkeeper sich wieder entfernt hatte. Daraufhin fragte Alexos wie beiläufig: „War er Grieche?“

„Nein, Engländer“, antwortete Ilona gepresst. „Hören Sie, ich habe keine Lust, über private Dinge mit Ihnen zu reden.“

„Dann unterhalten wir uns eben über etwas anderes.“ Alexos trank sein Glas in einem Zug aus und stellte es auf den Tisch zurück. „Was schlagen Sie als Thema vor – Bootsausflüge?“

„Wieso? Haben Sie ein Boot zu vermieten?“, fragte sie kühl und ärgerte sich über seine spöttische Miene.

„Das ließe sich leicht besorgen.“

„Schön. Falls Sie tatsächlich solche Kontakte haben, werde ich mir die Namen gern notieren.“ Sie wollte nach ihrer Handtasche greifen, doch er hielt ihren Arm fest.

„Ich werde später darüber nachdenken. Jetzt möchte ich erst einmal einen zweiten Drink. Leisten Sie mir dabei Gesellschaft?“

„Bestimmt nicht.“ Ilona schüttelte seine Hand ab und stand entschlossen auf. „Ich habe nicht die Absicht hier zu bleiben, während Sie die Nacht durchtrinken. Nachdem der erste Punkt an Sie gegangen ist, schlage ich vor, dass Sie sich eine andere Bar suchen, wo Sie willkommener sind.“

„Ich fühle mich hier durchaus wohl. Setzen Sie sich wieder hin, agapi mou. Sie wissen ebenso gut wie ich, dass Sie nicht einfach verschwinden und mich allein lassen können. Denn Sie wollen doch wohl nicht, dass Manolis mich hinauswirft nach all den Lügen, die Sie ihm aufgetischt haben, nicht wahr?“

Dieser hartnäckige Kerl! Ilona zögerte einen Moment, hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis zu flüchten und ­einer natürlichen Vorsicht. Sie durfte ihre guten Beziehungen zur Hoteldirektion nicht aufs Spiel zu setzen. Die Reisegesellschaft, für die sie arbeitete, war sehr glücklich über den Exklusivvertrag mit dem ausgezeichneten Hotel „El Greco“, das erst kürzlich in einer einsameren Gegend an der Nordwestküste Kretas gebaut worden war. Ein gutes Verhältnis zum Direktor war notwendig, wenn sie hier weiterhin wohnen und arbeiten wollte.

„Oh, diese Situation ist einfach unmöglich“, sagte sie endlich und schob sich verärgert eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Das ist nicht meine Schuld“, antwortete Alexos ruhig. „Ich suchte nur nach einer hübschen Umgebung, um dort ­etwas zu trinken, und es gefällt mir hier sehr gut.“

„Eine Taverne würde wesentlich besser zu Ihnen passen.“

„Durchaus nicht. Ich wollte etwas Eleganteres, und es scheint, dass ich es gefunden habe.“ Er deutete mit dem Kinn auf ihren leeren Stuhl. „Setzen Sie sich wieder, Ilona Frankard, und erzählen Sie mir von sich. Die Nacht ist noch jung, und ich brauche Gesellschaft.“ Lässig hob er die Hand, um den Kellner zu rufen, der Manolis seit kurzem bei der Arbeit half.

Ilona kochte innerlich vor Wut, gehorchte jedoch. Sie war immer noch unsicher, mit was für einem Mann sie es eigentlich zu tun hatte, und musste unbedingt verhindern, dass er Ärger machte. Dieser Alexos Faradaxis sah umwerfend gut aus. Seine Körpergröße, seine hochmütige Haltung und seine markanten Gesichtszüge ließen Frauenherzen höher schlagen.

Gewiss drehten sich die Frauen nach ihm um. Vermutlich war das einer der Gründe für sein überhebliches Verhalten. Schade, dass er so ein Macho ist, dachte Ilona. Mit solchen Männern hatte sie wenig Erfahrung. Sie gehörten nicht zu jenen Gästen, die normalerweise eine Pauschalreise buchten.

Alexos sprach leise und kultiviert, und sein Englisch war ausgezeichnet. Außerdem hatte er ein hervorragendes Sprachgefühl und hatte gleich gemerkt, dass sie Engländerin war. Dabei war an ihrem Griechisch nichts auszusetzen. Schließlich hatte sie es von ihrer Großmutter Sophia gelernt.

Hätte er andere Hände gehabt, hätte sie ihn für einen Unternehmer gehalten. Zwar waren seine Fingernägel sauber und sorgfältig manikürt, seine Handflächen jedoch rau und die Fingerkuppen schwielig. Das ließ eher auf körperliche Arbeit schließen. Dieser Alexos Faradaxis war ihr ein Rätsel, das nicht leicht zu lösen war.

„Über mich gibt es nicht viel zu erzählen“, antwortete Ilona und beschloss, Alexos für eine Weile bei guter Laune zu halten. Es würden noch genügend einsame Stunden auf sie zukommen, nachdem Philip sie verlassen hatte. „Wie ich bereits sagte: Ich bin Reiseleiterin und arbeite hier für eine englische Gesellschaft.“

„Wie lange sind Sie schon auf Kreta?“, wollte Alexos wissen. Entspannt lehnte er sich zurück und sah sie aufmerksam an.

„Erst drei Monate. Seit der Eröffnung des Hotels.“

„Und wie lange werden Sie bleiben?“ Fragend zog er die Brauen in die Höhe.

„Das weiß ich noch nicht genau.“ Nachdem in England niemand mehr auf ihre Rückkehr wartete, lag ihre Zukunft noch im Nebel. „Sicher bis Ende der Saison. Es sei denn, Happy Hellenic Holidays beschließt, mich durch eine ständige Vertreterin zu ersetzen. Ich hatte mich nur zu einer vorübergehenden Tätigkeit bereit erklärt, weil die Firma dringend eine griechisch sprechende Reiseleiterin benötigte. Bis dahin hatte ich als Angestellte im Londoner Hauptbüro gearbeitet.“

„Eine Engländerin, die fließend Griechisch spricht?“ Seine Stimme klang ein wenig belustigt. „Das ist gewiss eine Seltenheit.“

„Zumindest steht die Sprache nicht auf dem Lehrplan der Schulen“, gab Ilona zu. „Meine Großmutter mütterlicherseits war Griechin.“

„Aha.“ Forschend sah er Ilona über den Rand seines Glases hinweg an. „Das erklärt Ihre ungewöhnliche Mischung: Augen wie Rosinen, Haare wie frische Butter und eine Haut so cremig wie Schafsjogurt…“

„Sind Sie Landwirt oder Küchenchef?“, fragte Ilona spöttisch und wusste nicht recht, ob ihr der Vergleich gefiel. Das hatte ja beinahe nach den Zutaten für einen Käsekuchen geklungen.

Lächelnd schüttelte Alexos den Kopf. „Nichts von beidem. Ich arbeite im Moment, wo ich etwas zu tun finde. Gefällt es Ihnen auf Kreta?“, wechselte er das Thema.

„Ja, sehr.“ Ilona blickte auf ihre Hände und spürte plötzlich das Bedürfnis, Alexos zu erklären, weshalb sie ihre Stelle als Angestellte für die einer Reiseleiterin aufgegeben hatte. „Meine Großmutter Sophia wurde auf Kreta geboren. Ich hatte immer schon die Orte besuchen wollen, von denen sie mit solch einer Wehmut erzählte.“ Hilflos hob Ilona die Hände. „Sophia starb vor einem Jahr. Man könnte also sagen, ich bin auf einer Art Pilgerfahrt zu ihren Ehren.“

Ilona hatte sich diese Reise sehr gewünscht. Doch sie war nicht darauf gefasst gewesen, wie tief sie sie innerlich bewegen würde. Auch nicht, wie stark die großartige Landschaft den Schmerz über Sophias Tod zurückbringen würde, den sie gerade überwunden zu haben glaubte.

Alexos runzelte die Stirn. „Weshalb haben Sie Ihre Großmutter nicht besucht, solange sie noch lebte?“

„Oh nein, Sie haben mich falsch verstanden. Ich habe bei Sophia in England gewohnt. Nachdem sie meinen Großvater geheiratet hatte, einen Engländer, war sie von ihren Eltern enterbt worden und nie wieder in ihre Heimat zurückgekehrt.“

„Und Ihre Eltern?“, fragte Alexos.

Ilona zögerte einen Moment. Wie kam sie dazu, ihr Privatleben in einer Bar auszubreiten? Wahrscheinlich fiel es ihr so leicht, weil Alexos ein Fremder war, den sie nie wieder sehen würde. Außerdem fragte er sie in einer Weise, als wollte er tatsächlich gern mehr über sie erfahren. Es war nicht anzunehmen, dass sie in naher Zukunft noch einmal Gelegenheit bekam, sich alles von der Seele zu reden. Happy Hellenic Holidays legte Wert darauf, dass die Reiseleiter nur dienstliche Beziehungen zu ihren Gästen pflegten. Und ihre Kolleginnen… Nun, in ihrem Beruf arbeitete man meistens allein. Und Kate, die Chefreiseleiterin in Heraklion, hatte bisher keinen Versuch gemacht, sich mit ihr anzufreunden.

Was konnte es schaden, Alexos’ Fragen zu beantworten? Über irgendetwas mussten sie sich schließlich unterhalten, wenn sie den Anschein eines geschäftlichen Treffens aufrechterhalten wollten.

„Meine Mutter starb kurz nach meiner Geburt an den Folgen einer Grippe“, erklärte Ilona betrübt. „Danach ging mein Vater in die Vereinigten Staaten und ließ mich bei meiner Großmutter zurück. Als ich elf Jahre alt war, heiratete er wieder. Einige Monate später baten er und seine neue Frau mich, zu ihnen zu kommen. Doch Sophia war inzwischen wie eine Mutter für mich geworden und…“ Ilona hörte mitten im Satz auf, denn die Erinnerung an Sophias Schlaganfall war noch zu frisch, als dass sie ungerührt darüber hätte sprechen können.

Sie war Alexos dankbar, dass er nicht versuchte, sie mit belanglosen Worten zu trösten, sondern schweigend wartete. „Sophia hatte mir so viele Geschichten aus ihrer Kindheit erzählt, dass ich es gar nicht erwarten konnte, mir die Orte anzusehen“, sagte Ilona endlich.

„Und Sie sind nicht enttäuscht?“

„Nein, im Gegenteil. Leider lebt von ihrer Familie niemand mehr hier“, gestand Ilona. „Aber ich habe zumindest Gelegenheit, in meiner Freizeit die Insel zu erforschen und mit eigenen Augen jene Landschaft zu sehen, die meine Großmutter mir so lebhaft beschrieben hat.“

Jetzt lächelte Ilona gewinnend. Da ihr nichts anderes übrig blieb, als Alexos Faradaxis Gesellschaft zu leisten, sollte er ihr auch ein bisschen von sich erzählen. „Und was ist mit Ihnen?“, fragte sie. „Leben Sie hier?“

„Im Moment ja.“ Seine Antwort war ebenso kurz wie nichts sagend. Er wandte sich ab und beobachtete eine kleine Gruppe von Musikern, die ihre Geräte auf einem Podest in der Mitte der Bar aufgestellt hatten. „Aha, hier wird auch Unterhaltung geboten“, sagte er. Erwartungsvoll glänzten jetzt seine dunklen Augen. „Mir scheint, die Wahl meines Lokals war gleich in doppelter Hinsicht vorzüglich.“

Dieser hartnäckige Kerl! „Lebt Ihre Familie ebenfalls hier?“, fragte Ilona freundlich und beachtete seinen sinnlichen Blick nicht. „Ihre Frau und Ihre Kinder?“

„Nein, meine Familie lebt auf Kaphos. Die Insel gehört zu den Kykladen. Haben Sie schon von ihr gehört?“

„Nein.“ Ilona schüttelte den Kopf und ärgerte sich, dass Alexos, ohne mit der Wimper zu zucken, die Existenz einer Familie zugab. Gleich darauf fiel ihr ein, dass viele Griechen glaubten, niemandem wegen ihres Verhaltens Rechenschaft schuldig zu sein – schon gar nicht der eigenen Ehefrau. „Müsste ich?“, fügte sie hinzu.

„Nur wenn Sie im Geographieunterricht gründlich aufgepasst haben“, antwortete Alexos, und seine Augen funkelten vergnügt. „Es ist eine sehr kleine Insel. Ursprünglich war sie ein Piratennest. Inzwischen ist dort eine kleine Stadt entstanden mit einem winzigen malerischen Hafen und einigen herrlichen Sandstränden. Da nur wenige Straße und keine Landebahn vorhanden sind, wurde Kaphos noch nicht vom Massentourismus entdeckt. Meinem Vater und meiner Stiefmutter ist das sehr recht… Was Frau und Kinder betrifft…“

Er zögerte einen Moment, als wartete er auf ein ermunterndes Zeichen von Ilona. Als es nicht kam, fuhr er seufzend fort: „Ich gebe zu, dass ich in dieser Beziehung eine Niete bin, obwohl ich im Alter von neun Jahren mit der Tochter eines Freundes meines Vaters verlobt wurde.“ Unbekümmert zuckte Alexos die Schultern. „Da sie gerade erst geboren war und die Hochzeit nicht vor ihrem achtzehnten Geburtstag stattfinden sollte, nahm ich die Vereinbarung nicht allzu ernst.“

Seine dunkelblauen Augen blitzten belustigt. „Das war eine lange Wartezeit für einen jungen Mann, und ich tröstete mich anderswo. Als die Zeit gekommen war, stellte ich fest, dass meine Verlobte inzwischen eigene Pläne hatte, die mich nicht einschlossen.“

„Aha.“ Ilona betrachtete sein entspanntes Gesicht und versuchte, seine wahren Gefühle zu erraten. Hatte Alexos dasselbe empfunden wie sie, als sie erfuhr, dass Philip eine andere Frau kennen gelernt hatte, die er mehr liebte als sie? Wahrscheinlich nicht. Bei ihr waren die Umstände anders. Sie hatte Philip körperlich und seelisch sehr nahe gestanden.

Einen Moment schloss sie die Augen, denn der Schmerz über Philips Brief drohte sie zu überwältigen. War sie sich ­Philips zu sicher gewesen? Hatte es warnende Anzeichen gegeben, die sie hätte erkennen müssen, bevor sie gemeinsam mit ihm ein Haus kaufte? Offensichtlich hatte sie in einer Scheinwelt gelebt und angenommen, dass er ihr ebenso treu wäre wie sie ihm.

Jetzt musste sie den Preis für ihre Naivität zahlen. Philip wollte ihr den Anteil an dem Haus abkaufen, das sie liebevoll als ihr künftiges Heim bezeichnet hatte. Sie hatte ihn mit der kleinen Summe erworben, die die Großmutter ihr hinterlassen hatte. Leider reichte das Geld nicht für etwas Eigenes. Wenn sie nach England zurückkehrte, würde sie sich nach einer Mietwohnung umsehen müssen.

2. KAPITEL

„Vielleicht sollte man seine Vögel erst in einen Käfig sperren, bevor man sie zu lange sich selber überlässt“, unterbrach ­Alexos leise Ilonas Gedanken.

„Nein, das wäre völlig falsch!“, widersprach sie ihm sofort. „Liebe muss freiwillig gegeben werden. Man kann sie nicht erzwingen.“ Ilona senkte den Blick auf ihre Hände und dachte zum ersten Mal über ihre zerbrochene Verlobung nach. Hatte die Beziehung wirklich nur aus Freundschaft und gesellschaftlicher Übereinstimmung bestanden, wie Philip in seinem Brief behauptete?

„Ihre Ansicht in allen Ehren“, meinte Alexos und betrachtete sie aufmerksam. „Aber sie reicht nicht aus, um Ihren Trennungsschmerz zu lindern, nicht wahr?“

Ilona schluckte. Sie hatte angenommen, dass sie ihren Schmerz sicher vor Alexos verborgen hätte. Ein Irrtum, nach seinem wissenden Blick zu urteilen.

„Ich hatte bisher kaum Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen“, antwortete sie endlich und wünschte zu spät, sie hätte das Thema nicht angeschnitten. „Der Brief, in dem mein Verlobter mir mitteilte, dass er eine andere Frau kennen gelernt habe, kam erst heute Morgen.“

„Ich finde, es ist besser, vor der Hochzeit seinen Sinn zu ­ändern als nachher“, meinte Alexos und stand auf.

Erleichtert schob Ilona ihren Stuhl zurück. „Sie wollen ­gehen?“, fragte sie freundlich, froh darüber, dass das peinliche Gespräch zu Ende war.

„Durchaus nicht.“ Seine Augen funkelten vergnügt, während er ihre Hoffnung zunichtemachte. „Ich wollte vorschlagen, dass wir tanzen.“

Tanzen! Entsetzt blickte Ilona zu der leeren Fläche hinüber. „Oh nein, das ist keine gute Idee.“ Erst jetzt merkte sie, dass das Licht in der Bar gedämpft worden war, damit das aufreizende Spiel der Spotlights an der Decke besser zur Geltung kam. „Von allem anderen abgesehen, halte ich diese Scheinwerfer nicht aus. Bei dem Blitzen wird mir immer schlecht.“

Das war die reine Wahrheit. Seit ihrer frühsten Kindheit reagierte Ilona äußerst empfindlich auf flackerndes Licht. Es konnte bei ihr bis zur Bewusstlosigkeit führen. Erst recht würde ihr schwindlig werden, wenn sie sich jetzt eng an ­Alexos schmiegte, was bei der romantischen Musik durchaus angebracht wäre.

Ilona wusste keine vernünftige Erklärung dafür, weshalb Alexos sie derart verwirrte. Ihr Körper reagierte unwahrscheinlich stark auf ihn. Vermutlich lag es an dem „El Greco special“, der kräftiger gewesen sein musste, als sie vermutet hatte.

„Wir tanzen ganz langsam“, versprach Alexos. Erwartungsvoll blickte er sie an und streckte ihr die Hand hin.

Er sieht wirklich phantastisch aus, gab Ilona insgeheim zu. Der Abend war schon schlimm genug. Es fehlte noch, dass sie sich von ihm in die Arme ziehen ließ und seinen festen schlanken Körper an ihrem spürte. Sie würde nicht dem Zauber dieses Griechen erliegen, den sie aus Freundlichkeit aus einer peinlichen Lage befreit hatte.

Nein, das stimmt nicht, verbesserte Ilona sich. Sie hatte nicht Alexos aus der Patsche geholfen, sondern Manolis!

„Ich möchte lieber nicht tanzen“, erklärte sie entschlossen und überlegte, ob er wirklich Junggeselle war. Alexos wäre nicht der erste Mann, der seine Ehe verleugnete, um sich mit einer anderen Frau zu amüsieren.

„Wie Sie wünschen“, sagte er zu Ilonas Erleichterung gleichmütig. Trotzdem blieb sie skeptisch. Sie hatte vermutet, dass Alexos beharrlicher wäre.

„Dann muss ich wohl auf griechische Weise ohne eine Partnerin tanzen“, erklärte er ruhig.

Ilona merkte, dass es ihm ernst war. „Aber bitte nicht hier“, zischte sie erschrocken und sah ihn mit ihren großen braunen Augen besorgt an.

Weshalb nicht?“ Gelassen strich er mit den Fingern das hellblaue Hemd glatt, das seine muskulöse Brust umspannte. „Behaupten Sie ja nicht, dass Sie unsere Gewohnheiten nicht kennen!“

„Natürlich kenne ich Ihre Gewohnheiten“, fuhr Ilona ihn an. Etwas ruhiger erklärte sie: „Ich weiß, dass griechische Männer in Tavernen und Nachtclubs allein und auch gemeinsam tanzen. Aber nicht in einem Ferienhotel, in denen Einheimischen der Zutritt verboten ist, und erst recht nicht zu einem spanischen Liebeslied!“

Die Melodie von „Amor, Amor, Amor“ klang durch die Bar.

Spöttisch verzog Alexos die Lippen. „Wenn ein Grieche tanzen möchte, tanzt er!“ Er straffte die Schultern, entfernte sich einige Schritte vom Tisch, ohne Ilona aus den Augen zu lassen.

Alexos bluffte nicht, das war ihr klar. Er wäre durchaus im Stande, sich zur Schau zu stellen und die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich zu ziehen. Das würde ihrem Ruf bei der Hoteldirektion erheblich schaden. Sie hatte keine Wahl und musste sich seinen Wünschen fügen, wenn sie ihre Stellung nicht verlieren wollte.

„Also gut, einverstanden.“ Ilonas Stimme bebte vor Entrüstung. „Ein einziger Tanz. Anschließend gehen Sie!“

Ihr Kopf begann zu pochen, und das lag nur zum Teil an den Scheinwerfern. Dieser Alexos Faradaxis war einfach unmöglich.

„Ich wusste, dass Sie einwilligen würden“, sagte er leise, fasste sie am Arm und führte sie in die Mitte.

Während der ersten Schritte blieb Ilona stocksteif. Doch die Musik war so einschmeichelnd und Alexos’ schlanker Körper so warm und stark, dass sie sich bald entspannte.

Aus der Nähe betrachtet, war Alexos noch beeindruckender. So nahm Ilona den Geruch seiner frischen Kleidung, den Duft seines herben Rasierwassers wahr. Bei seinem dichten dunklen Haarwuchs musste er sich wahrscheinlich zwei Mal täglich rasieren, wenn er nicht wie ein Pirat aussehen wollte.

Unwillkürlich stellte Ilona sich Alexos in einem weiten Hemd, einer engen Kniehose, ein gezücktes Entermesser in der Hand, vor.

„Aha, Sie können also doch lächeln, Ilona mou“, flüsterte Alexos mit seiner tiefen Stimme an ihrem Ohr. „Ich fürchtete schon, Sie würden mich tatsächlich am liebsten von hinten sehen.“

„Das würde ich auch“, antwortete sie halbherzig und bemerkte die vertrauten Anzeichen eines bevorstehenden Schwindelanfalls. „Nur nicht im Moment.“ Mit einer Hand klammerte sie sich an seinen Arm und legte die andere auf die Stirn. Tausend bunte Lichter begannen vor ihrem inneren Auge zu tanzen. Ihr Kopf schmerzte entsetzlich, und sie hatte nur noch den Wunsch, so schnell wie möglich von der Tanzfläche wegzukommen.

„Tut mir leid, Alexos. Es geht schon los. Ich muss mich unbedingt hinsetzen, bevor ich umfalle.“

Sie schwankte ein wenig, und er legte den Arm fest um ihre Taille.

„Dann stimmt es also? Sie vertragen die zuckenden Scheinwerfer tatsächlich nicht?“

Ilona konnte nicht antworten, denn ihre empfindsame Netzhaut registrierte das irritierende Flackern selbst durch die geschlossenen Lider.

„Ich dachte, es wäre eine Ausrede gewesen.“

„Nein, ich…“

Weiter kam sie nicht. Mühelos hob Alexos sie auf die Arme und trug sie aus der Bar.

Ilona war viel zu elend, um sich Gedanken darüber zu machen, was die anderen Gäste davon halten mochten. Sie klammerte sich an seine Schultern und barg dankbar den Kopf an seiner Brust. Kurz darauf spürte sie frische Luft an ihrem Gesicht, und Alexos ließ sie behutsam auf einem Sofa nieder.

„Bekommen Sie häufig solche Anfälle?“

Ilona öffnete die Augen und merkte, dass Übelkeit und Schmerzen schon nachließen. Alexos stand vor ihr und betrachtete sie aufmerksam.

„Nein, nicht sehr oft“, antwortete sie wahrheitsgemäß. „Solange ich Discos und alte Stummfilme meide, geht es mir gut. Die Musiker sind neu. Ich habe zu spät gemerkt, was für eine Beleuchtung sie aufgebaut haben.“

Sie lächelte gequält. Dieser Abgang aus der Bar war zwar nicht geplant gewesen. Aber zumindest hatte Alexos auf diese Weise das gefährliche Feld geräumt. Jetzt musste sie ihn nur noch aus dem Hotel komplimentieren.

„Es geht mir schon viel besser“, versicherte sie. „Ein Glas Wasser und früh ins Bett, dann ist alles wieder in Ordnung.“

„Sehr vernünftig“, stimmte Alexos ihr zu. „Ich begleite Sie zu Ihrem Zimmer, falls Sie erneut ohnmächtig werden.“

„Das ist wirklich nicht nötig. Es liegt gleich auf diesem Gang.“ Ilona wies in die entsprechende Richtung und bereute es sofort.

„Dann ist es ja kein Problem“, meinte Alexos und reichte ihr die Hand.

Ilona zögerte einen Moment. Die Tür war nur wenige Meter entfernt, gleich hinter zwei Wirtschaftsräumen. Das Zimmer war zwar klein, reichte für ihre Zwecke aber völlig aus. Der Gedanke an eine erfrischende Dusche war äußerst verlockend.

Auf der Schwelle blieb sie stehen und wandte sich noch einmal an ihren Begleiter.

„Kyrie Faradaxis… Alexos… Es tut mir aufrichtig leid, dass das ‚El Greco‘ so strikt in der Auswahl seiner Gäste ist. Bitte begreifen Sie, dass der heutige Abend eine Ausnahme war.“ Sie bedauerte jetzt, dass sie so gesprächig gewesen war. Hoffentlich zog Alexos keine falschen Schlüsse daraus. Deshalb fuhr sie fort: „Falls Sie noch einmal hier auftauchen, habe ich keine Möglichkeit, Sie vor einem Hinauswurf zu bewahren.“

„Nein?“, fragte er träge, und ihr Herz setzte einen Schlag lang aus. „Ich finde, darüber sollten wir einmal in aller Ruhe reden.“

„Darüber gibt es nichts zu reden.“ Ilona öffnete ihre Handtasche und kramte nach dem Zimmerschlüssel. Erleichtert zog sie ihn heraus und öffnete die Tür. „Ich bin sicher, Sie finden eine Taverne, die Ihnen ebenso gut gefällt wie das ‚El Greco‘ und wo Sie willkommener sind.“

„Warten Sie!“ Entschlossen fasste Alexos sie am Arm. „Ich möchte Ihnen zumindest noch die Anschrift eines Landsmannes geben, der Ihnen und Ihren Gästen bestimmt gern sein Boot für Ausflüge zur Verfügung stellen würde.“

Alexos lächelte zuversichtlich. „Er wohnt in der Nähe des Marktplatzes. Wenn Sie mir ein Blatt Papier geben, zeichne ich Ihnen den Weg auf. Leider hat er kein Telefon. Ich versichere Ihnen, dass sein Fahrzeug geräumig und sehr gepflegt ist. Wenn Sie meinen Namen erwähnen, wird er Ihnen sehr günstige Bedingungen gewähren.“

„Nun…“ Ilona zögerte einen Moment. Die Ausrede mit den Bootsausflügen war ihr spontan eingefallen, weil die Gäste immer wieder nach solch einer Möglichkeit fragten. Es blieb den Reiseleitern überlassen, ob sie solche Fahrten mit ortsansässigen Unternehmern arrangierten. Sie, Ilona, hatte sich während der letzten Wochen vergeblich darum bemüht, zufrieden stellende Auskünfte zu geben. Die kleine Stadt war noch nicht auf Massentourismus eingestellt. Die meisten Boote wurden zur Arbeit gebraucht und waren für Vergnügungsfahrten nicht geeignet oder nicht zu bekommen.

Ein persönlicher Kontakt am Ort würde ihr nicht nur helfen, das Vertrauen der Einheimischen zu gewinnen, sondern auch zu ihren Gunsten sprechen, falls sie über eine Vertragsverlängerung verhandeln wollte.

Alexos nutzte ihr Schweigen. Er betrat das Zimmer und stieß die Tür mit der Schulter zu. „Haben Sie einen Stift?“

Ilona holte ein Notizbuch und einen Kugelschreiber aus der Tasche.

Er legte das Heft auf den kleinen Frisiertisch und zeichnete einige Striche. „Es ist ganz leicht zu finden. Dies ist der Marktplatz, und diese Straße führt an der Bank entlang. In diese Gasse geht es hinein. Das Haus liegt zwischen dem Schuhmacher und dem Kafenion. Es hat keine Nummer. Zumindest hatte es das letzte Mal keine, als ich dort war. Fragen Sie nach Stavros Kiriakos. Sagen Sie ihm, was Sie brauchen und dass Alexos Sie geschickt hat. Sie werden sich bestimmt einigen.“ Selbstgefällig reichte er ihr das Notizbuch.

„Danke, das ist sehr nett.“ Ilona und warf einen kurzen Blick auf die Skizze.

Alexos machte eine abwehrende Geste. „Alles, was ich tun könnte, verblasst neben dem Wohlwollen, mit dem Sie einen einsamen Gast aus seiner trostlosen Situation befreit haben.“

Einen Moment hatte Ilona alle Vorsicht vergessen. Doch jetzt blickte sie Alexos wachsam an und schüttelte missbilligend den Kopf.

„Sie wissen genau, dass das nicht stimmt“, erwiderte sie ruhig. „Ich hatte einen Grund, heute Abend einzugreifen, und der betraf nicht Sie. Und jetzt wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie…“

„Machen Sie das immer so? Bieten Sie sich zuerst den Männern an und ändern anschließend Ihre Meinung?“, unterbrach er sie leise.

Alexos’ Worte trafen Ilona wie ein Schlag, und sie bekam vor Schreck keinen Ton heraus. Ihre Wangen brannten unter seinem spöttischen Blick, und sie suchte verzweifelt nach Worten. Entsetzt wurde ihr klar, dass ihr Verhalten auf dieser Insel, die noch weitgehend von den Männern bestimmt wurde, durchaus missverstanden werden konnte.

Alexos Faradaxis war zwar modern gekleidet, kultiviert und welterfahren. Doch sie hatte sich geirrt, wenn sie glaubte, dass er ihre Beweggründe für bare Münze nahm. War es schon falsch gewesen, ihn anzusprechen, so hatte sie diesen Fehler hundertfach verstärkt, indem sie Alexos in ihr Zimmer ließ.

Es kostete sie größte Anstrengung, seinem kühlen Blick zu begegnen. Ihre Stimme zitterte ein wenig, während sie ihn anfuhr: „Wie können Sie es wagen, zu behaupten, ich hätte mich Ihnen angeboten?“

„Etwa nicht?“, fragte er leise, und sie erschauerte. Alexos könnte sie mühelos überwältigen, wenn er wollte. „Leugnen Sie etwa, dass Sie mich in der Bar angesprochen und mir einen Drink bestellt haben? Mir, einem völlig Fremden? Das war eindeutig eine Einladung!“

„Das leugne ich durchaus nicht.“ Vor Zorn stiegen Ilona Tränen in die Augen, doch sie unterdrückte sie stolz. „Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass ich es einzig und allein für Manolis getan habe?“

Alexos lachte laut auf. Aber in dem Blick, mit dem er sie von Kopf bis Fuß musterte, lag nichts Belustigtes. „Meinetwegen wiederholen Sie es hundert Mal. Sie werden mich nicht überzeugen.“

„Oh je.“ Verzweifelt suchte Ilona nach einem Ausweg aus ihrer misslichen Lage. Schreien nützte nichts, dafür war es in der Bar viel zu laut, und ihr Zimmer lag zu abseits. Außerdem brauchte Alexos ihr nur die Hand auf den Mund zu legen, schon bekam sie keinen Ton mehr heraus.

„Entweder haben Sie Ihre Meinung darüber geändert, wie Sie den restlichen Abend verbringen möchten, und – wie sagt man so schön – kalte Füße bekommen. Oder Sie versuchen, sich selber genauso etwas vorzumachen wie mir. Sagen Sie, Ilona mou, hätten Sie Manolis diese Lüge auch aufgetischt, wenn ich ein pickeliger Jugendlicher gewesen wäre?“

Ilona zuckte zusammen. Doch sie beschloss, aufrichtig zu bleiben. „Nein, denn dann wäre Manolis allein mit Ihnen fertig geworden. Bei Ihnen dagegen…“ Sie schwieg einen Moment, und Alexos sah sie erwartungsvoll an.

Dieser verdammte Kerl! Fühlte sie sich tatsächlich zu ihm hingezogen, wie er indirekt behauptete? Jetzt war nicht der richtige Augenblick, ihre verborgenen Gefühle zu analysieren. Die Arme verschränkt, stand Alexos da und wartete mit spöttischer Miene auf eine Antwort.

„Ja?“, forschte er leise nach. „Was ist mit mir, Ilona?“

Trotzig hob sie den Kopf und hoffte, dass er die Gänsehaut auf ihren nackten Armen nicht bemerkte. „Mir war klar, dass Manolis als Verlierer aus einem Streit mit Ihnen hervorgehen würde. Vor allem, weil es ihm heute nicht gut ging. Sie traten wie ein Gentleman auf und sprachen auch so. Ich dachte, nachdem Ihr Stolz befriedigt war, würden Sie sich auch wie ein Gentleman verhalten – und gehen.“

„Statt dessen stellten Sie zu Ihrem Entsetzen fest, dass ich ein Mangahs bin, ne?“, fragte Alexos und nahm ihr Kinn zwischen die Finger. Er hatte ein Wort benutzt, mit dem man ursprünglich eine bestimmte Art von Athener Grobianen bezeichnete. Heute jedoch wurde der Begriff für einen hartnäckigen großspurig auftretenden Mann verwendet.

Ilona hätte nicht gewagt, ihn so zu bezeichnen, vor allem nicht unter diesen Umständen. Doch insgeheim stimmte sie ihm zu.

Alexos lachte scheinbar gut gelaunt. „Meinen Stolz kann ich durchaus selber verteidigen, falls nötig, agapi mou. Ich brauche keine Frau, die für mich kämpft.“ Er ließ ihr Kinn wieder los und strich ihr die Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Tatsache ist, dass Sie mir eine Einladung gaben, wie es die Frauen seit Urzeiten Männern gegenüber tun. Und ich habe die Einladung angenommen.“

„Nein!“ Erschrocken wich Ilona zurück. Aber das Zimmer war so klein, dass sie bald gegen die Kante ihres Betts stieß. „Sie irren sich gewaltig.“

Seine Augen funkelten. „Es ist lange her, dass ich die Nacht mit einer so hübschen Frau wie Sie verbracht habe“, gestand er rau. „Und jetzt schicken Sie mich einfach fort, nachdem Sie mir zunächst Hoffnungen gemacht haben?“, grollte er. „Vielleicht können wir uns doch irgendwie einigen?“

Falls er ihren entsetzten Blick bemerkte, beachtete er ihn nicht. „Sollte Ihnen der geschäftliche Kontakt mit Stavros nicht reichen, nenne Sie bitte Ihren Preis. Ich bin stets bereit, gut für das Beste auf dem Markt zu zahlen.“

In diesem Moment rastete Ilonas aus. Alexos war viel zu nahe und sein kräftiger Körper solch eine Verlockung, dass sie erschauerte. Zu dem Entsetzen über das eigene Verlangen kam die Wut darüber, dass Alexos sie wie eine Frau behandelte, die ihren Körper dem Meistbietenden verkaufte. Ohne zu überlegen, holte sie weit aus und schlug ihm mit der flachen Hand auf die linke Wange.

Zu spät bemerkte sie das höhnische Glitzern in seinen dunklen Augen und konnte nicht mehr ausweichen. Mit beiden Händen packte Alexos sie bei den Schultern und hielt sie fest.

„Sie bestrafen bereits, bevor etwas passiert ist, ja?“, schimpfte er. „Endaxi!“ Entschlossen presste er die Lippen auf ihren Mund, den sie unwillkürlich öffnete.

Ilona machte sich auf einen gewalttätigen Angriff eines verärgerten und enttäuschten Mannes gefasst. Umso mehr wunderte sie sich, dass er sie jetzt ganz zart, ja beinahe ehrfürchtig küsste.

Zu ihrem Entsetzen durchströmte sie ein brennendes Verlangen, verspürte sie eine Lust, so intensiv und süß, dass sie sich nicht dagegen wehren konnte. Während ihrer gesamten Verlobungszeit hatten Philips Zärtlichkeiten kein einziges Mal so leidenschaftliche Gefühle in ihr geweckt.

Sie hatte immer geahnt, dass ihrer Beziehung das erregende Element fehlte. Doch sie hatte sich gesagt, dass Philip ihre moralischen Grundsätze kannte und respektierte. Da sie mit ihren zweiundzwanzig Jahren noch Jungfrau war, war er stets nur so weit gegangen, dass er jederzeit aufhören konnte.

Weshalb empfand sie jetzt solch eine Lust bei den Liebkosungen dieses Fremden, der sich doch nur an ihr rächen wollte? Verwirrt versuchte sie, ihn von sich zu stoßen. Umsonst. Immer wieder reizte Alexos mit dem Mund ihre Lippen, um ihr Begehren zu entfachen. Er weckte ein Verlangen in ihr, das sie ebenso erschreckte wie erstaunte.

Ilona war so verwirrt von seiner Kraft und Zielstrebigkeit, dass sie am Ende nicht einmal wusste, ob sie seinen Kuss erwidert oder alles nur über sich hatte ergehen lassen. Als Alexos ihren Mund endlich freigab, hatte sie ganz weiche Knie und musste sich einige Sekunden auf ihn stützten.

Alexos atmete rasch. Nicht gerade sanft stieß er sie auf das Bett. Mit seinen dunkelblauen Augen blickte er vorwurfsvoll auf sie hinab.

„Ich warne dich, glyka mou…“ Trotz seines spöttischen Tons erkannte Ilona, dass er sich mühsam beherrschte. „Alle Männer schätzen die Mutterliebe. Aber es muss die Liebe der eigenen Mutter sein. Du bist viel zu jung und zu hübsch, um einen Mann wie Manolis zu bemuttern. Solche Gefühle will kein erwachsener Mann von einer Frau wie dir. Ja, er erkennt sie nicht einmal.“

Tiefst verletzt von seiner Zurückweisung, schluckte Ilona. Immer noch raste ihr Puls.

„Sie haben keinen Zweifel darüber gelassen, welche Art von Liebe Sie schätzen“, fuhr sie Alexos an.

Ihr Mund brannte immer noch von seinen Küssen, und ihre hartgewordenen Brustspitzen zeichneten sich unter dem dünnen Stoff des Kleides ab.

„Dann haben Sie soeben eine Lektion erhalten, die Sie beherzigen sollten“, stellte er fest.

Ilona ärgerte sich entsetzlich über seine herablassende Art. Vergeblich suchte sie nach einer passenden Erwiderung.

Doch Alexos drehte sich um und verließ sie.

3. KAPITEL

Nach einer unruhigen Nacht wachte Ilona am nächsten Morgen wie zerschlagen auf. Sofort kehrte die Erinnerung an den vergangenen Abend zurück. Sie kroch aus dem Bett, taumelte ins Bad und betrachtete die dunklen Ringe unter ihren geschwollenen Lidern.

Weshalb war sie so dumm gewesen, sich in eine Angelegenheit zu mischen, die sie überhaupt nichts anging? Sie hatte in bester Absicht gehandelt, um Manolis aus einer unangenehmen Lage zu helfen, und das hatte sie nun davon.

Wie hatte der gut aussehende arrogante Grieche, dessen Bleiben im ‚El Greco‘ sie erst ermöglicht hatte, ihr Verhalten derart missverstehen können! Hätte die neue Band auf die blitzenden Scheinwerfer verzichtet, wäre es nie so weit gekommen. Dann wäre ihr nicht schlecht geworden, und sie hätte sich nicht von Alexos Faradaxis in die Hotelhalle tragen und erst recht nicht bis zu ihrem Zimmer begleiten lassen.

Verärgert runzelte Ilona die Stirn. Wenn sie den Mann wenigstens vor der Tür verabschiedet hätte. Aber nein, sie hatte ihn hereingelassen. Dafür gab es nur eine Erklärung: Nach Philips Brief war sie immer noch restlos durcheinander gewesen. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass sie den beharrlichen Griechen niemals wieder sah.

Selbst ein so hartnäckiger Mann wie er würde es doch wohl nicht wagen, sich zum zweiten Mal Zutritt zum „El Greco“ zu erzwingen?

Ilona duschte rasch und schminkte sich danach dezent. In ihrem eleganten Kostüm ging sie wenig später in den Speisesaal.

Hat Philip mich jemals wirklich geliebt? fragte sie sich, während sie sich an einen Ecktisch setzte. Wenn ja, hätte er eigentlich dagegen sein müssen, dass ich diese Stelle auf Kreta annehme. Sicherlich, sie hatte sich sehr darauf gefreut, die Insel kennen zu lernen, auf der ihre Großmutter geboren war. Trotzdem wäre Ilona nicht gefahren, wenn Philip Einwände erhoben hätte.

Er hatte ihr versichert, er käme das halbe Jahr auch ohne sie aus. Inzwischen wusste sie, dass er nicht nur die sechs Monate auf sie verzichten konnte, sondern sie überhaupt nicht mehr brauchte!

Nachdem Ilona ihren Kaffee getrunken hatte, verließ sie den Speisesaal und ging zu ihrem kleinen Büro in der Hotelhalle. Sie hatte viele Verwaltungsarbeiten zu erledigen und stand außerdem den Gästen ihrer Gesellschaft für Auskünf­te zur Verfügung. Deshalb verging der Vormittag ziemlich schnell.

Um zwölf Uhr packte Ilona ihre Unterlagen zusammen und wollte sie gerade in die Aktentasche stecken, da läutete das Telefon auf ihrem Schreibtisch.

„Ilona?“, fragte die etwas zu schrille Stimme der Chefreiseleiterin in Heraklion.

„Ja, Kate?“ Gab es etwa Probleme?

„Diesmal sind Sie wirklich zu weit gegangen“, bestätigte Kate ihre Befürchtungen.

„Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte Ilona freundlich und versuchte, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben.

„Das kann man wohl sagen, falls Sie es für richtig halten, die griechischen Romeos in Ihrem Schlafzimmer zu empfangen. Was haben Sie sich dabei gedacht? Wollen Sie das Hotel in ein Bordell verwandeln?“

„Oh nein!“, rief Ilona entsetzt. Offensichtlich hatte jemand vom Personal den Vorfall gestern Abend beobachtet und falsch ausgelegt. „Erstens handelte es sich um einen einzigen Griechen, und zweitens habe ich ihn nicht mit auf mein Zimmer genommen. Mir wurde übel, deshalb begleitete er mich dorthin.“

„Ein einziger oder ein ganzes Dutzend, das spielt keine Rolle. Sie kennen die Anweisung der Hotelleitung. Der Direktor hat heute Morgen höchstpersönlich bei mir angerufen und mich aufgefordert, Sie sofort gegen eine andere Reiseleiterin auszutauschen. Sie müssen das ‚El Greco‘ noch heute verlassen. Sonst wird der Vertrag mit unserer Gesellschaft nicht verlängert.“

„Heißt das, ich erhalte nicht einmal Gelegenheit, alles zu erklären?“, fragte Ilona fassungslos.

„Was gibt es da noch zu erklären?“, wollte Kate spöttisch wissen. „Abgesehen davon, dass ein Kellner Augenzeuge war, haben Sie ja selber zugegeben, dass sie sich von einem Einheimischen zu Ihrem Zimmer begleiten ließen. Ich habe schon mit London telefoniert und werde selbst herüberkommen, um Sie vorübergehend zu ersetzen. Die Gesellschaft ist bereit, Ihnen das Gehalt bis Ende der Woche zu zahlen und Sie heute Abend nach England zurückfliegen zu lassen. Mehr können Sie nicht verlangen. Sie haben schwer gegen die Regeln verstoßen und dadurch unsere Geschäftsbeziehungen mit dem ‚El Greco‘ erheblich gefährdet. Für Happy Hellenic Holidays sind Sie erledigt – in jeder Beziehung. Ist das klar?“

„Völlig klar.“ Ilona gab sich größte Mühe, ruhig zu bleiben und sich gegenüber ihrer gefühllosen Exkollegin nicht anmerken zu lassen, wie es in ihr aussah. Die Ereignisse überschlugen sich derart, dass Ilona kaum noch klar denken konnte.

„Gut“, erklärte Kate kühl. „Nehmen Sie ein Taxi zum Flughafen und holen Sie Ihr Ticket am Reservierungsschalter ab. Wie Sie wissen, startet das Flugzeug um sechs Uhr.“

Nachdem Kate den Hörer in Heraklion geräuschvoll aufgelegt hatte, sank Ilona auf einen Stuhl. Sie konnte immer noch nicht fassen, was geschehen war.

Wahrscheinlich hätte sie sich stärker wehren müssen. Aber wozu? Sie war das Opfer einer ganzen Reihe von Missverständnissen geworden, die sie unmöglich hätte ausräumen können.

Einen Moment überlegte Ilona, ob sie selber in London anrufen und die Umstände erklären sollte. Doch das wäre reine Geldverschwendung. Happy Hellenic Holidays war nur eine kleine Gesellschaft und hatte erhebliche Schwierigkeiten, sich innerhalb der Großen auf dem Urlaubsmarkt zu behaupten. Der Vertrag mit dem „El Greco“ war außerordentlich wichtig für die Firma, weil er ihr die Exklusivvertretung für das Hotel sicherte.

Was mache ich bloß? überlegte Ilona. Wie betäubt, kehrte sie in ihr Zimmer zurück und begann zu packen. Wohin sollte sie gehen, wenn sie wieder in England war? Bestimmt nicht in das Haus, in dem sie als Philips Ehefrau hatte leben wollen! Trotz der Wärme begann sie zu zittern und stellte sich Philips Gesicht und das seiner neuen Freundin vor, wenn sie bei ihnen auftauchte.

Sollte sie in ein Hotel ziehen? Nein, das war zu teuer. Reiseleiterinnen wurden nicht sehr gut bezahlt. Und sie hatte noch keine Ausflüge mit ansässigen Firmen organisieren können, wodurch sie auf legale Weise etwas hinzuverdient hätte.

Bitter lachte Ilona auf. Gestern hatte sie den ersten Versuch in dieser Hinsicht unternommen. Wahrscheinlich hatte Alexos Faradaxis sich innerlich geschüttelt vor Lachen über ihre Leichtgläubigkeit.

Sie würde sich ein Zimmer suchen müssen, bis Philip genügend Geld beisammen hatte, um sie auszuzahlen. In der Zwischenzeit musste sie sehen, wie sie zurechtkam. Und das würde nicht einfach werden.

Niedergeschlagen beschloss Ilona, die restlichen Stunden an dem ziemlich leeren hoteleigenen Strand zu verbringen. Während sie durch den weichen Sand ging, überlegte sie, ob sie vielleicht auf Kreta bleiben könnte. Zwar war sie bereit, jede sich bietende seriöse Tätigkeit anzunehmen. Aber die Arbeitsmöglichkeiten für Ausländer waren begrenzt und die Stellen längst mit Nordeuropäern besetzt, die regelmäßig den Sommer über hierher kamen. Außerdem hätte sie in diesem Fall eine Unterkunft gebraucht, und die preiswerten Zimmer im Dorf wurden an Touristen vermietet.

Niedergeschlagen blieb Ilona stehen und betrachtete das tiefblaue Wasser des Mittelmeers unter dem wolkenlosen Himmel. Dies war das Land, das ihre Großmutter über alles geliebt hatte. Wie fehlten Ilona Sophias Liebe und Verständnis in diesem Moment. Trotz ihrer strengen Moral hätte die Großmutter verstanden, weshalb sie in solch eine missliche Lage geraten war, und eine Lösung gefunden.

„Oh yiayia“, flüsterte Ilona verzweifelt. „Was soll ich bloß tun?“

„Zunächst einmal den Mut haben, die Wahrheit zu sagen“, hörte sie eine ebenso unwillkommene wie vertraute Stimme.

„Sie!“, stieß Ilona wütend hervor und fuhr herum. Als hätte Alexos Faradaxis ihr Leben nicht schon genügend durcheinander gebracht! Er war der Letzte, den sie jetzt sehen wollte. In seinen weißen Jeans und dem marineblauen T-Shirt wirkte er lässig elegant. Ja, er war wirklich ein umwerfend attraktiver Mann. Ilonas Puls beschleunigte sich. Unwillkürlich erinnerte sie sich an den kurzen Moment in seinen Armen, als er sie mit den Lippen und den Händen liebkost hatte.

Alexos blickte sie mit seinen dunkelblauen Augen finster an.

„Ja, ich. Zwar bin ich nicht Ihre yiayia. Aber ich bin sicher, sie würde meinen Rat gutheißen, meine schöne pseftra.“

„Lügnerin? Sie wagen es, mich eine Lügnerin zu nennen?“ Entrüstet trat Ilona einen Schritt auf Alexos zu.

Er wich ihr geschickt aus. „Eine solche Verärgerung macht Sie nur hässlich, agapi mou“, stellte er fest und betrachtete sie anerkennend. „Gestern behaupteten Sie, Sie würden bis zum Ende der Saison auf Kreta bleiben. Doch als ich vor einigen Minuten im Hotel nach Ihnen fragte, sagte man mir, Sie würden die Insel mit der Abendmaschine verlassen. Was ist passiert, dass Sie es sich anders überlegt haben? Hat Ihr Exverlobter seine neue philinada verlassen und Sie gebeten, in sein Liebesnest zurückzukehren?“

„Liebesnest?“, wiederholte Ilona empört. „Falls Sie damit das Haus meinen, das wir gemeinsam gekauft hatten: Daraus hat Philip mich ebenfalls verbannt.“

„Wenn Sie gestern Abend die Wahrheit gesagt haben, weshalb haben Sie dann Ihre Pläne geändert?“, fragte Alexos scharf.

„Weil ich gestern noch einen Job hatte“, stieß Ilona hervor. Im selben Moment wurde ihr klar, dass sie besser geschwiegen hätte, um ihre Würde zu wahren.

„Und heute?“ Er runzelte die Stirn und beobachtete sie nachdenklich. „Soll das heißen, dass Ihnen fristlos gekündigt worden ist? Weshalb?“

Verärgert über seine arrogante Miene, schleuderte sie ihm wütend entgegen: „Ihretwegen und wegen Ihres schändlichen Benehmens.“

„Erklären Sie mir das näher“, forderte Alexos sie auf.

Einen Moment sah sie ihn trotzig an. Alexos konnte nichts an ihrer verfahrenen Lage ändern. Die hatte sie sich selber zuzuschreiben. Und sie war erwachsen genug, um mit den Folgen fertig zu werden.

„Ilona?“ Er legte eine Hand auf ihre Schulter und hielt ihr Kinn fest, als sie sich abwenden wollte. „Ich erwarte eine Erklärung.“

Dann soll er sie bekommen, der verdammte Kerl, dachte Ilona. Sie straffte die Schultern, entschlossen, sich nicht von seiner imponierenden Persönlichkeit einschüchtern zu lassen.

„Ein Kellner hat gesehen, dass Sie gestern Abend mein Zimmer betreten haben. Da das ‚El Greco‘ nichts stärker fürchtet, als in einen schlechten Ruf zu geraten, hat man meine sofortige Ablösung verlangt. Ich bin also hinausgeworfen worden. Zufrieden?“

„Nein, durchaus nicht. Das werde ich auf keinen Fall zulassen!“

Ilona erschrak über seinen drohenden Ton. Sie hatte angenommen, dass ihn ihre Kündigung ziemlich kalt lassen würde, weil er sie als Strafe für ihre Einmischung betrachten würde. Sie wandte sich ab und schaute zu den überhängenden Tamarisken hinüber, die sich träge in der leichten Brise bewegten.

„Ihre Anteilnahme rührt mich sehr“, antwortete sie schließlich ironisch. Außerdem hatte ich keine Ahnung von ihren übermenschlichen Kräften.“

„Was wissen Sie denn schon von mir?“, erwiderte er, und ihr Körper reagierte erneut unter seinem brennenden Blick. „Da ich der Grund für Ihre Kündigung bin, werde ich dafür sorgen, dass Sie eine andere Stelle hier in Griechenland bekommen. Eine Tätigkeit, die Ihren Fähigkeiten entspricht und Ihnen ein ausreichendes Einkommen sichert. So eine Lösung wäre Ihnen doch sicher am liebsten, ne?“

„Ja, natürlich.“ Hoffnung keimte in ihr auf. Alles wäre ihr lieber als die Einsamkeit, die sie in England erwartete. „Aber so kurz vor meiner Abreise kann ich unmöglich noch etwas finden.“

Es entstand eine kleine Pause, ehe Alexos leise sagte: „Oh doch. Mir ist eine wirklich gute Lösung eingefallen. In einigen Stunden kehre ich nach Kaphos zurück. Sie kommen mit und werden die Empfangsdame des neuen Hotels, das kürzlich dort eröffnet wurde.“

„Das kann ich unmöglich!“ Erstaunt riss Ilona die Augen auf, und ihre Hoffnung wuchs.

„Weshalb nicht? Was Sie nicht wissen, können Sie lernen. Ich habe doch schon erzählt, dass nur verhältnismäßig wenige Fremde nach Kaphos kommen. Kaum ein Einheimischer spricht fließend Englisch. Da die meisten Besucher einige englische Sprachkenntnisse haben, wäre Ihre Anwesenheit als Dolmetscherin höchst willkommen.“

„Das habe ich nicht gemeint…“ Ilona war sicher, dass sie alles Nötige rasch erlernen würde. Aber sie bezweifelte, dass Alexos ihr diese Stellung verschaffen konnte. Trotzdem wurde sie immer aufgeregter. Solch eine Position würde ihr über die Zeit hinweghelfen, die sie brauchte, um sich über ihre Zukunft klar zu werden. Außerdem könnte sie noch einige Wochen in ihrem geliebten Griechenland bleiben und müsste nicht frustriert nach London zurückkehren.

„Vertrauen Sie mir nicht?“, fragte Alexos.

Sie wollte es nicht leugnen und hoffte insgeheim, dass er sein Angebot mit einigen Tatsachen belegen würde. „Habe ich nicht allen Grund dazu? Wieso sollten Sie mir einen Job besorgen oder wissen, dass ich dafür geeignet bin?“

Lachend warf er den Kopf zurück, und seine Augen funkelten vergnügt. „Weil die Managerin des Hotels eine gute Freundin von mir ist, Ilona mou. Als ich sie gestern anrief, um ihr meine Rückkehr anzukündigen, erzählte sie mir, dass sie dringend eine Englisch sprechende Empfangsdame benötige. Kaphos scheint zu abseits zu liegen, um jemand mit entsprechenden Kenntnissen zu reizen. Für Sie in Ihrer misslichen Lage könnte die Insel dagegen ein sicherer Hafen sein, ne?“

Was sollte Ilona darauf antworten? Das Angebot war viel zu schön, um wahr zu sein. Wenn es sich doch als rettender Strohhalm erweisen sollte…?

Offensichtlich waren ihr die Zweifel deutlich anzumerken, denn Alexos lachte erneut. „Gebranntes Kind scheut das Feuer, ne? Fürchten Sie, ich wollte Sie entführen? Ich würde Sie auf meine einsame Insel bringen und Sie an einem menschenleeren Strand leidenschaftlich lieben, wo Ihr lustvolles Stöhnen im Murmeln der Wellen und im Seufzen der lauen Brise unterginge?“

Ilona erschrak, und ihre Wangen röteten sich. Sie hatte tatsächlich an so etwas gedacht. Allerdings waren ihre Vorstellungen nicht ganz so romantisch gewesen. „Natürlich nicht“, protestierte sie stolz. „Aber…“

„Mein Wort allein genügt Ihnen nicht?“ Alexos schien ihr das Misstrauen nicht übel zu nehmen. „Das ist kein Problem. Kommen Sie mit!“

Ilona zögerte kurz. Was konnte es schaden, herauszufinden, ob sein Angebot ehrlich gemeint war?

Entschlossen folgte sie Alexos in eine winzige Taverne und ließ sich zu einem Glas frischgepressten Orangensaft einladen. Den war er ihr mindestens schuldig.

Nach einer Weile entschuldigte Alexos sich, und Sie sah ihn durch eine Tür im hinteren Teil der Taverne verschwinden. Jetzt meldeten sich wieder Zweifel. Glaubte sie tatsächlich, dass Alexos sein Benehmen bedauerte und seinen Fehler wieder gutmachen wollte? Wenn ja, war er überhaupt dazu in der Lage? Selbst wenn sie die Möglichkeit bekäme, auf Kaphos ihren Lebensunterhalt zu verdienen – wollte sie wirklich auf derselben Insel wie dieser eingebildete Grieche leben, der sich dort gewiss als ihr Wohltäter betrachten würde?

Bevor Ilona zu einem Entschluss gekommen war, tauchte Alexos wieder auf und bat sie, ihr zu folgen. „Ich habe die Managerin des Hotels am Apparat“, erklärte er und drückte Ilona kurz darauf den Hörer in die Hand. „Sprechen Sie mit ihr, und überzeugen Sie sich selber davon, dass sie überglücklich ist, Ihnen die Stelle anbieten zu können.“

Zögernd hob Ilona den Hörer ans Ohr und spürte, wie ihr Herz heftig pochte. In den nächsten Sekunden konnte sich so viel entscheiden.

Kinderlachen erklang im Hintergrund, während die Frau ihr bestätigte, dass sie dringend eine zuverlässige Empfangsdame benötige. Die Arbeit sei leicht, Nachtschichten seien nicht vorgesehen. Ilona würde freie Unterkunft und Verpflegung sowie ein ordentliches Gehalt bekommen.

Ilona konnte ihr Glück kaum fassen. Noch vor wenigen Stunden tief verzweifelt, durfte sie jetzt voller Zuversicht sein.

„Dann kommen Sie gemeinsam mit Alexos?“, fragte die Frau leise am anderen Ende der Leitung. „Er behauptet, Sie seien die ideale Kraft für diese Stellung, und ich freue mich sehr auf Ihre Hilfe.“

Ilona befeuchtete sich die trockenen Lippen und holte tief Luft. Alexos stand ungeduldig neben ihr und lauschte auf jedes Wort. Angesichts der Katastrophe, die sie sonst erwartete, schob sie ihre Bedenken beiseite. Sophia hatte immer gesagt, wenn Ilona etwas unbedingt wolle, müsse sie dafür kämpfen. Und sie wollte auf jeden Fall bis zum Ende der Sommersaison in Griechenland bleiben.

„Ja“, erklärte sie entschlossen und hörte, dass die Frau erleichtert aufatmete und Alexos zufrieden brummte. „Ja, ich nehme die Stellung an.“ Kurz darauf legte Ilona den Hörer auf, drehte sich zu Alexos um und fragte: „Wann geht die Fähre von Heraklion los?“

„Die Fähre?“ Erstaunt zog Alexos die Brauen in die Höhe. „Welche Fähre?“

„Die Fähre von Heraklion nach Kaphos natürlich.“

„Es gibt keine Fähre.“ Plötzlich lächelte er seltsam. „Kaphos ist viel zu klein, um direkt von Kreta angelaufen zu werden. Da ich dringend dorthin muss, habe ich ein Privatfahrzeug bestellt, das mich in gut zwei Stunden vom Anleger abholen wird.“ Er deutete zum Kai am Ende des weißen Sandstrands. „Keine Sorge, es ist noch Platz für einen weiteren Passagier.“

„Aber ich kann doch nicht…“ Ilona ärgerte sich, dass sie ihre Zusage gegeben hatte, ohne sich vorher nach weiteren Einzelheiten zu erkundigen. Sie kannte sich im östlichen Mittelmeer ziemlich gut aus und wusste, dass sie die Nacht auf See verbringen würden. Auf einer großen Fähre hätte es ihr nichts ausgemacht. Aber auf einer Privatyacht? Nur Alexos und sie und eine kleine Mannschaft? Die Ereignisse der letzten beiden Tage mussten ihren Verstand getrübt haben.

„Natürlich können Sie, Ilona“, sagte Alexos ruhig. Offensichtlich hatte er ihre Gedanken erraten. „Mein alter Freund Aristide und sein kleiner Sohn werden sich als zuverlässige Aufpasser erweisen. Ich versichere Ihnen, Ihre Tugend wird auf der ‚Athene‘ keinen Schaden erleiden.“

Ilona sah Alexos misstrauisch an und versuchte vergeblich, seine Miene nach Hintergedanken zu ergründen.

„Also gut“, stimmte sie endlich zu. Ihr blieb gar nichts anderes übrig, als diesem Mann zu vertrauen, ob es ihr gefiel oder nicht. Gestern hatte Alexos ihre Beweggründe gründlich missverstanden. Inzwischen hatte sie ihm ihren Standpunkt klar gemacht, und er wollte sie für die missliche Lage, in die er sie gebracht hatte, entschädigen. Diese Wiedergutmachung hatte sie gewiss verdient.

Außerdem hatte sie nicht nur Alexos’ Wort. Die Managerin des Hotels auf Kaphos war ausgesprochen warmherzig und nett gewesen, und im Hintergrund hatten Kinder gelacht. Das war doppelt vertrauenerweckend. „Ich werde meinem ehemaligen Arbeitgeber mitteilen, dass ich den Rückflug nach England nicht in Anspruch nehme, und ihn bitten, mir das noch ausstehende Gehalt nach Kaphos zu überweisen“, erklärte Ilona. Sie war entschlossen, alle erdenklichen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, bevor sie sich Alexos und seinen Leuten anvertraute.

Plötzlich fiel ihr etwas ein. „Wie heißt das Hotel eigentlich, in dem ich arbeiten werde?“

Bildete sie es sich ein, oder glitt ein Schatten über sein Gesicht? Einen Moment fürchtete sie, Alexos würde ihre verständliche Frage nicht beantworten. Doch jetzt erwiderte er lächelnd: „Belvedere. Einfach Belvedere, Kaphos. Das reicht als Adresse.“

4. KAPITEL

Während die Athene in die offene See hinausglitt, stand Ilona an der Reling des Sonnendecks und beobachtete, wie die hügelige Landschaft von Kreta allmählich in der Ferne verschwand. Ein einziger Blick auf Aristide, ein Mann in den Sechzigern, und seinen Sohn hatte genügt, um ihre Bedenken zu zerstreuen. Aristides Gesicht war offen und ehrlich und von harter Arbeit gezeichnet, sein Sohn Timon war jung, eifrig und noch ein halbes Kind.

Beide hatten sie respektvoll begrüßt und als Alexos’ Gast an Bord willkommen geheißen. Ilona war sofort bereit gewesen, sich den beiden für die nächsten Stunden anzuvertrauen.

„Ein eindrucksvolles Bild, nicht wahr?“, fragte Alexos leise neben ihr.

Sie drehte den Kopf und betrachtete sein Gesicht, das plötzlich wie gemeißelt wirkte. Ohne das spöttische Lächeln, an das sie gewöhnt war, sah Alexos ernst und einfühlsam aus.

Er schien von irgendetwas schmerzlich berührt zu sein. Oder spielte ihr ihre blühende Phantasie einen Streich?

Verlegen trat sie von einem Fuß auf den anderen und antwortete: „Ja, es ist sehr hübsch.“ Um die gespannte Atmosphäre ein wenig zu lockern, erkundigte sie sich zögernd: „Ist Kaphos Ihre Heimat?“

„Ich bin auf der Insel geboren und habe die ersten zwölf Jahre meines Lebens dort verbracht“, erwiderte er. „Mein Vater und Calliope leben auf Kaphos.“

„Calliope? Das Mädchen, mit dem Sie verlobt wurden?“

Alexos schüttelte den Kopf. „Meine Stiefmutter. Meine leibliche Mutter starb an einer Bauchfellentzündung, als ich drei war.“ Er machte eine hilflose Handbewegung. „Auf Kaphos gibt es kein Krankenhaus. Als mein Vater meine Mutter endlich auf die nächste Insel gebracht hatte, wo man akute Fälle behandeln konnte, war es zu spät.“

Mit drei Jahren hatte Alexos seine Mutter verloren. Ilona hatte am eigenen Leib erfahren, wie es war, ohne Mutterliebe aufzuwachsen. Sophia war die beste Großmutter der Welt gewesen, aber sie hatte ihr die Mutter nicht restlos ersetzen können.

Mitfühlend legte Ilona die Hand auf Alexos’ nackten Arm. Seine Haut war verwirrend warm und fest, und sie zog die Finger rasch zurück.

„Wie schrecklich“, flüsterte sie und schämte sich, wie unbeholfen ihre Worte klangen.

„Hm.“ Aufmerksam sah er sie an. „Sie war Engländerin: dunkelhaarig, schön und äußerst lebhaft, sagte man mir. Sie studierte Theaterwissenschaften, als mein Vater sie kennen lernte und sich in sie verliebte.“ Alexos lachte seltsam. „Die beiden heirateten innerhalb von zehn Tagen.“

„Ihre Mutter war Engländerin?“, fragte Ilona verblüfft. „Soll das heißen, dass Sie zur Hälfte Engländer sind?“ Auf diese Idee wäre sie nie gekommen. Allerdings gab es gewisse Hinweise bei Alexos auf nordeuropäische Vorfahren: seine Körpergröße, seine ungewöhnlich blauen Augen…

„Ich bin zwar kein Mathematiker, aber der Anteil dürfte stimmen“, zog Alexos sie auf, weil sie ungläubig dreinblickte. „Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden? Ich habe einiges mit Aristide zu besprechen.“

„Hallo, thespinis, träumen Sie?“ Timon tauchte kurz darauf neben Ilona auf und betrachtete sie neugierig.

„Ich habe nur nachgedacht“, antwortete sie lächelnd.

„Ach ja, die Beerdigung.“ Er nickte wissend. „Deshalb fahren Sie nach Kaphos, ne?“

„Beerdigung? Was für eine Beerdigung, Timon?“, fragte Ilona besorgt.

„Nun, die von Vlamios Jacovus.“ Der Junge sah sie erstaunt an. „Kyrie Faradaxis’ Patenonkel. Darum kehrt er doch nach so langer Zeit endlich auf die Insel zurück. Ich dachte, Sie wüssten es.“

„Nein, das wusste ich nicht.“ Einen flüchtigen Moment überlegte Ilona, ob Alexos gestern wegen seines Kummers so aggressiv gewesen war. Der Patenonkel spielte in Griechenland eine erheblich wichtigere Rolle als in Nordeuropa.

Timon blickte mit seinen großen ausdrucksvollen Augen so verständnislos drein, als könnte er sich keinen anderen Grund für ihre Anwesenheit auf der Athene vorstellen. Er hatte ein Recht auf eine Erklärung.

„Ich werde in einem Hotel auf der Insel arbeiten“, erzählte Ilona lächelnd. „Nachdem Kyrie Faradaxis sowieso nach Kaphos musste, bot er mir an, auf diesem Schiff mitzufahren. Deshalb bin ich hier.“

„In einem Hotel?“ Timon sah Ilona an, als wäre sie nicht ganz richtig im Kopf. „Auf Kaphos gibt es keine Hotels.“

„Natürlich gibt es eines“, widersprach sie und bekam ein seltsames Gefühl in der Magengrube. „Es heißt Belvedere.“

„Belvedere?“ Timon lachte vergnügt. „Nein, thespinis, Sie irren sich. Belvedere ist kein Hotel. So heißt die Villa des ­Kyrios – Alexos’ Vater!“

Ilona erschrak und wurde kreideweiß. Alexos hatte sie he­reingelegt. Aber weshalb? „Ein Privathaus?“, flüsterte sie. „Dafür muss es eine Erklärung geben.“

„Die gibt es.“ Alexos war mit seinen Bootsschuhen lautlos zu ihnen getreten und legte jetzt die Hand auf Timons Schulter. „Dein Vater bittet dich, ins Steuerhaus zu kommen. Er hat etwas für dich zu tun.“

Autor

Julia James
<p>Julia James lebt in England. Als Teenager las sie die Bücher von Mills &amp; Boon und kam zum ersten Mal in Berührung mit Georgette Heyer und Daphne du Maurier. Seitdem ist sie ihnen verfallen. Sie liebt die englische Countryside mit ihren Cottages und altehrwürdigen Schlössern aus den unterschiedlichsten historischen Perioden...
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