Romana Gold Band 59

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EINE NEUE LIEBE IN ANDALUSIEN von NATALIE FOX

Seit Carrie für den faszinierenden Alex Drayton an der Costa del Sol arbeitet, steht ihre Welt Kopf. Was soll sie nur tun? Ursprünglich ist sie wegen ihres Verlobten hier in den sonnigen Süden gekommen. Doch nun setzt dieser andalusische Traummann ihr Herz in Flammen!

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HOCHZEITSNACHT IN DER ALHAMBRA von ANNE WEALE

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  • Erscheinungstag 09.10.2020
  • Bandnummer 59
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749804
  • Seitenanzahl 444
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Natalie Fox, Sarah Middleton, Anne Weale

ROMANA GOLD BAND 59

1. KAPITEL

In ihrem ganzen Leben war Carrie Sutherland noch keinem Mann nachgejagt – bis jetzt.

Wenigstens tue ich es stilvoll, dachte sie, während der Hubschrauber der Marina del Oro den geschwungenen Strand überflog, wo sich Urlauber in der heißen spanischen Sonne rekelten.

Irgendwo da unten ist Howard, überlegte sie und schaute aus dem Fenster. Allerdings lag er bestimmt nicht in der Sonne, sondern schloss gerade ein Geschäft mit Kunden ab, die es kaum erwarten konnten, ein Stückchen Paradies zu besitzen. Carrie war nicht begeistert gewesen, dass er die Stelle angenommen hatte, und – wie es ihre Art war – hatte sie das auch offen ausgesprochen.

„Liest du denn nicht die Zeitung?“, hatte sie argumentiert. „Gemeinschaftliches Immobilieneigentum durch mehrere Besitzer hat eine schlechte Presse …“

„Schätzchen, wie überall gibt es auch hier gute und schlechte Objekte. Puerto del Sol hat einen ausgezeichneten Ruf. Außerdem würde ich es nicht ertragen, den Sommer über in London arbeitslos zu sein. Lieber verbringe ich diese Zeit in Südspanien bei einer Tätigkeit, die ich gut kann, und verdiene Geld.“ Howard hatte ihr den Arm um die Taille gelegt. „Ich werde dich schrecklich vermissen, Liebling, aber schließlich ist es nur für eine Saison.“

„Howard, wenn du nur etwas Geduld hättest, würdest du bestimmt auch hier etwas finden. Du bist doch erst seit einem Monat arbeitslos.“

„Und genau einen Monat zu lang.“ Das klang bitter.

Sein Stolz hatte sehr gelitten, als seine Firma mit einer anderen fusionierte und man Howard eröffnete, dass er leider zu den Mitarbeitern gehörte, die nicht übernommen würden. Immer öfter war er deprimiert, und schließlich steckte er Carrie damit an.

„Ich verstehe ja, wie dir zu Mute ist, Howard, aber sechs Monate …“ Carrie brachte es nicht fertig auszusprechen, dass die Trennung das Ende ihrer ohnehin nicht sehr stabilen Beziehung bedeuten könnte.

Howard küsste sie, sagte dann: „Ich weiß, Liebling, es wird schrecklich, aber wenn wir nächstes Jahr heiraten wollen …“ Sein Griff um ihre Schultern war beinahe hart. „Du willst mich doch noch heiraten, oder?“

Carrie konnte sich nicht daran erinnern, was sie darauf geantwortet hatte. Sie mochte Howard sehr, aber war dieses Gefühl stark genug für eine Ehe? In gewisser Weise war Carrie beinahe dankbar für Howards berufliche Krise. Dadurch hatte sie eine Seite an ihm kennengelernt, von der sie sonst vielleicht erst erfahren hätte, wenn es schon zu spät gewesen wäre. Howards Bitterkeit war verständlich, doch seine Einstellung, die Welt sei ihm etwas schuldig, störte Carrie. Dennoch forderten die Monate der Trennung dann ihren Tribut. Sie fühlte sich schuldig, weil sie an der gemeinsamen Zukunft zweifelte. Um sicher zu sein, musste sie Howard sehen.

Und das Schicksal hatte ihr eine einmalige Gelegenheit zugespielt. Ihre Firma gab bekannt, dass die Zentrale in den Norden Englands verlegt werden sollte. Da Carrie nicht aus London weggehen wollte, kündigte sie und wandte sich an eine Arbeitsvermittlungsagentur. Man bot ihr eine Stelle bei einem Finanzier im Börsenviertel an. Das Aufregende daran war, dass Carrie zwei Monate an der Costa del Sol arbeiten sollte.

Als Carrie erfuhr, dass ihr neuer Chef Alexander Drayton Projekte in derselben Gegend finanzierte wie Howards Firma, zögerte sie nicht lange. Sie würde Howard besuchen, um ihre Zweifel auf die eine oder andere Weise beizulegen.

Die neue Tätigkeit fing auf alle Fälle verheißungsvoll an.

Nicht jede Sekretärin wird per Hubschrauber an ihren Arbeitsplatz transportiert, dachte sie. Hoffentlich ist Drayton ein umgänglicher Mensch.

Sie hatte ihn noch nicht kennengelernt. Eingestellt worden war sie von ihrer Vorgängerin, einer netten jungen Frau, die demnächst ein Baby bekommen würde.

Je weiter der Hubschrauber vom Flughafen Malaga aus in Richtung Osten flog, desto weniger Sonnenanbeter bevölkerten den Strand. Bald gingen die nicht besonders interessanten Sandstrände in eine spektakuläre Felsenküste über, gegen die das Mittelmeer brandete.

Carrie schaute mit klopfendem Herzen nach unten, als der Pilot ihr ein Zeichen machte und eine Schleife über einem Segelhafen zog, der sich weiß leuchtend vom blauen Wasser abhob. Carrie bekam einen flüchtigen Eindruck von weißen Villen mit ockerfarbenen Dächern, an langen Stegen vertäuten Booten verschiedenster Größe und einer üppigen, subtropischen Landschaft im Hintergrund, ehe der Hubschrauber auf einem Betonstreifen neben den Tennisplätzen niederging. Wenig später stand Carrie auf dem Landeplatz.

„Caroline Sutherland? Willkommen in Marina del Oro. Mein Name ist Adela Carmen Rivera. Hoffentlich hatten Sie eine angenehme Reise“, sprach eine atemberaubend schöne Spanierin sie an. Das Englisch der Frau war beinahe akzentfrei, doch ihr Ton so kühl, dass Carrie sich alles andere als willkommen fühlte. Außerdem war Adela Rivera so elegant, dass Carrie sich neben ihr geradezu schäbig vorkam.

„Es war ein sehr schöner Flug“, antwortete Carrie und folgte ihr zu einem offenen Wagen, der die gleiche Aufschrift trug wie der Hubschrauber: Marina del Oro. Der Pilot lud Carries Gepäck in den Kofferraum, und Adela Rivera fuhr dann an, ohne den Mann eines Blickes gewürdigt zu haben.

„Ich werde Ihnen zeigen, wo Sie wohnen, und Alex danach Bescheid sagen, dass Sie da sind“, erklärte Adela steif.

Alex? Carrie fragte sich, welche Rolle die schöne Spanierin wohl in Alexander Draytons Leben spielte. Wie eine einfache Angestellte sah sie jedenfalls nicht aus, sondern eher wie jemand, der Karriere gemacht hatte. Vielleicht leitete sie die Ferienanlage. Alexander Drayton war schließlich nur für die Finanzierung zuständig.

Verstohlen betrachtete Carrie Adela Rivera von der Seite. Vom Typ her waren sie sich überraschend ähnlich. Beide hatten sie einen olivfarbenen Teint, dunkle Augen und glänzendes braunes Haar, das Adela zu einem eleganten Knoten geschlungen hatte, während Carries im Wind flatterte.

Die Wohnung, in die Adela sie nach der Fahrt führte, übertraf Carries kühnste Erwartungen.

„Die ist ja wunderschön!“, entfuhr es ihr.

„Alles in Marina del Oro ist schön“, antwortete Adela. „Dies ist eines der kleineren Apartments, die normalerweise nur für Wochenendbesuche genutzt werden.“

Aber mich bringt ihr für zwei Monate hier unter, dachte Carrie amüsiert, sagte jedoch nichts.

„Den Rest der Anlage wird man Ihnen zeigen, wenn Sie sich etwas frisch gemacht haben“, fuhr Adela mit einem Blick fort, der Bände sprach. Carrie wartete, bis Adela fort war, ehe sie in den Spiegel schaute. Sah sie wirklich so schlimm aus?

Sie hatte tatsächlich schon besser ausgesehen, stellte sie fest. Das kastanienbraune Haar hing ihr zerzaust über die Schultern, und leichte Schatten unter den dunkelbraunen Augen erinnerten Carrie daran, dass sie die Nacht zuvor kaum ein Auge zugetan hatte. Der Gedanke an das Wiedersehen mit Howard hatte ihr den Schlaf geraubt.

Nach kurzer Überlegung beschloss sie, erst das Apartment zu besichtigen und dann zu duschen. Die Böden aus weißem Marmor fühlten sich herrlich kühl an. Das Mobiliar aus leichtem Rohrgeflecht hatte pastellfarbene Bezüge. Eine grüne Markise überspannte die Terrasse, die sich über die ganze Breite der Wohnung zog.

Carrie öffnete die Schiebetür und ging hinaus. Vom Meer her wehte eine leichte Brise und machte die Julihitze erträglich. Nicht weit entfernt schaukelten Segel- und Motorjachten auf den Wellen. Carrie verstand wenig von Booten, war jedoch fasziniert von ihren eleganten Formen.

Nachdem sie den Anblick eine Weile genossen hatte, kehrte sie ins Apartment zurück. Im Wohnraum gab es einen erhöhten Essbereich, der direkt an die Küche grenzte. Die Küche selbst war mit allen Geräten ausgestattet, von denen Frauen träumen. Carrie war keine besonders eifrige Köchin, und Howard hatte sich oft beschwert, sie sei nicht einfallsreich genug, doch mit solchen Hilfsmitteln würde selbst sie im Stande sein, ein mehrgängiges Menü zu zaubern.

Howard. Er wusste noch gar nicht, dass sie auch in Spanien war. Carrie hatte ihn absichtlich nicht benachrichtigt. Er hätte bestimmt darauf bestanden, sie vom Flughafen abzuholen, und das hätte sie überfordert. Zuerst musste sie in der fremden Umgebung ein wenig heimisch werden.

Carrie packte rasch ihre Koffer aus und duschte dann ausgiebig in dem mit Marmor ausgelegten Bad.

„Gütiger Himmel!“, stieß Carrie hervor und versuchte, mit dem Handtuch, das sie zuvor um den Kopf gewickelt hatte, ihre Blöße zu bedecken. Sie war ins Wohnzimmer gegangen, um ihre Handtasche zu holen, und hatte den Schock ihres Lebens bekommen. „Was wollen Sie?“, schrie sie. „Mein Geld? Nehmen Sie es.“ Sie deutete auf ihre Tasche. „Nehmen Sie es und verschwinden Sie!“

Der Mann reagierte nicht, er betrachtete sie interessiert. Das Handtuch reichte gerade bis zu ihren Oberschenkeln. Aus Carries Haar rann Wasser und bildete Pfützen auf dem Marmorboden. Als der Eindringling schließlich etwas sagte, wäre sie am liebsten im Boden versunken.

„Ich bin Alexander Drayton. Miss Sutherland, ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.“

Wenn er gelächelt oder einen Funken Humor gezeigt hätte, wäre Carrie die Situation nicht ganz so peinlich gewesen. Doch er streckte ihr nur kühl die Hand entgegen.

Ich kann sie nicht ergreifen, dachte Carrie in Panik. Bestimmt verrutscht dann das Handtuch. Andererseits macht das auch nichts mehr aus. Er hat schließlich schon alles gesehen.

Alexander Drayton ließ die Hand wieder sinken. „Ich lasse Sie besser allein, damit Sie sich anziehen können.“ Ohne mit der Wimper zu zucken, setzte er hinzu: „Wenn ich wiederkomme, hat sich Ihre Gesichtsfarbe hoffentlich normalisiert.“

Carrie floh ins Bad. Am liebsten wäre sie in Tränen ausgebrochen. Einen weniger verheißungsvollen Beginn ihrer neuen Tätigkeit konnte es nicht geben.

Noch Minuten später brannten ihre Wangen. Das war also Alexander Drayton gewesen. Sosehr sie sich auch anstrengte, sie konnte sich seine Gesichtszüge nicht in Erinnerung rufen. Alles, was sie wahrgenommen hatte, war eine hoch gewachsene Gestalt mit dunklen Haaren.

Carrie wählte ein dezent geschnittenes Leinenkleid, an dem auch der kritischste Betrachter nichts aussetzen konnte, und hatte gerade noch Zeit, ihr feuchtes Haar auszukämmen, ehe Alexander Drayton an die Apartmenttür klopfte. Carrie ließ ihn herein.

„Es tut mir schrecklich leid“, entschuldigte sie sich. „Ich war so erschrocken …“

„Ich habe auch vorhin geklopft, und da die Tür nicht verschlossen war …“ Offenbar hielt er es für ihre Schuld, dass sie das wegen des Rauschens des Wassers nicht gehört hatte.

Tapfer streckte sie ihrem Chef die Hand entgegen. Er griff danach, ohne zu lächeln, und sah Carrie dabei auf eine Weise an, als könne er bis in ihr Innerstes blicken. Carrie – mit eins achtundsechzig nicht gerade winzig – war sich noch nie so klein und unbedeutend vorgekommen.

Er hielt Akten unter den Arm geklemmt. Das fiel ihr als Erstes auf. Das Zweite waren die Augen – dunkel und durchdringend.

Alexander Drayton besaß ein Selbstbewusstsein, das angeboren zu sein schien. Seine Aussprache zeugte davon, dass er auf den besten Schulen Englands erzogen worden war. Von seiner früheren Sekretärin wusste Carrie, dass er aus einer wohlhabenden Familie stammte. Er strahlte eine Kraft aus, die Carrie vermuten ließ, er würde in allem erfolgreich sein, was er anfing. Seine Gesichtszüge waren eher markant als attraktiv.

Unwillkürlich musste Carrie an Howard denken. Howard sah ausgesprochen gut aus. Howard mit den blauen Augen und den goldblonden Haaren, Howard, der früher so oft gelacht hatte. Ob dieser Drayton jemals lachte oder auch nur lächelte?

Alexander Drayton legte die Akten auf den Tisch, setzte sich, blätterte die Papiere durch und zog eines davon heraus.

„Bitte setzen Sie sich doch auch“, sagte er zu Carrie, während er das Blatt überflog.

Offenbar wollte er das ausgefallene Vorstellungsgespräch nachholen!

Er wartete, bis sie der Aufforderung gehorsam nachgekommen war, und fuhr dann fort: „Wie ich sehe, haben Sie drei Jahre bei Tenson Import und Export als persönliche Sekretärin von Sir Michael Spiers gearbeitet. Warum sind Sie dort weggegangen?“

Die Fragen kommen ein bisschen spät, dachte Carrie. Schließlich hat seine frühere Sekretärin mich bereits eingestellt.

„Die Firma ist von London nach Northumbria umgezogen, und ich mochte nicht mitgehen“, erwiderte sie.

„Sie hatten eine gute Stellung. Ihre Referenzen sind erstklassig. Offenbar ließ man Sie nur ungern gehen.“

Carrie sagte nichts dazu.

„Sind Sie familiär gebunden, Miss Sutherland?“

„Ja. Ich wohne mit meinem Vater zusammen und sorge für ihn. Er ist Witwer. Ihn wollte ich nicht allein lassen.“

„Jetzt haben Sie ihn aber allein gelassen.“ Es klang fast vorwurfsvoll.

Sie spürte, wie sie errötete. Seine Art ärgerte sie. „Ihre Firma hat ihren Sitz in London, und laut Aussage Ihrer Sekretärin werde ich nur vorübergehend im Ausland eingesetzt. Mein Vater hat mir versichert, dass er für eine Weile ohne mich zurechtkommt.“

Alexander Drayton brauchte nicht zu erfahren, dass sie die Stelle gerade deshalb angenommen hatte, weil sie, Carrie, eine Zeit lang in Spanien arbeiten würde.

Er zog die Augenbrauen hoch. „Hat meine Sekretärin Ihnen gesagt, wie lange Sie hier sein werden?“

„Es war die Rede von etwa zwei Monaten.“

„Und wenn es nun sechs werden?“

Carrie schluckte. „Ich … Darüber habe ich nicht nachgedacht.“

„Es könnte auch entschieden weniger sein. Vielleicht sind Sie nicht für die Stelle geeignet.“

Sie krampfte die Finger zusammen. Es könnte auch sein, dass Sie mir nicht gefallen, Mr. Drayton, dachte sie. Laut sagte sie: „Wie Sie bereits erwähnten, sind meine Zeugnisse sehr gut.“

„Fachlich habe ich keine Bedenken. Die sind eher persönlicher Art.“

Carrie merkte, dass er versuchte, sie zu provozieren. Das sollte ihm keinesfalls gelingen!

Ihr Schweigen schien ihn zu verwirren, was sie überraschte, denn sie hatte nicht geglaubt, dass irgendetwas ihn aus der Fassung bringen könnte.

Alexander Drayton blickte auf Carries Lebenslauf. „Hier steht, dass Sie die spanische Sprache beherrschen. Wie kam es dazu?“ Die Frage hatte er auf Spanisch gestellt.

„Ich habe sie studiert“, antwortete sie deshalb auf Spanisch. „Später habe ich sie oft im Umgang mit Kunden gebraucht.“

Alexander Drayton nickte und ging wieder zu Englisch über. „Sie sind sich doch darüber im Klaren, dass Sie zuerst eine Probezeit durchlaufen müssen?“

Das war ihr keineswegs klar gewesen. Ihre Vorgängerin hatte jedenfalls kein Wort davon gesagt.

„Während dieser Probezeit wird sich zeigen, ob wir miteinander auskommen“, fuhr er fort. „Für mich zu arbeiten, ist nicht leicht. Ich erwarte – nein, ich verlange Perfektion.“ Er streckte die Hand aus und hob ihr Kinn an. „Sie mögen einen vollkommenen Körper haben, Miss Sutherland, aber ob Ihre sonstigen Qualitäten meine Erwartungen erfüllen, muss sich erst noch herausstellen.“

Ehe sie sich von ihrem Schock erholt hatte, war Alexander Drayton bereits auf dem Weg zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um.

„In einer Stunde komme ich wieder, um Sie durch die Anlage zu führen und Ihnen zu zeigen, wo Sie arbeiten werden.“

Als er fort war, warf Carrie sich aufs Sofa und trommelte auf ein Kissen ein, um ihrem Zorn Luft zu machen. Zum Teufel mit diesem Kerl! Er war unmöglich.

Diesem Drayton werde ich es zeigen! schwor sie sich später, während sie ihr dichtes Haar föhnte. Ich werde ihm beweisen, dass ich eine noch bessere Sekretärin bin, als meine Zeugnisse aussagen. Er wird nichts an mir auszusetzen finden.

Erst beim Schminken fragte Carrie sich, weshalb sie eigentlich das Bedürfnis hatte, ihrem neuen Arbeitgeber irgendetwas zu beweisen.

Pünktlich auf die Minute fuhr Alexander Drayton vor. Er hupte nur kurz, was Carrie nicht überraschte. Sie lief rasch hinaus und stieg in den klimatisierten Mercedes.

„Wir fangen am Segelhafen an und besichtigen anschließend die Anlage. Stellen Sie mir Fragen. Ich möchte, dass Sie mit sämtlichen Einzelheiten von Manna del Oro vertraut werden.“

„Es ist wunderschön hier“, meinte Carrie nach einer Weile. Sie fuhren gerade langsam am Pier entlang. „Haben Sie ein Boot?“

„Segeln interessiert mich nicht“, antwortete Alexander Drayton trocken. „Mir geht es ausschließlich darum, dass die Anlage Gewinn für mich abwirft.“

Carrie fragte sich, was er wohl in der Freizeit machte. Vermutlich weiß er gar nicht, was das ist, dachte sie dann.

Am Ende des Segelhafens hielt er vor einem weiß getünchten Gebäude an.

„Das ist das Verwaltungszentrum. Hier werden Sie arbeiten.“ Zu ihrer Verwunderung nahm er sie beim Ellbogen und führte sie in die andere Richtung. „Zuerst möchte ich Ihnen jedoch die in der ersten Phase fertiggestellten Wohnungen und Villen zeigen.“

Wie Carrie bald feststellte, hatten sämtliche Gebäude den maurischen Stil gemeinsam, waren aber ansonsten individuell gestaltet. Bunte Blumen schmückten Balkone und Nischen.

„Es war unsere Absicht, ein authentisches spanisches Dorf wieder erstehen zu lassen“, erklärte Alexander Drayton und wies auf handgefertigte ockerfarbene Ziegel, altertümliche Dachplatten und schmiedeeiserne Balkongeländer hin. „Gleichzeitig sollen anspruchsvolle Wassersportler jedoch sämtliche Annehmlichkeiten vorfinden, an die sie von erstklassigen Urlaubsanlagen her gewöhnt sind.“ Das klang wie aus der Werbebroschüre, die Carrie in London von ihrer Vorgängerin bekommen hatte.

„Es ist alles wirklich sehr geschmackvoll“, sagte sie.

„Weshalb haben Sie dann die Stirn gerunzelt?“, fragte er.

Carrie zuckte zusammen. Dass er das bemerken würde, hatte sie nicht erwartet. Sie blieb an einem Brunnen in einem kleinen Innenhof stehen und ließ sich Wasser über die Handgelenke laufen.

„Irgendetwas stimmt nicht“, antwortete sie schließlich, ohne Alexander Drayton anzusehen.

„Wo stimmt etwas nicht? In den Villen? Den Gärten?“

Sie schüttelte den Kopf und strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Nein, daran gibt es nichts auszusetzen. Es ist …“

„Reden Sie weiter“, forderte er ungeduldig.

Vermutlich will er nur meine Meinung hören, damit er sie nachher widerlegen kann, dachte sie.

„Hier ist es zu still“, erklärte sie tapfer. „Außer den Bienen da drüben im Hibiskusstrauch herrscht überhaupt kein Leben. Das Ganze erinnert mich an eine verlassene Filmkulisse.“

„Es fehlen die Schauspieler, die unsere heimlichen Wunschträume darstellen“, meinte er leise.

Eine solche Bemerkung hatte Carrie ebenfalls nicht erwartet. Überrascht schaute sie zu ihm auf und sah, dass er sie aufmerksam betrachtete. Mit heftig klopfendem Herzen wandte sie sich ab. Sie hatte das Gefühl, in einem Vakuum aus duftenden Blumen, sanft plätscherndem Wasser und noch etwas anderem gefangen zu sein, dessen Sinnlichkeit ihr den Atem nahm.

„Ja“, sagte Alexander Drayton plötzlich sachlich und holte Carrie damit in die Wirklichkeit zurück, „es fehlen die Menschen. Das Projekt ist schlecht vermarktet worden, und der Verkauf der Wohnungen ließ zu wünschen übrig, die Einnahmen konnten die ursprünglich für das Projekt verantwortliche Firma nicht retten. Während der ersten Phase war ich noch nicht an der Sache hier beteiligt. Doch jetzt bin ich hier, um Geld in die Zweite zu stecken und die Anlage mit Leben zu erfüllen.“

Es war Carrie schwergefallen, sich auf seine sachlichen Worte zu konzentrieren. Was er zuvor gesagt hatte … Sie hatte ihn nicht für einen Mann gehalten, der träumen konnte. Er schien ebenso kühl und glatt zu sein wie der Marmor, der hier in Mengen verwendet worden war. Selbst die Kleidung Alexander Draytons war erzkonservativ – ein kurzärmliges weißes Hemd und schwarze Hosen mit Bügelfalte. Trotz der Hitze trug er eine Krawatte.

„Im Moment wird an der Reitanlage und am Klubhaus gebaut. Hinter unseren Apartments liegt ein Swimmingpool. Nehmen Sie jede Gelegenheit wahr zu schwimmen; in den nächsten Wochen wird Ihnen wenig Zeit zum Ausspannen bleiben.“

Unsere Apartments! Wohnte er etwa auch hier? Carrie fragte sich, wie sie sich entspannen sollte, wenn sie ihn die ganze Zeit in der Nähe wusste.

2. KAPITEL

Carrie und Alexander Drayton hatten ihren Rundgang beendet und betraten das Verwaltungsgebäude.

„Hier im Erdgeschoss ist das Verkaufsbüro.“ Alexander Drayton deutete auf einige Luftaufnahmen der Anlage und der Umgebung an den Wänden im Empfangsbereich. Vor dem Fenster stand ein maßstabsgetreues Modell des gesamten Projektes, und er zeigte Carrie die geplanten vier Phasen.

Als er sich über das Modell beugte, spannte sich das Hemd über dem muskulösen Rücken. Ob die unter dem Hemd verborgene Haut wohl ebenso tief gebräunt war wie die Arme und das Gesicht Alexander Draytons?

„Geht es Ihnen nicht gut?“, fragte er, nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte. „Sie sind auf einmal ganz blass.“

„Mir ist nur ein wenig heiß, das ist alles“, antwortete Carrie hastig.

„Wir werden gleich etwas trinken. Ich rate Ihnen, bei dieser Hitze viel Flüssigkeit zu sich zu nehmen, damit Sie uneingeschränkt einsatzfähig sind.“

Das ist alles, worum es dir geht, dachte Carrie rebellisch. Aber keine Angst. Ich werde durchhalten.

„Falls Sie sich fragen, wo die anderen Mitarbeiter sind – wir schließen von vierzehn bis siebzehn Uhr. Normalerweise ist das Verkaufsbüro jedoch durchgehend besetzt, aber im Moment sind wir knapp mit Personal. Wenn wir niemanden finden, ist es möglich, dass Sie einspringen müssen. Wären Sie dazu bereit?“

„Wenn es sein muss … ich bin allerdings nicht gerade die geborene Verkäuferin.“

Er nickte nur, führte sie eine Treppe hinauf ins erste Stockwerk und öffnete dort eine Tür. „Hier ist Ihr Büro. Meines liegt direkt dahinter.“

Carrie warf einen Blick in seinen Raum. Das war also Alexander Draytons Domäne. Dicke Teppiche, Mahagonimobiliar, Bilder und natürlich eine Klimaanlage. Carries eigenes Reich war nicht ganz so aufwendig eingerichtet, verfügte aber über alles für einen reibungslosen Geschäftsbetrieb Notwendige.

„Ehe ich Ihnen Ihren Aufgabenbereich erkläre, möchte ich, dass Sie sich diesen Vertrag durchlesen und ihn unterschreiben, wenn Sie mit den Bedingungen einverstanden sind. Ich werde Ihnen inzwischen etwas zu trinken holen.“

Carrie begann zu lesen. Plötzlich weiteten sich ihre Augen vor Staunen. Das angebotene Gehalt war viel höher als die mit ihrer Vorgängerin vereinbarte Summe. Natürlich würde sie hart dafür arbeiten müssen. Alexander Drayton war zwar großzügig, aber er verlangte sehr viel. Es gab keine festen Arbeitszeiten, sondern sie musste auf Abruf zur Verfügung stehen.

Während er das Recht hatte, sie fristlos zu entlassen, musste sie eine vierwöchige Kündigungsfrist einhalten. Nach allem, was Carrie bisher über Alexander Drayton erfahren hatte, überraschte dieser Arbeitsvertrag sie nicht. Sie nahm einen Füller vom Schreibtisch und unterschrieb.

„Ist Alex nebenan?“ Adela Rivera war so leise hereingekommen, dass Carrie es gar nicht bemerkt hatte. Ohne eine Antwort abzuwarten, marschierte die schöne Spanierin an Carrie vorbei und schlug die Tür zu Alexander Draytons Büro hinter sich zu.

Gleich darauf waren laute Stimmen zu hören – leider nicht laut genug, um zu verstehen, worum es bei der Auseinandersetzung ging. Carrie, im Grunde nicht neugierig, hätte diesmal schrecklich gern gelauscht. Für sie war alles wichtig, was sie über ihren neuen Chef in Erfahrung bringen konnte.

Plötzlich flog die Tür auf, und Adela Rivera stürmte aus dem Chefbüro. Im nächsten Moment vernahm Carrie Alexander Draytons Stimme: „Miss Sutherland, würden Sie bitte hereinkommen?“

Mit dem Vertrag in der Hand betrat Carrie das Büro. Ihr Arbeitgeber stand mit dem Rücken am Fenster, das Gesicht lag also im Schatten, aber sie spürte, dass Alexander Drayton wütend war. Worum auch immer es bei dem Streit gegangen sein mochte, nicht nur Adela Rivera war aufgebracht.

„Sie haben den ersten Fehler gemacht.“

Angesichts des Tones lief es Carrie kalt über den Rücken.

„Lassen Sie nie wieder jemanden unangemeldet in mein Büro. Meine Zeit ist kostbar, und ohne Termin empfange ich niemanden. Ist das klar?“

„Ja … natürlich. Selbst… selbstverständlich“, stotterte sie.

„Das war schon Ihr zweiter Fehler.“ Er kam auf sie zu, bis er so nah war, dass sie seine Wärme spüren konnte. „Ich kann Unterwürfigkeit nicht ausstehen, Miss Sutherland.“

„Unterwürfigkeit?“

„Sie wissen doch, was das ist?“, fragte er sarkastisch.

Zorn stieg in ihr auf. Wofür hielt er sich eigentlich? Nur weil er Krach mit seiner Geliebten gehabt hatte … Seine Geliebte? Wie kam sie nur darauf?

„Allerdings“, bestätigte Carrie kurz. Ich kann nicht für diesen Mann arbeiten, dachte sie. Sonst bin ich ein Nervenbündel, ehe ein Monat um ist.

„Ich glaube nicht, dass wir uns verstehen werden, Miss Sutherland.“

Sie hielt den Vertrag in der Hand und hätte Alexander Drayton liebend gern gesagt, was er damit machen könne. Stattdessen zerknüllte sie ihn vor seinen Augen. „Ich werde Ihnen die Mühe ersparen, mich zu entlassen, ehe ich überhaupt angefangen habe, Mr. Drayton. Hiermit kündige ich.“

Seine Miene wurde plötzlich ausdruckslos. „Sie kündigen? Darf ich fragen, warum?“

„Weil ich nicht für einen Mann arbeiten will, der unzumutbare Anforderungen stellt.“

„Ist es unzumutbar, wenn ich von meiner Sekretärin erwarte, dass sie unerwünschte Besucher von mir fernhält?“

Adela war also unerwünscht? Carrie hätte wetten können, dass es nicht immer so gewesen war. „Ihr Privatleben geht mich nichts an. Sie haben mich als Sekretärin eingestellt und nicht dazu, Frauen aus Ihrem Bett fernzuhalten.“

Seine Augen wurden schmal. Carrie wusste, dass sie zu weit gegangen war, aber sie hatte ohnehin nichts mehr zu verlieren. „Sie sind mir nicht so sympathisch, dass ich um diese Stelle kämpfen würde, Mr. Drayton“, fuhr sie hitzig fort. „Ich bin eine gute Sekretärin, und ich kann Ihnen versichern, dass der Verlust ganz auf Ihrer Seite liegt. Sie werden nämlich keine andere finden, die diesen Knebelvertrag unterschreibt. Leben Sie wohl.“ Carrie wandte sich zum Gehen, doch er packte sie am Handgelenk.

„Sie gehen nirgendwo hin. Haben Sie den Vertrag unterschrieben?“

Carrie versuchte nicht, sich zu befreien, denn sie wusste, dass er nur darauf wartete. Trotzig hielt sie seinem Blick stand.

„Ja, ich habe ihn unterschrieben.“ Sie deutete auf das Papierknäuel auf dem Boden. „Aber jetzt ist er wohl nicht mehr gültig. Oder wollen Sie mich zwingen, ihn einzuhalten?“

„Nein. Ich bin nur neugierig, warum Sie den ziemlich strengen Arbeitsbedingungen zugestimmt haben. Wegen des Geldes?“ Auf seinem Gesicht lag ein spöttisches Lächeln, und Carrie hätte ihn am liebsten geohrfeigt.

„Sie sind offenbar der Meinung, dass man sich Loyalität mit Geld erkaufen kann. Jawohl, Mr. Drayton, Sie zahlen gut. Bei dem Arbeitseinsatz, den Sie verlangen, ist das nur fair. Aber nicht alles auf dieser Welt dreht sich um Geld. Als Ihre Sekretärin hier in Spanien würde ich selbstverständlich auf Abruf zur Verfügung stehen. Ich erledige meine Arbeit gewissenhaft und mache nicht um Punkt fünf Feierabend, wenn noch irgendetwas unerledigt ist. Nein, Mr. Drayton. Ich habe nichts gegen Ihre Arbeitsbedingungen, sondern gegen Sie!“

Mit einem Ruck hatte Carrie sich losgerissen und lief nun hinaus.

Noch ehe sie die Tür zum Gang erreichte, überholte Alexander Drayton Carrie und versperrte ihr den Weg. „Kommen Sie zurück in mein Büro, Miss Sutherland.“

„Nein!“ Ihre Augen funkelten. „Ich habe alles gesagt, was es zu sagen gab.“

„Aber ich nicht! Also machen Sie, dass Sie hineinkommen, ehe ich Sie dazu zwingen muss.“

Schockiert starrte sie ihn an. Er war durchaus dazu fähig. Mit hoch erhobenem Kopf kehrte sie in sein Zimmer zurück und blieb steif vor dem Schreibtisch stehen.

„Machen Sie es sich bequem und trinken Sie etwas mit mir. Um diese Zeit mache ich mir gern einen trockenen Martini.“

Carrie traute ihren Ohren nicht. Als wäre nichts gewesen, bot Alexander Drayton ihr einen Drink an!

„Es tut mir leid, dass ich Sie aus der Fassung gebracht habe“, fuhr er fort. „Wenn wir zusammen arbeiten sollen, müssen wir die gleiche Wellenlänge haben.“

„Ich verstehe nicht“, murmelte Carrie verwirrt.

„Ich musste Ihnen bisher fast jede Antwort einzeln abringen. Mir ist bewusst, dass heute Ihr erster Tag ist, aber ich habe keine Zeit zu verschwenden. Nackt gesehen habe ich Sie schon – damit wäre ein Geheimnis gelüftet. Ich halte nichts davon, Beziehungen langsam und umständlich aufzubauen. Entweder versteht man sich auf Anhieb oder gar nicht.“

Er kam auf sie zu und reichte ihr ein Glas. Dass es ihr die Sprache verschlagen hatte, schien er nicht zu bemerken. „Ich bin ein anspruchsvoller Chef, und Unfähigkeit kann ich nicht ausstehen. Wenn Sie mit mir arbeiten, erwarte ich von Ihnen, dass Sie Ihre Meinung äußern. Sie können mir ruhig widersprechen, können sogar schreien, wenn es sein muss. Kommen Sie aber nicht zu mir gelaufen, wenn Sie Probleme mit Ihrem Liebesleben haben. Mit sinnvollen geschäftlichen Vorschlägen dürfen Sie mich jedoch mitten in der Nacht stören. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

Ein solcher Mann war Carrie noch nie begegnet. Nach allem, was sie ihm an den Kopf geworfen hatte, wollte er noch, dass sie für ihn arbeitete! Plötzlich begriff sie. Gerade wegen ihres Ausbruchs wollte er sie haben.

„Und was ist mit mir?“, fragte sie trotzig. „Wenn ich mich nun nicht mit Ihnen verstehe?“

Er sah sie so intensiv an, dass sie das Gefühl hatte, er könne ihr bis in die Seele blicken. Carries Herz setzte einen Schlag aus.

„Ich unterschreibe die Gehaltschecks, Caroline“, antwortete Alexander Drayton sanft.

Jetzt nannte er sie schon beim Vornamen! „Geld ist wohl Ihre Antwort auf alles!“, brach es aus ihr heraus.

„Sind Sie etwa bereit, ohne Gehalt zu arbeiten?“

„Nein …“

„Wovor haben Sie Angst? Wenn Sie zum Ausgleich gern mich nackt sehen möchten, lässt sich das leicht einrichten.“

Zum ersten Mal entdeckte sie ein humorvolles Funkeln in seinen unergründlichen Augen. Zugleich kam ihr eine beunruhigende Erkenntnis. Dieser Mann konnte ihr gefährlich werden.

„Sie bleiben also?“

„Ist das eine Frage oder eine Feststellung?“, erkundigte Carrie sich und blickte ihn über den Rand ihres Glases an.

Der Ausdruck in Alexander Draytons Augen beunruhigte sie. „Ich habe das Gefühl, wir werden doch ein gutes Team.“

Sie biss sich auf die Lippe. Dieser Mann war ein unkonventioneller und manchmal sicher schwer zu ertragender Chef, doch eins stand fest – sie würde sich bei ihm nie langweilen.

Entschlossen rief sie sich in Erinnerung, warum sie die Stelle überhaupt angenommen hatte, und intuitiv erkannte Carrie, dass die Arbeit für Alexander Drayton gefühlsmäßig belastender sein würde als die Entscheidung über die Zukunft mit Howard.

Es blieb Carrie keine Zeit, darüber nachzugrübeln, denn Alexander Drayton begann, sie in ihr Aufgabengebiet einzuweisen.

Nach zwei Stunden, als Carrie bereits der Kopf schwirrte, rief ihr Chef Adela Rivera herein. „Ich lasse euch beide jetzt allein, damit ihr euch besser kennenlernen könnt.“ Er griff nach seinen Autoschlüsseln. „Adela, strapazier Caroline nicht zu lange – sie ist bestimmt schon ganz erschöpft.“

„Wohin fährst du, Alex?“, erkundigte Adela sich spitz.

„Ich habe noch etwas zu erledigen. Falls du darauf hinaus wolltest – unsere Verabredung zum Abendessen habe ich nicht vergessen. Ich hole dich um zehn ab.“ Er nickte den beiden Frauen kurz zu und verließ das Büro.

Ich habe mich also nicht getäuscht, dachte Carrie. Die beiden haben etwas miteinander.

Adela war Anwältin und für die Abwicklung sämtlicher Rechtsgeschäfte des Unternehmens zuständig. Nebenbei betrieb sie eine eigene Kanzlei. Carrie konnte sich Adela gut im Gerichtssaal vorstellen, wie sie lächelnd Zeugen auseinandernahm.

Hoffentlich werden sich unsere Wege nicht zu oft kreuzen, ging es Carrie durch den Kopf. Deutlich spürte sie, dass die schöne Spanierin ihr feindselig gesinnt war. Warum nur? Es gab eigentlich keinen Grund dafür. Erleichtert atmete sie auf, als Adela die Besprechung schon nach zwanzig Minuten beendete.

„Wir sehen uns morgen“, sagte Adela von oben herab und ging.

Carrie lag schon um zehn im Bett, zur selben Stunde, als Alexander Drayton und Adela Rivera zum Essen ausgingen. Ich werde mich vermutlich nie an diese Zeiteinteilung gewöhnen, dachte sie müde, zog sich das Kissen über den Kopf und schlief gleich darauf ein.

Am Morgen erwachte sie zeitig und beschloss, einige Runden im Pool zu schwimmen, bevor ihr erster Arbeitstag begann. Dieses Vorhaben gab sie dann jedoch auf, als sie sah, dass bereits jemand im Pool war. Hinter einem Busch verborgen, betrachtete sie ihren Arbeitgeber fasziniert. Zumindest eine Frage war jetzt geklärt. Der Rest seines Körpers war genauso braun wie Gesicht und Arme.

Carrie gab sich einen Ruck, wandte sich ab und ließ den Blick über die Apartments schweifen. Bis auf zwei waren alle Rollläden heruntergelassen – nur die ihres und eines direkt darüber liegenden Apartments nicht. Sie, Carrie, und Alexander Drayton mussten wohl die einzigen Bewohner dieses Komplexteils sein. Kein Wunder, dass Alexander Drayton ungeniert nackt badete. Der Gedanke, dass seine Sekretärin sich dadurch belästigt fühlen könnte, lag ihm offenbar fern.

Während Carrie zurückging und duschte, versuchte sie, nicht mehr an den vollkommenen Körper ihres Arbeitgebers zu denken, sondern sich stattdessen ins Gedächtnis zu rufen, wie Howard aussah. Howard. Noch heute wollte sie herausfinden, wo Puerto del Sol lag. Dort hielt er sich ja auf.

Als sie ihrem Chef später einige Papiere auf den Schreibtisch legt, sagte er unvermittelt: „Bitte nennen Sie mich Alex und nicht Mr. Drayton.“

„Nur wenn Sie Carrie statt Caroline zu mir sagen“, erwiderte sie und verließ das Büro.

Als sie noch darüber nachdachte, wie sie Howard finden sollte, machte Carrie eine eigenartige Entdeckung. Als sie in der Materialkammer Umschläge holen wollte, fand Carrie Briefpapier mit dem Aufdruck „Puerto del Sol“.

„Werfen Sie es weg“, sagte Alex, nachdem sie ihn darauf angesprochen hatte.

„Wieso ist es denn hier?“, forschte sie.

Wenn er ihre Neugier eigenartig fand, behielt er es für sich. „Das war der ursprüngliche Name der Marina del Oro.“

Carrie bekam ganz weiche Knie. „Oh …“

„Die Firma machte Bankrott. Ihr fehlte nicht nur Kapital, sie war auch schlecht geführt. Als ich die Finanzierung übernahm, habe ich nicht nur den Namen geändert, sondern auch das Personal ausgewechselt.“

Sie vermochte es kaum zu fassen. „Wie … wie lange ist das denn her?“

„Warum wollen Sie das wissen?“, gab er zurück und betrachtete sie prüfend.

Gespielt lässig zuckte sie die Schultern. „Warum? Ach, nur als Hintergrundinformation.“

„Vor ungefähr zwei Monaten …“

Das Telefon klingelte, und Alex griff nach dem Hörer. Carrie unterdrückte einen Seufzer. Später würde sie nicht weiterfragen können, ohne sich verdächtig zu machen. Langsam ging sie in ihr Büro zurück, setzte sich an den Schreibtisch und stützte den Kopf in die Hände.

Howards letzter Brief war vor einem Monat gekommen. Darin hatte Howard mit keinem Wort erwähnt, dass er seine Stelle verloren hatte. Im Gegenteil, er hatte geschrieben, es könne ihm gar nicht besser gehen.

Carrie hatte Kopfschmerzen. Sie sehnte sich nach der Siesta, aber Alex entließ Carrie erst nach drei. Als sie endlich auf ihrem Bett lag, konnte sie sich nicht entspannen. Der arme Howard. Zum zweiten Mal hatte er eine Stelle verloren! Es war einfach nicht fair …

Nicht fair?

Alex ist vor zwei Monaten in das Projekt eingestiegen und hat alle Mitarbeiter ausgewechselt. Was hatte Howard in der Zwischenzeit gemacht? grübelte Carrie.

Allmählich regte sich Zorn in ihr. Fairerweise hätte Howard ihr die Wahrheit mitteilen müssen. Sie hatte ein Recht darauf.

Um ihrem Ärger ein Ventil zu verschaffen, stürzte Carrie sich nach Ende der Siesta mit Feuereifer in die Arbeit, und um acht Uhr abends waren sämtliche Papiere auf Carries Schreibtisch aufgearbeitet.

„Die perfekte Sekretärin“, bemerkte Alex, als sie den Anrufbeantworter anschaltete. „Ich hole Sie um zehn ab.“

Carrie schloss die Augen. So ein Sklaventreiber! Hatte sie für einen Tag nicht genug geschuftet?

Offenbar wusste er genau, was in ihr vorging. „Nicht zum Arbeiten, sondern zum Abendessen.“

Ehe sie darauf reagieren konnte, war er gegangen.

Bleibt mir denn etwas anderes übrig? überlegte sie, während sie später goldene Clips an ihren Ohrläppchen befestigte. Alex hatte ihre Antwort nicht abgewartet. Offenbar erwartete er nicht, dass sie Einwände erhob, was sie auch nicht vorhatte. Sie würde sogar gern mitgehen – nicht weil ihr so viel an seiner Gesellschaft lag, sondern weil sie immer noch wütend auf Howard war und nicht allein sein wollte.

Carrie entschied sich für ein rotes Kleid – rot, weil das ihrer Stimmung am besten entsprach. Alex erschien in einem hellgrauen italienischen Seidenanzug, der seine muskulöse Gestalt betonte.

Das Restaurant, zu dem er dann fuhr, lag auf der anderen Seite der Landspitze in den Bergen. Von dort oben hatte man einen atemberaubenden Blick aufs Meer und die weiß getünchten Villen entlang der Bucht, die im Mondlicht leuchteten.

„Ich habe Ihnen heute zu viel zugemutet“, meinte Alex. „Sie sehen müde aus.“

„Ich bin daran gewöhnt, unter Druck zu arbeiten“, wehrte sie ab.

„Aber nicht in dieser Hitze.“

„Ich werde es schon aushallen“, versicherte sie und lächelte ihn an. Er lächelte zurück, und auf einmal fühlte sie sich besser.

Der Kellner brachte den Wein, den Alex bestellt hatte – einen köstlichen roten Rioja, der wunderbar zum Steak passte. Während des Essens unterhielten sich Carrie und Alex über allgemeine Themen, und zu ihrer Überraschung stellte sie fest, dass sie den Abend genoss.

„Sie tragen einen Verlobungsring“, sagte Alex plötzlich.

Carrie betrachtete die winzigen, traubenförmig angeordneten Saphire, als sähe sie sie zum ersten Mal. Sie war versucht, zu schwindeln und zu behaupten, der Ring sei von ihrer Mutter, schwieg jedoch.

„Dann werden Sie also bald heiraten, ein Baby bekommen und aufhören zu arbeiten.“

Es dauerte eine Weile, bis Carrie antwortete. Sie war mit einem Mal wieder so wütend auf Howard, dass sie gar nicht ah eine Ehe mit ihm denken wollte.

„Haben Sie etwas dagegen, wenn Ihre Sekretärin verheiratet ist?“, erwiderte Carrie schließlich ausweichend.

„Es ist mir sogar lieber“, erklärte er und schenkte ihr nach.

„Weil es sicherer ist?“ Unwillkürlich musste Carrie an Adela Rivera denken.

„Genau“, bestätigte er.

Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie nichts von seinen Familienverhältnissen wusste. Möglicherweise hatte er eine Frau zu Hause und vergnügte sich nebenher mit seiner Anwältin. „Sind Sie verheiratet?“

„Nein, aber ich war einmal nahe daran zu heiraten.“

„Was hat Sie denn daran gehindert?“

„Ein Kurseinbruch an der Börse.“ Als Carrie ihn verständnislos ansah, fuhr er fort: „Ich hatte die Wahl zwischen dem Verlust eines Vermögens und dem einer Frau.“

Sie lehnte sich vor. „Sie haben sich für das Geld entschieden?“

Alex zuckte die Schultern. „Es hatte einen Kurssturz gegeben. Ich schloss mich für einen Monat in meinem Büro in der Londoner City ein, und als ich wieder herauskam, hatte ich mein Vermögen gerettet, dafür aber die Frau verloren, die ich heiraten wollte.“ Carrie hätte fast Mitleid mit ihm empfunden, doch schon seine nächsten Worte zerstörten ihre Illusionen. „Es war der aufregendste Monat meines Lebens – viel aufregender, als eine Ehe mit Fiona je gewesen wäre.“

„Wie können Sie da so sicher sein?“, fragte sie bissig. „Schließlich haben Sie sie nicht geheiratet.“

„Weil Fiona die Frau meines verwitweten Vaters wurde.“

Carrie verschluckte sich an ihrem Wein. „Oh … Das tut mir leid …“

„Nicht nötig.“ Er lächelte. „Sie ist glücklich dabei, sein Geld in den Metropolen der Welt auszugeben, und er hat eine schöne Frau, die vom Alter her seine Tochter sein könnte. Damit sind beide zufrieden. Ich glaube, ich bin gerade noch einmal davongekommen. Was meinen Sie?“

„Vom gegenwärtigen Standpunkt aus gesehen haben Sie wohl recht.“ Sie blickte ihm in die Augen. „Damals konnten Sie das jedoch noch nicht wissen. Ich meine, Sie hätten sich auch gegen das Vermögen und für Ihre Verlobte entscheiden können.“

„Aber ich habe es nicht getan.“

„Heißt das, Geld ist Ihnen wichtiger als persönliche Beziehungen?“

Obwohl er es nicht direkt zugab, bestätigte seine Antwort ihre Vermutung. „Geld ist wie ein Liebestrank. Es erregt und befriedigt zugleich.“ Sein Blick hielt ihren über die Kerze auf dem Tisch hinweg fest. „Man könnte gute finanzielle Anlagen mit Liebesspielen mit einer schönen Frau vergleichen, doch auf lange Sicht sind sie viel sicherer.“

Carrie sah weiterhin in Alex’ Augen, und alles um Carrie herum schien plötzlich zu verschwimmen. Sie waren nicht Chef und Sekretärin, sondern Mann und Frau. Ein Gefühl sagte ihr, dass er sie wieder auf die Probe stellte, um herauszufinden, wie weit sie gehen würde. Dass er flüchtige Affären dauerhaften Beziehungen vorzog, hatte er ihr bereits zu verstehen gegeben …

Schluss mit dem Wein! Entschlossen schob sie ihr Glas beiseite und schaute weg. Die Fantasie gaukelte ihr etwas vor. Alexander Drayton hatte Besseres zu tun, als mit seiner Sekretärin zu flirten.

Eines hatte Carrie sich jedoch nicht eingebildet. Sie hatte flüchtig geglaubt, Adela Rivera gesehen zu haben, jetzt entdeckte Carrie sie an einem Tisch auf der anderen Seite des Restaurants. Das fein geschnittene Gesicht war unverwechselbar. Immer wieder blickten die Männer zu Adela – bis auf Alex, der mit dem Rücken zu ihr saß. Carrie fragte sich, was passieren würde, wenn Alex sich umwandte und seine Freundin mit einem anderen ertappte.

Nun standen Adela und ihr Begleiter auf. Zum ersten Mal konnte Carrie das Gesicht des Mannes sehen … und hätte beinahe laut aufgeschrien. Ehe sie sich von ihrem Schreck erholt hatte, war der Mann an ihren Tisch getreten. Adela dagegen schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

„Guten Abend, Alex.“

„Guten Abend, Howard. Schön, dass Sie wieder da sind. Wie war es in Tokio?“ Alex machte dem Kellner ein Zeichen, noch einen Stuhl zu bringen. „Setzen Sie sich doch auf einen Cognac zu uns. Das ist meine neue Sekretärin, Carrie Sutherland. Carrie – Howard Benson, mein Marketingleiter.“

Carrie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Doch das Schicksal hielt noch eine Überraschung für sie bereit. Howard reichte ihr die Hand und schaute dabei durch Carrie hindurch, als habe er sie noch nie gesehen.

„Freut mich, Miss Sutherland.“ Sein Lächeln war das eines Fremden. „Es tut mir leid, Alex, aber ich kann Ihnen nicht Gesellschaft leisten.“ Er schaute auf die Uhr – die Uhr, die Carrie ihm zum dreißigsten Geburtstag geschenkt hatte. „Ich erwarte noch einen wichtigen Anruf aus Japan.“

„Steht’s gut?“, fragte Alex.

„Sehr gut. Ich erstatte Ihnen morgen früh Bericht. Gute Nacht, Alex. Es war nett, Sie kennenzulernen, Miss Sutherland.“

3. KAPITEL

Später hätte Carrie nicht mehr sagen können, wie sie die halbe Stunde überstand, bis Alex nach der Rechnung verlangte. Wenn er etwas fragte, brachte Carrie bestenfalls einsilbige Antworten zustande. Sicher tat es ihm leid, sie zum Essen eingeladen zu haben.

Die Fahrt zurück nach Marina del Oro verlief schweigend. Alex brachte Carrie bis vor ihre Tür, wünschte ihr eine gute Nacht und ging dann zur Treppe, die Hände tief in den Taschen vergraben.

Carrie sah ihm kurz nach, dann betrat sie ihr Apartment. Der Abend war eine Katastrophe gewesen. Bestimmt hatte sie Alexander Drayton tödlich gelangweilt. Und was Howard anging …

Sie streifte ihre Schuhe ab, marschierte in die Küche, schenkte sich ein Glas Mineralwasser ein und ging damit hinaus auf die Terrasse. Was für ein Spiel trieb Howard? Wie kam es, dass er für Alex arbeitete? Und weshalb tat er so, als würde er sie nicht kennen?

„Carrie? Carrie!“, flüsterte plötzlich jemand, und sie fuhr zusammen.

„Howard! Was soll denn das?“

Er legte den Finger warnend auf die Lippen und machte Carrie ein Zeichen, dass sie in den Garten kommen solle.

Sekunden später war sie bei Howard, doch wenn sie eine Erklärung oder eine Entschuldigung erwartet hatte, sah sie sich getäuscht. Er fasste sie am Handgelenk und zog sie mit sich fort. Dabei schlug er ein solches Tempo an, dass sie laufen musste, um Schritt zu halten.

An einer Bank unter einem Olivenbaum blieb Howard endlich stehen und versuchte, Carrie in die Arme zu nehmen.

„Moment mal!“ Nach Luft ringend, schob Carrie ihn weg. „Was geht hier vor sich, Howard? Was für ein Spiel treibst du?“

„Ich? Das ist wirklich ein starkes Stück! Ich traute meinen Augen nicht, als ich dich vorhin mit Drayton sah. Wie kommst du überhaupt hierher?“

In kurzen Worten berichtete Carrie, warum sie bei Tenson gekündigt hatte. „Als mir dann diese Stelle angeboten wurde, habe ich sofort zugesagt …“

„Du wolltest also hinter mir her spionieren“, meinte Howard vorwurfsvoll. „Anstatt mir zu vertrauen …“

„Augenblick, Howard!“, fauchte sie. „Ich möchte keinen Streit, sondern Erklärungen. Zum Beispiel, warum du vorhin im Restaurant so getan hast, als würdest du mich nicht kennen. Oder weshalb du mir nichts davon geschrieben hast, dass du inzwischen für Marina del Oro arbeitest.“

Er hob die Hände. „Schon gut, schon gut … Wie hätte ich denn deiner Meinung nach reagieren sollen, als ich dich beim Essen mit dem Chef sah? Ich war so verblüfft …“

„Eine komische Art hast du, deine Verblüffung zu zeigen. Hast du vielleicht vergessen, dass wir verlobt sind?“

„Gütiger Himmel! Das weiß er doch nicht etwa? Hast du ihm gesagt, dass du mich kennst?“

„Nein, das habe ich nicht.“ Schließlich war sie selbst wie vor den Kopf geschlagen gewesen. „Aber weshalb die Heimlichtuerei?“

„Ich wünschte, du wärst nicht gekommen, Carrie“, sagte er. „Ist dir denn nicht klar, dass du meine Karriere gefährdest? Am besten fährst du sofort zurück nach England …“

„Ich denke nicht daran!“, rief sie empört. „Dir zuliebe soll ich eine hoch bezahlte Position aufgeben? Nenn mir einen Grund dafür.“

„Ich bin jetzt endlich auf dem Weg an die Spitze. Du weißt ja, wie viel Pech ich bisher hatte. Ich will nicht, dass du mir Schwierigkeiten machst …“

„Wie sollte ich das deiner Meinung nach wohl anstellen?“, fragte sie gereizt und ließ sich auf die Bank sinken.

Er antwortete nicht, sondern begann, unruhig auf und ab zu laufen. Vor lauter Frust hätte Carrie am liebsten geschrien, doch sie zwang sich zur Ruhe. „Howard, ich will wissen, was hier vor sich geht.“

„Ich wollte dich nicht beunruhigen, Carrie“, erwiderte er, doch es klang nicht besonders überzeugend. „Was weißt du über das Unternehmen Puerto del Sol?“

Sie zuckte die Schultern. „Nur das, was Alex mir erzählt hat – dass die Firma schlecht geführt wurde und dass er nicht nur den Namen des Projektes geändert, sondern auch das Personal ausgewechselt hat. Ich hatte keine Ahnung, dass man dich übernommen hat.“

„Hat man nicht. Jemand gab mir einen Tipp, dass der Zusammenbruch der ursprünglichen Firma bevorstehe, und ich zog mich schleunigst zurück. Als Drayton das Projekt dann übernahm und neues Personal suchte, habe ich mich für die Position des Marketingleiters beworben und sie bekommen. Das ist die ganze Geschichte.“

„In der einige Kapitel fehlen“, bemerkte Carrie brüsk. „Warum bist du vor dem Zusammenbruch ausgestiegen? Du konntest schließlich nicht wissen, dass Alex das Personal entlassen würde.“

Howard massierte sich die Schläfen. „Das war eigentlich unvermeidlich. Die Exfirma war nämlich nicht ganz … nicht ganz reell.“

Also sind meine Vorbehalte gegen Firmen, die gemeinschaftliches Immobilieneigentum vermarkten, nicht ganz unberechtigt gewesen, dachte Carrie.

„Als Drayton hier einstieg, hat er wie der sprichwörtliche neue Besen erst einmal eine gründliche Säuberung vorgenommen“, fuhr er fort. „Da er niemandem vertraute, hat er alle Mitarbeiter entlassen – sogar die Gärtner. Ich hätte nie eine Chance gehabt, die Stelle zu bekommen, wenn er geahnt hätte, dass ich schon für Puerto del Sol gearbeitet habe. Schau, Liebling …“ Er legte ihr den Arm um die Schultern. „Es tut mir leid, dass ich dich vorhin im Restaurant gekränkt habe. Tokio war unglaublich anstrengend, und als ich dich plötzlich da sitzen da, bin ich zu Tode erschrocken. Ich hatte Angst, du könntest zu Drayton sagen, für wen ich zuvor gearbeitet habe. Diese Stelle bedeutet mir sehr viel.“

Das verstand Carrie. Zumindest glaubte sie, es zu verstehen. Unbegreiflich war ihr etwas anderes. „Was hast du heute Abend mit Adela Rivera gemacht?“, erkundigte Carrie sich nach einer Weile.

„Das war rein geschäftlich, Liebling.“ Howard lachte. „Die Verhandlungen in Tokio stehen kurz vor dem Abschluss, und ich wollte einige Punkte des Vertrages mit ihr durchsprechen.“

„Hätte das nicht bis zur regulären Bürozeit warten können?“ Sie maß ihn von der Seite und war nicht überrascht, dass er plötzlich etwas schuldbewusst wirkte. Irgendetwas sagte ihr, dass Howard und Adela mehr verband als nur geschäftliche Interessen.

„Carrie, das ist nicht fair“, beschwerte er sich.

„Das Leben ist niemals fair zu dir, nicht wahr, Howard?“ Sie stand auf und wollte gehen, aber er hielt sie zurück.

„Carrie, Liebes, du bedeutest mir doch so viel. Das musst du doch wissen.“ Er versuchte, sie in die Arme zu ziehen – ohne Erfolg.

„Nein, Howard“, erklärte sie und schob ihn weg. „Ich will nicht, dass du mich berührst. Zuerst muss ich mir über meine Gefühle klar werden.“

„Zweifelst du etwa daran, dass unsere Beziehung eine Zukunft hat?“

„Du nicht?“

Dass er zögerte, war Antwort genug.

„Ich liebe dich, Carrie“, sagte er schließlich.

„Aber nicht genug“, entgegnete sie eisig. „Sonst wärst du nämlich ehrlich zu mir gewesen und hättest mir alles über Puerto del Sol berichtet. Zu einer echten Beziehung gehört Vertrauen, Howard.“

„Ich gebe ja zu, dass ich Fehler gemacht habe. Carrie, ich will nicht, dass es so endet.“

„Vorhin wolltest du noch, dass ich nach England zurückkehre, weil du schreckliche Angst hast, ich könnte deinen Job gefährden.“

„Ich meine immer noch, dass du wieder nach Hause fahren solltest. Wenn du erst wieder in England bist, wirst du vieles klarer sehen.“

Sie lächelte schief. „Um klarer sehen zu können, bin ich ja überhaupt hergekommen.“

„Wie meinst du das?“, fragte er und runzelte die Stirn.

„Es ist nicht wichtig, Howard. Nicht mehr.“ Carrie seufzte. „Ich bleibe bei der Firma, aber mein Einsatz in Spanien wird nur etwa zwei Monate dauern. Du brauchst keine Angst zu haben, dass ich dir bei Adela in die Quere komme.“

Er schaute gekränkt drein. „Du irrst dich, Carrie. Zwischen mir und Adela ist nichts. Sie ist Draytons Freundin, nicht meine.“

Wenn zwischen Howard und Adela nichts war, warum war sie dann so schnell aus dem Restaurant verschwunden? Carrie schob den Gedanken beiseite. Sie fühlte sich auf einmal zu müde zum Nachdenken.

„Carrie, ich bin immer noch überzeugt, dass wir eine Chance haben“, begann Howard wieder. „Vielleicht renkt sich doch alles wieder ein.“

Sie schüttelte den Kopf. Ihrer Meinung nach bestand darauf nicht die geringste Aussicht. Schon in England war die Beziehung wackelig gewesen. Und nun hatte sie, Carrie, festgestellt, dass Howard ein Leben führte, in dem sie gar nicht vorkam.

„Carrie, es ist besser, wenn niemand erfährt, dass wir uns schon vorher kannten“, fuhr er fort. „Außerdem verlasse ich mich darauf, dass du Drayton nichts von meiner Verwicklung in das Puerto-del-Sol-Projekt verrätst. Schlafende Hunde soll man nicht wecken.“ Er küsste sie leicht auf die Wange. „Jetzt gehe ich besser. Ich möchte nicht riskieren, dass man uns zusammen sieht.“

Als Howard fort war, setzte Carrie sich wieder auf die Bank und stützte den Kopf in die Hände. Das war also das Ende. Das Ende einer Verlobung. Wie war es eigentlich dazu gekommen? Im Grunde hatte es sich von selbst ergeben.

Schließlich stand Carrie auf und suchte den Weg zurück zu ihrem Apartment. Vor Müdigkeit konnte sie kaum noch die Augen offen halten. Im Stillen verwünschte Carrie Howard, dass er sie nicht zurückbegleitet hatte. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand.

Plötzlich blieb sie stehen. An diesem Yuccagebüsch war sie vorhin nicht vorbeigekommen. Sie kehrte um und wäre gleich darauf beinahe eine Steintreppe hinuntergefallen, an die sie sich nicht erinnerte. Carrie verharrte erneut und versuchte, sich zu orientieren. Plötzlich hörte sie ein Geräusch und erstarrte. Waren das Schritte gewesen?

In blinder Panik rannte sie davon. Auf einmal tauchte vor ihr eine massige Gestalt auf und hielt sie fest.

Ehe sie aufschreien konnte, erkannte sie ihn. Vor Erleichterung wurde ihr schwindlig. „Alex!“

Wenn sie geglaubt hatte, in Sicherheit zu sein, sah Carrie sich getäuscht. Alex presste sie an sich und küsste sie heftig.

„Wenn du wie eine Zigeunerin barfuß durch die Nacht läufst, musst du die Konsequenzen tragen“, keuchte er danach und bemächtigte sich erneut ihres Mundes.

Carrie konnte sich nicht wehren – wollte es auch gar nicht. Wie von selbst öffneten sich ihre Lippen. Nach diesem zweiten Kuss war ihr so heiß, dass ihr das Kleid am Körper klebte.

Trunken von einem Verlangen, das sie nicht verstand, ließ sie es geschehen, dass Alex ihre nackte Brust küsste. Hatte sie ihm geholfen, die Träger ihres Kleides über die Schultern zu streifen? Sie wusste es nicht, und es war ihr auch gleichgültig. Die Hitze seiner Leidenschaft und Carries eigene Erregung ließen keinen Platz für Scham.

Carrie stöhnte auf, als Alex’ Lippen sich den ihren wieder näherten – und plötzlich geschah es: Sie brach in Tränen aus. Sie weinte aus Ärger, aus Enttäuschung und vor allem deshalb, weil es sie unendlich nach diesem Mann verlangte, der den Moment ihrer Schwäche ausgenutzt hatte.

„Das hättest du nicht tun dürfen“, schluchzte Carrie.

„Und du dürftest nachts nicht hier herumlaufen“, sagte er barsch und schob sie ein Stück von sich. „Was machst du hier, Carrie?“

„Ich … ich bin spazieren gegangen“, stotterte sie, „und … und fand auf einmal nicht mehr zurück. Dann hörte ich plötzlich etwas und hatte solche Angst …“ Ihr Gesicht war tränenüberströmt. Bei dem Gedanken, was beinahe geschehen wäre, erfasste sie Entsetzen. Ungeschickt versuchte sie, ihr Kleid wieder hochzuziehen. Alex half ihr, doch als er dabei ihre bloße Haut berührte, begann Carrie heftig zu zittern.

„Ist dir kalt, oder sind das Nachwirkungen des Schocks?“ Seine Stimme klang fast wieder normal.

„Schock“, flüsterte Carrie. In dem Augenblick, als sein Körper ihren berührte, hatte sie eine Erregung erlebt, die Howards Zärtlichkeiten nie hatten hervorrufen können. Jetzt schämte sie sich, denn Alex musste klar sein, was sie empfunden hatte.

„Bist du schockiert, dass wir beinahe zu weit gegangen wären und uns hier mitten auf dem Weg geliebt hätten?“

Erschrocken fuhr Carrie zurück. In Worte gefasst, klang es noch schlimmer. Sie lehnte sich gegen eine Hauswand und stützte sich an dem groben Mauerwerk ab. „Es ist aber nicht geschehen.“

„Aber es hätte sehr leicht passieren können, Carrie, und das gibt mir zu denken.“

„Was … was meinst du damit?“

„Du bist verlobt, oder hast du das vergessen?“, fragte er leise. „Ein ziemlich eigenartiges Verhalten für eine Frau, die einen anderen liebt. Oder war das das Problem? Hast du dabei an ihn gedacht und dich nach ihm gesehnt? Hat deine ungestillte Sehnsucht dich hinaus in die Nacht getrieben? Wenn du nicht ausgerechnet mich getroffen hättest, wäre dir jeder andere recht gewesen?“

„Du gemeiner Kerl!“ Auf einmal war ihr schlecht. Sie wandte sich ab und flüchtete.

„Nimm den weißen Wagen aus dem Wagenpark.“ Alex legte einen Autoschlüssel auf Carries Schreibtisch. „Du wirst ein Auto brauchen. Eines der Mädchen wird dir sagen, wo du am besten einkaufen kannst. Ich glaube, etwas weiter unten an der Küste ist ein großer Supermarkt.“ Damit ging Alex in sein Büro zurück und machte die Tür hinter sich zu.

Tagsüber Drayton, nachts Dracula. Carrie hatte es davor gegraut, Alex gegenüberzutreten. Halb und halb hatte sie sogar mit ihrer Entlassung gerechnet. Doch er hatte den Vorfall der vergangenen Nacht nicht erwähnt und es Carrie dadurch etwas leichter gemacht. Wenn er im Stande war so zu tun, als sei nichts passiert, konnte sie das auch. Sie waren einfach beide zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Carrie begann, konzentriert zu arbeiten.

Zehn Minuten später erschien Howard in ihrem Büro. „Guten Morgen, Carrie. Sie heißen doch Carrie, nicht wahr? Ich möchte den Boss sprechen.“

Carrie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick, den er mit einem herablassenden Grinsen quittierte.

Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Alex Howard sehen wollte – sie lernte schnell –, führte sie ihren Exverlobten ins Allerheiligste.

„Würden Sie uns bitte zwei Kaffee machen, Carrie?“, sagte Alex.

Diese Arbeit delegierte Carrie. Hausfrauliche Pflichten hatten noch nie zu ihrem Aufgabengebiet gehört, und sie sah keinen Grund, jetzt damit anzufangen. Allerdings ließ sie sich dazu herab, das Tablett hineinzutragen, das eine junge Mitarbeiterin ihr brachte. Alex und Howard waren in Verkaufszahlen vertieft und nahmen Carrie kaum wahr.

„Was machst du denn da?“ Eine Stunde, nachdem Howard gegangen war, ohne von Carrie Notiz zu nehmen, kam Alex aus seinem Büro. Er stellte sich hinter sie und schaute auf den Computerbildschirm. „Ist das alles nötig?“

„In deiner Ablage herrscht ein schreckliches Durcheinander. Wenn ich überhaupt etwas finden will, muss ich System hineinbringen.“

„Das bedeutet also, dass du bleibst“, meinte Alex.

Carrie hielt den Blick fest auf den Bildschirm gerichtet.

„Nach gestern Nacht erwartest du vermutlich, dass ich kündige“, sagte sie ausdruckslos und drückte auf die Speichertaste. „Aber ganz gleich, was du denkst – ich bin weder ein dummer, kleiner Teenager noch eine wilde Zigeunerin.“

Alex drehte ihren Stuhl und sah Carrie ins Gesicht. Alex’ warmer Atem war wie eine sinnliche Erinnerung an die vergangene Nacht. „Eis bei Tag, Feuer bei Nacht. Du bist eine rätselhafte Frau, weißt du das?“

Carrie hätte beinahe gelacht, als sie an den Vergleich dachte, den sie für ihn gezogen hatte. Sie schaute auf seinen Mund. Ob diese Lippen auch zu sanften Zärtlichkeiten fähig waren? Sie hatte sie bis jetzt nur heftig und fordernd erlebt.

„Du hast das, was gestern Nacht passiert ist, falsch ausgelegt. Ich hatte solche Angst, dass ich einfach in deine Arme gefallen bin. Eine solche Situation wird sich nicht wiederholen.“

„Willst du mich herausfordern, dir das Gegenteil zu beweisen? Wenn ja, solltest du das ganz schnell vergessen. Ich spiele nicht.“

„Dann schlage ich vor, dass du den Spielplatz verlässt“, entgegnete Carrie brüsk und wollte sich wieder umdrehen, doch er hielt die Stuhllehne fest.

„Ich möchte wissen, wo dein Verlobungsring geblieben ist.“

„Ich habe vergessen, ihn nach dem Duschen wieder überzustreifen“, log Carrie.

„So ein Zufall“, spottete er und ging in sein Büro.

4. KAPITEL

Kurz nach zwei erschien Alex Drayton in Carries Büro.

„Die Siesta fallt heute aus“, erklärte er. „Wir gehen auf den Golfplatz.“

„Ich wusste gar nicht, dass wir einen haben“, erwiderte Carrie und folgte Alex. In den Plänen hatte sie nichts gesehen, was einem Golfplatz auch nur entfernt ähnelte.

„Haben wir auch nicht, aber das wird sich bald ändern. Die Japaner sind ganz wild auf Golf.“

Sie kam nicht dazu, Fragen zu stellen, denn Alex war bereits draußen angelangt und hielt die Beifahrertür seines Wagens auf. Carrie stieg ein und zog gerade ihren blauen Jeansrock zurecht, als sie jemanden in den Fond steigen hörte.

„Trifft Enrique uns auf der Baustelle?“, fragte Alex, bevor er sich auf den Fahrersitz schob und den Motor anließ.

„Enrique samt John Summer. Enrique hat ihn in Marbella aufgespürt – natürlich auf dem Green. Er hat den Hubschrauber nach ihm geschickt.“

Carrie kannte die Stimme. Sie saß stocksteif da und starrte ins Leere. Für sie war es schwer erträglich, mit Alex und Howard auf engem Raum eingesperrt zu sein und sie über Geschäfte reden zu hören. Wie lange konnte sie die Komödie wohl weiterspielen, dass sie und Howard sich noch nie begegnet waren?

Alex überquerte eine Hauptverkehrsstraße und fuhr in die Berge. Der schmale Schotterweg wand sich in engen Serpentinen bergauf durch Nadelwälder, die einen würzigen Duft ausströmten. Es überraschte Carrie, wie grün und fruchtbar das Land hier war, denn hinter den Vorbergen erhob sich die raue Sierra Nevada.

An der Stelle, wo der Weg in einen steilen Pfad überging, hielt Alex an.

„Dort hinauf müssen wir zu Fuß“, erklärte er Carrie.

Kurz darauf kam ein Landrover hinter dem Mercedes zum Stehen. Zwei Männer stiegen aus. Der kleinere von beiden stellte er als John Summers vor, einen riesigen Amerikaner mit einer Zigarre, auf dessen weitem grünem Hemd sich grellbunt aufgedruckte Paradiesvögel tummelten.

Es fiel Carrie schwer, ihre Erheiterung zu verbergen.

„Ich kann mir vorstellen, was du jetzt denkst“, meinte Alex leise, der neben Carrie ging. „Aber Summers hat einige der berühmtesten Golfplätze der Welt angelegt. Golf ist sein Leben.“

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. „Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich sehe, wie erwachsene Männer einen Ball in ein Loch im Boden schlagen.“

„Lass den grünen Riesen solche ketzerischen Bemerkungen ja nicht hören. Er sieht so aus, als könne er aus viel nichtigerem Grund morden.“

Carrie warf ihm einen Seitenblick zu. Alex lächelte, ein betörendes Lächeln, das seine ebenmäßigen weißen Zähne sehen ließ.

„Eines Tages, Carrie, gehe ich mit dir auf den Golfplatz und lehre dich die Kunst und die Freude, das Holz in der Hand zu halten und die Kugel zu ihrem Ziel zu führen.“

Carrie stockte der Atem. War Alex eigentlich klar, was er da gesagt hatte? Vor Schreck stolperte sie und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Alex’ leises Lachen bewies ihr, dass er es sehr wohl wusste.

„Alex, ich würde sagen, dass Sie hier ein Stück vom Paradies erworben haben!“, brüllte John Summers, der eine Lichtung erreicht hatte. „Ich rieche, dass hier Wasser drunter ist. Wir brauchen nur einige Löcher zu bohren, um die natürlichen Vorkommen zu nutzen. Die Naturschützer werden also keinen Grund zur Klage haben.“ Er lachte wiehernd, und Carrie verzog das Gesicht. „Wir tragen einfach die Spitze von diesem Berg ab. Das wird genauso einfach sein, wie ein weiches Ei zu köpfen …“

Sie hatte genug gehört, ging in den Schatten, setzte sich auf eine umgestürzte Kiefer und streifte die Sandaletten ab.

Howard stellte sich neben Enrique, der John Summers’ Ausführungen fasziniert lauschte.

Carrie sah, dass Alex ihr ein Zeichen machte, sie solle mitschreiben, was John Summers sagte, und sie füllte dann Seite um Seite auf ihrem Block mit Notizen.

Auf dem Rückweg zu den Autos ergab es sich, dass Carrie wieder neben Alex ging.

„Ist das alles wirklich ernst gemeint?“, fragte sie. „Soll hier oben tatsächlich ein Golfplatz entstehen?“ Sie deutete auf die Täler, die tief eingeschnittenen Wasserläufe und die Hügelkuppe, die John Summers einfach abtragen wollte.

„Reicht denn deine Fantasie nicht so weit, dass du dir hier Greens, Fairways und Sandgruben vorstellen kannst?“

„Ich fürchte, nein“, erwiderte Carrie frostig. „Ehrlich gesagt, ich finde den Gedanken erschreckend. Ein Golfplatz hier oben würde die herrliche Landschaft ruinieren.“

Alex lachte. „Das habe ich mir selbst zuzuschreiben. Schließlich habe ich dich aufgefordert, deine Meinung offen zu äußern. Also los, lass auch den Rest hören.“

Carrie blieb stehen. „Warum? Es würde ja doch keinen Unterschied machen. Du wirst deinen Plan durchführen, ganz gleich, was ich sage.“

Er hielt ebenfalls inne. Der Wind hatte ihm einige dunkle Haarsträhnen in die Stirn geweht. „Du hast recht, an dem Projekt wird sich nichts ändern. Aber mir ist es wichtig zu wissen, was du denkst.“ Er steckte die Hände in die Taschen seiner hellen Leinenhose. „Nun komm schon. Lass den Standpunkt der Ökologen hören.“

Sich auf die Lippe beißend, wandte Carrie sich ab. Rücksichtslos. Das war das passende Wort für Alexander Drayton. Er würde buchstäblich Berge versetzen, um Geld zu verdienen.

„Carrie.“

Trotzig sah sie ihn an.

Er hob die Hand und strich Carrie eine Haarsträhne hinters Ohr. Die Berührung hatte eine katastrophale Wirkung auf Carries Sinne.

„Ich weiß, was du denkst, aber du irrst dich“, sagte Alex.

Sie blickte über seine Schulter auf die bewaldeten Hänge. Weit unten in der türkisfarbenen Bucht lag der Segelhafen in der Sonne. „Ist es wirklich falsch, so etwas bewahren zu wollen?“

Alex hatte nur einen flüchtigen Blick für die herrliche Szenerie übrig. „Das wird alles noch da sein, wenn der Golfplatz angelegt ist.“

„Aber das nicht.“ Carrie deutete auf die Bäume, die blühenden Ginsterbüsche, die Büschel wilden Rosmarins.

„Das stimmt, doch an seine Stelle wird etwas ebenso Schönes treten. Dass etwas neu ist, heißt nicht, dass es hässlich sein muss.“

„Trotzdem …“ Auf einmal war sie ihrer Sache nicht mehr so sicher.

„Was denn?“

Sie lächelte leicht und blickte zu ihm auf. „Muss es denn unbedingt ein Golfplatz sein?“

Er lächelte ebenfalls. Im durch die Zweige gefilterten Sonnenlicht wirkte sein Gesichtsausdruck weicher als sonst. „Grün, ich liebe dich, Grün. Grüner Wind. Grüne Zweige“, zitierte Alex leise.

Ihr Herz pochte heftig. Diese Seite an ihm war noch gefährlicher als die Aggressivität, mit der sie, am Abend zuvor Bekanntschaft gemacht hatte. Verwirrt schaute Carrie weg.

„Ich glaube nicht, dass der Dichter Lorca an das achtzehnte Loch dachte, als er das schrieb.“ Sie sprach gewollt sarkastisch, um das gefährliche Netz zu zerstören, das sich über ihr zusammenzuziehen schien.

„Du hältst es also für einen Fehler, anstelle eines sterbenden Nadelwaldes einen Golfplatz anzulegen?“

Aufmerksam betrachtete sie die Bäume am Wegrand. „Sterbender Nadelwald? Davon sehe ich nichts.“

„Dann komm einmal mit.“ Er griff nach ihrer Hand, zog Carrie ein Stück vom Pfad fort und deutete auf den gegenüberliegenden Hang, wo über die Hälfte der Tannen kahl zum Himmel ragten. Einige waren sogar umgestürzt. „Nichts lebt ewig, Carrie“, erklärte Alex, ohne sie loszulassen.

Sie schaute in die angegebene Richtung, doch die Landschaft verschwamm vor Carries Blick.

Weshalb habe ich nur das Gefühl zu verbrennen, wenn Alex in der Nähe ist? fragte Carrie sich. Am liebsten wäre sie weggelaufen, durch den Wald bis hinunter zu der Wasserstelle, die durchs Dickicht schimmerte. Davongelaufen wie eine wilde Zigeunerin …

„Man könnte den Wald doch wieder aufforsten“, sagte Carrie ziemlich atemlos.

„Das wird auch geschehen. Außerdem werden neue Lebensräume für Wildtiere und Pflanzen geschaffen werden.“

„Damit reiche Touristen Bälle in Löcher schlagen können.“ Sie befreite sich aus seinem Griff und stieg wieder zum Weg empor.

Alex folgte ihr. „Vom Tourismus hängen in Spanien fast anderthalb Millionen Arbeitsplätze ab. Die jährlichen Einnahmen betragen über siebzehn Milliarden Dollar. Einer von neun Spaniern lebt vom Tourismus, und das nicht schlecht …“

Hier sprach Alexander Drayton, der Finanzier. Carrie wusste natürlich, dass er recht hatte. Im Grunde war sie nun selbst überzeugt, dass der fertige Golfplatz sich gut in die Umwelt einfügen würde. Heutzutage lag der Naturschutz selbst Politikern und Geschäftsleuten am Herzen. Weshalb hatte sie also dagegen argumentiert, obwohl sie nicht daran zweifelte, dass das Vorhaben vom ökologischen Standpunkt aus akzeptabel war? Alex mochte rücksichtslos ein, aber wer Lorca so zitieren konnte …

Wahrscheinlich liegt es daran, dachte sie. Alexander Drayton erweist sich als vielschichtige Persönlichkeit, und ich will die Seite an ihm, die nicht hart und unerbittlich ist, nicht wahrhaben.

Es war besser, man klammerte sich an etwas, das man verachten konnte. Schlimm genug, dass sie sich körperlich zu ihm hingezogen fühlte. Auf keinen Fall durfte sie der Versuchung nachgeben. Alex hatte bereits eine Freundin – Adela. Und zudem wollte sie, Carrie, sich nach der Enttäuschung mit Howard nicht noch einmal auf eine riskante Beziehung einlassen.

Howard lehnte lässig an der Kühlerhaube von Alex’ Auto, als sein Chef und Carrie aus dem Wald kamen. Sofort nahm Howard Haltung an, eine Geste, die Carrie ärgerte. Auch sein finsterer Gesichtsausdruck gefiel ihr nicht.

„Was ist denn los mit dir?“, fragte sie. Dass Alex sie hören könnte, war nicht zu befürchten, denn er war vollauf mit Enrique und dem dicken Amerikaner beschäftigt.

„Ihr habt euch ja ziemlich viel Zeit gelassen“, zischte Howard. „Hat Drayton etwa versucht, mit dir anzubändeln?“

Carrie schloss kurz die Augen. „Nein, das hat er nicht“, erwiderte sie. „Wir haben über den neuen Golfplatz gesprochen.“

Howard antwortete nicht. Als Alex ihm ein Zeichen machte, lief er eilfertig los. Carrie konnte ihn dann förmlich hören. Ja, Sir, nein, Sir, selbstverständlich, Sir …

Sie biss sich auf die Lippe. So etwas war nicht nett. Howard tat sein Bestes.

Beim Mittagessen in der Pizzeria der Marina del Oro erfuhr Carrie, dass Alexander Drayton Howards Leistungen auch zu schätzen wusste.

„Howard ist drauf und dran, den Verkaufsschlager des Jahres zu landen“, erklärte Alex Carrie und nickte Howard zu. „Er steht kurz vor einem Vertragsabschluss mit einem japanischen Automobilhersteller. Die Firma war an zwanzig Einheiten zu Investitionszwecken interessiert. Howard hat sie dazu überredet, vierzig zu nehmen.“

„Und als Gegenleistung für die Japaner legst du einen Golfplatz an“, meinte Carrie. „Mir kommt das nicht besonders kosteneffektiv vor.“

Beide Männer blickten sie überrascht an.

„Du hast teilweise recht, Carrie“, sagte Alex schließlich ruhig. In dem Blick, mit dem er sie betrachtete, lag etwas, was vorher nicht da gewesen war. „Die Gewinne der vierzig Einheiten decken die Kosten des Golfplatzes natürlich nicht, aber für den Anfang sind diese Gewinne trotzdem beachtlich. Nun liegt es an Howard und seinem Team. Sie haben mit Japan einen sehr lukrativen Markt aufgetan, und da die Japaner ganz besessen von Golf sind, werden wir ihnen einen Golfplatz bauen. Die langfristigen Aussichten sind ungeheuer.“

Während Alex und Howard weiter über die berauschenden Aussichten redeten, schwieg Carrie. Nebenbei erfuhr sie, dass gegen Monatsende eine Gruppe Japaner erwartet wurde. Anschließend würde Alex nach Genf fliegen. Zum ersten Mal wünschte sie, sie könnte nach Hause zurückkehren.

Nachdem sie ihre Pizza nur zur Hälfte geschafft hatte, schob Carrie ihren Teller zurück und verabschiedete sich von den beiden Männern, deren Gespräche sich nun um andere geschäftliche Dinge drehten. Sie ging in ihr Büro, holte die Autoschlüssel, die Alex ihr gegeben hatte, und suchte sich den dazu passenden Wagen auf dem Parkplatz.

Ohne Schwierigkeiten fand sie den Supermarkt im Nachbarort und verbrachte eine vergnügliche halbe Stunde damit, sich mit spanischen Lebensmitteln vertraut zu machen. Schon auf dem Weg nach Hause, freute sie sich auf eine heiße Tasse Tee.

„Oh nein!“, stöhnte Carrie, als kurz darauf Funken aus dem Schalter des elektrischen Wasserkessels stoben. Gleichzeitig wurde es stockfinster in der Küche.

Carrie blieb eine Weile stehen, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, und tastete sich dann zu den Lichtschaltern in den anderen Zimmern. Nichts. Offenbar betraf der Kurzschluss die ganze Wohnung. Oder war der Strom überhaupt ausgefallen?

Die Frage konnte nur der einzige andere Bewohner des Hauses beantworten. Carrie hatte Alex seit dem Mittagessen in der Pizzeria nicht mehr gesehen. Er hatte kurz nach sechs im Büro angerufen und Carrie mitgeteilt, dass er erst später am Abend zurückkommen würde. Ob er inzwischen wieder da war?

Nach kurzem Zögern stieg sie die Treppe in den ersten Stock hoch. Als sie sich der Tür näherte, hörte Carrie Musik. Zaghaft klopfte sie.

Ein paar Sekunden später öffnete Alex. Auf die Reaktion ihrer Sinne auf seinen Anblick war sie nicht vorbereitet. Sein durchtrainierter Körper füllte den Türrahmen beinahe aus. Das dunkle Haar war zerzaust, als sei Alex mit den Fingern hindurchgefahren, unter dem weit aufgeknöpften Hemd war seine muskulöse Brust zu sehen. Er roch nach einem herben Rasierwasser, das gut zu seinem dunklen Typ passte. Die Musik im Hintergrund zählte zu Carries Lieblingsstücken – das Intermezzo aus „Cavalleria Rusticana“.

„Das Licht ist aus … nicht hier, bei … bei mir“, stotterte sie. „Ich habe den Schalter des Kessels betätigt, und zisch! … Funken stoben …“

Alex lächelte, trat zurück und winkte sie herein. „Das ist wirklich eine Katastrophe.“ Sie fragte sich, ob er es ernst meinte oder sich über sie lustig machte. „Mach es dir bequem, während ich nach einer Taschenlampe suche.“

Er verschwand in der Küche. Carrie schaute sich um. Das Apartment war keineswegs luxuriös ausgestattet, sondern genauso eingerichtet wie ihres. Den einzigen Unterschied bildeten eine moderne Telefonanlage auf einem Bord an der Wand und eine Stereoanlage in der Ecke.

Offenbar hatte Alex noch gearbeitet, denn auf dem Esstisch und am Boden lagen Akten. Die Balkontür stand offen, und ein plötzlicher Windstoß drohte einige lose Papiere durcheinanderzuwirbeln. Um die Tür zu schließen, ging Carrie rasch hinüber. Und dann krampften sich ihre Finger um die Klinke. Der Tisch auf dem Balkon war für zwei gedeckt. Carrie sah zwei edle Kristallkelche und eine Flasche Champagner auf Eis. Alex erwartete jemanden, und sie erriet sofort, wen.

„Es tut mir leid“, entschuldigte sie sich kleinlaut, als er wieder im Wohnzimmer erschien. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass du Besuch bekommst … Unter diesen Umständen möchte ich dich nicht stören. Wir können die Leitungen auch morgen früh überprüfen.“

„Adela kommt erst später, und ich möchte nicht, dass du die ganze Nacht ohne Strom bist.“ In einer Hand hielt er eine starke Stablampe, in der anderen verschiedene Küchenmesser.

Autor

Anne Weale
Jay Blakeney alias Anne Weale wurde am 20. Juni 1929 geboren. Ihr Urgroßvater war als Verfasser theologischer Schriften bekannt. Vielleicht hat sie das Autorengen von ihm geerbt? Lange bevor sie lesen konnte, erzählte sie sich selbst Geschichten. Als sie noch zur Schule ging, verkaufte sie ihre ersten Kurzgeschichten an ein...
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