Romana Gold Band 62

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PORTUGIESISCHE LIEBESNÄCHTE VON KAY THORPE
„Du bist der letzte Mann auf Erden, den ich jemals heiraten würde!“ Wütend hat Leonie ihm dies an den Kopf geworfen – und noch immer erregen diese Worte Vidal Dos Santos‘ Zorn. Aber jetzt, zwei Jahre später, hat die temperamentvolle Rothaarige keine andere Wahl: Sie muss seine Frau werden! Denn nur er kann Leonies Vater vor dem Gefängnis bewahren …

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  • Erscheinungstag 09.04.2021
  • Bandnummer 62
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503280
  • Seitenanzahl 444
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Kay Thorpe, Catherine George, Margaret Mayo

ROMANA GOLD BAND 62

1. KAPITEL

Wenigstens hatte er sich nicht von vornherein geweigert, sie zu empfangen, obwohl ihm natürlich klar sein musste, warum sie hier war. Leonie bemühte sich um ein ausdrucksloses Gesicht, während sie sich nur allzu deutlich der neugierigen Blicke der Mitarbeiter bewusst war. Vidals Ankunft zusammen mit der Abwesenheit ihres Vaters dürfte einige Spekulationen verursacht haben, aber sie bezweifelte, dass bereits alle Fakten bekannt waren.

Voller Anspannung wartete sie darauf, in das Büro vorgelassen zu werden, denn sie fürchtete sich vor dem Moment der Konfrontation. Es war zwei Jahre her, dass sie den Mann gesehen hatte, den sie um ihres Vaters willen um Nachsicht bitten wollte. Zwei Jahre, seit sie ihm ins Gesicht geschleudert hatte, dass er der letzte Mann wäre, den sie jemals heiraten würde. Wenn er ihr diese Zurückweisung immer noch nachtrug, dann standen ihre Chancen, dass er ihrer Bitte nachgab, mehr als schlecht, aber sie musste es zumindest versuchen.

Die Frau, die am Schreibtisch der Sekretärin ihres Vaters saß, war ihr unbekannt, doch sie erinnerte sich daran, dass er vor einem Monat erwähnt hatte, dass es einen Wechsel gegeben hatte. Die Frau blickte Leonie mit unverhohlener Neugier an, während sich die Gegensprechanlage einschaltete. „Sie können jetzt hineingehen“, sagte sie.

Leonie stand auf und stählte sich innerlich gegen das, was sie erwartete. Es würde sie nicht wundern, wenn er sie innerhalb weniger Minuten hochkant wieder hinauswarf.

Das Büro ihres Vaters war groß und hell und bot einen wunderbaren Blick über den Fluss. Vidal Parella Dos Santos lehnte lässig an der Fensterbank. Er trug einen silbergrauen Anzug von makellosem Schnitt, der die muskulösen Formen seines Körpers hervorragend zur Geltung brachte. Für einen endlos langen Moment blickte er sie schweigend an, wobei seine wie in Granit gemeißelten Züge absolut nichts preisgaben.

„Du hast dich kaum verändert“, bemerkte er schließlich in seinem perfekten Cambridge-Englisch. „Aber das ist bei deinem Aussehen auch nicht zu befürchten.“ Er deutete auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch. „Nimm doch bitte Platz.“

„Ich stehe lieber“, entgegnete Leonie. Sie holte tief Luft und begegnete dem Blick aus seinen dunklen Augen. „Ich bin sicher, dass ich dir nicht sagen muss, was ich von dem halte, was mein Vater getan hat. Er hat dein Vertrauen missbraucht, und er verdient es, den Preis dafür zu zahlen.“

„Aber?“, hakte Vidal nach, als sie zögerte.

„Das Gefängnis würde ihn umbringen“, gestand sie.

Er hob eine Augenbraue. „Was schlägst du also vor? Soll ich ihm durchgehen lassen, dass er Gelder veruntreut hat?“

Leonie bemühte sich krampfhaft darum, einen kühlen Kopf zu bewahren. „Ich bitte dich, ihm Zeit zu geben, die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Er kann seine Schulden bei dir zurückzahlen, indem er eine Hypothek auf sein Haus aufnimmt.“

„Und wie soll er eine Hypothek bekommen, wenn er nicht mal einen Job hat?“ Das Lächeln, das sich auf seinen harten Zügen abzeichnete, wirkte beinahe belustigt. „Du erwartest also, dass ich ihm auch noch seine Stelle wiedergebe?“

„Er wird kaum einen anderen Arbeitsplatz finden, wenn du Anzeige erstattest“, erklärte sie. „Was auch bedeutet, dass er niemals in der Lage sein wird, das Geld zurückzuzahlen. Natürlich müsste es eine weniger verantwortungsvolle Position sein.“

„Eine, bei der er in Zukunft keine Chance mehr hat, Gelder zu unterschlagen, meinst du?“

Leonie riss sich zusammen. Ihr war klar, dass er sie provozieren wollte. „Es ist sinnvoller, als ihn in eine Zelle zu stecken.“

Vidal betrachtete ihr ungewöhnlich schönes Gesicht, das von leuchtend tizianrotem Haar eingerahmt wurde, dann ließ er seinen Blick über ihren verführerischen Körper gleiten. Trotzig hob sie das Kinn, während ihre grünen Augen Feuer sprühten. Sie war immer noch da: die Gier, die sie in der Vergangenheit so wütend gemacht hatte. Dieser Mann war es gewohnt, das zu bekommen, was er haben wollte. Als sie seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte, war seine erste Reaktion Ungläubigkeit gewesen. Als sie dann noch Beleidigungen hinzugefügt hatte, hatte er kalten Zorn gezeigt.

„Hat dein Vater dich geschickt, um für ihn zu betteln?“, fragte Vidal jetzt.

Sie schüttelte den Kopf. „Es war meine Idee. Ich billige nicht, was er getan hat, aber ich will verhindern, dass er ins Gefängnis muss. Aber es ist selbstverständlich, dass er in Zukunft nicht mehr spielen wird.“

Es entstand eine unangenehme Pause. Leonie wünschte, sie wüsste, was in Vidals Kopf vor sich ging. Aber sie war immer noch hier. Das allein machte ihr etwas Hoffnung.

„Du glaubst, dass er unter den gegebenen Umständen bereit ist, weiter hier zu arbeiten?“, fragte er gedehnt. „Bislang kennt nur eine weitere Person die Wahrheit, aber selbst wenn ich diese zu Verschwiegenheit verpflichte, wird es Spekulationen geben.“

Ohne es zu wissen, hatte Leonie den Atem angehalten, den sie nun langsam losließ. „Damit muss er leben. Das ist ein Teil des Preises.“

Vidal stieß sich von der Fensterbank ab. Ein Meter neunzig voller vitaler portugiesischer Männlichkeit. „Ich brauche Bedenkzeit“, erklärte er. „Ich werde dir meine Antwort heute Abend geben. In meiner Suite.“ Er schüttelte den Kopf, als sie den Mund öffnen wollte, um zu protestieren. „Acht Uhr. Es sei denn, du willst das Ganze jetzt und hier regeln.“

Sie wusste genau, was das bedeutete: Wenn sie ihr Ziel erreichen wollte, dann würde auch sie den Preis dafür zahlen müssen.

Leonie machte keinen Hehl aus ihrer Verachtung, während sie ihn anschaute. „Ich schätze, ich hätte damit rechnen müssen.“

Er zuckte kurz die Schultern. „Ich habe eine gewisse Wiedergutmachung verdient, aber die Entscheidung liegt ganz bei dir.“

Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich um und verließ das Büro. Sie erreichte die Aufzüge, ohne nach rechts oder links zu schauen, und drückte den Knopf. Gott sei Dank war der Fahrstuhl leer, als er ankam. Sie hätte es im Moment nicht ertragen, fragenden Blicken ausgesetzt zu sein.

Eines war sicher: An diesem Abend würde er ihr keinen zweiten Heiratsantrag machen. Vidal würde es darauf anlegen, sie zu demütigen, so wie sie es zwei Jahre zuvor mit ihm getan hatte. Unwillkürlich wanderten ihre Gedanken zu dem Mann, den sie gerade verlassen hatte.

Vidal Parella Dos Santos galt mit seinen fünfunddreißig Jahren bereits als einer von Europas führenden Industriellen. Er war in die portugiesische Aristokratie hineingeboren worden und hätte sein Leben auf jede erdenkliche Weise vertändeln können. Leonie war ihm zum ersten Mal begegnet, kurz nachdem ihr Vater zum Chefbuchhalter des Londoner Zweigs des Unternehmens aufgestiegen war. Sie musste zugeben, dass sie sich zunächst zu ihm hingezogen gefühlt hatte. Was sie allerdings gegen ihn eingenommen hatte, war seine arrogante Annahme, dass alle Frauen ihm zu Füßen liegen müssten. Es war ein Schock gewesen, als ihre Weigerung, mit ihm zu schlafen, dazu geführt hatte, dass er ihr einen Heiratsantrag machte. Aber Leonie war klug genug gewesen, sich keinen falschen Hoffnungen hinzugeben. Alles, was er sah und begehrte, war die äußere Hülle. Er hatte keine Ahnung, was für ein Mensch sie wirklich war, und er wollte es auch nicht wissen. Sobald er ihrer müde geworden wäre, hätte er sie fallen lassen, genau wie die zahlreichen anderen Frauen in seinem Leben.

Ihr Vater ahnte nichts von dem Antrag. Seit ihre Mutter vor vier Jahren gestorben war, hatte er sich nur noch für seine Arbeit interessiert – oder zumindest hatte sie das geglaubt. Wann genau er der Spielsucht verfallen war, wusste sie nicht. Jedenfalls hatte er genug Zeit gehabt, um achtzigtausend Pfund Firmengeld zu veruntreuen. Wie bei den meisten Spielern waren seine Verluste wesentlich höher gewesen als seine Gewinne.

Aber er würde nicht ins Gefängnis gehen, schwor sie sich. Vidal sollte seine Rache bekommen, wenn es das war, worum es ihm ging.

Es war schon nach vier, als sie das Haus in Northwood Hills erreichte, das sie zusammen mit ihrem Vater bewohnte. Leonie war sechsundzwanzig und verdiente ein anständiges Gehalt, sodass sie sich ohne Weiteres eine eigene Wohnung hätte leisten können, zur Miete allemal, aber er wollte sich nicht verkleinern. Außerdem brachte sie es nicht über sich, ihn in dem großen Haus seiner Einsamkeit zu überlassen. Wenn es allerdings hart auf hart kam, würde ihm ohnehin nichts anderes übrig bleiben, als das Haus zu verkaufen.

Stuart Baxter saß mit einer Tasse Kaffee am Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer und blickte niedergeschlagen auf, als sie eintrat. Er hatte ganz ähnlich ausgesehen, als er ihr am Abend zuvor die Wahrheit gestanden hatte.

„Ich habe immer noch nichts gehört“, flüsterte er tonlos. „Jede Minute rechne ich damit, dass die Polizei vor der Tür steht.“

„Vielleicht wird es nicht dazu kommen.“ Leonie tat ihr Bestes, um optimistisch zu klingen. „Ich habe Vidal aufgesucht. Natürlich ist er nicht gerade erfreut über die ganze Geschichte, aber die Chancen stehen nicht schlecht, dass er keine Anzeige erstatten wird. Es könnte sogar sein, dass er dich weiterhin beschäftigt, damit du das Geld zurückzahlen kannst, das du genommen hast.“

Stuart starrte sie stumm an. Seine Miene spiegelte die wechselnden Emotionen wider, die ihn erfassten. „Wie in aller Welt hast du das geschafft?“, fragte er schließlich. „Du kennst den Mann doch kaum!“

Leonie biss sich auf die Lippe. „Ich habe an sein Mitgefühl appelliert.“

„Als ich ihn gestern gesehen habe, machte er nicht den Eindruck, so etwas zu besitzen.“ Stuart hielt inne, offensichtlich immer noch sprachlos. „Was genau hast du zu ihm gesagt?“

„Ich habe ihm versichert, dass du dir eher die Hand abhacken würdest, als noch einmal zu spielen“, antwortete sie. „Ich hoffe, damit habe ich nicht gelogen?“

Sein Lächeln hatte etwas Gezwungenes. „In dieser Hinsicht habe ich meine Lektion gelernt, glaub mir!“ Immer noch ungläubig, schüttelte er den Kopf. „Es ist mehr, als ich jemals zu hoffen gewagt hätte!“ Er zögerte, ehe er vorsichtig hinzufügte: „Ich nehme an, mittlerweile wissen alle Bescheid?“

„Offenbar nur eine weitere Person, obwohl es natürlich Gerede geben wird unter den anderen Mitarbeitern. Wie auch immer“, bemerkte Leonie tapfer, „es ist besser, sich den Gerüchten zu stellen, als ins Gefängnis zu gehen, oder?“

„Ja, natürlich. Glaub bitte nicht, ich wäre nicht dankbar!“ Er schüttelte erneut den Kopf. „Ich kann es kaum fassen, dass er keine Anzeige erstatten will, und noch viel weniger, dass er mich vielleicht weiterbeschäftigt! Hat er irgendetwas gesagt, wann er seine Entscheidung treffen wird?“

„Morgen früh solltest du Bescheid wissen“, entgegnete sie und verbot sich jeden Gedanken daran, dass ihr Ziel immer noch scheitern konnte.

Mit diesen Worten ließ sie Stuart allein und ging hinauf in ihr Schlafzimmer. Es war eine Erleichterung, für eine Weile allein zu sein. Um acht musste sie sich vollkommen im Griff haben und sich einzig und allein auf eine Sache konzentrieren – ihren Vater aus der Falle zu befreien, in die er sich selbst hineinmanövriert hatte. Das war allerdings leichter gesagt als getan, wenn sich alles in ihr gegen das sträubte, was sie dazu tun musste. Dennoch hatte sie keine andere Wahl. Vidals Stolz verlangte Genugtuung.

Obwohl sie ihn verachtete, konnte sie nicht leugnen, dass sie sich körperlich zu ihm hingezogen fühlte. Das hatte sie in dem Moment gespürt, als sie ihn wiedergesehen hatte. Sie würde ihre Gefühle unter eiserner Kontrolle halten müssen.

Um keinen falschen Eindruck zu erwecken, gab sie sich bei der Auswahl ihres Outfits keine besondere Mühe, sondern entschied sich für einen schlichten grauen Rock, eine weiße Bluse und ihre nüchternste Unterwäsche.

Vidal lebte in London, so wie in allen anderen wichtigen Großstädten, in einer permanent gemieteten Hotelsuite. Als sie vor dem eleganten Gebäude in Mayfair vorfuhr, kam sich Leonie wie eine Edelprostituierte vor. Und wenn man es genau betrachtete, gab es wirklich kaum einen Unterschied.

Da Leonie die Nummer seiner Suite bereits kannte, blieb es ihr wenigstens erspart, an der Rezeption danach fragen zu müssen. Mit klopfendem Herzen fuhr sie mit dem Lift in die obere Etage des Hotels, holte noch einmal tief Luft und klopfte dann gegen die solide Mahagonitür.

Vidal öffnete und hob beide Augenbrauen, als sie stumm auf dem Gang stehen blieb und wartete. Er trug jetzt Jeans und ein legeres Hemd und sah darin kein bisschen weniger beeindruckend aus als in einem Anzug.

„Pünktlich auf die Minute“, bemerkte er. „Komm herein.“

Die Tür stand zwar weit offen, dennoch war er ihr unangenehm nah, als sie an ihm vorbei in den Raum trat. Seit ihrem letzten Besuch war die Suite neu dekoriert worden – das war ihr erster, absolut irrelevanter Gedanke. Im Wohnbereich herrschten nun geschmackvolle Blau- und Grautöne vor.

„Hübsch“, urteilte sie, indem sie sich betont ungezwungen gab. „Der Designer hat gute Arbeit geleistet.“

„Für das, was ich ihm zahle, sollte er das auch“, kam es trocken zurück. „Aber du bist nicht hier, um über die Einrichtung zu reden.“

„Richtig.“ Leonie drehte sich zu ihm um und hasste ihn für das, was er sie zu tun zwang, und sie hasste sich selbst dafür, dass sie es tat. „Bevor hier irgendetwas zwischen uns passiert, verlange ich deine Zusicherung, dass meinem Vater nichts geschehen wird.“

Vidal kräuselte die Lippen. „Mein Wort würde dir reichen?“

„Seltsamerweise ja.“ Sie konnte nur hoffen, dass ihr Vertrauen in diesen Aspekt seines Charakters gerechtfertigt war.

Das verächtliche Lächeln verstärkte sich noch. „Dann sollst du diese Zusicherung natürlich haben. Vielleicht ein Drink, bevor wir essen?“

„Essen?“ Für einen Moment war sie vollkommen perplex. „Ich dachte …“

„Du dachtest, ich hätte nur die eine Sache im Kopf“, beendete er ihren Satz, als sie nicht weitersprach. In seinen dunklen Augen lag Abscheu. „Ich bekenne mich vieler Sünden schuldig, aber ich war noch nie stillos.“

„Wie sonst würdest du dieses … Arrangement nennen?“, konterte sie.

„Eine Sache von gegenseitigem Nutzen“, entgegnete er ungerührt. „Eine Hand wäscht die andere – sagt man nicht so bei euch?“ Er wartete nicht auf die Antwort. „Was kann ich dir anbieten?“

Sie wollte sein Angebot bereits dankend ablehnen, doch dann überlegte sie es sich anders. Falls Vidal tatsächlich bis zum Äußersten gehen würde, wäre sie gelassener, wenn sie etwas getrunken hätte. „Ich nehme einen Gin Tonic.“

Er deutete mit der Hand auf ein nahe stehendes Sofa. „Mach es dir bequem.“

Das, dachte sie bitter, war völlig unmöglich. Sie fühlte sich wie die sprichwörtliche Katze auf dem heißen Blechdach, während sie beobachtete, wie er zu einer kleinen Bar hinüberging und die Drinks mixte. Seine Bewegungen waren so geschmeidig wie die eines Panthers, und unter seinem Baumwollhemd zeichneten sich deutlich die festen Muskeln ab.

Nachdem er ihr den gewünschten Drink gereicht hatte, setzte er sich in einen Sessel ihr gegenüber.

„Nun, worüber sollen wir uns deiner Meinung nach unterhalten, bis unser Dinner kommt?“, fragte er. „Oder vielleicht sollte ich als Gastgeber die Unterhaltung eröffnen?“

„Das ist mir völlig egal“, entgegnete sie und bemühte sich, die Kontrolle zu wahren, die ihr zunehmend zu entgleiten drohte.

„Dann erzähl mir, wie dir deine Reise nach Paris im vergangenen Monat gefallen hat.“

Ihre grünen Augen weiteten sich vor Schreck über die unerwartete Frage. „Woher weißt du, dass ich in Paris war?“

„Ich habe es mir zum Anliegen gemacht, über all deine Aktivitäten in den vergangenen zwei Jahren Bescheid zu wissen“, gab er mit der größten Selbstverständlichkeit zurück. „Ich weiß zum Beispiel, dass es weder im Moment noch in der Vergangenheit eine ernsthafte Beziehung zu einem Mann gab.“

„Du hast mich beschattet?“ Im ersten Moment war sie zu perplex, um Wut zu verspüren.

Er neigte leicht den Kopf. „Ich würde eher sagen, dass ich Interesse gezeigt habe. Falls du dich ernsthaft mit jemandem eingelassen hättest, wäre es eine extrem kurze Affäre gewesen.“

„Oh, ich verstehe.“ Allmählich gewann der Zorn die Oberhand, und sie rutschte auf die äußerste Kante des Sofas vor. „Da ich die Unverschämtheit besessen habe, dir einen Korb zu geben, sollte es auch mir nicht gestattet sein, jemand anderen zu finden!“

„Richtig.“ In seinem Ton lag nicht die geringste Entschuldigung. „Hast du wirklich geglaubt, ich würde die Dinge, die du mir an den Kopf geworfen hast, einfach vergessen? Soll ich dich daran erinnern?“

Leonie biss sich auf die Lippe. Sie war damals weit über das Ziel hinausgeschossen, weil sie damit jeglicher Versuchung, seinen Antrag doch anzunehmen, zu widerstehen versuchte – sie wollte sozusagen alle Brücken hinter sich abreißen.

„Also gut, ich bin ein bisschen zu weit gegangen“, bemerkte sie steif. „Ich gebe es zu. Aber das ist keine Entschuldigung für dein Verhalten. Als Stalker geht man hierzulande ins Gefängnis.“

Vidal zuckte ungerührt die Achseln. „Da du selbst nicht einmal bemerkt hast, dass du beobachtet wurdest, kann ich mir kaum vorstellen, dass diese Anschuldigung irgendjemand ernst nehmen würde. Aber das ist mittlerweile auch völlig unerheblich. Ich habe eine andere Form der Wiedergutmachung gefunden.“

„Das Wort, nach dem du suchst, heißt Rache“, versetzte sie beherrscht. „Nicht besonders ehrenhaft!“

„Aber befriedigend.“ Vidal streckte sich, als ein Klopfen an der Tür zu hören war. „Das ist vermutlich unser Dinner.“

Der Kellner, der einen eleganten Rollwagen in den Raum schob, war äußerst zurückhaltend. Er servierte die mitgebrachten Speisen auf einem bereits gedeckten Tisch, ohne ein Wort zu sagen. Die Höhe des Trinkgeldes, das er von Vidal bekam, schien ihn aber mehr als zufriedenzustellen.

„Lass uns essen“, forderte Vidal sie auf, nachdem sich die Tür hinter dem Mann geschlossen hatte. „Wenn ich mich recht entsinne, magst du Meeresfrüchte sehr gern.“

Nichts lag Leonie im Moment ferner als der Gedanke an ein gemeinsames Dinner mit Vidal, aber sie würde auch nichts dadurch gewinnen, dass sie sich weigerte. Also stand sie auf und wunderte sich kein bisschen, dass ihre Beine zitterten, während sie zu dem Tisch hinüberging.

Das Menü war hervorragend, ganz wie erwartet, aber was Leonie betraf, so hätte sie auch auf Stroh kauen können. Vidal gestand ihr lediglich ein Glas Wein zu, indem er unverblümt äußerte, er wolle, dass sie all ihre Sinne bei sich behalte und nicht vorzeitig einschlafe.

Leonie verkniff sich eine beißende Antwort. Sie konnte schwören, nicht auf ihn zu reagieren, aber ihr Körper machte dieses Vorhaben ziemlich unwahrscheinlich. Sie konnte lediglich versuchen, so kalt wie möglich zu bleiben.

Das Menü endete mit einer Mousse au Chocolat, für die sie sich reichlich Zeit ließ. Doch irgendwann hatte sie den letzten Löffel gegessen, und so betrachtete sie Vidal über den Tisch hinweg mit sehr gemischten Gefühlen. Einerseits hasste sie den Gedanken an das, was nun kommen würde, andererseits erregte er sie auch.

„Lass es uns hinter uns bringen“, erklärte sie bitter. „Je eher ich von hier verschwinden kann, desto besser!“

Vidal verschränkte beide Hände hinter dem Kopf und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Sein Gesichtsausdruck wirkte ironisch. „Zeit spielt keine Rolle. Wir haben die ganze Nacht vor uns.“

Leonie hatte das zwar erwartet, doch das bedeutete nicht, dass sie es widerspruchslos hinnehmen musste. „Wenn es dir nur um meine Demütigung geht, musst du dir nicht solche Mühe machen“, entgegnete sie. „Genau genommen, hast du dein Ziel bereits erreicht.“

„Und nun schlägst du vor, dass ich es dabei belassen soll?“ Er schüttelte den Kopf. „Auf diesen Augenblick habe ich viel zu lange gewartet. Und falls du gehofft hast, mich abzuschrecken, indem du dich wie eine Sekretärin anziehst, muss ich dich enttäuschen. Die Strenge deiner Kleidung ist ein interessanter Kontrast zu dem, was darunter verborgen liegt.“

„Du hast überhaupt keine Ahnung, was darunter liegt!“ Unter den gegebenen Umständen war ihre Empörung lächerlich, das wusste sie, aber sie war einfach zu wütend. „Ich habe es nicht zugelassen, dass die Dinge zwischen uns so weit gehen!“

Er lächelte zufrieden. Ganz offensichtlich genoss er ihre Entrüstung. „Meine Augen müssen mir nicht erst bestätigen, was meine Hände bereits entdeckt haben. Deine Haut ist weich wie Samt, deine Brüste fest und voll, deine Taille schmal. Dein Körper bringt einen Mann um den Verstand …“

„Hör auf!“ Leonies Wangen brannten vor Scham, ihr ganzer Körper bebte. „Ich will nichts mehr davon hören!“

„Du wirst noch eine ganze Menge mehr hören, ehe die Nacht vorbei ist“, versprach er. „Aber nicht gerade jetzt. Zunächst einen Brandy, dann ein bisschen Musik, um die richtige Atmosphäre zu schaffen. Vielleicht tanzen wir sogar.“

Leonie biss sich auf die Zunge. Was auch immer Vidals Absichten waren, ihr blieb keine andere Wahl, als sich zu fügen.

Auf sein Geheiß setzte sie sich auf dasselbe Sofa wie vorhin, während er auf dem Weg zur Bar einen versteckten CD-Player einschaltete. Sanfte Musik füllte den Raum. Nichts, was Leonie kannte, aber zumindest beruhigend, das musste sie zugeben.

Diesmal nahm Vidal direkt neben ihr Platz und stieß mit ihr an. „Angenehme Träume!“, meinte er spöttisch.

„Ich hoffe, du hast Albträume“, konterte sie schwach, was bei ihm ein belustigtes Lachen hervorrief.

„Ich werde es dich morgen früh wissen lassen.“

„Ich soll die ganze Nacht hier bleiben?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte.

„Natürlich. Ich freue mich schon auf unser gemeinsames Frühstück auf dem Balkon, falls das Wetter es erlaubt. Wenn wir jetzt in Portugal wären, würde sich die Frage gar nicht stellen. Der Juni ist ein wunderbarer Monat. Die Luft ist warm, die Felder sind voller Blumen, und es herrscht eine Atmosphäre voller Frieden und Fülle.“

Sie warf einen verstohlenen Blick auf sein ausgeprägtes Profil und verharrte einen Moment auf seinem sinnlichen Mund, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf das Glas in ihrer Hand richtete.

Sie hatte den Brandy nicht gewollt, doch jetzt trank sie ihn beinahe in einem Zug aus. Sofort breitete sich ein Feuer in ihrem Inneren aus.

„Brandy sollte man genießen und nicht wie Wasser die Kehle hinunterkippen“, tadelte er sie. „Oder versuchst du dir gerade Mut anzutrinken?“

„Mut wofür?“, versetzte sie. „Ich habe keine Angst vor dir.“

„Ich glaube auch eher, dass du Angst vor dir selbst hast. Du willst mich – hast mich schon immer gewollt –, aber du kannst dich nicht überwinden, es zuzugeben. Auf diese Weise willst du deine Schwäche dem Alkohol zuschreiben.“ Er legte einen Finger auf ihre Lippen, als sie protestieren wollte. „Keine Widerrede. Ehe dieser Abend vorüber ist, wirst du die Worte sagen.“

„Eher beiß ich mir die Zunge ab!“, stieß Leonie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Seine Berührung erregte ihre Sinne, das konnte sie nicht leugnen. Sie verspürte einen aberwitzigen Drang, seinen Finger in ihren Mund zu nehmen und zu liebkosen.

Vidal erlöste sie von der Versuchung, indem er seine Hand zurückzog und aufstand. „Komm.“

Er zog sie in seine Arme, während er sich langsam im Rhythmus der Musik zu wiegen begann. An seinen muskulösen Oberkörper gepresst, richteten sich ihre Brustspitzen auf und wurden steif, ohne dass sie etwas dagegen hätte tun können.

„Bonito“, murmelte er sanft.

Er ließ seine Hände ihren Rücken hinabgleiten und brachte ihre unteren Körperhälften in engen Kontakt. Leonie stöhnte kurz auf, als sie seine Hüften streifte. Er war bereits erregt, wenn noch nicht vollständig, so auf bestem Wege, und so sehr sie auch dagegen ankämpfte – es ging ihr nicht anders. Und das wusste er.

„Ich denke, die Zeit ist gekommen“, flüsterte er.

Leonie zeigte keinen Widerstand, als er sie in sein Schlafzimmer führte. Die beiden Nachttischlampen waren eingeschaltet und tauchten das riesige Bett in ein warmes Licht, während der Rest des Raums im Halbschatten lag.

Vidal nahm ihr Gesicht in seine Hände und sog ihre Züge in sich auf, so als wolle er sie sich auf immer und ewig einprägen. Die erste Berührung seiner Lippen war erstaunlich sanft. Seine Zunge fühlte sich wie Seide an, während er die Süße ihres Mundes erkundete. Leonie spürte, wie ihr die Sinne zu schwinden drohten und ihre Willenskraft sie im Stich lassen wollte. Wenn ich ein Zeichen setzen will, dachte sie, dann muss es jetzt kommen, ehe ich völlig die Kontrolle verliere.

Mit einer Hand umfasste er ihren Nacken, mit der anderen strich er hinunter zu ihrer Brust, neckte die aufgerichtete Spitze und knöpfte dann geschickt ihre Bluse auf. Seine Berührung fühlte sich wie Feuer auf ihrer Haut an, und sie keuchte unwillkürlich auf, während sie krampfhaft versuchte, nicht jeden letzten Rest ihres Willens zu verlieren.

Als er plötzlich seine Hand zurückzog und sie von sich schob, blickte sie ihn überrascht an. In ihren grünen Augen stand eine stumme Frage.

„Bedeck dich“, befahl er ihr brüsk.

Leonie versuchte nervös, die kleinen Knöpfe ihrer Bluse zu schließen. Wenn es sein Ziel gewesen war, sie aufs Heftigste zu erregen und dann abzuweisen, so wie sie es mit ihm getan hatte, dann hatte er ein wenig vorschnell gehandelt, um ihre völlige Demütigung zu erreichen. Es sei denn, er hatte seine Meinung geändert, was die ganze Sache anging.

„Ist das deine Art, mir mitzuteilen, dass der Deal geplatzt ist?“, brachte sie schließlich hervor.

Mit ausdruckslosem Gesicht schüttelte er den Kopf. „Eine Änderung des Plans. Ich habe keine Lust, mich nur mit einer einzigen Nacht zufrieden zu geben. Wenn ich nach Portugal zurückreise, wirst du mich begleiten.“

Als Leonie antwortete, war sie selbst erstaunt, wie fest ihre Stimme klang. „Du glaubst wirklich, ich willige ein, deine Mätresse zu werden?“

Er lachte kurz und harsch. „Deine Opferbereitschaft für deinen Vater hat also ihre Grenzen?“

Sie biss sich auf die Lippe. „Für wie lange?“, presste sie hervor.

In den dunklen Tiefen seiner Augen flackerte etwas auf. „Ich will keine Mätresse“, erklärte er. „Vor zwei Jahren habe ich dich gebeten, meine Frau zu werden. Heute verlange ich es.“

2. KAPITEL

Leonie starrte ihn perplex an. Es dauerte geraume Zeit, bis sie ihre Sprache wiederfand. „Das kann nicht dein Ernst sein!“

„Und ob“, versicherte Vidal nachdrücklich. „Seit zwei Jahren versuche ich, dich aus meinem Kopf zu bekommen – unzählige Male habe ich mir gesagt, dass keine Frau es wert ist, ihretwegen den Schlaf zu verlieren. Ich habe dir ein Angebot gemacht, das ich noch keiner anderen zuvor gemacht habe, und du hast so getan, als wäre es eine Beleidigung. Jetzt habe ich die Möglichkeit einer Revanche.“ Er hielt kurz inne. „Die endgültige Entscheidung liegt natürlich bei dir.“

„Das ist emotionale Erpressung!“, schleuderte sie ihm entgegen. „Du verlangst zu viel!“

„Nicht weniger als du, wenn du forderst, dass ich einen Mann weiterbeschäftige, der mich bestohlen hat“, kam es ungerührt zurück. „Natürlich kannst du die Entscheidung immer noch ihm überlassen.“

Es wäre keine Frage, wie ihr Vater sich entscheiden würde, das wusste Leonie. Er wäre am Boden zerstört, wenn er wüsste, was der Preis für seine Freiheit wäre.

Vidal wandte sich abrupt ab. „Ich lass dich allein, damit du darüber nachdenken kannst.“

Leonie ließ sich benommen auf die Bettkante fallen. An sein Mitgefühl zu appellieren, wäre nutzlos, denn er besaß kein Mitgefühl. Aber Heirat! Wie konnte sie dem zustimmen? Zumal es ihm nur um Rache für vergangene Beleidigungen ging?

Stöhnend schloss sie die Augen. Sofort erinnerte sie sich an das Gefühl seiner Lippen auf ihren, seines harten Körpers an ihrem. Mit einem hatte er recht: Sie begehrte ihn genauso wie schon vor zwei Jahren. Dass sie ihn als Mensch verachtete, kümmerte ihre aufgewühlten Sinne kein bisschen.

Und so war es vom ersten Moment an gewesen, als sie einander begegneten. Sie war ins Büro gekommen, um ihren Vater zum Lunch einzuladen, aber seine Sekretärin hatte ihr mitgeteilt, dass er sich in einem Gespräch mit dem Firmenboss befand. Beinahe im selben Augenblick hatte sich die Tür zu seinem Büro geöffnet und den Blick auf einen Mann freigegeben, der sie mit unverhohlener Bewunderung musterte …

„Ich habe die ganze letzte halbe Stunde die Fotografie auf dem Schreibtisch Ihres Vaters betrachtet“, sagte er. „Sie wird Ihnen nicht voll gerecht.“ Mit ausgestreckter Hand und entwaffnendem Lächeln trat er auf sie zu. „Ich bin Vidal Parella Dos Santos.“

Leonie ergriff seine Hand, murmelte eine Erwiderung und spürte ein geradezu elektrisierendes Kribbeln, als sich seine Finger um ihre schlossen.

Rasch wandte sie sich an ihren Vater. „Ich hatte gehofft, dich zum Lunch ausführen zu können, Dad.“

„Tut mir leid, Schatz. Ich bin noch mindestens eine weitere Stunde beschäftigt“, antwortete Stuart bedauernd.

„In diesem Fall erlauben Sie mir vielleicht, für Ihren Vater einzuspringen?“, schaltete sich Vidal ein. „Es wäre mir ein großes Vergnügen.“

Instinktiv wollte Leonie ablehnen, aber eine stärkere Kraft hielt sie davon ab. Schließlich ging es nur um einen harmlosen Lunch. „Das ist sehr freundlich von Ihnen“, antwortete sie.

Erneut zeigte er dieses atemberaubende, verstörende Lächeln, das so gefährlich war. „Es ist nicht besonders schwer, freundlich zu einer schönen Frau zu sein.“

Leonie bemerkte den Blick, den ihr Vater ihr zuwarf und dessen Bedeutung nicht schwer zu verstehen war. Er wusste genauso um Vidals Ruf wie sie, aber sie hatte ja gar nicht vor, seine neueste Eroberung zu werden.

„Bis später dann“, verabschiedete sie sich von ihrem Vater. „Arbeite nicht zu hart!“

Sie gingen in ein Restaurant, das Leonie noch nie zuvor besucht hatte, in dem Vidal aber namentlich begrüßt und persönlich zu einem hervorragenden Tisch begleitet wurde.

„Ich nehme an, Sie sind öfter hier“, bemerkte sie, nachdem sie Platz genommen hatten.

„Immer wenn ich in London bin“, gab Vidal zu. „Man kennt hier meinen Geschmack.“

Zweifellos auch was Frauen betrifft, dachte Leonie zynisch. Sie war bestimmt nicht die Erste, die er hierher brachte. Neugierig betrachtete sie ihn, während er die Speisekarte studierte, und nahm die perfekt geschnittenen männlichen Züge in sich auf, die breiten Schultern und gepflegten Hände. Was die äußere Erscheinung anbelangte, so war er wirklich überreich gesegnet worden.

Als ob er ihre Musterung gespürt hätte, blickte er abrupt auf und ertappte sie, ehe sie wegschauen konnte. „Finde ich Ihre Zustimmung?“, fragte er lächelnd.

„Sie sind ein attraktiver Mann“, entgegnete sie ruhig, denn sie wollte sich keinesfalls eine Blöße geben. „Sie müssen es gewohnt sein, Blicke auf sich zu ziehen.“

Er neigte gespielt bescheiden den Kopf. „Eine Tatsache, die ich meinen Vorfahren verdanke. Die Dos Santos-Männer hatten in dieser Hinsicht immer Glück.“

„Teilen die Dos Santos-Frauen dieses Erbe?“

„Manche. Nicht alle.“ Er hielt inne und musterte sie seinerseits. „Sie haben wenig von Ihrem Vater an sich. Ihre Mutter muss ebenfalls eine sehr schöne Frau gewesen sein.“

Selbst nach vier Jahren noch versetzte es ihr einen schmerzhaften Stich, wenn man ihre Mutter erwähnte. „Woher wissen Sie, dass sie tot ist?“, fragte sie.

„Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, über die Verhältnisse meiner leitenden Angestellten Bescheid zu wissen“, entgegnete er. „Sie leben immer noch bei Ihrem Vater?“

„Ja, das ist richtig.“ Leonie sah keinen Grund, diesen Umstand weiter zu erklären. Sollte er doch selbst dahinterkommen. Sie senkte ihren Blick auf die Speisekarte. „Als Vorspeise hätte ich gerne den Seewolf und dann die Forelle, bitte.“

„Eine Frau, die weiß, was sie will!“, meinte er beifällig. „Ich glaube, ich nehme dasselbe.“

Nach dem Lunch hatte sie fest vorgehabt, sich zu verabschieden, aber als die Zeit kam, stellte sie zu ihrer eigenen Verwunderung fest, dass sie sofort zustimmte, als er eine Fahrt auf der Themse vorschlug.

„Sie werden das jetzt vermutlich nicht glauben, aber es ist das erste Mal, dass ich eine solche Schiffspartie mache“, bemerkte sie, als sie an Deck waren.

„Im Gegenteil. Das glaube ich sofort“, entgegnete Vidal. „Die nahe liegenden Dinge versäumen wir viel zu häufig. Es gibt viele Ecken in Lissabon, die ich noch nie besucht habe.“

„Ich weiß, dass die Firmenzentrale der Dos Santos’ in Lissabon liegt, aber leben Sie auch dort?“, erkundigte sich Leonie.

„Nicht in der City selbst. Ich lebe in Sintra, etwa dreißig Kilometer außerhalb im Nordwesten.“

„Und dort wohnt auch Ihre Familie?“

„Nein, die Dos Santos-Ländereien liegen im Douro-Tal. Sehr schön, aber für meinen Geschmack zu abgeschieden. Der Cousin meines Vaters besitzt angrenzende Ländereien, und dann gibt es noch einen weiteren Familienzweig auf Madeira, dem mehrere Hotels gehören.“

„Dann sind Sie also nicht der Einzige, der sich entschieden hat, ins Geschäftsleben zu gehen, anstatt nur die Früchte seines Erbes zu genießen?“, fragte sie leichthin.

Ihre Bemerkung rief ein etwas zynisches Lächeln hervor. „Eine sehr schöne Art der Formulierung. Nein, diesen Lebensstil überlasse ich meinen Cousins.“

Leonie hätte gern mehr erfahren, aber würde sich selbst keinen Gefallen damit tun, tiefer in das Leben eines Mannes zu dringen, den sie nach dem heutigen Tag nie mehr wiedersehen würde.

Der Gedanke allein machte sie seltsam mutlos. Wenn man ihn persönlich kennenlernte, wirkte er so ganz anders als in den Medien dargestellt. Sie fühlte sich in mehr als körperlicher Hinsicht zu ihm hingezogen.

In Greenwich gingen sie von Bord und nahmen ein Taxi zurück zu dem Parkplatz, wo sie den Wagen stehen gelassen hatten. Mittlerweile war Leonie noch weniger geneigt, die gemeinsame Zeit schon zu beenden.

Also folgte sie Vidal zunächst in ein Weinlokal in Mayfair. Als er sie dann zu einem Dinner in seine Suite einlud, machte das seine Absichten mehr als deutlich, aber sie akzeptierte dennoch, weil sie von einer inneren Kraft getrieben wurde, der sie sich nicht entziehen konnte.

Die Suite war riesig, das Essen hervorragend, die Unterhaltung anregend. Sie aßen auf dem Balkon und beendeten das Menü mit einem Brandy.

Leonie fühlte sich geradezu euphorisch und stand auf, um sich von der Balustrade aus die Lichter der Stadt anzusehen. „‚Wenn ein Mann Londons müde ist, dann ist er des Lebens müde‘“, zitierte sie sanft.

„Samuel Johnson muss ein ganz anderes London gekannt haben als ich“, bemerkte Vidal. Er stand hinter ihr, legte seine Hände auf ihre Taille, um sie dichter an sich zu ziehen. „Die Nacht ist wunderschön, aber du überstrahlst sie noch“, murmelte er. „Eu quero, meu querido!“

Leonie hatte ihre Jacke ausgezogen. Der dünne Stoff ihrer Bluse bot kaum Schutz gegen die zarten Berührungen seiner Hände. Sie spürte, wie sich ihre Brustspitzen unter seinen Liebkosungen aufrichteten, und ein Schauer erfasste ihren ganzen Körper.

Vidal drehte sie zu sich um. Seine dunklen Augen funkelten, als er den Kopf senkte, um ihre Lippen zu kosten. Der Kuss war wie eine Offenbarung – er verlangte eine sofortige Reaktion von ihr. Sie fühlte die Hitze, die Härte seiner Muskeln.

„Komm“, flüsterte er.

Erst jetzt, als er ihre Hand nahm, um sie nach drinnen zu führen, kam sie wieder zu sich. Das hier war nichts Neues für ihn, nichts Besonderes, so wie für sie. Sie war einfach nur eine weitere leichte Beute.

Er drehte überrascht den Kopf, als sie sich heftig von ihm losriss. „Stimmt etwas nicht?“, fragte er.

„Ich bin nicht an einem One-Night-Stand interessiert!“, stieß sie hervor.

Er zog die Augenbrauen zusammen. „Glaubst du, dass ich dich als das betrachte?“

„Als was sonst?“, konterte sie. „Du hast das hier von Anfang an im Sinn gehabt, oder?“

„Ich hatte den Eindruck, dass wir beide wüssten, worauf wir zusteuern“, gab er ruhig zurück. „Du hast mir bis eben keinen Grund für Zweifel gegeben.“

Leonie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Weil sie sich der Wahrheit nicht stellen wollte, suchte sie Zuflucht im Zorn. „Du betrachtest zu viel als selbstverständlich. Ich habe eine Einladung zum Dinner angenommen. Mir war nicht klar, dass danach eine Bezahlung von mir erwartet wird.“

Vidal betrachtete sie ein, zwei Minuten schweigend. Seine Miene war schwer zu deuten. „Du hast recht“, erklärte er schließlich. „Ich betrachte zu viel als selbstverständlich. Vielleicht beginnen wir noch einmal neu?“

Sie schüttelte den Kopf, denn sie wollte jegliche Versuchung gleich im Keim ersticken. „Ich sehe keinen Sinn darin. Wir kommen aus verschiedenen Welten. In Zukunft bleibe ich in meiner.“

„Wie du willst.“ Vidal deutete mit ausdruckslosem Gesicht auf die offenen Glastüren. „Ich bestelle dir ein Taxi.“

Leonie ging vor ihm in die Suite. Sie bemühte sich, die Kontrolle zu wahren, während er nach dem Telefon griff und den Anruf machte.

„Das Taxi wartet unten vor dem Hotel auf dich“, erklärte er, als er den Hörer auflegte.

Er nahm ihre Jacke, die sie auf einen Stuhl geworfen hatte, und bot sie ihr an. So schnell wie möglich schlüpfte sie hinein, denn sie war sich nur allzu deutlich seiner Nähe und ihres heftig pochenden Herzens bewusst. Wenn sie nicht rechtzeitig zur Vernunft gekommen wäre, würden sie jetzt zusammen im Bett liegen – ein Gedanke, der ihr immer noch verlockend erschien. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht doch noch alle Bedenken über Bord zu werfen.

Vidal begleitete sie zur Tür. „Es war ein angenehmer Tag“, sagte er. „Schlaf gut, namorado.“

Es war beinahe Mitternacht, als sie zu Hause ankam. Ihr Vater trat ihr aus seinem Arbeitszimmer entgegen. Seine Miene sprach Bände.

„Du bist heute Nachmittag nicht zurück ins Büro gegangen“, sagte er.

Leonie lächelte leicht. „Nein. Vidal hat eine Schiffspartie vorgeschlagen. Er hat mich noch zum Dinner eingeladen.“

„Nur Dinner?“

„Nur Dinner“, versicherte sie. „Er war der perfekte Gentleman.“

Stuart wirkte erleichtert. „Gut. Es ist nicht so, dass ich dir nicht zutrauen würde, einen kühlen Kopf zu bewahren“, fügte er hastig hinzu. „Ich hatte nur ein wenig Angst, dass er versuchen würde, die Situation auszunutzen, das ist alles.“

„Nun, das hat er nicht getan.“ Zumindest das entsprach der Wahrheit, wenn man bedachte, wie er die Zurückweisung aufgenommen hatte. Sicherlich der erste Korb, den er bekommen hatte. „Ich gehe gleich rauf“, erklärte sie und gähnte übertrieben.

„Ich werde selbst auch in ein paar Minuten ins Bett gehen“, erwiderte Stuart.

Leonie küsste ihn flüchtig auf die Wange und zog sich traurig in ihr Zimmer zurück. Vermutlich hatte sie heute Abend die Chance ihres Lebens verpasst, und wofür? Auf Mr. Right zu warten, war ja schön und gut, aber was, wenn er niemals auftauchte?

Sie verbrachte eine unruhige Nacht, und als sie aufstand, schien der neue Tag trist und grau. Je mehr sie über den vergangenen Abend nachdachte, desto mehr schämte sie sich. Sie hatte sich wie ein naiver Teenager verhalten, nicht wie eine erwachsene Frau. Vidal musste sie für vollkommen unreif halten.

Ob es zu spät war, ihn anzurufen und sich dafür zu entschuldigen, den falschen Eindruck erweckt zu haben?

Sie war immer noch hin- und hergerissen, als sie zum Frühstück nach unten ging. Ihr Vater las die Morgenzeitung.

„Ich denke, du solltest dir das hier ansehen“, sagte er und reichte ihr die Zeitung. „Nur für den Fall, dass du noch Zweifel hast.“

Das Foto sprang ihr geradezu entgegen: Vidal in makellosem Smoking mit einer jungen und schönen Frau an seiner Seite, die ihr vage bekannt vorkam. Laut dem dazugehörigen Artikel hatte Vidal sich geweigert, das Kind anzuerkennen, das sie zur Welt gebracht hatte, und nun war ihre Modelkarriere ruiniert und sie selbst mittellos. Eine Abtreibung sei für sie nicht in Frage gekommen, erklärte sie. Lediglich Unterstützung für das gemeinsame Kind hätte sie von ihm erwartet.

Leonie schluckte schwer. Es war eines, zu wissen, dass er ein notorischer Frauenheld war. Aber welcher Mann kehrte seinem eigenen Kind den Rücken?

„Ich hatte nicht vor, ihn wiederzusehen“, sagte sie.

„Gut.“ Stuart klang erleichtert. „Er wird ohnehin in ein paar Tagen verschwunden sein. Er bleibt nie lange an einem Ort.“

Leonie tat ihr Bestes, um Vidal ganz aus ihren Gedanken zu verbannen – was kläglich misslang, weil ihr Körper nicht mitspielen wollte. Noch immer konnte sie seine Lippen auf ihren schmecken, die Berührung seiner Hände auf ihrer Haut spüren. Sie verachtete sich für diese Schwäche.

Der Tag verging nur langsam. Als sie um halb sechs aus dem Büro kam, lehnte Vidal an einem silbernen Mercedes und wartete auf sie. Im ersten Moment konnte sie ihn nur anstarren und war sich dabei der neugierigen Blicke ihrer Kollegen um sie herum bewusst.

„Du hattest den Namen deiner Firma erwähnt“, erklärte er. „Ich muss mit dir reden.“

„Worüber?“, entgegnete sie, nachdem sie ihren ersten Schock überwunden hatte.

Auch ihm konnte das Interesse um sie herum nicht entgangen sein, doch er blickte ihr unverwandt in die Augen. „Nicht hier.“

Und auch an keinem anderen Ort! dachte sie, aber die Worte sprach sie nicht aus. „Ich sehe keinen Sinn darin“, äußerte sie stattdessen.

„Bitte“, sagte er.

Leonie zögerte, und diese winzige Unsicherheit deutete er bereits als Zustimmung. Er drehte sich um und öffnete ihr die Beifahrertür. Leonie glitt auf den Ledersitz, griff automatisch nach dem Gurt und beobachtete, wie Vidal sich hinters Steuer setzte.

„Wohin fahren wir?“, fragte sie, nachdem er den Wagen in den Verkehr eingefädelt hatte.

„In meine Suite.“ Seine Antwort ließ sie kerzengerade auffahren.

„Wenn du glaubst, dass …“

„Ich werde nicht denselben Fehler wie gestern Abend machen“, schnitt er ihr das Wort ab. „Aber was ich zu sagen habe, erfordert Ruhe.“ Er schüttelte den Kopf, als sie protestieren wollte. „Das ist weder der Ort noch die Zeit, um es zu besprechen.“

Er hat recht, musste sie zugeben. Der Feierabendverkehr war heftig, sodass er sich aufs Fahren konzentrieren musste.

Als sie am Hotel ankamen und in den Fahrstuhl stiegen, war sie fest entschlossen, sich zwar anzuhören, was auch immer er ihr zu sagen hatte, aber dass sie ihre Meinung von ihm nicht ändern würde. Nach den Enthüllungen des heutigen Morgens war das ganz und gar ausgeschlossen.

In der Suite bat Vidal sie, Platz zu nehmen. Als sie ablehnte, zuckte er nur ungerührt die Schultern.

„Also?“, forderte sie ihn auf.

Er lächelte, während er sie beobachtete. „Du kommst mir wie ein in die Enge getriebenes Pferd vor. Bei einem falschen Zug schlägst du aus. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin bereit zu warten.“

Ihre grünen Augen sprühten Feuer. „Du verschwendest deine Zeit!“

„Das bleibt mir überlassen“, versetzte er. „Nicht, dass ich eine lange Verlobungszeit beabsichtige.“

Leonie starrte ihn ungläubig an. Ihr war vollkommen der Wind aus den Segeln genommen. „Wovon redest du?“

„Von unserer Hochzeit“, entgegnete er. „Ich will, dass du meine Frau wirst.“

Sie verspürte das plötzliche Bedürfnis, laut zu lachen. Reine Hysterie, dachte sie benommen. Sie konnte nicht fassen, was hier geschah.

„Was für eine Art Spiel spielst du jetzt?“, presste sie hervor.

„Ich spiele generell keine Spiele. Und solche schon gar nicht. Ich habe lange gewartet, bis ich eine Frau gefunden habe, mit der ich mein Leben verbringen kann. Du hast mich gestern genauso gewollt wie ich dich, aber du hast nicht nachgegeben. Das hast du überhaupt noch nie, nicht wahr?“

Leonie spürte, wie sie flammend rot wurde. „Das geht dich nichts an!“

Vidal lächelte und schüttelte den Kopf. „Und ob mich das etwas angeht. Meine Frau darf keinen anderen Mann gekannt haben. Das ist eine Dos Santos-Tradition, gegen die ich keine Einwände habe. Mir wäre eine ruhige Hochzeit lieber. So schnell wie möglich.“ In seine dunklen Augen trat ein schelmisches Funkeln. „Ich fand die letzte Nacht frustrierend genug.“

Als Leonie sprach, wunderte sie sich, wie fest ihre Stimme klang. „Kommt das Wort Liebe in deinem Vokabular überhaupt vor?“

„Natürlich“, erwiderte er. „Wenn auch vielleicht nicht dieses ‚auf den ersten Blick‘. Wahre Liebe braucht Zeit und Raum, um sich zu entwickeln.“

Er hielt inne. Als keine Antwort von ihr kam, bildete sich eine steile Falte zwischen seinen Augenbrauen. „Hast du mir nichts zu sagen?“

Sie holte tief Luft und kämpfte gegen einen plötzlichen, wahnwitzigen Impuls an, seinen Antrag anzunehmen. „Ich habe eine ganze Menge zu sagen“, begann sie. „Ich würde dich nicht heiraten, wenn du der letzte Mann auf der Welt wärst!“

Er schien wie vor den Kopf gestoßen. Offensichtlich war es ihm nie in den Sinn gekommen, er könnte zurückgewiesen werden. Was vermutlich nicht überraschend war, wenn man bedachte, dass er einer der begehrtesten Junggesellen Europas war; aber das entschuldigte seine Arroganz in keinem Fall.

Die Wut, die sie spürte, war genauso sehr eine Verteidigung gegen anhaltende Zweifel wie ein Ausdruck der Verachtung. Sie streckte sich zu voller Größe, ballte die Hände zu Fäusten und starrte ihn mit vor Zorn blitzenden Augen an. „Wenn du die Wahrheit wissen willst, dann würde ich mich eher mit einem Wurm zusammentun als mit einem unverbesserlichen Frauenhelden, der nicht mal den Anstand besitzt, sein eigenes Kind zu unterstützen! Ich muss verrückt gewesen sein, dich auch nur in meine Nähe zu lassen!“

Hier hielt sie inne, denn in seine Augen war ein gefährliches Funkeln getreten.

Abrupt wandte er sich ab, ging zur Bar, schenkte sich einen mehr als großzügigen Whiskey ein und kippte ihn in einem Schluck hinunter.

„Ich denke, du gehst jetzt besser“, sagte er mit dem Rücken zu ihr.

Einen Moment zögerte sie. Was wäre, wenn sie ihn zu Unrecht beschimpft hatte? Sie musste sich erst an den Zeitungsartikel erinnern, um ihre Bedenken zu zerstreuen. Irgendwo da draußen war eine Frau, die versuchte, sein Kind großzuziehen. Vielleicht war es nicht mal das einzige. Er verdiente keine Entschuldigung.

Er stand immer noch wie versteinert da, als sie die Tür hinter sich schloss.

Es hatte nicht gestimmt, dachte Leonie schmerzhaft, als sie aus ihren Erinnerungen zurück in die Gegenwart kam. Zumindest dieser Teil nicht. Die Frau hatte versucht, ihm das Kind anzuhängen, und verloren, als ein Bluttest bewies, dass er nicht der Vater sein konnte. Nicht, dass er deshalb unschuldig wäre.

Er hatte ihr schließlich ein absolut unmoralisches Angebot gemacht. Keine Ehe, die unter solchen Voraussetzungen geschlossen wurde, konnte jemals irgendeine Bedeutung erlangen.

Vidal saß mit einem Drink in der Hand auf einem der Sofas, als sie endlich wagte, zu ihm zu gehen. Ausdruckslos beobachtete er, wie sie auf ihn zutrat.

„Es muss eine andere Möglichkeit geben, diese Sache zu regeln“, erklärte sie. „Was hast du von einer Frau, die dich hasst?“

„Du hasst mich nicht“, entgegnete er mit Nachdruck. „Du fühlst dieselben Dinge, die du immer gefühlt hast. Wir sind dazu bestimmt, zusammen zu sein. Wenn das die einzige Möglichkeit ist, es zu erreichen, dann soll es eben so sein.“

„Und damit entsagst du allen anderen?“, stichelte sie. „Oder wird von den Ehefrauen der Dos Santos erwartet, dass sie sich blind stellen?“

Er zuckte kurz die Schultern. „Du musst lernen zu vertrauen.“

„Dir vertrauen!“ Sie legte so viel Verachtung in ihre Worte wie nur irgend möglich. „Niemals!“

Vidal zuckte erneut die Schultern. „Das wird die Zeit zeigen.“ Er hielt inne und hob eine Augenbraue. „Haben wir eine Vereinbarung?“

„Habe ich eine andere Wahl?“, fragte sie bitter.

„Nein, wenn dein Vater seinen Job behalten soll.“

Leonie ließ sich in den nächsten Sessel fallen. Allmählich dämmerte ihr die Ausweglosigkeit ihrer Situation. „Was soll ich meinem Vater sagen?“

„Das liegt ganz bei dir. Die Wahrheit, wenn du willst. Ich glaube sowieso nicht, dass es einen Unterschied macht.“

Abrupt hob sie den Kopf und funkelte ihn wütend an. „Und ob es das würde! Er wäre niemals damit einverstanden!“

„Dann wirst du ihn einfach davon überzeugen müssen, dass es das ist, was du willst.“

Leonie warf ihm einen bitteren Blick zu. Sie suchte nach irgendeiner verwundbaren Stelle bei ihm, aber es gab keine.

„Du hast gewonnen“, erklärte sie steif.

In seinen dunklen Augen konnte sie keinerlei Reaktion erkennen. „Gleich morgen beginne ich mit den Vorbereitungen. Ich denke, wir können in drei Wochen heiraten und direkt danach nach Lissabon fliegen.“

Leonie wurde blass. „Ich kann unmöglich alles stehen und liegen lassen“, protestierte sie. „Was ist mit meiner Arbeit?“

„Sag ihnen, dass du kündigst“, kam es ungerührt zurück. „Wenn es finanzielle Probleme gibt, werde ich mich darum kümmern. Ich werde nicht länger als drei Wochen auf dich warten. Es ist so schon schwer genug.“

„Du wirst bestimmt keine Probleme haben, so lange Ersatz zu finden“, erwiderte sie beißend.

Vidal machte keine sichtbare Bewegung, dennoch schien sich seine Haltung zu versteifen. „Es wird keine anderen Frauen geben.“

Wer’s glaubt, dachte sie bitter. Eine einzige Frau würde ihm niemals reichen. Erst recht keine, die über keinerlei sexuelle Erfahrungen verfügte!

Nicht, dass es lange so bleiben würde, kam ihr der plötzliche Gedanke, und sie spürte, wie ein Schauer über ihren Rücken lief.

„Wenn wir bis nach der Hochzeit warten, dann kann ich jetzt wohl gehen?“, fragte sie.

Für einen Moment schien er widersprechen zu wollen, dann nickte er. „Vorerst. Wenn du willst, kannst du deinem Vater die Neuigkeit heute Abend erzählen – oder du wartest bis morgen, und wir tun es gemeinsam.“

„Du willst zu uns kommen?“

Sein Lächeln war trocken. „Ich denke, dein Vater und ich haben einige ernste Dinge zu besprechen, ehe er an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Ich werde dir jetzt ein Taxi rufen.“

Er stand auf und ging in Richtung Telefon. Leonie beobachtete ihn. Was in aller Welt sollte sie ihrem Vater sagen? Wie sollte sie ihn davon überzeugen, dass ihre Entscheidung, einen Mann zu heiraten, den sie seit zwei Jahren nicht gesehen hatte, nichts mit ihm zu tun hatte?

Die Rückfahrt nach Northwood war lang und ermüdend. Als sie zu Hause ankam, stellte sie erleichtert fest, dass ihr Vater bereits zu Bett gegangen war, obwohl ihr Problem am nächsten Morgen natürlich nicht kleiner geworden sein würde. Irgendwie musste sie vor Vidals Ankunft die richtigen Worte finden.

Nach einer schlaflosen Nacht stand sie um sieben völlig zerschlagen auf und hatte immer noch keine Ahnung, wie sie ihrem Vater die Neuigkeit beibringen sollte. Als sie endlich nach unten ging, saß er bereits am Frühstückstisch.

„Ich dachte, du wolltest die Nacht auswärts verbringen“, sagte er. „Du musst spät heimgekommen sein.“

„Ziemlich“, gab Leonie zu. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als direkt mit der Sache herauszurücken, entschied sie resigniert. „Genau genommen habe ich dir nicht die Wahrheit gesagt. Ich bin gestern noch einmal zu Vidal gegangen. Er wird gleich zu Besuch kommen.“

Stuart schaute sie unsicher an, offensichtlich hatte etwas in ihrem Ton ihn aufhorchen lassen. „Und was wird er mir dann sagen?“

„Dass du deine Stelle behalten kannst.“ Sie holte tief Luft. „Und dass wir beide heiraten werden.“

Schockiert war zu mild, um den Gesichtsausdruck ihres Vaters zu beschreiben. „Ihr werdet was?“, presste er hervor.

„Ich weiß, dass es für dich ein Schock sein muss“, entgegnete sie so ruhig wie möglich, „aber es kommt nicht ganz so unerwartet, wie es jetzt wirkt. Genau genommen hat er mich schon vor zwei Jahren darum gebeten. Damals habe ich ihm einen Korb gegeben, es aber immer wieder bereut.“

„Vor zwei Jahren?“ Stuart Baxter wirkte noch verwirrter. „Aber du hast ihn nur einmal getroffen!“

„Zweimal“, korrigierte Leonie, die genau wusste, wie verrückt das alles klang. „An dem Tag, nachdem wir uns kennengelernt hatten, hat er mir einen Antrag gemacht.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ich habe mich ungefähr so gefühlt wie du jetzt. Es ist einfach unmöglich, sofort eine solche Entscheidung zu treffen. Besonders bei einem Mann wie Vidal. Ich hatte nicht den Mut, mich meinen Gefühlen für ihn zu stellen. Dieselben Gefühle, die ich immer noch für ihn habe.“

Ihr Vater sah sie eine Weile schweigend an. Sein Schock wurde allmählich durch Sorge ersetzt. „Willst du damit sagen, dass du ihn liebst?“

Leonie wich seinem Blick nicht aus und zwang sich dazu, keinerlei Unsicherheit zu zeigen. „Ja.“

Wieder entstand eine Pause. Diesmal zeigte die Miene ihres Vaters Misstrauen. „Tust du das für mich?“

Ihr Lachen klang sogar in ihren eigenen Ohren hohl. „Dad, so sehr ich dich auch liebe, ich könnte mich nicht nur für dich an einen Mann binden, für den ich nichts empfinde. Was du getan hast, hat uns wieder zusammengeführt, das ist alles. Ich wünsche mir nichts mehr, als ihn zu heiraten.“ Leonie sah ihn beschwörend an. „Wir werden natürlich in Portugal leben. Vidals Heim ist in Sintra, nahe Lissabon. Nach der Hochzeit fliegen wir direkt dorthin.“

„Das habt ihr alles gestern geplant?“, fragte Stuart perplex. „Was ist mit deinem Job?“

„Ich werde kündigen.“

„Einfach so?“

Sie zuckte die Schultern. „Es geht nicht anders, fürchte ich.“

„Weil Vidal es so will?“ Stuart starrte sie ungläubig an. „Wirst du ihn dein ganzes Leben bestimmen lassen?“

„Es wäre ein bisschen weit, von Lissabon aus zu pendeln“, versuchte Leonie zu scherzen. „Außerdem werde ich kaum eine Stelle brauchen. Ich heirate einen Multimillionär.“

„Das bist nicht du, die da redet.“

„Ich rede tatsächlich Unsinn“, erklärte sie schuldbewusst. „Ich würde Vidal auch dann heiraten, wenn er keinen Penny hätte! Es tut mir wirklich leid, dass ich dich allein lasse“, fügte sie wahrheitsgemäß hinzu, „aber es musste irgendwann einmal passieren. Wie auch immer, Portugal ist nicht aus der Welt. Wir werden uns gegenseitig besuchen.“

„Natürlich.“ Seine Zustimmung kam leise und resigniert.

Leonie legte ihre Hand über seine und tat ihr Bestes, um nicht mit der ganzen Wahrheit herauszuplatzen. „Ich weiß, dass es ein Schock ist, Dad, aber ich weiß, was ich tue.“

„Das hoffe ich“, antwortete er, „das hoffe ich sehr.“ Stuart schob seinen Stuhl zurück und stand auf. „Ich bin in meinem Arbeitszimmer.“

Sie ließ ihn ohne Protest gehen. Er brauchte Zeit für sich allein, um mit allem klarzukommen. Und wenn sie ehrlich war, ging es ihr nicht anders.

Die Stunden vergingen langsam. Erst kurz vor elf hörte sie den Mercedes vor dem Haus vorfahren.

Leonie öffnete die Tür, ehe Vidal klingeln konnte. Sie konnte das Flattern im Bauch nicht leugnen, als sie sein fest entschlossenes Gesicht sah.

„Dad wartet auf dich in seinem Arbeitszimmer“, begrüßte sie ihn. „Ich habe ihn vorbereitet.“

„Dann gibt es nicht mehr viel zu bereden“, gab Vidal trocken zurück. „Fünf Minuten sollten für das reichen, was ich ihm zu sagen habe.“

„Du wirst ihm also eine Standpauke halten“, bemerkte sie, während sie die Tür schloss.

Er lachte kurz. „Ich möchte, dass er weiß, dass unsere Ehe ihm keine weitere Immunität verschafft, ja.“

„Ich bin sicher, ihm ist das bereits klar.“ Leonie gelang es nur schwer, einen halbwegs freundlichen Ton anzuschlagen. „Er sieht einer schwierigen Zeit entgegen. Ich wäre dir dankbar, wenn du es ihm nicht noch zusätzlich schwer machen würdest.“

Als Vidal nicht antwortete, verkniff sie sich jede weitere Bitte und klopfte an die Tür des Arbeitszimmers.

„Vidal ist hier, Dad.“

Sie ließ die beiden allein und ging in die Küche, um Kaffee zu kochen. Unruhig blickte sie auf den Flur und die Tür des Arbeitszimmers. Fünf Minuten hatte Vidal gesagt, aber er war jetzt schon eine Viertelstunde drin. Worüber redeten sie nur so lange?

Es vergingen weitere fünf Minuten, ehe die beiden Männer herauskamen. Stuart wirkte eingeschüchtert, Vidal teilnahmslos.

„Ich habe alles für Montag in drei Wochen vorbereitet“, sagte Letzterer. „Ich reise heute Nachmittag nach München, damit ich meine Geschäfte rechtzeitig abschließe.“

Was mir ganze drei Wochen gibt, um mein Leben völlig umzustellen, dachte Leonie düster.

„Die Trauung wird um zehn Uhr stattfinden“, fuhr Vidal fort. „Unser Flug nach Lissabon geht um vier nachmittags.“

„So schnell!“, rief Stuart aus.

Vidal zuckte nur kurz die Achseln. „Ich sehe keinen Grund, länger zu warten. Natürlich können Sie uns jederzeit besuchen kommen.“

„Danke.“ Der ältere Mann schaffte es, keinen Sarkasmus aufkommen zu lassen.

Vidal wandte sich ab. „Ich muss jetzt gehen. Bring mich zur Tür, Leonie.“

Es war mehr ein Befehl als eine Bitte, und da ihr Vater zusah, zwang sie sich zu einem Lächeln und gehorchte.

„War es wirklich nötig, so kurz angebunden zu sein?“, fragte sie, kaum dass sie außer Hörweite waren.

„Du findest mich unhöflich, was deinen Vater anbelangt?“

Sie biss sich auf die Lippe. „Deine Nachsicht hat ihren Preis.“

„Richtig.“ Sein Ton wurde sanfter. „Findest du ihn zu hoch?“ Als sie nicht antwortete, fuhr er fort: „Tu nicht so, als würdest du gar nichts für mich empfinden. Im Moment ist es vielleicht nicht mehr als eine körperliche Reaktion, aber du musst mich erst noch wirklich kennenlernen.“

Er zog sie mit solcher Leidenschaft an sich, dass sie leise aufstöhnte.

„Siehst du“, murmelte er, „auch du wirst auf deine Kosten kommen.“

In gewisser Weise ja, dachte sie bitter, während sie hinterhersah, wie er zu seinem Wagen ging.

3. KAPITEL

Aus der Luft betrachtet, war die Landschaft ein harmonisches Gebilde aus sanften Hügeln, Bergen und zahlreichen geheimnisvoll schimmernden Flüssen. Eine Landschaft, die in goldenes Sonnenlicht getaucht war. Der Pilot hatte gerade verkündet, dass sie in zwanzig Minuten landen würden.

Es war eine völlig neue Erfahrung, erster Klasse zu fliegen. Eine tolle Erfahrung, wie Leonie zugeben musste. Sie warf einen verstohlenen Blick auf den Mann an ihrer Seite. Sein Kopf ruhte auf einem weichen Kissen. Die Augen geschlossen, die Züge entspannt, schien er fest zu schlafen.

Die Trauung an sich war nicht ganz so kalt und nüchtern ausgefallen, wie sie befürchtet hatte. Es war eine Erleichterung gewesen, als sie aus dem Standesamt gekommen waren und keine Fotografen auf sie gewartet hatten. Vidal hatte einen Tisch für drei zum Lunch bestellt, aber ihr Vater entschuldigte sich und ließ die beiden allein.

Erneut glitt ihr Blick zu ihrem frisch angetrauten Mann hinüber. Im Schlaf verloren seine Züge die sonstige Härte und wirkten dadurch noch sinnlicher.

„Musterung abgeschlossen?“ Offensichtlich hatte er die ganze Zeit bemerkt, dass sie ihn beobachtet hatte.

„Ich glaube kaum, dass ich in der Lage bin, deine Tiefen zu ergründen“, erwiderte sie schlagfertig.

Er drehte den Kopf in ihre Richtung und schaute sie ruhig an. „Dann glaubst du, dass ich Tiefen besitze?“

„Die besitzt jeder“, versetzte sie. „Auf die eine oder andere Art.“

Sorgsam ließ er seinen Blick über ihr Gesicht wandern. Das Funkeln in seinen Augen bereitete ihr weiche Knie. „Es hat eine ganze Weile gedauert, aber schließlich habe ich bekommen, was ich wollte. Ich freue mich auf ein langes und glückliches gemeinsames Leben.“

„Kann eine Ehe, die unter solchen Bedingungen geschlossen wurde, jemals glücklich sein?“, fragte sie, wobei sie das „lang“ sowieso bezweifelte.

„Wenn beide Seiten willens sind, dann mit Sicherheit“, antwortete er. „Den Rest der Woche werden wir in unserer Quinta verbringen“, fügte er hinzu. „Es wird uns die Gelegenheit geben, uns besser kennenzulernen.“

„Und was geschieht nächste Woche? Gehe ich recht in der Annahme, dass du quer durch Europa fliegen wirst?“

„Nächste Woche fahren wir nach Douro. Ich muss dich meiner Familie vorstellen.“

Leonie entging die plötzliche Spannung in seiner Stimme nicht, und sie warf ihm einen fragenden Blick zu. „Ich gehe davon aus, dass sie von der Hochzeit wissen?“

„Noch nicht“, gab er zu. „Und vermutlich werden sie auch nicht sehr erfreut darüber sein.“

Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. „Du meinst, sie könnten mich für nicht gut genug für den Dos Santos-Clan halten?“

Er lächelte trocken. „Snobismus ist keiner bestimmten Rasse vorbehalten. Sie haben bestimmte Vorstellungen davon, wie der Stammbaum fortzusetzen ist. Aber wenn sie vor vollendete Tatsachen gestellt werden, haben sie keine andere Wahl, als meine Braut zu akzeptieren.“

„Du hattest kein Recht, mich derart ins kalte Wasser zu werfen“, versetzte sie scharf. „Wie soll ich mich verhalten?“

„Wie du selbst“, entgegnete er. „Du hast genug Rückgrat, um das durchzustehen.“

Genau das bezweifelte Leonie im Augenblick. Sie wandte ihren Kopf zum Fenster und starrte gebannt auf die Landschaft, die sich unter ihr ausbreitete. Es war schlimm genug, eine Ehe zu akzeptieren, die unter Zwang geschlossen worden war – dazu noch mit einer feindlich gesinnten Familie klarkommen zu müssen, brachte das Fass zum Überlaufen.

Die Landung und das Auschecken verliefen reibungslos. Vor dem Flughafengebäude wartete bereits ein schickes Mercedes-Cabriolet auf sie. Sie ließen die Stadt hinter sich, passierten schneeweiße Dörfer und näherten sich dem Serra de Sintra. Am Fuße des Berges lag ein weiteres Dorf, doch auch das durchfuhren sie, die kurvige Straße immer höher hinauf, bis sie einen kleinen Ort erreichten, der von einer großen mittelalterlichen Burg beherrscht wurde.

„Sintra“, erklärte Vidal. „Jetzt ist es nicht mehr weit.“

Die Quinta lag einen halben Kilometer außerhalb des Orts. Eine Allee führte auf ein weißes Gebäude zu, das in der Abendsonne schimmerte. Der Glockenturm war schon von Weitem sichtbar und erinnerte an das Kloster, das einst hier beherbergt war.

„Was für ein Traum!“, rief Leonie begeistert aus. „Es grenzt an ein Wunder, dass du überhaupt an anderen Orten wohnst.“

„Ich würde mich eingeengt fühlen, wenn ich immer hier wäre“, entgegnete Vidal. Er nahm ihr Gepäck und seinen Laptop aus dem Kofferraum und deutete auf die Steinstufen, die zu einer massiven Eichentür führten. „Geh vor.“

Leonie tat es nur ungern. Die Tür wurde bereits geöffnet, ehe sie dort ankam, und eine kleine, rundliche Frau schaute sie erstaunt an, bevor sie ihre Aufmerksamkeit auf den Mann an ihrer Seite richtete und ihn etwas auf Portugiesisch fragte.

Vidal antwortete ausführlich in derselben Sprache, und schon bald zeichnete sich Überraschung auf dem Gesicht der älteren Frau ab.

„Das ist meine Haushälterin Ilena“, erklärte er Leonie. „Sie spricht kein Englisch.“

„Während ich kein Portugiesisch spreche“, versetzte Leonie und lächelte die Frau statt einer Begrüßung hilflos an. „Du hättest mich vorbereiten können! Und sie auch!“

Sie hätte genauso gut gegen eine Wand reden können, denn ihr Vorwurf prallte wirkungslos an ihm ab. Ilena trat einen Schritt zurück und scheuchte Leonie vor ihm ins Haus.

Die großzügige Eingangshalle war lichtdurchflutet, der Boden aus Steinfliesen. Bogentüren führten zu den Räumen an den Seiten, eine breite Treppe zum nächsten Stockwerk. Die Decke bestand aus rustikalen wettergegerbten Holzbalken, die perfekt zu den antiken Möbeln passten.

Vidal stellte Laptop und Gepäck ab und murmelte Ilena etwas zu, was Leonie nicht hören konnte. Nicht, dass es ihr viel gebracht hätte.

„Hier durch“, sagte er, als Ilena die Treppe hinaufging. „Zuerst ein Drink, dann ein frühes Dinner.“

Essen war das Letzte, an das Leonie in diesem Moment dachte. Unter normalen Umständen hätte sie sich unheimlich darüber gefreut, eine Woche in einer solchen Umgebung verbringen zu können. Nur: Was war an diesen Umständen normal?

Der Salon verfügte neben der warmen Holzdecke über einen steinernen Kamin und lud mit den vielen Sofas und Sesseln und der gemütlichen Atmosphäre zum Verweilen ein. Hier lag ein dicker weicher Teppich, dessen sanfte Töne im Licht schimmerten. Die Gemälde an den weißen Wänden mussten Originale sein, wie selbst ihrem ungeübten Auge auffiel.

Vidal schlüpfte aus seinem Jackett und ließ es zusammen mit der Krawatte auf einen Sessel fallen. „Was möchtest du trinken?“, fragte er.

„Warum nicht Champagner?“, entgegnete sie, fest entschlossen, sich nicht dem Heimweh zu ergeben, das sich bereits einstellen wollte. „Falls du eine Flasche vorrätig hast.“

Statt einer Antwort drückte er auf eine kleine Klingel an der Wand. „Es wird ein paar Minuten dauern. Warum setzt du dich nicht?“

Leonie sank in den nächsten Sessel und bedauerte bereits ihre Provokation. Natürlich würde er Champagner haben. Er würde alles haben, was man sich nur denken konnte.

Ein junger Mann, der in schwarze Hosen und weißes Hemd gekleidet war, erschien in der Tür und lächelte sie an. Er nahm die Bestellung entgegen und verschwand. Nur wenige Minuten später kehrte er zurück und balancierte eine Flasche Dom Pérignon und zwei Kristallflöten auf einem Tablett.

Vidal schenkte ein und hob dann sein Glas zum Toast. „Para melhorar o conhecimento!“

„Was heißt das?“

„Auf besseres Kennenlernen“, antwortete er. „Schließlich ist die Basis jeder Beziehung zwischen Mann und Frau der Anfang.“

„Nur ein Mann kann das so sehen.“

Er lachte. „Du glaubst, dass Freundschaft eine bessere Basis ist?“

„Ich finde es mindestens ebenso wichtig.“ Allmählich geriet sie in Fahrt. „Abgesehen von ein, zwei geschmacklichen Dingen, die wir teilen, sind wir so grundverschieden, wie zwei Menschen nur sein können. Du hast keine Ahnung, was meine Persönlichkeit ausmacht. Alles, was du siehst …, ist die Oberfläche. Wenn ich nicht so aussehen würde, wie ich aussehe, hättest du keinen zweiten Gedanken an mich verschwendet.“

„Das ist vermutlich richtig“, gab er ruhig zu. „Hättest du dich an jenem ersten Tag zu mir hingezogen gefühlt, wenn ich dick und kahlköpfig wäre?“

Leonie hob trotzig das Kinn. „Vielleicht.“

Vidal schüttelte lachend den Kopf. „Du bist eine zauberhafte Lügnerin, aber dennoch eine Lügnerin! Und was den Umstand anbelangt, dich als Mensch kennenzulernen, das, was unter der Oberfläche liegt – wie ich bereits sagte, das kommt mit der Zeit. Genauso, wie du mich kennenlernen wirst.“

Sie seufzte resigniert. Vielleicht hatte er recht. Vielleicht sollte sie die Dinge akzeptieren, so, wie sie waren, und nicht nach einem unerreichbaren Ideal streben.

Bevor das Dinner serviert wurde, machten sie einen kurzen Rundgang durchs Haus. Insgesamt gab es vier Stockwerke. Sie hatten das Haus auf der zweiten Etage betreten, das Untergeschoss war offensichtlich der Küche und den Räumen des Personals vorbehalten. Im dritten Stockwerk befanden sich weitere Wohnräume, und die Schlafzimmer lagen direkt unterm Dach. Die großzügige Suite, die sie gemeinsam bewohnen sollten, bot auf der einen Seite einen wunderbaren Blick über die Berge, auf der anderen konnte man bis zur Küste schauen. Zum Schlafzimmer gehörten ein eigener Ankleideraum und ein angrenzendes Bad, in dem sich ein marmorner Whirlpool befand.

Allein gelassen, nutzte Leonie die Zeit vor dem Essen, um von dem Kostüm, in dem sie geheiratet hatte, in ein einfaches Sommerkleid zu wechseln. Dann packte sie ihre Koffer aus. Der Kleiderschrank war so riesig, dass ihre Sachen darin verloren wirken würden.

Es wäre nur zu leicht, sich an diese Art Lebensstil zu gewöhnen, dachte sie. Zwar konnte Geld kein Glück erkaufen, aber es machte auch nicht unglücklich.

Auf einer Terrasse voller Blumen, die denselben wunderbaren Blick bot wie ihr Schlafzimmer, genossen sie ein leichtes Mahl, bestehend aus Fisch und Salat. Die Sonne tauchte in einem feuerroten Ball im Meer unter und hüllte sie in ein warmes Zwielicht.

Bald würde Vidal sie nach oben ins Bett führen. Sie musste zugeben, dass sie sich nicht davor fürchtete, sondern eher von einer wachsenden Erregung ergriffen wurde. Bestimmte Gefühle strikt voneinander zu trennen, war einfacher, als sie gedacht hatte. Sie mochte ihn nicht lieben, aber sie begehrte ihn.

„Wie lange arbeitet Ilena schon für dich?“, fragte sie, weil sie krampfhaft nach etwas suchte, das sie von ihren lustvollen Gedanken ablenkte.

„Seit dieses Gebäude restauriert wurde“, antwortete er. „Zuvor hatte ich ein Apartment in der Stadt.“

„In der Geschäftswelt giltst du als eine Art Wunderkind“, bemerkte sie leicht. „Wie fühlt es sich an, so viel in so kurzer Zeit erreicht zu haben?“

„Befriedigend“, gab er zu. „Nicht dass ich die berühmte ‚Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Karriere‘ eingeschlagen hätte. Ich habe ein Vermögen von meinem Großvater väterlicherseits geerbt und ein anderes von der Parella-Seite. Beim Tod meines Vaters werde ich der Alleinerbe des ganzen Besitzes sein.“ Er lächelte schwach. „Sowohl für ihn als auch für mich hoffe ich, dass es bis dahin noch lange hin ist.“

„Weil du dich verpflichtet fühlen würdest, zurückzugehen und dort zu leben?“, vermutete Leonie.

„Das würde man erwarten. Als einziger Sohn soll ich einige Dinge tun, die ich nicht tun möchte.“

Mittlerweile war es fast ganz dunkel geworden. Tausende von Sternen funkelten an einem Himmel von nachtschwarzem Samt. Mit klopfendem Herzen beobachtete Leonie ihr Gegenüber. In den sanften Schein der Wandlichter getaucht, sah sein Gesicht wie aus Bronze gegossen aus. Bis jetzt wusste sie nur, wie er sich anfühlte. Sie konnte nur vermuten, wie er ohne Kleider aussehen würde.

„Ich denke, ein Brandy wäre der perfekte Abschluss dieses Essens“, sagte Vidal.

Er stand auf, um die Drinks zu holen, und kam mit zwei Gläsern und einer Karaffe zurück. Leonie sah zu, wie er die goldene Flüssigkeit in die Gläser einschenkte, und erinnerte sich dabei, wie sie vor wenigen Wochen das letzte Mal mit ihm Brandy getrunken hatte. Sie konnte immer noch kaum fassen, dass in dieser kurzen Zeit so viel passiert war.

„Was würdest du tun, wenn du herausfändest, dass ich in Wahrheit doch keine Jungfrau mehr bin?“, fragte sie ohne Vorwarnung.

Der Blick, den Vidal ihr zuwarf, war vollkommen sorglos. „Wie ich dir bereits sagte – wenn da irgendeine ernstere Beziehung zu einem Mann gewesen wäre, hätte ich es gewusst.“

„Und natürlich gehst du davon aus, dass es keine lockeren Beziehungen gegeben hat?“

„Ja, das ist richtig“, stimmte er zu. „Du bist nicht der Typ für One-Night-Stands.“

„Ich hätte beinahe die Nacht mit dir verbracht“, erinnerte sie ihn.

Um seine Mundwinkel zuckte es. „Nur weil du kaum eine andere Chance hattest. Ich bin nicht stolz auf mein Verhalten an diesem Tag. Ich habe mich von meinem Verlangen nach Vergeltung leiten lassen. Glücklicherweise kam ich rechtzeitig zu mir, ehe ich etwas getan habe, was ich bereut hätte.“

Leonie sah ihn aufmerksam an. „Dein Verhalten tut dir also kein bisschen leid?“

„Hättest du andernfalls Ja gesagt?“, antwortete er mit einer Gegenfrage und lächelte kurz, als sie nichts sagte. „Richtig oder falsch – es war eine Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lassen konnte.“ Ein Funkeln trat in seine dunklen Augen. „Jetzt gehörst du mir!“

„Ich gehöre nur mir selbst!“, protestierte sie.

„Wenn das kein feministischer Aufschrei war!“

In seinem Ton lag Spott. Leonie gab nach, denn sie wollte sich nicht weiter von ihm aufziehen lassen. Langsam nippte sie an ihrem Brandy und genoss die Wärme, die sich in ihrer Kehle ausbreitete. Allmählich spürte sie, wie sich ihre Stimmung hob. Vidal hatte die Situation ihres Vaters schonungslos ausgenutzt, um das zu bekommen, was er haben wollte, aber was geschehen war, war geschehen, und sie musste das Beste daraus machen – solange es eben andauerte. Es hätte so viel schlimmer kommen können. Sie hätte ihn körperlich abstoßend finden können.

Vidal setzte sein Glas ab und nahm ihr ihres sanft aus der Hand. Seine Augen schimmerten. „Ich kann nicht mehr länger warten“, sagte er zärtlich. „Komm, meu querida.“

Ihr Herz hämmerte wild, als Leonie sich von ihm auf die Füße ziehen ließ. Sie wollte dies genauso sehr wie er.

Auf dem Weg nach oben begegnete ihnen niemand. Das ganze Haus war ruhig. Im Schlafzimmer brannte nur das sanfte Licht der Nachttischlampe.

Voller Leidenschaft zog er sie in seine Arme und eroberte ihren Mund im Sturm. Leonie reagierte ganz instinktiv, indem sie die Arme um seinen Nacken schlang und ihren Körper an seinen presste. Kein anderer Mann hatte es je geschafft, sie derart zu erregen wie Vidal. Sie wollte alles kennenlernen – alles, was sie bislang verpasst hatte.

Mit geschickten Fingern löste er die Knöpfe ihres Kleides und ließ es über ihre Schultern zu Boden gleiten. Dann hob er sie schwungvoll auf seine Arme und trug sie zum Bett hinüber. Sanft legte er sie ab und verschlang ihren schlanken Körper, der nur noch von ihrer knappen Spitzenunterwäsche verhüllt war, mit Blicken. In seinen dunklen Augen brannte das Verlangen.

„Sem igual!“, murmelte er. „Voce é meu!“

Das Blut rauschte ihr in den Ohren, als sie ihn dabei beobachtete, wie er sich seiner eigenen Kleidung entledigte. Seine Haut schimmerte im Licht der Lampe wie flüssiges Gold. Die Muskeln der Schultern und Arme traten deutlich hervor. Sein Bauch war flach, die Hüften schmal, sein Körper glatt und stark.

Mit jeder Faser ihres Seins sehnte sie sich nach seiner Nähe und seufzte verzückt, als er neben sie glitt und sie zum ersten Mal das Gefühl von Haut an Haut spürte. Rasch zog er ihr die restlichen Kleidungsstücke aus. Seine Berührung war wie das Streifen von Schmetterlingsflügeln gegen ihren Bauch. Ihr stockte der Atem, als er die Stelle erreichte, zu der sie noch keinem anderen Mann Zugang gewährt hatte. Unbewusst versteifte sie sich für einen Augenblick, doch schon bald ließen seine sanften Finger sie alles um sie herum vergessen. Wie von selbst unterwarf sie sich seinem Kommando und erlebte schon bald einen wunderbaren Höhepunkt.

„Das ist erst der Anfang“, versprach Vidal zärtlich.

Er schob sich über sie und stützte sein Gewicht mit den Armen ab. Als er sie küsste, reagierte sie blind, leidenschaftlich, hemmungslos. Sie schob ihre Finger in sein dichtes Haar und bog sich ihm entgegen. Wie von selbst öffneten sich ihre Schenkel, sodass er sie endlich in Besitz nehmen konnte. Der Schmerz war so kurz, dass sie ihn kaum wahrnahm. Ihn so tief in sich zu spüren, war atemberaubend. Sie wünschte sich, für immer so verharren zu können. Als er sich zu bewegen begann, war sie im ersten Moment fast enttäuscht, doch schnell folgte sie ihm im uralten Rhythmus der Zeit. Wellen der Leidenschaft erfassten sie, trugen sie immer höher hinauf, bis sie erneut ihre Erfüllung fand. Vidal kam beinahe sofort nach ihr, tief aufstöhnend verharrte er einen endlosen Augenblick, ehe er in ihren Armen zusammenbrach.

Er war der Erste, der seine Stimme wiederfand. Er legte seinen Kopf an ihre Schulter, verlagerte sein Gewicht, sodass sie atmen konnte, und schien völlig im Einklang mit sich und der Welt. „Als ich dich das erste Mal sah, wusste ich sofort, wie es zwischen uns sein würde“, murmelte er. „Wir sind füreinander bestimmt, du und ich.“

In dieser Sekunde konnte Leonie keinen Einwand dagegen finden. Sie hatte sich nie zuvor so glücklich gefühlt. Kurz bevor sie einschlief, dachte sie noch, dass es sogar wert gewesen war, so lange zu warten.

Das Kissen neben ihr war leer, als sie am nächsten Morgen aufwachte. Strahlender Sonnenschein und zarter Blumenduft drangen durch die geöffneten Fenster.

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