Romana Herzensbrecher Band 10

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ENDLICH GLÜCKLICH IN GRIECHENLAND? von HELENA DAWSON
Ein Blick in die Augen des attraktiven Griechen auf dem Platz neben ihr lässt Kate ihre Flugangst vergessen. Dennoch wehrt sie sich gegen ihre Gefühle. Erst als sie Alex in der idyllischen Hafenstadt Kalamata wiedertrifft, traut sie sich, ihm ihr Herz zu öffnen...

VERLOCKUNG IN VENEDIG von LUCY GORDON
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SÜßE UMARMUNG IN NIZZA von CLAIRE BAXTER
Malerische Gassen, azurblaues Meer – in Nizza will Leonie ein neues Leben beginnen. Schnell hat sie in Jacques einen faszinierenden Fremdenführer gefunden. Von Anfang an knistert es zwischen ihnen. Warum nur zeigt er ihr die kalte Schulter, sobald es ernst wird?


  • Erscheinungstag 08.06.2021
  • Bandnummer 10
  • ISBN / Artikelnummer 9783751503372
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Helena Dawson, Lucy Gordon, Claire Baxter

ROMANA HERZENSBRECHER BAND 10

1. KAPITEL

„He, ihr beiden, macht gefälligst die Augen auf!“ Aufgebracht funkelte Kate die beiden jungen Mädchen an, die sich an ihr vorbeidrängten und dabei auf die Reisetasche zu ihren Füßen traten.

„’Tschuldigung!“

Kichernd stießen die beiden sich an, während sie eine Gruppe junger Männer betrachteten, die wenige Meter entfernt vor dem Aufzug stand.

„Für wen hält die sich eigentlich?“, fragte eine von ihnen die andere im Weggehen. „Ich wette, sie ist Lehrerin!“

Wütend blickte Kate ihnen nach. Noch mehr als das rücksichtslose Verhalten ärgerte sie die Erkenntnis, dass sie die jungen Mädchen um ihre Unbekümmertheit beneidete, denn anders als sie schienen diese keinerlei Panik zu verspüren.

Nervös sah sie wieder auf die Anzeigentafel, auf der dieselbe Information wie seit ihrer Ankunft in der Abflughalle zu lesen war. Ihre Maschine hatte erhebliche Verspätung, und sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Ihre Flugangst lähmte sie dermaßen, dass Kate nicht einmal die Energie aufbrachte, Schadensbegrenzung zu betreiben, indem sie nach Hause fuhr und diese Reise ganz strich. Ausgerechnet ihre Freundin Liz, die sie immer für vertrauenswürdig gehalten hatte und die von ihrer Flugangst wusste, hatte sie förmlich dazu genötigt.

Wie hatte sie sich nur darauf einlassen können, vor allem jetzt, da sich ihr erster großer geschäftlicher Erfolg abzeichnete?

Sie stellte sich ihre Tasche auf den Schoß, wobei sie sie unbewusst an sich drückte, während sie sich an jenen Abend in der vergangenen Woche erinnerte, als Liz ihr das Ticket überreicht und sie vor vollendete Tatsachen gestellt hatte.

„Du brauchst unbedingt eine Auszeit, Süße“, hatte sie verkündet. „So kann es nicht weitergehen. Wann hast du das letzte Mal richtig ausgeschlafen?“ Dabei hatte sie sie forschend betrachtet. „Du hast schon Ringe unter den Augen, und das ist nicht gut fürs Geschäft.“

Dabei hatte sie natürlich genau gewusst, dass dies nicht an der zusätzlichen Arbeit lag, die mit der Eröffnung ihrer zweiten Boutique verbunden war.

„Aber ich …“, hatte Kate angesetzt, doch Liz hatte sie nicht ausreden lassen.

„Ich weiß, dass du nicht gern fliegst“, hatte sie eingeräumt, „aber daran habe ich auch gedacht.“

Dann hatte sie einen kleinen weißen Umschlag aus ihrer Handtasche genommen und ihn ihr überreicht.

„Die habe ich mir von Ian besorgt. Wozu hat man schließlich einen Bruder, der Arzt ist?“

„Was ist das?“ Skeptisch hatte Kate die Blisterpackung darin betrachtet.

„Beruhigungstabletten. Es sind nur vier, und sie sind nicht besonders stark. Zwei sind für den Hin- und die anderen beiden für den Rückflug – falls du überhaupt zurückkommst. Warte nur, bis du das Haus gesehen hast. Wahrscheinlich willst du dort bleiben, um ein neues Leben zu beginnen und alles hinter dir zu lassen.“

Mit allem hatte Liz natürlich Michael gemeint, aber an ihn wollte sie jetzt nicht denken …

Den Griff ihrer Tasche krampfhaft umklammert, zwang Kate sich, in die Gegenwart zurückzukehren. Sie musste sich zusammenreißen, statt hier zu sitzen und abwechselnd zu grübeln oder in Panik zu verfallen. Deshalb beschloss sie, einen Kaffee trinken zu gehen, und stand auf.

Da alle anderen Sitze besetzt waren, nahm sofort eine junge Mutter mit einem Baby den freien Platz ein und lächelte sie an.

Kate erwiderte ihr Lächeln, bevor sie wegging, drehte sich dann jedoch aus einem Impuls heraus noch einmal um. Die junge Frau sprach gerade leise mit dem Kind, das sie anstrahlte. Offenbar fühlte es sich in ihren Armen trotz des Trubels ringsum geborgen.

Unwillkürlich fragte sich Kate, wie es wohl sein mochte, ein Baby zu haben und die Verantwortung für einen kleinen Menschen zu übernehmen, der völlig von einem abhängig war – so wie Carol es bald erfahren würde. Dabei verspürte sie einen leisen Stich, den sie zu ignorieren versuchte – eine schmerzliche Sehnsucht, ja, Eifersucht.

Gequält blieb sie stehen und schloss für einen Moment die Augen. Dann riss sie sich zusammen und schob sich weiter an den vielen Menschen vorbei. Anders als Carol eignete sie sich überhaupt nicht als Mutter. Ihr Lebensweg würde ganz anders verlaufen, das hatte sie schon immer gewusst.

Als sie wenige Minuten später in der Schlange vor dem Coffeeshop stand, versuchte Kate, an etwas anderes zu denken als an Babys, Carol und den bevorstehenden Flug, und sich stattdessen auf all die Dinge zu konzentrieren, die vor der Eröffnung ihrer zweiten Boutique noch erledigt werden mussten.

Mit ihrem künstlerischen Talent hatte sie wohl einen großen Teil zum gemeinsamen Erfolg mit Liz beigetragen, doch andere Menschen anzuleiten gehörte nicht zu ihren Stärken. Peter, der junge Grafiker, den sie mit der Werbung beauftragt hatte, musste jedenfalls ständig dazu angehalten werden, seine Entwürfe pünktlich zu liefern.

Nachdem sie ihren Kaffee und ein Croissant erhalten hatte, setzte sie sich an einen freien Tisch und öffnete ihre Handtasche, um den Ordner mit dem Werbematerial herauszunehmen und darin zu blättern. Wenigstens konnte Liz sie nicht davon abhalten, während ihres erzwungenen Urlaubs etwas Sinnvolles zu tun.

Plötzlich stieß jemand sie an, woraufhin der Ordner auf den Boden fiel.

„Das kann doch nicht wahr sein!“, rief Kate genervt, ohne zu der betreffenden Person aufzublicken. „Kann hier denn niemand mal aufpassen?“

Schnell kniete sie sich hin, um Petes Entwürfe zu retten, bevor noch jemand darauftrat.

„Oh, tut mir leid“, entschuldigte sich ein Mann. „Passen Sie auf, sonst stoßen Sie sich noch den Kopf!“

Erschrocken war Kate aufgesprungen und spürte nun, wie der Mann ihr die Hand auf die Schulter legte, damit sie nicht gegen den Tisch stieß.

„Kommen Sie, ich helfe Ihnen.“

Nachdem er die Unterlagen eingesammelt hatte, streckte er ihr die Hand entgegen, die sie widerstrebend ergriff. Als sie ihm gegenüberstand, blickte sie in amüsiert funkelnde graue Augen.

„Hoffentlich ist nichts kaputtgegangen. Ich kann mich nur bei Ihnen entschuldigen, aber ich musste auch jemandem ausweichen.“

Als der Fremde sie gewinnend anlächelte, wurde ihr bewusst, dass er sie immer noch festhielt. Schnell entzog sie ihm ihre Hand.

„Danke“, erwiderte sie eisig. „Aber es ist nichts passiert.“

Nachdem sie den Ordner in ihre Handtasche getan hatte, setzte sie sich wieder, um ihren inzwischen lauwarmen Kaffee auszutrinken.

„Nicht besonders lecker, stimmt’s?“, erkundigte er sich geradezu aufreizend fröhlich, als er ihren angewiderten Gesichtsausdruck bemerkte, und machte keine Anstalten zu gehen. „Ich trinke immer frisch gepressten Saft. Da kann man nicht viel falsch machen.“

Lässig nahm er ein Glas vom Nachbartisch und setzte sich auf die Kante, sodass sie gezwungen war, ihren Becher ein Stück zur Seite zu schieben.

„Es stört Sie doch nicht, oder?“, fuhr er im Plauderton fort. „Ich unterhalte mich immer gern auf Reisen, weil die Zeit so schneller vergeht. Ach übrigens, ich bin Alexander, aber meine Freunde nennen mich Alex.“

Erwartungsvoll betrachtete er sie, doch Kate war nicht in der Stimmung für seinen routinierten Charme. Schnell trank sie ihren Kaffee aus, schob das angebissene Croissant weg und stand auf, wobei sie seine überraschte Miene mit einem kühlen Blick quittierte.

„Sie können gern meinen Platz haben, denn ich gehe jetzt, Alexander.“ Nachdem sie ihre Tasche hochgehoben und ihm kurz zugenickt hatte, wandte sie sich ab und mischte sich unter die Menge, nur für den Fall, dass er auf die Idee kam, ihr zu folgen.

Sobald sie in sicherer Entfernung war, drehte sie sich um, konnte ihn allerdings nirgends ausmachen. Erleichtert atmete sie auf. Sie hatte wirklich genug Probleme und keine Lust auf Small Talk. Dennoch bedauerte sie ein wenig, so schroff gewesen zu sein. Schließlich hatte er ihr dabei geholfen, die Unterlagen einzusammeln, und sie so gewinnend angelächelt …

Jetzt war es allerdings zu spät, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Als Kate auf die Anzeigentafel blickte, setzte ihr Herz einen Schlag aus, und sie vergaß den Fremden sofort. Man hatte ihren Flug bereits aufgerufen, und nun gab es kein Zurück mehr, wenn sie ihre Freundin nicht vor den Kopf stoßen wollte.

„Sei nicht albern“, sagte sie leise zu sich selbst, während sie auf das betreffende Gate zuging. „Du hast deine Tabletten, und der Flug dauert nicht lange. Freu dich auf die Sonne und das Meer.“

Die Aussicht auf zwei Wochen, in denen sie ganz für sich wäre, erschien wirklich verlockend, wie sie sich jetzt eingestehen musste.

„Oh, da sind Sie ja wieder! Wie nett! Dann fliegen Sie also auch nach Athen?“

Als Kate sich resigniert umwandte, sah sie sich Alexander gegenüber, der sie – scheinbar ungerührt über die Abfuhr – charmant anlächelte.

„Scheint so!“, bestätigte sie unwirsch, bereute ihren schroffen Tonfall allerdings sofort. „Tut mir leid“, fuhr sie fort und rang sich ein Lächeln ab. „Ich wollte nicht … Ja, ich fliege auch nach Athen. Und von dort weiter“, fügte sie schnell hinzu, damit er sich keine falschen Hoffnungen machte.

„Oh, wohin …?“

Mehr bekam sie nicht mit, denn sie wurde vom Strom der anderen Passagiere mitgerissen und betrat nun die Maschine.

Beim Einchecken hatte sie um einen Platz am Gang gebeten, weil sie ohnehin nicht vorhatte, aus dem Fenster zu blicken. Vielmehr wollte sie sich mit einem Krimi oder mit Sudokus ablenken.

Als sie das Gepäckfach öffnete, hörte sie eine vertraute Stimme hinter sich.

„Kommen Sie, ich helfe Ihnen.“

„Danke, das schaffe ich schon“, versicherte sie kühl. „Ich reise nicht zum ersten Mal allein.“

Nachdem sie ihre Tasche verstaut und das Fach verschlossen hatte, beobachtete sie, wie Alexander es wieder öffnete, um seine Tasche hineinzustellen.

„Nun reißen Sie mir doch nicht gleich den Kopf ab“, meinte er freundlich. „Es war wirklich nur nett gemeint. Würden Sie mich bitte durchlassen?“

Bestürzt beobachtete Kate, wie er auf den Platz neben ihr – den in der Mitte – deutete.

„Tut mir leid, aber Sie müssen mich jetzt noch bis Athen ertragen“, scherzte er und verzog dann das Gesicht, als er sich auf den schmalen Sitz zwängte.

„Die sind wirklich für Zwerge gemacht, stimmt’s? Na, zum Glück fliegen wir nur nach Griechenland, nicht nach Hongkong.“

Auch sie wünschte, der Flug möge so schnell wie möglich vergehen, wenn auch aus anderen Gründen. Während Alexander mit dem Nachbarn zu seiner Rechten plauderte, suchte sie in ihrer Handtasche nach den Tabletten, die sie hoffentlich für eine Weile beruhigen würden.

Gerade als sie die Packung zu fassen bekam, blitzte es draußen. Falls diese Maschine abstürzen sollte, würde auch eine Tablette sie nicht daran hindern. Also konnte sie sie auch später noch nehmen.

Offenbar merkte Alexander ihr die Anspannung an, denn er drehte sich nun zu ihr um und lächelte mitfühlend.

„Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich fliege diese Strecke mindestens einmal im Monat.“

Entgeht diesem Typen denn gar nichts?, überlegte sie verärgert, während sie ihn mit einem eisigen Blick bedachte.

„Das habe ich auch nicht“, erklärte sie kühl. Als er unmerklich die Brauen hochzog, fügte sie schnell hinzu: „Na ja, etwas nervös bin ich schon. Ich weiß ja, dass Flugzeuge das sicherste Verkehrsmittel sind, aber wenn es mit dem Auto nicht so lange dauern würde …“ Sie zuckte die Schultern. Dann lehnte sie sich zurück und schloss die Augen, in der Hoffnung, er würde den Hinweis verstehen und sie jetzt in Ruhe lassen – weit gefehlt!

„Mit mir als Sitznachbar brauchen Sie diese Tabletten da nicht“, verkündete er lässig. „Vielleicht finden Sie die Unterhaltung mit mir sogar so faszinierend, dass Sie wünschen, der Flug würde doppelt so lange dauern.“

„Das bezweifle ich“, stieß Kate hervor. „Hören Sie …“ Sie wandte sich zu ihm um und betrachtete ihn mit einem eisigen Blick. „Ich will nicht unhöflich sein, aber ich möchte lieber meine Ruhe haben, denn mir geht momentan viel im Kopf herum, und ich hasse das Fliegen, wie Sie ganz richtig bemerkt haben. Ich möchte einfach nur alles verdrängen, bis wir gelandet sind.“

Nachdem sie ihn mit einem strahlenden Lächeln bedacht hatte, drehte sie sich wieder um und schloss die Augen. Selbst er musste es nun endlich begriffen haben!

Zu ihrer Erleichterung schien es tatsächlich der Fall zu sein, denn er schwieg. So konnte sie sich nach dem Start auf ihren Krimi konzentrieren und sich nach einer Weile etwas entspannen. Da es sehr eng war, berührte Alexanders Arm ihren, doch sie war zu müde, um ihn sinken zu lassen. Außerdem übte seine Körperwärme eine beruhigende Wirkung auf sie aus …

Kate schreckte aus dem Schlaf, als eine Stewardess mit dem Getränkewagen kam.

Bestürzt stellte sie fest, dass ihr Kopf an Alexanders Schulter ruhte. Sofort rückte sie von ihm weg, doch statt zu spotten, erkundigte er sich leise, ob es ihr jetzt besser gehe.

„Ja, danke“, antwortete sie kurz angebunden, bevor sie ihren kleinen Spiegel aus der Handtasche nahm. Wie sie befürchtet hatte, sah sie nicht besonders frisch aus. Schnell kämmte sie sich das Haar und zog die Lippen nach.

„Sehr hübsch!“, bemerkte Alexander beifällig. „Und funkeln Sie mich nicht so böse an. Das passt nicht zu Ihnen.“ Dann beugte er sich vor, um sie forschend zu betrachten. „Sind Sie immer so kratzbürstig, Miss …?“ Schnell blickte er auf ihre linke Hand. „Oder Mrs.?“, fügte er jungenhaft lächelnd hinzu.

„Miss.“ Gereizt seufzte sie. „Kate Penwarden. Aber sagen Sie einfach Kate zu mir.“

„Aha.“ Er nickte zufrieden. „Und, sind Sie es?“

„Was?“

„So kratzbürstig. Schließlich wollte ich nur höflich sein und Ihnen helfen. Etwas anderes liegt mir fern, glauben Sie mir.“

Ein Schatten schien über sein Gesicht zu huschen, und wieder bedauerte Kate ihre Schroffheit. Alexander hatte recht. Er war nur nett zu ihr gewesen, auch wenn seine Offenheit sie irritierte, und sie hatte ihm ohne Grund die kalte Schulter gezeigt.

Deshalb rang Kate sich ein Lächeln ab und sagte steif: „Tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich sein. Nehmen Sie es bitte nicht persönlich, aber ich brauche einfach meine Ruhe. Von meiner Flugangst wissen Sie ja schon …“ Nach einer kurzen Pause fuhr sie schulterzuckend fort: „Außerdem gibt es da ein paar andere Dinge, die mich beschäftigen, und ich bin wirklich nicht in der Stimmung zu plaudern.“

Als die Stewardess sie im nächsten Moment ansprach, wandte Kate sich ab. Bevor sie jedoch etwas bestellen konnte, meinte Alexander: „Die Lady möchte sich mit mir eine Flasche Champagner teilen.“ Sein ruhiger, aber bestimmter Tonfall verblüffte sie. „Sicher haben Sie einen, der schon kalt ist?“

Die Flugbegleiterin lächelte. „Natürlich, Sir. Wenn Sie bitte einen Augenblick warten würden …“

„Bestimmt mögen Sie Champagner, Kate?“, fragte er dann, ohne ihren wütenden Gesichtsausdruck zu beachten. „Es ist das beste Beruhigungsmittel, das ich kenne, und der beste Start für einen Urlaub. Sie fliegen doch in die Ferien, oder?“

„Ja, das tue ich.“ Sie seufzte resigniert. „Und ich trinke gern Champagner. Vielen Dank.“

Kurz darauf kehrte die Stewardess mit zwei Gläsern und einem Eiskübel mit der Champagnerflasche zurück. Alexander goss ein, reichte Kate ein Glas und prostete ihr zu.

„Auf einen schönen Urlaub also.“

Nachdem sie mit ihm angestoßen hatte, lehnte sie sich zurück und trank einen Schluck. Tatsächlich fühlte sie sich gleich besser, und als er sich ebenfalls nach hinten lehnte, um aus dem Fenster zu blicken, betrachtete sie ihn verstohlen.

Er war so ganz anders als Michael, den man beim besten Willen nicht als charmant hätte bezeichnen können.

Michael war genauso selbstsicher, dominant und einnehmend wie er, und zuerst war er auch zärtlich und großmütig gewesen, wie sie sich traurig erinnerte … Und sie hatten sich geliebt. Was war dann schiefgegangen? Wie hatte er sie so schamlos betrügen und eine Affäre mit einer anderen Frau beginnen können, während er noch mit ihr verlobt gewesen war – und sie trotzdem heiraten wollen?

Instinktiv berührte sie ihre linke Hand, aber der Ring steckte natürlich nicht mehr daran. Drei Jahre und vier Monate hatte sie ihn getragen …

Unwillkürlich ballte sie die Hände zu Fäusten, während sie starr nach vorn blickte und gegen die vertrauten Gefühle, Wut und Schmerz, kämpfte. Nein, denk nicht einmal daran, schalt sie sich dann. Du musst das alles hinter dir lassen, und dies ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um in Grübeleien zu verfallen.

Kate trank noch einen Schluck Champagner, bevor sie wieder Alexanders dichtes dunkles Haar und sein Profil betrachtete. Er unterhielt sich gerade mit dem Nachbarn zu seiner Rechten, der offenbar auf irgendeinen Punkt am Boden zeigte.

Sein Haar war tiefschwarz, leicht gewellt und reichte ihm bis zum Nacken. Ob er Grieche war? Er sprach Englisch mit einem leichten Akzent, aber seine grünen Augen deuteten nicht auf eine südländische Herkunft.

Seine gebräunte Hand ruhte auf seinem Schenkel, als er sich hinüberbeugte, um aus dem Fenster zu blicken, und einen verrückten Moment lang verspürte Kate den Drang, sie zu nehmen und festzuhalten.

Fassungslos lehnte sie sich wieder zurück. Was war nur in sie gefahren? Auf keinen Fall wollte sie sich wieder mit einem Mann einlassen, schon gar nicht mit diesem. Sie hatte sich vorgenommen, sich erst einmal auf ihre Arbeit zu konzentrieren, und so sollte es auch bleiben. Liebe und Romantik waren nichts für sie, wie Michael ihr unverblümt klargemacht hatte.

Zu ihrem Entsetzen spürte Kate, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten, und sie neigte den Kopf, um diese schnell wegzuwischen. Auf keinen Fall sollte Alexander sie weinen sehen. Zum Glück konzentrierte er sich immer noch auf die Aussicht und schien nichts zu bemerken, sodass sie sich noch sammeln konnte, bevor die Stewardess das Essen brachte.

„Trinken Sie noch etwas Champagner“, lud er sie ein und schenkte ihr nach. „So schmeckt es gleich besser. Mahlzeiten im Flugzeug sind nicht gerade ein gastronomisches Highlight, stimmt’s?“

Nun musste sie lachen, woraufhin er gespielt erstaunt die Brauen hochzog.

„Sie lachen ja, Kate! Der Champagner scheint es in sich zu haben. Sind Sie sicher, dass Sie nicht schon beschwipst sind?“

Er trank auch einen Schluck und schüttelte danach den Kopf. „Nein, er schmeckt ganz normal. Also muss es an der Flughöhe liegen.“

Skeptisch probierte er die Vorspeise, bei der es sich um Taramasalat zu handeln schien.

Seufzend begann Kate, ebenfalls zu essen. „Sie wollten vorhin wissen, ob ich immer so kratzbürstig bin. Darf ich Sie etwas fragen?“

„Schießen Sie los. Ich freue mich riesig, weil Sie endlich mit mir reden.“

„Können Sie eigentlich nie ernst sein? Ihre Freunde sind bestimmt manchmal genervt von Ihrer Art.“

„Wie kommen Sie denn darauf, Kate? Ich wollte Sie nur aufheitern, aber wir können uns auch gern über wissenschaftliche oder kulturelle Themen unterhalten. Vielleicht interessieren Sie meine Ansichten über Gentechnik und den Niedergang der Filmindustrie? Sie müssen es mir nur sagen.“

Nachdem er noch etwas von seinem Tamarasalat gegessen hatte, legte er die Gabel weg und blickte Kate gespielt verzweifelt an. „Wir können auch gern über Sie sprechen, Kate. Zum Beispiel warum Sie allein nach Athen fliegen.“

Wieder seufzte sie. „Sie machen sich schon wieder über mich lustig, Alexander.“

„Nein, das tue ich nicht, aber es würde Ihnen doch nichts ausmachen, wenn es so wäre, oder?“ Er beugte sich zu ihr herüber, um sie forschend zu betrachten. Schließlich nickte er zufrieden. „Sie wirken jetzt nicht mehr so angespannt.“

Sanft legte er ihr den Zeigefinger zwischen die Brauen und zog ihn schnell wieder zurück, woraufhin Kate verwirrt auf das Tablett vor sich blickte. Dass ihr Puls so raste, ließ sich nicht nur mit ihrer Wut über die ungebetene zärtliche Geste erklären.

Sie spürte, wie Alexander sie beobachtete, konzentrierte sich allerdings auf ihr Essen, um sich nichts anmerken zu lassen und ihn außerdem nicht weiter zu ermutigen. Zu ihrem Leidwesen musste sie sich eingestehen, dass er sie tatsächlich von ihrer Flugangst abgelenkt hatte, und zumindest dafür sollte sie ihm dankbar sein. Fast bedauerte sie, dass er sie nicht auch von Athen nach Kalamata begleitete.

„O nein!“

Fast hätte sie den Kaffee verschüttet, den die Stewardess ihr gerade zum Dessert gereicht hatte.

Alexander drehte sich zu ihr um. „Was ist?“

Kate machte eine fahrige Geste. „Mir ist gerade eingefallen, dass ich bestimmt meinen Anschlussflug verpasse. Wir haben über zwei Stunden Verspätung. Die Maschine ist längst weg, wenn wir landen.“

Normalerweise hätte sie sich über eine solche Lappalie nicht aufgeregt, weil sie im Geschäftsleben ständig mit irgendwelchen Unwägbarkeiten zu kämpfen hatte. Warum fühlte sie sich dann plötzlich so hilflos?

Sie stützte das Kinn in die Hände und merkte dann, dass Alexander leise und eindringlich mit ihr sprach.

„Keine Sorge, Kate. Sicher finden wir eine Lösung für Sie. Nennen Sie mir einfach Ihr Ziel, und ich kümmere mich darum, sobald wir in Athen sind. Ich könnte Ihnen einen Flug oder ein Hotelzimmer besorgen“

Doch sie schüttelte den Kopf. „Nein, danke, ich komme schon klar.“ Bevor sie sich ihm zuwandte, setzte sie ein strahlendes Lächeln auf. „Wenn ich keinen anderen Flug mehr bekomme, suche ich mir selbst ein Zimmer.“

Nun trat ein unerwartet ernster Ausdruck in seine grünen Augen. „Sie müssen mir nicht sagen, wohin sie fliegen. Ich dachte nur, ich könnte Sie mitnehmen, falls wir das gleiche Ziel haben. Ich fahre in Richtung Süden …“

Anlügen wollte sie ihn nicht, aber Alexander musste auch nicht erfahren, dass sie in dieselbe Richtung reiste. Außerdem war „Richtung Süden“ ein vager Begriff, und sie wollte ihm keine Umstände machen, wie sie sich einredete.

„Ich schaffe das schon“, versicherte sie wieder. „Ich weiß Ihr Angebot wirklich zu schätzen, aber wenn die nächsten Maschinen alle ausgebucht sind, bleibe ich erst mal in Athen und sehe mir die Stadt an.“

Als er sie daraufhin forschend betrachtete, hoffte sie, er würde sie nicht durchschauen und ihre Aussage als Abfuhr betrachten.

„Wenn Sie meinen … Aber Sie können es sich ja noch überlegen – bis wir gelandet sind.“

Während des restlichen Fluges wechselten sie nur noch wenige unverfängliche Worte miteinander, zumal Alexander begonnen hatte, in einer Zeitschrift zu lesen. Allerdings blätterte er die Seiten nicht eben häufig um.

Wäre er ein anderer Typ gewesen, hätte sie angenommen, dass sie ihn gekränkt hatte. Aber das war lächerlich. Männer wie er setzten ihren routinierten Charme als Waffe ein. Und wer wusste schon, wie es geendet hätte, wenn er sie in seinem Wagen mitgenommen hätte?

Es war besser, wenn sie ihn auf Abstand hielt und allein weiterreiste.

„Soll ich Sie wirklich nicht mitnehmen?“, erkundigte Alexander sich nach der Landung, während sie durch den Terminal gingen. „Mein Angebot steht noch.“

Energisch schüttelte Kate den Kopf. „Nein, danke. Ich bin es gewohnt, auf eigenen Füßen zu stehen.“

„Hmm.“ Mit einem rätselhaften Ausdruck betrachtete er sie. „Wie Sie wollen. Eins muss ich Ihnen allerdings noch sagen, bevor wir getrennte Wege gehen …“ Nun begannen seine grünen Augen amüsiert zu funkeln. „Vielleicht reißen Sie mir ja den Kopf ab, aber das Risiko ist es mir wert …“

Sie standen jetzt in der Schlange vor der Passkontrolle, und während Kate ihn ansah, bedauerte sie bereits, sein Angebot ausgeschlagen zu haben. Sein Lächeln schlug sie in seinen Bann, und womöglich war es unfair gewesen, ihm irgendwelche Hintergedanken zu unterstellen …

Als er den Kopf neigte, wäre sie am liebsten einen Schritt zurückgewichen, doch hinter ihr stand jemand. Also hielt sie seinem Blick stand.

„Nun, da Sie nicht mehr so ängstlich und misstrauisch sind – und nicht so kratzbürstig“, fügte er hinzu, „sind Sie wirklich hübsch, Kate. Sehr sogar.“

Dann wandte er sich ab, um seinen Pass vorzuzeigen, wechselte einige Sätze auf Griechisch mit dem Beamten und verschwand zu ihrer Bestürzung in der Menge.

Auf dem Weg zur Gepäckausgabe fragte sie sich, ob das sein Abschied gewesen war. Eigentlich hatte sie etwas mehr von ihm erwartet … Jedenfalls hatte sie keine Zeit, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, weil sie zusehen musste, wie sie nach Kalamata kam.

„Ah, da sind Sie ja. Ich dachte schon, ich hätte Sie verloren.“

Der Klang der vertrauten Stimme hinter ihr veranlasste sie, sich umzudrehen.

„Alexander! Sie sind ja noch da.“

„Ich wäre wohl kaum gegangen, ohne mich von Ihnen zu verabschieden. In der Zwischenzeit habe ich etwas erledigt. Kommen Sie, suchen wir uns ein ruhiges Plätzchen.“

Er umfasste ihren Ellbogen und führte sie in eine Ecke, wo er einen Zettel aus der Hosentasche nahm und ihn ihr reichte.

„Das ist die Abflugzeit morgen für Ihre Maschine nach Kalamata. Es gibt noch freie Plätze.“

„Kalamata!“, rief Kate. „Ich habe Ihnen doch gar nicht erzählt …“

„Es steht auf Ihrem Gepäckanhänger“, erklärte er und lächelte amüsiert über ihren verwirrten Gesichtsausdruck. „Und am Flughafen gibt es ein kleines Hotel namens Alexandros.“ Nun verzog er den Mund. „Es ist ziemlich ruhig gelegen. Zufällig kenne ich den Geschäftsführer, und ich war so frei, ein Zimmer für Sie zu reservieren …“

Da sie zu verblüfft war, um irgendwelche Einwände zu erheben, nickte sie nur benommen.

„Vielen Dank“, erwiderte sie schließlich. „Auch für den Champagner und dafür, dass Sie mich aufgeheitert haben. Tut mir leid, dass ich keine so gute Gesprächspartnerin war.“ Sie lächelte ihn an und war verblüfft, als er sie daraufhin flüchtig auf die Wange küsste.

„Das musste jetzt sein“, verkündete er lässig. „Unsere Wege werden sich wohl nicht mehr kreuzen, es sei denn, das Schicksal will es anders. Aber ich gebe Ihnen meine Karte, falls Sie etwas brauchen sollten.“

Er zückte seine Brieftasche, und als er sie öffnete, erhaschte Kate einen Blick auf das Foto eines hübschen dunkelhaarigen jungen Mädchens, das in die Kamera lächelte.

Sie verspürte einen Stich, weil es jemanden gab, der ihm wichtig war. Als er die Brieftasche wieder zuklappte, erschien eine Falte auf seiner Stirn. Seine Miene hellte sich jedoch wieder auf, sobald er ihr die Karte reichte.

„Alexander Dimitrakos“, las Kate. Darunter stand eine Adresse in Athen.

„Also, gute Reise, Kate“, sagte er und lächelte ihr noch einmal über die Schulter zu, bevor er in der Menge verschwand.

Kate verspürte eine seltsame Leere, während sie ihm nachblickte.

2. KAPITEL

Das Hotel Alexandros erwies sich als viel größer, als Alexanders Beschreibung es hätte vermuten lassen, und zu ihrer Verblüffung war ihr Zimmer ziemlich luxuriös. Es verfügte über ein geräumiges Bad, ein Doppelbett und eine gut bestückte Minibar.

„Haben Sie alles, was Sie brauchen?“, erkundigte sich der Geschäftsführer, der sie persönlich begleitet hatte. „Wenn Sie möchten, lasse ich Ihnen etwas aus der Küche kommen.“

„Nein, danke. Ich habe schon im Flugzeug gegessen“, erwiderte sie.

„Dann vielleicht heute Abend? Unser Restaurant öffnet um sieben, und ich kann Ihnen das Menü empfehlen – es sei denn, Sie wollen lieber ausgehen. Dann sagen Sie bitte an der Rezeption Bescheid, damit meine Mitarbeiterin Ihnen ein Taxi ruft.“

Sie teilte ihm mit, dass sie unten essen würde, was ihn zu freuen schien. Nachdem er gegangen war, nahm sie sich ein Mineralwasser aus der Minibar. Während sie es trank, überlegte sie, ob sie sich darüber freuen oder ärgern sollte, dass Alexander ihr ausgerechnet hier ein Zimmer reserviert hatte, denn das Hotel gehörte zweifellos zur gehobenen Kategorie.

Eigentlich hätte er mich fragen müssen, ob ich es mir überhaupt leisten kann, überlegte sie verstimmt. Als sie einen Blick in den Spiegel warf, verflog ihr Unmut allerdings. Sie trug ein Designerkostüm, und außerdem wusste Alexander, dass sie Geschäftsfrau war.

Nachdem sie geduscht hatte, schlüpfte sie in den Hotelbademantel und legte sich aufs Bett, um zu überlegen, wie sie sich die Zeit vor dem Abendessen vertreiben sollte.

Ebenso wie der Flughafen lag das Hotel außerhalb von Athen, und sie fühlte sich zu erschöpft, um mit dem Taxi in die Innenstadt zu fahren. Also nahm sie den Krimi aus ihrer Handtasche, konnte sich allerdings genauso wenig darauf konzentrieren wie in der Maschine.

Jedes Mal wenn sie das Ende einer Seite erreichte, wurde ihr bewusst, dass sie nur die Hälfte mitbekommen hatte. Ständig sah sie Alexanders Gesicht und seine grünen Augen vor sich …

Wütend warf sie das Buch aufs Bett, stand auf und ging zum Fenster. Leider war die Aussicht hier alles andere als schön, denn ein hohes Betongebäude grenzte an das nächste. Vielleicht hätte sie doch in die Stadt fahren sollen, um sich einige historische Stätten anzusehen – oder Alexanders Angebot annehmen sollen …

Wieder tauchte sein Gesicht vor ihrem geistigen Auge auf …

Warum sie so unentschlossen war, konnte sie sich beim besten Willen nicht erklären. Unter anderen Umständen hätte sie jede freie Minute mit einer sinnvollen Tätigkeit ausgefüllt und jetzt die Akropolis besichtigt.

Wie konnte ein Fremder eine derart starke Wirkung auf sie ausüben? Sie würde ihn niemals wiedersehen, also warum dachte sie überhaupt an ihn? Dass sie sich so seltsam fühlte, musste an ihrer Aufregung wegen der Reise liegen. Außerdem hatte sie die Trennung von Michael nicht einmal ansatzweise verarbeitet.

In der Hoffnung, irgendwann einzunicken, legte sie sich aufs Bett. Prompt sah sie erst Alexanders und dann Michaels Gesicht vor sich und musste an jenen schrecklichen Abend denken, als sie Michael zur Rede gestellt hatte.

Eigentlich hatten sie an dem Tag den Termin für die Hochzeit festlegen wollen, aber es war alles ganz anders gekommen … Nie hätte Kate es für möglich gehalten, dass man gleichzeitig so wütend sein und sich derart gedemütigt fühlen konnte. Lebhaft stand ihr die Szene vor Augen: „Wie konntest du nur?“, hatte sie Michael angeschrien. „Mir erzählst du, du würdest geschäftlich nach Paris fliegen, und tatsächlich vergnügst du dich dort mit Carol!“ Ungläubig schüttelte sie den Kopf, bevor sie fortfuhr. „Dann kommst du zurück, drängst mich, endlich den Termin für die Hochzeit festzulegen, und verschwindest wieder! Und jetzt erzählst du mir, es wäre ein einmaliger Ausrutscher gewesen. Aber das ist es für mich nicht – und für Carol vermutlich auch nicht!“

„Carol versteht mich wenigstens“, erklärte er kühl. „Was man von dir nicht behaupten kann.“ Er wandte sich ab und begann, im Raum auf und ab zu gehen. „Du wolltest keinen Termin für die Hochzeit festlegen, du wolltest nicht mit mir schlafen und auch nicht mit mir zusammenwohnen. Verdammt, Kate, ich bin weder ein Einsiedler noch ein Heiliger, sondern ein ganz normaler Mann, und als Carol …“ Unfähig, ihren Blick zu erwidern, senkte er den Blick. „Es gibt noch etwas, das du wissen musst …“

„Rede weiter“, sagte sie düster, denn sie konnte es schon erraten.

„Carol bekommt ein Kind von mir.“ Nachdem er ihr einen verlegenen Blick zugeworfen hatte, drehte er sich wieder um.

Und dann sagte er etwas, das sie niemals vergessen würde.

„Aber das kann dir ja egal sein, stimmt’s? Du wolltest keine Kinder haben, und ich habe so getan, als würde ich es akzeptieren, weil ich dich liebe und dachte, du würdest es dir nach der Hochzeit anders überlegen. Inzwischen ist mir allerdings klar geworden, dass du anders bist. Du bist mit deiner Arbeit verheiratet, und ich hoffe, ihr beide werdet glücklich miteinander, du und deine Boutique!“

Fassungslos blickte sie ihn an, während sie mit den Tränen kämpfte. Schließlich zog sie den Verlobungsring vom Finger und reichte ihn ihm.

„Wahrscheinlich ist es nur gut so, dass wir die Wahrheit übereinander herausgefunden haben, bevor es zu spät ist“, flüsterte sie gequält. „Hoffentlich wirst du nie erleben, wie es ist, wenn man sich hintergangen fühlt, so wie ich jetzt. Das würde ich meinem schlimmsten Feind nicht wünschen – nicht einmal dir.“

Michael war zusammengezuckt. „Ich habe nie eine andere Frau als dich gewollt, Kate, aber du hast mich dazu gezwungen. In deinem Leben ist kein Platz für jemand anders.“ Dann hatte er die Tür geöffnet und war für immer aus ihrer Wohnung und ihrem Leben verschwunden.

Obwohl inzwischen vier Wochen vergangen waren, erinnerte sie sich noch deutlich an jedes Wort. Wie hatte sie überhaupt mit dem Gedanken spielen können, einen Mann zu heiraten, der zu so etwas fähig war? Vor allem seinen letzten Vorwurf würde sie ihm niemals verzeihen. Er wusste genau, warum sie sich dazu entschieden hatte, keine Kinder zu bekommen, und dass es ihr nicht leichtgefallen war. Wie hatte er es nun gegen sie verwenden können?

Kate schloss die Augen, um jene schreckliche Szene auszublenden. Dann setzte sie sich auf und warf einen Blick auf ihre Uhr. Dies war weder der geeignete Zeitpunkt noch der richtige Ort, um in Selbstmitleid zu schwelgen.

Sie wollte nach unten gehen, um etwas zu essen und den Anfang vom Rest ihres Lebens mit einer Flasche des teuersten Weins zu feiern. Na ja, eine halbe tut es auch, überlegte sie lächelnd, während sie sich ankleidete. Einen Kater konnte sie wirklich nicht gebrauchen.

Am nächsten Morgen fühlte Kate sich so ausgeschlafen wie schon lange nicht mehr. Als sie beim Auschecken bezahlen wollte, wartete eine Überraschung auf sie.

„Das ist schon erledigt, Madam“, verkündete der Manager strahlend lächelnd. „Ich dachte, das wüssten Sie.“

„Nein, woher sollte ich, und wer hat die Rechnung für mich beglichen? Es weiß doch niemand, dass ich hier bin, außer …“

Seine nächsten Worte bestätigten ihre Vermutung. „Alexandros Dimitrakos hat darum gebeten. Sie wissen doch, dass das Hotel ihm gehört?“

Alexander … Und das Hotel hieß Alexandros. Eigentlich hätte sie sich denken können, dass es da eine Verbindung gab!

„Verstehe“, erwiderte sie benommen. „Ich werde mich bei ihm bedanken. Und Ihnen auch vielen Dank dafür, dass Sie mich hier so herzlich aufgenommen haben. Das Zimmer war sehr schön und das Essen hervorragend.“

Und ganz schön teuer, fügte sie wenige Minuten später in Gedanken hinzu, als sie mit dem Taxi zum Flughafen fuhr. Das geschieht Alexandros Dimitrakos ganz recht!

Sollte sie ihm je wiederbegegnen, würde sie ihm etwas erzählen, weil er sie so getäuscht hatte! Allerdings trat sie die nächste und letzte Etappe ihrer Reise nun in weitaus besserer Stimmung als am Vortag an und verspürte nur einen Anflug von Panik, als sie eine Stunde später an Bord der Maschine nach Kalamata ging. Leider saß diesmal eine ältere Griechin neben ihr und nicht der große dunkelhaarige und grünäugige Fremde namens Alexander, der sich so nett um sie gekümmert hatte …

Kate lächelte bei der Erinnerung an seinen flüchtigen Kuss, schüttelte dann jedoch verstimmt den Kopf. Zumindest eines hatte sie aus ihrer gescheiterten Beziehung gelernt, nämlich dass sie sich fortan von Männern fernhalten und ihre ganze Energie in ihr Geschäft stecken würde.

Ihre guten Vorsätze gerieten allerdings sofort ins Wanken, als sie Alexander nach der Landung zu ihrer Verblüffung in der kleinen Ankunftshalle stehen sah. Offenbar war er gekommen, um sie abzuholen. Aber warum hatte er ihr nicht erzählt, dass er auch nach Kalamata reiste? Vielleicht hätte sie sein Angebot, mit ihm zu fahren, dann angenommen. Allerdings spielte es jetzt keine Rolle mehr. Die Hauptsache war, dass er hier war!

„Alex!“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm zuzuwinken, riss sich dann allerdings zusammen, weil sie nicht zu eifrig erscheinen wollte. Nachdem sie sich an den anderen Passagieren vorbeigedrängt hatte, rief sie: „Alexander! Ich bin hier!“

Bildete sie es sich bloß ein, oder verriet seine Miene so etwas wie Überraschung, als er sich zu ihr umwandte? Das Funkeln seiner grünen Augen ließ ihr Herz jedenfalls sofort schneller schlagen.

„Hallo, Kate! Na, gut geschlafen?“

„Ja, danke, aber …“

„Ich weiß, was Sie sagen wollen, und ich möchte es nicht hören!“

„Was denn?“

„Dass Sie mir alles zurückzahlen.“ In einer gespielt entschuldigenden Geste spreizte er die Hände. „Vielleicht war es hinterhältig von mir, aber Sie brauchten ein Zimmer. Und da ich ein Hotel besitze … Was hätte ich tun sollen?“

„Mir reinen Wein einschenken?“, schlug Kate lässig vor.

„Und wenn Sie mein Angebot nicht angenommen hätten? Schließlich wusste ich nicht, ob Sie es sich leisten können. Sie dürfen mir jedenfalls keine unlauteren Absichten unterstellen …“

Prompt errötete sie. „Tut mir leid, das hätte ich nicht sagen dürfen. Ich stand gestern etwas neben mir.“

„Und jetzt ist alles wieder in Ordnung?“

„Ja, dank Ihrer Großzügigkeit …“ Sie zögerte und spürte, wie ihr die Wangen förmlich brannten. „Ich habe gestern Abend ziemlich teuer gegessen. Darf ich wenigstens …“

„Kommt nicht infrage“, lehnte Alexander kategorisch ab. Danach ließ er den Blick über die Menge schweifen, und seine Miene hellte sich auf, als er jemanden hinter ihr entdeckte.

„Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden und ich Ihnen sonst nicht mehr helfen kann …“

„Oh … Nein! Danke.“ Hoffentlich merkte er nicht, wie durcheinander sie war! Er war also doch nicht gekommen, um sie abzuholen. Aber wen dann?

Schnell verabschiedete sie sich von ihm, denn er wirkte jetzt etwas abgelenkt und wollte offenbar auf die Person zugehen, die er erwartete.

Während sie am Gepäckband stand, beobachtete sie verstohlen, wie er strahlend auf eine sehr attraktive dunkelhaarige junge Frau zuging, die ihn umarmte und auf die Wange küsste.

Allerdings handelte es sich nicht um die, deren Foto sie in seiner Brieftasche gesehen hatte. Doch es ging sie nichts an, wen er küsste, wessen Bild er bei sich trug oder wie viele Freundinnen er hatte. Trotzdem brachte die Begrüßungsszene sie mehr aus der Fassung, als sie sich eingestehen mochte.

Deprimiert verfolgte Kate, wie Alexander sich umblickte, den Arm besitzergreifend um seine Begleiterin gelegt. Vermutlich hielt er nach ihr Ausschau, doch sie senkte schnell den Kopf und verließ hastig die Halle, um zu ihrem Mietwagen zu gehen.

Da sie die traute Zweisamkeit nicht ertragen hätte, wollte sie schnell wegfahren, bevor die beiden auch auf den Parkplatz kamen. Ihr Wagen stand an der angegebenen Stelle, und kurze Zeit später befand sie sich auf der Straße nach Kalamata. Diese führte weiter zur Halbinsel Mani, auf der sie die nächsten zwei Wochen verbringen würde.

Die Vororte von Kalamata muteten eher trist an, weil große Teile Industriegebiet waren, und sie versuchte, nicht allzu enttäuscht zu sein. Allerdings hatte Liz sie vorher gewarnt.

„Aber warte nur, bis du das Haus siehst“, hatte sie hinzugefügt. „Das wird dich für alles entschädigen. Und die Lage ist einfach fantastisch!“

Hoffentlich, dachte Kate nun düster, als sie die Stadt kurze Zeit später hinter sich ließ und eine Straße an einer steilen Schlucht entlangfuhr.

Ihre Stimmung verbesserte sich allerdings sofort, sobald sie einen weniger gefährlichen Abschnitt durch Olivenhaine und kleine Dörfer erreichte, von dem aus sie das Meer sehen konnte.

Während sich zu einer Seite die kargen Berge erhoben, fiel das Gelände auf der anderen sanft ab. Am liebsten hätte sie angehalten, um das Wasser zu betrachten, das türkisfarben in der Frühlingssonne funkelte, doch in den nächsten beiden Wochen würde sich noch genügend Gelegenheit dazu bieten.

Plötzlich verspürte sie ein Hochgefühl bei der Aussicht darauf, so viel Zeit für sich zu haben. Sie konnte fahren, wohin sie wollte, essen, wann es ihr passte, lange aufbleiben und am nächsten Morgen lange schlafen … ja, zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie tun, was sie wollte.

Selbst Michael schien ihr plötzlich nicht mehr so wichtig zu sein. Sie würde einige wenige Anrufe tätigen müssen, ansonsten aber nicht an die Boutique denken, denn sie war hergekommen, um einmal richtig auszuspannen.

Das Haus erwies sich als genauso schön, wie Liz es beschrieben hatte, und entsprach voll und ganz Kates Erwartungen.

Wie für diese Region so typisch, war es aus grauem Stein erbaut und stand am Ende einer unbefestigten Straße, die durch einen Olivenhain führte, am Fuß der Berge. Das nächste Dorf, in dem sie ihre täglichen Besorgungen machen konnte, lag auf der anderen Seite der Hauptstraße.

Als Kate ausstieg und sich umblickte, konnte sie weit und breit kein anderes Gebäude entdecken. So weit das Auge reichte, sah sie nur Bäume und Büsche und in der Ferne das Meer.

Sie spürte, wie die Anspannung der letzten Tage von ihr abfiel, und streckte sich genüsslich.

„Ist das schön hier!“, sagte sie leise. „Einfach perfekt.“

Nachdem sie einige Minuten lang nur dagestanden und die klare Luft eingeatmet hatte, seufzte sie und schloss die Eingangstür auf. Entzückt blickte sie sich drinnen um.

Der Architekt, der das ehemalige Bauernhaus in ein Feriendomizil umgewandelt hatte, musste viel Fantasie gehabt haben, denn es wirkte viel größer, als es eigentlich war. Von dem lichtdurchfluteten, geräumigen Wohnzimmer, das fast das gesamte Erdgeschoss einnahm, gelangte man durch einen Rundbogen in eine schöne, gut ausgestattete Küche. Einen reizvollen Kontrast zu den weiß getünchten Wänden bildeten die terrakottafarbenen Fliesen, und die Möbel wirkten elegant und wohnlich zugleich.

Neugierig ging Kate in den ersten Stock, wo sich zwei kleine, ebenfalls sehr geschmackvoll eingerichtete Schlafzimmer sowie ein zweckmäßiges Bad befanden. Mehr braucht man nicht für einen gelungenen Urlaub, überlegte sie gut gelaunt, als sie zehn Minuten später ihre Koffer auszupacken begann. Das Anwesen gehörte einer Freundin von Liz und deren Mann, der Grieche war und es als Zweitwohnsitz hergerichtet hatte.

Plötzlich fiel ihr Blick auf den Ordner mit dem Werbematerial, und prompt musste sie an ihre erste Begegnung mit Alexander im Coffeeshop denken …

Wieder seufzte sie. Warum hatte das Schicksal sie ausgerechnet nun mit ihm zusammengebracht, da sie nichts mehr mit Männern zu tun haben wollte? Und nachdem er sie mit seinem Charme und seiner Großzügigkeit eingewickelt hatte, hatte sie erfahren, dass er schon gebunden war. Es ist einfach nicht fair, sagte sie sich, als sie den Ordner erst einmal beiseite legte, um ihn sich später vorzunehmen. Allerdings musste sie Liz anrufen und sie fragen, ob Peter mit den Entwürfen vorankam, und sei es nur, um nicht an einen Mann mit grünen Augen denken zu müssen …

Da sie ihr Handy nicht mitgenommen hatte, um für niemanden erreichbar zu sein, machte sie sich auf die Suche nach dem Telefon. Sie hatte ganz vergessen, ihre Freundin danach zu fragen, und stellte nun fest, dass es im Haus keins gab. Jetzt fühlte sie sich doch etwas unbehaglich. Wie sollte Liz sie erreichen, wenn es irgendwelche Probleme gab?

Vielleicht hatte ihre Freundin sie genau aus dem Grund hierhergeschickt … Nein, es wird alles glattgehen, sagte sich Kate. Sie musste abschalten und die Zeit hier genießen.

Als sie an diesem Abend sogar früher als sonst ins Bett ging, hatte sie sich in das kleine Dorf am Meer mit den einfachen Tavernen und dem kleinen Hafen verliebt. Es gab dort einen kleinen Supermarkt, und man konnte frühmorgens fangfrische Meeresfrüchte direkt von den Fischern kaufen.

Am nächsten Tag wollte sie über den Klippenpfad zum nächsten Dorf laufen, wo einem der Reiseführer im Wohnzimmer zufolge eine byzantinische Kirche mit wunderschönen Fresken stand. Oder sie fuhr mit dem Wagen landeinwärts und sah sich Aeropolis an …

Als Kate jedoch am nächsten Morgen aufwachte, stand ihr lediglich der Sinn danach, sich mit einem Schmöker in den Sessel oder ins Bett zu kuscheln. Statt ins Dorf zu gehen und frisches Brot zu kaufen, wie sie es sich eigentlich vorgenommen hatte, kochte sie sich nur eine Kanne Kaffee und machte es sich dann gemütlich.

„Nicht zu fassen!“, sagte sie laut, als sie irgendwann merkte, dass es schon später Vormittag war. „Jetzt bist du hier an diesem wunderschönen Fleckchen und hast den halben Tag im Nachthemd vertrödelt!“

Verlegen lächelnd stand sie auf. Jetzt führte sie schon Selbstgespräche. Sie schüttelte den Kopf und schloss die Augen, als sie einen stechenden Schmerz verspürte. Was war bloß mit ihr los? Es kostete sie sogar Mühe, die Treppe hinaufzugehen.

Es musste am Stress der letzten Wochen liegen. Wahrscheinlich war sie erschöpfter, als sie angenommen hatte.

Während sie sich langsam anzog, beschloss sie, eine kleine Spritztour entlang der Küste zu machen. Kurze Zeit später musste sie allerdings feststellen, dass der stechende Schmerz hinter den Augen schlimmer wurde und ihr leicht schwindelte, denn die Straße führte bergan, und neben ihr fiel das Gelände zum Meer hin steil ab.

Also beschloss sie, umzukehren, sobald sich die Gelegenheit bot. Vor ihr lag eine kleine Haltebucht, in der sie wenden konnte. Als sie dort jedoch hielt, dann den Rückwärtsgang einlegte und vorsichtig Gas gab, gab es einen heftigen Ruck, der sie nach vorn warf. In dem Moment wurde ihr schwarz vor Augen.

Kate kam wieder zu sich, als jemand sie sanft aus dem Wagen hob und auf den Boden legte. Die tiefe Stimme, die an ihr Ohr drang, kam ihr bekannt vor.

Dann wurde sie wieder bewegt … und verlor erneut das Bewusstsein.

Als sie es schließlich wiedererlangte, stellte sie fest, dass sie in einem abgedunkelten Raum in einem Bett lag. In der gegenüberliegenden Ecke brannte eine kleine Lampe, in deren Schein eine junge Frau saß.

Sobald sie sich aufzurichten versuchte, sprang diese auf und kam zu ihr.

„Nein, Sie dürfen sich nicht bewegen!“ Ihr Englisch hatte einen reizvollen Akzent und ihre Stimme einen schönen Klang. „Wenn Sie mir sagen, was Sie brauchen, hole ich es Ihnen.“

Energisch drückte sie sie wieder aufs Kissen und lächelte sie dabei an. Ihr Gesicht kam Kate irgendwie bekannt vor.

Im nächsten Moment fiel es ihr ein. Dies war die junge Frau, die Alexander vom Flughafen abgeholt und geküsst hatte. In wessen Haus befand sie sich dann?

„Wo bin ich?“, erkundigte Kate sich matt. „Und wie bin ich hierhergekommen?“

„Erinnern Sie sich nicht mehr daran? Alexander hat Sie gefunden. Sie hatten einen Unfall – nichts Ernstes, aber Sie haben das Bewusstsein verloren.“

Verwirrt fasste Kate sich an die Schläfen. „Nein, ich kann mich an nichts mehr erinnern.“

„Macht nichts“, versicherte die junge Frau freundlich. „Es fällt Ihnen wieder ein, wenn es Ihnen besser geht.“

„Und das hier ist Alexanders Haus?“, hakte Kate nach.

„Genau – und meins auch“, fügte die Griechin fröhlich hinzu, ohne zu merken, wie sehr ihre Worte Kate trafen. „Möchten Sie vielleicht etwas trinken? Der Arzt sagte, Sie müssen viel Flüssigkeit zu sich nehmen.“

„Der Arzt?“, wiederholte Kate alarmiert. „Hat mich etwa jemand untersucht?“

Die junge Griechin, bei der es sich zweifellos um Alexanders Frau handelte, beruhigte sie schnell. „Nein, noch nicht. Er kommt später. Alexander hat ihn angerufen. Sie hatten Glück, weil er sie so schnell gefunden hat. Was …? Nein, Sie können es uns später erzählen. Ruhen Sie sich erst mal aus.“

Sie stützte ihren Kopf, als Kate einen Schluck Wasser trank, und schüttelte dann ihr Kissen auf, bevor Kate mit schmerzverzerrtem Gesicht darauf sank.

„Mir dröhnt der Schädel“, sagte sie und stöhnte.

„Kein Wunder“, meinte Alexanders Frau. „Sie sind gegen das Lenkrad geprallt, als der Wagen gegen den Felsen gestoßen ist.“

„Was?“ Kate konnte sich an keinen Felsen erinnern, doch in diesem Moment spielte es auch keine Rolle. Erschöpft schloss sie die Augen und begann zu dösen, während aus dem Hintergrund eine Männer- und eine Frauenstimme an ihr Ohr drangen.

Später traf der Arzt ein, ein rundlicher Grieche, der kein Wort Englisch sprach und Kate nach der Untersuchung mithilfe von Alexanders Frau, die alles übersetzte, mitteilte, dass sie eine Virusinfektion und eine leichte Gehirnerschütterung hätte und jetzt nur Ruhe bräuchte. Kate ließ den Blick zur Tür schweifen, wo Alexander mit einem Tablett erschienen war.

„Darf ich reinkommen?“

Am liebsten hätte sie ihn wieder weggeschickt, weil sie sicher furchtbar aussah, doch Eitelkeiten waren in dieser Situation nicht angebracht. Also lächelte sie matt und erwiderte: „Ja, natürlich.“

Langsam setzte sie sich auf und zog dabei die Decke hoch, während er das Zimmer betrat. Nachdem er einen kleinen Tisch ans Bett gerückt hatte, stellte er das Tablett darauf.

„Es ist nur Suppe“, meinte er. „Genau die richtige Kost für eine Kranke.“

Der Ausdruck seiner grünen Augen verriet nicht nur Belustigung, sondern auch Besorgnis, was ihr Herz prompt schneller schlagen ließ. Alexander ist einfach nur nett zu mir, ermahnte sie sich sofort. Er gehört einer anderen Frau.

„Ich bin nicht krank, sondern habe nur …“ Sie krauste die Stirn und schüttelte den Kopf, was sehr schmerzhaft war. „Ich weiß nur noch, dass es mir nicht gut ging und ich nach Hause fahren wollte.“

„Das spielt jetzt keine Rolle“, erklärte Alexander entschlossen. „Essen Sie etwas, und wir reden später darüber, wenn es Ihnen besser geht.“

„Aber mein Wagen …“, begann sie.

„Darum habe ich mich schon gekümmert“, versicherte er. „Jemand aus der Werkstatt im Ort holt ihn ab und repariert ihn. Sie können ihn abholen, sobald Sie wieder fahrtüchtig sind. Solange bleiben Sie hier bei uns.“ Er lächelte ihr noch einmal zu, bevor er ging.

Nachdem Kate den ersten Löffel Hühnersuppe probiert hatte, wurde ihr bewusst, wie hungrig sie war. Als Alexanders Frau zehn Minuten später kam, um das Tablett abzuholen, hatte sie alles aufgegessen.

„Sie sehen schon viel besser aus“, erklärte die Griechin. „Bestimmt möchten Sie sich jetzt frisch machen. Wenn Sie aufstehen können, zeige ich Ihnen das Bad. Hier, legen Sie sich das Tuch um.“

„Es ist wirklich nett von Ihnen, sich so um mich zu kümmern“, sagte Kate dankbar und blickte an sich hinunter, während die Frau sie stützte. „Sie haben mir sogar ein Nachthemd geliehen. Hoffentlich bringt Alexander nicht ständig fremde Frauen mit.“

„O doch“, ließ sich daraufhin eine fröhliche Männerstimme von unten her vernehmen. „Es ist ein Hobby von mir, mich um Frauen in Not zu kümmern, und ich dachte, das hätten Sie inzwischen gemerkt.“

Als Kate eine Viertelstunde später das Bad verließ, fühlte sie sich schon viel besser.

Zu ihrer Überraschung wartete Alexander auf sie, um ihr zurück ins Bett zu helfen.

„Oder möchten Sie lieber mit nach unten kommen?“

„Vielleicht später.“ Sie lächelte entschuldigend. „Ich bin immer noch etwas wackelig auf den Beinen.“

Sobald sie wieder lag, blickte sie mit ernster Miene zu ihm auf. „Ehrlich gesagt, ist mir das alles sehr peinlich. In dem Zustand hätte ich gar nicht losfahren dürfen, aber ich dachte, es wären die Nachwirkungen der Reise, und …“

„Und?“, hakte er nach, lächelte allerdings, als er ihr Unbehagen spürte. „Es muss Ihnen nicht unangenehm sein. Ich bin nur froh, dass ich Sie so schnell gefunden habe.“

Seufzend legte sie sich hin. „Ich auch, aber ich möchte Ihnen und Ihrer Frau keine Unannehmlichkeiten machen. Bestimmt kann ich …“

Erneut verstummte sie, diesmal jedoch, weil er sie erst verblüfft ansah und dann schallend lachte.

„Meine Frau? Sie dachten, Maria wäre mit mir verheiratet?“

„Ist sie es denn nicht?“, fragte sie erstaunt, während ihr Herz schon wieder schneller schlug.

„Sie ist meine Schwester.“ Seine Augen funkelten. „Und zum großen Kummer unserer Eltern ist momentan keiner von uns verheiratet.“

Ein Schatten schien über sein Gesicht zu huschen, aber Kate nahm es kaum wahr, weil sie nur daran denken konnte, dass Alexander Dimitrakos doch nicht verheiratet war. Wenige Minuten später war sie eingeschlafen.

3. KAPITEL

Während Kate im Bett lag und den leisen Stimmen im Erdgeschoss und den ungewohnten Geräuschen draußen lauschte, versuchte sie, sich keine falschen Hoffnungen zu machen.

Schließlich hatte Alexander gesagt, weder er noch Maria wären momentan verheiratet, und das konnte vieles bedeuten. Die Frau, deren Foto in seiner Brieftasche steckte, konnte seine Verlobte sein, und sie wusste, dass man Verlobungen in Griechenland traditionell eine weitaus größere Bedeutung beimaß als in England.

Was spielte es ohnehin für eine Rolle? Sie durfte sich nicht von Alexanders grünen Augen oder seinem Charme und Mitgefühl den Kopf verdrehen lassen, weil sie den Männern abgeschworen hatte. Je eher sie dieses Haus verließ, desto besser.

So einfach gestaltete es sich allerdings nicht.

„Sie können auf keinen Fall morgen gehen“, protestierte Maria, als sie am Abend zusammen mit Alexander in ihr Zimmer kam und sie fragte, ob sie noch etwas brauchte. „Außer der Gehirnerschütterung haben Sie noch eine Virusinfektion, vergessen Sie das nicht. Sie müssen mindestens noch einen Tag bei uns bleiben, wahrscheinlich sogar zwei.“

„Und Sie können nicht von hier weg“, ergänzte Alexander. „Sie haben keinen Wagen und wissen vermutlich auch nicht, wo Sie sind.“

Hilflos blickte Kate von einem zum anderen. „Ich habe keine Ahnung, warum Sie beide so nett zu mir sind. Sie kennen mich schließlich überhaupt nicht.“

„Das stimmt nicht ganz“, erwiderte ihr Gastgeber leise, bevor er aufstand und sie forschend betrachtete. „In Griechenland gibt es eine sehr alte Tradition namens philoxenia, was so viel wie Liebe zu Fremden bedeutet. Sie würden uns beleidigen, wenn Sie uns verlassen würden, bevor Sie sich richtig erholt haben. Außerdem“, fuhr er fort, als Maria sich abwandte, um den Raum zu verlassen, „finde ich es toll, dass Sie auch Hilfe annehmen, ohne Ihre Stacheln auszufahren.“

Sanft berührte er ihre Wange und zog die Hand schnell wieder zurück, ehe seine Schwester es merkte und Kate darauf reagieren konnte. Dann drehte er sich auch um.

„Gute Nacht, Kate“, sagte er in normalem Tonfall. „Schlafen Sie gut.“

Die Sonne stand schon hoch am Himmel und schien ins Zimmer, als Kate am nächsten Tag aufwachte.

Zuerst wusste sie nicht, wo sie sich befand, doch gleich darauf fiel es ihr ein. Sie streckte sich und stellte erleichtert fest, dass sie sich schon viel besser fühlte. Die schmerzhafte Beule an der Stirn war zwar nicht abgeklungen, aber ihr Kopf tat nicht mehr so weh, und auch ihre Beine schienen nicht mehr so zittrig zu sein.

Nachdem sie sich langsam aufgesetzt hatte, nahm sie ihre Armbanduhr vom Nachttisch und stellte erschrocken fest, dass es schon elf war.

Sie stand auf und ging zum Fenster. Tatsächlich hatte sie keine Ahnung, wo sie sich befand, aber der Ausblick zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht. Das Haus lag in einer Bucht gegenüber von einer Mole direkt am Wasser.

Nachdem sie das Fenster weit geöffnet hatte, lehnte sie sich hinaus und atmete tief die klare, salzige Luft ein. Dabei vergaß sie vorübergehend, dass sie nur das dünne Nachthemd von Maria trug.

„Und, geht es Ihnen besser? Warum kommen Sie nicht nach unten? Es ist schön hier draußen – und die Aussicht atemberaubend!“

Erst jetzt bemerkte sie Alexander, der mit einigen anderen Männern – vermutlich Fischern – neben einem Boot stand. Die Griechen luden gerade Kisten mit offenbar fangfrischem Fisch aus. Als er sie bewundernd betrachtete, fiel ihr ein, dass sie nur spärlich bekleidet war, und sie trat errötend vom Fenster zurück.

Nachdem sie ihr T-Shirt und ihre Jeans angezogen hatte, wusch sie sich das Gesicht und kämmte sich schnell. Dann eilte sie nach draußen, wo sie allerdings langsamer ging.

Wieder musterte Alexander sie anerkennend. „Schade“, meinte er leise und lächelte, als sie ihm einen wütenden Blick zuwarf. Er hakte sie bei sich unter, um sie zu der Stelle zu führen, an der er vorher gestanden hatte.

„Hätten Sie zum Abendessen Appetit auf einen dieser Fische?“

Skeptisch betrachtete sie die Tiere, die so ganz anders aussahen als die, die sie aus dem Supermarkt kannte.

„Suchen Sie lieber einen aus“, meinte sie dann. „Ich kenne die alle nicht.“

Lachend ließ er ihren Arm los, um sich neben das Boot zu hocken. Der Anblick seines breiten Rückens und seiner muskulösen Schenkel, über denen sich die Jeans spannten, löste die seltsamsten Empfindungen in ihr aus …

Schnell wandte sie sich ab und ging die Mole entlang, während er mit den Fischern feilschte. Als er sie kurz darauf einholte, hatte sie sich wieder gefangen und einen Entschluss gefasst.

„Ich möchte Ihnen und Maria nicht weiter zur Last fallen“, erklärte sie. „Heute fühle ich mich schon viel besser, und Sie können mich gern nach Hause bringen, wenn es Ihnen passt.“

„Kommt überhaupt nicht infrage“, entgegnete er. „Jedenfalls nicht heute. Vielleicht fühlen Sie sich besser, aber der Arzt hat Ihnen ein paar Tage Ruhe verordnet. Immerhin haben Sie eine Gehirnerschütterung, und es ist besser, wenn Sie nicht allein sind. Außerdem schaffen Maria und ich die hier nicht alle.“ Er hielt ihr die Plastiktüte mit seinen Einkäufen hin. „Sie müssen bleiben und sie mit uns teilen.“

Kate seufzte resigniert, woraufhin er ironisch lächelte.

„Gefällt es Ihnen nicht bei uns, Kate? Es tut mir leid, wenn Sie sich nicht willkommen fühlen.“

„Doch, natürlich gefällt es mir“, versicherte sie schnell. „Und Sie beide sind wirklich tolle Gastgeber. Es ist nur …“

„Ja?“, hakte Alexander nach.

Sie zuckte die Schultern. „Ich bin es einfach nur nicht gewohnt, dass man sich so um mich kümmert. Bisher bin ich immer sehr gut allein zurechtgekommen, und es ist komisch, wenn man mir sagt, was ich tun oder lassen soll.“

„Ah, sie sind wieder kratzbürstig“, bemerkte er trocken. „Wenn Sie unbedingt wegwollen, können wir Sie natürlich nicht davon abhalten. Ich dachte nur, Sie bräuchten Hilfe, aber möglicherweise habe ich mich auch getäuscht.“

Als er sich abwandte und zum Haus zurückeilte, blickte sie ihm unsicher nach. Hatte sie ihn jetzt persönlich beleidigt oder einfach nur gegen die Landessitten verstoßen?

Spontan lief sie ihm nach und holte ihn in dem Moment ein, als er die Haustür öffnen wollte.

„Tut mir leid, Alexander“, erklärte sie ein wenig außer Atem, während sie zu ihm aufblickte. „Ich wollte Sie nicht kränken. Natürlich bin ich Ihnen und Maria sehr dankbar für alles, was Sie für mich getan haben. Aber ich möchte Ihnen keine Umstände bereiten.“

Zu ihrer Bestürzung merkte sie, wie ihre Beine ihr plötzlich den Dienst versagten. Sie schwankte und hielt sich schnell am Türrahmen fest.

Geistesgegenwärtig ließ Alexander die Plastiktüte fallen, um ihre Schultern zu umfassen, als ihr schwindelig wurde und ihr alles vor den Augen verschwamm.

„Entschuldigen Sie.“ Hilflos fasste sie sich an die Stirn. „Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist.“

„Ich sagte Ihnen doch, dass Sie noch nicht fit genug sind, um nach Hause zu fahren. Vielleicht glauben Sie mir jetzt.“ Er führte sie ins Wohnzimmer, wo er ihr in einen Sessel half. „Geben Sie zu, dass Sie in diesem Zustand nicht für sich selbst sorgen können.“

Erschöpft lehnte sie sich zurück. „Nein, Sie haben wohl recht, Alexander.“

Zu ihrem Entsetzen füllten ihre Augen sich mit Tränen. Sie blinzelte einige Male, doch er hatte es schon gesehen und wischte diese sanft mit dem Finger weg.

„Bleiben Sie hier sitzen, ich hole Ihnen etwas zu trinken. Wie wär’s mit Orangensaft?“

Sie nickte und schloss dann die Augen, während sie ihn in der Küche hantieren hörte. Vielleicht konnte sie sich doch daran gewöhnen, sich so umsorgen zu lassen. Allerdings hatte Michael das auf seine Art auch getan, oder? Zumindest hatte sie es geglaubt, bis sie von der Geschichte mit Carol erfahren hatte.

Eine Bitterkeit, die sie in ihrer Intensität schockierte, stieg in ihr auf, als Kate erneut jene schreckliche letzte Begegnung mit ihm Revue passieren ließ. Nur mit Mühe gelang es ihr, diese schmerzlichen Erinnerungen zu verdrängen, bevor Alexander mit einem Tablett zurückkehrte, das er auf den Tisch neben ihrem Sessel stellte.

„Na, wie sieht das aus? Sicher haben Sie Hunger, denn Sie können gestern nicht viel gegessen haben.“

„Köstlich!“, erwiderte sie begeistert, während sie das frische Brot, die Schale mit Joghurt, den Honig sowie den Orangensaft betrachtete. „Sie verstehen es wirklich, eine Frau in Versuchung zu führen.“

Seine grünen Augen begannen zu funkeln, und seine Lippen zuckten. „Freut mich, dass ich mit meinen beruflichen Fähigkeiten wettmachen kann, was mein Charme offenbar nicht bewirkt hat.“

Sie spürte, wie sie errötete, und nahm schnell ein Stück Brot, um ihre Verwirrung zu überspielen.

„Sind Sie denn gelernter Kellner?“, erkundigte sie sich betont beiläufig.

„Ich habe auch als Kellner gearbeitet.“ Er ging zum Fenster und beobachtete von dort aus, wie sie zu essen begann. „Außerdem als Barkeeper und Koch. Mein Vater besitzt einige Restaurants in Schottland.“

„Das ist ja ungewöhnlich!“

„Warum? Schließlich gehen die Leute dort auch essen – zum Glück.“

„Ja, ich weiß.“ Nachdenklich trank sie einen Schluck Orangensaft. „Aber Schottland ist weit weg, und ich dachte, dies wäre Ihr Wohnsitz. Aber vielleicht habe ich mich geirrt.“

„Nein, das ist tatsächlich so, Kate.“

Alexander kam näher und setzte sich auf die Lehne des Sessels, der ihrem gegenüberstand. „Mein Vater ist als junger Mann nach London gegangen, um Geld zu verdienen und nach Hause zu schicken. Das war damals nicht ungewöhnlich, weil es hier kaum Arbeit gab.“

„Und dann?“, hakte Kate fasziniert nach.

„Dann hat er in einem Hotel gearbeitet und dort eine junge Schottin namens Morag kennengelernt – seine spätere Frau und meine Mutter. Sie hatte einen Onkel, der ein kleines Restaurant in Glasgow besaß, und als dieser krank wurde, sind die beiden dorthin gegangen, um es für ihn zu leiten. So hat alles angefangen. Jetzt besitzt mein Vater zwei Restaurants und ein Hotel, und meine Geschwister und ich haben diese Tradition fortgeführt und auch alle in dem Gewerbe gelernt.“

Nun wusste sie auch, von wem er die grünen Augen geerbt haben musste – von seiner schottischen Mutter.

„Aber jetzt arbeiten Sie nicht mehr für ihn, stimmt’s?“ Nachdem sie Honig unter den Joghurt gerührt hatte, leckte sie den Löffel ab. „Das ist übrigens das leckerste Frühstück seit Jahren für mich“, fügte sie lächelnd hinzu. „Nicht einmal die Croissants in Paris haben so gut geschmeckt.“

Kaum hatte sie die letzten Worte ausgesprochen, bereute sie sie, weil sie schmerzliche Erinnerungen weckten.

Offenbar bemerkte Alexander ihren Stimmungswechsel, denn er fragte jetzt: „Ist irgendetwas? Normalerweise ist Paris kein Ort, den man mit Traurigkeit verbindet.“

„Ich … möchte nicht darüber reden“, antwortete sie leise. „Das Thema ist ohnehin erledigt.“

Nachdem einen Moment lang Schweigen geherrscht hatte, wechselte Kate das Thema: „Wo ist Maria heute?“

„Sie trifft sich mit Manolis, ihrem Verlobten“, berichtete er lächelnd. „Er kommt heute aus Athen, und sie wartet bei seinen Eltern auf ihn. Das ist auch der Hauptgrund, warum sie momentan hier ist und ich sie vom Flughafen abgeholt habe. Ach, da fällt mir ein …“ Er blickte auf die Edelstahluhr an seinem Handgelenk und stand auf.

„Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich kurz wegfahre? Ich muss etwas Geschäftliches mit Manolis besprechen. Aber wenn Sie nicht allein bleiben wollen …“

„Nein, kein Problem“, versicherte Kate schnell. „Bitte nehmen Sie auf mich keine Rücksicht. Apropos Geschäft … Könnte ich vielleicht Ihr Telefon benutzen und meine Partner in England anrufen? Ich habe mein Handy nicht mit nach Griechenland genommen und möchte mich nur vergewissern, dass es keine Probleme gibt. Wir eröffnen nämlich demnächst eine zweite Boutique …“

„Und trotzdem machen Sie jetzt Urlaub?“, erkundigte er sich überrascht, woraufhin sie ihn flehend ansah, damit er das Thema nicht weiterverfolgte.

Irgendwann würde sie ihm vielleicht erzählen, warum sie sich eine Auszeit genommen hatte, aber dies war nicht der richtige Zeitpunkt.

Zu ihrer Erleichterung zuckte Alexander lediglich die Schultern und nickte dann. „Natürlich dürfen Sie das Telefon benutzen. Es steht in der Küche. Und ich hoffe, es ist alles in Ordnung. Vergessen Sie nur nicht, dass Sie Ruhe brauchen.“

„Versprochen“, erwiderte sie. „Nachher mache ich einen Spaziergang und verbringe den restlichen Tag wohl in der Sonne. Schließlich sind Ferien zum Faulenzen da, nicht wahr?“, fügte sie eine Spur zu fröhlich hinzu.

Sobald er gegangen war, rief sie Liz an, die leicht gekränkt versicherte, dass sie alles unter Kontrolle hätte und Peter die Entwürfe noch in dieser Woche einreichen wollte.

„Mach dir keine Sorgen“, fügte sie hinzu. „Denk daran, du bist im Urlaub! Lass all das hier für die nächsten beiden Wochen hinter dir. Wenn es Probleme gibt, melde ich mich, aber das wird nicht der Fall sein. Also genieß deinen Aufenthalt!“

Kate verdrängte den Gedanken, dass Liz sich ohnehin nicht so leicht mit ihr in Verbindung setzen konnte, und ging wieder ins Wohnzimmer. Dort ließ sie den Blick über die Regale schweifen, in der Hoffnung, sich mit einem Buch die Zeit zu vertreiben, bis Alexander oder Maria zurückkehrten.

Am Ende einer Reihe von Romanen fiel ihr Blick plötzlich auf eine Sammlung gerahmter Fotos, vor allem Gruppenaufnahmen von Familienmitgliedern, wie es den Anschein hatte. Eins davon zeigte Maria Arm in Arm mit einem lächelnden dunkelhaarigen Mann, offenbar Manolis. Dahinter stand fast versteckt ein Bild, das eine hübsche junge Frau zeigte. Kate war sich beinah sicher, dass es dieselbe war, deren Foto Alexander in seiner Brieftasche mit sich trug.

Sie nahm es in die Hand, um es sich näher anzusehen. Auf der Rückseite standen weder ein Name noch ein Datum, und während sie die junge Frau betrachtete, wünschte sie, diese würde ihr Geheimnis preisgeben.

Ob Alexander mit ihr verlobt war? Er hatte sie nie erwähnt, aber warum hätte er es auch tun sollen? Immerhin kennt er mich nur flüchtig, sodass es für ihn keinen Anlass gibt, mir mehr von sich oder seinen Beziehungen zu erzählen, dachte Kate.

Schließlich stellte sie das Porträt wieder an seinen Platz und überlegte dabei, warum er es hinter den anderen Fotos versteckt hatte.

Dann fiel ihr Blick auf eine andere Aufnahme, die ein älteres Ehepaar – vermutlich Mr. und Mrs. Dimitrakos –, umringt von mehreren Erwachsenen und Kindern, zeigte. Alexander stand hinter seinem Vater und blickte lachend zu dem kleinen Jungen auf seinen Schultern auf. Wahrscheinlich handelte es sich bei diesem um einen seiner Brüder oder Neffen.

Beim Anblick dieser offenbar glücklichen Familie wallten auf einmal so intensive Gefühle – Neid und Sehnsucht – in ihr auf, dass ihre Hände zitterten, als sie das Foto wieder ins Regal stellte. Diese Menschen teilten etwas, das sie niemals kennengelernt hatte, die Geborgenheit und Sicherheit, die aus einem starken Zusammenhalt innerhalb einer Familie erwuchsen.

Sie musste an ihre eigene, alles andere als glückliche Kindheit denken, an ihre verantwortungslose Mutter und ihren Vater, der sie beide kurz nach ihrer Geburt einfach verlassen hatte … an die schäbigen Wohnungen, die ihre Mutter und sie ihr Zuhause genannt hatten, bis das Jugendamt sich eingeschaltet und sie in ein Pflegeheim gesteckt hatte.

Und dann hatte Michael sich darüber gewundert, dass sie sich außerstande sah, selbst Kinder großzuziehen. Auf welche Erfahrungen hätte sie denn zurückgreifen sollen? Das wollte sie keinem Kind zumuten.

Nein, sie durfte jetzt nicht in Selbstmitleid versinken! Kate riss sich zusammen und nahm schnell einen historischen Roman aus dem Regal, mit dem sie es sich in dem kleinen Garten hinter dem Haus gemütlich machte. Dort las und döste sie abwechselnd, bis ihre Gastgeber am späten Nachmittag zurückkamen.

„Oh, wie peinlich!“ Verlegen lächelte sie Maria an. „Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal einen ganzen Tag nur gefaulenzt habe.“

„Es hat Ihnen sicher gut getan“, versicherte diese. „Alexander hat mir erzählt, dass Sie selbstständig sind. Bestimmt haben Sie nicht viel Freizeit. Außerdem sind Sie ja im Urlaub.“

„Trotzdem …“ Kate stand auf und streckte sich genüsslich. „Ich kann mir nicht vorstellen, zwei Wochen lang nur herumzusitzen. Apropos … Es geht mir bereits viel besser, und morgen möchte ich in mein Haus zurückkehren. Ich habe Ihre Gastfreundschaft schon genug beansprucht.“

„Kein Grund zur Eile“, erklärte Alexander, der in diesem Moment auf die Terrasse trat. „Morgen bringt jemand von der Werkstatt Ihren Wagen vorbei. Aber wenn Sie darauf bestehen zu gehen …“ Als sie nickte, fügte er hinzu: „Dann begleite ich Sie wenigstens, um sicherzugehen, dass Sie heil ankommen.“

„Das ist nicht nötig …“, begann sie, fing dann allerdings seinen warnenden Blick auf. „Na gut, von mir aus. Vielen Dank.“

„Ihr Bruder ist ziemlich dominant, nicht wahr?“ Gespielt resigniert seufzte sie, während sie Maria in die Küche folgte. „Er kann kein Nein hören.“

„Wie die meisten griechischen Männer“, bestätigte diese lachend. „Aber solange man so tut, als würde man nachgeben, kann man sie um den Finger wickeln.“

„Erzählen Sie mir von Ihrem Verlobten“, ermunterte Kate sie, während Maria die Fische, die Alexander am Morgen gekauft hatte, für das Abendessen vorbereitete. „Lebt er hier oder in Athen? Kennen Sie ihn schon lange?“

Daraufhin berichtete Maria, dass Manolis und sie sich zwar erst als Teenager begegnet seien, ihre Familien sich allerdings schon nahegestanden hätten, bevor ihr Vater nach London gegangen war.

„Und das ist in dieser Gegend nicht gerade üblich“, fügte sie schließlich hinzu. „Die meisten benachbarten Familien sind eher verfeindet.“

„Und was macht Manolis beruflich?“, erkundigte Kate sich interessiert.

„Er leitet ein Hotel. Hat Alexander Ihnen schon von seinem neusten Projekt erzählt?“, wechselte Maria dann das Thema.

Kate schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht einmal genau, womit er sein Geld verdient, nur dass er ein Hotel in Athen besitzt – und ein guter Kellner ist.“

Wieder lachte Maria. „Das kann nicht einmal ich Ihnen sagen, und ich bezweifle sogar, dass er es weiß. Er hat seine Hände überall drin.“

In dem Moment erschien Alexander. Lässig gegen den Türrahmen gelehnt, blieb er auf der Schwelle stehen.

„Mein neustes Projekt ist ein neuer Hotelkomplex auf der Landzunge hinter uns“, informierte er Kate. „Es ist sehr exklusiv und wunderschön gelegen. Ich würde es Ihnen gern mal zeigen.“

„Und Manolis und ich werden es leiten“, ergänzte Maria strahlend, während sie den Fisch auf den Grillrost legte.

„Es gibt noch etwas, das Sie unbedingt sehen müssen, Kate.“ Mit einem Nicken deutete er anschließend auf den Fisch. „Maria ist eine hervorragende Köchin, aber es gibt nur eine Möglichkeit, dem Fisch gerecht zu werden, und zwar indem man ihn über einem offenen Feuer grillt – an einem abgelegenen Strand und in Begleitung einer schönen jungen Frau, während die Sonne im Meer versinkt.“ Lässig zog er die Brauen hoch, während er Kate ansah. „Bevor Sie nach Hause fliegen, fahren wie einen Abend mit meinem Boot hinaus. Es wird ein Erlebnis, das Sie niemals vergessen werden, versprochen.“

„Das glaube ich“, erwiderte sie leise. Die Aussicht auf eine so romantische Spritztour war natürlich sehr verlockend, doch ihre Reaktion darauf alarmierte sie, denn ihr Puls raste plötzlich. Schnell wandte Kate sich ab, um etwas Unverfängliches zu Maria zu sagen.

Je eher sie wieder allein war, desto besser. Emotionale Verwicklungen konnte sie überhaupt nicht gebrauchen.

Kate hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass sie sich einsam fühlen würde, sobald sie wieder in ihr kleines Ferienhaus zurückkehrte.

Wie angekündigt, hatte er sie zurückgefahren und sich dann vergewissert, dass sie tatsächlich allein zurechtkam.

„Kommen Sie einfach vorbei, wenn Sie etwas brauchen. Jetzt kennen Sie den Weg ja, und es ist nicht weit. Aber bitte keine Unfälle mehr!“

Seine letzten Worte hatten sie schaudern gemacht. „Ich passe auf, denn ein zweites Mal kommt sicher kein edler Ritter vorbei“, hatte sie betont fröhlich erwidert und dann ernst zu ihm aufgeblickt. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen und Maria bin. Vor allem nachdem …“ Er hatte sofort begriffen, was sie meinte, und lächelnd ergänzt: „Vor allem nachdem Sie mich haben abblitzen lassen. Aber ich habe ein ziemlich dickes Fell und lasse mich nicht so leicht abschrecken.“

Als sie ihm die Hand entgegenstreckte, hatte er sie genommen und sie an sich gezogen, um sie auf die Lippen zu küssen, bevor er gegangen war. Obwohl es nur eine flüchtige Berührung gewesen war, hatte Kate ihm starr nachgeblickt.

Auf dem Weg zu seinem Wagen hatte er sich noch einmal lächelnd zu ihr umgedreht. „Bis bald, Kate. Passen Sie auf sich auf!“

Niedergeschlagen war sie ins Haus zurückgekehrt und hatte dabei unwillkürlich ihren Mund berührt. Und als sie sich fragte, wie es wohl wäre, Alexander richtig zu küssen und sich dabei an ihn zu schmiegen, hatte sie es heiß durchzuckt.

An so etwas darfst du nicht einmal denken, meldete sich jetzt wieder eine innere Stimme. Er bedeutet dir nichts – und du bedeutest ihm auch nichts. Gar nichts. Hast du etwa das Foto vergessen?

„Ist ja gut“, sagte Kate laut. „Was spricht dagegen, seiner Fantasie freien Lauf zu lassen, zumal ich nie wieder in den Armen eines Mannes liegen werde?“

Und dennoch vermisste sie die netten Gespräche mit Alexander und Maria und die Gastfreundschaft der beiden. Als sie mittags allein an einem Tisch in einer gemütlichen Taverne saß und die Gruppen von Einheimischen und Touristen um sich herum sah, verging ihr der Appetit.

Nachdem sie beschlossen hatte, lieber zu Hause zu essen, bezahlte sie ihr Mineralwasser und ging anschließend die Straße am Strand entlang. Wenigstens würde sie hier nicht ständig Menschen begegnen, die ihren Spaß hatten.

Sie setzte sich auf eine Bank unter einem Baum und blickte starr aufs Meer hinaus. Was war bloß mit ihr los? Ganz bewusst war sie allein hierhergereist, um auf niemanden Rücksicht nehmen zu müssen. Außerdem kannte sie es nicht anders, als auf eigenen Füßen zu stehen. Schließlich kam ihr beruflicher Erfolg nicht von ungefähr. Liz war erst später dazugestoßen.

Anscheinend wirkte die Gehirnerschütterung sich mehr aus, als ihr klar gewesen war. Um die aufkommende Traurigkeit abzuschütteln, musste sie etwas tun, das sie auf andere Gedanken brachte, wie zum Beispiel in den kleinen Supermarkt zu gehen und fürs Abendessen einzukaufen.

Im Wohnzimmer hatte sie ein Kochbuch für griechische Gerichte gesehen. Also würde sie einige davon ausprobieren. Außerdem konnte sie in ein paar Tagen Alexander und Maria mit Manolis einladen, um sich für ihre Gastfreundschaft zu bedanken. Der Einfall erfüllte sie mit Vorfreude.

So hatte sie etwas zu tun – und außerdem einen Anlass, um Alexander wiederzusehen.

Nachdem sie den Nachmittag mit der Planung des Menüs verbracht hatte, ging sie am Abend wieder in den Ort, um bei Alexander anzurufen.

„Hallo, Kate“, begrüßte er sie, offensichtlich überrascht, weil sie sich jetzt schon meldete. „Alles in Ordnung bei Ihnen? Brauchen Sie Hilfe?“

Der Klang seiner tiefen, maskulinen Stimme ließ sie erschauern und weckte Gefühle in ihr, die sie nicht ergründen konnte – oder wollte.

„Sind Sie noch da, Kate?“, hakte er nun nach. „Geht es Ihnen nicht gut?“

Autor

Claire Baxter
Claire Baxter ist in Warwickshire England aufgewachsen und arbeitete, wie manch andere Autoren auch, in vielen anderen Bereichen, bevor sie genau wusste, was sie wollte: Liebesromane schreiben. Sie arbeitete unter anderem als persönliche Assistentin, Übersetzerin für Französisch, PR-Beraterin und im Kommunikationsmanagement.
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