Romana Herzensbrecher Band 3

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BERAUSCHEND WIE FRANZÖSISCHER WEIN von ASH, ROSALIE
Wie Cinderella fühlt sich Emily bei dem Schlossbesitzer Christian de Malraux: Kaum ist sie ihm begegnet, gibt er ihr einen Kuss, der sie berauscht wie Wein. Dabei ist Christian ihr Boss - und nur an einer Affäre interessiert! Warum wehrt er sich gegen eine tiefere Beziehung?

TRAUMREISE NACH PARIS von MORTIMER, CAROLE
Jacks Rache ist süß! Dass die hübsche Floristin Mattie absichtlich die Blumensendungen samt Karten vertauscht, die er vier Frauen schicken wollte, geht ihm entschieden zu weit. Okay, dann muss Mattie ihn eben auf seinem traumhaften Trip nach Paris begleiten …

KANN MAN DIE LIEBE VERGESSEN? von BAXTER, CLAIRE
Kaum schreibt Beths geliebtes Weingut im australischen Barossa Valley schwarze Zahlen, kehrt Pierre Laroche in ihr Leben zurück. Zunächst nur geschäftlich, doch dann verzaubert seine Liebe sie von Neuem. Was soll sie tun, wenn Pierre sie wieder verlässt?


  • Erscheinungstag 18.01.2019
  • Bandnummer 3
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745011
  • Seitenanzahl 448
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Rosalie Ash, Carole Mortimer, Claire Baxter

ROMANA HERZENSBRECHER BAND 3

1. KAPITEL

Kiesknirschen auf der Auffahrt ließ Emily aufmerken. Rasch kletterte sie aus der Badewanne und huschte mit ihren kurzen rötlich blonden, vom Waschen noch feuchten Locken zum offenen Schlafzimmerfenster, um nach unten zu spähen.

Warme Juliluft strömte ihr entgegen, die erfüllt war von den schweren Düften von Ginster, Pinien und einer Mischung anderer würziger Gerüche, die den besonderen Reiz der Sommer in Frankreich ausmachen. Am Abendhimmel flatterten kleine schwarze Wesen über dem moosbewachsenen rötlichen Pfannendach und den hohen Kaminschornsteinen des gegenüberliegenden Schlossflügels. Fledermäuse, vermutete Emily.

Sie hüllte sich fester in das große elfenbeinfarbene Badehandtuch und trat hinter den schweren Vorhang zurück. Unten fuhr ein schnittiger offener Mercedessportwagen in den Hof und hielt vor dem Schlossportal.

Da es noch nicht ganz dunkel war, konnte Emily im Schein der Sturmlampe unter sich einen großen breitschultrigen Mann erkennen, der federnd vom Fahrersitz sprang. Der Fremde nahm etwas aus dem Wagen, das wie ein Aktenkoffer oder eine Bordtasche aussah, und strich sich mit den Fingern das dunkle Haar aus der Stirn. Zielstrebig schritt er auf die Treppe zu. Die Geschmeidigkeit seiner Bewegungen hatte etwas Raubtierhaftes an sich, fand Emily.

Ob das ihr neuer Chef war? Der Instinkt sagte ihr, dass der Mann Christian de Malraux sein musste, obwohl Lisette Duvert erklärt hatte, Monsieur würde erst am nächsten Tag von einer Geschäftsreise zurückkehren. Der Ankömmling hatte etwas Befehlsgewohntes an sich, fand Emily und unterdrückte ein Lächeln. Er sah aus, als gehörte er zu den Männern, die sich für unersetzlich hielten und so taten, als käme die Welt nur schwer ohne sie aus.

Emily wandte sich ab. Besser, sie trocknete sich ab, kleidete sich an und versuchte, den Weg nach unten zu finden, um sich dem Schlossherrn vorzustellen. Lisette Duvert, die attraktive Wirtschafterin, hatte sich überrascht gezeigt, als Emily bereits einen Tag früher als erwartet vor der Tür stand. Die junge Frau hatte sie zu ihrem Zimmer geführt und mit der knappen Erklärung sich selbst überlassen, sie, Lisette, hätte jetzt frei. Vorher hatte sie Emily noch vage den Weg zum nächsten Restaurant beschrieben, wo sie zu Abend essen könne. Emily hatte das ungute Gefühl, dass sie die Einzige von den Angestellten war, die im Château de Mordin übernachtete.

Normalerweise war sie keineswegs ängstlich, doch heute hatte sie ernstlich in Erwägung gezogen, den gemieteten Renault 5 wieder zu besteigen und nach Saintes zu fahren, um ihre alte Brieffreundin Marianne und ihre Familie zu bitten, sie für eine Nacht zu beherbergen.

Ehe Emily jedoch ins Bad zurückkehren konnte, ertönten auf dem Treppenabsatz vor der Tür schwere Schritte. Im nächsten Moment wurde die Tür aufgestoßen, und ein Mann, der etwa in Emilys Alter sein musste, betrat den Raum. Im Gegensatz zu dem Mercedesfahrer hatte er lockiges braunes Haar, war mittelgroß und kräftig gebaut. Er warf einen Rucksack auf das Bett und begann, sein kurzärmeliges rotes Hemd aufzuknöpfen, während er auf die Badezimmertür zuging.

„He …!“

Auf Emilys entrüsteten Protestruf blieb der Eindringling stehen, brummte etwas und schaltete das Licht ein. Mit anzüglichem Interesse betrachtete er Emily, die vor Empörung erbleicht war und das Handtuch an sich presste.

„Donnerwetter! Das lob ich mir!“ Der Mann sprach Englisch mit leichtem Dialekt, und seine braunen Augen glommen begehrlich. „Französin? Engländerin? Deutsche?“

„Wer immer Sie sind, hätten Sie die Güte, aus meinem Zimmer zu verschwinden?“

„Ah! Engländerin also. Lisette hat mir verschwiegen, dass ich Gesellschaft habe. Aber gegen so reizende habe ich natürlich nichts einzuwenden. Ich bin Greg Vernon und reise per Anhalter durch Europa. Dabei halte ich mich mit gelegentlichen Sommerjobs über Wasser. Und wer sind Sie?“

Emily blickte den Mann argwöhnisch an. „Emily Gainsborough. Ich habe hier auch einen Aushilfsjob für den Sommer angenommen. Nett, Sie kennenzulernen, aber könnten wir diesen Plausch ein andermal fortsetzen? Das ist mein Zimmer.“

Greg Vernon begutachtete Emilys lange schlanke Beine, die schmalen Hüften und die Rundungen ihrer Brüste, deren Ansätze das Handtuch freigab, dann blieb sein Blick auf ihren rotblonden feuchten Locken haften.

„Lisette hat gesagt, die dritte Tür rechts.“

„Vielleicht gehört zählen nicht zu Ihren Stärken“, bemerkte Emily schneidend.

Greg Vernon ging auf den Sarkasmus nicht ein. Er verschränkte die Arme vor der Brust und blickte angelegentlich auf Emilys Oberschenkel. „Als was werden Sie denn hier arbeiten? Als Mädchen für alles, wie ich?“

Resignierend entschied Emily, dass ihr im Moment nichts anderes übrig blieb, als mitzuspielen. Sie zog das Handtuch fester um sich und erwiderte mühsam beherrscht: „Nein. Ich werde als Aushilfssekretärin für den Schlossbesitzer arbeiten, bis ich im September eine feste Stelle im Auswärtigen Amt antrete. Würden Sie jetzt bitte …?“

„Im Auswärtigen Amt?“

„Ja. In der Pariser Botschaft.“ Emily dachte daran, dass die übrigen Angestellten das Schloss inzwischen vermutlich verlassen hatten, und ihr Unbehagen wuchs. Zwar war sie es gewöhnt, auf sich aufzupassen, aber es gefiel ihr nicht, wie der Fremde sie betrachtete. Würde ihr jemand zu Hilfe kommen, wenn sie sich aus dem Fenster beugte und schrie?

„Nicht nur schön, sondern auch intelligent.“ Greg Vernon gab sich beeindruckt. „Wie alt bist du, Schätzchen?“

„Ich bin nicht Ihr Schätzchen, aber alt genug, um mir unerwünschte Leute vom Hals zu halten. Würden Sie jetzt bitte gehen und sich nach einem freien Zimmer umsehen?“

„Du bist Balsam für meine Augen, Süße.“ Vernon grinste frech. „Ich habe eine Schwäche für braunäugige Rotblonde, musst du wissen.“

„Würden Sie jetzt endlich gehen?“, forderte Emily scharf.

„Besonders für braunäugige Rotblonde mit einem Gesicht wie Kim Basinger, die so aussehen, als würde ein Windhauch sie umblasen.“ Vernon nahm keine Notiz von dem wütenden Funkeln in Emilys Augen und tat einige Schritte auf sie zu. „Was hältst du davon, Süße, mir in der Badewanne den Rücken zu schrubben? Ich werde mich dafür auch erkenntlich zeigen …“

„Ich warne Sie“, zischte Emily. „Wenn Sie mein Zimmer nicht in fünf Sekunden verlassen haben …“

„Was wirst du dann tun, Süße?“

Als Vernon lüstern grinsend auf sie zukam und nach ihr greifen wollte, löste das etwas in Emily aus. Ihre Angst war plötzlich verflogen. Ruhig, wie sie es zu Hause im Judokurs Woche für Woche praktiziert und damit mehrere Wettkämpfe gewonnen hatte, packte sie Vernons Oberarm mit einem klassischen Zweikampfgriff. Ehe der Mann wusste, wie ihm geschah, landete er auf dem Treppenabsatz vor Emilys Tür flach auf dem Rücken.

Keuchend lag er da und blickte so verblüfft zu Emily auf, dass sie das Lachen unterdrücken musste, als sie die Tür vor seiner Nase zuschlug.

Das Handtuch, das sich während des Kampfes gelockert hatte, glitt unvermittelt zu Boden. Splitternackt, am ganzen Körper zitternd, stand Emily da, und ihre festen kleinen Brüste hoben und senkten sich erregt. Sie wollte nach dem lachsfarbenen Morgenmantel auf dem Bett greifen, als eine andere Stimme von der Tür ertönte. Eine dunkle, ironische Stimme, die sie entsetzt herumfahren ließ.

„Mademoiselle Gainsborough?“

An der erneut geöffneten Tür stand ein großer dunkelhaariger Mann mit durchdringenden rauchblauen Augen, bei dessen Anblick Emily ein Prickeln überlief. Der Mercedesfahrer! Er trug einen schiefergrauen Anzug, ein weißes Seidenhemd und eine dezent gemusterte Seidenkrawatte und nahm die Szene und Emilys Nacktheit mit ausdrucksloser Miene in sich auf. An seiner linken Wange befand sich eine Narbe, und sein Mund hatte einen zynischen, verbitterten Zug. Dennoch war er der bestaussehende Mann, der Emily je begegnet war.

Seit seinem Erscheinen konnte nur eine Sekunde verstrichen sein, doch Emily kam es vor, als wäre alles in Zeitlupe abgelaufen.

Emily öffnete den Mund, um etwas zu sagen, brachte jedoch keinen Ton hervor. Entsetzt stürzte sie zum Bett, packte den Morgenmantel und bedeckte mit fliegenden Fingern ihre Blöße. Ihr wurde heiß und kalt. Der Zwischenfall mit Greg Vernon war schon schlimm genug gewesen, aber dass sie ihrem neuen Chef jetzt auch noch nackt gegenüberstand, nachdem sie einen fremden Mann unsanft aus ihrem Zimmer befördert hatte, war ein Anfang, wie er sich schlechter kaum vorstellen ließ …

„Würden Sie mir bitte erklären, was los war?“

Emily holte tief Luft. „Dieser Mann ist in mein Zimmer gekommen und hat versucht … mich zu belästigen. Da habe ich zur Selbsthilfe gegriffen …“

„Das habe ich gesehen. Komisch, Mademoiselle, ich erinnere mich nicht, in Ihrem Lebenslauf etwas von nackten Nahkampfübungen gelesen zu haben.“

Der Mann sprach fließend Englisch mit einem leichten amerikanischen Akzent, als hätte er die Sprache in den Staaten gelernt. In seinen Augen glaubte Emily fast so etwas wie ein amüsiertes Funkeln zu erkennen, aber vielleicht täuschte sie sich da auch, denn seine Miene zeigte keine Regung.

Vor der Tür rappelte Greg Vernon sich benommen auf und rieb sich die Hüfte. „Das Mädchen ist buchstäblich umwerfend.“ Er wirkte angeschlagen und sah aus, als hätte er es eilig zu gehen. „Sind Sie der neue Besitzer hier?“

Der dunkelhaarige Mann drehte sich um und nickte kurz. „Christian de Malraux. Nach der Nachricht, die die Wirtschafterin mir hinterlassen hat, dürften Sie Greg Vernon sein.“

„Richtig. Bin im falschen Zimmer gelandet. Ein Irrtum …“

„Verschwinden Sie, und zwar ein bisschen schnell!“ De Malraux’ eisiger Ton jagte Emily einen Schauer über die Haut. Das mit dem amüsierten Funkeln hatte sie sich also doch nur eingebildet.

„Moment mal …“, setzte Greg Vernon verblüfft an.

„Raus! Sie sind gefeuert.“ De Malraux’ Stimme klang scharf und endgültig.

„Gefeuert? Ich hab ja noch nicht mal angefangen. Sie können sich Ihren dämlichen Job …“

Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte de Malraux sich vom Türrahmen gelöst, Vernons Arm gepackt und ihn so auf den Rücken gedreht, dass der Mann sich nicht rühren konnte.

„Halten Sie Ihre Zunge im Zaum“, sagte der Schlossherr drohend. „Und verschwinden Sie von meinem Anwesen.“

Mit einem Stoß gab er Vernon frei, der wütend in Buckelstellung ging, es auf einen weiteren Zusammenstoß jedoch offensichtlich nicht ankommen lassen wollte. Christian de Malraux schien ein gefährlicher Gegner zu sein, und seine Wangennarbe verstärkte diesen Eindruck. Er trat zur Seite, um Vernon vorbeizulassen, doch Emily fühlte sich aus einem ihr selbst nicht erklärlichen Grund verpflichtet, ihren Belästiger in Schutz zu nehmen.

„Sie brauchen ihn meinetwegen doch nicht gleich zu feuern“, warf sie hastig ein und zog den Satinmantel fester um sich, als de Malraux sich ihr mit eisigem Blick wieder zuwandte.

„Nein?“ Er sah sie mit seinen rauchblauen Augen durchbohrend an, und Emily fragte sich, warum dieser Mann sie so beunruhigte. Ihr fiel auf, dass er einen breiten, harten Mund und ein markantes Kinn mit einer Kerbe in der Mitte hatte.

„Ist dieser Typ ein Freund von Ihnen, Mademoiselle?“

„Nein. Aber … ich denke, das Ganze war nur … ein dummes Missverständnis. Ich glaube, Mr. Vernon und ich verstehen uns jetzt.“

„Daran zweifle ich nicht“, erwiderte de Malraux schroff. „Aber hier treffe ich die Entscheidungen. In zehn Minuten erwarte ich Sie unten in der Halle, Mademoiselle Gainsborough. Schließen Sie Ihre Tür in Zukunft ab. Vor allem, wenn Sie baden.“

Nach einer letzten eingehenden Musterung, bei der Emily sich erneut nackt vorkam, verließ de Malraux den Raum und zog die Tür fest hinter sich zu.

Emily lehnte sich einen Moment dagegen und schloss die Augen. Was für ein eingebildeter, hochnäsiger Mensch! Ihre Finger zitterten so stark, dass sie Mühe hatte, den Schlüssel im Schloss umzudrehen.

Warum bin ich nur so wütend auf Christian de Malraux? fragte Emily sich beim Ankleiden. Eigentlich sollte ihr Zorn sich doch gegen den Engländer richten, und sie müsste froh sein, dass ihr neuer Chef rechtzeitig eingegriffen hatte. Stattdessen tat der freche Vernon ihr fast leid, während de Malraux’ bevormundende, selbstherrliche Art sie in Harnisch brachte …

Emily bürstete sich die kurzen rötlich blonden Locken und betrachtete ihr Spiegelbild. Sie trug jetzt einen züchtigen lachsfarbenen engen Seidenrock mit einer kragenlosen Seidenbluse in der gleichen Farbe, darüber ein schokoladenfarbenes kurzes Seidenjäckchen. So wirkte sie kühl, elegant und selbstsicher und erweckte den Eindruck, jeder Situation gewachsen zu sein.

Auf dem Weg nach unten wurde Emily bewusst, warum sie auf Vernon und de Malraux so widersprüchlich reagiert hatte. Mit Männern wie Greg wurde sie spielend fertig. Diese Sorte kannte sie. Bei Christian de Malraux lagen die Dinge anders. Emily hatte das Gefühl, dass er ein Mann war, dem schwer beizukommen war. Er stellte eine Bedrohung für ihren Seelenfrieden dar …

„Haben Sie schon zu Abend gegessen?“, fragte Christian de Malraux ohne Übergang.

Emily sah ihn überrascht an. „Nein …“

Bon. Ça sera la première chose … erst essen wir.“

Das war keine Einladung, sondern ein Befehl. Christian de Malraux war es gewöhnt, über andere zu bestimmen. Er führte Emily zu dem silbergrauen Mercedes, und sie fuhren über die lange Kiesauffahrt zum Schlosstor. Die Scheinwerfer erfassten mächtige Zedern und Walnussbäume und schwenkten über dicht bewachsenes Parkland.

„Sie sind also früher gekommen“, stellte Christian de Malraux fest. „Lisette hat Sie erst morgen erwartet.“

„Da muss ein Missverständnis vorliegen. Ich war der Meinung, ich sollte heute anfangen.“

Christian de Malraux warf Emily einen kurzen Seitenblick zu, dann widmete er seine Aufmerksamkeit wieder der gewundenen Landstraße.

„Lisette dachte auch, Sie würden erst morgen von der Geschäftsreise zurückkehren.“ Emily war selbst erstaunt, wie ruhig ihre Stimme klang, denn sie war innerlich aufgewühlt.

Nach dem unerwarteten Auftauchen in Emilys Zimmer hatte de Malraux den grauen Anzug gegen eine hellgraue Gabardinehose, ein schwarzes kragenloses Netzhemd und ein hellgraues Sportjackett vertauscht.

„Meine Besprechungen waren eher zu Ende, als ich erwartet hatte. Und nach dem, was ich vorhin gesehen habe, war das gut so“, erklärte Christian de Malraux schroff.

„Wenn Sie die Sache mit Greg Vernon meinen, ich war durchaus in der Lage, allein mit ihm fertig zu werden.“

„Das habe ich gemerkt. Aber möglicherweise haben Sie da auch einfach nur Glück gehabt, Mademoiselle Gainsborough. Sie sollten Ihren Gegner nie unterschätzen. Wenn der Überraschungseffekt verpufft ist, kommen Sie unter Umständen nicht so glimpflich davon.“

„Ich habe aber zufällig den braunen Judogürtel“, entgegnete Emily stolz. „Der Vater eines Freundes von mir ist Judolehrer. Ich habe sogar an Landeswettkämpfen teilgenommen.“

„Sehr eindrucksvoll.“ Christian de Malraux klang nicht sonderlich beeindruckt. Er sah Emily kurz an, und sie hatte das Gefühl, dass er sich über sie lustig machte. „Ich kenne mich in diesen Kampfsportarten auch ein bisschen aus. Ihre Darbietung war unterhaltsam, aber Ihre Fähigkeiten als Sekretärin und Übersetzerin sind mir wichtiger.“

„Oh, ich bin sehr vielseitig.“

Christian de Malraux lächelte ironisch, und Emily wünschte, sie hätte sich die Bemerkung gespart. In der Dunkelheit begannen ihre Wangen erneut zu brennen, weil sie an die Szene in ihrem Schlafzimmer denken musste. Hastig wechselte sie das Thema.

„Habe ich richtig verstanden, dass Sie das Schloss erst kürzlich gekauft haben, Monsieur de Malraux?“

„Vor drei Monaten.“ Sie näherten sich einladenden Lichtern, und Christian de Malraux lenkte den Wagen von der Straße vor ein Restaurant, das eine umgebaute alte Mühle zu sein schien.

„Haben Sie es dem früheren Besitzer abgekauft?“

Christian de Malraux schüttelte den Kopf. „In meiner Jugend lebte ich bei meinem Onkel und meiner Tante im Schloss. Später musste ich beruflich ins Ausland und kam erst vor fünf Jahren hierher zurück. Dann wurde mein Onkel krank und starb.“

Der zynische Unterton, in dem Christian de Malraux gesprochen hatte, ließ Emily vermuten, dass er gar nicht glücklich darüber war, jetzt wieder im Schloss zu wohnen.

Emily rief sich zur Ordnung. Wieso beschäftigte dieser Mann sie so stark? Sie war zweiundzwanzig, hatte Sprachen studiert und diesen Sommerjob übernommen, ehe sie an der Botschaft eine verantwortliche Stellung antrat. Lockere Männerfreundschaften hatte Emily schon viele gehabt. Warum löste Christian de Malraux, den sie schließlich erst vor einer halben Stunde kennengelernt hatte, bei ihr also einen solchen Gefühlstumult aus? Höchste Zeit, dass sie sich wieder in den Griff bekam.

Als Emily ihrem neuen Chef jedoch im Restaurant an einem Tisch mit einem karierten Tuch gegenübersaß und über die Speisekarte hinweg einen Blick aus de Malraux’ leicht gelangweilt wirkenden blauen Augen auffing, traf es sie erneut wie ein Blitzschlag.

„Fisch und Meeresfrüchte sind in der Charente Maritime ausgezeichnet“, erklärte Christian de Malraux und betrachtete Emilys leicht gerötete Wangen. „Hier wird fast jede Art von Meeresgetier gefangen, gegart und mit einer raffinierten Sauce zubereitet.“

„Ja, ich weiß. Ich war schon einige Male hier. Das ist auch der Hauptgrund, warum ich den Job angenommen habe. Eine Brieffreundin von mir wohnt hier in der Gegend.“

„Wo denn?“, erkundigte Christian de Malraux sich beiläufig.

„In Saintes.“

„Ein hübsches Städtchen.“

„Ja …“ Emily überflog die Speisekarte, ohne richtig aufzunehmen, was sie las. Selbst eine belanglose Unterhaltung mit diesem Mann brachte sie durcheinander. „Ich glaube … ich nehme den Rochen.“

„Möchten Sie Wein trinken?“

Emily nickte. „Das Château de Mordin produziert Sauvignon-Wein, nicht wahr?“

Zum ersten Mal lächelte Christian de Malraux schwach. Er strich sich das dunkle Haar zurück und sah Emily forschend an. „Sie haben sich gut informiert, Mademoiselle.“

„Ich bin von Natur aus neugierig. Hinter dem Etikett Château de Mordin verbirgt sich eine Genossenschaft von fünfundvierzig Winzern mit siebenhundert Hektar Weinbergen. Ihr Haupterzeugnis ist pineau cognac, der zu einem Teil aus Cognac und zu drei Teilen aus Traubensaft besteht. In zweiter Linie stellen sie Weine her: drei Weißweine, darunter einen cuvée spéciale, außerdem einen Rotwein und einen Rosé.“

Zu Emilys Überraschung lachte Christian de Malraux. Sein Lachen war dunkel und ansteckend und ließ ebenmäßige weiße Zähne aufblitzen, die ihm bei seiner gebräunten Haut ein piratenhaftes Aussehen verliehen.

„Miss Tüchtigkeit persönlich. Mein Freund an Ihrem College hatte recht, als er mir voraussagte, es würde mir leidtun, wenn ich Sie wieder verliere.“

Emily errötete und wurde noch verwirrter, als ihr bewusst wurde, dass Christian de Malraux sie beobachtete.

„Sie sind eine faszinierende Mischung, Mademoiselle …“

„Bitte, nennen Sie mich doch Emily.“ Sie presste die Hände im Schoß aneinander und versuchte, sich ruhig und entspannt zu geben.

„Emily.“ Christian de Malraux sprach die Silben langsam aus, als ließe er sie probeweise auf der Zunge zergehen. „Oui, d’accord. Emily. Dann müssen Sie mich Christian nennen.“

Wie hypnotisiert blickte sie in seine von schwarzen Wimpern gerahmten blauen Augen und hielt unwillkürlich den Atem an.

Ihr wurde bewusst, dass sie etwas antworten musste, und sagte hastig: „Ja … gern … Christian.“ Himmel, was war nur mit ihr los? Sie hatte doch nur den Vornamen des Mannes ausgesprochen, aber sie fühlte sich, als hätte sie ein intimes Geheimnis preisgegeben.

Der Kellner erschien. Christian bestellte, dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Emily zu.

„Wie gesagt“, fuhr er fort, als hätte es keine Unterbrechung gegeben, „Sie sind eine faszinierende Mischung, Emily. Sie informieren sich gründlich und professionell über einen Job, den Sie nur für wenige Wochen übernehmen. Und Sie legen mit einem Judogriff seelenruhig einen Typ aufs Kreuz, der Ihnen zu nahe treten will. Dabei sehen Sie so zerbrechlich aus, als könnte ein Mann Sie erdrücken, wenn er Sie zu fest in die Arme nimmt.“

„Ich …“

„Und Sie erröten wie ein schüchternes Schulmädchen, wenn man Ihnen ein Kompliment macht.“

„Normalerweise werde ich nicht rot“, widersprach Emily, was Christian noch mehr zu amüsieren schien. „Sie müssen schon entschuldigen, aber ich bin heute Abend ein bisschen … durcheinander. Sie verstehen schon …“

„Ach, Sie meinen Ihren entzückenden Nacktauftritt bei unserer ersten Begegnung“, neckte Christian sie leise und lächelte auf eine Art, die Emily noch mehr aus dem Gleichgewicht brachte. „Oder liegt das an dem unerfreulichen Zwischenfall mit Vernon?“

„Beides.“ Emily blickte erleichtert auf, weil der Wein kam. „Wissen Sie, eigentlich habe ich diesen Sommerjob übernommen, um mein Französisch aufzupolieren“, versuchte sie, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Aber bisher haben wir nur Englisch gesprochen.“

„Im Moment unterhalten wir uns ja auch privat, und nicht geschäftlich, Emily.“

„Ja …“

„Wollen wir abmachen, bei der Arbeit im Büro Französisch zu sprechen?“

„Das wäre fein.“

Christian wollte ihr damit einen Gefallen tun, sagte Emily sich. Offenbar fand er sie spaßig. Sie trank einen großen Schluck von dem kühlen Weißwein. Er war erfrischend trocken und schmeckte leicht nach Aprikosen und Wiesenkräutern. Der Kellner hatte ihnen einen Korb mit duftendem frisch gebackenem Brot hingestellt, und Emily wurde bewusst, wie hungrig sie war. Sie beschloss, sich durch Christian de Malraux’ beunruhigende Gegenwart nicht davon abhalten zu lassen, das Essen zu genießen.

Um dem Bann seiner blauen Augen zu entrinnen, betrachtete Emily ihre Umgebung genauer. Das Restaurant war gut besucht und von Stimmen und Gelächter erfüllt.

In der Hauptsache aßen hier französische Familien, aber auch einige Deutsche und Engländer hatten den Weg hergefunden. Hinter Emily bemühte eine Gruppe Landsleute sich mithilfe eines Wörterbuchs, den Geheimnissen der Fischkarte auf die Spur zu kommen.

„Ein gemütliches Restaurant.“ Emily ging bewusst ins Französische über. „Gibt es das Mühlrad noch?“

„Oh ja. Wir hätten uns auch draußen beim Mühlbach an einen Wiesentisch setzen können.“ Christian war ebenfalls ins Französische übergewechselt. „Aber die Mücken können einem ganz schön zusetzen.“

„Nächstes Mal benutze ich ein Insektenschutzmittel“, erklärte Emily spontan. „Ich esse so gern im Freien. In England kann man das leider nur selten.“

„Morgen Abend kommen wir wieder her, wenn Sie möchten. Dann schützen Sie sich mit Insektenmittel, und wir setzen uns an einen Tisch am Mühlbach, Emily.“

„Also … damit wollte ich nicht andeuten, dass Sie mich wieder ausführen sollen …“

Christian lächelte erheitert. „Deshalb brauchen Sie nicht gleich wieder rot zu werden.“

Emily wurde noch heißer, als sein Blick langsam von ihren rötlich blonden Locken und den großen braunen Augen zu den Rundungen ihrer Brüste glitt, die sich unter dem Seidenjäckchen deutlich abzeichneten, weil sie keinen Büstenhalter trug. Entsetzt spürte Emily, dass die Spitzen unter Christians ungenierter Musterung hart wurden.

„Ihr Französisch ist ausgezeichnet, Emily“, lobte er und setzte sich gelöst zurück. „Sprechen Sie Spanisch auch so gut?“

„Es geht. Französisch beherrsche ich besser, weil ich als Teenager die Ferien öfter bei meiner Brieffreundin in Frankreich verbracht habe.“ Wieder wechselte Emily das Thema, um das Gespräch von sich abzulenken. „Was tun Sie beruflich, wenn Sie so lange im Ausland waren?“

„Ich bin Journalist.“

War es Einbildung, oder lag um Christians Mund auf einmal ein harter, abweisender Zug?

„In welcher Sparte?“

„Ich war Auslandskorrespondent für eine französische Landeszeitung. Danach habe ich als Auslandsreporter für das Fernsehen gearbeitet.“

„Ich verstehe.“ Emily betrachtete Christian mit wachsendem Interesse. Der erste Gang wurde serviert, eine Platte mit frischen Langusten. Emily zupfte nachdenklich an der Schale eines der Tiere.

War Christian de Malraux deshalb so zynisch und verbittert? Weil er sich als Auslandskorrespondent häufig an Krisenherden aufhalten musste und ständig mit Kriegen, Not und Grausamkeiten in Berührung gekommen war?

„Haben Sie den Beruf aufgegeben, weil Ihr Onkel krank wurde?“

„Nicht ganz. Ich hatte schon seit einiger Zeit in Erwägung gezogen, mal wieder auf sicheren Boden überzuwechseln. Die Gefahren, die die Arbeit als Fernsehreporter mit sich bringt, lassen einen abstumpfen. Der ständige Kugelhagel, die Frontberichterstattung …“

Emily blickte auf die Narbe an Christians Wange und überlegte, ob er sie sich bei einem Krieg zugezogen hatte.

Er bemerkte die Musterung und deutete grimmig lächelnd auf die Narbe. „Die stammt nicht aus der Zeit als Fernsehreporter. Stört Sie der Anblick, Emily?“, setzte er fast belustigt hinzu.

„Nein!“ Sie schüttelte heftig den Kopf. „Überhaupt nicht! Was für eine Frage?“

Christians Augen verengten sich, und er schwieg. Schließlich meinte er gleichmütig: „Sie brauchen nicht gleich so scharf zu reagieren, Emily. Ich glaube Ihnen auch so.“

Diesmal folgte ein längeres Schweigen. Schließlich ergriff Christian über den Tisch hinweg Emilys Hand und betrachtete ihre Innenfläche und die schlanken ringlosen Finger.

Die Berührung ließ Emily erschauern, und das Atmen fiel ihr schwer. Sie blickte auf Christians kraftvolle Hand, die ihre umfangen hielt, und konnte sich selbst nicht erklären, warum die harmlose Berührung eine so überwältigende Wirkung auf sie hatte. Emilys Herz klopfte wie rasend, ihr Puls begann zu jagen und in ihren Ohren rauschte es, aber sie konnte nichts dagegen tun.

„Keine Ringe?“, fragte Christian ruhig und gab ihre Hand frei.

„Nein …“ Emily hätte sie am liebsten im Schoß versteckt, aber sie schaffte es, das Weinglas aufzunehmen und einen Schluck zu trinken.

„Keine Bindungen, keine Verpflichtungen?“, spann Christian den Faden weiter.

„Nein. Und so soll es auch bleiben.“

„Daher also der Posten im Auswärtigen Amt, den Sie im September antreten wollen?“

Emily nickte und setzte eine gleichmütige Miene auf, obwohl sie innerlich flatterte. „Zu viele von meinen Freundinnen haben studiert und dann alles, was sie sich so hart erarbeitet hatten, über Bord geworfen, um zu heiraten. Ich habe eine sehr klare Vorstellung von dem Ziel, das ich erreichen möchte. Und das ist ganz bestimmt nicht der Gang zum Traualtar!“

„Kluges Mädchen“, lobte Christian. „Halten Sie sich an Ihren Beruf und lassen Sie sich nicht davon abbringen. Die Liebe ist ein zerstörerisches Element.“

Emily nickte stumm, aber ihr war, als hätte Christian ihr einen Schlag in die Magengrube versetzt.

Der Hauptgang wurde serviert, und Emily machte sich dankbar für die Ablenkung über den köstlichen Rochen in Kapernsauce her. Mechanisch hob sie das weiße Fischfleisch mit der Gabel von den Gräten ab.

Nachdem Emily sich wieder etwas gefangen hatte, blickte sie Christian de Malraux lächelnd an. „Die Liebe ist ein zerstörerisches Element, sagen Sie?“, nahm sie Christians letzte Bemerkung in leichtem Ton wieder auf. „Finden Sie das nicht ein bisschen übertrieben? Das klingt ja so, als seien Sie zutiefst verbittert.“

Christian hatte sich ein halb gares Filetsteak bestellt, dessen zartrosa Saft einen würzigen Duft verströmte. Mit gutem Appetit und sichtlichem Genuss machte er sich darüber her.

„Das Leben hat mich den Wert der Unabhängigkeit gelehrt. Ich kann Ihnen nur eins raten, Emily. Verschenken Sie Ihr Herz lieber nicht.“

Emily schwieg, weil sie nicht wusste, was sie darauf antworten sollte. So etwas war ihr noch nie passiert. Konnte Christian de Malraux Gedanken lesen oder hatte er gemerkt, was mit ihr los war? Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie sich verliebt. Es hatte sie gepackt, wie ein Grippevirus. Was würde ihr Bruder Ben sagen, wenn er wüsste, dass seine sonst so vernünftige kleine Schwester sich Hals über Kopf in einen Mann verliebt hatte, den sie erst vor eineinhalb Stunden kennengelernt hatte?

2. KAPITEL

Unvermittelt legte Emily das Besteck auf den Teller und schob ihn beiseite.

„Ist Ihnen der Appetit vergangen?“, erkundigte Christian sich trocken.

„So ungefähr.“

„Möchten Sie einen Nachtisch? Oder Kaffee?“

„Nein, danke. Nichts mehr. Ich bin müde. Das ist bei mir nach einer langen Reise immer der Fall.“

„Dann sollte ich Sie wohl besser zurück und ins Bett bringen, Emily.“

Ihre Wangen glühten, und sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Wollte Christian sie herausfordern? Hatte er die Doppeldeutigkeit der Bemerkung beabsichtigt?

„Ja …“ Emily hielt es für besser, es dabei zu belassen.

Die Nachtluft war warm und voller Blütenduft und kühlte Emilys brennende Wangen während der Rückfahrt im offenen Wagen.

„Sie ziehen noch heute Abend in ein Zimmer um, das näher bei meinem liegt“, bestimmte Christian.

Emily fuhr alarmiert herum. Sie waren vor dem Schloss angekommen, und Christian brachte den Mercedes auf der Kiesauffahrt zum Stehen. Schweigend stiegen sie aus und standen sich in dem von Lampen erhellten Hof gegenüber.

„Wozu?“

„Zu Ihrer eigenen Sicherheit, Emily.“

„So …?“ Verwirrt versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen. „Glauben Sie, Greg Vernon könnte wiederkommen und es erneut versuchen?“

„Das ist durchaus möglich“, erwiderte Christian mit harter Stimme.

„Also, ich bin sicher, dass er es nicht ernst gemeint hat …“ Emily sprach nicht weiter, und ein Schauer überlief sie. Beunruhigt ließ sie den Blick über die dunklen Umrisse des Schlosses schweifen. Das Château de Mordin war ein alter, hufeisenförmig um einen großen kiesbestreuten Hof angeordneter zweigeschossiger Bau. Seine glatten weiß getünchten Mauern wurden von dichtem Efeu überrankt und von endlos wirkenden Reihen hoher Rundbogenfenster mit Holzläden unterbrochen. Das Zirpen der Zikaden war der einzige Laut, der die warme Nachtluft erfüllte.

Emily hatte die Episode mit Greg Vernon bewusst heruntergespielt, sie der Einfachheit halber zu verdrängen versucht. Doch jetzt, in der Stille der Nacht, ging die Fantasie mit ihr durch. Auf einer mächtigen Zeder in der Nähe stieß eine Eule einen schaurigen Schrei aus, und Emily zuckte zusammen.

Hatte Greg Vernon ihr tatsächlich zu nahe treten wollen? Wäre sie ernstlich in Gefahr gewesen, wenn sie ihn nicht mit einem Judogriff außer Gefecht gesetzt hätte und Christian nicht im richtigen Augenblick erschienen wäre?

Zu dem Zeitpunkt hatte Emily den Engländer als einen nicht ernst zu nehmenden Sexprotz abgetan, der sich einfach nur für unwiderstehlich hielt. Doch jetzt sah sie den Zwischenfall auf einmal in einem anderen Licht, und sie war sich ihrer Sache gar nicht mehr so sicher.

Christian hatte die Hände in die Jacketttaschen geschoben und blickte sich halb abgewandt auf dem verlassenen Schlosshof um. Emily musterte ihren neuen Chef nachdenklich. Er musste über einen Meter achtzig groß sein, besaß ungewöhnlich breite Schultern und strahlte nicht nur Männlichkeit und geballte Kraft aus, er hatte auch eine Wirkung auf Emily, der sie sich nicht entziehen konnte. Sie musste sich eingestehen, dass er ihr sehr viel gefährlicher werden konnte als Greg Vernon …

„Machen Sie sich bloß keine Gedanken um mich! Mir wird bestimmt nichts geschehen“, versicherte sie hastig. „Ich schließe die Tür ab und …“

„Sie ziehen in das Zimmer neben meinem um, Emily. Und zwar sofort.“ Christian wandte sich ihr wieder zu, und sein Gesicht hatte einen unbeugsamen Ausdruck. „Ich habe nicht die Absicht, mir die Nacht um die Ohren zu schlagen, weil ich befürchten muss, Sie könnten im anderen Flügel des Schlosses vergewaltigt und ausgeplündert werden.“

„Du meine Güte, wozu die Umstände? Ich bin in meinem jetzigen Zimmer bestens aufgehoben und kann sehr wohl auf mich selbst aufpassen!“

„Sie tun, was ich sage“, erklärte Christian in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.

Der Mann konnte sehr charmant sein, wenn er wollte, aber er hatte eine tyrannische Ader, entschied Emily und dachte an den Rauswurf Greg Vernons. Christian de Malraux war es gewöhnt, dass seine Befehle befolgt wurden.

„Ich möchte aber lieber in meinem augenblicklichen Zimmer bleiben“, beharrte sie.

„So?“ Christian zog ironisch eine Braue hoch. „Sollte ich die Situation falsch eingeschätzt haben? Vielleicht wäre es Ihnen ja lieber gewesen, wenn die Sache anders gelaufen wäre und ich nicht dazwischengefunkt hätte?“

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Manchmal trügt der Schein, Emily“, fuhr Christian fort, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Es wäre doch möglich, dass Greg Vernons Annäherungsversuche Ihnen gar nicht so unangenehm waren und mein Auftritt Ihnen den Spaß verdorben hat …“

Emily brauste auf. „Also, wenn Sie das meinen … mir so etwas zu unterstellen, ist eine Unverschämtheit!“

„Finden Sie?“ Christian ließ sich durch den Ausbruch nicht beirren. „In diesem Fall müssten Sie doch froh sein, das Zimmer wechseln zu können. Kommen Sie, wir holen Ihre Sachen.“

Emily blieb nichts anderes übrig, als sich Christians Forderung zu beugen, zumindest fürs Erste. Außerdem war es diplomatischer, sich mit ihrem neuen Chef nicht gleich zu Anfang anzulegen, entschied Emily, nachdem sie sich etwas beruhigt hatte.

Während sie den Schlosshof mit ihrem Gepäck überquerten, versuchte sie, die angespannte Stimmung etwas zu entschärfen. „Ist das Schloss abends immer so verlassen?“, fragte Emily höflich. „Irgendwie kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es nicht nur für zwei Bewohner gebaut wurde.“

Zu ihrer Enttäuschung ging Christian auf den humorvollen Ton nicht ein. „Ehe meine Tante starb, gab es hier jede Menge Personal, Gäste und Wochenendpartys. In den letzten Jahren dürfte es im Schloss jedoch nicht mehr so gesellig zugegangen sein. Aber das jährliche Dorffest wird nach alter Tradition weiter hier gefeiert. In zwei Wochen findet im Schlosshof ein Ball bei Flutlicht statt. Der dürfte etwas Leben hierher bringen … je nachdem, wie viele daran teilnehmen.“

Wieder fiel Emily der zynische Unterton in Christians Stimme auf, der sich immer dann einschlich, wenn er vom Schloss sprach.

„Aber was ist mit dem Weingeschäft? Sie müssen doch noch mehr Angestellte haben, die im Schloss wohnen … ich meine, außer der Wirtschafterin Lisette Duvert, und ab und zu einem Gelegenheitsarbeiter wie Greg Vernon.“

„Mein Onkel hat mir das Anwesen so hinterlassen. Ich bemühe mich, den Weinhandel anzukurbeln, aber bisher konnte ich mich dem Schloss nicht voll widmen. Mein früherer Beruf nimmt mich immer noch stark in Anspruch. Außerdem habe ich bisher nicht entschieden, was aus dem Château de Mordin werden soll.“

Emily blieb an der Tür des Zimmers stehen, das Christian ihr zugewiesen hatte, und sah ihn fassungslos an. „Sie meinen, Sie wollen es unter Umständen verkaufen?“

Christian zuckte die Schultern. „Schon möglich. Ich halte mir die Entscheidung darüber noch offen. Vor sechs Jahren hatte ich jedenfalls nicht die geringste Lust, mein Leben im Familienunternehmen in der französischen Provinz zu fristen. Ob sich an meiner Einstellung etwas geändert hat, kann ich im Moment noch nicht sagen.“

Aus einem ihr selbst nicht erklärlichen Grund machte die Mitteilung Emily betroffen. Sie gab sich jedoch Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. Schließlich kannte sie diesen Mann ja kaum. Da wäre es unpassend, sich über seinen Mangel an Begeisterung für dieses idyllische Anwesen zu wundern, das so viele Möglichkeiten bot.

„Aus dem Schloss ließe sich eine Menge machen“, setzte Emily vorsichtig an. „Das kam mir sofort in den Sinn, als ich es sah …“

„Meinen Sie? Nun, es würde mich interessieren zu hören, was Sie dazu zu sagen haben.“ Christians Stimme klang ironisch, fast abweisend, stellte Emily enttäuscht fest.

„Sogar eine Menge.“ Sie fühlte sich plötzlich sehr müde und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

„Geht es Ihnen nicht gut, Emily?“ Christians Miene war ausdruckslos, doch in seinen Augen lag fast so etwas wie Besorgnis.

„Ach, es ist nichts weiter. Ich habe nur einen langen Tag hinter mir …“

Das stimmte. Emily war zu Hause in Gloucestershire im Morgengrauen aufgestanden, von Birmingham nach Bordeaux geflogen und von dort aus im hektischen Urlaubsverkehr auf verstopften französischen Straßen hergefahren. Der Anblick des großen quadratischen Schlafzimmers mit seinen Blau- und Goldtönen und der einladend geöffneten Tür, die in ein Bad in den gleichen Farben führte, war verlockend. Es befand sich unmittelbar neben Christians Suite, die auf dem Gang etwas näher an der Treppe lag.

Emily wurde plötzlich bewusst, dass man von seinen Fenstern aus über den Hof direkt in den Raum blicken konnte, den Lisette ihr zugewiesen hatte. Emily verstand jetzt einiges. Kein Wunder, dass Christian mitbekommen hatte, was sich bei ihr abspielte, und sofort zur Stelle gewesen war. Sobald Greg das Licht eingeschaltet hatte, war die Szene im Zimmer wie auf einer erhellten Bühne für jeden sichtbar.

„Sie sind auf einmal sehr blass.“

„Ich glaube, das ist wohl die verspätete Reaktion auf die dumme Episode von vorhin …“ Emilys Lächeln fiel etwas gequält aus. Erst jetzt ging ihr auf, in welcher Gefahr sie möglicherweise geschwebt hatte. Und der arrogante Christian de Malraux besaß die Frechheit, ihr zu unterstellen, sie hätte es bewusst darauf angelegt …

Entsetzt stellte Emily fest, dass sie den Tränen nahe war. Sie wandte sich ab und verwünschte ihre Müdigkeit, das Chaos ihrer Gefühle, den Wein, den ganzen nervenaufreibenden Abend. Wenn Christian sie doch nur endlich allein ließe, damit sie zur Ruhe kommen und sich wieder fangen konnte!

Stattdessen drehte er sie sanft, aber bestimmt zu sich um und zog sie in die Arme. „Sie zittern ja, Emily. Bitte entschuldigen Sie, falls ich Sie beleidigt haben sollte. Glauben Sie mir, Sie sind in diesem Zimmer ganz sicher.“

Christians Stimme klang ruhig, fast ein wenig gereizt, fand Emily. War er ärgerlich auf sie? Oder auf sich selbst, weil er die boshafte Anspielung auf die Szene mit Vernon gemacht hatte?

Emily verkrampfte sich in aufkommender Panik, als Christian ihren Nacken beruhigend zu streicheln begann, wie ihr Bruder Ben es zu Hause tat, wenn sie sich wehgetan hatte. Sie spürte, wie Christians Körperwärme sich auf sie übertrug, und entspannte sich in seinen Armen.

Und dann veränderte die Wärme sich fast unmerklich. Sie war auf einmal nicht mehr beruhigend und brüderlich, sondern intim und erregend. Emily wurde sich plötzlich der Kraft bewusst, die von Christians athletischem Körper ausging, und das Gefühl der Sicherheit verschwand.

Als Christian leise aufstöhnte und sie fester an sich drückte, hob Emily den Kopf und bot ihm wie in Trance die Lippen. Wie unter einem Zwang öffnete sie sie, ihre Zungen trafen sich und spielten miteinander, dann begann Christian die Tiefen ihres Mundes zu erkunden. Liebkosend nahm er Emilys Gesicht in beide Hände und schob die Finger in ihr Haar.

Mit bebenden Händen strich sie über Christians muskulöse Brust und spreizte die Finger, um ihn wegzuschieben, aber irgendwie fehlte ihr die Kraft dazu. Hilflos ballte sie die Hände zu Fäusten und kämpfte gegen ihre Gefühle an, doch ihre Finger glitten wie von selbst zu Christians Schultern, dem Hals, in sein Haar.

Es fühlte sich dicht und kräftig und sauber an. Durch den leichten Stoff konnte Emily Christians durchtrainierten, kraftvollen Körper spüren. Elektrisierende Schauer überliefen sie, als Christian ihren Rücken erneut zu streicheln begann und mit den Händen liebkosend tiefer glitt. Schockiert spürte sie den harten, begehrenden Druck seiner Männlichkeit unter der Kleidung. Ein verlangendes Ziehen breitete sich in Emilys Schoß aus, doch gleichzeitig meldete sich die Stimme der Vernunft.

Christian schien zu spüren, was in Emily vorging. Eine erstickte Verwünschung ausstoßend, löste er sich von ihr. Er legte ihr eine Hand auf die Schulter, mit der anderen hob er Emilys Kinn, sodass sie ihn ansehen musste. Seine Augen waren ganz dunkel, doch seine Züge zeigten keine Regung.

„Entschuldigen Sie, Emily. Das habe ich nicht gewollt. Es war wirklich nicht meine Absicht, ein Feuer zu entfachen.“ Christian war etwas atemlos, und seine Stimme klang, als sei er von der Entwicklung der Dinge selbst überrascht.

„Ich … das haben Sie nicht getan.“ Emily fühlte sich benommen und zitterte am ganzen Körper.

Christian betrachtete sie forschend. „Ich glaube, ich habe Sie eben noch mehr erschreckt als Greg Vernon.“

Mit einem Ruck befreite Emily ihr Kinn und brachte etwas Abstand zwischen sich und Christian, um seinem Bannkreis zu entkommen. Sie riss sich zusammen und versuchte, den Zwischenfall lachend abzutun. „Keine Angst. Ich werde bestimmt keine Albträume haben!“

„Gut.“ Christian lächelte jetzt, doch in seinen Augen lag ein wachsamer Ausdruck. „Wir wollen unsere Arbeitsbeziehung doch nicht durch einen dummen Ausrutscher komplizieren, nicht wahr?“

„Ich werde meine Tür sorgfältig abschließen“, versicherte Emily trocken.

„Das würde ich Ihnen auch raten.“ In Christians Augen lag ein warmer Glanz, der Emily erneut durcheinanderbrachte. Etwas in ihr begann zu schmelzen, und Gefühle wurden wach, die ihr neu waren. „Sie sind eine, richtiges kleines Sexkätzchen, wussten Sie das, Emily?“, sagte Christian leise.

Die Bemerkung ernüchterte sie. „Nein, das bin ich nicht!“, widersprach sie scharf. „Typisch Macho, die Frau verantwortlich zu machen, wenn er die Beherrschung verliert!“

Christian lächelte schwach. „Ich muss mich glücklich schätzen, dass Sie mich nicht ebenfalls mit einen Judogriff kaltgestellt haben. Gute Nacht, Emily. Schlafen Sie gut.“

Sie ballte die Hände an den Seiten zu Fäusten und wollte wütend etwas erwidern, aber die Stimme gehorchte ihr nicht.

Als Christian sich abwandte und die Tür hinter sich zuzog, blickte Emily auf das dunkle Eichenholz und kämpfte gegen das Bedürfnis an, wütend dagegen zu trommeln.

Lisette Duvert weckte Emily mit einem Frühstückstablett, das sie unsanft auf dem Nachttisch abstellte.

„Christian meinte, ich würde Sie hier finden“, erklärte die Wirtschafterin und fuhr ohne Übergang fort: „Was ist denn gestern Abend zwischen Ihnen und Greg gewesen?“ Sie sprach Französisch, und ihr Ton war alles andere als freundlich.

Emily blinzelte einen Moment verschlafen, dann setzte sie sich im Bett auf und betrachtete die junge Frau genauer.

Lisette war ein bildhübsches Mädchen. Sie hatte ein ovales Gesicht und eine helle, klare Haut, die auf Männer faszinierend wirken musste. Ihre Augen waren so grün wie der sanft abfallende Rasen, der sich vor dem Fenster ausbreitete. Mit ihrem schulterlangen schwarzen Haar, dem dichten Stirnpony und dem engen schwarzen Minikleid wirkte sie fast wie ein Hexchen.

„Hat Christian … Monsieur de Malraux es Ihnen nicht gesagt?“, fragte Emily betont ruhig.

„Er hat mir da so eine komische Geschichte erzählt. Greg sei in Ihr Zimmer eingedrungen und hätte versucht, Sie zu belästigen.“ Lisette sprach, als hätte sie keinen Zweifel daran, dass Emily das Ganze nur erfunden hätte.

Mit einem Satz war Emily aus dem Bett und stellte sich in ihrem langen weißen T-Shirt, auf dem vorn eine große Sonne prangte, vor die Wirtschafterin hin. Obwohl Emily barfuß war, überragte sie Lisette um einige Zentimeter.

„Soweit ich mitbekommen habe, waren Sie es, die Greg Vernon eingestellt hat, nicht wahr?“ Emily sprach betont gelassen. „Tut mir leid, wenn Sie aufgebracht sind, weil er sofort wieder gefeuert wurde, aber die Geschichte ist wirklich nicht übertrieben.“

„Nein? Dann haben Sie sie wohl ein bisschen so frisiert, dass Sie als Unschuldslamm dastehen, nicht wahr?“ Lisettes grüne Augen funkelten feindselig.

Der offene Angriff machte Emily betroffen. „Wie meinen Sie das?“

„Nun, ich könnte mir vorstellen, dass Christian Sie in einer peinlichen Situation überrascht hat, worauf Sie prompt Greg die Schuld in die Schuhe geschoben haben.“

Die Vermutung deckte sich so weitgehend mit Christians Schlussfolgerung, dass Emily der Kragen platzte.

„Das ist nicht wahr!“, rief sie empört.

„Emily hat recht“, ertönte Christians Stimme von der Tür her, und die beiden Frauen fuhren herum. „Sie hat Greg die Schuld nicht in die Schuhe geschoben, sondern ihn kurzerhand aufs Kreuz gelegt. Und zwar buchstäblich.“

Christian beobachtete die Reaktion der Wirtschafterin auf seine Erklärung. „Emily ist Judospezialistin, Lisette. Solange sie hier arbeitet, werden wir sie sehr vorsichtig, gewissermaßen mit Samthandschuhen anfassen müssen.“

Die junge Frau warf das schwarze Haar zurück und lächelte Christian kokett an, dann bedachte sie Emily mit einem vernichtenden Blick. „Judo?“, wiederholte sie zweifelnd und schüttelte den Kopf. „Greg ist ein Freund von mir. Ich brauche mich seiner nicht mit Judo zu erwehren!“ Sie deutete anklagend auf Emily. „Bestimmt hat sie ihn herausgefordert.“

Ça suffit, Lisette.“ Christians Stimme hatte wieder die schneidende Schärfe, die Emily inzwischen kannte. „Wenn Sie weiter für mich arbeiten wollen, rate ich Ihnen, sich nur mit Dingen zu beschäftigen, die Sie etwas angehen.“

Das saß. Die Wirtschafterin zuckte die Schultern und bedachte Christian mit einem so vorwurfsvollen Blick, dass Emily Mühe hatte, ein Lächeln zu unterdrücken. Nachdem Lisette einen Augenblick beleidigt geschwiegen hatte, machte sie auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum.

So kann man sich in zehn Sekunden einen Feind schaffen, überlegte Emily, die mit Christian allein zurückblieb. Unter seinem durchdringenden Blick fühlte sie sich unbehaglich und wusste plötzlich nicht mehr, was sie mit ihren Händen anfangen sollte. In dem T-Shirt kam sie sich nur unzureichend bedeckt vor, und sie war nicht sicher, ob es nicht vielleicht sogar etwas durchsichtig war.

„Im Umgang mit Ihren Angestellten halten Sie nicht viel von Takt und Zartgefühl, nicht wahr?“, konnte sie sich nicht enthalten, Christian zu kritisieren.

Seine Züge verfinsterten sich. „Lisette ist ein Überbleibsel aus der Zeit meines Onkels Thierry. Als Haushälterin lässt sie viel zu wünschen übrig.“

„Wie meinen Sie das, ‚Überbleibsel‘?“ Nervös flocht Emily die Finger hinter dem Rücken ineinander, aber damit erreichte sie nur, dass ihre Brüste sich unter dem dünnen Stoff des T-Shirts noch deutlicher abzeichneten. Hastig verschränkte sie die Arme vor dem Oberkörper.

„Ich wollte damit sagen, dass ich Lisette nicht eingestellt habe. Falls ich das Schloss behalten sollte, werde ich mich wahrscheinlich nach einer tüchtigeren Kraft umsehen.“

Christians Nähe verwirrte Emily, und die Sachlage war ihr jetzt noch unverständlicher als am Abend zuvor. War Christian de Malraux nur hier, weil er sich nach dem Tod seines Onkels notgedrungen um den Familienbesitz kümmern musste?

Auf der anderen Seite hatte Christian gestern doch aber davon gesprochen, den Beruf wechseln und etwas Neues beginnen zu wollen, das sein Leben in ruhigere, bodenständige Bahnen lenkte. Diesem Wunsch kamen der Weinanbau, der Weinhandel doch in geradezu idealer Weise entgegen. Wo bot sich mehr Spielraum für eine schöpferische, erfüllende Tätigkeit als hier auf dem Schloss? Warum also war Christian mit seiner jetzigen Rolle unzufrieden?

Emilys Neugier war erwacht, und sie nahm sich vor, diesen Ungereimtheiten nachzugehen. Er schien ihr nicht der Typ zu sein, der etwas halbherzig tat. Es musste einen Grund für seine Unentschlossenheit geben …

„Frühstücken Sie erst mal“, riet Christian. Leicht ironisch setzte er hinzu: „Ich glaube nicht, dass Lisette das Essen vergiftet hat.“

Emily betrachtete ihn genauer. Er trug Wildlederstiefel, Jeans und ein lockeres weißes Sweatshirt.

„Ich stehe zwar erst an der Schwelle zum Berufsleben, aber ich kann nur hoffen, dass nicht alle Posten, die ich übernehme, so merkwürdig anfangen wie dieser.“

„Da können die Dinge eigentlich nur besser werden“, bemerkte Christian, und Emily glaubte, in seinen Augen ein amüsiertes Funkeln zu entdecken. „Ich erwarte Sie in einer halben Stunde in meinem Büro. D’accord?“

„Ich werde pünktlich sein.“

Nachdem Emily den starken, mit Zichorie angereicherten Kaffee getrunken und die heißen Buttercroissants mit gutem Appetit vertilgt hatte, kleidete sie sich an und machte sich auf die Suche nach dem Büro ihres neuen Chefs.

Wieder war Emily überrascht von den Sehenswürdigkeiten, die das alte Schloss bot. Es wirkte jedoch traurig vernachlässigt, und die meisten Räume schienen unbenutzt zu sein. Hier gäbe es so viele Möglichkeiten, das Schloss für Touristen interessant zu machen, überlegte Emily. Ihr schwirrte der Kopf vor Ideen, als sie den verwahrlosten Empfangssaal, die verlassenen Keller inspizierte, die sich für Weinproben geradezu anboten. Eine Fülle von Verbesserungsvorschlägen drängte sich ihr auf, die nur darauf zu warten schienen, in die Tat umgesetzt zu werden.

Als Emily Christians Büro endlich gefunden hatte, erwies es sich keineswegs als die staubige Zelle, auf die sie halbwegs gefasst gewesen war. Es war sogar erstaunlich gut eingerichtet. Da gab es gepflegte antike Möbelstücke, die in überraschendem Kontrast zu den neuen Computern und anderen technischen Einrichtungen standen. Der Raum war sonnig und hatte hohe Fenster, die auf die rückwärtigen Parkanlagen hinausgingen.

Christian saß mit übergeschlagenen Beinen auf der Kante eines Schreibtischs und telefonierte in rasch gesprochenem Französisch.

„Ah, Emily …“ Er bedeckte die Sprechmuschel mit der Hand und betrachtete seine neue Sekretärin einen Moment. „Ich bin gleich so weit.“

Emily zögerte, dann setzte sie sich an den zweiten Schreibtisch und begutachtete das Textverarbeitungssystem, um festzustellen, ob sie damit zurechtkommen würde.

Als Christian den Telefonhörer auflegte, hob sie den Kopf, und ihre Blicke begegneten sich. Ein erregendes Prickeln überlief Emily. In ihrem zimtfarbenen Seidenkostüm wirkte sie elegant und geschäftsmäßig, doch der enge Rock, der ihre langen schlanken Beine freigab, kam ihr auf einmal viel zu kurz vor.

„Nun?“, fragte Christian sachlich.

Emily senkte den Blick und tat so, als beschäftigte sie sich mit der Tastatur des Computers.

„Glauben Sie, es wird Ihnen Freude machen, hier zu arbeiten?“

„Freude?“ Emily sah Christian verwundert an, dann nickte sie hastig. Freude war weiß Gott nicht die richtige Bezeichnung für den Gefühlstumult, in dem sie sich befand, aber sie riss sich zusammen. „Ja. Ich bin sicher, dass ich mich hier wohlfühlen werde. Das Büro ist sehr viel moderner, als ich erwartet hatte.“

„Hatten Sie gedacht, Sie würden in einem stickigen Keller inmitten von Spinnweben und Fledermäusen arbeiten?“

„Mehr oder weniger.“ Emily lächelte, doch Christian reagierte nicht darauf. Der Telefonanruf oder etwas anderes schien ihn getroffen zu haben, denn er wirkte noch angespannter als zuvor.

„Meine drei Monate hier scheinen nicht ganz umsonst gewesen zu sein“, sagte er unvermittelt. „Durch die Krankheit meines Onkels ist im Schloss seit längerer Zeit alles ziemlich verwahrlost.“

„Das mit Ihrem Onkel … tut mir sehr leid …“

„Mir auch. Er war mein letzter lebender Verwandter.“ Der Ton, in dem Christian das sagte, weckte bei Emily das Bedürfnis, ihm tröstend die Hand auf die Schulter zu legen, aber sie verzichtete darauf. Auch gestern Abend hatte es mit einer harmlosen Mitgefühlsbezeugung begonnen …

Hilflos suchte Emily nach einem unverfänglichen Gesprächsthema. „Sie sagten, Sie hätten als Kind bei Ihrem Onkel und Ihrer Tante gelebt? Was war mit Ihren Eltern?“

„Sie sind tot“, erwiderte Christian einsilbig.

Emily schwieg einen Moment. „Seit wann? Woran sind sie gestorben?“

„An Rauchvergiftung. Sie waren auf einer Urlaubsreise durch Indien, als in ihrem Hotel ein Brand ausbrach.“

„Wie alt waren Sie damals?“ Emily war voller Anteilnahme und musste die Fragen einfach loswerden.

Christian schien sich zu diesen Dingen nicht weiter äußern zu wollen, denn er warf Emily einen ungeduldigen Blick zu. „Sieben. Sie hatten mich für die Dauer der Reise zu meinem Onkel und meiner Tante hierher ins Schloss gebracht. Da bin ich dann nicht mehr nach Hause in die Avenue Foch in Paris zurückgekehrt, sondern bei meinem Onkel und meiner Tante geblieben.“ Christian lächelte ironisch. „Und jetzt, Emily, haben Sie mich genug mit Fragen gelöchert. Sie haben recht. Sie sind ziemlich neugierig. Aber das kann störend sein, wenn die Fragen zu persönlich werden. Sparen Sie sich die Neugier lieber für die Arbeit auf.“

„Okay. Entschuldigen Sie, dass ich etwas gesagt habe.“ Emily versuchte, die Stimmung aufzuheitern und lächelte keck. „Sekretärin Gainsborough meldet sich zum Dienst und ist jederzeit zum Arbeitseinsatz bereit!“ Um dem noch eins draufzusetzen, schlug sie die Hacken zusammen und salutierte zackig.

Christian glitt von der Schreibtischkante und sah Emily nachdenklich an. „Lassen Sie mich Ihnen einen Rat geben, Emily …“, setzte er an, doch um seine Mundwinkel zuckte es verdächtig.

„Doch wohl hoffentlich nicht wieder in Herzensdingen“, unterbrach sie ihn gespielt unschuldig.

„Nein. Ich möchte Ihnen nur Tipps geben, wie Sie vermeiden können, in Ihrer neuen Stellung im Auswärtigen Amt gleich am ersten Tag gefeuert zu werden“, erklärte Christian übertrieben geduldig.

„Also genau genommen wollte ich Sie davor warnen, zu vorwitzig, sarkastisch oder neunmalklug aufzutreten“, erklärte er trocken und deutete auf die Tür. „Aber ich habe das Gefühl, dass ich mir den Atem sparen kann. Sie werden Ihre Erfahrungen selbst machen müssen. Kommen Sie, Emily, ich führe Sie jetzt erst mal durch das Schloss, damit Sie sich hier nicht ständig verlaufen.“

Während der Führung durch das Schloss war Emily nur halb bei der Sache, und es fiel ihr schwer, sich auf das zu konzentrieren, was Christian ihr zeigte und erklärte. Er nannte ihr die Namen der Angestellten aus dem Ort, die tagsüber im Schloss arbeiteten, erläuterte ihr die einzelnen Arbeitsbereiche, führte sie durch die Lager- und Reifungskeller.

Emily gab sich Mühe, aufmerksam zuzuhören und sich alles zu merken, aber Christians Nähe verwirrte sie und lenkte sie ab. Gegen ihren Willen fühlte sie sich immer stärker zu diesem Mann hingezogen. Ich muss vernünftig sein, ermahnte sie sich streng. Es hat keinen Sinn, sich in Gefühle zu verstricken, meine Unabhängigkeit aufs Spiel zu setzen, schon gar nicht jetzt. Schließlich stehe ich ja gerade erst am Anfang meiner beruflichen Laufbahn …

„So, und jetzt sind wir buchstäblich wieder da, wo wir angefangen haben, Emily“, hörte sie Christian sagen. „Was halten Sie von meinen Plänen?“ Er drehte sich um und sah sie fragend an.

Ihr wurde bewusst, dass er eine Antwort von ihr erwartete, und ihr schoss das Blut ins Gesicht. „Entschuldigung, aber ich war einen Augenblick nicht ganz bei der Sache“, gestand sie verlegen.

Sie hatten das Schlossinnere von oben bis unten besichtigt, eine Runde durch die Anlagen gemacht und kehrten in den Reifungskeller mit seinen eindrucksvollen Reihen mächtiger Eichenfässer zurück, von denen jedes vierhundert Liter fasste. Sie enthielten den begehrten Pineau Cognac, der eine Reifezeit von bis zu zehn Jahren brauchte. Neben einem alten Kupferdestillierapparat befand sich eine Schautafel, auf der die einzelnen Reifungsphasen des Weinbrands, von Hellgelb bis Goldorange und schließlich Bernsteinfarben bildlich dargestellt wurden.

„Sie waren nicht bei der Sache?“, fragte Christian leicht belustigt. „Gab es bei Ihrer Sekretärinnenausbildung nicht auch einen Kursus in Konzentrationstechnik?“

Sie standen einander gegenüber. Viel zu nahe für Emilys Seelenfrieden. Ihre Kehle fühlte sich trocken an, und sie blickte sich in aufkommender Panik um. Christians Nähe hatte eine beängstigende Wirkung auf sie.

Emily versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen und stellte sich seinem Blick. Sie durfte sich von diesem Mann nicht ständig aus dem Gleichgewicht bringen lassen. Wenn er sie gestern Abend nur nicht so leidenschaftlich geküsst hätte …

„Nein, so einen Kursus gab es dort nicht.“ Emily trat die Flucht nach vorn an. „Und es gab auch keinen, in dem uns beigebracht wurde, was zu tun ist, wenn unser Chef uns drei Stunden nach der ersten Begegnung küsst.“

Ihrer Erklärung folgte angespanntes Schweigen. Emilys Herz begann zu jagen, als Christian sie durchdringend ansah.

„Beunruhigt Sie das, was gestern Abend war?“, fragte er endlich in täuschend beiläufigem Ton, und nur ein zuckender Muskel an seinem Kinn verriet, dass auch er sich verkrampft hatte.

„Aus mehr als einem Grund!“ Emily blickte wie hypnotisiert auf Christians sinnliche Lippen und die Kerbe an seinem Kinn.

„Wollen Sie mich erpressen, Emily?“, fragte er spöttisch. „Ich küsse meine neue Sekretärin, und sie nutzt das aus, indem sie vorgibt, sich nicht mehr konzentrieren zu können.“

„Das sehe ich anders. Es war schließlich kein einseitiger Kuss“, gab sie zu, und ihr wurde heiß. „Im Übrigen habe ich Ihnen bei dem meisten, was Sie gesagt haben, aufmerksam zugehört.“

„Da bin ich aber erleichtert“, bemerkte Christian trocken.

„Ich habe mir die Fachausdrücke genau eingeprägt. Da sind die … brouille, und die tête du chauffe, und Sie haben mir erklärt, wie der Reifungsprozess des Cognacs verläuft, dass der Alkohol nach oben verdunstet und die Dachoberfläche verfärbt …“ Emily sprach hastig weiter, um das Gespräch in eine ungefährliche Richtung zu lenken. „Sie haben mir den Verlauf des Reifungsprozesses sehr anschaulich geschildert, und ich war sehr beeindruckt …“

„In Ordnung, Emily. Aber was würden Sie als Lösung für das vorschlagen, was gestern Abend war?“

Sie blickte Christian verständnislos an. „Lösung?“

„Ja. Wir müssen einen Weg finden, um Ihre volle Konzentrationsfähigkeit während der Arbeit sicherzustellen, meinen Sie nicht auch, Emily?“

„Ich …“ Sie hatte das Gefühl, in den Tiefen seiner blauen Augen zu ertrinken und suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, sich ihrem Bann zu entziehen. „Ich weiß nicht …“

„Wenn ich Sie noch einmal küsse, Emily“, sagte Christian leise und blickte auf ihre Lippen, „riskiere ich dann, dass mir das Gleiche passiert wie Greg Vernon?“

„Ich habe das Gefühl, dass Sie das Risiko eingehen sollten“, hörte Emily sich flüstern. Sie war selbst entsetzt, wie sehr sie nach Christian verlangte, konnte jedoch nichts dagegen tun. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, und alles in ihr drängte Christian entgegen, als er sie in die Arme zog.

„Und ich habe das Gefühl, dass du recht hast“, entgegnete er heiser und bedeckte ihre Lippen mit seinen.

3. KAPITEL

„Wie alt sagtest du, bist du, Emily?“, flüsterte Christian an ihrem Haar.

„Zweiundzwanzig …“ Sie hob den Kopf und blickte Christian verwirrt an. „Warum fragst du?“

„Weil ich mit dir schlafen möchte … jetzt.“

Bei so viel männlicher Arroganz verschlug es Emily glatt die Sprache.

„In deinem Alter dürftest du noch gar nicht fähig sein, einen Mann nach so kurzer Bekanntschaft völlig um den Verstand zu bringen …“, fuhr Christian mit sinnlicher Stimme fort.

Emily entwand sich ihm. „Da haben wir’s!“, empörte sie sich. „Jetzt versuchst du schon wieder, mich verantwortlich zu machen. Ich bin es leid, mir von dir unterstellen zu lassen, ich legte es darauf an, die Männer verrückt zu machen!“

„Habe ich das unterstellt?“, fragte Christian in einem Ton, der halb spöttisch, halb ernst klang.

„Natürlich! Gestern Abend hast du mir sogar unterschieben wollen, ich hätte Greg Vernon absichtlich dazu herausgefordert, sich mir zu nähern. Und jetzt bin ich schuld, dass wir … uns zueinander … hingezogen fühlen!“

Christian antwortete nicht, sondern musterte Emily nachdenklich.

Sie stand immer noch unter dem Eindruck der Umarmung, die keinen Zweifel darüber gelassen hatte, dass Christian stark erregt war. Auch in Emily hatte sie Empfindungen ausgelöst, die sie noch nie erlebt hatte …

Gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass sie ihm gegenüber viel zu ehrlich gewesen war. Sie hatte in diesen Dingen noch keine Erfahrung, aber der Instinkt sagte ihr, dass es unklug war, tiefe Gefühle so offen zu zeigen, selbst wenn man sich Hals über Kopf verliebt hatte.

„Tun wir das? Fühlen wir uns zueinander hingezogen?“, fragte Christian leise.

Emily verschränkte schützend die Arme vor der Brust. Jetzt machte er sich auch noch über sie lustig! Sie spürte, dass sie zitterte, und versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. „Hör zu, ich finde, das geht zu weit.“ Mit ihren großen braunen Augen sah sie Christian fest an. „Wie wär’s, wenn wir noch mal ganz von vorn anfangen und so tun, als sei zwischen uns nichts gewesen? Als hätte es gestern Abend überhaupt nicht gegeben?“

„Dann müssten wir auch darauf achten, in Zukunft jeden Körperkontakt zu vermeiden.“ Christian schüttelte verschmitzt lächelnd den Kopf. „Weißt du, Emily, ich glaube, ich sollte dich lieber postwendend wieder nach England zurückschicken. Es wäre besser, wenn ich mir eine Aushilfssekretärin mit etwas weniger erotischer Ausstrahlung suchen würde.“

„Und ich glaube, es wäre besser, ich suchte mir einen Kurzzeitchef mit etwas mehr Selbstbeherrschung!“, hielt Emily prompt dagegen. „Ich habe nicht die Absicht, mir den Sommer mit einer billigen Affäre zu vertreiben, die letztlich zu nichts führt!“

Christian betrachtete Emily, und in seinen Augen lag ein seltsames Glimmen. „Moment mal“, seine Stimme hatte einen leicht belustigten Unterton, „mit ‚zu nichts führen‘ magst du vielleicht recht haben, denn keiner von uns beiden sucht eine dauerhafte Bindung. Aber ‚billig‘?“ Er zog Emily wieder an sich, und sie war darauf gefasst, dass er sie erneut küssen würde. „Jemanden zu begehren, ist nichts Billiges. Miteinander zu schlafen, kann meiner Erfahrung nach sogar etwas Wunderbares sein.“

Emily erschauerte vor Erregung. Gegen jede Vernunft wünschte sie sich nichts mehr, als dass Christian sie berührte, ihre nackte Haut streichelte …

„Ich weiß zwar nicht, was für ein Mann du bist“, setzte sie hilflos an, „aber ihr Franzosen steht in dem Ruf, fantastische Liebhaber zu sein. Für dich ist das alles doch nur ein Spiel, nicht wahr?“

Christian lachte leise. „Du bist viel zu intelligent, um solchen kindischen Verallgemeinerungen Glauben zu schenken, Emily.“

Sie befreite sich energisch aus seinen Armen. Christian machte keinen Versuch, sich ihr erneut zu nähern. Er musterte sie nur auf eine Art, die Emily das Gefühl gab, seinem Blick nackt preisgegeben zu sein, und ihre Knie weich werden ließ.

„Vielleicht“, gab sie mit einem Lachen zu, das eher verzweifelt klang. „Jedenfalls glaube ich nicht, dass ich … mit all dem hier fertig werde …“

Christians Augen verengten sich, und er blickte Emily durchdringend an. Ein Windhauch spielte mit einer Haarsträhne, die ihm in die Stirn gefallen war.

Unvermittelt fuhr Christian sich mit den Fingern durch das Haar und schüttelte sich leicht. „Fühlst du dich reiner Büroarbeit gewachsen, Emily?“, fragte er in leichtem Ton.

Sie hatte unwillkürlich den Atem angehalten. Tief ausatmend legte sie die Arme um sich und wandte sich ab. „Natürlich.“

„In diesem Fall sollten wir unsere Zusammenarbeit auf Schreibarbeiten und Telefonanrufe beschränken. Einverstanden?“

„Gut.“ Emily drehte sich um und ging würdevoll in Richtung auf das Büro davon.

Es wurde ein aufreibender Vormittag. Emily musste ihre ganze Willenskraft aufwenden, um sich auf die Arbeit zu konzentrieren und sich Christian gegenüber ruhig und sachlich zu verhalten. Er selbst schien gegen Gefühlskonflikte gefeit zu sein, denn er arbeitete zügig und geschäftsmäßig. Als er Emily mit ihren Aufgabenbereichen vertraut gemacht und ihr einen Stapel Unterlagen auf den Schreibtisch gelegt hatte, die schriftlich oder telefonisch zu erledigen waren, fühlte sie sich erschöpft.

„Ich bin in Royan zum Mittagessen verabredet“, erklärte Christian knapp. „Meinst du, du wirst es in dem Trubel hier aushalten, während ich fort bin?“, setzte er ironisch hinzu.

Zum ersten Mal seit Stunden lächelte Emily. „Es muss hier nicht so grabesstill zugehen“, erwiderte sie ruhig. „Du brauchst in das Schloss nur einiges Geld zu investieren und Verschiedenes umzugestalten. Zum Beispiel könntest du hier ein Restaurant aufmachen und einen Empfangsbereich für den Ausschank von Weinproben an Besuchergruppen einrichten. Weitere Möglichkeiten wären Touristenführungen durch die Weinkeller, eventuell in mehreren Sprachen. Im Sommer bieten sich Veranstaltungen im Freien an. Feste wie Grillpartys …“

„Da magst du recht haben, Emily“, erwiderte Christian belustigt. „Was du da aufgezählt hast, ist ja alles gut und schön, nur sagt mir mein Instinkt, dass ich hier im Château de Mordin keine Zukunft habe.“

Emily blickte geistesabwesend auf die Notizen und Anweisungen auf ihrem Stenoblock, dann lehnte sie sich zurück und blickte aus dem Fenster, vor dem sich die sonnenüberfluteten, von mächtigen Zederngruppen durchzogenen Parkanlagen ausbreiteten.

„Und wo, sagt dein Instinkt, hättest du eine Zukunft?“, fragte sie endlich.

„Wo ich möglichst weit von diesem Teil Frankreichs entfernt bin. Bis später.“ Damit verließ Christian das Büro.

„Bist du heute Abend frei?“

Christian war am Spätnachmittag heimgekehrt, nachdem Emily einen arbeitsreichen, aber einsamen Tag am Computer hinter sich hatte.

Lisette hatte sich die ganze Zeit über nicht blicken lassen, und Emily hatte keine Ahnung, wo die Wirtschafterin sich aufhielt. Bis auf ein, zwei männliche Schlossangestellte, die in der Ferne vorbeigegangen waren, hatte Emily keine Menschenseele zu Gesicht bekommen, seit Christian am Vormittag weggefahren war.

Sie sah ihn verwundert an. „Frei? Wie meinst du das?“

„Um mit mir zu Abend zu essen.“

Emily dachte an die Abmachung, die sie am Morgen getroffen hatten, und verstand nicht, warum Christian sie einlud. Glaubte er vielleicht, sie anstandshalber abends ausführen zu müssen, weil es im Schloss keine Mahlzeiten gab?

Emily schlug einen ironischen Ton an. „Ach, ich verstehe. Du meinst, ob ich mit dir ausgehen möchte? Tut mir leid, aber das geht nicht. Ich bin leider schon völlig ausgebucht: Cocktails um sechs, ein Maskenball um acht und anschließend eine Party mit Übernachtung. Wenn dir an meiner Gesellschaft liegt, musst du dich für den betreffenden Abend rechtzeitig im Voraus anmelden.“

Um Christians Lippen zuckte es leicht. Emily betrachtete ihn genauer. Er trug Jeans und eine schwarze Jacke und wirkte irgendwie müde und abgekämpft.

„War der Tag für dich so schlimm, Emily?“

Sie tat so, als begutachtete sie ihre kurzen, zartrosa gelackten Fingernägel, dann blickte sie lächelnd zu Christian auf.

„Sagen wir es so: Das Château de Mordin wird seiner Bestimmung nicht gerecht. Es würde sich besser als Klosterunterschlupf für Leute eignen, die mit der schnöden Welt abgeschlossen haben.“

Der trockene Humor verfehlte seine Wirkung nicht, denn in Christians blauen Augen blitzte es auf. „Du gehörst also zu den Leuten, die gern Partys feiern?“

„Nein, eigentlich nicht“, widersprach Emily hastig. Wieder fühlte sie die verräterische Wärme in sich aufsteigen, die sich immer dann einstellte, wenn sie mit Christian zusammen war. Unruhig bewegte sie sich auf ihrem Stuhl. „Das sollte nur ein Scherz sein. Aber du musst doch zugeben, dass man hier im Schloss das Gefühl bekommt, lebendig begraben zu sein.“

Christian lächelte schwach und strich sich mit den Fingern das widerspenstige Haar aus der Stirn.

„Vergiss nicht das Fest, den großen Ball in zwei Wochen. Da gibt es jede Menge Vorführungen, ein Feuerwerk, Musik und Tanz. Kommt das deinem Wunsch nach Jubel, Trubel und Heiterkeit im Schloss entgegen, Emily?“

Er nimmt mich schon wieder nicht ernst, dachte Emily verärgert. „Sicher“, erwiderte sie ruhig. „Aber mir ist nicht nach Jubel, Trubel, Heiterkeit, wie du es nennst.“

„Hat Lisette dir mittags etwas zu essen gebracht?“

Emily zögerte. Falls Christian die Wirtschafterin damit beauftragt hatte, hatte sie es absichtlich vergessen. Emily war ins Dorf gefahren und hatte sich dort in der ausgezeichneten Metzgerei einen Imbiss geholt.

„Das brauchte sie nicht“, erwiderte Emily gelassen. „Ich habe mich selbst versorgt und mir im Ort etwas gekauft.“

Obwohl sie die Wirtschafterin nicht sonderlich sympathisch fand, widerstrebte es Emily, Lisette nach Christians scharfer Verwarnung vom Morgen anzuschwärzen.

Christian zog die Brauen zusammen und sah Emily forschend an. „Dann möchte ich das mit dem Abendessen wiedergutmachen.“

Emily schüttelte hastig den Kopf. „Da gibt es nichts ‚wiedergutzumachen‘, wie du es nennst“, wehrte sie höflich ab. „Ich bin als Aushilfssekretärin hier, und du brauchst dich nicht moralisch verpflichtet zu fühlen, mich auszuführen. Im Übrigen habe ich vor, meine Freizeit in Zukunft allein zu gestalten und in nächster Zeit das eine oder andere zu unternehmen. Wie ich dir schon sagte, habe ich Freunde in Saintes. Du hast doch hoffentlich nichts dagegen, dass ich sie anrufe und einen ganzen Tag bei ihnen verbringe, wenn ich freihabe?“

„Natürlich nicht“, entgegnete Christian kühl. „Du kannst sie besuchen, wann du willst. Aber heute Abend möchte ich dir die Weinberge zeigen, ehe wir essen gehen. Halte dich also um sieben bereit.“

Emily schwieg. Der Befehlston, in dem Christian gesprochen hatte, erinnerte sie an die bevormundende Art, mit der er nach ihrer Ankunft einfach über sie bestimmt hatte. Ein feiner Schauer überlief Emily, als sie den Ausdruck in Christians Augen bemerkte. Die Narbe auf seiner Wange hob sich deutlich von seiner gebräunten Haut ab und verlieh ihm ein verwegenes Aussehen.

Unschlüssig überlegte Emily. Sie konnte bei ihrer Weigerung bleiben und die Einladung zum Essen rundweg ablehnen. Auf der anderen Seite war Christian ein Mann, der sich nicht so leicht abweisen ließ. Und er wollte sie ja schließlich nur zum Abendessen ausführen, mehr nicht.

„Gut.“ Emily zuckte die Schultern. „Dann also bis sieben.“

Christian nickte zufrieden. „Bis später.“ Er winkte ihr kurz zu und ging davon.

Tagsüber war es drückend heiß gewesen, doch jetzt, gegen Abend, kam vom Atlantik her ein leichter, angenehm frischer Wind auf und spielte mit den trockenen Blättern der Walnussbäume. Emily hatte geduscht und sich in ein kurzes Seidenkostüm in Pink und Weiß mit passenden flachen Schuhen umgezogen. Wie stets, wenn sie ausging, hatte sie ihr Lieblingsparfüm benutzt und sich mit ihrem Aussehen Mühe gegeben, weil es sie beschwingte, wenn sie das Gefühl hatte, gut auszusehen.

Schweigend saß Emily neben Christian und versuchte, die Fahrt zu genießen, während sie im offenen Mercedes über die zu dieser Stunde verlassenen Landstraßen glitten. Obwohl die frische Brise in den Wagen strömte und Emilys kurze rotgoldene Locken spielerisch zauste, gelang es ihr nicht, die Spannung abzuschütteln, die zwischen ihr und Christian herrschte.

Es war schon spät, als sie alle zum Schloss gehörenden Weinberge besichtigt hatten. Emily hatte endlose Reihen sauber angeordneter niedrig wachsender Reben gesehen, die üppige Traubenbüschel trugen. Wie überall in diesem Teil Westfrankreichs waren die Weinberge von riesigen Feldern mit goldgelben Sonnenblumen umgeben, die ihre fast wie Gesichter anmutenden runden Blütenkelche der untergehenden Sonne zuwandten. Moderne Sprühanlagen sorgten dafür, dass den Pflanzen trotz der Sommerdürre das lebenswichtige Wasser zugeführt wurde. Während der Fahrt trug der Wind von den Feldern ab und zu feine Sprühnebel in den Wagen, die Emily als prickelnd und herrlich erfrischend empfand.

Sie hatten das Dorf erreicht, und Christian parkte den Mercedes mitten auf dem von Platanen überschatteten Marktplatz. Christian kam um den Wagen herum und führte Emily auf ein Restaurant mit einer großen Terrasse im Freien zu, auf der unter einer leuchtenden grün-blau gestreiften Markise einladend gedeckte weiße Tische und Stühle standen. Verlockende Düfte, die Emily das Wasser im Mund zusammenlaufen ließen, strömten aus den offenen Fenstern und Türen des Hauses. Die Sonne stand bereits tief am Himmel und überzog alles mit einem warmen rötlich goldenen Schimmer.

Emily stieg an Christians Seite die Stufen zum Restaurant hinauf, und trotz ihrer anfänglichen Bedenken gegen den Abend mit ihrem Chef war sie von erwartungsvoller Erregung erfüllt. In seinem schwarzen kragenlosen Designerhemd und der gut geschnittenen Sporthose in der gleichen Farbe wirkte Christian noch größer und athletischer, und die Narbe auf der Wange verlieh ihm ein fast geheimnisvolles Aussehen. Als sie die luftige offene Terrasse betraten, folgten ihm aufmerksame weibliche Blicke.

Emily spielte nachdenklich mit dem Riemen ihrer kleinen hellbraunen Umhängetasche. Sie wusste selbst nicht, warum sie das seltsame Gefühl hatte, zu diesem Mann zu gehören, denn im Grunde genommen kannte sie ihn doch kaum.

Vielleicht empfand sie deshalb so, weil Christian sich während der Fahrt wieder einmal Mühe gegeben hatte, sich von seiner charmanten Seite zu zeigen. Sie hatten sich schließlich fast wie alte Freunde unterhalten: über die Weinberge und die Cognacherstellung, aber auch über Emilys Leben in England, ihre Familie, ihren Vater und Ben, die in Cheltenham eine gemeinsame Anwaltskanzlei betrieben, über ihre Mutter, die mit dem Hausfrauendasein und ehrenamtlichen Tätigkeiten für Kirche und Gemeinde zufrieden war, und über Emilys eigenen Ehrgeiz, es ihrem Bruder gleichzutun … unabhängig zu sein und einen Beruf auszuüben, der sie ausfüllte.

Emily hatte sogar festgestellt, dass sie mit Christian gemeinsame Interessen verbanden, wie Reiten und Tennis spielen, dass sie beide gern reisten und eine Vorliebe für scharfe, fremdländische Speisen besaßen. Als sie vor dem Restaurant angekommen waren, hatte Emily sich in Christians Gesellschaft fast so gelöst wie bei ihrem Bruder gefühlt, und das wollte etwas heißen.

„In Paris gibt es ein ausgezeichnetes mexikanisches Restaurant, wo man Tacos mit Chilischoten essen kann, die einen Stahlsafe sprengen würden.“ Christian rückte Emily einen Stuhl an einem Terrassentisch zurecht, auf den die letzten Strahlen der Abendsonne fielen. „Hier im Restaurant Joubert von St-Pierre-de-Mordin gibt es die besten Fische und Meeresfrüchte der Charente Martitime. Ich habe dich heute Abend hergeführt, weil ich alte Erinnerungen auffrischen möchte.“

Autor

Claire Baxter
Claire Baxter ist in Warwickshire England aufgewachsen und arbeitete, wie manch andere Autoren auch, in vielen anderen Bereichen, bevor sie genau wusste, was sie wollte: Liebesromane schreiben. Sie arbeitete unter anderem als persönliche Assistentin, Übersetzerin für Französisch, PR-Beraterin und im Kommunikationsmanagement.
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