Rote Lippen soll man küssen

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Nur mit einem Trick kann der attraktive Reese die kesse Sydney beim Pokern besiegen. Jetzt steht sie vor seinem Bett, um ihren Spieleinsatz einzulösen: Zwei Wochen will sie in seinem Gasthof kellnern! Eine unglaublich verführerische Frau im Haus! Das nervt den überzeugten Junggesellen. Zu seinem Entsetzen veredelt sie seine rustikale Kneipe mit Tischdecken und Blumen. Die soll sie sich lieber für ihr eigenes Luxus-Restaurant aufheben, das sie in Kürze eröffnen will. Trotz seines Ärgers geht ihm Sydney so sehr unter die Haut, dass er an nichts anderes denken kann, als ihre verlockenden Lippen zu küssen. Ihre Lippen - und noch viel mehr ...


  • Erscheinungstag 19.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747343
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Dichter Zigarrenqualm hing in dem kleinen Büro in „Squire’s Tavern and Inn“. Vier Brüder saßen um den Tisch herum und blickten gebannt auf die Karten in ihren Händen. Gabe Sinclair, der Älteste, runzelte missmutig die Stirn über sein schlechtes Blatt, während Callan, der Zweitälteste, sich überlegte, ob er noch eine Karte ziehen sollte. Lucian, neben ihm, grinste innerlich über seine zwei Pärchen, während Reese, Inhaber des Gasthofs und mit zweiunddreißig der Jüngste der Sinclairs, im Geiste schon einen Freudentanz aufführte angesichts der drei Damen auf seiner Hand.

Die Sinclairs waren allesamt ziemlich gut aussehend mit ihrem dichten, dunklen Haar und den markanten Gesichtszügen, und sie alle hatten schon mehrere Herzen in Bloomfield gebrochen.

Man war sich jedoch darüber einig, dass Reese den Rekord hielt. Seine grünen Augen, die außerdem noch lange dunkle Wimpern hatten, funkelten meist herausfordernd und hatten schon so mancher Frau den Atem geraubt. Und sein Lächeln konnte einen Eisberg zum Schmelzen bringen.

Hinzu kam, dass er gut einen Meter achtzig groß war, durchtrainiert und dass die Frauen von Bloomfield ihm seit drei Jahren in Folge die Ehre erwiesen, ihn für den „Knackigsten Po in Jeans“ auszuzeichnen. Stolz hatte Reese das Zertifikat direkt neben der Medaille von der Handelskammer in Bloomfield für „Das beste Restaurant des Jahres“ in seinem Büro aufgehängt.

So muss das Leben sein, dachte Reese und schob die Zigarre von einem Mundwinkel in den anderen. Drei Damen auf der Hand, eine gute Zigarre und ein feuriger Tequila. Er nahm eine Hand voll Chips von seinem Gewinn und warf sie in die Mitte des Tisches. Die Glücksgöttin war ihm heute hold.

„Fünf Dollar darauf, dass dieser Pott mir gehört.“ Reese grinste seine Brüder an. „Wieder einmal.“

Lucian blickte von seinen Karten auf. „Das werden wir ja sehen. Ich halte deine fünf Dollar und erhöhe um fünf.“

„Das ist mir zu hoch.“ Gabe warf seine Karten auf den Tisch und stand auf. „Ich muss los, Leute. Kevin und ich wollen morgen früh zum Angeln gehen.“

„Ich bin auch draußen. Abby erwartet mich.“ Callan erhob sich ebenfalls und hob vieldeutig die Augenbrauen. „Eine Dame soll man schließlich niemals warten lassen.“

Reese starrte seine Brüder an und schüttelte den Kopf. Die samstäglichen Pokerrunden wurden immer kürzer und seltener, seit Callan vor sechs Monaten Abby geheiratet und Gabe sich vor ein paar Wochen mit Melanie verlobt hatte. Als sie alle noch ungebunden gewesen waren, hatten diese Runden immer bis um drei oder vier Uhr morgens gedauert. Abby und Melanie waren großartig, und Reese wusste, er konnte sich keine besseren Schwägerinnen wünschen. Er freute sich auch für seine Brüder, aber jetzt hatten Lucian und er den Ruf der Sinclairs, unverwüstliche Junggesellen zu sein, allein zu wahren.

„Sieht so aus, als wären nur noch wir beide übrig, Brüderchen.“ Reese balancierte mit seinem Stuhl geschickt auf den zwei hinteren Stuhlbeinen, während Gabe und Callan ihre Jacken anzogen. „Ich halte deinen Einsatz …“, er warf noch einige Chips auf den Tisch, „… und ich …“

Die Tür zum Büro flog auf.

„Reese Sinclair, das muss sofort aufhören!“

Reese fuhr herum.

Sydney Taylor stand in der Tür.

Und wie!

Sydneys hellblondes Haar fiel in wilden Locken in ihr gerötetes Gesicht und über ihre Schultern. Sie trug einen rot karierten Morgenmantel und brachte einen Schwall kühler Novemberluft und den Duft von Herbstlaub mit sich. In den Armen hielt sie Boomer, seine Promenadenmischung. Boomer war bedeckt mit feuchter Erde. Genau wie Sydney, bis hinunter zu ihren Hausschuhen aus braunem Plüsch.

Sydney Taylor voller Matsch? Das müsste man eigentlich auf Film bannen, dachte Reese. Zu gern hätte er laut losgelacht, aber der Ausdruck eiskalter Wut auf Sydneys Gesicht hielt ihn davon ab. Sie würde ihn umbringen, wenn er auch nur den Ansatz eines Lächelns zeigte. Jeder wusste, dass Sydney Taylor einen Mann mit einem einzigen Blick töten konnte. Sie war zwar hübsch, doch sie war so verdammt herrisch, dass jeder sie als Drachen bezeichnete. Natürlich nicht in ihrer Gegenwart. Schließlich war sie die Enkelin des ehrenhaften Richters Randolph Howland, und das verdiente ein gewisses Maß an Respekt.

Reese sah zu seinen Brüdern. Ihre offenen Münder ließen darauf schließen, dass sie genauso geschockt waren wie er, die untadelige Sydney Taylor im Morgenmantel zu sehen, voller Matsch und mit einer Promenadenmischung auf dem Arm. Doch trotz ihres zerzausten Aussehens wirkte sie noch immer hoheitsvoll.

„Nun, wenn es dir so viel ausmacht, Sydney …“, Reese kippte seinen Stuhl wieder auf alle vier Beine, „… das Spiel ist sowieso fast zu Ende.“

Sydney funkelte ihn mit ihren blauen Augen an, zog eine hübsch geschwungene Braue in die Höhe und kniff die Lippen zusammen. „Du weißt ganz genau, wovon ich rede. Dein Hund war schon wieder in meinem Blumenbeet.“

Sydney war vor kurzem in das Haus direkt gegenüber von Squire’s Tavern gezogen, um in den unteren Räumen ein Restaurant zu eröffnen. Sie hatte ein blaues Vordach über den hohen Glastüren installieren lassen und einen gartenähnlichen Eingang kreiert, dessen Blumen Boomer magisch anzogen.

„Bist du sicher, dass es mein Hund war?“, fragte Reese unschuldig. „Ich könnte schwören, dass ich Madge Evans Pudel vorhin draußen gesehen habe.“

„Madge ist eine verantwortungsbewusste Hundehalterin“, erwiderte Sydney gereizt, „im Gegensatz zu dir. Das ist jetzt das vierte Mal in drei Wochen, dass ich Boomer in meinem Blumen erwischt habe. Er hat meine Stiefmütterchen so gut wie ruiniert, sämtliche Tulpenzwiebeln ausgegraben und meine Chrysanthemen zerkaut.“

Boomer bellte und bewies seine Schuld, als gelbe Blütenblätter aus seinem Maul fielen. Sydney stolzierte durchs Zimmer und ließ den Hund auf den Pokertisch fallen. Boomer drehte sich aufgeregt herum, Chips und Karten flogen durch die Gegend, und schüttelte einmal heftig sein langes, schwarzweißes Fell. Fluchend sprang Lucian auf und versuchte sich den Matsch von seinem weißen Hemd zu wischen.

Die Glücksgöttin schien auf einmal verschwunden und durch Sydney, den Drachen, ersetzt worden zu sein. Reese blickte bedrückt auf die drei Damen in seiner Hand, seufzte, warf die Karten auf den Tisch und wischte sich den Schmutz aus dem Gesicht. Boomer sprang hinunter, setzte sich vor seine Füße und schaute sein Herrchen erwartungsvoll an. Seine Schnauze war voller Erde.

Eigentlich hatte sie mit ihrem Vorwurf nicht ganz Unrechte, aber Sydneys hochnäsige Art forderte ihn geradezu heraus, ihr einen kleinen Dämpfer zu versetzen. Reese warf seinen Brüdern einen Blick zu, um ein wenig moralische Unterstützung zu bekommen, doch ihre amüsierten Gesichter ließen darauf schließen, dass er diese Sache allein bewältigen musste.

Reese stand auf und schaute auf Sydney hinab. Einen Moment lang überlegte er, ob er ihr sagen sollte, dass sie Schmutz auf der Stirn habe, entschied sich aber dagegen. „Ich kaufe dir neue Blumen und Zwiebeln.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte seinen Blick. „Was nützt das schon, wenn dein Hund sie sowieso wieder ausbuddelt? Muss ich dich daran erinnern, dass ich in vier Wochen mein Restaurant ‚Le Petit Bistro‘ eröffnen will?“

Wohl kaum. Es gab in Bloomfield herzlich wenig, was nicht jeder von jedem wusste, häufig entsprach es sogar der Wahrheit. Seit Sydney vor drei Monaten von der Kochschule in Paris zurückgekehrt war, sprach die ganze Stadt von kaum etwas anderem. Doch nicht nur über das Restaurant, sondern auch über den Grund, warum sie vor gut einem Jahr die Stadt verlassen hatte: Sydney war vor dem Altar von Bobby Williams, dem Schulleiter der Highschool von Bloomfield, sitzen gelassen worden. Bobby war eine Stelle an der Universität von New York angeboten worden, vergaß aber, Sydney von diesem Job zu erzählen und ihr mitzuteilen, dass er nicht mehr beabsichtige zu heiraten. Jedenfalls nicht sie. Dafür waren er und Lorna Green, eine Kellnerin in Reeses Gasthof, zusammen nach New York durchgebrannt.

Niemand hatte Bobby oder Lorna seitdem gesehen, aber es ging das Gerücht, dass Lorna ziemlich rund um die Taille gewesen sei, als sie und Bobby verschwanden.

Reese vermisste Bobby nicht; er hatte den egoistischen Kerl nie leiden können. Aber Lorna, wenn auch nicht gerade die Schlaueste, war eine gute Angestellte gewesen, was heutzutage durchaus eine Seltenheit war. Seit eine seiner Kellnerinnen Mutterschaftsurlaub hatte und eine andere im Urlaub war, hatte er ein neues Mädchen, das zwar nett war, sich jedoch leider nie erinnern konnte, wann sie zur Arbeit zu erscheinen hatte. Also versank das Lokal seit zwei Wochen im Chaos.

Und jetzt fegte auch noch der Hurrikan Sydney herein.

Ich werde damit schon fertig, redete Reese sich ein und setzte sein freundlichstes Lächeln auf. „Es tut mir wirklich leid, Sydney. Es wird nicht wieder vorkommen.“

„Spar dir deinen Charme.“ Sydney verdrehte die Augen. „Mir ist schon klar, dass er bei anderen Frauen wirkt, aber an mich ist er verschwendet.“

Bei jeder anderen Frau hätte Reese diese Herausforderung angenommen. Doch dies war Sydney, und Sydney war so steif wie der Talar einer Nonne. Sich gegen sie aufzulehnen wäre absolut sinnlos, außerdem war es ihm zu riskant.

Andererseits sah Sydney im Augenblick, mit ihrem zerzausten Haar, in ihrem Morgenmantel und den Hausschuhen, gar nicht mehr so steif aus. Sie sah eher weich aus. Weich und niedlich.

Erschrocken über sich selbst schaute Reese auf und sah ihre steife Haltung und die zusammengepressten Lippen. Himmel, was hatte er da eben gedacht? Sydney war zwar eine attraktive Frau, aber weich und niedlich? Und diese Sachen, die sie da trug, waren auch nicht gerade erotisch.

„Reese Sinclair, hörst du mir überhaupt zu?“ Sydney funkelte ihn wütend an. „Ich werde nicht eher gehen, bis wir das ein für alle Mal geklärt haben.“

„Du könntest ihn umbringen“, warf Callan ein.

Boomer sprang auf und bellte laut.

Sydney wirbelte empört herum. „Ich würde niemals einem Tier etwas antun.“

„Doch nicht den Hund.“ Callan war ein wenig beleidigt, dass Sydney so etwas überhaupt von ihm denken konnte. „Ich meinte Reese.“

Der Blick, mit dem Sydney Callan nun bedachte, hätte nicht eisiger sein können. Reese schaute zu seinen Brüdern, die sich auf seine Kosten köstlich amüsierten. Er konnte es ihnen noch nicht einmal verübeln. Wäre einer von ihnen an seiner Stelle, würde er genauso reagieren. Aber wenn er sich schon mit Sydney anlegen musste, dann wenigstens ohne Publikum. „Wolltet ihr nicht gerade gehen?“

„Ich nicht.“ Lucian schaute auf die Karten, die er noch immer in der Hand hielt.

„So eilig habe ich es auch wieder nicht.“ Gabe begann, seine Jacke wieder auszuziehen.

Callan meinte: „Wir könnten noch ein paar Runden mitmachen.“

„Das Spiel ist vorbei.“ Und die Show auch, dachte Reese. Er riss Lucian die Karten aus der Hand, half Gabe, die Jacke wieder anzuziehen, und schob seine drei Brüder unnachgiebig aus dem Zimmer.

„Okay.“ Reese wandte sich an Sydney. „Wo waren wir stehen geblieben?“

„Du wolltest mir gerade sagen, was du zu tun gedenkst, damit dein Hund sich von meinen Blumen fern hält.“

„Oh, richtig. Na ja, da ist diese Sache.“ Reese schaute zu seinem Hund und schlenderte dann zu Sydney. Der Duft von Lavendel umgab sie und noch etwas anderes, was er nicht identifizieren konnte. Er zögerte fortzufahren, nicht nur, weil er den Duft genießen wollte, sondern auch, weil er überrascht war. Er hätte nie gedachte, dass Sydney so angenehm duften könnte.

Mit gerunzelter Stirn fragte sie: „Was für eine Sache?“

„Was? Oh ja, siehst du, Boomer mag nicht eingesperrt sein. Seit ich ihn auf dem Highway gefunden und mit zu mir genommen habe, deprimiert es ihn, wenn ich versuche, ihn drinnen zu halten.“

Boomer, der zu verstehen schien, dass von ihm geredet wurde, hob den Kopf und klopfte mit dem Schwanz auf den Boden.

„Es deprimiert ihn?“ Sydney wirkte da skeptisch. „Vielleicht braucht er mehr Aufmerksamkeit, als du sie ihm gibst.“

„Von wegen. Boomer bekommt mehr Aufmerksamkeit als ein Baby. Er kann es nur nicht leiden, eingesperrt zu sein. Er braucht Auslauf.“

„Gabe hat gerade das Witherspoon-Haus gekauft“, erklärte Sydney. „Dazu gehören fünf Morgen Land. Dort hätte er genügend Auslauf. Ich bin sicher, dass Boomer dort sehr glücklich wäre. Da kann er so viel herumgraben, wie er möchte.“

„Das kann ich ihm nicht antun. Er wurde als Welpe schon einmal ausgesetzt und würde es nicht verstehen, wenn ich ihn einfach so weggebe. Er würde denken, ich verließe ihn.“

Sydney erstarrte und trat dann einen Schritt von ihm weg. Ihr Blick wurde noch kühler. „So wie Bobby mich verlassen hat? Mich in meinem Hochzeitskleid allein vor dem Altar einer voll besetzten Kirche stehen ließ? Wolltest du das sagen?“

Verdammt! Das hatte er nicht gemeint. „Nein, Sydney, wirklich, ich …“

„Vergiss es, Sinclair! Du glaubst, du kannst mich mit deinem Herzensbrecherlächeln weich stimmen, damit ich Mitleid mit deinem Hund bekomme und einfach verschwinde. Aber da hast du dich getäuscht.“ Sie schüttelte den Kopf. „Für dich ist das Leben doch ein einziger Jux, was? Diese Kneipe hier eingeschlossen.“

„Hey, das ist ein Gasthof, keine Kneipe. Das ist ein großer …“

„Vielleicht hältst du mich für kleinlich, oder meinst, dass ein paar zerkaute Blumen unbedeutend seien, aber dein Mangel an Respekt für mein Eigentum ist unverantwortlich und gefühllos.“

„Hey, ich habe genauso viel Gefühl wie jeder andere auch“, protestierte er.

„So viel wie Bobby Williams?“, meinte Sydney verächtlich.

Jetzt reichte es. Er wollte sich nicht mit Bobby Williams vergleichen lassen, mit dem er absolut keine Ähnlichkeit hatte. Außerdem hatte er genug von Sydneys Beleidigungen. Er warf Boomer einen bösen Blick zu. Das ist nun der Dank dafür, dass ich dir das Fell gerettet habe, dachte er. Dann blickte er zum Tisch, wo die Karten und Chips noch immer wild durcheinander lagen.

Unverantwortlich war er also? Sein Leben war ein einziger Jux?

Na gut.

„Ich sag dir was, Sydney“, begann er langsam. „Wie wäre es, wenn wir das Ganze mit einem netten kleinen Kartenspiel bereinigen?“

„Was?“, fragte sie entgeistert.

„Ein Kartenspiel. Rommé, Siebzehn und Vier oder vielleicht ein paar Runden Bauernskat?“

Jetzt hatte er sie. Sie straffte sich, und wenn Blicke töten könnten …

„Wovon redest du denn da?“

„Ein Glücksspiel, um das hier ein für alle Mal zu klären. Wenn du gewinnst, werde ich Boomer einsperren, und wenn ich gewinne …“ Was brauchte er? Etwas, was Sydney nicht nur den Wind aus den Segeln nahm, sondern sie auch an ihren Platz verwies.

Er lachte innerlich, als ihm plötzlich eine Idee kam. Nein, das würde sie nie tun. Er wollte nur ihren Gesichtsausdruck sehen, wollte erleben, dass sie sich vor der Herausforderung drückte. „Wenn ich gewinne“, fuhr er fort, „musst du eine Woche lang bei mir im Gasthof arbeiten. Mir fehlen im Moment zwei Kellnerinnen. Du bekommst natürlich Lohn plus Trinkgeld.“

Sydney war einen Moment lang sprachlos. „Du willst, dass wir das hier mit einem Kartenspiel erledigen? Das ist absurd!“

Er grinste sie an. „So bin ich nun mal, absurd.“

„Du meinst es wirklich ernst?“

„Ja.“ Jetzt wird sie klein beigeben, dachte Reese zufrieden. Solch einen Unsinn macht sie auf keinen Fall mit. Und da er nun schon so weit gegangen war, schadete es nicht, sie noch ein wenig mehr zu ärgern. „Unter meiner direkten Aufsicht, natürlich. Du müsstest tun, was ich sage.“

„Was tun?“

„Guck mich nicht so hoffnungsvoll an, Sydney“, neckte er sie, denn sie war rot geworden. „Ich meine das rein geschäftsmäßig, obwohl wir natürlich über alles reden können, wenn du möchtest.“

„Versteh ich dich richtig?“ Sie blies sich eine Locke von der Wange. „Wenn ich gewinne, sorgst du dafür, dass Boomer meine Blumen in Ruhe lässt. Wenn ich verliere, muss ich hier eine Woche lang für dich arbeiten.“

„Nur drei Stunden pro Tag. Jemand, der so ordentlich und durchorganisiert ist wie du, kann doch bestimmt drei Stunden erübrigen.“

Sydney lachte trocken. „Selbst von dir ist dieser Vorschlag zu absurd.“

Er wusste ja, dass sie nicht Anbeißen würde, doch es hatte trotzdem Spaß gemacht. Er konnte es sich jedoch nicht verkneifen, noch ein bisschen Öl ins Feuer zu gießen. „Wenn du Angst hast zu verlieren …“

„Angst? Ich?“ Sie machte einen Schritt auf ihn zu. „Ich habe keine Angst.“

„Okay.“ Er zuckte mit den Schultern und verdrehte die Augen. „Wie du meinst, Sydney.“

„Na gut, Sinclair.“ Sie hob das Kinn. „Wie wäre es, wenn wir es noch ein wenig interessanter machen? Wenn ich verliere, ist Boomer nicht nur frei wie ein Vogel, ich kellnere sogar zwei Wochen lang. Wenn ich jedoch gewinne, bleibt Boomer nicht nur hinter Schloss und Riegel, sondern du wirst zudem noch für zwei Wochen in meinem Restaurant aushelfen, sobald es eröffnet ist.“

Er lachte. „Das soll ein Witz sein, oder?“

„Hast du Angst zu verlieren?“, fragte sie mit honigsüßer Stimme.

„Du meinst es tatsächlich ernst?“ Er starrte sie ungläubig an. „Du willst das wirklich durchziehen?“

„Nicht nur das, ich werde auch dazu stehen, egal, ob ich gewinne oder verliere. Du auch, Sinclair?“

Ein Muskel zuckte in seiner Wange. „Ich bin dabei.“

„Gut.“

„Gut.“

Sie marschierten zum Tisch und setzten sich einander gegenüber. Er sammelte die verstreuten Karten ein und begann zu mischen. Es war schon lange her, dass er Rommé oder Siebzehn und vier gespielt hatte. Hoffentlich konnte er sich noch an die Regeln erinnern.

„Also, Sydney, was soll es sein?“

Sie saß aufrecht auf ihrem Stuhl, die Hände brav vor sich auf dem Tisch gefaltet. „Wie wäre es mit einem netten kleinen Pokerspielchen?“

Ihm fielen fast die Karten aus der Hand. „Du willst Poker spielen?“

„Was dachtest du denn? Mau Mau?“ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Mein Vater hat mir Zählen mit einem Kartenspiel beigebracht, als ich zwei war.“ Sie lächelte und bedachte ihn mit einem herablassenden Blick. „Und jetzt gib, Sinclair. Ich werde dir das Fell über die Ohren ziehen.“

2. KAPITEL

Ein Stunde und zehn Spiele später war, sehr zu Sydneys Freude und Reeses Ärger, ihr Stapel Chips doppelt so groß wie seiner. Ein wunderbarer Anblick, dachte Sydney. Jeder der ordentlich aufgebauten Türme aus roten, weißen und blauen Chips markierte ihren Sieg.

Und Reeses Niederlage.

Sie hatte zwar noch nicht endgültig gewonnen, aber das war nur noch eine Frage der Zeit. So schnell wie er verlor, würde sie ihn im nächsten oder übernächsten Spiel von seinen Qualen erlöst haben.

Sie wusste allerdings immer noch nicht, warum sie sich zu diesem Pokerspiel überhaupt hatte verleiten lassen. Mit sechsundzwanzig hatte sie sich eigentlich für eine erwachsene Frau gehalten, die vernünftige Entscheidungen fällte und nicht in kindischer Weise jemanden übertrumpfen wollte.

Doch Reese hatte sie so selbstgefällig grinsend angeschaut, dass sie die Herausforderung einfach annehmen musste, sehr zu seiner wie auch ihrer Überraschung.

Jetzt sah sie hinüber zu Reese, der das Blatt studierte, das sie ihm ausgeteilt hatte. Der Blick seiner unglaublichen Augen waren hoch konzentriert, das dichte, dunkle Haar fiel ihm in die gerunzelte Stirn. Geistesabwesend strich er mit dem Daumen über sein Kinn.

Eigentlich war es äußerst dreist, einen Mann so anzustarren. In diesem Fall betrachtete sie es jedoch als Notwendigkeit. Schließlich handelte es sich hier um Poker. Die wichtigste Regel, die ihr Vater ihr beigebracht hatte, lautete, den Gegner genau zu studieren. Jede Bewegung, jedes Blinzeln, jedes Zucken musste man registrieren und dann analysieren. Wenn ihr Vater ihr auch sonst nichts beigebracht hatte, bevor er die Familie verließ, als sie zwölf gewesen war, war es doch zumindest das. Wenn sie ihn jemals wieder sah, konnte sie ihm wenigstens dafür danken. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihren Vater wiedersehen würde, war ziemlich gering. Er hatte ein paar Mal angerufen, ihr die eine oder andere Geburtstagskarte geschickt, sie aber niemals besucht.

Da Sydney wusste, wie schwierig es gewesen war, mit ihrer Mutter zusammenzuleben, konnte sie verstehen, dass er nie zu Besuch gekommen war. Sie konnte jedoch nicht verstehen und es ihm auch nicht vergeben, dass er sie mit ihrer Mutter allein gelassen hatte, die nur sie, ihre Tochter, gehabt hatte, um ihre Verbitterung loszuwerden.

Doch das gehörte der Vergangenheit an. In wenigen Wochen würde sie das Restaurant haben, von dem sie schon so lange träumte. Sie würde die Vergangenheit hinter sich lassen, was auch die Demütigung von Bobby und Lorna beinhaltete.

Sie, Sydney Taylor, würde eine neue Frau werden. Sie würde das sein, für das alle Welt sie hielt: selbstbewusst, zuversichtlich und gelassen. Eine Frau, der es egal war, was die anderen über sie dachten oder sagten.

All die Sachen von ihr dachten oder sagten, die sie nicht war, aber so verzweifelt sein wollte.

Als sie merkte, dass sie sich nicht auf das Spiel konzentrierte, richtete Sydney ihre Aufmerksamkeit wieder auf Reese. Sie hatte inzwischen herausgefunden, dass er mit dem Finger das Grübchen in seinem Kinn berührte, wenn er mindestens ein Paar hatte, dass er sich den Hals direkt unter dem linken Ohr kratzte, wenn er drei von einer Farbe oder noch etwas Besseres hatte. Und wenn er sein Kinn mit dem Daumen rieb, so wie jetzt, dann bluffte er mit ziemlicher Sicherheit.

Sie beobachtete ihn natürlich nur wegen des Spiels so genau.

Die Narbe unter seinem Mund hatte sie noch nie bemerkt und auch nicht den kleinen Höcker auf seiner sonst so perfekten Nase. Er trug sein Haar zurückgekämmt, es berührte knapp den Kragen seines blauen Flanellhemdes. Die Ärmel waren bis zu den Ellenbogen hochgerollt, die Unterarme muskulös und mit dunklen Haaren bedeckt, die auch aus dem Ausschnitt seines Hemdes hervorlugten.

Keine Frage, er war ein erstaunlich ansehnliches Exemplar von Mann. Aber er war natürlich nicht ihr Typ. Nach der Erfahrung mit Bobby hatte sie die Nase voll von Playboys, die über mehr Muskeln als Gehirn verfügten, sich selbst aber für ungemein scharsinnig hielten. Auch wenn sie Reeses Männlichkeit durchaus zu würdigen wusste, hatte sie nicht die Absicht, ihr – wie die meisten Frauen hier – zum Opfer zu fallen.

Außerdem war sie auch nicht sein Typ. Reese stand mehr auf Frauen, die über jeden Witz kicherten und ständig mit den Wimpern klimperten. Sie hatte Heather Wilkins letzten Monat beim Kürbisfestival an seinem Arm gesehen, und letzte Woche war es Laurie Bomgarden gewesen. Sydney bezweifelte, dass Heathers und Lauries Intelligenzquotient zusammengenommen die momentane Außentemperatur überstieg. Und in Anbetracht der Tatsache, dass es erst Anfang November war, war sie noch großzügig.

Doch es ging sie nichts an, mit wem Reese Sinclair sich seine Zeit vertrieb. Im Moment ging es ihr nur darum, diesem selbstgefälligen Kerl das Fell über die Ohren zu ziehen.

Sie warf einen Blick auf die Auszeichnung für den „Knackigsten Po in Jeans“, die an der Wand hing. Der Kerl war einfach zu eingebildet!

„Hast du für mich gestimmt, Sydney?“

„Was?“ Als sie bemerkte, dass er ihrem Blick gefolgt war, richtete sie ihn eilig woanders hin.

Grinsend und mit einem aufreizenden Funkeln in den Augen nickte er Richtung Wand. „Hast du für mich gestimmt?“

„Natürlich nicht.“

Es war eine dreiste Lüge. Sie hatte es für ihre Bürgerpflicht gehalten zu wählen. In diesem Jahr war es ein Kopf an Kopf Rennen zwischen Lucian, Reese und Sheriff Matt Stoker gewesen. Die Entscheidung war ihr nicht leicht gefallen, aber am Ende hatte sie Reese ihre Stimme gegeben.

Sie würde jedoch eher sterben, als das zuzugeben.

„Für wen hast du denn gestimmt?“

Sie schob die Karten in ihrer Hand gerade. „Wie kommst du darauf, dass ich überhaupt gewählt habe?“

„Sydney Taylor lässt sich doch nicht die Möglichkeit entgehen, ihre Meinung zu äußern!“ Er lehnte sich zurück und betrachtete sie neugierig. „Warum hast du nicht für mich gestimmt? Findest du nicht, dass ich es verdiene?“

Die persönliche Richtung, die das Gespräch nahm, war ihr ziemlich unangenehm. „Ich habe keine Ahnung, ob du es verdienst oder nicht. Ich habe nie darauf geachtet.“

„Du hast nie darauf geachtet?“ Er klang leicht verletzt. „Du kommst jeden Mittwochabend zum Buchclub in den Gasthof. Wie kannst du es da nicht bemerkt haben?“

„Reese Sinclair!“ Sie knallte ihre Karten auf den Tisch. „Auch wenn du noch so überzeugt von dir bist, aber ich komme nicht zum Buchclub, um mir dein Hinterteil anzusehen!“

Er schaute sie verwirrt an. „Entschuldige?“

„Ich sagte, ich komme nicht …“

„Ich habe gehört, was du gesagt hast, ich verstehe nur nicht … Oh.“ Er blickte zur Wand und dann wieder zu ihr. „Ich habe von der Restaurant-Auszeichnung gesprochen. Du bist doch Mitglied der Handelkammer, oder nicht? Und du hast doch über das beste Restaurant in Bloomfield County abgestimmt, oder nicht?“

Die Restaurant-Auszeichnung. Sie errötete. Er redete von der Restaurant-Auszeichnung.

Er schnalzte mit der Zunge und schüttelte den Kopf. „Sydney Taylor, schäm dich. Wo bist du mit deinen Gedanken?“

Ihr Gesicht glühte mittlerweile. „Ich … na ja, ich …“

„Ich habe noch nie erlebt, dass du stotterst und rot wirst, Sydney.“ Reese grinste. „Du hast tatsächlich über mein …“

Autor

Barbara McCauley
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