Royales Liebesspiel - Mit dem Thronfolger im Bett

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SINNLICHE STUNDEN IN DEINEN ARMEN von YVONNE LINDSAY
Sie ist die Frau seines Lebens – und Prinz Thierry verbringt mit ihr Stunden voller Leidenschaft. Doch er weiß, dass es mit seiner süßen Angel keine gemeinsame Zukunft geben kann. Während er alle Höhen der Lust erlebt, wartet seine Braut auf ihn: eine Frau, die er erst einmal gesehen hat. Die arrangierte Ehe dient nur dem Zweck, den Frieden in seinem Land zu sichern. Schweren Herzens muss er Angel verlassen – ohne zu ahnen, dass sie nicht vorhat, einfach so aus seinem Leben zu verschwinden …

WENN EIN PRINZ SO FEURIG KÜSST ... von YVONNE LINDSAY
Die Hochzeitsglocken müssen läuten, damit das Königreich weiter besteht. Rocco von Erminien steht vor einer schweren Entscheidung: Seine Braut soll von edler Herkunft sein und sich einwandfrei benehmen. Leider keine Eigenschaften, die Ottavia Romolo auszeichnen. Die Küsse dieser Kurtisane versetzen ihn zwar in einen Rausch der Ekstase – aber für den Thron von Erminien ist sie ungeeignet. Denkt Rocco jedenfalls, bis sie beide plötzlich in Lebensgefahr geraten – und er merkt, dass er Ottavia auf gar keinen Fall verlieren will …

ENTFÜHRT VON EINEM PRINZEN? von SUSAN STEPHENS
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BEI DIR VERGESSE ICH MICH GANZ von LUCY KING
Gebannt sieht die Architektin Laura durch ihr Fernglas zum Nachbargrundstück. Ein breitschultriger Fremder hackt Holz – mit nacktem Oberkörper! Ihr Herz schlägt schneller … Dabei sollte sie das imposante Herrenhaus betrachten, nicht das sexy Muskelspiel seines neuen Besitzers! Doch als Matt Saxon sie zur Besichtigung einlädt, erkennt sie sich nicht wieder. Ist das sie, die so heiß flirtet? Die wie in Trance seine sinnlichen Küsse erwidert? Schockiert über ihr schamloses Verhalten flieht sie aus Matts Umarmung. Aber schneller als gedacht trifft sie ihn wieder …


  • Erscheinungstag 15.12.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520935
  • Seitenanzahl 640
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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BACCARA erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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Redaktionsleitung: Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)
Produktion: Jennifer Galka
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2016 by Dolce Vita Trust
Originaltitel: „Arranged Marriage, Bedroom Secrets“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1974 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Selma Nowack

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783733723705

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

„Bist das nicht du?“

Mila streifte sich eine widerspenstige Locke ihres langen schwarzen Haares aus dem Gesicht und löste irritiert den Blick von den Notizen, die sie gerade zu Papier brachte.

„Wo?“, fragte sie ihre Freundin.

„Hier, im Fernsehen!“

Mila sah zu dem Flachbildschirm hinüber, aus dem die aktuellen Entertainment-News flimmerten, denen ihre beste Freundin so gebannt zusah. Milas Magen zog sich zusammen. Dort prangten, für alle Welt sichtbar, die scheußlichen offiziellen Fotos, die bei ihrer Verlobung mit Prinz Thierry von Silvanien vor sieben Jahren aufgenommen worden waren. Übergewichtig, mit Zahnspange und einem Haarschnitt, der an einem Pariser Model so entzückend, aber an einer unbeholfenen achtzehnjährigen Prinzessin weit weniger vorteilhaft gewirkt hatte. Sie zuckte zusammen.

„Ich weiß, das sieht nicht ganz genau nach dir aus, aber du bist es doch, oder? Prinzessin Mila Angelina von Erminien? Ist das wirklich dein Name?“, fragte Sally mit Nachdruck und warf Mila einen durchdringenden Blick zu, während sie mit dem Finger auf den Bildschirm zeigte.

Es zu bestreiten hatte keinen Zweck. Mila unterdrückte ein Schaudern und senkte den Kopf. Sie blickte wieder hinab auf die Notizen für ihre Doktorarbeit, die sie wahrscheinlich nicht würde abschließen dürfen, aber ihre Konzentration war dahin. Wie würde ihre Freundin auf diese Neuigkeit reagieren?

„Du heiratest einen Prinzen?“

Mila konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob Sally so aufgebracht war, weil Mila mit einem Prinzen verlobt war, oder weil sie ihre beste Freundin nie in das Geheimnis ihrer wahren Herkunft eingeweiht hatte. Seufzend legte sie den Stift beiseite. Als eher wenig berühmte Prinzessin eines winzigen europäischen Königreichs war ihr Leben seit ihrer Ankunft in den USA vor sieben Jahren unauffällig verlaufen, doch jetzt war es an der Zeit, sich der Realität zu stellen.

Sie kannte Sally seit ihrem ersten Jahr am Institut für Technologie Massachusetts, und obwohl ihre Freundin manchmal etwas überrascht gewesen war, dass Mila – oder Angel, wie sie hier in Amerika hieß – eine Anstandsdame hatte und draußen auf Schritt und Tritt von einer Gruppe Leibwächter begleitet wurde, hatte Sally diese Umstände ohne zu fragen akzeptiert. War Sally doch ihrerseits Erbin eines IT-Milliardärs, und ihr Leben unterlag ähnlichen Zwängen. Die beiden Mädchen hatten sich sofort zueinander hingezogen gefühlt.

Nun war es an der Zeit, ihrer besten Freundin die Wahrheit zu sagen. Wieder seufzte Mila. „Ja, ich bin Mila Angelina von Erminien, und ja, ich bin mit einem Prinzen verlobt.“

„Und du bist eine Prinzessin?“

„Ich bin eine Prinzessin.“ Mila hielt den Atem an, während sie auf die Reaktion ihrer Freundin wartete. Würde sie verärgert sein? War ihre Freundschaft in Gefahr?

„Es kommt mir zwar so vor, als würde ich dich kaum kennen, aber mal im Ernst, das ist so cool“, schwärmte Sally.

Vor Erleichterung lachend rollte Mila mit den Augen. Ausgerechnet diese Reaktion hatte sie von Sally mit ihrer unverblümten Art nicht erwartet.

„Ich hatte schon immer das Gefühl, dass es Dinge gibt, von denen du mir nichts erzählst.“ Sally ließ sich neben Mila auf die Couch fallen. „Und, wie ist er so?“

„Wer?“

Nun war es Sally, die mit den Augen rollte. „Der Prinz natürlich. Komm schon, Angel, du kannst es mir ruhig erzählen. Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Obwohl ich schon ein bisschen beleidigt bin, dass du mir nichts von ihm erzählt hast oder davon, wer du wirklich bist, in den letzten … warte mal, sieben Jahren!“

Mit einem Lächeln schwächte Sally ihre Vorwürfe ab, trotzdem spürte Mila, dass ihre Freundin ein wenig gekränkt war. Wie sollte Mila ihr auch glaubhaft erklären, dass sie den Mann, mit dem sie verlobt war, bisher kaum kannte? Ein formelles Treffen, bei dem sie so schüchtern gewesen war, dass sie kaum in der Lage gewesen war, dem Mann in die Augen zu sehen, gefolgt von sporadischen und ebenso formellen Briefen über die Diplomatenpost hatten herzlich wenig zur Vertiefung ihrer Beziehung beigetragen.

„Ich … ich weiß nicht genau, wie er ist.“ Mila nahm einen tiefen Atemzug. „Aber ich habe ihn gegoogelt.“

Ihre Freundin brach in lautes Gelächter aus. „Du hast ja keine Ahnung, wie verrückt das jetzt klingt. Du lebst in einer echten Märchenwelt, weiß du? Europäische Prinzessin, im Kindesalter – gut, zumindest im Alter von achtzehn Jahren – ist einem zurückgezogen lebenden Prinzen aus dem Nachbarreich versprochen.“ Sally griff sich in einer dramatischen Geste ans Herz. „Das ist so romantisch! Und alles, was du dazu zu sagen hast, ist, dass du ihn gegoogelt hast?“

„Wer klingt jetzt verrückt, du oder ich? Ich heirate ihn aus Verpflichtung meiner Familie und meinem Land gegenüber. Erminien und Silvanien stehen seit fünfzehn Jahren miteinander auf Kriegsfuß. Durch meine Heirat mit Prinz Thierry soll dieser Zustand beendet und unsere beiden Nationen vereint werden, wenn man überhaupt daran glaubt, dass es so einfach sein kann.“

„Aber willst du denn keine Liebe?“

„Natürlich will ich Liebe.“

Liebe. Das war alles, was Mila je gewollt hatte. Doch Liebe war etwas, das sie nicht erwarten durfte. Seit ihrer Geburt war sie darauf vorbereitet worden, nicht mehr zu sein als ein politischer Joker, der zum größten Vorteil ihres Landes eingesetzt werden konnte. Schnell hatte sie bemerkt, dass Liebe hinter Pflichtgefühl zurückstecken musste. Was ihre Verlobung anbetraf, war Mila nie um ihre Einwilligung gebeten worden. Die Ehe war ihr als Verpflichtung auferlegt worden, und Mila hatte es akzeptiert. Was wäre ihr auch anderes übrig geblieben?

Das Treffen mit dem Prinzen damals hatte sie in schrecklicher Erinnerung. Sechs Jahre älter als sie, gebildet, charismatisch und vor Selbstbewusstsein strotzend, war er alles, was sie nicht gewesen war. Auch der hastig verborgene Ausdruck der Bestürzung auf seinem Gesicht, als sie einander vorgestellt wurden, war Mila nicht entgangen. Zugegeben, besonders hübsch hatte sie zu der Zeit nicht ausgesehen, aber es hatte sie trotzdem geschmerzt, dass sie offenbar nicht die Braut war, die er sich erhofft hatte. Genau wie sie war auch er nur eine Schachfigur in dem Plan, den ihre jeweiligen Regierungen ausgeheckt hatten, um die Feindschaft zu begraben, die zwischen beiden Nationen schwelte.

Mila rieb sich mit dem Finger zwischen den Augenbrauen, um das quälende Pochen, das sich dort eingestellt hatte, zu lindern.

„Natürlich will ich Liebe“, wiederholte sie, diesmal sanfter.

Sie fühlte Sallys Hand auf ihrer Schulter. „Es tut mir leid. Ich weiß, ich sollte keine Späße darüber machen.“

„Ist schon okay.“ Mila fasste die Hand ihrer Freundin und drückte sie.

„Und wie kam es, dass du hierher zum Studieren gekommen bist? Wenn Frieden das Ziel war, hättet ihr beiden dann nicht so bald wie möglich heiraten sollen?“

Wieder sah Mila vor ihrem geistigen Auge den Blick des Prinzen, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Ein Blick, der ihr klargemacht hatte, dass sie hart an sich würde arbeiten müssen, wenn sie wollte, dass er jemals etwas anderes in ihr sah als die Erfüllung seiner Pflichten. Sie musste ihre Ausbildung beenden, um ihm eines Tages eine ebenbürtige und angemessene Partnerin zu sein. Glücklicherweise hatte ihr Bruder, König Rocco, den Blick des Prinzen ebenfalls bemerkt, und als sie ihm später unter Tränen von ihrem Plan berichtet hatte, war er einverstanden gewesen.

„Wir sind übereingekommen, an meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag zu heiraten.“

„Das ist ja schon am Ende des nächsten Monats.“

„Ich weiß.“

„Aber du hast doch deine Doktorarbeit noch nicht fertig.“

Mila dachte an all die Opfer, die sie in ihrem Leben bisher erbracht hatte. Ihre Doktorarbeit nicht zu Ende zu bringen, würde eines davon sein. Obwohl ihr Bruder darauf bestanden hatte, dass sie wenigstens einige Seminare in Politikwissenschaft besuchte, lag der Schwerpunkt ihres Studiums bei den Umweltwissenschaften, einem Thema, das dem Prinzen sehr am Herzen lag, wie Mila in Erfahrung gebracht hatte. Nach einigen Jahren des Studiums schlug jetzt auch ihr Herz dafür. Ihm ohne ihren Doktortitel in der Hand gegenüberzutreten, war ein schmerzvoller Gedanke, aber das würde sie wegstecken müssen. Gerade wollte Mila eine Antwort formulieren, als ihre Freundin plötzlich abgelenkt wurde.

„Oh, mein Gott, er sieht einfach umwerfend aus!“

Mila prustete vor Lachen. „Ich weiß, wie er aussieht. Ich habe ihn gegoogelt, weiß du noch?“

„Nein, schau doch mal, er ist gerade im Fernsehen. Er ist in New York auf diesem Umweltgipfel, von dem Professor Winslow uns erzählt hat.“

Milas Kopf schnellte in die Höhe. „Prinz Thierry ist hier? In den USA?“

Sie richtete ihren Blick auf den Bildschirm und stellte fest, dass es stimmte. Da war er tatsächlich, älter, als sie ihn in Erinnerung hatte und – wenn das überhaupt möglich war – noch attraktiver als damals. Ihr Herz begann, wie wild zu klopfen, und eine Welle von Gefühlen schnürte ihr die Kehle zu. Angst, Anziehung, Sehnsucht.

„Du wusstest nicht, dass er kommt?“

Mila riss ihren Blick vom Bildschirm los und bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall. „Nein, wusste ich nicht. Aber das ist in Ordnung.“

„In Ordnung? Du denkst, es ist in Ordnung?“, fragte Sally mit schriller Stimme. „Der Mann reist Tausende von Kilometern in das Land, in dem du seit Jahren lebst, und schafft es nicht, deine Telefonnummer zu wählen?“

„Er ist offenbar nur für eine kurze Weile in New York, und ich bin sicher, dass seine Agenda voll ist. Außerdem liegt Boston nicht gerade um die Ecke für ihn.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist auch nicht so wichtig. In etwas mehr als vier Wochen werden wir ohnehin heiraten.“

Obwohl sie nach außen hin die Gleichgültige mimte, war es tief in ihrem Inneren doch ein Schock gewesen, ihn auf einmal im Fernsehen zu sehen. So schwer wäre es wirklich nicht gewesen, sie über seinen Besuch in Amerika zu informieren.

„Hmm. Ich fasse es nicht, dass ihr euch nicht seht, während er hier ist.“ Sally war offensichtlich noch nicht bereit, das Thema fallen zu lassen. „Willst du ihn denn nicht sehen?“

„Er hat sicher keine Zeit.“ Mila wollte keine Diskussion über Prinz Thierry beginnen. Ihre Gefühle zu dem Thema waren zu verwirrend, sogar für sie selbst. Sie hatte sich viele Male selbst einreden wollen, dass Liebe auf den ersten Blick eine Erfindung von Filmemachern und Autoren von Liebesromanen war, aber seit dem Tag ihrer Verlobung hatte sich ihrer eine Sehnsucht bemächtigt, die sie bis in die Tiefen ihres Seins durchdrang. War das Liebe? Sie wusste es nicht. Schließlich hatte sie in ihrer Kindheit nicht gerade glänzende Beispiele für wahre Liebe erlebt.

„Na gut, selbst wenn er mir nichts von seinem Besuch erzählt hätte, ich würde mir auf jeden Fall die Zeit für ein Treffen nehmen, wenn er zu mir gehören würde.“

Mila zwang sich zu einem Lächeln und machte die Art von Kommentar, die Sally von ihr erwarten würde. „Tja, er gehört aber nicht zu dir, sondern zu mir, und ich teile nicht gern.“

Wie erwartet ließ Sally sich von Milas Fröhlichkeit anstecken. Milas Blick klebte für den Rest des Berichts über Prinz Thierry am Bildschirm. Den Teil über sie selbst versuchte sie zu ignorieren. Die Reporter spekulierten über ihren möglichen Aufenthaltsort, der während der letzten sieben Jahre streng geheim gehalten worden war. Mila war jedoch klar, dass es anderen Leuten ähnlich wie Sally gehen konnte.

Sie setzte all ihre Hoffnung darin, dass niemand das hässliche Entlein auf ihrem Verlobungsfoto mit der Frau in Verbindung bringen würde, die sie jetzt war. Sie war nicht länger die schüchterne junge Frau mit einem für ihr Gesicht viel zu großen Mund, pausbäckig und mit strammen Oberschenkeln. Irgendwann zwischen ihrem neunzehnten und zwanzigsten Geburtstag hatte ihr Körper eine wundersame späte Verwandlung durchlaufen. Die überflüssigen fünfzehn Kilo Babyspeck waren längst dahingeschmolzen – sie hatte immer noch Kurven, war aber nicht mehr übergewichtig. Und ihr Haar war zum Glück wieder gewachsen, lang und glatt und voll. Die furchtbare Frisur mit der Dauerwelle war nichts als eine demütigende Erinnerung.

Würde ihr zukünftiger Ehemann sie jetzt attraktiv finden? Sie hasste den Gedanken, sie könnte abschreckend auf ihn wirken, besonders, da sie sich so unglaublich zu ihm hingezogen fühlte.

Sally hatte vollkommen recht gehabt, als sie sagte, Prinz Thierry sehe umwerfend aus. Während des gesamten Fernsehberichts war Mila Zeugin dieses ganz besonderen Charismas geworden, das er unbewusst ausstrahlte. Sie hatte beobachtet, wie die Leute im Hintergrund innehielten und den Prinzen anstarrten, von ihm angezogen wurden, als wäre er ein starker Magnet. Sie kannte dieses Gefühl. Sie hatte das Gleiche am Tag ihrer Verlobung erlebt – und seitdem unzählige Male, wenn sie ihn bei einem Heimaturlaub in Erminien in den Fernsehnachrichten gesehen hatte.

In wenigen Wochen würde sie zurückkehren. Es war an der Zeit, die Verantwortung, die sie vorübergehend abgeschüttelt hatte, wieder aufzunehmen und ihre vorherbestimmte Position auszufüllen.

Eigentlich sollte sie sich darauf freuen. Nicht nur, weil sie sich zu dem Prinzen so hingezogen fühlte, sondern weil ihre Heirat für ihre beiden Länder von großer Bedeutung war. Der noch instabile Frieden zwischen ihrem Heimatland Erminien und Silvanien war vor vielen Jahren erschüttert worden, als Prinz Thierrys Mutter in flagranti mit einem erminischen Diplomaten erwischt worden war. Als sie und ihr Liebhaber später bei einem schrecklichen Autounfall ums Leben kamen, hatten sich beide Regierungen gegenseitig die Schuld zugeschoben. Mila verstand, dass ihre Heirat mit Prinz Thierry all diesen Aufruhr hoffentlich beenden würde, und doch wollte sie mehr als eine Vernunftsehe. War es zu viel, zu hoffen, dass sie den Prinzen dazu bringen konnte, sie auch zu lieben?

Mila griff nach der Fernbedienung und stellte den Ton aus, um die Aufmerksamkeit wieder auf ihre Arbeit zu richten, aber Sally war mit dem Thema noch nicht fertig.

„Du solltest nach New York fliegen und ihn treffen. Geh einfach zu seinem Hotelzimmer und stell dich ihm vor.“

Mila lachte, doch es klang nicht heiter. „Selbst, wenn ich es schaffe, ohne meine Anstandsdame aus Boston herauszukommen, würde ich nicht an seinen Sicherheitsleuten vorbeikommen. Er ist der Kronprinz von Silvanien, der einzige Anwärter auf den Thron.“

Sally rollte mit den Augen. „Du bist auch wichtig, immerhin bist du seine Verlobte. Sicher nimmt er sich Zeit für dich. Und was Bernadette und die Kraftmeier angeht“, Sally meinte damit Milas Anstandsdame und ihre Leibwächter, „ich hätte da einen Plan, wie man die loswerden könnte. Natürlich nur, wenn du mitmachst.“

„Das kann ich nicht. Außerdem, was ist, wenn mein Bruder davon Wind bekommt?“

Sally wusste nicht, dass Milas Bruder auch der herrschende König von Erminien war, sie hatte jedoch mitbekommen, dass er, seit sie ihre Eltern vor vielen Jahren verloren hatten, ihr Vormund und Beschützer geworden war.

„Was soll er schon machen? Dich in Ketten legen? Komm schon, du bist fast fünfundzwanzig Jahre alt und hast die letzten sieben Jahre in einem fremden Land damit zugebracht, dir wertvolle Qualifikationen zu erarbeiten, die du wahrscheinlich nie wirst benutzen dürfen. Du hast noch dein ganzes Leben Zeit, an öden Staatsempfängen teilzunehmen. Du darfst dir ruhig ein bisschen Spaß gönnen, meinst du nicht?“

„Gutes Argument“, antwortete Mila mit einem schiefen Lächeln. Auch wenn Sallys Worte ihr einen Stich versetzten, ihre Freundin hatte recht. „Was schlägst du vor?“

„Es ist ganz einfach. Professor Winslow hat gesagt, er könne uns Eintrittskarten für den Vortrag über Nachhaltigkeit während des Gipfels besorgen. Wir könnten ihn beim Wort nehmen. Der Gipfel beginnt morgen, und es gibt einen Vortrag, an dem wir ‚teilnehmen‘ könnten.“ Bei den letzten Worten machte sie mit ihren Fingern Anführungszeichen in der Luft.

„So kurzfristig bekommen wir sicher keine Unterkunft.“

„Meine Familie hat ganz in der Nähe des Hotels, in dem der Prinz wohnt, ein Apartment. Wir könnten morgen nach New York fliegen. Daddy lässt mich sicher seinen Privatjet benutzen, vor allem, wenn ich ihm sage, dass es für mein Studium ist. Wenn wir dann im Apartment ankommen, könntest du ganz plötzlich krank werden. Bernie und ihre Jungs müssen ja nicht unbedingt dabei sein, wenn du mit Migräne im Bett liegst, oder? Wir besorgen uns eine blonde Perücke, damit du aussiehst wie ich. Dann tauschen wir die Kleider, und du gehst dann an meiner Stelle aus. Was meinst du?“

„Auf den Trick fallen die nie herein.“

„Aber wir könnten es doch wenigstens versuchen, oder? Das ist deine einzige Chance, den Prinzen vor der Hochzeit zu sehen. Komm schon, was könnte im schlimmsten Fall schon passieren?“

Was könnte im schlimmsten Fall passieren? Sie könnten erwischt werden. Und dann? Unzählige Ermahnungen über ihre Position und ihre Pflicht gegenüber ihrem Heimatland würden folgen. Während ihrer Kinder- und Jugendzeit in Erminien hatte sie diese und ähnliche Belehrungen bis zum Überdruss gehört.

Sie ließ die Idee in ihrem Kopf Form annehmen. Sallys Plan war so simpel und unkompliziert, vielleicht würde er ja wirklich funktionieren. Mila hatte noch die E-Mail, in der ihr Professor den Vortrag als überaus lehrreich angepriesen hatte. Mila wusste, dass sie Bernadette, die über die Zeit eher eine Art Mutterrolle eingenommen hatte, mit ein wenig emotionalem Druck würde überreden können.

„Und, was sagst du?“ Sally warf ihr einen auffordernden Blick zu.

Mila fällte die Entscheidung. „Ich mach es.“

Sie konnte selbst kaum glauben, dass sie das gerade gesagt hatte, aber gleichzeitig wurde jede Zelle ihres Körpers von einem Gefühl der Vorfreude durchflutet. Sie würde Prinz Thierry treffen. Oder es zumindest versuchen.

„Großartig.“ Sally rieb mit einem verschwörerischen Blick die Hände aneinander. „Das wird ein Mordsspaß.“

2. KAPITEL

Tot.

Der König war tot. Lang lebe der König.

Ohne auf den herrlichen Ausblick auf New York zu achten, der sich ihm im Licht der Dämmerung bot, lief Thierry vor den Panoramafenstern seiner Hotelsuite auf und ab. Er konnte es nicht glauben.

Er war nun König von Silvanien. In dem Moment, als sein Vater seinen letzten Atemzug getan hatte, war die Krone automatisch auf Thierry übergegangen.

Ein Anflug von Ärger überkam ihn. Ärger darüber, dass sich sein Vater ausgerechnet jetzt davongestohlen hatte, wo Thierry nicht im Land war. Die Dinge für seinen Sohn zu verkomplizieren, war schon immer typisch für seinen Vater gewesen. Obwohl er wusste, dass er sterben würde, hatte er Thierry doch auf diese Reise geschickt und damit in Kauf genommen, dass sein einziger Sohn nicht vor seinem Ableben zurück sein würde. Gefühlsduselei war ihm schon immer zuwider gewesen.

Nicht, dass Thierry sich übermäßig grämte. Er und der König hatten keine enge Beziehung zueinander gehabt. Ihr Zusammensein war von ständigen Maßregelungen und Ermahnungen über Thierrys Pflichten geprägt gewesen. Dennoch stieg nun Trauer in ihm hoch. Vielleicht eher um die Beziehung zu seinem Vater, die er sich gewünscht, aber nie gehabt hatte.

„Majestät?“

Die Anrede traf ihn wie ein Schlag. Majestät, nicht Hoheit oder Sir.

Sein persönlicher Assistent fuhr fort: „Gibt es irgendetwas, das …?“

„Nein.“ Thierry unterbrach ihn, bevor er erneut fragen konnte.

Seit die Nachricht sie erreicht hatte, waren seine Angestellten noch fürsorglicher geworden. Schließlich waren sie nun nicht länger verantwortlich für den Kronprinzen, sondern für den König von Silvanien. Er spürte, wie das Zimmer ihn einzuengen begann. Er musste raus hier. An die frische Luft. Er brauchte etwas Raum für sich, bevor die Neuigkeit in wenigen Stunden weltweit Schlagzeilen machen würde.

Thierry wandte sich seinem Assistenten zu. „Ich bitte um Verzeihung für meine Unhöflichkeit. Die Nachricht … obwohl sie nicht unerwartet kam …“

„Ja, Majestät, es ist für uns alle ein Schock. Wir hatten so gehofft, dass er sich wieder erholt.“

Thierry nickte kurz. „Ich gehe nach draußen.“

Auf dem Gesicht seines Gegenübers war ein jäher Anflug von Panik abzulesen. „Aber Majestät!“

„Pasquale, ich brauche diesen einen Abend. Bevor nichts mehr so ist, wie es einmal war.“

Die Aussicht auf sein neues Leben war erdrückend. Von Geburt an war er darauf vorbereit worden, und doch fühlte er sich plötzlich wie Atlas, der das Gewicht des Erdenballs auf seinen Schultern tragen musste.

„Ihr Sicherheitsteam wird Sie begleiten.“

Thierry nickte, mit dem Wissen, dass er um die Bodyguards nicht herumkam, aber dass sie zumindest diskret sein würden.

Thierry ging ins Schlafzimmer und riss sich den Schlips vom Hals. Sein ältlicher Kammerdiener Nico trat hastig auf ihn zu.

„Nico, ein Paar Jeans und ein frisches Shirt, bitte.“

„Sehr gern, Majestät.“

Da war es wieder. Dieses Wort. Als Zeichen für die Kluft, die zwischen ihm und seinem Personal entstanden war. Das Gleiche galt, da war er sicher, für den Rest der Welt. Für einen winzigen Augenblick hätte Thierry seiner Wut über das Leben, das ihm auferlegt war, gern Luft gemacht, aber wie immer kämpfte er die Gefühle nieder. Wenn er etwas gut beherrschte, dann war es Selbstkontrolle.

Nach einer kurzen Dusche saß Thierry einige Minuten später im Vorraum seiner Hotelsuite und wartete auf sein Sicherheitsteam.

„Es ist kühl heute Abend, Majestät“, sagte Nico.

Seine Hände zitterten, als er Thierry in eine fein gewebte, legere Jacke half und ihm eine dünne Mütze und eine Sonnenbrille reichte. Als er den offensichtlichen Kummer seines Kammerdieners bemerkte, drehte er sich um und richtete sich an Pasquale und Nico.

„Gentlemen, meinen aufrichtigen Dank für all Ihre Unterstützung. Ich weiß, dass Sie mit dem Tod meines Vaters ebenfalls einen großen Verlust erlitten haben. Sie stehen länger im Dienst meiner Familie, als ich mich erinnern kann, und dafür bin ich sehr dankbar. Sollten Sie eine Auszeit zum Trauern benötigen, sollen Sie wissen, dass Ihnen diese gewährt wird, sobald wir zurückkehren.“

Beide Männer stammelten Worte des Protests und versicherten ihm, dass sie keine Auszeit benötigten. Thierry hatte eine ähnliche Reaktion vorausgesehen, das bedeutete jedoch nicht, dass sie nicht trauerten, da war er sicher.

„Ich meine es ernst“, bekräftigte er sein Angebot. „Nico, könnten Sie bitte das Packen der Koffer veranlassen? Unser Flugzeug ist morgen früh um acht Uhr startbereit.“

Der Chef seines Sicherheitsteams, Arnaud, betrat in Begleitung dreier seiner Leute den Raum. „Majestät, wir sind bereit.“

Thierry nickte Pasquale und Nico noch einmal zu und ging zur Tür. Drei Bodyguards brachten sich um ihn herum in Position, während ein weiterer voraneilte, um den privaten Fahrstuhl zu rufen, der ausschließlich diese Etage bediente.

„Wir benutzen den Hinterausgang, Majestät. So meiden wir die Lobby. Der Sicherheitsdienst des Hotels hat bereits sichergestellt, dass keine Paparazzi dort sind.“

„Danke, das ist in Ordnung.“

Als sie aus dem Fahrstuhl traten, fühlte er sich wie ein Schaf, das von Schäferhunden umringt ist. „Ein wenig mehr Raum bitte, Gentlemen“, sagte Thierry mit fester Stimme und ließ mit einigen raschen Schritten seine Bodyguards hinter sich.

Er spürte, dass ihnen das nicht gefiel, doch er vertraute darauf, dass er, solange er nicht von Sicherheitsleuten umringt war, in einer Großstadt wie New York nicht weiter auffallen würde.

Thierry bog um die Ecke und steuerte auf den Ausgang zu. Gleich würde er atmen können, das erste Mal wirklich atmen, seit er vom Tod seines Vaters erfahren hatte.

„Spaß, hat sie gesagt“, murmelte Mila vor sich hin, als sie zum sechsten Mal den Häuserblock des Hotels umrundete.

Nachdem sie sich aus der Hotelsuite von Sallys Familie geschlichen hatte, war auf ihrem Weg hierher die Vorfreude stetig in ihr gewachsen. Den Spaß, den Sally ihr angekündigt hatte, vermisste sie jedoch bisher. Aus der Suite zu entkommen war nervenaufreibend gewesen, aber es hatte funktioniert.

Der Fußweg hierher war ohne Zwischenfälle verlaufen, aber sie hatte eindeutig zu viel Zeit gehabt, um darüber nachzudenken, was um alles in der Welt sie hier tat. Jeden Moment würde sie verhaftet werden, das war sicher. Einige Leute hatten ihr schon merkwürdige Blicke zugeworfen.

Sie nahm einen Schluck von dem Kaffee, den sie sich gekauft hatte, um ihre Nerven zu beruhigen, und schlüpfte in eine kleine Seitenstraße neben dem Hotel, als plötzlich ein Regenschauer einsetzte. Großartig, dachte sie, als sie beobachtete, wie der Regen die Straßen dunkel und rutschig werden ließ. Sie fühlte sich einsam, obwohl sie von Tausenden von Menschen umgeben war, die geschäftig von hier nach dort eilten. Einer dieser Menschen rempelte sie plötzlich von hinten an, sodass sie ins Schlingern geriet und ihr Kaffeebecher in hohem Bogen durch die Luft flog. Sie schrie auf, als ihr die heiße Flüssigkeit die Hand verbrühte.

„Passen Sie doch auf.“ Sie schüttelte die Überreste des Kaffees ab und wischte sich die Hand an ihrer, nein, Sallys Jacke ab.

Einen tollen Eindruck werde ich machen, dachte sie. Nass, mit Perücke und nun auch noch mit Kaffee befleckt. Am besten, sie machte sich direkt auf den Rückweg.

„Ich bitte um Verzeihung.“

Die Stimme des Mannes ertönte hinter ihr. Sie klang warm und tief und löste ein kleines Prickeln in ihrem Nacken aus. Sie wirbelte herum. „Tut mir l…“, begann sie und blickte hoch.

Der Mann stand vor ihr, ein entschuldigendes Lächeln umspielte seine sündhaft schönen Lippen. Seine Haare wurden von einer dunklen Mütze verborgen, und er trug eine Sonnenbrille. Das war merkwürdig zu dieser späten Tageszeit, aber schließlich war das hier New York. Doch dann schob er mit einem Finger seine Brille nach unten, und zum Vorschein kamen dichte schwarze Augenbrauen und schiefergraue Augen.

Alle Gedanken, jede Vernunft waren wie ausgelöscht. Alles, worauf sie sich konzentrieren konnte war er.

Prinz Thierry. Hier vor ihr. Höchstpersönlich.

Mila hatte sich oft gefragt, ob die Leute wohl übertrieben, wenn sie von einer sofortigen körperlichen Anziehungskraft sprachen. Sie hatte sich selbst eingeredet, dass ihre eigene erste Reaktion auf den Prinzen vor einigen Jahren auf ihre Nervosität und eine gehörige Portion überaktiver Teenagerhormone zurückzuführen war. Nun hatte sie die Antwort. Was sie für ihn gefühlt hatte, war echt gewesen, denn sie fühlte es jetzt in diesem Augenblick wieder. Ihr Herz schlug wie wild, ihre Beine zitterten leicht und ihre Augen weiteten sich.

Sally hatte gesagt, er sehe umwerfend aus. Das war eine grobe Untertreibung gewesen. Der Mann war eine Naturgewalt.

Milas Blick fiel auf die Mulde unter seiner Kehle, die hinter dem offen stehenden obersten Knopf seines Shirts zum Vorschein kam. Dort pulsierte es in seinen Adern. Der Beweis, dass er durch und durch ein Mensch aus Fleisch und Blut war. Verlangen durchströmte sie.

„Ich besorge Ihnen einen neuen Kaffee.“

„N-nein, i-ist schon okay.“ Denk nach, befahl sie sich selbst. Stell dich vor. Tu etwas. Egal was. Doch dann sah sie ihm erneut in die Augen und war verloren.

Die Farbe seiner Augen war genau so, wie sie sie in Erinnerung hatte. Es war kein gewöhnliches Grau. Es erinnerte sie an die Farbe der Bergwände, von denen im Nordwesten ihrer Heimat Schiefer abgebaut wurde. Sie war immer der Meinung gewesen, dass diese Farbe nichts Besonderes war, doch wie gründlich hatte sie sich geirrt. Sie war aufregend, durchdringend, als könne der Prinz bis in die Tiefen ihrer Seele blicken. Seine Iris war schwarz umrandet, und hellere silbrige Streifen in ihrem Innern blitzten wie kleine Sterne.

Mila wurde sich gewahr, dass sie ihn anstarrte und senkte rasch den Blick. Ihren Herzschlag konnte sie dadurch jedoch nicht verlangsamen.

„Maje…?“

Neben ihnen tauchte ein Mann auf und schob sich zwischen den Prinzen und sie selbst. Ein leise gesprochener Satz des Prinzen jedoch, und der Mann zog sich sofort wieder zurück. Ganz offensichtlich ein Bodyguard, und der war nicht sehr glücklich darüber, dass der Prinz sich unter die Einheimischen mischte. Nur, dass sie keine Einheimische war. Er schien sie nicht wiederzuerkennen, stellte sie schockiert fest.

Der Prinz richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Mila. „Sind Sie sicher, dass alles in Ordnung ist? Sehen Sie doch, Ihre Hand ist verbrüht.“

Mila erschrak, als er ihre Hand in seine nahm und die Stelle begutachtete, die begonnen hatte, sich rot zu färben. Ihr Atem geriet ein wenig aus dem Rhythmus, als er mit dem Daumen behutsam über ihre Haut strich. Seine Finger waren sanft und lösten ein knisterndes Gefühl auf ihrer Haut aus, das nichts mit heißem Kaffee und alles mit diesem unglaublich heißen Mann zu tun hatte.

„Es ist nichts, wirklich.“ Nichts? Nein, es war alles . Das war die magische Anziehungskraft, die sie heute früh beim Fernsehen beobachtet hatte. Sie konnte sich ebenso wenig dagegen wehren wie alle anderen.

„Bitte“, sagte er, ließ ihre Hand los und deutete auf den Ausgang der Seitenstraße. „Gestatten Sie mir, dass ich Ihnen einen neuen Kaffee besorge.“

Diese einfache Bitte brachte sie vollends aus der Fassung. Vergebens suchte sie in seinem Gesicht nach irgendeinem Zeichen dafür, dass er sie erkannt hatte. Sie spürte einen Anflug von Enttäuschung, kämpfte jedoch dagegen an. Natürlich rechnete er nicht damit, mitten in New York eine Prinzessin auf der Straße zu treffen, schon gar nicht seine Prinzessin.

Vielleicht konnte sie diesen Umstand zu ihrem Vorteil nutzen. Eigentlich war sie hierhergekommen, um sich dem Prinzen erneut vorzustellen. Aber was, wenn sie das nicht tat? Was, wenn sie einfach nur eine Unbekannte war? Ohne das Wissen um ihre bevorstehende Hochzeit, dass sie im Umgang miteinander förmlich und ungeschickt werden lassen würde, hätte sie eine echte Chance, ihn wirklich kennenzulernen. Sie könnte herausfinden, was für eine Art Mann sie bald heiraten würde.

„Danke“, sagte sie. „Das wäre nett.“

Er zog seinen Mundwinkel leicht nach oben, und wieder war sie wie hypnotisiert. Sie zwang sich, woanders hinzusehen, auf die Straße, den Regen, überall hin, nur nicht zu dem Mann, der sie nun auf einen Kaffee einlud.

Vor ihnen hatte einer der Bodyguards bereits das kleine Café gecheckt, in dem sie vorher den Kaffee gekauft hatte, und gab mit einer diskreten Geste seine Zustimmung.

Sie betraten das Café und gingen zum Tresen, um ihre Bestellung aufzugeben. Seine Sicherheitsleute hatten sich im Raum verteilt, zwei an der Tür und einer nahe dem Tisch, zu dem der Prinz sie jetzt führte.

„Freunde von Ihnen?“ Mila nickte in Richtung der Bodyguards.

Er grinste. „So was in der Art. Stört es Sie? Ich kann sie bitten, zu gehen.“

„Oh, nein, kein Problem. Ist schon in Ordnung.“

Sie nahm Platz und sah auf das Tablett, das Prinz Thierry auf dem Tisch abgestellt hatte. Er hatte zusätzlich zum Kaffee auch eine kleine Schale mit Eiswürfeln bestellt. Amüsiert sah sie zu, wie er ein blütenweißes Taschentuch hervorzog und die Eiswürfel damit umwickelte.

„Geben Sie mir Ihre Hand“, befahl er.

„Ehrlich, es tut nicht sehr weh“, protestierte Mila.

„Ihre Hand?“, wiederholte er und sah sie durchdringend an. Mila tat, worum er sie gebeten hatte.

Er nahm ihre Hand in seine und legte sanft den improvisierten Eisbeutel auf. Mila versuchte, ihr Herzklopfen zu ignorieren. Versuch fehlgeschlagen.

„Ich bitte nochmals um Verzeihung für meine Ungeschicktheit“, fuhr er fort. „Ich habe nicht aufgepasst.“

„Es ist in Ordnung, wirklich.“ Sie lächelte.

„Lassen Sie mich das besser beurteilen“, sagte er mit fester Stimme, nahm den Worten jedoch mit einem Lächeln die Härte. Eindeutig war er es gewohnt, die Führung zu übernehmen.

Er schaute auf. „Ich heiße Hawk, und Sie?“

„A-Angel“, antwortete Mila und griff damit auf den Namen zurück, unter dem sie hier in den USA bekannt war. Wenn er einen Spitznamen benutzte, konnte sie das auch tun.

„Sind Sie geschäftlich hier in New York?“, fragte sie, obwohl sie doch genau wusste, warum er hier war.

„Ja, aber morgen früh fliege ich nach Hause zurück.“

Sie war überrascht. Der Gipfel sollte vier Tage dauern und begann erst am nächsten Morgen. Thierry war gerade erst angekommen. Sie wollte fragen, warum, aber wusste, dass es nicht ging.

Er nahm den improvisierten Eisbeutel von ihrer Hand und nickte zufrieden. „Das sieht schon besser aus.“

„Danke.“

Der Prinz ließ ihre Hand los, und Mila hatte ein irrationales Gefühl von Verlust. Seine Berührung war aufregend gewesen, und ohne sie fühlte es sich leer an.

„Und Sie?“, fragte er.

Mila schaute auf und starrte ihn an. „Ich? Was?“

„Sind Sie auch geschäftlich in New York, oder leben Sie hier?“

Die Haut um seine Augen legte sich erneut in kleine Fältchen. Er lächelte über sie, da war sie sicher, jedoch auf eine nette Art und Weise. Für einen Moment dachte sie an das furchtbare Gefühl von Unzulänglichkeit, das ihr erstes Treffen so geprägt hatte.

Doch sie war nicht mehr dieses Mädchen. Und heute Abend konnte sie sein, wer auch immer sie wollte. Sogar eine Frau, die einen Prinzen verzaubern konnte. Der Gedanke gab ihr Kraft. Sie würde das schaffen.

„Oh, Verzeihung.“ Sie lachte unbeschwert. „Ich war mit meinen Gedanken woanders.“

„Aber jetzt sind Sie bei mir“, gab er zurück.

Wärme durchströmte sie, als sie seine Worte hörte.

„Ja“, sagte sie sanft. „Das bin ich.“

3. KAPITEL

Die Luft zwischen ihnen begann zu knistern. Sie sahen sich in die Augen, und ihre Konversation war vergessen.

Thierry ließ sich bereitwillig von ihrem Blick gefangen nehmen. Ihre Augenbrauen waren zwei perfekt geformte dunkle Rahmen für ungewöhnliche bernsteinfarbene Augen, die von dichten Wimpern umrandet wurden. Die Farbe ihrer Augen schien nicht recht zu ihrem blonden Haar zu passen, deshalb war die junge Frau jedoch nicht weniger schön, sondern eher noch aparter. Ihre Wangenknochen waren hoch und sanft geschwungen. Ihre Nase klein und gerade. Ihre Lippen waren es jedoch, von denen sein Blick am stärksten angezogen wurde. Sie waren voll und üppig, und als sie sie beim Einatmen leicht öffnete, traf es ihn wie ein Stromschlag. In seiner Leiste begann es zu pulsieren. Es war, als wäre er verhext. Und er verspürte keinerlei Verlangen, sich dagegen zu wehren.

Erst als jemand beim Vorbeigehen an ihren Tisch stieß und etwas Kaffee verschüttete, wurde der Zauber zwischen ihnen beiden jäh unterbrochen.

Angel lachte und wischte den Kaffee mit einer Papierserviette auf. „Es scheint, als ob es mir heute einfach nicht vergönnt ist, meinen Kaffee zu Ende zu trinken. Und um Ihre Frage zu beantworten, nein, ich lebe in Boston. Ich bin nur zu Besuch hier.“

Sie nahm einen Schluck von dem Kaffee, der ihr noch geblieben war. Thierry verfolgte fasziniert jede ihrer Bewegungen. Als sie sich mit der Zungenspitze einen Rest Milchschaum von den Lippen leckte, schluckte er schwer. Seine Kehle war wie zugeschnürt.

Er sollte nicht hier sein mit dieser Frau. Er war mit einer anderen verlobt. Einer, die er kaum kannte. Doch hatte er in all den Jahren seines Junggesellendaseins noch nie solch einen starken Impuls verspürt, mit jemandem zusammen zu sein, wie mit dem bezaubernden Wesen, das ihm gerade gegenübersaß. Ihm war, als würde er sie bereits kennen, und was immer dieses Gefühl zu bedeuten hatte, er wollte mehr davon.

Angel stellte ihre Tasse ab. „Eigentlich bin ich in New York, um einen Vortrag über Nachhaltigkeitsinitiativen zu besuchen.“

Thierry spürte, wie sein Interesse an ihr weiter zunahm. „Ach, wirklich? Ich wollte eigentlich morgen an demselben Vortrag teilnehmen.“

„Und Sie können Ihre Heimreise nicht verschieben?“

Die schwarzen Schatten der Realität verfinsterten für einen Augenblick sein Gemüt und brachten Gedanken an das, was ihn morgen und in Zukunft erwartete, mit sich. Acht Stunden im Flugzeug bis nach Silvanien, dann weitere zwanzig Minuten im Helikopter zum Palast. Danach Treffen mit seinen Hausangestellten und den Regierungschefs. In Zukunft würde er über seine Zeit kaum noch frei verfügen können.

„Hawk?“

Er schüttelte die Gedanken ab. „Nein, ich muss zurück. Eine dringende Angelegenheit. Aber genug davon. Sagen Sie, was bringt eine hübsche junge Frau wie Sie in einen verstaubten alten Seminarsaal?“

Sie sah aus, als fühlte sie sich gekränkt. „Die Frage ist ein wenig sexistisch, finden Sie nicht?“

„Verzeihen Sie“, sagte er schnell. „Ich wollte keinesfalls Ihre Intelligenz infrage stellen oder chauvinistisch erscheinen.“

Insgeheim ärgerte er sich über sich selber. Anscheinend war der Apfel doch nicht so weit vom Stamm gefallen. Thierrys Vater war der Ansicht gewesen, dass sich die Rolle der Frau im Palast darauf beschränkte, Erben zu gebären und als treues und hübsches Zierwerk an der Seite des Königs zu stehen. Thierry hatte sich in letzter Zeit öfters gefragt, ob die Ursache für die Untreue seiner Mutter mangelndes Selbstwertgefühl war. Vielleicht hatte sie verzweifelt nach etwas Anerkennung gesucht, die sie in ihrer Ehe nicht bekommen hatte.

Aber das tat nun nichts mehr zur Sache. Sie und ihr Liebhaber waren vor vielen Jahren bei einem schrecklichen Autounfall ums Leben gekommen. Der darauffolgende Skandal hatte die beiden Nationen an den Rand eines Krieges geführt, und das war einer der Gründe, warum Thierry sich geschworen hatte, bis zu seiner Hochzeit enthaltsam zu bleiben und später seiner Frau treu zu sein. Er erwartete dasselbe von ihr. Auch wenn er nicht aus Liebe heiratete, seine Ehe würde halten. Unbedingt. War das etwa zu viel verlangt?

Ihm gegenüber nickte Angel leicht mit dem Kopf, als Zeichen, dass sie seine Entschuldigung annahm. „Danke, das höre ich gern.“ Sie lächelte. „Um Ihre Frage zu beantworten, mein Professor hat mir den Vortrag empfohlen.“

Während der nächsten Stunde unterhielten sie sich angeregt über ihr Studium, insbesondere über ihr Interesse an Ideen für nachhaltiges Wohnen, Chancengleichheit und erneuerbare Energien. Er war fasziniert. Und er mochte den Hauch von Pink, den ihr Enthusiasmus auf ihre Wangen gezaubert hatte. Die Themen, über die sie sprachen, lagen ihm selbst sehr am Herzen. Ihre Unterhaltung war anregend, und er fühlte sich geistig stimuliert.

Die Kundschaft in dem Café hatte sich bereits stark reduziert, und Thierry bemerkte, dass seine Sicherheitsleute allmählich unruhig wurden. Angel hatte es offensichtlich auch bemerkt.

„Oh, es tut mir leid, dass ich so viel von Ihrer Zeit beansprucht habe“, entschuldigte sie sich.

„Nein, ganz und gar nicht. Es war mir ein Vergnügen. Ich komme nicht so oft dazu, mit jemandem Ideen auszutauschen, der so sprachgewandt und versiert ist wie Sie.“

Sie sah auf ihre Uhr, ein dezentes Design aus Platin, und wenn er sich nicht irrte, mit Diamanten besetzt. Dieses subtile aber offensichtliche Anzeichen von Wohlstand verstärkte seine Neugier nach ihrer Herkunft.

„Es ist schon ziemlich spät. Ich denke, ich sollte besser ins Hotel zurückkehren“, sagte sie wenig überzeugt.

Nein. Jede Faser seines Körpers widersetzte sich der Vorstellung, jetzt Lebewohl zu sagen. Er war noch nicht bereit, auf ihre Gesellschaft zu verzichten. Er nahm ihre Hand. „Bitte gehen Sie noch nicht.“

Seine Worte überraschten ihn ebenso, wie sie Angel zu überraschen schienen. „Es sei denn, Sie müssen fort.“ Verdammt. So verzweifelt hatte er sich nicht anhören wollen. Aber gerade heute war Angel eine unverhoffte Ablenkung von seinen düsteren Gedanken. Er sah ihr tief in die Augen und war erneut fasziniert von diesem ungewöhnlichen whiskeyfarbenen Ton. Er hatte diese Farbe irgendwann schon einmal gesehen, konnte sich aber nicht erinnern, wo. Thierry blickte herab. Sie hatte ihre Hand nicht weggezogen. Das musste ein gutes Zeichen sein.

„Nein, eigentlich muss ich nicht …“ Ihre Stimme klang zögerlich, und sie schaute erneut auf ihre Uhr, bevor sie mit fester Stimme sagte: „Nein, ich muss nicht fort.“

„Kein Freund, der zu Hause auf Sie wartet?“, testete er sie ungeniert und strich mit dem Daumen über ihre Finger.

„Nein, kein Freund.“

„Gut. Wollen wir spazieren gehen?“, schlug er vor.

„Ja, sehr gern.“

Mit einer eleganten Bewegung erhob sie sich und nahm ihre Tasche an sich. Er griff nach ihrem Mantel und half ihr hinein. Dabei berührten seine Fingerspitzen kurz ihren Nacken. Schon die Berührung ihrer Hände hatte eine heftige Reaktion bei ihm ausgelöst, doch das war nichts im Vergleich zu dem Schock, der ihn jetzt durchfuhr. Er wusste, es war falsch, sich so stark zu Angel hingezogen zu fühlen. Glich er denn so sehr seiner Mutter, die unfähig gewesen war, die Versprechen des Ehegelöbnisses zu halten?

Thierry zog seine Hände weg, ballte sie zu Fäusten und vergrub sie tief in den Hosentaschen. Er schämte sich. Das hier war einfach verrückt. In ein paar Wochen würde er Prinzessin Mila heiraten, und doch hegte er nun den verzweifelten Wunsch, mehr Zeit mit einer Frau zu verbringen, von der er nicht viel mehr wusste als ihren Vornamen.

Und dann sah sie ihn an und lächelte, und er wusste, was auch immer auf ihn zukommen würde, er musste diesen Moment einfangen und diese kleine Oase des Friedens in turbulenten Zeiten genießen.

Sie verließen das Café und gingen in Richtung Seventh Avenue. Sein Sicherheitsteam verschmolz mit den Menschen, die sie umgaben. Wachsam, doch kaum sichtbar. Der Regen hatte aufgehört, und Thierry spürte, wie seine Laune sich wieder hob. Das hier fühlte sich so normal an, so spontan, so meilenweit entfernt von seinem gewöhnlichen Leben.

„Erzählen Sie mir mehr von sich. Haben Sie Familie?“

„Ich habe einen Bruder. Er ist gerade in Europa“, sagte Angel unbeschwert, doch er sah, wie sie ihre reizvollen Lippen aufeinanderpresste. „Und Sie?“

„Einzelkind.“

„War es einsam, ohne Geschwister aufzuwachsen?“

„Manchmal, aber es waren eigentlich immer Leute in meiner Nähe.“

Angel deutete in Richtung seiner Bodyguards. „Leute wie die dort?“

„Auch andere.“

Sie blieben an einer Ampel stehen. Sie starrte geradeaus. „Manchmal kann man sehr einsam sein, obwohl man von vielen Menschen umringt ist.“

Ihre Worte berührten ihn. Etwas an der Art, wie sie das gesagt hatte, ließ ihn denken, dass sie aus eigener Erfahrung sprach. Dieser Gedanke bestürzte ihn. Er wünschte, er könnte diese Leere aus ihrer Stimme nehmen und sie mit Wärme füllen. Und wie geht es weiter? fragte eine Stimme in seinem Innern. Er wischte den Gedanken fort. Es konnte nicht weitergehen. Am nächsten Morgen würde er ein anderer sein. Ein König.

„Und was tun Sie so?“, fragte Angel, als sie die Straße überquert hatten.

„Tun?“

„Ja, ich meine, was ist Ihr Job? Sie arbeiten doch sicher, oder?“

Ja, er arbeitete, aber nicht in dem Sinne, den sie wahrscheinlich meinte. „Ich bin im Management tätig“, sagte er und mogelte sich damit an der Wahrheit vorbei.

„Das ist ein sehr breites Betätigungsfeld“, neckte sie ihn und sah ihn mit einem herausfordernden Funkeln in ihren Bernsteinaugen an.

„Ich habe vielerlei Verantwortlichkeiten. Und Sie, was wollen Sie machen, wenn Sie Ihr Studium beenden?“

Ihr Gesichtsausdruck wurde jäh ernst. Dann blinzelte sie, und der ernste Ausdruck war fort. „Oh, dies und das“, erwiderte sie vage.

„Das ist natürlich viel eindeutiger“, neckte er sie. Er genoss diesen kleinen verbalen Schlagabtausch.

„Gut, wenn Sie es genau wissen wollen, ich will nach Hause zurückkehren und etwas verändern. Ich will, dass die Leute mir zuhören und das, was ich sage, ernst nehmen und mich nicht geringschätzen, weil ich eine Frau bin.“

Er hob eine Augenbraue. „Kommt das oft vor?“

„Eben ist es auch passiert“, gab sie herausfordernd zur Antwort.

„Ja, das ist wahr, und ich entschuldige mich nochmals für meine Voreingenommenheit. Ich hoffe, Ihr Wunsch geht in Erfüllung.“ Er blieb neben einem Imbisswagen stehen. „Haben Sie heute Abend schon etwas gegessen?“

„Nein, aber Sie müssen nicht …“

„Ich habe gehört, wenn man in New York ist, muss man unbedingt eines dieser Ribeye-Steak-Sandwiches probieren.“

Sie atmete tief ein. „Die riechen köstlich, oder?“

„Ich werte das als ein Ja.“

Er drehte sich um und gab dem Chef seines Sicherheitsteams eine Anweisung in seiner Muttersprache. Der Mann grinste und stellte sich am Imbisswagen an.

Sie gingen weiter, während sie aßen. Zwischendurch lachten sie und mussten aufpassen, dass sie ihr Essen nicht fallen ließen.

„Ich hätte Sie in ein Restaurant führen sollen“, sagte Thierry, als sie nach dem Essen skeptisch ihre beschmierten Hände betrachtete.

„Oh, nein, auf keinen Fall. Das hat Spaß gemacht.“ Sie lachte und zog ein Päckchen Taschentücher aus ihrer Tasche, um sich die Hände abzuwischen.

Thierrys Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln, wie er es so oft getan hatte, seit er sie getroffen hatte. Was an ihr war es, das sich so richtig anfühlte?

Er sah sie an. „Tanzen Sie?“

Angel lachte. „Wollen Sie wissen, ob ich tanzen kann oder ob ich jetzt tanzen möchte?“

Thierry zuckte mit den Schultern. „Beides, schätze ich.“ Er hatte plötzlich das Bedürfnis, sie in die Arme zu nehmen.

„Ich bin aber nicht ganz passend angezogen“, warf Angel zweifelnd ein.

„Sie sehen wundervoll aus. Ich habe von einem kleinen Lokal in der Nähe gehört. Das ist nicht so überlaufen wie die großen Clubs. Man kann tanzen oder sich unterhalten oder einfach nur zuschauen.“

„Hört sich gut an.“

„Sollen wir?“

Sie grinste zurück. „Ja, gehen wir.“

„Gut.“ Er nahm sie bei der Hand. Wieder war er von der Zartheit ihrer Finger und der Feinheit ihrer Haut überrascht.

Wie würde es sich wohl anfühlen, wenn Sie ihn beim Liebesspiel berührte? Wäre ihre Berührung fest oder sanft? Würde sie die Konturen seines Körpers mit zarter Raffinesse umspielen und ihn dabei auf die Folter spannen oder wäre sie entschlossener, fordernder?

Brüsk schüttelte er diese unanständigen Gedanken ab. Anscheinend war doch mehr von seiner Mutter in ihm, als er gedacht hatte. Trotzdem, mit einer anderen Frau zu tanzen, war kein Verstoß gegen die Regeln. Auf Staatsempfängen musste er das ständig tun.

Er führte sie in Richtung eines Clubs, den er während seines letzten New-York-Aufenthalts besucht hatte, und schickte Arnaud voraus, um sicherzustellen, dass sie eingelassen würden. Die Nacht war noch jung, und er war noch nicht bereit, den gemeinsamen Abend zu beenden.

Sie beim Tanzen in die Arme zu nehmen, war alles, was er sich erhoffte. Das einzige Problem war, dass er mehr wollte, und das hatte er sich bis zu seiner Hochzeit verboten. Er betrachtete den Akt der Liebe als etwas Heiliges. Etwas, das er mit seiner Ehefrau teilen würde und mit niemandem sonst. Er war nicht aus reinem Vergnügen bis zum heutigen Tag enthaltsam geblieben. Manchmal war es eine Qual gewesen, aber er hatte sich bereits in jungen Jahren geschworen, dass seine körperlichen Bedürfnisse nicht alles andere in seinem Leben überschatten würden.

Er hatte stets geglaubt, die Anfälligkeit seiner Vorfahren für fleischliche Genüsse sei ein Zeichen von Schwäche, und in den letzten Jahren war nichts geschehen, das ihn veranlasst hätte, seine Meinung zu ändern. Nichts, außer vielleicht der jungen Frau, die gerade mit ihm tanzte. Dennoch verwehrte er sich alles andere, außer dem Gefühl, sie in den Armen zu halten, wie sie mit den Brüsten seinen Brustkorb streifte, ihren warmen Atem an seinem Hals. Das waren Reize und Qualen, die er überwinden konnte. Wenn er in ein paar Stunden ins Flugzeug stieg, würde er das mit dem ruhigen Gewissen tun, dass er seinen Schwur nicht gebrochen hatte.

Doch bis dahin würde er diese gestohlene Nacht so weit genießen, wie seine Ehre es ihm erlaubte.

Die Nacht war magisch gewesen. So wundervoll, wie sie es sich nicht einmal in ihren wildesten Träumen hätte vorstellen können. Als die Limousine, die vor dem Club gewartet hatte, vor ihrem Hotel hielt, drehte sie sich zu Prinz Thierry um. Heute Nacht hatte sie eine Seite von ihm kennengelernt, die sie nicht erwartet hatte, und sie war vollkommen hingerissen.

Vielleicht hatte der Champagner, den sie im Club getrunken hatten, etwas damit zu tun, oder die Vorstellung, dass sie ihm am Ende des Monats unter dem ehrwürdigen Kuppeldach der Palastkathedrale von Silvanien ewige Treue schwören würde, aber in diesem Moment fühlte sie sich, als schwebte sie auf Wolken.

Zumindest hatte sie nun eine Vorstellung davon, wie Thierry wirklich war, fernab von Pomp und Zeremonien. Wenn sie erst verheiratet waren und etwas mehr Zeit zu zweit verbringen konnten, würden sie einander wichtig werden, davon war sie überzeugt.

Er war heute Nacht der perfekte Gentleman gewesen. Das erste Mal in ihrem Leben hatte sie sich wie eine begehrenswerte Frau gefühlt, die so selbstbewusst war, dass sie ihn als Ehefrau glücklich machen konnte.

Sie drehte sich um und sah ihm ins Gesicht. „Danke, Hawk. Das war ein wundervoller Abend. Ich werde ihn niemals vergessen.“

Er nahm ihre Hand, führte sie an seine Lippen und streifte mit einer zärtlichen Geste ihre Fingerknöchel. Eine Welle des Verlangens überrollte sie.

„Das werde ich auch nicht.“

Thierry beugte sich vor, offensichtlich um sie auf die Wange zu küssen, aber im letzten Moment drehte Mila ihren Kopf, sodass ihre Lippen sich streiften. Es war nur eine leichte Berührung, süß und unschuldig, und doch weitete sich in diesem Moment etwas in ihrer Brust, das sie zu überwältigen drohte. Sie war bis ins Mark erschüttert.

Unfähig etwas zu sagen, drehte sie sich weg, tastete wie blind nach dem Türöffner und stolperte leicht, als sie die Behaglichkeit seines Wagens verließ. Sie schaute nicht zurück. Sie konnte es nicht. Hätte sie es getan, hätte sie mehr verlangt, und das hier war weder der richtige Ort, noch war es die richtige Zeit dafür.

Rasch durchquerte sie die Lobby des Hotels, erreichte den Fahrstuhl und fuhr nach oben in Richtung Penthouse. Sie riss sich die blonde Perücke vom Kopf und starrte auf ihr Abbild im Spiegel des Fahrstuhls. Für Thierry war sie heute Nacht eine Fremde gewesen, und er hatte ihre Gesellschaft genossen. Würde er das auch tun, wenn er die wahre Angel traf, oder würde er sich an das pummelige Mädchen von damals erinnern? Die Antwort auf diese Frage würde sie bald erhalten.

4. KAPITEL

„Bist du von allen guten Geistern verlassen? Was, wenn die Medien davon Wind bekommen? Hast du daran überhaupt nur einen Gedanken verschwendet? Die zerreißen dich in der Luft, und ganz Silvanien wird gegen dich sein, bevor du überhaupt das Land betreten hast.“

Mila lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und wartete darauf, dass die Schimpftirade ihres Bruders vorbeiging. Es sah jedoch nicht so aus, als ob das sehr bald der Fall sein würde. Gerade begann er von Neuem, Dampf abzulassen, während er auf dem kostbaren persischen Teppich in seinem Amtszimmer auf und ab lief wie ein Tiger im Käfig. Sie hielt den Kopf gesenkt und sagte kein Wort.

„Du bist nicht zu solch einem Verhalten erzogen worden. Was hast du dir dabei gedacht, dich wie eine Streunerin davonzuschleichen? Hat deine Freundin, diese Sally, dich dazu angestiftet?“

Ärger kam in ihr auf. „Moment mal …“, protestierte sie, aber Rocco schnitt ihr mit einem zornigen Blick das Wort ab.

„Du bist die Prinzessin von Erminien. Prinzessinnen stehlen sich nicht abends aus Hotelzimmern davon, um die Nacht mit einem Fremden zu verbringen.“

Es sei denn, man lebt in einem Märchen, fügte Mila in Gedanken hinzu. Außerdem war Prinz – nein König – Thierry kein Fremder mehr für sie. Zumindest kein völlig Fremder. Aber sie würde Roccos Wutanfall aushalten. Im Moment war es besser, er wusste nicht, mit wem sie die Nacht verbracht hatte. Dieses Geheimnis trug sie gut behütet in ihrem Herzen.

Rocco ging zu dem großen, gewölbten Fenster hinüber, das freie Aussicht auf die Landschaft rund um den Palast bot. Mila sah an ihrem Bruder vorbei nach draußen in die Freiheit. Eine Freiheit, die sie niemals wieder wirklich kosten würde. Die Anonymität in den USA war ein Segen gewesen, aber nun, da sie wieder zu Hause war, musste sie sich ans Protokoll halten, und das bedeutete, sie musste tun, was ihr Bruder anordnete. Das machte ihre Rückkehr dieses Mal um so vieles schwerer.

„Nun, Rocco, was wirst du tun? Mich in den Kerker werfen lassen?“

Ihr Bruder drehte sich zu ihr um, und sie bemerkte plötzlich, um wie viel er in letzter Zeit gealtert war. Ohne Zweifel hatte auch sie einen Anteil an den grauen Haaren, die seine Schläfen nun zierten, und das schmerzte sie. Sie liebte ihren Bruder, und es lag ihr fern, ihm Kummer zu bereiten. Sie wünschte nur, er würde ihr von Zeit zu Zeit zuhören und sie ernst nehmen.

„Das sollte ich vielleicht wirklich tun“, grollte er. „Solche Kapriolen waren wahrscheinlich vorprogrammiert, als ich dir vor sieben Jahren so viel Freiraum gewährt habe. Ich habe dir erlaubt, ins Ausland zu gehen, um ein Studium zu absolvieren, nicht um unseren Namen in Misskredit zu bringen.“

Er nahm einen tiefen Atemzug. „Ich hatte Mitleid mit dir, Mila. Du warst erst ein Teenager, als du dich mit einem älteren Mann verloben solltest, den du kaum kanntest. Ich verstand, dass dich das verunsicherte. Du warst so unreif, so naiv.“ Er seufzte und drehte sich für einen Moment von ihr weg.

Seine Beschreibung empörte sie. Naiv? Ja, natürlich war sie naiv gewesen. Bei der strengen und restriktiven Erziehung, die sie genossen hatte, war das auch kein Wunder. Das war auch einer der Gründe, aus denen sie Rocco gebeten hatte, im Ausland studieren zu dürfen. Wie sollte sie schließlich ein Volk regieren, wenn sie nichts über normale Menschen und ihre täglichen Freuden und Sorgen wusste?

Rocco fuhr mit seiner Ansprache fort. „Und so war ich einverstanden, als du mich um mehr Zeit gebeten hast. Ich dachte wirklich, es wäre das Beste für dich und würde dazu beitragen, eurer zukünftigen Beziehung eine stabile Basis zu geben. Ich hätte ahnen müssen, dass die fehlende Struktur in deinem Leben dich vom richtigen Weg abbringen würde.“

Fehlende Struktur? Mila biss sich auf die Zunge. Obwohl ihr Leben in Boston anders gewesen war als hier im Palast – wie um alles in der Welt stellte Rocco sich vor, dass sie ohne Struktur ihr Studium absolviert hatte?

Aber ihr Bruder war jetzt so richtig in Fahrt. „Nicht einmal ich kann die Zeit zurückdrehen. Du bist nun wieder daheim und wirst dich auf deine Hochzeit vorbereiten. In vier Wochen ist es so weit. Bis dahin will ich keine falsche Bewegung und nicht den Hauch eines Skandals erleben. Hast du mich verstanden? Die Stabilität zweier Nationen hängt davon ab, wie gut du die Aufgabe erfüllst, auf die du dein Leben lang vorbereitet wurdest.“

Da war er wieder. Der Mühlstein, der um ihren Hals hing. Sie hatte keinen Wert als eigenständiges Wesen, sondern nur als passende Frau für einen mächtigen Mann.

„Und die Beerdigung des Königs diese Woche? Soll ich daran nicht als Zeichen meiner Ehrerbietung teilnehmen?“

„Nein. Du bleibst hier.“

Mila sah ihrem Bruder fest in die Augen. Sie hasste es, ihn so zu sehen. So wütend und besorgt. Also sagte sie, was er von ihr erwartete. „Ich verstehe. Ich werde tun, worum du mich gebeten hast.“

Aber er hatte sie nicht gebeten, er hatte es angeordnet. Zu keinem Zeitpunkt während ihrer Audienz bei ihm – anders konnte sie es nicht nennen – hatte Mila das Gefühl gehabt, er hätte sich gefreut, seine kleine Schwester wieder bei sich zu haben. Stattdessen fühlte es sich so an, als wäre sie nichts als eine Bürde, die es galt loszuwerden.

Nicht ein Wort der Anerkennung für ihr erfolgreiches Studium. Weder hatte er ihren sehr guten Hochschulabschluss erwähnt, noch die Veröffentlichung ihrer Abhandlung über Chancengleichheit und nachhaltige Entwicklung in Europa.

Sie sah, wie die Anspannung aus seinem Körper wich. Seine Augen, bernsteinfarben wie die ihren, nur etwas heller, blickten nun sanfter.

„Danke. Du verstehst das doch, oder? Ich bitte dich nicht um meinetwillen, sondern für unser Volk. Und für dein eigenes Wohlergehen, denn ich kann nicht mitansehen, dass du die Chance verspielst, das Vertrauen und den Respekt deines zukünftigen Ehemanns zu gewinnen.“

Da war er. Der Bruder, den sie so sehr liebte. Der Bruder, der sie während ihrer Kindheit stets beschützt und verteidigt hatte. Doch dieser kurze Moment war alles, was ihr vergönnt war, denn sofort erschien der formelle Ausdruck eines Königs wieder auf seinem Antlitz.

„Ich verstehe.“ Sie senkte leicht den Kopf.

Und sie verstand. Auch wenn sich ihr Innerstes mit aller Macht dagegen sträubte. Ihr Wert für die Ziele ihres Bruders und ihres zukünftigen Ehemanns bestand in ihrer Enthaltsamkeit und ihrem untadeligen Ruf. Ihr Wissen, ihre Pläne für eine bessere Gesellschaft, sogar das Selbstvertrauen, das sie in den letzten Jahren gewonnen hatte, waren für die Gesellschaft weit weniger wichtig als ihr Ruf.

„Du scheinst dich nicht gerade auf deine Hochzeit zu freuen“, bemerkte Rocco. „Ich hatte gedacht, du wärst schon etwas aufgeregt deswegen.“

Mila seufzte. „Rocco, ich bin kein kleines Mädchen mehr. Ich bin eine erwachsene Frau mit einer eigenen Persönlichkeit, und ich bin im Begriff, einen Mann zu heiraten, den ich kaum kenne.“

Er trat zu ihr, legte einen Finger unter ihr Kinn und hob es leicht an, sodass sie ihm in die Augen sah. „Du hast dich verändert.“

„Natürlich habe ich mich verändert. Ich bin erwachsen geworden.“

„Nein, es ist mehr als das.“ Eine Falte erschien zwischen seinen Brauen, und seine Augen verengten sich. „Bist du noch …? Hast du …?“

Um ein Haar wäre Mila explodiert. „Was? Du fragst mich tatsächlich, ob ich noch Jungfrau bin? Denkst du wirklich, ich würde unsere Familie kompromittieren und meine Unschuld bei einem One-Night-Stand einfach so wegwerfen?“

Rocco war die Farbe aus dem Gesicht gewichen. „Ich erlaube nicht, dass du so mit mir sprichst. Ich bin zwar dein Bruder, aber vor allem bin ich dein König.“

Mila beugte sich vor und machte einen Knicks. „Majestät, ich bitte um Vergebung.“

„Mila, halte mich nicht zum Narren.“

Sie erhob sich, vermied jedoch seinen Blick. „Ich halte dich nicht zum Narren. Ich bin mir meiner Stellung in der Welt bewusst. Ich werde meiner Pflicht nachkommen, und du kannst dir sicher sein, dass ich unberührt in die Ehe gehe. Für den Fall, dass du mir nicht glaubst, kannst du gern den königlichen Hofarzt zu einer Untersuchung heranziehen.“

„Mila …“

„Ich glaube, ich habe jetzt eine Anprobe. Wenn du mich entschuldigen würdest?“ Sie drehte sich um, noch bevor er sie mit der Hand berühren konnte, die er nach ihr ausgestreckt hatte.

Später, als sie unter dem Gewicht des Spitzenkleids aus Dupionseide herumzappelte, das ihr gerade angepasst wurde, konnte sie nicht anders, als an den Abschiedskuss zu denken, den Thierry ihr gegeben hatte. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie ihn beinahe wieder spüren und riechen. Der dezente Duft seines Aftershaves, ein würziger Duft nach Erde und Holz, hatte sie beinahe wahnsinnig gemacht. Ein Wonneschauer durchfuhr sie, wurde jedoch vom Stich einer Nadel in ihren Oberschenkel abrupt beendet.

„Es tut mir sehr leid, königliche Hoheit, aber wenn Sie noch einen kleinen Moment stillhalten könnten …“ Der Frust war der Schneiderin an ihrem Tonfall anzuhören.

„Nein, ich bin es, die sich entschuldigen muss“, versicherte Mila hastig. „Ich war unkonzentriert.“

Sie heftete ihren Blick auf die Wand und stand still. Sie drehte sich und hob oder senkte die Arme je nach Bedarf wie eine Marionette. Plötzlich wurde ihr klar, dass sie genau das für ihren Bruder war: eine Marionette, die zum Wohl des Landes manipuliert werden konnte. Der Gedanke versetzte ihr einen Stich. Es würde weit weniger Druck auf ihr lasten, wenn Rocco selbst geheiratet hätte. Doch das Mädchen, das er in seinen späten Teenagerjahren geliebt hatte, hatte sich gegen ein Leben am Hof entschieden. Seitdem war er romantischen Verwicklungen aus dem Weg gegangen.

Roccos Krone mochte ihn schwer drücken, sie selbst hatte es aber auch nicht leicht. Doch es gab einen Hoffnungsschimmer. Thierry und sie waren sich intellektuell ebenbürtig, und er hatte ihre Meinung in den gemeinsamen Gesprächen respektiert.

Wenn er einer Fremden seine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, würde er doch sicher das Gleiche für seine Ehefrau tun, oder?

Es war zwei Uhr morgens, und Mila war hellwach. Jetlag. Der Tag war anstrengend gewesen. Der lange Flug, gefolgt von dem schrecklichen Treffen mit ihrem Bruder – eigentlich hätte sie todmüde sein müssen. Seufzend schlug sie ihre Bettdecke zurück und angelte nach ihrem Morgenmantel.

Vielleicht würden ihr etwas warme Milch und ein paar Kekse helfen, so wie Cookie sie ihr als Kind immer gegeben hatte. Nachdem sie sich angezogen hatte, ging Mila in Richtung der Treppe für Hausangestellte im hinteren Teil des Schlosses. Ihre Hauspantoffeln verursachten kaum ein Geräusch auf der steinernen alten Treppe, und im Schloss war es ganz still und ruhig.

Zu ihrer Verwunderung vernahm sie Stimmen, die von unten kamen. Natürlich gab es auch nachts einige Angestellte, die in Bereitschaft waren, aber Gregor, der dienstälteste Steward war für gewöhnlich um diese Zeit nicht mehr auf den Beinen. Für einen Moment wollte sie die Stimmen ignorieren, zumal sie die zweite weibliche Stimme kaum verstehen konnte, doch dann weckte etwas ihre Neugier. Thierrys Name war soeben gefallen.

Vorsichtig näherte Mila sich der angelehnten Tür und begann zu lauschen.

„Sind Sie da ganz sicher?“, fragte der Steward.

„Ja, Sir. Mein Großcousin arbeitet für den Privatsekretär des Königs von Silvanien. Er hat das Schreiben gesehen, in dem die … Dienste … der jungen Frau angefordert wurden.“

„Und was hat Ihr Cousin vor mit dieser Information, die er so bereitwillig mit Ihnen geteilt hat?“

„Oh, Sir, er hat es ja nicht bereitwillig getan. Ich meine, er hat es nicht getan, um es herumzutratschen.“

„Aus welchem Grund hat er es dann getan?“

Mila hörte, wie die junge Frau ein Geräusch machte, als wäre sie den Tränen nahe. „Oh, bitte. Ich möchte nicht, dass er in Schwierigkeiten kommt. Es hat ihn einfach beunruhigt, dass der König so kurz vor seiner Hochzeit die Dienste einer Kurtisane in Anspruch nehmen will, vor allem, wo es doch im Palast allseits bekannt ist, dass der Prinz sich für seine zukünftige Gemahlin aufsparen wollte.“

Eine Kurtisane? Milas Ohren summten, während das Wort in ihrem Kopf widerhallte, und sie spürte einen dumpfen Schmerz in der Magengegend.

Ein Geräusch wie von Aufbruch drang aus dem Büro des Stewards, und so flüchtete Mila rasch in ein benachbartes Zimmer. Hier war es still und dunkel. Sie starrte auf die geschlossene Tür. In ihrem Kopf jagten die Gedanken wild umher.

Thierry hatte eine professionelle Mätresse engagiert? Warum würde er so etwas tun wollen? Hatte sie sich so sehr in ihm getäuscht? Ihre Begegnung in New York war wundervoll gewesen, geradezu magisch, und es hatte keinerlei Anzeichen dafür gegeben, dass er körperliche Intimität suchte. Irgendwie machte das alles keinen Sinn.

Mila hörte jemanden den Gang hinuntereilen, wahrscheinlich das Zimmermädchen, das Gregors Büro verließ. Sie wartete einen Augenblick, um zu hören, ob Gregor ebenfalls ging. Was sollte sie jetzt tun? Sie konnte sich nicht weigern, Thierry zu heiraten, und sie wollte es eigentlich auch nicht. Aber wie konnte sie eine gemeinsame Zukunft mit einem Mann in Betracht ziehen, der bereits dabei war, eine Mätresse in das Heim zu holen, das er eigentlich nur mit ihr selbst teilen sollte?

Sollte ihre Ehe denn wirklich nicht mehr sein als ein Friedensvertrag zwischen zwei Nachbarstaaten? Tränen brannten in ihren Augen, aber sie kämpfte wütend gegen sie an. Sie würde jetzt keine Schwäche zeigen. Sie musste einen Weg finden, ihn an seinem Vorhaben zu hindern. Denk nach! Schließlich war die Gleichstellung der Frau ein Thema, über das sie bestens informiert war. Und nun stand sie hier und kämpfte mit den Tränen. Mila löste ihre Arme, straffte ihren Körper und hob das Kinn. Sie war eine Prinzessin. Es war an der Zeit, wie eine zu denken und zu handeln.

Ein Plan formte sich in ihrem Kopf. Ein Plan, der so unvernünftig und verwegen war, dass es ihr beinahe den Atem verschlug. Sogar Sally wäre stolz auf sie. Aber könnte sie den Plan wirklich in die Tat umsetzen? Sie würde Hilfe brauchen, so viel stand fest.

Wie wichtig war ihr eine glückliche Ehe? Wollte sie lediglich das Aushängeschild der Königsfamilie sein, oder wollte sie Thierry als ihren wirklichen Ehemann, und zwar auf emotionaler und körperlicher Ebene? Die Antwort war überwältigend einfach. Sie wollte es. Wollte ihn . Ganz und gar.

Mila griff nach der Türklinke, trat auf den Korridor und ging entschlossen auf Gregors Büro zu.

5. KAPITEL

„Aber königliche Hoheit“, protestierte Gregor. „Was Sie da vorschlagen … das grenzt ja an eine Straftat. Was heißt hier grenzt, Kidnapping ist strafbar.“

„Gregor, es ist deine Prinzessin, die dich darum bittet“, sagte sie gebieterisch und hasste sich selbst dafür, diesen Ton anzuschlagen. „Ich hege nicht den Wunsch, am Tag meiner Hochzeit das zu nehmen, was eine andere von meinem zukünftigen Ehemann übrig gelassen hat.“ Sie packte den Stier direkt bei den Hörnern.

Gregor stieg die Schamesröte ins Gesicht. Man redete nicht über solche Sachen mit einem Mitglied der Königsfamilie, schon gar nicht mit der Prinzessin. Mila sah ihm fest in die Augen. Er hielt ihrem Blick stand, als könnte er sie damit von ihrer Idee abbringen, doch dann wurde ihm klar, dass ihr Entschluss feststand, ob er ihr nun half oder nicht. „Ich verstehe, Madam.“

Und das tat er wirklich, das sah sie in seinen Augen.

„Dann werden Sie mir also helfen?“, drängte sie.

„Ihre Sicherheit hat höchste Priorität, Madam. Wenn Sie in Gefahr geraten …“

„Das wird nicht passieren“, unterbrach Mila ihn. „Zuerst müssen wir jedoch herausfinden, wer diese ‚Kurtisane‘ ist“ – sie sprach das Wort mit leichtem Widerwillen aus – „und auf welchem Weg sie anreist. Davon hängt alles andere ab.“

„Das wird nicht einfach, Madam.“

„Aber die Mühe lohnt sich“, sagte Mila und ignorierte die Gewissensbisse tief in ihrem Inneren. „Und Gregor, danke!“

„Ihr Wunsch ist mir Befehl, Madam.“ Gregor verbeugte sich tief. „Ihr Volk wünscht sich, dass Sie glücklich werden.“

Thierry riss sich den Schwertgürtel von der Hüfte, den er während der Zeremonie getragen hatte, und warf das Schwert achtlos aufs Bett.

„Nico“, rief er. „Helfen Sie mir sofort aus dieser Verkleidung!“

Sein Kammerdiener eilte aus dem Ankleidezimmer herbei und half Thierry, die formelle Uniform abzulegen, die er heute Nachmittag bei der Beerdigung seines Vaters getragen hatte.

Der Tag hatte kein Ende nehmen wollen. Erst die übermäßig lange Prozession vom Palast zur Kathedrale, bei der er hinter dem Sarg seines Vaters hergeschritten war. Er hatte sich durch die grauenhafte Parade voller Pomp und Zeremonie gequält, gefolgt von der endlos langen Messe in der Kathedrale, und schließlich kam die private Bestattung in der königlichen Gruft hier im Palast. Das alles war ernüchternd gewesen und erinnerte ihn daran, was in den nächsten Jahren auf ihn zukommen würde.

Darauf und auf nichts anderes war er seit seiner Kindheit vorbereitet worden, und seinen Kindern würde es ebenso ergehen. Kinder. Er hatte noch nie daran gedacht, wie es wäre, Vater zu sein. Er erinnerte sich nur an seine eigene unglückliche Kindheit, in der seine Eltern stets Distanz gewahrt hatten und von ihm erwartet wurde, dass er unter allen Umständen Respekt und Ehrerbietung zeigte.

„Kann ich noch irgendetwas für Sie tun, Majestät?“ Nico trug das schwere Gewand aus dem Zimmer.

„Heute nicht mehr, danke, Nico. Es tut mir leid, dass ich gerade so unhöflich war.“

„Keine Ursache. Der Tag war sehr anstrengend für Sie.“

Anstrengend. Ja, das kann man wohl sagen, dachte Thierry, als er zu dem Badezimmer aus massivem Marmor hinüberging, das an sein Schlafzimmer grenzte. Er streifte die Boxershorts ab und stieg in die Dusche. In einer Stunde hatte er ein Meeting mit König Rocco von Erminien. Ein Pflichttermin, aber einer, der durchaus produktiv sein könnte. Hatten sie doch beide das gleiche Ziel: Frieden zwischen beiden Nationen und die Öffnung der Grenzen, was sich positiv auf die Wirtschaft beider Länder auswirken würde.

Natürlich gab es in ihren jeweiligen Regierungen immer noch argwöhnische Politiker von gestern, die den Status Quo gern aufrechterhalten wollten. Doch es war höchste Zeit, dass beide Nationen an positiven Veränderungen wuchsen, anstatt sich auf ewig hinter alten Vorurteilen zu verschanzen.

Das warme Wasser löste die Verspannungen in seinem Nacken und seinen Schultern. Thierry wünschte, er könnte sich heute Abend in sein Jagdschloss in den Bergen zurückziehen, aber er musste sich an den Terminplan halten, den andere für ihn aufgesetzt hatten.

Später in seiner Bibliothek zog Thierry den schweren Kristallverschluss von einer Karaffe und blickte zu dem kräftig gebauten dunkelhaarigen Mann, der bequem in einem Sessel nahe dem Fenster saß.

„Brandy?“, fragte er.

„Eigentlich würde ich gerade alles für ein Bier geben“, antwortete sein Gast, der König von Erminien, mit einem sympathischen Lächeln, das für einen Moment den ernsten Ausdruck auf seinem Gesicht vertrieb.

Thierry lächelte zurück. „Glas oder Flasche?“

„Die Flasche ist aus Glas, oder?“, gab Rocco zurück.

Ein Mann ganz nach seinem Geschmack, entschied Thierry, als er die Tür des Kühlschranks öffnete, die hinter einem antiken Wandschrank versteckt war, und zwei Bierflaschen herausnahm. Thierry öffnete die Flaschen, reichte Rocco eine davon, und beide nahmen einen tiefen ersten Schluck.

„Ist das eine lokale Sorte?“, fragte Rocco.

Thierry nickte.

„Ich glaube nicht, dass es die in Erminien gibt. Das sollten wir ändern, neben einigen anderen Dingen.“

Und da waren sie schon beim Kern ihres Treffens. Die bevorstehende Hochzeit mit Roccos Schwester. Thierry versuchte, Interesse zu zeigen, doch es war sehr lange her, dass er Prinzessin Mila gesehen hatte, und das erste Treffen war damals nicht gut verlaufen. Ihrem Blick nach zu urteilen, war sie kurz davor gewesen, sich direkt vor seinen Füßen zu übergeben.

Nein, wies er sich selbst zurecht. Das war nicht fair. Sie war noch ein halbes Kind gewesen, wohlbehütet aufgewachsen und nervös, ihrem zukünftigen Ehemann das erste Mal gegenüberzustehen. Was hatte er erwartet? Eine wunderschöne, weltoffene Frau, mit der er tiefgehende Gespräche über seine Lieblingsthemen führen konnte?

Für einen Moment blitzte die Erinnerung an eine Frau in ihm auf, die genau das gewesen war. Seit seinem Abend mit Angel war weniger als eine Woche vergangen, doch es fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Er verdrängte die Erinnerung an sie, doch seine körperliche Reaktion konnte er nicht kontrollieren. Ein Gedanke an sie, und schon wurde er von einem unstillbaren Verlangen gepackt.

Thierry nahm noch einen Schluck von dem Bier und wandte sich wieder seinem Gast zu.

„Wie geht es Mila? Hat sie ihre Zeit in den USA genossen?“

Und, peng, da war sie wieder. Die Erinnerung an seinen eigenen Aufenthalt in den USA und die Nacht mit Angel. An den Duft ihrer Haut beim langsamen Tanzen, an den süßen Geschmack ihrer Lippen beim Abschied.

Er bemerkte, dass Rocco etwas gesagt hatte und auf eine Antwort wartete. „Tut mit leid“, entschuldigte er sich schnell. „Könnten Sie das noch einmal wiederholen?“

„Träumen Sie schon von Ihrer Braut?“, fragte Rocco mit einem angespannten Lächeln. „Ich sagte, dass sie gebildet und gereift in ihre Heimat zurückgekehrt ist. Wenn Sie sich gut um sie kümmern, wird sie Ihnen eine höchst passende Gemahlin sein, da bin ich sicher.“

Roccos Beschützerinstinkt klang unmissverständlich in seiner Stimme mit. Er konnte beruhigt sein, denn Thierry hegte nicht die Absicht, seine Braut auf irgendeine Weise zu verletzen. Im Gegenteil, er hatte bereits Maßnahmen in die Wege geleitet, um sie in ihrer Beziehung zufriedenzustellen, innerhalb und außerhalb des königlichen Schlafgemachs. Aber das war kein Thema für ein Gespräch mit dem Bruder seiner Verlobten.

Es dauerte nicht lange, und sie wandten sich anderen Themen zu, die sich um die Versöhnung beider Nationen drehten. Als sich Rocco nach drei Stunden verabschiedete, hatten sie eine Abmachung getroffen. Während Prinzessin Milas Glück von äußerster Wichtigkeit war, nahm das Wohlergehen beider Nationen, deren Versöhnung und Streben nach Wachstum und Wohlstand, einen ebenso hohen Stellenwert ein.

Eines hatten sie ebenfalls klargestellt: Sollte die Beziehung zwischen Thierry und seiner Braut scheitern, wäre der noch zerbrechliche Frieden zwischen beiden Ländern in Gefahr, und die schlechte Wirtschaftslage seines Landes würde sich weiter verschärfen. Sogar ein Krieg wäre eine unwahrscheinliche, aber mögliche Konsequenz.

Als sich die Tür hinter seinem Gast schloss, nahm Thierry die Karaffe in die Hand und goss sich einen Brandy ein. Er sah aus dem Fenster. Was seine Braut wohl gerade tat?

Er hoffte, sie war gut vorbereitet auf das Leben, das sie erwartete. In ihrem Kalender waren bereits Termine eingetragen, die sie wahrnehmen musste, sobald sie beide von ihren Flitterwochen zurückkehrten. Auch vor den unbarmherzigen Augen der Klatschpresse würde er sie nicht so gut beschützen können, wie sie es bisher gewesen war. Doch was konnte er tun, um sie glücklich zu machen?

Eines hatte er während seiner Kindheit gelernt: Wenn das Königspaar nicht in jeder Hinsicht absolut vereint war, litt das ganze Land darunter.

Deshalb hatte er sichergestellt, dass er auf die Erfüllung seiner ehelichen Pflichten und Freuden gut vorbereitet wurde. Bevor er seiner Braut das Ja-Wort gab, würde er lernen, wie er sie in jeglicher Hinsicht befriedigen konnte. Natürlich unter strengem Ausschluss der Öffentlichkeit, und die Lektionen würden rein theoretischer Natur sein. Er wollte wissen, was es brauchte, um eine Frau zu verführen, nicht nur auf körperlicher, sondern auch auf emotionaler und spiritueller Ebene, damit sie ihre Erfüllung nicht außerhalb ihrer Ehe suchen musste.

Er wollte eine glückliche und stabile Beziehung, und er wollte, dass auch seine Kinder dieses Glück und diese Geborgenheit erfuhren. War das zu viel verlangt? Er glaubte es nicht.

6. KAPITEL

„Das ist absolut unerhört! Ich bin im Besitz diplomatischer Papiere.“

Von dem Nebenraum, in dem Mila sich versteckt hielt, konnte sie die Frau hören, wie sie mit dem erminischen Grenzbeamten diskutierte. Mila blickte auf, als Gregor plötzlich das Zimmer betrat.

„Haben Sie ihre Papiere?“, fragte Mila und stand eilig auf.

Sie sah sich den Pass der Frau genauer an. Langes dunkles Haar wie sie selbst. Auch die Gesichtsform war ähnlich. Solange sich niemand allzu sehr auf ihre Größe oder Augenfarbe konzentrierte, konnte es funktionieren. Mila war bereits im Vorfeld über die Garderobe informiert worden, die die Frau auf der Reise trug, und war identisch gekleidet. Nicht einmal die Sonnenbrille mit den großen Gläsern und der exklusive Hermès-Schal fehlten. Glücklicherweise garantierten ihr die Papiere, die Ottavia Romolo abgenommen worden waren, eine direkte Einreise nach Silvanien.

Milas Nerven waren bis zum Zerreißen angespannt. Nervös setzte sie sich die Sonnenbrille auf. „Wünschen Sie mir Glück, Gregor.“

„Viel Glück, Madam“, antwortete er automatisch, doch sein Gesichtsausdruck verriet große Besorgnis.

Mila lächelte ihm zu. „Machen Sie sich nicht so viel Sorgen, Gregor. Ich dringe ja nicht unter Beschuss in feindliches Gebiet ein.“

„Sie stehen nicht unter Beschuss, aber ich, wenn Ihr Bruder herausfindet, was Sie getan haben und ich Ihnen dabei geholfen habe.“

„Dann müssen wir sicherstellen, dass er es nicht herausfindet. Haben Sie das Hotelzimmer und das Sicherheitsteam für Ms. Romolo organisiert?“

„Haben wir. Ihr wird es gut gehen.“

„Gut.“ Mila straffte ihre Schultern. „Dann kann es losgehen.“ Darauf bedacht, möglichst nicht aufzufallen, machte Mila sich auf den Weg zum Ausgang und trat durch die Tür nach draußen.

Die Luft war kühl, und es roch nach Kiefern. Mila nahm einen tiefen Atemzug und ging selbstbewusst auf die wartende Limousine zu. Gregor nickte dem Beamten zu, der die Überprüfung des Fahrzeugs überwachte, und dieser gab einen kurzen Befehl an die Grenzwachen, die sofort vom Fahrzeug zurücktraten und den Fahrer passieren ließen. Mila ließ sich in den Sitz sinken und schnallte sich an. Mit einem Lächeln sah sie zu Gregor auf.

„Danke, Gregor, das werde ich Ihnen nie vergessen.“

Er nickte ihr zu und schloss die Tür.

„Ich bitte um Verzeihung für die Verzögerung, Ms. Romolo“, sagte der Fahrer durch die Wechselsprechanlage. „Diesen Erminiern kann man einfach nicht über den Weg trauen. Ich werde versuchen, den Zeitverlust wiedergutzumachen. Gegen 19.30 Uhr sollten wir unser Ziel erreichen.“

„Vielen Dank. Ich werde mich jetzt etwas ausruhen.“

„Wie Sie wünschen, Ms. Romolo. Ich lasse es Sie wissen, wenn wir uns dem Anwesen nähern.“

Während der letzten Tage hatte Mila alles versucht, um den Standort von Thierrys kleinem Jagdschloss herauszufinden, aber das Geheimnis war zu gut gehütet. Das kam ihrem Plan natürlich nur zugute, so würden sie von niemandem gestört werden. Ihr Bruder befand sich glücklicherweise für mindestens eine Woche auf Reisen.

Allerdings hatte der Kommentar des Fahrers sie zum Nachdenken gebracht. Es war eindeutig gewesen, wie er über ihr Volk dachte. Ging es den meisten Einwohnern von Silvanien ähnlich? Wenn das so war, kam ihrer Rolle als Thierrys Frau noch mehr Bedeutung zu. Nicht nur, dass sie das Herz ihres Ehemanns und das seines Volkes für sich gewinnen musste. Sie musste dies im Namen ihres eigenen Volkes und des Landes tun, das sie zurücklassen würde.

Mila biss sich nachdenklich auf die Unterlippe und starrte aus dem Fenster auf die vorüberziehende Landschaft. Sie wollte eine starke Bindung in ihrer Ehe mit Thierry, und deshalb würde sie als Erstes dafür sorgen müssen, dass er keine andere Frau außer ihr selbst in seinem Bett haben wollte. Dafür hatte sie ein enormes Risiko in Kauf genommen. Es gab kein Zurück mehr. Ihr Plan musste einfach funktionieren.

Seit einer geraumen Weile waren sie nun neben einer massiven Mauer aus Stein hergefahren. Die Straße wurde zusehends schma-ler und schlängelte sich immer höher die Berge hinauf. Mila hatte auf der Fahrt etwas gedöst, doch seit einer halben Stunde war sie hellwach. Müdigkeit und Angst zerrten an ihren Nerven. Anspannung, mehr war es nicht. Sobald sie Thierry sähe, würde es ihr besser gehen.

Ein warmer Schauer durchfuhr sie, als sie an die Dinge dachte, die sie seit ihrer Entscheidung, die Kurtisane zu kidnappen und ihren Platz einzunehmen, fieberhaft recherchiert und gelernt hatte. Dinge wie: Was macht eine Kurtisane eigentlich genau?

Verlangen stieg heiß und heftig in ihr auf, als sie daran dachte, und sie presste ihre Beine zusammen angesichts dieses plötzlichen Anfalls von Lust. Sie spürte, wie ihre Brüste gegen den hauchdünnen Stoff des französischen Spitzen-BHs drückten und einen sanften Druck auf ihre empfindlichen Spitzen ausübten. Sie sehnte sich danach, dort Thierrys starke Finger oder seine nackte Brust zu spüren.

Offensichtlich waren ihre Nachforschungen gründlich gewesen, wenn sie beim bloßen Gedanken an diese Dinge so heftig reagierte. Tag und Nacht hatte sie Bücher gewälzt, Romane wie auch Sachbücher und Filme angesehen. Sowohl romantische als auch offenkundig erotische. Sie hatte versucht, die Informationen sachlich zu behandeln, aber sie hatte die Reaktion ihres eigenen Körpers nicht einkalkuliert. Die Vorstellung, wie sie und Thierry einige dieser Dinge tun würden, brachte sie fast um den Verstand.

Der Wagen wurde langsamer, und ihr Herz schlug schneller. Nun standen sie vor einem eisernen Tor, das mindestens dreieinhalb Meter hoch war. An jeder Seite standen zwei Wachen. Einer der Wachleute, die mit einer silvanischen Uniform bekleidet waren, trat auf den Wagen zu und sprach mit dem Fahrer. Daraufhin begann das Tor, sich langsam zu öffnen. Binnen Sekunden waren sie hindurchgefahren, und als das Tor sich mit einem lauten Scheppern hinter ihnen wieder schloss, ging ein Zittern durch Milas Körper. War es Angst oder Vorfreude?

Thierry saß in dem dunklen Ledersessel in seinem Arbeitszimmer, als Pasquale wie aus dem Nichts neben ihm auftauchte und sich räusperte.

„Majestät, Ms. Romolos Wagen wird in etwa zwanzig Minuten hier sein.“

„Danke, Pasquale.“

Thierry starrte noch einen kurzen Moment ins Feuer, das in dem uralten steinernen Kamin brannte, und erhob sich dann.

„Pasquale, eins noch“, rief er seinem Assistenten hinterher. „Bitte sorgen Sie dafür, dass wir heute Abend nicht mehr gestört werden. Am besten, Sie schicken das gesamte Personal bis auf Weiteres fort.“

„Das gesamte Personal, Majestät?“

„Ja, einschließlich Sie selbst.“

„Und die Mahlzeiten?“

„Ich denke, ich kann eine Woche für mich selbst sorgen.“ Um Thierrys Lippen spielte ein Lächeln. „Wir sind doch gut mit Vorräten ausgestattet, oder?“

„Wie Sie wünschen, Majestät. Aber ich muss darauf bestehen, dass die Sicherheitsleute in der Umgebung bleiben.“

Thierry nickte. „Natürlich. Und, Pasquale?“

„Ja, Majestät?“

„Bitte sorgen Sie dafür, dass alle Verbindungen nach draußen deaktiviert werden. Kein Internet, kein Radio, kein Fernsehen. Kurz gesagt, keinerlei Ablenkung.“

Pasquale wurde sichtbar bleich. „Und das Telefon, Majestät?“

„Auch das Telefon. Die Funkgeräte können aus Sicherheitsgründen natürlich weiterhin benutzt werden. Meine Privatsphäre hat während der nächsten Woche absolute Priorität. Wenn es nötig ist, können Sie eine Erklärung abgeben, dass ich mich zurückgezogen habe, um zu trauern.“

Pasquale ließ die Schultern hängen. „Wie Sie wünschen, Majestät.“

„Danke, das ist dann alles. Genießen Sie Ihre Auszeit.“

Sein Assistent sah aus, als würde er lieber eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung über sich ergehen lassen, als sich eine Auszeit zu nehmen, aber er verbeugte sich nur kurz und verließ dann den Raum.

Thierry ging zum Fenster und sah hinunter auf die Einfahrt. Unten ging es bereits geschäftig zu. Obwohl nur wenig Personal anwesend war, hatte der plötzliche Aufbruch ein kurzes Durcheinander verursacht. Er sah zu, wie nach einer Weile endlich der letzte Wagen davonfuhr.

Dann herrschte Stille. Thierry atmete tief durch und ließ die Tatsache, dass er allein war, auf sich wirken. In seinem Leben war das Alleinsein ein Luxus, der ihm selten vergönnt war. Er fand es aufregend. Außerdem würde sein Gast jeden Moment hier sein. Sein Unterricht konnte beginnen. Und zwar ungestört und unter vier Augen. Er wandte sich vom Fenster ab und ging die Treppe hinunter, um in der Nähe des Eingangs auf ihre Ankunft zu warten.

Schließlich vernahm er das Geräusch von Reifen auf dem Kiesbett der Einfahrt. Thierry hörte, wie eine Autotür zugeschlagen wurde, dann knirschende Schritte und erneut das Zuschlagen einer Tür. Danach nahm er eine Bewegung auf der breiten Steintreppe wahr, die zum Portal hinaufführte, und hörte, wie der Wagen wegfuhr.

Es war so weit. Er straffte sich und ging zur Tür, wo nun der schwere Türklopfer gegen das jahrhundertealte Holz geschlagen wurde. Thierry drückte die Klinke herunter und öffnete schwungvoll die Tür. Für einen Moment war er von der tiefstehenden Abendsonne geblendet, dann erblickte er vor sich die Silhouette einer Frau.

Seine Augen hatten sich an das Licht gewöhnt, als die Frau ihren Kopf hob und ihm ins Gesicht sah. Der Schock machte ihn für einen Moment sprachlos, als er sie erkannte.

„Angel?“

7. KAPITEL

Thierrys Puls klopfte heftig, als sein Blick jedes Detail ihrer Gestalt aufnahm. Es waren erst ein paar Tage vergangen, und doch hatte es sich wie eine Ewigkeit angefühlt. Er hatte nicht erwartet, sie jemals wiederzusehen, erst recht nicht hier, in seinem Jagdschloss. Er traute seinen Augen kaum, und doch stand sie hier vor ihm.

Er schluckte die Fragen herunter, die sich augenblicklich in ihm bildeten. War sie die Angel, die er in New York kennengelernt hatte – oder die Kurtisane, deren Dienste er für die nächste Woche angefordert hatte? Ausgerechnet sie …

Plötzlich bemerkte er, dass Angel noch nicht gesprochen hatte. Hatte er sich geirrt? Er begann, die Unterschiede wahrzunehmen. Ihr Haar war schwarz anstatt blond, und ihre Kleidung unterschied sich erheblich von der, die sie in New York getragen hatte. Sogar ihre Körperhaltung war eine andere. Selbstbewusst und stark. Auch wenn die Unschuld in ihrem Gesicht überhaupt nicht zu ihrer Kleidung passte, die figurbetont war und gleichzeitig verhüllte und entblößte. Die hochhackigen Schuhe, die sie trug, definierten die Form ihrer Waden und ließen ihre schlanken Beine unglaublich lang und verführerisch aussehen.

Dann nahm sie mit einer eleganten Bewegung ihre Sonnenbrille vom Gesicht, und zum Vorschein kam das Paar bernsteinfarbener Augen, das ihn so fasziniert hatte. Sie war es. Als er sie nun sicher wiedererkannte, durchflutete eine Welle der Sehnsucht seinen Körper und Geist.

Das war ganz und gar nicht, was er erwartet hatte. Er hatte eine Kurtisane angefordert, die ihn unterrichten sollte, ohne dass er für sie Gefühle empfand. Er hatte nicht im Traum daran gedacht, seinen Schwur der Keuschheit bis zur Hochzeit zu brechen. Doch nun durchströmten ihn diese Gefühle, und beim bloßen Anblick seiner Angel überkam ihn ein Hunger, der an seinen Grundfesten rüttelte.

Thierry trat einen Schritt nach vorn und reichte seinem Gast die Hand. „Willkommen in meinem Haus. Ich hoffe, es wird Ihnen hier gefallen.“

Die Förmlichkeit seiner Worte stand in krassem Widerspruch zum Chaos in seinem Inneren. Angel. Er konnte immer noch nicht fassen, dass sie hier war.

„Vielen Dank, Majestät. Ich habe mich auf unser Wiedersehen gefreut.“ Sie verbeugte sich mit einem Knicks.

Als sie sich wieder aufrichtete, bemerkte er, dass er noch immer ihre Hand hielt.

„Treten Sie ein“, sagte er, ließ ihre Hand los und trat einen Schritt zur Seite, um sie vorbeizulassen.

Als sie eintrat, nahm er einen Hauch ihres Parfums wahr. Das war nicht der leichte, verlockende Duft, den sie in New York getragen hatte. Dieser hier erzählte von schwülen Nächten und noch heißeren Tagen. Er passte zu ihr und gleichzeitig auch nicht. Es war, als ob seine Angel zwei verschiedene Frauen war. Und er fühlte sich zu beiden verdammt hingezogen.

Warum brachte sie solch intensive Emotionen in ihm hervor? Er hatte in seinem Leben Hunderte attraktiver Frauen kennengelernt. Viele hatten versucht, ihn ins Bett zu locken. Doch er hatte noch nie so empfunden wie bei ihr. Es war verwirrend und beunruhigend zugleich.

„M-Meine Koffer, soll ich sie hereinbringen?“ Angel beugte sich herab, um den Griff eines großen Koffers zu greifen.

„Ich kümmere mich gleich darum.“

„S-Sie selbst?“

Wieder dieses leichte Stottern. Konnte es sein, dass seine Kurtisane nervös war? Der Gedanke faszinierte ihn. Warum sollte eine Frau wie sie nervös sein? Sicher hatte sie derartige Situationen schon oft erlebt, wenn sie einen neuen Klienten zum ersten Mal traf. Durfte er etwa hoffen, dass sie bei seinem Anblick ähnlich gefühlt hatte wie er?

Er lächelte und machte eine einladende Geste in Richtung des großen Saals. „Ich bin ziemlich kräftig. Ich denke, ich komme mit ein paar Koffern zurecht.“

Sein Ton war scherzend gewesen, aber er sah, wie sich ihr Körper anspannte. So hatte er sich das erste Treffen mit einer Kurtisane nicht vorgestellt. Sie war gekleidet wie eine Sirene, duftete nach Sünde und Sinnlichkeit, und doch hatte ihre Art etwas Naives an sich.

Plötzlich kam Unmut in ihm auf und ließ seine Stimme harsch klingen. „Warum haben Sie mir nichts von alldem hier erzählt, als wir uns in New York getroffen haben?“

„Ich stand an diesem Abend nicht in Ihrem Dienst. Wenn ich nicht arbeite, ziehe ich es vor, die Art meiner Tätigkeit nicht preiszugeben. Sie waren es, der mich angerempelt und unsere Unterhaltung begonnen hat. Ich habe Ihre Gesellschaft nicht gesucht. Wir waren einfach Fremde, die einen Besuch in einer fremden Stadt genossen haben, nicht mehr. Es tut mir leid, wenn es Sie durcheinanderbringt, mich wiederzusehen“, sagte sie leise.

Ihr Blick ruhte auf ihren exquisit beschuhten Füßen. Ihr dunkles Haar rahmte ihr Gesicht ein wie ein seidiger Vorhang.

Er trat auf sie zu. „Durcheinanderbringen? Nein, Sie bringen mich nicht durcheinander“, log er.

Zur Hölle, ja, sie brachte ihn in jeglicher Hinsicht durcheinander, aber das würde er ihr nicht gestehen. Sie durfte nicht wissen, wie heftig er auf sie reagierte. Er war König von Silvanien und würde bald heiraten. Schwäche wurde stets von weniger ehrbaren Menschen ausgenutzt. Er würde sich nicht für dumm verkaufen lassen.

„Das ist gut. Ich meine, dass ich Sie nicht beunruhige, nicht wahr?“ Sie sah durch ihre dichten Wimpern zu ihm auf.

„Das kommt darauf an, ob wir uns zufällig begegnet sind oder mit Absicht. Für den Fall, dass Letzteres zutrifft, sollte ich mein Sicherheitsteam bitten, Sie unverzüglich hinauszubegleiten.“

Mila stockte der Atem. Er wollte sie wegschicken? Nein, das konnte sie nicht erlauben. Sie war Thierry mit Absicht begegnet, ja, aber nicht aus dem Grund, den er vermutete. Was war schon eine weitere kleine Lüge neben dem gigantischen Betrug, den sie hier gerade vollführte? Sie hob den Kopf, straffte die Schultern und sah ihm fest in die Augen.

„Ich hatte keine Ahnung, dass ich Ihnen in New York begegnen würde“, sagte sie so verwegen und so ehrlich sie konnte.

„Aber Sie haben mich erkannt, nicht wahr?“ Als sie nickte, fügte er hinzu: „Und Sie hielten es nicht für nötig, sich zu erkennen zu geben?“

„Nein, das habe ich nicht. Sie unerkannt zu treffen, war ein Bonus. Eine Chance, den Mann hinter dem Titel kennenzulernen, sozusagen.“ Das war keine Lüge. Jede Sekunde, die sie in dieser Nacht zusammen verbracht hatten, war für sie wie ein wertvoller Schatz.

„Und Angel? Warum der Name?“

„Das ist ein Name, unter dem ich von Zeit zu Zeit bekannt bin.“ Wieder keine Lüge.

Thierry sah sie forschend an, und sie zwang sich, nicht unruhig von einem Bein auf das andere zu treten. Stattdessen erlaubte sich Mila, den Mann, der vor ihr stand, zu betrachten.

Obwohl er leger gekleidet war, konnte sie nicht anders, als die Konturen seines schlanken, aber muskulösen Oberkörpers durch den dicken Wollpullover hindurch wahrzunehmen. Die cremefarbene Wolle war ein perfekter Kontrast zu dem olivfarbenen Ton seiner Haut und den Stoppeln auf seinen Wangen. Das verlieh ihm ein dunkles und gefährliches Aussehen. Ein Wolf im Schafspelz? Beinahe hätte sie laut aufgelacht. Seine Jeans saßen ihm lässig auf den Hüften, und die Auswölbung in der Leistengegend machte sie neugierig auf das, was da hinter dem Stoff verborgen war.

Blitzartig traf sie erneut ein Anfall von purer Begierde. Dass sie es schaffte, ihren Körper und ihre Stimme ruhig zu halten, war allein ihrer langjährigen Erziehung zur Anständigkeit zu verdanken. Sie wollte nichts mehr als den Duft seiner Haut in der Mulde unter seiner Kehle einatmen. Das Kratzen seiner Bartstoppeln auf ihrem Nacken spüren, auf ihren Brüsten, ihren Schenkeln.

Sie musste sofort damit aufhören, sonst würde sie noch vor seinen Augen zu einem willenlosen Häufchen zusammenschmelzen. Mit viel Willenskraft übernahm sie wieder die Kontrolle über ihren Körper und konzentrierte sich erneut auf seinen Blick.

Thierry hatte anscheinend eine Entscheidung getroffen und nickte ihr kurz und ernsthaft zu. „Ich werde Ihren Worten wohl Glauben schenken müssen.“

Er zögerte, als ob er eine Antwort von ihr erwartete, doch Mila schwieg. Eine Sache hatte sie von frühester Kindheit an gelernt, nämlich, dass es oft besser war, nichts zu sagen, als in ein Minenfeld zu treten.

Offensichtlich war Schweigen die richtige Wahl gewesen. Thierry fuhr fort: „Sie müssen erschöpft sein nach der anstrengenden Reise. Möchten Sie sich etwas frisch machen vor dem Abendessen?“

Sie senkte den Kopf. „Danke, das würde ich gern.“

„Ich zeige Ihnen Ihre Zimmer.“

Ihre Zimmer? Für einen Moment war sie verwirrt. Sie hatte damit gerechnet, sein Zimmer mit ihm zu teilen, sein Bett. Das war es doch, wofür er eine Kurtisane zu sich geholt hatte, oder? Ihre Gedanken rasten, als sie die breite hölzerne Treppe hinaufstiegen.

Mila rief sich in Erinnerung, dass es das Endziel war, das zählte. Sie würde tun, was auch immer nötig war, um dorthin zu gelangen.

Thierry führte sie einen langen, holzverkleideten Korridor entlang, dessen dunkle Wände hin und wieder von Gemälden und Jagdtrophäen aufgelockert wurden. Beim Anblick der Trophäen schauderte sie.

„Sie sind kein Fan der Jagd, nicht wahr?“, bemerkte Thierry, als sie das Ende des Korridors erreichten.

„Nicht besonders, nein. Vor allem, wenn es nur um die Trophäen geht.“

„Höre ich da Missbilligung aus Ihrer Stimme?“

Sie hielt inne, unsicher, was sie nun tun sollte. Sie wollte ihn nicht kritisieren oder vor den Kopf stoßen, vor allem nicht, wo sie gerade erst angekommen war. „Missbilligung? Nein, niemals, Eure Majestät.“

„Tun Sie das nicht“, sagte er scharf.

„Verzeihung …“, begann sie.

„Nein, bitte. Hier bin ich Thierry, nicht Eure Majestät. Hier bin ich einfach nur ein gewöhnlicher Mann.“

„Ich erlaube mir, Ihnen zu widersprechen. Sie sind kein gewöhnlicher Mann. Ich bezweifle sogar, dass Sie überhaupt auf irgendeine Art und Weise gewöhnlich sind.“

Er durchbohrte sie erneut mit diesem Blick. Aber sie hielt ihm stand. Und dann lächelte er, und Heiterkeit schlich sich auf sein Gesicht. „Sie haben wahrscheinlich recht, Ms. Romolo. Trotzdem wäre es mir lieber, wenn Sie meinen Titel weglassen, während wir hier sind. Wenn Sie meinen Vornamen nicht benutzen wollen, möchten Sie mich vielleicht Hawk nennen, wie in New York?“

„Wenn Sie mich weiterhin Angel nennen“, schlug Mila vor.

„Angel“, wiederholte er, hob die Hand und streichelte ihre Wange mit der Rückseite seines Zeigefingers. „Ja, das passt besser zu Ihnen als Ottavia.“

Sie war froh, dass er das sagte, denn sie hätte es nicht ausgehalten, dass er einen anderen Namen benutzte, wenn sie miteinander intim waren. „Dann haben wir eine Abmachung?“

„Ja.“

Sie bot ihm die Hand. „Abgemacht.“

Er nahm ihre Hand in seine, und sie fühlte die Wärme seiner Haut an ihrer. Das Gefühl raubte ihr den Atem, und in ihrer Fantasie spürte sie diese Wärme bereits an anderen, empfindlicheren Stellen ihres Körpers.

Thierry ließ ihre Hand los und öffnete die Tür vor ihnen. Sie betraten ein geschmackvoll eingerichtetes Zimmer mit betont femininer Note. Es schien, als wäre hier in den letzten hundert Jahren kaum etwas verändert worden.

„Das ist wunderschön.“ Sie ging zu dem Fenster und sah auf die Wiesen und den Garten hinab. Anscheinend war ein Großteil des Anwesens in seinem natürlichen Zustand belassen worden, sodass das üppige Laub der Bäume, einem grünen Kokon gleich, das Haus schützend einhüllte. „Sie sind sicher sehr gern hier. Es ist so abgelegen.“

„Ja, das stimmt.“ Thierry ging quer durch das Zimmer und öffnete eine weitere Tür. „Das ist Ihr Schlafgemach.“

Sie lächelte über das altmodische Wort, doch als sie durch den Türrahmen trat, musste sie zugeben, dass es weit besser die opulenten, prachtvollen Möbel beschrieb als „Schlafzimmer“.

Mila berührte die hübschen Seidenvorhänge, die an den Fenstern hingen. „Es ist wunderschön, danke. Ich werde mich hier sehr wohlfühlen.“

„Sehr gut. Dann werde ich jetzt Ihre Koffer holen. Ihr Badezimmer ist dort drüben. Bitte nehmen Sie sich Zeit und kommen dann herunter in den großen Saal.“

Schon war er verschwunden. Für einen großen Mann bewegte er sich elegant und unaufdringlich, dachte sie. Mila lockerte ihre Schultern und versuchte, sich etwas zu entspannen. Sie würde eine Dusche nehmen und sich umziehen, vorausgesetzt, er hatte ihre Sachen hochgebracht, wie er versprochen hatte. Merkwürdigerweise hatte sie bis jetzt noch kein Personal gesehen.

Sie trat durch die Badezimmertür und begann, sich zu entkleiden. Während das Schlaf- und Wohnzimmer exquisite Beispiele für antike Eleganz darstellten, war das Badezimmer der reine Luxus. Oberflächen aus goldgemasertem beigefarbenem Marmor überall, und die beheizten Fußbodenfliesen strahlten behagliche Wärme ab. Die riesige Duschkabine war mit verschiedenen Brauseköpfen ausgestattet. Sie ließ den warmen Sprühregen über ihre Haut fließen und genoss das Gefühl, nach der langen Reise wieder frisch und sauber zu sein.

Nachdem sie geduscht hatte, trocknete sie sich ab und schlüpfte in einen blütenweißen Morgenmantel, der an der Rückseite der Badezimmertür gehangen hatte.

Im Schlafzimmer fand sie ihr Gepäck. Besser gesagt, Ottavia Romolos Gepäck. Sie fühlte sich wie ein Eindringling, als sie einen der Koffer öffnete und begann, dessen Inhalt zu untersuchen. Sie fühlte sich ganz und gar nicht wohl dabei, die Sachen einer anderen Frau zu benutzen, aber Mila zwang sich dazu. Sie hätte ihr Gepäck nicht in den Wagen schmuggeln können, ohne dass der Fahrer es bemerkt hätte.

Autor

Yvonne Lindsay
Die in Neuseeland geborene Schriftstellerin hat sich schon immer für das geschriebene Wort begeistert. Schon als Dreizehnjährige war sie eine echte Leseratte und blätterte zum ersten Mal fasziniert die Seiten eines Liebesromans um, den ihr eine ältere Nachbarin ausgeliehen hatte. Romantische Geschichten inspirierten Yvonne so sehr, dass sie bereits mit...
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