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Wären die roten Schuhe nicht, Ava wäre Prinz Gianluca Benedetti gar nicht aufgefallen. Die Frau, die nach ihrer berauschenden Liebesnacht vor sieben Jahren einfach verschwand, steht mitten in Rom vor ihm - die sexy Kurven unter unförmiger Kleidung versteckt und jederzeit bereit, ihre Krallen auszufahren. Wird er jetzt endlich erfahren, was sie damals zur Flucht trieb? Gianluca schafft es, seine ehemalige Geliebte zu einem Trip an die Amalfiküste zu überreden - und entfacht erneut ein Feuerwerk der Lust. Doch Ava hält ihr Herz fest verschlossen. Wovor hat sie nur solche Angst?


  • Erscheinungstag 17.02.2015
  • Bandnummer 2166
  • ISBN / Artikelnummer 9783733701413
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Gianluca Benedetti musterte interessiert das auffallend geschmacklose Outfit und anschließend die Frau, die es trug: eine schlecht sitzende Anzughose und einen unförmigen Blazer. Dabei hätte sie durchaus Potenzial. Vorausgesetzt, sie ließ den albernen Hut weg, öffnete ihr Haar, und das Ganze natürlich ohne diese seltsamen Klamotten. Die körperlichen Anlagen waren vorhanden, um mühelos umwerfend auszusehen. Sie war groß, hatte lange, schlanke Beine – jedenfalls soweit er das von hier aus beurteilen konnte – und strahlte eine faszinierende Lebhaftigkeit aus, die sie ganz offensichtlich gerade zu unterdrücken versuchte.

Just in diesem Augenblick wollte sie nämlich wütend mit dem Fuß aufstampfen, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne. Sein Blick fiel auf ihre Schuhe: halbhohe schwarze Leder-Peeptoes mit einer bauschigen knallroten Zierblume. Sie wirkten viel zu feminin für eine derart resolute Dame …

„Geben Sie mir mein Geld zurück!“, verlangte sie in klarem Ton. Man konnte kaum überhören, wie wütend sie war. Gianluca erkannte einen australischen Akzent, was gut zu ihrem selbstbewussten Auftreten passte.

Der andere Mann musterte sie von oben bis unten, während die übrigen Passanten einen Bogen um die schöne Brünette machten, die den Kioskverkäufer erwartungsvoll anstarrte. Auf Gianluca wirkte sie wie eine tickende Zeitbombe.

Nach kurzem Zögern landete der rechte Fuß jetzt doch mit einem Knall auf dem Bürgersteig.

„Ich werde nirgendwo hingehen, solange Sie mir mein Geld nicht wiedergeben. Ihre Firma hatte dafür achtundvierzig Stunden Zeit. Auf Ihrer Website heißt es wörtlich, dass Erstattungen sogar innerhalb von vierundzwanzig Stunden möglich seien.“

Gianluca schloss die Übersicht der europäischen Märkte auf seinem Smartphone und schob das Handy zurück in seine Tasche. Dann verließ er die Kaffeebar, die hier in Rom zu seinen Stammlokalen zählte, um der Fremden zu Hilfe zu eilen. Sich als Retter in der Not anzubieten, hatte er der Erziehung seiner sizilianischen Großmutter zu verdanken, bei der er als Kind häufig in den Ferien gewesen war.

Signora, kann ich Ihnen vielleicht in irgendeiner Weise behilflich sein?“

Sie drehte sich kaum zu ihm um. „Ich bin keine signora, sondern eine signorina! Und nein, Sie können mir nicht behilflich sein. Ich komme hervorragend allein zurecht. Verschwinden Sie und machen Sie Ihre Geschäfte mit anderen Touristen.“

Er trat einen Schritt näher und atmete den Duft von ihrem leichten, blumigen Parfum ein. Es mutete viel zu verspielt an, um zu einem Dragoner wie dieser Person zu passen. Genau wie diese Schuhe!

„Meine Geschäfte?“

„Gigolo. Begleiter. Callboy. Was auch immer! Gehen Sie weg, ich habe keinen Bedarf!“

Gianluca erstarrte. Dieser Drachen hielt ihn für eine männliche Prostituierte? Fassungslos sah er sie an. Dabei hatte sie sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihn richtig anzusehen. Frechheit!

„Also, signorina“, begann er und legte dabei besondere Betonung auf das zweite Wort. „Dann sollten Sie sich besser darauf besinnen, dass Sie auch wirklich eine Dame sind!“

„Wie bitte?“ Sie fuhr herum, und Gianluca vergaß augenblicklich, was er eigentlich hatte sagen wollen.

Die unvorteilhafte Kleidung, ihr Tonfall … er hatte diese Frau für wesentlich älter gehalten – und für weniger attraktiv. Ihre cremefarbene Haut war makellos, die schmalen Augenbrauen elegant geschwungen, aber am auffälligsten war ihr weicher Schmollmund. Die roten Lippen erinnerten ihn an süße, reife Erdbeeren. Allerdings wurde ihr Gesicht zu einem großen Teil von einer hässlichen, weiß umrandeten Sonnenbrille verdeckt, die ihr Gianluca liebend gern abgenommen hätte.

„Du?“, rief sie überrascht.

Er zog die Augenbrauen hoch. „Kennen wir uns?“

Eine derartige Situation wäre ihm nicht neu. Schließlich war er vor einigen Jahren in Italien erfolgreicher Profi-Fußballspieler gewesen und konnte zudem auf berühmte, adelige Vorfahren verweisen. Er bemühte sich, möglichst unbeeindruckt zu klingen, um diese Frau nicht unnötig zu ermutigen.

Sie wich einen Schritt zurück. „Nein“, antwortete sie und sah sich gehetzt um, als würde sie nach einem geeigneten Fluchtweg suchen.

Jeder Muskel in seinem Körper spannte sich an. Gianluca stellte verwundert fest, dass er sich unbewusst darauf vorbereitete, ihr spontan nachzujagen. Madre di Dio, was hatte das zu bedeuten?

An ihrem zarten Hals konnte er sehen, wie ihr Puls raste. Sie wirkte fast panisch, und während er sie betrachtete, merkte er, wie sich die Atmosphäre zwischen ihnen sexuell auflud. Dieses Phänomen kam völlig unerwartet und war so stark, dass es Gianluca buchstäblich den Boden unter den Füßen wegzog …

Zögernd machte er einen Schritt auf sie zu, und die brünette Schönheit hob erwartungsvoll ihren Kopf. Was genau erwartete sie von ihm? Er wusste es nicht … Überhaupt, das führte doch alles zu nichts!

Es lag ihm nicht, mit einer wildfremden Frau mitten auf der Straße anzubandeln. Ebenso wenig war es seine Art, seiner Libido zu folgen, wenn er doch im Grunde überhaupt keine Zeit dafür hatte. Schließlich wartete am anderen Ende der Stadt ein wichtiger Geschäftstermin auf ihn.

„In diesem Fall … Genießen Sie Ihren Aufenthalt in Rom, signorina!“

Nach wenigen Schritten drehte er sich noch mal zu ihr um. Sie stand vor dem Kiosk – in diesem schrecklichen Blazer und der viel zu großen Hose. Aber dann fielen ihm plötzlich noch andere Dinge an ihr auf: vor allem die pinkfarbenen Wangen und der traurige Ausdruck auf ihrem Gesicht. Sie hatte offensichtlich geweint, und das berührte ihn.

Normalerweise ließen ihn verheulte Damen kalt, denn er wusste einfach zu viel über weibliche Manipulationsversuche. Immerhin hatte er damit aufwachsen müssen … seine Mutter und seine Schwestern waren Meisterinnen ihres Fachs gewesen. Tränen waren die natürlichste Waffe einer Frau, um ihren Willen durchzusetzen. Immer wieder erstaunte es ihn, wie schnell eine Entschuldigung oder ein Versprechen diese Flut der Trauer zum Versiegen brachten.

Aber der Kummer dieser Frau ging ihm ans Herz. Anstatt seiner Wege zu ziehen, kehrte er zum Kiosk zurück und sah sich das Schild darüber an: Fenice Tours. Das bedeutete, er wurde von einem Tochterunternehmen des Tourismuskonzerns betrieben, mit dem Benedetti International Geschäfte machte.

Schweigend zog Gianluca sein Handy aus der Tasche. Nachdem er eine Nummer gewählt und ein paar Worte mit seinem Gesprächspartner gewechselt hatte, teilte er dem Mann im Kiosk mit, dass ihm exakt sechzig Sekunden blieben, um der Dame ihr Geld zu erstatten. Andernfalls würde dieser Kiosk sofort geschlossen werden.

Gianluca reichte ihm sein Telefon weiter. Der Verkäufer nahm es skeptisch entgegen und musste kurz darauf eine lautstarke Schimpftirade seines Chefs über sich ergehen lassen.

„Mi scusi“, stammelte der Mann und sah dabei in Gianlucas Richtung. „Es handelt sich bloß um ein Missverständnis.“

Gianluca zuckte die Achseln. „Entschuldigen Sie sich nicht bei mir, sondern bei der Dame!“

Si, si, scusi, signorina. Mi dispiace. Es tut mir leid.“

Mit regungsloser Miene nahm sie das Geld entgegen und machte sich nicht einmal die Mühe, es nachzuzählen. Selbst ihre billige Aktentasche erweckte den Eindruck, als wollte die Frau sich damit bewusst abwerten.

„Grazie“, presste sie widerwillig hervor.

Damit blieb kein Grund mehr, noch länger hier herumzustehen. Gianluca ging ein paar Schritte und öffnete dann die Fahrertür seines Lamborghini Jota. Dann warf er einen letzten Blick zurück.

Die Fremde war ihm gefolgt und beobachtete ihn nun mit einer Mischung aus Neugier und Abwehr … und etwas anderem.

Er zögerte. Lange genug, um sie zu ermuntern, weiter auf ihn zuzugehen.

„Entschuldigung“, rief sie, und der scharfe Ton entsprach ihrem sperrigen Auftreten.

Heimlich bewunderte er ihre schönen Gesichtszüge.

„Ich bin nur neugierig“, fuhr sie fort und betrachtete ihn eindringlich. „Hätten Sie diesen Stand wirklich schließen lassen können?“

Wo hatte er diesen forschenden Gesichtsausdruck schon einmal gesehen?

Sein höfliches Lächeln blieb kühl und distanziert. „Signorina …“, antwortete er, „… wir befinden uns hier in Rom. Und ich bin ein Benedetti. Da ist alles möglich.“

Erst als er kurz darauf seinen Wagen durch den morgendlichen Berufsverkehr lenkte, wurde ihm klar, dass sie weder beeindruckt noch geschmeichelt gewesen war. Stattdessen hatte sie wütend gewirkt, und diese Tatsache brachte ihn dazu, wider besseren Wissens umzukehren.

Noch immer schockiert stand Ava auf dem Bürgersteig und beobachtete, wie der Sportwagen um die nächste Ecke bog. Benedetti. Auf diese Weise hatte es nicht geschehen sollen …

Über die Jahre hatte es schon eine ganze Reihe falscher Alarme gegeben: hier eine tiefe Stimme, dort mal ein italienischer Akzent oder ein paar breite Schultern in der Menschenmenge. Jedes Mal waren Avas Sinne erwacht, und sie hatte sich innerlich auf ein Wiedersehen mit ihm vorbereitet – bisher immer vergeblich.

Die Wirklichkeit dieser heutigen Begegnung war absolut erdrückend, trotzdem wanderten Avas Gedanken weiter in die Vergangenheit: Eine braungebrannte Hand drehte am schwarzen Gummigriff, und der Motor einer PS-starken Ducati heulte auf. Ava schlang ihre Arme fest um die schmale Hüfte des Fahrers, während sie gemeinsam von der Hochzeitsfeier flohen, auf die sie beide keine Lust hatten. Was folgte, war eine heiße Sommernacht, die Ava bis heute lebhaft in Erinnerung behalten hatte.

Ratlos blieb sie auf dem Bürgersteig stehen und versuchte, die sündigen Bilder wieder aus ihrem Kopf zu verdrängen.

Damals hatte sie sich in den frühen Morgenstunden unter freiem Himmel mit diesem jungen, unersättlichen Römer vergnügt, der sich in Liebesdingen bestens auskannte. Eine Stunde später hatten sie dieses Abenteuer in einem Bett wiederholt, das einst sogar für einen König gebaut worden war – in einem richtigen Palast, mitten in dieser wunderbaren Stadt.

Ava hatte dieses Erlebnis nie vergessen können. Ihr aufregender Italiener hatte ihr damals stundenlang in gebrochenem Englisch Dinge ins Ohr geflüstert und ihr das Gefühl gegeben, die begehrenswerteste Frau der Welt zu sein.

Früh morgens war sie sang- und klanglos verschwunden und hatte – ähnlich wie Cinderella im Märchen – in der Eile ihre Schuhe zurückgelassen. Sie hatte einer eventuell unangenehmen Begegnung nach dem Aufwachen aus dem Weg gehen wollen. Barfuß und mit gerafften Röcken war sie zum Taxistand geeilt und einfach abgehauen. Ohne einen einzigen Blick zurück, denn sonst wäre sie vielleicht noch einmal schwach geworden …

Es sollte sich niemals wiederholen. Eine einmalige Sache. Ava war zurück nach Sydney geflogen, um ihre Karriere weiter voranzutreiben, und hatte im Grunde nicht damit gerechnet, ihn jemals wiederzusehen. Ein Irrtum, wie sich jetzt herausstellte …

Energisch riss sie sich zusammen. Kein motorradfahrender, supersexy Fußballspieler durfte ihren persönlichen Plänen im Weg stehen. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hatte sie ihr Leben hervorragend im Griff, und das sollte sich auch nicht ändern.

Vielleicht zu sehr im Griff? meldete sich ihr Unterbewusstsein. Müsste sie nicht momentan an unerträglichem Liebeskummer leiden?

Den meisten Frauen in ihrer Situation würde es bestimmt so ergehen. Ausgerechnet an einem Abend den Laufpass zu bekommen, an dem man eigentlich mit dem ersehnten Heiratsantrag seines Lebensgefährten gerechnet hatte … Und nun reiste sie ganz allein durch diese große Stadt und das wunderbare Italien. Das würde manche Frauen ziemlich aus dem Konzept bringen.

Zum Glück war Ava aus härterem Holz geschnitzt. Entschlossen setzte sie ihren Weg zur Spanischen Treppe fort, um von dort aus eine Stadtrundfahrt anzutreten.

Das hellblaue Brautjungfernkleid aus jener Nacht ruhte noch heute in der hintersten Ecke von Avas Schrank. Sie hatte es all die Jahre über behalten. Und jetzt war sie hier in Rom …

Hatte das etwas zu bedeuten? Damals war alles, was sie je über sich zu wissen geglaubt hatte, von diesem beeindruckenden Römer auf den Kopf gestellt worden. Und nun hatte das Schicksal sie erneut zusammengeführt.

Aber nein, sie würde auf keinen Fall das nächstbeste Telefonbuch durchblättern, um die Adresse des Palazzo Benedetti herauszufinden. Daran durfte sie nicht einmal denken! Es war sowieso ein Fehler gewesen, überhaupt nach Rom zu reisen. Je früher sie morgen in ihren Mietwagen stieg und gen Norden fuhr, desto besser.

Doch zuerst … Verwundert blickte Ava sich um. Unbemerkt war sie bis zu einer Piazza weitergelaufen, die sie nicht kannte. Wo, um alles in der Welt, befand sie sich eigentlich?

„Das ist doch verrückt“, murmelte Gianluca, der bei laufendem Motor in seinem Wagen saß. Er war ihr gefolgt. Hatte einfach mitten auf der Straße gewendet und nach der Frau mit den auffallend verzierten Schuhen Ausschau gehalten.

Himmel, was tat er hier eigentlich? Immerhin war er Gianluca Benedetti, und der stieg keinen unbekannten australischen Ladys nach! Jedenfalls nicht dieser Sorte Lady: einer Frau in Männerhosen und Seidenhemd, die offenbar keinen Sinn für ihre eigene Weiblichkeit hatte.

Sie war nicht sein Typ, und trotzdem war er jetzt hier. Er beobachtete, wie sie mit einem Stadtplan in der Hand über das Kopfsteinpflaster spazierte und sich zu orientieren versuchte. Da klingelte sein Telefon.

„Wo steckst du?“ Gemmas Stimme klang gehetzt, aber wie sollte er seiner Privatsekretärin erklären, was er gerade tat?

Er konnte wohl kaum zugeben, dass er eine fremde Touristin quer durch Rom verfolgte. „Im Verkehr fest“, log er und sah auf die Uhr. Er war tatsächlich sehr spät dran. Verflucht!

„Was soll ich den Kunden erzählen?“

„Halte sie ein bisschen hin, ich bin gleich da!“

Entschlossen stieg er aus dem Auto und fragte sich gleichzeitig, weshalb er sein Leben unbedingt verkomplizieren musste. Die Frau hatte ihre Sonnenbrille ins Haar geschoben, legte gerade den Kopf in den Nacken, um das Schild über ihr an der Hauswand entziffern zu können, und stolperte dabei rückwärts gegen Gianluca.

„Oh, ich bitte um Entschuldigung“, sagte sie höflich und drehte sich zu ihm um.

Sprachlos starrte er ihr in die Augen. Trug sie etwa farbige Kontaktlinsen? Nein, angesichts ihres Aufzugs würde sie sich diese Mühe sicherlich nicht machen. Es musste ihre echte Augenfarbe sein. Ein ganz außergewöhnliches Tiefseegrün, das im Licht ständig die Schattierung änderte. Oder bei einem Stimmungswechsel. Daran erinnerte er sich nämlich schlagartig, obwohl dieser Teil seines Gedächtnisses jahrelang verschüttet gewesen war.

Diese Augen, dieser Mund und dieser wunderschöne, weiche Körper. Sie hatte ihn ohne ein Wort des Abschieds verlassen – dabei hatte er sie nie wieder gehen lassen wollen.

„Du bist es!“ Sie nahm ihm die Worte aus dem Mund. Dann taumelte sie und hielt sich instinktiv an seinem Arm fest.

Ironie des Schicksals, wie er fand. Schließlich hatte sie nach ihrer letzten Begegnung gar nicht schnell genug das Weite suchen können, und nun diese unerwartete Nähe. Damals hatte sie in der Eile sogar ihre Schuhe bei ihm liegengelassen.

In ihm erwachte ein starker Widerwillen. Was hatte sie hier in Rom zu suchen? Wieso kehrte sie ausgerechnet jetzt in sein Leben zurück? Er kniff die Augen zusammen.

„Verfolgst du mich etwa?“, wollte sie wissen.

„Si.“ Wozu sollte er das Offensichtliche leugnen? Und ihr überraschter Gesichtsausdruck war wirklich unbezahlbar!

„Sie scheinen sich verlaufen zu haben, signorina“, sagte er und betonte dabei jede Silbe seiner höflichen Anrede. Ihre unübersehbare Hilflosigkeit war eine Genugtuung für ihn. „Und da wir einander nun schon kennen, erlauben Sie mir sicher, Ihnen behilflich zu sein, oder?“

Unsicher zupfte sie ihre Seidenbluse zurecht und drückte den Rücken durch. Da Ava glaubte, er wüsste nicht, wen er da vor sich hatte, änderte sie ihre Taktik.

„Ist es etwa Ihre Art, Frauen nachzulaufen und sich ihnen aufzudrängen?“, fragte sie scharf.

„Normalerweise überlasse ich das weibliche Geschlecht grundsätzlich achtlos seinem Schicksal“, scherzte er. „Nur bei Ihnen mache ich heute eine Ausnahme.“

„Sehe ich aus, als hätte ich es nötig?“

„Sie wirken tatsächlich ziemlich verloren.“

Ava schob die Lippen vor und warf einen Blick auf den Stadtplan in ihren Händen.

Wieder ermahnte Gianluca sich, es gut sein zu lassen und endlich zu seinem Termin zu fahren. Was zwischen ihnen einmal gewesen war, spielte heute keine Rolle mehr. Vor sieben Jahren hatte das anders ausgesehen …

In diesem Aufzug war sie eigentlich niemand, nach dem er sich ein zweites Mal umdrehen würde, um ganz ehrlich zu sein. Andererseits hatte er gerade eben seinen Wagen gewendet, war ihr gefolgt und konnte seinen Blick jetzt nicht mehr von ihr lösen. Schon merkwürdig.

„Es ist ohnehin zu spät“, murmelte sie kaum hörbar. „Ich habe den Anfang der Tour schon verpasst.“

Stumm wartete er ab, während sie Löcher in ihren Stadtplan starrte.

„Eigentlich sollten wir uns an der Spanischen Treppe treffen“, fuhr sie fort, ohne hochzusehen.

„Verstehe.“ Obwohl er in Wirklichkeit überhaupt nichts mehr verstand. „Die Spanische Treppe befindet sich in dieser Richtung.“ Er streckte einen Arm aus. „Links herum und dann die zweite rechts.“

Mit zitternden Händen setzte sie sich ihre hässliche weiße Sonnenbrille auf. Zweifellos ein Versuch, sich zu maskieren, denn vor die Sonne hatten sich längst dicke Wolken geschoben. Es störte Gianluca, dass diese Schönheit sich vor ihm verstecken wollte. Und sie verhielt sich dabei nicht einmal subtil – genau wie vor sieben Jahren. Am liebsten hätte er ihr dieses Ungetüm von Brille ganz weggenommen.

„Vermutlich sollte ich mich jetzt bei Ihnen bedanken“, murmelte sie trocken und fühlte sich hinter den dunklen Gläsern offenbar etwas sicherer als vorher.

„Das ist völlig unnötig“, versicherte er ihr und bemerkte fasziniert, wie sie ihre schönen, vollen Lippen mit der Zungenspitze befeuchtete.

Entschlossen zückte er eine seiner Visitenkarten und drückte sie ihr in die Hand. Ihre Haut fühlte sich warm und zart an.

Doch sein australischer Wildfang wich zurück und funkelte Gianluca an, so als hätte er sie unsittlich berührt. Ob sie, wie er, insgeheim an früher dachte?

„Falls Sie Ihre Meinung ändern, ich bin heute Abend gegen elf Uhr in Ricos Bar“, erklärte er und fragte sich gleichzeitig, weshalb er sie überhaupt einladen wollte. „Dort findet eine private Feier statt, und ich werde Ihren Namen auf die Gästeliste setzen lassen. Viel Spaß bei der Stadtführung.“

„Sie kennen meinen Namen doch gar nicht“, rief sie ihm nach, und es klang beinahe wie ein Vorwurf.

Das hatte er übersehen. Er knirschte mit den Zähnen, doch sein Stolz ließ es nicht zu, dass er jetzt nachfragte.

Sie war einfach nur irgendeine Gespielin in irgendeiner Nacht gewesen. Lüge! Diese Nacht hatte sich in Gianlucas Seele gebrannt, und nun stand die besagte Frau direkt vor ihm. Kein Wunder, wenn er dabei Atemnot und feuchte Hände bekam!

Andererseits durfte er niemals vergessen, dass er ein Benedetti war! In dieser sagenumwobenen Stadt war das schließlich auch unmöglich. Seine Vorfahren hatten immerhin römische Legionen angeführt, diversen Päpsten Gelder geliehen und im Laufe der Jahrhunderte ganze Kriege finanziert. In der Vergangenheit war mit Hilfe seiner Familie so viel Blut vergossen worden, dass man damit ein ganzes Meer tiefrot färben könnte.

„Wie wäre es, wenn ich dich einfach als Cinderella anmelde?“, schlug er vor und dachte dabei an ihr überraschendes Verschwinden von damals.

Sie zog sich die Sonnenbrille hinunter und richtete ihre giftgrünen Augen auf ihn.

Gianluca verspürte echte Bewunderung für diese Frau. Sie versprach, ihm eine ebenbürtige Gegnerin zu sein. Das konnte spaßig werden.

Aber, halt! Hier ging es nicht um Rache. So ein Mann war er nicht. Ihm lag eher das zivilisierte, ehrenhafte und ritterliche Verhalten dem weiblichen Geschlecht gegenüber … Wahrscheinlich war er einfach nur neugierig und wollte endlich einen Schlussstrich unter ein bestimmtes Kapitel seines Lebens ziehen. Immerhin war es das erste und einzige Mal gewesen, dass ihn jemand hatte abblitzen lassen!

Er stieg in seinen Sportwagen und startete den Motor. Dabei fiel ihm auf, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten, weil er das Lenkrad zu fest umklammerte. Sein Temperament drohte plötzlich überzukochen, und das passte überhaupt nicht zu seiner nüchternen, adeligen Natur … Nein, das hatte er dem sizilianischen Blut seiner Mutter zu verdanken.

Da kam noch einiges auf ihn zu.

2. KAPITEL

Ava zwang sich dazu, die Begegnung mit Gianluca Benedetti aus ihrem Kopf zu verdrängen, während sie dem angegebenen Weg folgte. Und obwohl die Spanische Treppe dicht bevölkert war, fand sie irgendwann ihre Touristengruppe und schloss sich ihr an. Aber die Gedanken an den geheimnisvollen Italiener wollten einfach nicht ruhen.

Er war ihr gefolgt.

Natürlich folgt er mir, dachte sie. Das gehört zu seinem üblichen Verhaltensmuster. Er steht eben auf Frauen. Und wenn ihm eine gefällt, nimmt er sie sich.

Wollte er sie?

Ava versuchte, sich auf die Erklärungen des Stadtführers zu konzentrieren, aber leider konnte sie bloß daran denken, dass ihr anfänglicher Stolz sie allmählich verließ. Sie wollte heute Abend in diesen Club gehen, sie wollte ihn wiedersehen.

Überwältigt schloss sie die Augen und rang um Fassung. Sie war absolut keine Frau für eine Nacht, und mehr würde es mit einem wie diesem Benedetti nie werden. Eine einzige Nacht – nicht mehr als ein paar Stunden unverbindlichen Spaß für ihn.

Dir hat es doch auch gefallen, erinnerte sie eine innere Stimme. Und heute hat er dich wiedergesehen, und er will dich! Was hast du zu verlieren? Du bist Single, und dies ist Rom!

Irgendwann nahm sie ihre Umgebung wieder wahr. Unterhalb der lebhaften Menschenmenge auf der Spanischen Treppe schob sich unaufhörlich der laute Verkehr durch die Stadt. Ein Bild wie aus einem Hollywoodfilm über das bunte Leben in Italien.

Bella Italia, wo Wunder geschehen konnten. Wo jungen Mädchen magische Dinge wiederfuhren, nachdem sie ihre Münzen in den Wunsch-Brunnen geworfen hatten. Aber Avas Fantasien hatten sie schon damals auf eine falsche Fährte geführt, und das sollte ihr niemals wieder passieren.

Die Emotionen überfielen sie ohne Vorwarnung, schnürten ihr den Hals zu und trieben ihr die Tränen in die Augen. Sie hatte heute Morgen schon geweint, obwohl ihr das sehr selten passierte. Nicht einmal vor drei Tagen, als Bernard ihr am Flughafen in Sydney telefonisch den Laufpass gegeben hatte – eine Stunde vor dem Abflug nach Rom.

Es würde also den ersehnten romantischen Heiratsantrag am Trevi-Brunnen definitiv nicht geben. Doch bevor ihr die innere Erleichterung darüber richtig klar geworden war, hatte er schon hinzugefügt, er hätte eine andere Frau kennengelernt. Und mit ihr würde er endlich wahre Leidenschaft teilen können.

Das war ein geschmackloser Tiefschlag gewesen, selbst für Bernard. Er war generell kein sensibler Typ, aber bis zu jenem Tag hatte Ava geglaubt, ihr fades Sexleben wäre zumindest zur Hälfte seine Schuld gewesen.

Offenbar nicht. Offenbar lag es allein an ihr.

„Leidenschaft?“, hatte sie in ihr Telefon geschrien. „Die hätten wir haben können. Und zwar in Rom!“

Seit diesem Gespräch war bereits etwas Zeit vergangen: der lange Flug, die Taxifahrt vom Flughafen zu ihrem historischen Hotel in der Innenstadt, zwei Tage Essen vom Roomservice und zahlreiche Folgen einer italienischen Soap, deren Verlauf sie mit wachsendem Interesse verfolgte. Ganz langsam wurde Ava bewusst, dass sie sich das Reiseziel Rom aus tiefromantischen Gründen ausgesucht hatte, die rein gar nichts mit Bernard zu tun hatten.

In ihrem Innern schien der Wunsch zu schlummern, einen Wendepunkt in ihrem Leben herbeizuführen. Wie er wünschte auch sie sich Romantik und Leidenschaft. Nur leider war das aussichtslos. Derartige Phänomene gehörten auf die Leinwand und nicht in das echte Leben. Jedenfalls nicht in ihr Leben.

Schon früh hatte sie das Scheitern der elterlichen Ehe beobachtet und dabei gelernt, dass eine Frau nur überleben konnte, wenn sie finanziell unabhängig war. Ihre psychisch kranke Mutter hatte nach der Scheidung immense Schwierigkeiten gehabt, sich und ihre Tochter mit einer schmalen Rente durchzubringen.

Aus diesem Grund hatte Ava hart gearbeitet, um dahin zu kommen, wo sie jetzt war. Das bedeutete: null Privatleben. Aus Naivität hatte sie dann vor sieben Jahren diese Dummheit bei der Hochzeit ihres Bruders begangen. Und später die nächste Dummheit, als sie sich einzureden versucht hatte, einen Mann heiraten zu wollen, den sie gar nicht liebte.

Nein, Bernard war nicht der richtige Partner für sie. Aber ein supersexy ehemaliger Profifußballer, dem die Frauen scharenweise nachliefen, war es eben auch nicht.

In ihrer Faust hielt sie noch die Karte umklammert, die er ihr gegeben hatte. Seit einer geschlagenen halben Stunde! Ava hielt sie hoch und entzifferte den Namen, darunter mehrere Kontaktdaten. Die Erinnerung traf sie wie ein scharfes Messer zwischen die Rippen. Hatte sie seine Telefonnummern nicht schon früher einmal gewählt? Keine von ihnen hatte sie zu ihm geführt.

Autor

Lucy Ellis
Früher hätte Lucy Ellis es nie für möglich gehalten, einmal selbst Liebesromane zu schreiben, wie ihre Großmutter es ihr vorschlug. Heute tut sie genau das mit großer Freude. Das Beste für sie am Autorendasein: Ihre Protagonistinnen sind genauso wie die Frauen, über die Lucy schon als junges Mädchen gerne gelesen...
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