Sag nicht Nein, Geliebte

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An Liebe auf den ersten Blick glaubt Unternehmer Jonas Mercer nicht. Doch als er Avery kennenlernt, trifft es ihn wie ein Blitzschlag! Beide beginnen eine Affäre - aber Jonas will mehr. Für ihn ist klar: Avery ist die Richtige! Wie wird sie auf seinen Antrag reagieren?


  • Erscheinungstag 23.02.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521550
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Es war keine gute Idee gewesen, das Dinner so früh einzunehmen. Jetzt erstreckte sich der ganze Abend noch vor ihm, und alles, was ihm dazu einfiel, war, sich im Hotelzimmer vor den Fernseher zu setzen. Aber er trug selbst die Schuld. Schließlich hätte auch einer seiner Assistenten diese Reise machen können. Doch manchmal hielt er es hinter seinem Schreibtisch einfach nicht mehr aus und verspürte den Drang nach Freiheit. Jonas Mercer lächelte. Die Flucht in ein kleines verschlafenes Provinznest konnte man wohl kaum als Abenteuer bezeichnen.

Er holte seinen Kugelschreiber hervor und blätterte die Zeitung durch. Am Besten er blieb so lange in der Bar, bis er das Kreuzworträtsel gelöst hatte. Wenigstens hatte er hier ein bisschen Gesellschaft.

Noch bevor er jedoch die ersten Kästchen ausgefüllt hatte, waren die anderen Gäste schon in den Speisesaal gegangen. Sein Plan schien nicht aufzugehen.

Als Jonas sich bei der vierten Frage gerade mit einem Anagramm herumschlug, merkte er, dass er doch Gesellschaft bekommen hatte, und zwar in Gestalt einer jungen Frau, die allein zu sein schien. Sie war hochgewachsen, schlank und hatte ausgeprägte Kurven. Ihr Hosenanzug war gerade geschnitten, das Haar trug sie streng zurückgebunden. Das Gesicht war schmal. In diesem Moment strich sie mit der rechten Hand eine Locke aus dem Gesicht und sah sich mit großen Augen im Raum um.

Ohne zu bemerken, dass sie beobachtet wurde, schlug Avery Crawford den direkten Weg zur Bar ein. Nun, da sie hier war, kamen ihr plötzlich Zweifel daran, ob ihr Einfall gut gewesen war. Bis auf einen einzigen Herrn, der in seine Zeitung vertieft zu sein schien, war die Bar völlig leer. Wie sollte sie da unbemerkt bleiben? Sie bestellte ein Mineralwasser und trank es so langsam wie möglich. Noch immer hoffte sie, dass mehr Gäste eintreffen würden, die sich vor dem Abendessen einen Drink genehmigten. Wenn die Bar so verlassen blieb, würde sie sich wohl oder übel an einen Tisch setzen müssen. Es sei denn …

Nachdenklich betrachtete Avery den Mann mit der Zeitung. Er sah eigentlich ganz nett aus. Über ein Meter achtzig, wenn sie von der Länge seiner Beine ausging, bei dem hellbraunen Haar waren seine Augen vermutlich blau. Sie blickte auf ihre Uhr. Tatsächlich, es war schon ziemlich spät. Entschlossen nahm sie ihr Glas und ging auf den Mann zu.

„Entschuldigen Sie, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mich zu Ihnen setze?“, fragte sie. „Ich habe für meinen Drink bezahlt, und ich möchte Sie auch nicht anmachen. Eigentlich hatte ich gedacht, dass es hier viel voller wäre. Dann hätte ich mich unauffällig unter die anderen Gäste mischen können. Aber anscheinend habe ich kein Glück.“

„Es ist mir ein Vergnügen“, erwiderte er freundlich und wies auf den Stuhl neben sich.

„Danke.“ Sie setzte sich, hielt jedoch plötzlich inne. „Sie heißen nicht zufällig Philip, oder?“

„Nein, mein Name ist Jonas. Jonas Mercer.“ Er erhob sich und deutete eine kleine ironische Verbeugung an.

„Na, da bin ich aber froh. Ich hatte schon Angst, ich hätte es verpatzt. Ich bin Avery Crawford.“

Amüsiert erwiderte er ihren Blick. „Und warum brauchen Sie Gesellschaft, wenn Sie auf Philip warten?“

„Ich warte ja gar nicht auf ihn. Eine Freundin hat mich gebeten, ihr Schützenhilfe zu leisten.“

„Schützenhilfe?“, erwiderte er neugierig. „Erzählen Sie mir doch bitte mehr.“

Avery zögerte. „Also, wie gesagt, es geht um meine Freundin. Sie ist hier mit jemandem verabredet.“

„Aber wozu braucht sie Sie dann?“

„Frances ist geschieden und hat eine Anzeige aufgegeben. ‚Dame über vierzig, schlank, blond, mit viel Humor, sucht Bekanntschaft mit Herrn, der zu ihr passt.‘ Philip ist darauf angesprungen. Aber nachdem sie ein Treffen vereinbart hatte, bekam sie kalte Füße. Daher habe ich einen Plan entwickelt.“

Er lächelte. „Lassen Sie mich raten. Wenn er ihr nicht gefällt, kommen Sie ihr zu Hilfe.“

„Ganz genau. Hören Sie, ich möchte Sie wirklich nicht belästigen. Wenn Sie mir Ihre Zeitung leihen, verspreche ich auch, Sie in Frieden zu lassen.“

„Oh nein, ich wollte hier bloß die Zeit totschlagen, bis ich in mein Zimmer hinaufgehe“, versicherte er ihr. „Sehen Sie nicht hoch“, warnte er plötzlich in völlig verändertem Ton. „Ich glaube, Philip ist gerade gekommen.“

Der Mann, der soeben die Bar betreten hatte, hatte dunkles Haar, das an den Schläfen bereits grau wurde. Sein Tweedjackett war von einem erstklassigen Schneider angefertigt worden, wie Avery sofort auffiel.

„Hoffentlich haben Sie recht“, sagte sie. „Er sieht vielversprechend aus. Außerdem ist er im richtigen Alter. Die anderen Männer, die auf die Anzeige reagiert haben, waren viel zu alt. Die Antwort auf die drei nach unten lautet übrigens Kokon“, fügte sie hinzu.

„Stimmt genau“, erwiderte Jonas und füllte die Kästchen aus. „Ist das Ihre Freundin?“

Avery sah auf und erblickte Frances White, die gerade zögernd den Raum betrat. Sie wirkte wie jemand, der am liebsten auf der Stelle die Flucht ergriffen hätte. Aber der Mann an der Bar ging bereits lächelnd auf sie zu. Schnell vertiefte Avery sich wieder in das Kreuzworträtsel.

„Ich traue mich nicht hinzuschauen“, flüsterte sie. „Was passiert jetzt?“

„Sie nehmen am Tisch Platz.“

„Was für einen Eindruck machen sie?“

„Sie lachen beide.“

Avery riskierte einen Blick und lächelte erleichtert. „Ich habe nicht den Eindruck, dass sie meine Verstärkung braucht. Dann kann ich ja wieder gehen.“

„Nein, Sie können mich jetzt nicht verlassen“, protestierte Jonas. „Was tun Sie, wenn Ihre Freundin verschwinden will?“

„In ein paar Minuten wird sie auf die Toilette gehen. Wir haben verabredet, dass ich Sie dort treffen werde, um mich mit ihr zu beraten. Wenn Philip ihr nicht gefällt, rufe ich sie auf ihrem Handy an und sage ihr, dass sie dringend nach Hause kommen muss. Wenn sie sich mit ihm wohlfühlt, gehe ich einfach heim.“

Jonas schüttelte den Kopf. „Ich habe eine bessere Idee. Wenn Sie mit Ihrer Freundin gesprochen haben, lade ich Sie auf einen Drink ein, und wir machen das Kreuzworträtsel zu Ende. Es sei denn“, fügte er hinzu, „jemand wartet zu Hause auf Sie.“

„Nein, niemand.“

„Gut.“ Er sah sie prüfend an und widmete sich dann wieder der Zeitung. „Auf mich wartet auch keiner. Und die sechzehn nach unten ist Brüstung.“

Avery bezweifelte, dass er ihr die Wahrheit gesagt hatte. Vielleicht wartete hier niemand auf ihn, aber zu Hause hatte er sicher eine Freundin.

„Achtung“, sagte er plötzlich, „Ihre Freundin setzt sich gerade in Bewegung.“

Avery ließ ein paar Minuten verstreichen, dann erhob sie sich und ging zur Toilette.

Frances erwartete sie bereits.

„Wer ist denn dieser gut aussehende Typ?“, fragte sie.

„Das ist jetzt nicht wichtig. Also erzähl schon, ich platze vor Neugier. Wie findest du Philip? Gefällt er dir? Willst du noch bleiben, oder …“

„Er gefällt mir, und ich habe mich mit ihm zum Abendessen verabredet.“

Avery pfiff durch die Zähne. „Wo?“

„Hier im Hotel. Stell dir vor, er hat sogar schon einen Tisch reserviert.“ Sie lächelte ihre Freundin an. „Vielen Dank, Chefin. Ohne deine Unterstützung hätte ich bestimmt gekniffen. Das wäre echt schade gewesen, denn Philip wirkt sehr charmant. Und ich glaube, er mag mich auch.“

„Natürlich mag er dich! Also, dann viel Spaß! Morgen musst du mir erzählen, wie es gelaufen ist.“

„Willst du denn schon nach Hause?“

Avery schüttelte den Kopf. „Nein, ich bleibe noch ein bisschen hier mit dem gut aussehenden Fremden. Wir sehen uns dann morgen!“

Sie zog noch einmal die Lippen nach und überlegte kurz, ob sie ihr Haar offen tragen sollte. Aber dann entschied sie sich dagegen. Das wäre wirklich zu eindeutig gewesen. Zurück in der Bar, sah sie sich um, aber Frances und ihr Partner waren verschwunden.

„Sie sind weg“, informierte Jonas sie.

„Ja, Philip hat offensichtlich einen Tisch reserviert.“

„Dann können wir uns ja entspannen. Was möchten Sie trinken?“

Avery entschied sich für ein Glas Rotwein. Sie betrachtete Jonas Mercer auf dem Weg zum Tresen. Er war wirklich ziemlich groß und schlank und schien großen Wert darauf zu legen, sich körperlich fit zu halten. Auf eine selbstverständliche Art wirkte er männlich, und seine ganze Haltung war sehr entspannt. Eigentlich war er nicht ihr Typ, denn Avery fühlte sich von schwarzhaarigen Männern angezogen. Männer? Sie lächelte bitter. Das sollte wohl ein Scherz sein.

„Wie groß sind Sie eigentlich?“, erkundigte sie sich, als er mit den Drinks zurückkehrte.

„Ein Meter neunzig. Und Sie?“

„Machen wir jetzt ein Frage-Antwort-Spiel?“

„Wäre ja eine Idee. Ich habe das Kreuzworträtsel gelöst, als Sie auf der Toilette waren.“

„Dann gibt es ja keinen Grund für mich, noch länger zu bleiben.“

„Oh doch, den gibt es sehr wohl“, er lächelte sie an. „Ich würde mich freuen, wenn Sie noch bleiben.“

„Gut, ein bisschen Zeit habe ich.“ Sie fühlte sich geschmeichelt. „Und wollen Sie mir dann noch mehr Fragen stellen?“

Er zuckte die Schulter. „So ist das nun einmal, wenn man sich gerade erst kennengelernt hat. Erzählen Sie mir doch ein wenig über sich, Avery Crawford.“

Sie teilte ihm mit, dass sie Single war, ihr eigenes Geschäft führte und ein Haus am Stadtrand besaß.

„So, jetzt sind Sie aber dran“, meinte sie auffordernd.

„Bei mir ist es ganz ähnlich“, erwiderte Jonas. „Ich bin auch allein und besitze ein Haus. Außerdem leite ich unser Familienunternehmen. Ich bin hier, um die Umgebung zu erkunden. Sie leben in einer sehr hübschen Gegend, Avery.“

Sie stellte ihm die Geschichte der Stadt in einem kurzen Abriss dar und riet ihm, nach blauen Hinweistafeln Ausschau zu halten, die an einigen Häuserwänden angebracht waren. Als sie ihren Drink absetzte, vernahm sie plötzlich das Grummeln ihres Magens, und ihr fiel wieder ein, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte.

Mit einem leichten Gefühl des Bedauerns erhob sich Avery.

„Vielen Dank für den Drink und für Ihre Hilfe. Aber bevor ich gehe, habe ich noch eine Frage. Was haben Sie gedacht, als ich Sie angesprochen habe? Und seien Sie bitte ehrlich!“

„Dass ich ziemliches Glück habe“, entgegnete er und schenkte ihr ein Lächeln, das ihr den Atem nahm. „Müssen Sie denn wirklich schon gehen?“

„Ich fürchte, ja.“

„Dann bringe ich Sie noch zu Ihrem Auto.“

Draußen streckte sie ihm die Hand entgegen und lächelte. „Gute Nacht, Jonas. Danke nochmals.“

„Es war mir ein Vergnügen.“

Avery stieg ein und fuhr los. Im Rückspiegel sah sie ihn, auf der Treppe zum Hotel stehend, und verspürte plötzlich ein seltsames Kribbeln im Magen. Bestimmt war es nur eine körperliche Reaktion auf seinen überraschend festen Händedruck. Daran war sie einfach nicht mehr gewöhnt. Eine lange Zeit war vergangen, seit sie irgendetwas bei einem Mann empfunden hatte. Um in Ruhe darüber nachdenken zu können, fuhr sie betont langsam.

Doch ihr wohliges Gefühl verschwand abrupt, als sie den Mann entdeckte, der auf der Terrasse ihres Hauses auf sie wartete.

„Hallo“, sagte der Besucher. „Wir haben uns lange nicht mehr gesehen.“

Avery stieg aus dem Wagen und schlug die Tür ärgerlich zu.

„Was zum Teufel hast du hier zu suchen, Paul?“

„Komm schon, entspann dich, Avery.“ Er sah sie lächelnd an. „Können wir nicht wie zwei zivilisierte Menschen miteinander umgehen? Wie wär’s mit einem Drink? Oder mit einem Kaffee, wenn du zu viel getrunken haben solltest. Obwohl Alkohol ja nie deine Schwäche war.“

Avery blickte ihn feindselig an. Seine Aussprache war alles andere als klar, und aus Erfahrung wusste sie, das bedeutete, dass er derjenige war, der einen über den Durst getrunken hatte.

„Woher weißt du überhaupt, dass ich im Angel war?“

„Dein Wagen stand auf dem Parkplatz. Ich war mit meinen Eltern im Pub gegenüber. Wer war denn der Typ?“

„Wieso interessiert dich das?“

Er schien verletzt zu sein. „Warum bist du so aggressiv? Ich bin hier, um dir einen Gefallen zu tun. Darf ich hereinkommen?“

„Nein, auf gar keinen Fall. Vergiss es, Paul. Ich will dich hier nicht haben.“

Aber noch bevor sie ihn aufhalten konnte, hatte er ihr schon die Schlüssel aus der Hand genommen und schloss die Tür auf. Im nächsten Moment erklang die Alarmanlage.

„Stell das verdammte Ding ab.“

„Ich denke gar nicht daran.“ Plötzlich erklang aus der Ferne Sirenengeheul.

„Verschwinde, Paul, oder ich hole die Polizei. Das dürfte deinen Eltern gar nicht gefallen.“

Er zögerte, aber das Alarmsignal von der Straße kam immer näher. Paul warf ihr einen bösen Blick zu und drehte sich um. Fast wäre er gestolpert, so eilig hatte er es auf einmal. Avery tippte den Code ein und registrierte befriedigt, dass die Sirenen wieder leiser wurden. Es war nicht die Polizei, sondern ein Krankenwagen gewesen. In diesem Moment klingelte ihr Handy.

„Wie bist du an meine Nummer gekommen?“, fuhr sie den Anrufer an.

„Durch einen miesen Trick“, erwiderte eine männliche Stimme, die ihr seltsam vertraut vorkam.

„Oh.“ Avery errötete. „Entschuldigung, ich dachte, es wäre jemand anderes.“

„Hier ist Jonas Mercer. Wir haben uns gerade erst kennengelernt.“

„Ja, ich weiß. Tut mir leid, wenn ich unhöflich war.“

„Stimmt irgendetwas nicht?“

„Nein, es ist alles in Ordnung. Aber wie sind Sie an meine Nummer gekommen?“

„Als Sie auf der Toilette waren, haben Sie Ihr Handy liegen gelassen. Haben Sie etwas dagegen, dass ich Sie anrufe?“

„Nein.“

„Gut. Ich konnte Sie vorhin gar nicht fragen, ob wir uns wiedersehen werden. Wie wäre es mit morgen? Hätten Sie Lust, mit mir zu Abend zu essen?“

Avery zögerte einen Moment. Es war lange her, dass sie von einem Mann zum Dinner eingeladen worden war. Vielleicht war es Zeit, das zu ändern.

„Ich verspreche Ihnen auch, mit dem Kreuzworträtsel auf Sie zu warten“, lockte Jonas.

„Das ist wirklich sehr großzügig von Ihnen.“

„Heißt das, Sie nehmen die Einladung an?“

Plötzlich erschien ihr ein Essen mit ihm wie das perfekte Gegenmittel zu ihrem unangenehmen Treffen mit Paul Morrell.

„Warum nicht? Danke! Aber bitte nicht wieder im Angel, okay?“

„Wie Sie wünschen, es ist Ihre Stadt. Sagen Sie mir einfach nur, wann und wo ich Sie abholen soll.“

Aber Avery hatte nicht vor, einem Fremden ihre Adresse zu geben.

„Das wird nicht nötig sein. Seien Sie einfach um sieben Uhr vor der Tür vom Angel, dann fahre ich Sie zum Fleece. Es ist nicht weit.“

„Gut, das mache ich. Schlafen Sie gut, Avery Crawford.“

Avery merkte, dass sie lächelte, während sie sich später ein Omelett machte. Als sie schließlich zu Bett ging, war sie sich ziemlich sicher, dass sie gut schlafen konnte, trotz ihres Zusammenstoßes mit Paul. Früher hätte sie ein solches Treffen die ganze Nacht wach gehalten. Aber durch die Begegnung mit Jonas war nun alles anders.

Am nächsten Morgen schlief Avery so lange, dass sie sich beeilen musste, um in die Stadt zu kommen. Ihr kleines Geschäft lag zwischen einigen Läden ähnlicher Größe in der Stow Street. Direkt daneben befand sich der größte Parkplatz der Stadt.

Frances erschien kurz nach ihr. Sie war so guter Stimmung, dass Avery nicht lange raten musste, wie ihr Abend verlaufen war. Doch bevor sie Einzelheiten erfahren konnte, erschienen die anderen Mitarbeiterinnen ihres kleinen Teams. Dann hörte das Telefon nicht mehr auf zu klingeln, und ein weiterer geschäftiger Arbeitstag begann. Bald musste sie zu ihrem ersten Termin fahren.

„Es kann ein bisschen dauern, Frances“, sagte sie auf dem Weg nach draußen. „Es wird sicher nicht leicht sein, Pansy Keith-Davidson in das schöne Hochzeitskleid ihrer Großmutter hineinzuzwängen.“

„Hoffentlich platzen die Nähte nicht“, lachte Frances. „Wir sehen uns dann beim Mittagessen.“

Averys nächste Kunden gehörten zu den reichsten Familien der Stadt. Zuerst boten sie ihr Kaffee und Plätzchen an, dann ging es an die Arbeit, die sie fast den ganzen Morgen über in Atem hielt.

„Das ist eine ziemlich große Herausforderung“, sagte sie zu Frances, als sie sich schließlich zum Mittagessen in dem kleinen Café in der Stow Street trafen. „Pansys Mutter hat mir offen gesagt, dass sie eigentlich ein Kleid von einem Londoner Designer in Auftrag geben wollte. Aber dann hat Pansy in irgendeinem Modemagazin gelesen, dass Hochzeitskleider aus zweiter Hand der letzte Schrei sind. Wenn das Kleid zudem noch der Großmutter gehört hat, ist das nicht mehr zu toppen.“

„Können wir das Kleid denn ändern?“, fragte Frances.

„Ja, das dürfte kein Problem sein. Es ist ein Satinkleid aus den dreißiger Jahren im Stil von Hollywood. Glücklicherweise ist Pansy auf Diät. Mit ein paar Abnähern und etwas Stickerei an den problematischsten Stellen müsste man es eigentlich hinbekommen. Die Mutter hat nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als ich ihr den Preis nannte.“ Avery lächelte. „Pansy war so angetan von meinen Vorschlägen, dass sie mich gebeten hat, auch die Kleider für die sechs Brautjungfern zu nähen. Das einzige Problem ist die Zeit. Die Hochzeit soll schon nächsten Monat sein.“

„Ach, das schaffen wir schon. Gut gemacht, Chefin.“

„Genug vom Geschäft.“ Avery beugte sich nach vorn und sah ihre Freundin gespannt an. „Erzähl mir, wie der Abend verlaufen ist.“

Frances lächelte verträumt. „Es war toll. Philip ist unglaublich charmant. Erstaunlich, dass er schon so lange Witwer ist. Seine Tochter hat darauf bestanden, dass er auf die Anzeige antwortet. Im Nachhinein meinte er, das wäre ein Segen gewesen.“

„Das sehe ich genauso. Was macht er denn beruflich?“

„Er ist Buchhalter.“

„Das heißt, er gefällt dir.“

„Ich mochte ihn von Anfang an. Vielleicht auch deshalb, weil ich gemerkt habe, dass er mindestens so nervös war wie ich. Aber dann haben wir uns die ganze Zeit unterhalten und uns für Samstag wieder verabredet.“ Frances strahlte. „Danke, Avery. Ich schulde dir einen Gefallen.“

„Oh nein, du schuldest mir gar nichts. Stell dir vor, ich treffe mich heute Abend mit Jonas Mercer, dem Mann, den ich gestern kennengelernt habe.“

„Tatsächlich?“ Frances sah sie erstaunt an. „Das ist ja fantastisch! Was ist denn so anders an ihm als an dem Rest der männlichen Bevölkerung in unserer Stadt?“

„Vielleicht die Tatsache, dass er nicht zur männlichen Bevölkerung unserer Stadt gehört. Ich muss sagen, er ist auch sehr charmant.“ Avery lächelte. „Du bekommst von mir die Hälfte der Kosten für die Anzeige.“

Avery machte an diesem Nachmittag pünktlich Schluss, damit sie sich zu Hause in Ruhe zurechtmachen konnte. Sie wusch ihr Haar früh genug, damit es an der Luft trocknen konnte. Mit dem Make-up gab sie sich große Mühe und zog sich zwei Mal um, bis sie mit ihrer Kleidung zufrieden war. Nach längerem Überlegen entschied sie sich für eine Jeans und ihre Samtjacke. Dieser Aufwand verstimmte sie jedoch. Sie verhielt sich wie ein Teenager. Dann musste sie auch noch feststellen, dass sie eine Minute zu früh auf dem Parkplatz des Hotels erschienen war.

Jonas wartete bereits auf sie. Er trug ein kakifarbenes Jackett und eine helle Cordhose, die ihm ausgezeichnet stand.

„Hallo“, begrüßte Avery ihn erfreut. „Sie hätten doch nicht draußen warten müssen. Ist Ihnen nicht kalt?“

„Sie haben sieben Uhr festgelegt, und ich glaube, Sie sind eine Frau, die meint, was sie sagt.“ Er ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder und sah Avery bewundernd an. „Das ist ja eine prachtvolle Mähne, Miss Crawford.“

„Danke.“

„Wie war Ihr Tag?“

Sie beschrieb ihm den Verlauf der Anprobe, den er sehr amüsant fand.

„Übrigens habe ich heute Morgen einen kleinen Spaziergang gemacht“, erklärte er. „Averys Änderungsatelier liegt direkt neben dem großen Parkplatz, nicht wahr?“

„Ja, das ist unser Laden. Aber zu den Anproben fahre ich meistens zu meinen Kunden nach Hause. So, da sind wir“, stellte sie fest, als sie das Fleece erreichten.

Sie fuhren durch ein Tor, groß genug, um die Kutschen durchzulassen, die in früheren Zeiten vor dem Gasthaus gehalten hatten. Jetzt standen überall Autos, und Avery war froh, als sie sofort einen Parkplatz fanden. Über Pflastersteine gingen sie hinüber ins Restaurant. Ein verführerischer Duft erfüllte die Luft, den Jonas genießerisch einatmete.

„Wenn das Essen so gut schmeckt, wie es riecht, können wir uns auf einen schönen Abend freuen“, sagte er und führte Avery in das Lokal. „Wie wäre es mit dem kleinen Tisch im Erker? Setzen Sie sich doch schon, und ich hole uns etwas zu trinken. Möchten Sie wieder ein Glas Rotwein?“

„Ja, bitte.“

Es war voll, wie immer. Avery lehnte sich zufrieden in ihrem Stuhl zurück. Sie wusste, dass sie sich auf die gute Küche des Restaurants verlassen konnte. Lächelnd registrierte sie, dass mehrere Bekannte ihr Erscheinen mit dem gut aussehenden Fremden bemerkt hatten. Ja, das war wirklich einmal etwas Neues. Avery Crawford ging mit einem Mann aus!

„Das Gasthaus gibt es bereits seit dem achtzehnten Jahrhundert“, teilte sie Jonas mit. „Es war das erste Restaurant, in das mich meine Eltern geführt haben.“

„Dann kommen Sie also aus dieser Gegend? Seit wann gibt es Ihr Geschäft denn schon?“

„Seit etwa fünfundzwanzig Jahren.“

Jonas sah sie sehr überrascht an. „Also, das hätte ich jetzt wirklich nicht gedacht.“

„Meine Mutter fing zu Hause damit an, als ich noch ganz klein war. Sie hatte eine Ausbildung als Schneiderin und hat mir alles beigebracht, was sie wusste. Als ich später zur Universität ging, konnte ich mir meine eigenen Ballkleider schneidern.“

„Das klingt ja toll.“ Jonas beugte sich zu ihr, um sie besser verstehen zu können. Es war ziemlich laut im Raum. „Und worin haben Sie Ihren Abschluss gemacht? In Kunstgeschichte?“

„Nein, in Mathematik.“

Er lächelte sie an. „Wirklich? Ich auch! Miss Crawford, Sie kennen sich hier aus. Was würden Sie denn empfehlen?“

Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, betrachtete Avery ihren Begleiter neugierig.

„Und was haben Sie nach dem Studium gemacht?“

„Ich bin zuerst ein Jahr lang mit meinem Rucksack um die ganze Welt gezogen. Danach habe ich angefangen, in unserem Familienbetrieb zu arbeiten. Nach der Einarbeitungszeit entschied mein Vater, sich immer mehr aus dem Geschäft zurückzuziehen. Unter seiner Führung habe ich dann einen Bereich nach dem anderen übernommen. Im Großen und Ganzen leite ich die Firma so, wie sie seit jeher geführt wurde. Das bedeutet, wir sind von Banken und der City unabhängig. Die Firma ist ein Mittelding zwischen Spedition und Bauunternehmen. Einträglich, aber nicht besonders spannend.“

„Eine Firma, die schon seit so langer Zeit ohne fremde Hilfe existiert, ist doch auf jeden Fall eine aufregende Sache“, widersprach Avery. „Ich habe auch eine ganze Weile in der City gearbeitet, bevor ich mich hier niedergelassen habe.“

„Ach, wirklich? Und warum sind Sie nicht in London geblieben?“

„Das erzähle ich Ihnen lieber ein anderes Mal. Unser Essen kommt.“

Tatsächlich waren die Gerichte so vorzüglich, wie Avery es vorhergesagt hatte. Jonas machte keinen Versuch mehr, sie über ihren Karrieresprung auszufragen. Stattdessen erzählte er ihr von der Begeisterung seiner Mutter für Gartenarbeit, von der Passion seines Vaters für Golf und von seinen vielen Verwandten, die alle in die Firma eingebunden waren.

„Ich habe mehr Hilfe, als ich brauchen kann“, schloss er. „Möchten Sie vielleicht noch Kaffee?“

Nach dem Kaffee wäre das Essen beendet. Doch weil solche Abende in ihrem Leben selten geworden waren, hatte Avery gar keine Lust, sich von Jonas schon wieder zu trennen. Daher lud sie ihn nach kurzem Zögern zum Kaffee zu sich nach Hause ein.

„Sehr gern“, erwiderte Jonas und bat den Kellner um die Rechnung.

Als sie die alte viktorianische Villa erreichten, in der Avery wohnte, sah er sich beeindruckt um. Zuerst schaltete sie die Alarmanlage aus.

„Das ist eine sehr vernünftige Einrichtung, wenn man allein wohnt“, meinte er. „Sie wohnen doch allein, nehme ich an?“

Avery nickte. „Ja. Oder dachten Sie, ich wäre nur auf etwas Zerstreuung aus, während mein Mann auf Geschäftsreise ist?“

„Das dachte ich keinesfalls“, erwiderte er ruhig. „Haben Sie keine Familie?“

Ein Schatten fiel auf ihr Gesicht, während sie ihn durch den langen Flur in die Küche führte. „Nein, nicht mehr.“

„Ein ziemlich großes Haus für eine Person“, meinte er und folgte ihr in die große, geräumige Küche.

„Ja, ich habe auch lange darüber nachgedacht, ob ich es nicht verkaufen oder vermieten sollte. Aber es ist schon seit Ewigkeiten im Besitz meiner Familie. Und schließlich habe ich mich entschieden, es zu behalten. Am Anfang habe ich auch mein Geschäft von hier aus geführt.“ Sie setzte den Kessel auf. „Möchten Sie vielleicht etwas Stärkeres als Kaffee? Einen Whisky oder einen Cognac?“

Er lächelte. „Würde es meinem Image sehr schaden, wenn ich Sie um eine Tasse Tee bitten würde?“

„Tee klingt gut“, erwiderte Avery und nickte. „Dann werden wir ihn im Wohnzimmer zu uns nehmen und aus den schönen Porzellantassen meiner Mutter trinken.“

„Um ehrlich zu sein, würde ich lieber hier bleiben. Also, was haben Sie in der City gemacht?“

„Ich war so eine Art Wunderkind. Mit fünfundzwanzig habe ich bereits einen großen Fonds für eine Versicherung betreut. Der Fonds hatte einen Wert von mehreren Milliarden. Es ging dabei vor allem um Vermögenswerte aus dem Einzelhandel und um Rentenfonds.“

Autor

Catherine George
Die öffentliche Bibliothek in ihrem Heimatort nahe der walisischen Grenze war der Ort, an dem Catherine George als Kind in ihrer Freizeit meistens zu finden war. Unterstützt wurde sie dabei von ihrer Mutter, die Catherines Lesehunger förderte. Zu einem Teil ist es sicher ihrer Motivation zu verdanken, dass Catherine George...
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