Schleier und Schwert

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Schottland, 1356: Eine Nonne zu begehren ist eine Todsünde! Und doch lodert heißes Verlangen in Highlander Rurik Erengislsson, seit er die betörende Klosterschülerin Margriet auf ihrer Reise zu den Orkney Inseln begleitet. Eigentlich soll er sie beschützen und in die Obhut ihres Vaters übergeben. Stattdessen sehnt Rurik sich mit jeder Faser seines Körpers danach, ihren Schleier zu lüften und sie in die Kunst der Liebe einzuweisen …


  • Erscheinungstag 14.12.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733769499
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Lairig Dubh, Schottland

1356

Sein Schwert sang sein tödliches Lied. Es klang in Ruriks Seele wider und verlieh ihm Kraft und Entschlossenheit, als er die Waffe hoch über seinen Kopf hob und mit der scharf geschliffenen Spitze nach unten zielte. In diesem Augenblick, in dem er eins wurde mit dem Todesboten in seiner Hand, ließ er den tief in seinem Innern verborgenen Wikinger zum Leben erwachen. Und nur seine im letzten Moment geübte Selbstbeherrschung hinderte ihn daran, dem Mann, der vor ihm auf der Erde lag, den Todesstreich zu versetzen. Wie ein Berserker in alter Zeit stieß Rurik, das Gesicht zur Sonne erhoben, seinen Schlachtruf aus, so laut und anhaltend, dass er jenseits der Hofanlage und sogar jenseits der Burgmauern von Lairig Dubh zu hören war.

Klugerweise gewährte sein Gegner ihm den Augenblick des Triumphes und rührte sich nicht. Sicher war die scharfe Schwertspitze an seinem Hals ein weiterer Grund, warum Connor sich nicht regte und darauf wartete, dass Rurik sich wieder beruhigte. Als die Zuschauer in Hochrufe ausbrachen, nahm Rurik das Schwert fort und beugte sich zu seinem besiegten Gegner nieder. Es war der Mann, den er Laird nannte.

„Fast glaubte ich, das wäre jetzt das Ende“, stieß Connor MacLerie, Laird MacLerie und Earl of Douran leise hervor. „In deinen Augen lag ein Ausdruck, den ich bei dir noch nicht kannte, Rurik.“

Der Laird wischte sich den Dreck ab und streckte die Hand nach seiner Waffe aus, die Rurik während ihres Zweikampfs zur Seite geschleudert hatte. Ein Junge rannte los, hob sie auf und brachte sie Connor zurück.

Rurik räusperte sich und spuckte auf den Boden. „Ich töte nicht, wem ich diene.“

Connor deutete mit dem Kopf auf die goldenen Armbänder, die Rurik neuerdings trug. Der Laird war ein Mann, dem nichts entging. „Das Schwert. Die Armbänder. Ich vermute, dass sie etwas mit den Besuchern zu tun haben, die sich in meiner Halle aufhalten und darauf warten, dass du dort erscheinst.“

„Besucher?“, fragte Rurik.

Mit einer Kopfbewegung rief er einen der Burschen zu sich, die um sie herumstanden. Sie hatten dem Kampf zugesehen. Er beugte sich zu dem Jungen, gab ihm einige Anweisungen und händigte ihm dann sein Schwert aus. Dann wandte er sich wieder Connor zu. Er wusste, dass es dem Laird nicht gefallen würde, wenn er erneut versuchte, Überraschung vorzutäuschen. Schließlich war er sein Freund und würde solch einen Versuch als Beleidigung betrachten.

„Sie sind gekommen, um Rurik Erengislsson zu sehen und bringen Nachricht von den Orkneyinseln – von deinem Vater.“

Nichts Neues also. Nichts, was Rurik nicht schon wusste.

Ihre beiden früheren Besuche waren ihm nicht verborgen geblieben. Aber nachdem sie jedes Mal keinen Erfolg gehabt hatten, waren sie wieder in den Norden zurückgekehrt. Obwohl es ihm gelungen war, ihnen aus dem Weg zu gehen, hatte er die Gegenstände, die sie ihm brachten, nicht einfach leichten Herzens fortwerfen können wie die Briefe, die er von ihnen erhielt.

„Ich weiß“, sagte er. Und während er sich den Schweiß von der Stirn wischte, meinte er achselzuckend: „Ich möchte nicht mit ihnen reden.“

Connors eindeutiger Blick über seine Schulter hinweg verriet Rurik, dass die besagten Männer bereits hinter ihm aufgetaucht waren und näher kamen. Es wäre einfach für ihn gewesen, sie zu Boden zu schlagen. Aber er wusste, dass Connor die beiden willkommen geheißen hatte und sie so mit seinem Namen und seiner Gastfreundschaft schützte. Er konnte sie jetzt nicht angreifen, um Zeit zur Flucht zu gewinnen. Denn dann hätte er sich MacLerie zum Feind gemacht. Ruriks Verlangen, einfach davonzulaufen, wuchs. Und das brachte ihn noch mehr aus der Fassung.

„Das über mir schwebende Schwert in deiner Hand hat mir etwas anderes erzählt, Rurik.“ Connor schlug ihm auf die Schulter. „Du kannst nicht fortwährend vor deiner Vergangenheit davonlaufen. Das ist eine Lektion, die auch ich lernen musste. Du solltest darüber nachdenken.“ Er beugte sich zu ihm und senkte die Stimme. „Du musst meine Fehler nicht wiederholen, um daraus zu lernen.“

Mit dem Schwert hatte Rurik einen Fehler begangen. Die Armbänder, auch wenn sie ihm gut gefielen, besaßen keine so große Bedeutung wie das Schwert. Er verfluchte sich dafür, schwach geworden zu sein. Warum hatte er die Waffe nicht einfach vergraben, nachdem man sie ihm überreicht hatte! Rurik sah zu dem Jungen hinüber und beobachtete, wie er seinen Anweisungen gemäß das Schwert reinigte.

Rurik schickte sich in das Unvermeidliche, nickte Connor zu und sah dann den beiden Männern entgegen, die verbissen jeden seiner Schritte verfolgt hatten – seit drei Monaten.

Sie mussten gar nicht erst ihre Kapuzen abnehmen. Auch so erkannte er die inzwischen erwachsenen Freunde aus seiner Kindheit. Nacheinander hielt Rurik jedem die Hand hin. Erinnerungen blitzten in ihm auf. Sie brachten ihm ins Gedächtnis zurück, in welche Schwierigkeiten drei großmäulige, mit wenig Verstand gesegnete Buben kommen konnten, wenn sie zu viel Zeit und zu wenig Führung hatten.

„Sven. Magnus.“

Es war nur ein kurzer Moment des Zögerns. Dann streckte Sven die Arme aus und zog Rurik in eine herzliche, freundschaftliche Umarmung. Rurik löste sich rasch wieder von ihm. Sogar sich selbst wollte er nicht eingestehen, wie gut ihm diese Begrüßung tat. Magnus’ Reaktion hätte ihn eigentlich nicht überraschen dürfen. Trotzdem raubte ihm der Schlag, der ihn jetzt traf, fast die Besinnung. Im Hof war es totenstill, während er sich wieder hochrappelte und sich den Schmutz von den Hosen klopfte. Danach brach er in lautes Gelächter aus.

„Connor, komm her und begrüße diese beiden nutzlosen …“

Als er sich zu dem Laird umwandte, warfen sich Sven und Magnus auf ihn. Rurik konnte nicht aufhören zu lachen, während alle drei zu Boden stürzten. Einige Minuten lang behauptete er sich gegenüber den beiden. Dann schob er sie von sich und machte so der Rauferei – und der anfänglichen Unbehaglichkeit – ein Ende. Connor trat jetzt näher, und Rurik stellte sie auf Gälisch einander vor. Das war die Sprache des hiesigen Clans. Aber als der Laird sie einlud, es sich in der Halle bequem zu machen, schüttelte Rurik den Kopf. Er wollte nicht, dass das bevorstehende Gespräch vor allen Leuten dort stattfand.

Während er die beiden durch den Hof und durchs Tor hinaus ins Dorf führte, fühlte Rurik, wie sich ein Knoten in seinem Innern immer mehr zusammenzog. War er vielleicht im Begriff, einen Fehler zu begehen, indem er sich bereit erklärte, ihre Botschaft zu hören?

Er hatte Connor angelogen. In der Tiefe seines Herzens kannte er die Wahrheit – er fürchtete sich vor der Nachricht, die sein Vater ihm sandte. Er fürchtete sich vor der Wahl, die er vielleicht treffen musste, wenn die Botschaft erst einmal verkündet war. Es war leicht zu schwören, nie mehr zu den Inseln im Norden zurückzukehren, wenn niemand einen einlud. Was sollte er jetzt tun?

Auf dem Weg zur Hütte, die Rurik in Lairig Dubh bewohnte, sprachen Sven und Magnus kein Wort. Wenn Rurik fort war, kümmerte sich eine Frau aus dem Dorf um seine Unterkunft. Und wenn er da war, hielt sie die Hütte sauber und sorgte für Vorräte. Rurik lächelte bei dem Gedanken an das, wofür die reizende Daracha während seines Aufenthalts sonst noch sorgte. Seine Männlichkeit wurde hart, und ihn erfüllte die Vorfreude auf das, was in dieser Nacht geschehen mochte, wenn es im Dorf erst einmal still wurde.

Sven und Magnus würden wohl in der Burg schlafen müssen.

Er stieß die Tür auf und ließ die beiden als Erste eintreten. Die Tür ließ er offen, damit frische Luft in die Hütte kam, zog die wenigen Hocker und den Stuhl an den kleinen Tisch und forderte die Männer auf, sich zu setzen. Dann ging er zu einem Vorratsregal und griff nach einem Krug Bier und drei Bechern. Er setzte sich nieder, und während er die Becher füllte, nickte er Sven zu, von dem er annahm, dass er den Brief von ihm erhalten würde.

„Seit fast drei Monaten suchen wir dich jetzt schon, Rurik. Wieso gehst du uns aus dem Weg?“

„Euer Brief und derjenige, der euch schickt, interessierten mich nicht“, meinte er. Er war sich nicht sicher, ob sein Freund die Entschuldigung glaubte. Aber er fand sie nicht schlecht.

„Und jetzt?“, fragte Magnus. „Wieso willst du sie jetzt hören?“

Rurik ließ den Blick durch die Hütte schweifen. Er fragte sich selbst, aus welchem Grund er den beiden seit Monaten aus dem Weg ging, wie sie sagten, und warum er sich ihnen jetzt auf einmal stellte. „Es ist eben an der Zeit.“

Sven und Magnus ließen fast gleichzeitig ein Schnauben hören, wechselten bedeutungsvolle Blicke und zuckten die Achseln. Dann nahmen sie noch einen Schluck Bier. Ihre Anspannung ließ nach, als sei es jetzt, wo sie wussten, dass er sie anhören würde, unwichtig, wieso er versucht hatte, sie auszutricksen.

„Er will, dass du zurückkommst. Er ist bereit, dich als Sohn und Erben anzuerkennen“, sagte Sven ohne große Umschweife.

„Als Erbe?“

Bevor er sich versah, war Rurik das Wort entschlüpft. Eine starke Sehnsucht erfüllte ihn. Jahrelang hatte er dagegen angekämpft. Und mit diesem einen Wort war alles wieder da.

„Er braucht jemanden, der über seine Ländereien in Schweden wacht. Und es gibt ein Heiratsangebot, das bedacht werden muss.“

Rurik gab sich Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. Damit war er genauso erfolgreich wie bei dem Versuch, seine Gier nach dem Angebot zu unterdrücken, das ihm gerade gemacht worden war. „Eine Heirat?“

„Jetzt komm schon, Rurik, du kennst doch seine Verbindungen. Viele Frauen würden gern mit dem Sohn von Erengisl Sunesson verheiratet werden. Bastard oder nicht, für manch eines Edelmanns Tochter stellst du eine vorteilhafte Partie dar.“

Die Anspielung auf seine illegitime Geburt schmerzte. Aber er wusste, dass Svens Worte der Wahrheit entsprachen. Viele Bündnisse kamen durch Heirat zustande. Für viele, die sich nach einer Verbindung mit jenen sehnten, die politische oder gesellschaftliche Macht oder Reichtum besaßen, würde seine Geburt kein Hindernis sein. Und sein Vater besaß beides.

„Wirst du mit uns kommen?“, fragte Magnus.

Rurik kämpfte gegen den einen Teil von sich an, der das Angebot am liebsten sofort angenommen hätte. Aber viele hingen von ihm ab, und er wollte sie nicht enttäuschen. Der Laird war einer von ihnen wie auch ihr beider Onkel, der Rurik, ohne Fragen zu stellen und ohne ihm seine Herkunft übel zu nehmen, bei sich aufgenommen hatte. Auch wenn er eigentlich nicht viel von sich preisgeben wollte, wusste Rurik, dass er es wohl oder übel tun musste, wollte er eine kluge Entscheidung treffen.

„Ich werde darüber nachdenken, Magnus. Ich brauche Zeit.“

Sven und Magnus wechselten wieder einen Blick und sahen sich dann beide in der Hütte um. Ihr Plan war offensichtlich, ihr Misstrauen oder ihr Verdacht augenfällig. Sie wandten sich ihm wieder zu.

„Die Gastfreundlichkeit des Lairds gilt auch für euch beide. Ihr werdet euch über die Reichhaltigkeit oder die Qualität seines Essens nicht zu beklagen haben, noch über die Sauberkeit seiner Burg.“

Er erhob sich und wartete, während Sven und Magnus ihr Bier austranken. Dann machten sich alle drei auf den Rückweg zur Burg. Es dauerte nicht lange, und entlang des Wegs nahe seiner Hütte tauchten Frauen auf. Rurik nickte ihnen im Vorübergehen lächelnd zu. Auch Sven und Magnus bemerkten sie.

„Bleibt den Jungfrauen fern. Der Laird würde Anstoß nehmen, wenn ihr mit ihnen tändelt und euch dann davonmacht. Es gibt genug andere, die sehr willig sind“, sagte Rurik und deutete mit dem Kopf auf einige Frauen. Mit ihnen hatte er sich seit Naras Abreise etliche Male vergnügt.

Sven und Magnus schenkten den Frauen ein Lächeln, während sie an ihnen vorübergingen, und nickten auch der einen oder anderen zu. Männer hatten eben Bedürfnisse, und Frauen erfüllten sie. Und wenn die Frauen es gern taten, kam das Vergnügen noch dazu.

„Eines solltet ihr wissen“, sagte Rurik mit leiser Stimme. „Sie glauben, dass alle Männer aus dem Norden so sind wie ich, wenn ihr versteht, was ich meine.“

Über die Jahre hinweg hatte er sich bei den MacLeries den Ruf eines Liebhabers von Frauen erworben und eines großen noch dazu. Sven, Magnus und er hatten genügend Nächte mit Frauen und Wein verbracht. Er wusste, dass sie ihm oder ihrem alten Erbe keine Schande bereiten würden, träfen sie hier mit Frauen zusammen.

Rurik und seine alten Freunde gingen zur Burg, wo der Laird und seine Gattin sich um ihr Wohlergehen kümmerten. Dann begaben sie sich ins Dorf zurück, wo die Frauen für eine andere Art von Wohlergehen sorgten.

Fünf Tage waren vergangen, seitdem Rurik vom Angebot seines Vaters erfahren hatte. Doch zu einer Entscheidung war er immer noch nicht gekommen. Sein Onkel sagte nichts, obwohl Rurik überzeugt war, dass er den Inhalt des Briefes kannte. Kein einziges Mal hatte Dougal davon gesprochen, was seiner Schwester, Ruriks Mutter, geschehen war. Und Rurik fragte auch nie nach, wie viel Dougal darüber wisse. Nur eines war sicher: Dougal hatte den Sohn seiner Schwester zu sich genommen und für ihn gesorgt. Und bei allem, was Rurik tat, um Teil des MacLerie-Clans zu werden, war er sein zuverlässigster Helfer gewesen.

Nun musste Rurik feststellen, dass er zögerte, über den strittigen Punkt zu sprechen. Er suchte bei seinem Freund Rat. Nach dem Nachtmahl begab er sich zu Connors Lieblingsplatz in der Burg – wenn man einmal von dem Bett seiner Frau absah. Und dort, hoch oben auf der Mauer, fand er den Laird, der das Kommen und Gehen im Burghof beobachtete.

„Also, wann brichst du auf?“, fragte Connor, als Rurik zu ihm trat.

„Ich habe mich noch nicht entschlossen, auf seinen Ruf zu antworten.“

„Rurik“, meinte Connor und schlug ihm auf die Schulter, „sobald die Worte ausgesprochen waren, hattest du dich entschieden. Sogar noch früher“, sagte er und deutete mit dem Kopf auf Ruriks Schwert. „Die Entscheidung war in dem Augenblick gefallen, als du dieses Schwert aus dem Versteck nahmst und es benutzt hast.“

„Ich …“, hub Rurik an. Aber er konnte es nicht länger leugnen.

Connor schüttelte den Kopf. „Es ist nicht nötig, dass du die Wahrheit vor mir verbirgst. Und Dougal versteht es genauso gut. Er will nur nicht mit dir darüber reden.“

Rurik fehlten die Worte, um seine Überraschung oder auch seine Dankbarkeit für das Verständnis der beiden Menschen auszudrücken, die ihm am nächsten standen. Bevor er verlegen werden konnte, streckte Connor die Hand aus. „Darf ich das Schwert sehen?“

„Ich würde meinen, du hast es nahe genug gesehen, als du am Boden lagst?“, spottete Rurik. Spötteln war so viel einfacher, als von Gefühlen zu sprechen.

„Als ich dir in die Augen sah und begriff, dass der Mann, der über mir stand und den Tod an meine Kehle hielt, nicht der Rurik war, den ich kannte, da wusste ich, dass du deine Entscheidung getroffen hast.“ Rurik ließ das Schwert aus seiner Scheide gleiten und hielt es, den Griff nach vorn gerichtet, Connor entgegen. „Wunderschön“, sagte Connor, und seine Stimme war voller Bewunderung für das Kunstwerk, das ein Schwert wie dieses sein konnte. „Es ist also das Schwert deines Vaters?“

„Und vor ihm war es das Schwert seines Vaters. Während ich aufwuchs, sah ich es immer in der Halle hinter seinem Platz hängen. Fünf Generationen von Kriegern in seiner Familie haben dieses Schwert benutzt.“

Connor trat einen Schritt zurück und ergriff mit beiden Händen das Heft. Er schwang das Schert hoch über seinen Kopf. Rurik wusste, dass die Waffe perfekt ausbalanciert und genauso tödlich wie schön war. Schweigend sah er zu, wie Connor einige Kampfbewegungen machte. Nur ein Krieger wusste eine Waffe wie diese zu würdigen. Connor konnte es.

„Und jetzt gehört es dir?“, fragte er.

„Ja, wie es scheint.“

„Wann brichst du auf?“, fragte Connor. Und fügte dann rasch hinzu: „Hast du es Jocelyn schon gesagt?“

Rurik schüttelte den Kopf. Die Gattin des Lairds war ihm eine gute Freundin geworden, doch sie würde die Nachricht seiner Abreise nicht gut aufnehmen. Und auch er würde sie vermissen.

„Feigling!“, sagte Connor. Er war einer der wenigen, der Rurik so nennen und doch weiterleben durfte, um davon zu erzählen. „Nun gut, ich werde es ihr sagen, wenn du fort bist.“

Rurik nickte und schob das Schwert zurück an seinen Platz. Worte reichten nicht, um auszudrücken, was er fühlte, und so streckte er Connor nur die Hand hin. „Laird“, sagte er und neigte den Kopf.

„Freund“, erwiderte Connor, umfasste die Hand mit festem Griff und schüttelte sie. „Bei den MacLeries wird es immer einen Platz für dich geben, Rurik. Vergiss das nicht.“

Rurik wurde die Kehle eng. Connor ließ seine Hand wieder los. Mit einem kurzen Nicken wandte Rurik sich ab. Er verließ den Laird und ging seinem Schicksal entgegen.

2. KAPITEL

Kloster der Heiligen Jungfrau

Caithness, Schotland

Margriet saß auf den Stufen, die zu der kleinen Kapelle hinaufführten, und hielt sich die Ohren zu. Wenn jetzt noch eine der Ehrwürdigen Schwestern zu heulen anfing, bekäme sie nicht übel Lust – Gott möge ihr verzeihen –, sie zu erwürgen. Zugegeben, sie waren Novizinnen und daher noch jung. Doch Schwester Madeline und Schwester Mary jammerten so laut, wie Margriet noch nie jemanden hatte jammern hören. Schwester Susan war wieder in Ohnmacht gefallen. Wenigstens ihr Geschrei hatte aufgehört.

Die Ehrwürdige Mutter, Mutter Ingrid, vom Anblick der Soldaten an ihrem Tor völlig aufgewühlt, war prompt zur Kirche gelaufen und auf die Knie gefallen, um zu beten. Sie würde auf keine Fragen und Forderungen reagieren. Üblicherweise zeichnete sich das Verhalten der Mutter durch Ruhe und Selbstbeherrschung aus. Margriet vermutete, dass es wohl mit jedermanns Ruhe vorbei war, wenn er sich einer Schar solch Furcht erregender Männer gegenübersah. Und so blieb die Verantwortung – wie gewöhnlich in den letzten Tagen – wieder einmal an Margriet hängen. Sie wusste nicht recht, was sie tun sollte.

„Mylady?“ Eine leise Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

Margriet blickte auf und sah, dass es sich um Schwester Sigridis handelte und dass sie gar nicht flüsterte, sondern schrie. Sie ließ die Hände sinken. „Was ist, Schwester?“

„Er ruft schon wieder nach Euch.“

„Ja, Schwester. Das tut er jetzt schon seit zwei Tagen.“

„Meint Ihr nicht, dass Ihr ihm nicht vielleicht antworten solltet? Er klingt noch wütender als zuvor.“

Margriet holte tief Luft und stieß sie wieder aus, bevor sie sich erhob. Jedes Mal, wenn der Soldat ihren Namen brüllte, bekamen die Nonnen wieder ihre hysterischen Anfälle. Margriet ging auf das Haupttor zu – und auf ihn. Während sie sich das braune Gewand aus dickem Stoff zurechtrückte, das sie trug, betete sie, dass er dieses Mal nachgab und sie und die anderen endlich in Frieden ließ. Bisher hatte ihr jedoch bei jeder Begegnung sein entschlossener Gesichtsausdruck etwas anderes erzählt.

Um die Wahrheit zu sagen, unter anderen Umständen hätte sie ihn vielleicht sogar anziehend gefunden. Auf jeden Fall war er gut gebaut, und seine starken Arme garantierten denen, für die er sorgte, Schutz. Immerhin schlug er damit heftig genug an das hölzerne Tor, um es fast zu zerbrechen. Sein Kopf, den er sich gewöhnlich kahl zu scheren schien, war jetzt mit hellem, flaumigem Haar bedeckt. Doch anstatt dass es seine Erscheinung beeinträchtigte oder seine Härte milderte, verlieh es ihm ein gefährliches Aussehen. Es juckte Margriet in den Fingern, dieses Haar zu berühren, zu prüfen, ob es wirklich so weich war. Die Haare waren das einzig Weiche an ihm. Schon die Wildheit seiner tiefen Stimme ließ ihr Herz vor Entsetzen rasen.

Da sie diejenige war, die er suchte, war Margriet höchst verärgert über sein Benehmen und die Art, wie er ihre Zustimmung zu erhalten versuchte. Schwester Sigridis blieb zurück und hielt sich in einiger Entfernung vom Tor auf, während Margriet in den Wachturm hinaufkletterte, um über die Mauer zu blicken.

„Ich bat Euch doch, die guten Schwestern nicht länger in Angst und Schrecken zu versetzen, Sir.“

In ihren Ohren hörten sich die Worte sehr tapfer an. Jetzt wartete sie auf seine Antwort. Margriet trat einen kleinen Schritt vor, sodass sie auf ihn hinunterblicken konnte. Der Mann trat einige Schritte zurück, damit er zu ihr hinaufsehen konnte. Da sie das Gewand einer Nonne trug, wusste sie, dass er nicht viel mehr als einen kleinen Teil ihres Gesichts erkennen konnte. Das stoffreiche Gewand bedeckte sie von den Schultern bis zu den Füßen, der Wimpel und der lange Schleier bedeckten alles andere.

„Und ich bat, Lady Margriet möge sich zeigen, damit man sie nach Hause geleitet, Schwester. Tritt das eine ein, erfolgt gewiss auch das andere“, rief er ihr zu. Wenn er nicht so brüllte, konnte seine Stimme ganz angenehm sein – für einen Barbaren.

„Lady Margriet hat ein Gelübde abgelegt … ein Schweigegelübde …“, antwortete sie. Das war doch ein ausgezeichneter Grund, nicht mit ihm zu sprechen, dachte sie. „Und sie fürchtet um ihre Seele, sollte sie es brechen.“

Das schallende Gelächter der Männer unter ihr erfüllte die Luft. Offensichtlich hielten sie eine Frau nicht für fähig zu schweigen.

„Bringt sofort das Mädchen her!“ Jetzt brüllte er wieder und hämmerte gegen das Tor. Margriet befürchtete, das Tor würde seiner Kraft bald nicht mehr standhalten.

„Nur einen kleinen Aufschub, bitte, Sir. Lasst mich sehen, ob ich sie überzeugen kann, Euch zu treffen“, schlug Margriet vor.

Unten brach unter den Männern ein heftiges Gemurmel aus, und sie besprachen sich eifrig. Dann kam die Antwort. „Eine Stunde, gute Schwester. Ihr habt nur eine Stunde Zeit, das Mädchen davon zu überzeugen, dass es mit mir sprechen muss. Sonst werde ich dieses Kloster niederbrennen und es eigenhändig herausholen.“

Sie wusste genau, welche Folgen seine Drohung gleich haben würde. Schon fingen ihr linkes Auge und die Augenbraue an zu zucken. Im nächsten Moment kniff Margriet die Augen zu und knirschte mit den Zähnen.

Lautes, hysterisches Geschrei und Gejammer hub in der Kapelle an und breitete sich aus, als die Novizinnen und auch einige der Frauen, die keine Nonnen waren, in den entsetzlichen Chor einstimmten. Die wenigen Männer, die hier arbeiteten, die Felder bestellten und die schweren Arbeiten ausführten, welche die Frauen nicht tun konnten, sahen Margriet besorgt an. Sie konnten das Kloster nicht gegen den Angriff dieses Soldaten verteidigen. Neben ein paar Messern, einem Bogen und einem Köcher Pfeile für die Jagd besaßen sie keine Waffen außer einigen bäuerlichen Werkzeugen.

Margriet stieg rasch wieder hinunter und winkte Schwester Sigridis zu sich. Die Nonne schüttelte aber den Kopf. Das einfältige Mädchen glaubte womöglich, Margriet wolle sie hinausschicken, um auf die Forderungen des Soldaten zu antworten. „Bitte, Schwester, sagt der Ehrwürdigen Mutter, dass ich mit diesem Rurik sprechen werde und sehen will, ob ich ihn davon überzeugen kann, mich hierzulassen.“

„Seid Ihr sicher, Mylady? Wenn Ihr diese Mauern verlasst, könnte er Euch mit Gewalt nehmen.“

Obwohl es bestimmt Schwester Sigridis Absicht war, ihr Trost zu spenden, spürte Margriet bei dem Mädchen auch ein Gefühl der Erleichterung darüber, dass es nicht mit dem Mann sprechen musste. Sie machte der Schwester keinen Vorwurf daraus. Aber sie wusste jetzt, dass nur sie allein einen Kompromiss aushandeln und die Belagerung beenden konnte, bevor sie richtig begann.

„Das bin ich, Schwester.“

Margriet zog sich das Habit über den Kopf und löste Wimpel und Schleier. Sofort umfächelte sie kühle Luft. Zurzeit vertrug ihr Körper die Hitze nicht. Es war eine Erleichterung für sie, das Gewand abzulegen. Während sie einem Bediensteten die jetzt nicht benötigte Kleidung zuwarf, überlegte sie, wie sie ihre Aufgabe lösen sollte. Wie konnte man diesen Mann dazu bringen, seine Belästigungen einzustellen und fortzugehen?

Während all der langen Jahre hatte Margriet nur schriftlichen Kontakt mit ihrem Vater gehabt. Also beschloss sie, eine Botschaft vorzubereiten, die dieser Soldat anstatt ihr mitnehmen und ihrem Vater überreichen konnte.

Sie betrat das Kloster durch die Küche und beruhigte alle, die dort arbeiteten. Auch wenn sie keine Nonne war und offiziell keine Verantwortung trug, machten ihre starke Persönlichkeit und ihre Intelligenz es ihr leicht, die Ehrwürdigen Schwestern so zu lenken, dass sie taten, was sie wollte. Margriet hatte herausgefunden, dass Menschen zu führen, Spaß machte und sehr befriedigend sein konnte. Und da sie wusste, dass sie nur zum Besten der Nonnen handelte, war sie überzeugt, dass ihre Gegenwart und ihr Tun für die Klostergemeinschaft von Vorteil waren. Da nichts mehr sie ablenkte, widmete Mutter Ingrid jeden Tag mehr Stunden dem Gebet. Und das machte sie sehr glücklich. Und so erging es auch Margriet.

Sie öffnete die Tür zur Kammer der Ehrwürdigen Mutter und suchte auf dem Schreibtisch nach einem unbenutzten Blatt Pergament oder nach einem, das sie abkratzen und wieder benutzen konnte. Als sie eines fand, setzte sie sich hin und verfasste einen Brief an ihren Vater. Sie erklärte, wie sehr sie sich wünschte, bei den Schwestern zu bleiben und ein Leben der religiösen Betrachtung und des Gebets zu führen. Er würde ihr doch sicher nicht die Erlaubnis verweigern, auf diese Weise Gott dem Herrn zu dienen?

Margriet brauchte fast die ganze Stunde, um zuerst die alte Tinte von dem Schreibpergament zu kratzen und dann sorgfältig ihre Worte zu wählen und niederzuschreiben. Als sie den Brief beendet hatte und Sand über das Pergament streute, wusste sie, dass ihr Plan funktionieren würde. Sie rollte das Blatt sorgsam zusammen. Dann ging sie nach draußen, legte erneut die Nonnentracht an und sah sich nach einer Gefährtin um, die sie vor die Klostermauern begleiten sollte.

Vermutlich würde keine der Schwestern bei dieser Maskerade ihren Anweisungen folgen. Also machte Margriet sich auf die Suche nach dem Mädchen, das in der Wäscherei arbeitete und kaum je ein Wort mit irgendjemandem sprach. Wenn der Soldat aus dem Norden glaubte, Gunnars Tochter wäre immer noch ein junges Mädchen, dann würde sie ihm auch ein junges Mädchen präsentieren, und zwar eines, das beständig schwieg. Sie würde für das Mädchen sprechen. Nachdem die Magd zustimmend mit dem Kopf genickt hatte, ging Margriet mit ihr im Schlepptau zum Tor. Während Margriet darauf wartete, dass Elspeth das zweite Habit anlegte, das sie besorgt hatte, konnte sie die Männer auf der anderen Seite reden hören. Es ging Margriet nur noch darum, das Versprechen eines Waffenstillstands zu erhalten.

„Schwört Ihr, dass Ihr keine Gewalt gegen Lady Margriet anwenden werdet?“, rief sie den Männern, das heißt, rief sie diesem Soldaten zu.

„Bei Gott, Schwester, Ihr würdet selbst die Geduld der Heiligen, zu denen Ihr betet, auf eine harte Probe stellen! Bringt endlich das Mädchen heraus.“

Elspeth lächelte bei seinen Worten. Margriet hegte den Verdacht, dass andere im Kloster das Gleiche von ihr behaupteten. Margriet musste sich aber noch gegen die Stärke und die Waffen der Männer draußen rückversichern. Sie wusste, dass die Eitelkeit eines Mannes gegen ihn eingesetzt werden konnte. Und so beschloss sie, eine andere Taktik anzuwenden.

„Dies ist ein Gotteshaus, Sir. Gewiss stimmt selbst ein so gewaltiger Krieger wie Ihr im Namen des Allmächtigen einem Waffenstillstand zu.“

Die bösen, unflätigen Flüche, die selbst durch die dicken Mauern zu ihr drangen, kündeten ihr von ganz anderen Interessen, die er hatte. Doch Margriet wartete schweigend ab. Nach etlichen Minuten wilden Flüsterns und einigem Gelächter der anderen Männer gab ihr Anführer schließlich nach.

„Ihr bekommt Euren Waffenstillstand, Schwester. Und jetzt bringt das Mädchen heraus!“

Er brüllte schon wieder, und Margriet konnte das erneute Jammern der Schwestern hören. So zog sie sich den Schleier tiefer ins Gesicht und hob den Riegel des Tors. Sie schob es ein Stück weit auf und trat, gefolgt von Elspeth, durch den engen Spalt. Das Mädchen hielt den Kopf gesenkt, wie sie es ihm befohlen hatte.

„Lady Margriet?“, fragte er.

Er trat einen Schritt näher und hob das Kinn des Mädchens an, um dessen Gesicht besser sehen zu können. Der Teufel sollte den Kerl holen! Margriet befürchtete, dass Elspeth Reißaus nehmen könne. Aber das Mädchen blieb an ihrer Seite und hielt seiner Prüfung stand. Als dann allerdings sein Blick auf sie fiel und er sie anstarrte, fürchtete Margriet, in Ohnmacht zu fallen.

Seine Augen schienen bis ins Innerste ihrer Seele vorzudringen. So stark und bohrend war sein Blick, dass sie versuchte, sich von ihm abzuwenden. Doch es gelang ihr nicht. Er betrachtete ihr Gesicht, als suche er etwas darin. Dann ließ er den Blick über ihren Körper gleiten. Trotz des weiten Gewands und des Schleiers war Margriet, als würden seine Hände über ihre Haut streichen. Bei dieser Prüfung schien jeder Zoll von ihr Feuer zu fangen. Ihre Blicke trafen sich, und der Augenblick dehnte sich ins Unendliche. Schließlich hüstelten die Männer, die hinter ihm standen. Margriet riss sich zusammen und räusperte sich.

„Das ist Lady Margriet Gunnarsdottir aus Kirkvaw. Um ihrem Vater ihre Lage zu erklären, hat sie diesen Brief hier vorbereitet. Wenn Ihr so gut sein wollt, ihn ihm bei Eurer Rückkehr zu übergeben …“

Ihr Stolz darüber, dass sie ihm die Botschaft so fließend übermittelt hatte, fiel in sich zusammen, als er einfach das Siegel erbrach, mit dem sie den Brief versehen hatte, und begann, seinen Inhalt zu lesen. Dann lachte er so laut, dass sein Gelächter von den Bäumen widerhallte, die sie umgaben, und bis in den Wald hineinschallte. Schließlich reichte er einem der Männer neben ihm das Pergament. Der las es und gab es zurück. Der Mann sagte zwar nichts, aber er schüttelte den Kopf, als könne er es nicht glauben.

„Sirs, Ihr spottet über das gottgefällige, geistliche Leben, das diese Dame führen möchte. Werdet Ihr den Brief Lord Gunnar aushändigen?“

„Nein, Schwester. Überbrächten wir ihm statt seiner Tochter diesen Brief, so müssten wir alle dem Tod ins Auge blicken.“

Er ließ den Brief zu Boden fallen und trat ihn mit seinem Stiefel in den Dreck. Margriet schnappte nach Luft angesichts einer solchen Verschwendung von Pergament und versuchte, das Blatt zu retten. Da packte der Soldat sie am Arm und zog sie hoch. Margriet sah die raue Hand an, die sie gefasst hielt. Dann blickte sie in sein Gesicht. Noch nie hatte jemand sie so angefasst. Keiner würde es je wagen, sie auf diese Art zu berühren. Doch im Moment war sie nur eine einfache Schwester, die dem Auftrag dieses Kriegers im Weg stand. Ihm schien sein unangemessenes Betragen plötzlich bewusst zu werden, und er ließ sie los.

„Ich bitte um Verzeihung, Schwester“, meinte er zuvorkommend. „Ich werde ersetzen, was ich zerstört habe und dem Kloster eine großzügige Schenkung zukommen lassen, um mein Benehmen wiedergutzumachen. Natürlich erst, nachdem die Dame sich mit uns auf die Reise begeben hat.“ Dass er lächelnd seine Rede beschloss, besänftigte Margriets Furcht keineswegs. Und es lenkte sie auch nicht davon ab, wie ernst er seine Worte meinte.

Schon längst hätte Margriet die schwere Lektion über die männliche Arglist gelernt haben sollen. Aber sie war wie gebannt von der Art, wie seine festen Lippen sich zu diesem Lächeln verzogen. Es ließ seine Gesichtszüge weich werden, ohne ihnen die Männlichkeit zu nehmen. Als sein Lächeln sich vertiefte, zeigte es ihr einen Mann, der anziehender war, als sie es bei ihren ersten Begegnungen für möglich gehalten hatte.

Er überragte sie an Größe. Er machte jetzt einen Schritt auf sie zu. Margriet wich zurück. Mit einem Mal wurde sie sich der wahren Gefahr dieser Nähe bewusst. Sie griff nach Elspeths Hand und zog das Mädchen zurück durchs Tor, bevor er sie packen konnte. Die beiden Frauen stemmten sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen die Torflügel, ließen den Riegel herab und sicherten ihn. Margriet wagte gerade wieder, Luft zu holen, als seine Worte an ihr Ohr drangen. Er sprach ganz ruhig, aber was er sagte, war gefährlicher als alles, was er bis dahin von sich gegeben hatte.

„Lady Margriet, ich weiß nicht, wer dieses Mädchen ist. Aber wenn Ihr Euch mir nicht bei Sonnenaufgang außerhalb dieses Tors präsentiert, werde ich das Kloster niederbrennen.“

„Sir …“, begann sie, stockte aber, als er sie unterbrach.

„Glaubt nicht, dass Ihr mich noch einmal zum Narren halten könnt. Seid bei Sonnenaufgang vor dem Tor. Wenn ich Euch sonst erst einmal an mein Pferd gefesselt habe und heim zu Eurem Vater schleppe, bleiben hier nur noch Asche und jammernde Frauen zurück.“

Margriet schauderte bei seiner Drohung. Sie blickte zu Elspeth, deren Gesicht alle Farbe verloren hatte. Ihre Taktik war fehlgeschlagen. Auch wenn sie ihn nicht kannte, so zweifelte sie doch nicht an seiner Entschlossenheit. Wortlos lief sie, Elspeth hinter sich herziehend, zur Kapelle. Am Ende war Mutter Ingrids Wunsch nach Abgeschiedenheit und Gebet eine bessere Lösung als alle ihre Pläne?

Es brauchte einige Zeit, die Schwestern und alle anderen zu beruhigen. Noch mehr Zeit brauchte sie, um ihr Schicksal zu akzeptieren. Sie wollte einfach nicht glauben, dass dieser Mann derart drastische Maßnahmen ergreifen würde, um sie zu zwingen, das Kloster zu verlassen. Doch als Schwester Sigridis meldete, dass die Männer Holz im Wald sammelten, um es zu einem mächtigen Stoß aufzuschichten, konnte sie die Wahrheit nicht mehr leugnen. Nach all den schönen Jahren, welche die Schwestern ihr hier im Kloster bereitet hatten, würde sie nicht zulassen, dass sie jetzt wegen ihr leiden mussten.

Während sie in dieser Nacht auf ihrer Matratze lag und darüber nachdachte, dass sie so gut wie keine andere Wahl hatte, erkannte Margriet, dass die Schwestern sie nie bitten würden, das Kloster zu verlassen. Noch würden sie sie dazu zwingen. Aber Margriets Gewissen konnte es gar nicht so weit kommen lassen. Während sie mit der Hand über ihren sich langsam rundenden Leib strich, überlegte sie, ob am Ende alles vielleicht Gottes Werk war. Finn hatte ihr die Ehe versprochen. Aber etwas war geschehen und hatte ihn gezwungen, sie zu verlassen, bevor er sein Versprechen einlösen konnte. Wenn sie diese Männer nach Kirkvaw begleitete, ihn fand und ihm die Wahrheit über ihren Zustand offenbarte, würde er zu seinem Wort und zu seiner Liebe stehen.

Würde er doch?

Margriet glaubte, gerade erst die Augen geschlossen zu haben, als sie aufwachte, weil jemand sie heftig rüttelte. Während sie sich die Augen rieb und hoffte, dass sie nicht die Übelkeit, die sie bisher jeden Morgen geplagt hatte, überfiel, richtete sie sich auf – und begegnete den sehr besorgten Blicken von vier Schwestern.

„Was ist los?“, fragte sie, während sie vom Lager aufstand und ihre Stiefel anzog. Auf dem Weg zur Tür strich sie sich die vom Schlaf zerzausten Haare aus dem Gesicht und wartete darauf, dass eine der Schwestern ihr erklärte, was geschehen war.

Der Geruch von brennendem Holz verkündete ihr mehr als alle Worte. Margriet stürmte aus der kleinen Kammer und rannte zum Tor. Sie wusste, dass sie dem Schicksal nicht länger entgehen konnte. Also hob sie den Riegel hoch und ließ ihn zu Boden fallen. Obwohl alle Nonnen sie beobachteten, hielt keine sie auf oder versuchte, sie zum Bleiben zu überreden. Der immer dichter werdende Rauch brannte ihr in den Augen, als sie nach draußen trat und sich ihrem Gegner stellte.

Fünf Männer standen mit lodernden Fackeln in den Händen da und warteten auf den Befehl ihres Anführers.

Ein schwacher Ausdruck des Triumphs huschte jetzt über sein Gesicht. Und bevor sie noch reagieren konnte, trat er mit ein paar großen Schritten dicht vor sie. In seinen Händen hielt er keine Fackel, sondern ein Stück Seil. Und sie vernahm seine drohenden Worte.

„Kommt Ihr freiwillig mit oder muss ich Euch fesseln?“

Keiner von denen, die zusahen, ließ einen Laut hören. Noch regte sich einer von ihnen, während Rurik auf ihre Antwort wartete. In diesem Augenblick erinnerte sie sich an das Blut ihrer Ahnen, das durch ihre Adern floss. Es weckte ein Selbstbewusstsein in ihr, wie sie es so noch nie gespürt hatte.

„Ich bin Margriet Gunnarsdottir und werde Euch freiwillig folgen, wenn Ihr mir die Sicherheit derer garantiert, die im Kloster sind.“

Beide wussten sie, dass ihr gar keine andere Wahl blieb. Doch dann tat er etwas völlig Unerwartetes. Statt hämisch zu grinsen, wie es die meisten in dieser Situation getan hätten, lächelte er sie an, und sie spürte, dass ihre Entscheidung ihn stolz machte. Respekt lag in seinem Blick, sodass Margriet innerlich ganz warm wurde. Dann forderte er die Männer auf, ihre Fackeln zu senken. Wie ein Mann verneigten sich alle vor ihr.

Einen Augenblick lang stand Margriet verblüfft da und versuchte, sich über ihre Gefühle klar zu werden. Da überkam sie plötzlich wieder diese leidige Übelkeit. Es blieb ihr keine Zeit mehr, eine Warnung auszusprechen. Sie erbrach sich auf die Stiefel des Mannes. Das Erbrechen drückte nun aber ganz und gar nicht die Gefühle aus, die sie eigentlich hatte zeigen wollen.

Oder vielleicht doch?

3. KAPITEL

Rurik verspürte eine gewisse Befriedigung, als Margriet sich seinem Befehl fügte. Doch das Gefühl wurde getrübt durch das, was sie dann tat. Nun gut, er hatte seine Beute gestellt. Und der Auftrag, den sein Vater ihm gegeben hatte – zweifellos wollte er ihn prüfen –, würde bald ausgeführt sein. Bei jemandem, der dem schwachen Geschlecht angehörte, konnte solch eine nervöse Reaktion wohl als normal betrachtet werden. Jedenfalls hatten seine Stiefel im Laufe der Zeit schon Schlimmeres erlebt. Ihretwegen machte er sich keine Sorgen … nun, jedenfalls keine allzu großen. Es würde sich abwaschen lassen.

Die Tore standen jetzt offen, doch die Bewohner des Klosters blieben außer Sichtweite. Eine Nonne stand in der Tür zur kleinen Kapelle. Sie schien der Beobachtungsposten der Ehrwürdigen Schwestern zu sein. Immer wenn Rurik oder einer seiner Männer etwas sagten, grunzten, ausspuckten oder sich nur bewegten, wandte sie sich um und flüsterte mit denen, die sich im Innern des Gotteshauses aufhielten. Sven und Magnus bekamen das ziemlich rasch spitz. Jetzt gestikulierten und sprachen sie nur noch, um zu sehen, welche Reaktion ihrVerhalten hervorrief. Die Nonne hatte noch nicht bemerkt, dass sie der Grund für ihre Belustigung war. Rurik hätte den beiden Einhalt gebieten müssen. Sich auf Kosten der Klosterfrauen lustig zu machen, war etwas, dass er nicht gutheißen konnte. Doch es war ein harmloser Spaß, der schließlich niemanden verletzte.

Ein heftiger Windstoß trug einen Übelkeit erregenden Geruch an seine Nase. Rurik wusste, dass das Erbrochene schwer zu entfernen sein würde, wenn es erst einmal auf seinen Stiefeln eingetrocknet war. Er sah sich in dem kleinen ummauerten Hof um und entdeckte einen Brunnen. Nichts deutete darauf hin, dass die Dame gleich auftauchen würde. Vor ihrem Aufbruch würde er also sicher noch genügend Zeit haben, sich um seine Stiefel zu kümmern. So ging er zu dem Brunnen. Als er nach dem Eimer greifen wollte, näherte sich ihm überraschend ein alter Mann.

„Sie ist noch nicht viel geritten!“, platzte er ohne Vorwarnung heraus.

Rurik fuhr mit seiner Arbeit fort. Er warf den Eimer in den Brunnen und zog ihn hoch, als er voll war. Dann ließ er das Wasser über seine Stiefel laufen. Er benutzte den einen Fuß, um damit das Erbrochene von dem anderen abzukratzen und fuhr damit fort, bis er den meisten Schmutz entfernt hatte. Das war der eine Grund, warum er nicht antwortete. Der andere war, dass er wusste, sein Schweigen würde den alten Mann dazu bewegen weiterzusprechen. Tatsächlich brauchte er nicht lange zu warten.

„Seitdem ihr Vater sie hierher schickte, hat sie das Kloster nicht verlassen“, meinte er.

Rurik bemerkte, dass der Mann nicht aufrecht stand. Durch seine vielen Lebensjahre schien er geschrumpft zu sein. „Was hat das mit mir zu tun, alter Mann?“, fragte Rurik. Nachdem der unangenehm riechende Schmutz von seinen Stiefeln entfernt war, warf er den Eimer wieder dorthin, wo er ihn gefunden hatte, und sah den Mann an. „Glaubst du, dass ich sie misshandeln werde?“

„Gunnars Tochter ist etwas Besonderes und sollte mit Respekt behandelt werden“, erwiderte der Mann und richtete sich zu einer Größe auf, die Rurik nicht für möglich gehalten hätte. „Du wirst mir für jedes Übel, das ihr zustößt, Rede und Antwort stehen.“

Rurik war versucht zu lachen, doch er beherrschte sich. Sie beide wussten, dass der Mann ihn, was Kraft und Geschicklichkeit betraf, niemals würde besiegen können. Aber Rurik achtete seinen Versuch, ihn einzuschüchtern. Interessanter war, dass die Worte und die Inbrunst, mit der sie gesprochen wurden, Rurik viel über seinen wahren Gegner in dieser Auseinandersetzung verrieten – Lady Margriet.

Rurik verbeugte sich vor dem alten Mann und nickte. „Du hast mein Wort. Solange sie unter meinem Schutz steht, wird ihr nichts Schlimmes zustoßen, alter Mann.“

Der Alte starrte Rurik angestrengt an. Offensichtlich dachte er über dessen Versprechen nach. Dann gab er ein Grunzen von sich und nickte. „So sei es.“

Mit dem Stolz eines Hochlandkriegers streckte er den Arm aus und bot ihn Rurik an. Rurik trat zu ihm und umfasste den Arm. „Wie nennt man dich, alter Mann? Und was ist deine Aufgabe hier?“

„Man nennt mich Black Ian, und ich sorge für die Herden.“

Irgendwann in seinem Leben mochten seine Haare wohl einmal schwarz gewesen sein. Doch jetzt hätte es besser zu ihm gepasst, wenn man ihn den Grauen oder den fast kahlen Ian genannt hätte. Die plötzliche Aufregung, die vom Hauptgebäude ausging und sich bis in den Hof fortpflanzte, unterbrach jede weitere Unterhaltung. Unwillkürlich fasste Rurik nach seinem Schwert, während er sich umwandte, um sich dem Tumult zu stellen. Als er eine Gruppe Frauen aus dem Kloster kommen sah, wusste er, dass sein Schwert nicht benötigt wurde.

Die weinende Gruppe barg in ihrer Mitte die Frau, von der sie gerade gesprochen hatten. Sie allein weinte nicht, noch gab sie irgendeinen Laut von sich, während alle auf ihn zukamen. Ein Nonnenschleier bedeckte ihr taillenlanges schwarzes Haar und auch den größten Teil ihres Gesichts. Ihre Augen, die vom hellsten Blau waren, das Rurik je gesehen hatte, hoben sich leuchtend von ihrer blassen Haut ab. Zumindest von der Haut, die Rurik zu sehen bekam. Zum ersten Mal überlegte Rurik, ob sie nicht vielleicht doch ihr Gelübde abgelegt hatte.

Während er noch den Kopf schüttelte über solch eine Verschwendung von Schönheit, machte er seine Männer mit einem Pfiff aufmerksam und deutete mit dem Kopf zum Tor. Sven und Magnus hörten mit ihren Späßen auf, gingen zum Tor hinüber und versammelten den Rest der Männer. Endlich, nach Tagen des Wartens, würde ihre Reise beginnen. Als er über die Köpfe der Nonnen hinweg, die sie umgaben, Margriets Blick auffing, war Rurik überrascht über die plötzliche Verletzlichkeit, die er darin entdeckte. In der Sicherheit des Klosters war Margriet ihm furchtlos erschienen. Jetzt, wo sie dabei war, sich in seinen Schutz zu begeben, verrutschte ihre Maske der Tapferkeit. Er war überzeugt, dass auch die anderen es bemerkten.

Er ging auf sie zu, drängte mühelos die anderen beiseite und nahm Margriets Arm. Dann geleitete er sie zum Tor und hätte fast nicht bemerkt, wie sie stehen blieb und sich nicht mehr rührte. Wieder wurde er ärgerlich und drehte sich zu ihr um.

„Keine Verzögerungen mehr, Mylady“, befahl er. „Ich glaube, in meinen Anweisungen habe ich mich klar genug ausgedrückt. Ich gab Euch eine Stunde, nicht mehr, um Eure Vorbereitungen zu treffen.“

„Schwester!“, berichtigte sie und schürzte auf verlockend rebellische Art die Lippen. Sie bezauberte Rurik. Gleichzeitig machte es ihn wütend, dass er so auf sie reagierte. „Ihr dürft mich ‚Schwester‘ nennen.“

Es herrschte Stille. Jeder wartete auf seine Antwort. Trotz ihrer Tracht und ihres Schleiers war Rurik sich ihres Standes immer noch nicht so recht sicher. Aber er war bereit, ihr im Zweifelsfall zu glauben. „Gut, dann Schwester. Wir haben nur noch ein paar Stunden Tageslicht, und ich möchte jeden Augenblick davon nutzen. Auch, um dich so weit wie möglich von hier fortzubringen und um dann die Wahrheit über dich herauszufinden.

Was sie nun tat, überraschte ihn. Sie trat nahe an ihn heran und beugte sich so dicht zu ihm, dass er den Kopf senken musste, um ihre Worte zu verstehen. „Ich möchte Euch noch um ein paar Minuten bitten. Ich will von der Ehrwürdigen Mutter Abschied nehmen.“ Margriet sah ihn an. Er entdeckte Tränen in ihren Augen. „Ich habe hier länger gelebt als bei meinem Vater. Ich bitte Euch zu gehen, damit ich noch einmal unter vier Augen mit der Ehrwürdigen sprechen kann, bevor ich das Kloster verlasse.“

Rurik hob den Kopf und sah zu jenen hinüber, die im Klosterhof standen und sie beobachteten. Er holte tief Luft, stieß sie wieder aus und hatte gute Lust, um sich zu schlagen. Er und seine Männer warteten nun schon seit fast drei Tagen, während die Frau vor ihm all seine Versuche durchkreuzte, seinen Auftrag auszuführen. Ja, er wollte endlich diesen Ort verlassen und seine – ihre – Reise nach Norden beginnen. Doch bis jetzt hatte Margriet durch ihr Tun klar gezeigt, dass sie nicht nach Hause zurückkehren wollte. Vielleicht waren der Ton des väterlichen Briefs oder auch nur einige Worte darin der Grund für ihr Zögern. Ungeachtet dessen würde Rurik doch eher ihr Begleiter als ihr Wächter sein.

Er beschloss, eine andere Taktik anzuwenden, und wandte sich der Kapelle zu. „Ich würde gern selbst mit der Ehrwürdigen Mutter sprechen. Vielleicht beunruhigt Euch diese Abreise weniger, wenn ich der Mutter versichere, dass Ihr bei mir in Sicherheit seid.“

Margriet schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr Schleier flog. „Nein, Sir. Sie sagte, dass Ihr sie in Angst und Schrecken versetzt, und dass sie nicht mit Euch sprechen will.“

„Dann beeilt Euch, My– Schwester. Wir müssten schon längst unterwegs sein.“

Er wollte ihr nicht den Sieg überlassen und ging zum Tor. Die Arme vor der Brust verschränkt, erwiderte er den Blick seiner Männer. Sie sollten ja keinen Ton sagen! Und klug wie sie waren, taten sie das auch nicht. Stattdessen erledigten sie die letzten Handgriffe beim Beladen der Pferde.

Es waren wirklich kluge Männer.

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