Schneeflocken und heiße Küsse

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Dr. Kyle Campbell ist arrogant, irritierend - und total faszinierend! Ungewollt fühlt Baylie sich immer mehr zu dem Arzt hingezogen, der sie über Weihnachten bei der Pistenwacht unterstützt. Aber je näher sie ihm kommt, desto stärker spürt sie, dass er etwas verbirgt …


  • Erscheinungstag 02.01.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733745462
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Widerwillig betrat Dr. Kyle Campbell das Gebäude und landete mitten im Chaos. Die Geräusche von Skiern, die auf den Boden knallten oder aneinanderstießen, wenn sie an die Wand gelehnt wurden – all das war ihm schmerzlich vertraut.

Das Wochenende vor Weihnachten, und er stand in der Tür der freiwilligen Pistenwacht des Snow Mountain Resorts in West Virginia. Warum nur hatte er sich dazu breitschlagen lassen?

In dem kleinen Raum drängten sich Menschen aller Altersstufen, und alle trugen schwarze Skihosen und rote Jacken mit einem großen weißen Kreuz auf dem Rücken. Vorsichtig sah sich Kyle nach dem Verantwortlichen um. Es war so laut, dass man beinahe schreien musste, um gehört zu werden.

„Seid leise! Ihr wisst doch, wie Baylie reagiert, wenn wir so laut sind“, ertönte eine Stimme.

Sofort wurde es ruhiger.

„Können Sie mir sagen, wo ich den Leiter der Pistenwacht finde?“, fragte Kyle eine Frau um die dreißig.

„Das ist Baylie. Sie steht dort drüben am Aufgabenbrett.“ Sie deutete quer durch den langen, schmalen Raum.

„Danke.“ Schnee und Wind trafen ihn im Rücken, als die Frau die Tür öffnete und nach draußen verschwand. Langsam ging Kyle auf eine Gruppe zu, die in der beschriebenen Ecke stand. Als er näher kam, hörte er, wie eine sehr angenehme weibliche Stimme Anweisungen mit der Effizienz eines Feldwebels gab.

„Roger, Mark und Sue, ihr übernehmt die blaue ‚Schneetraum‘-Piste. Heute soll es voll werden, achtet also besonders auf die Kinder.“

Kyle gefiel ihre effiziente Art. Als die drei Benannten gingen, konnte er auch endlich einen Blick auf die Frau werfen, der die Stimme gehörte. Ihr glattes dunkelbraunes Haar streifte leicht ihre Schultern, als sie sich wieder zum Brett umdrehte. Sie wirkte zu jung, um für das Wohlergehen von unzähligen Skifahrern in einem großen Resort verantwortlich zu sein. Vielleicht vertrat sie auch nur jemanden, so wie er.

Sie gab weitere Anweisungen, und wieder machten Leute Platz, gewährten ihm einen besseren Blick. Obwohl sie die gleichen formlosen schwarzen Skihosen wie alle trug, konnte er darunter ihre schlanke Figur erahnen. Ihr weißer Rollkragenpullover betonte ihre zarten Handgelenke und den Hals. Als sie sich das nächste Mal umdrehte, bemerkte sie ihn. Fragend sah sie ihn an, bevor ihr ein Licht aufzugehen schien.

„Sie müssen Dr. Metcalf von der Praxis für Sportmedizin in Pittsburgh sein. Ich bin Baylie Walker. Wir sind sehr dankbar für Ihre Hilfe.“

„Ich komme zwar aus der Praxis, aber ich fürchte, Dr. Metcalf hat es nicht geschafft. Er schickt mich an diesem Wochenende als Ersatz, Kyle Campbell.“

Ihr Lächeln verblasste. „Oh, das ist gar nicht gut.“

Verwirrt zog Kyle eine Augenbraue hoch. Soweit es ihn betraf, war an dieser Situation absolut nichts gut. Dabei war Schnee einmal seine erste große Liebe gewesen, sein Lebensinhalt …

Doch schon auf der Herfahrt war ihm der kalte Schweiß ausgebrochen, je näher er den Pisten kam. Vielleicht wurde er ja gar nicht gebraucht?! Nur zu gerne würde er nach Pittsburgh zurückfahren.

„Hier gibt es Regeln, Sie können nicht einfach auftauchen und erwarten, dass Sie hier ohne Einweisung arbeiten können. Ich muss wissen, dass Sie qualifiziert sind.“

Dass sie seine Erfahrung infrage stellte, wurmte ihn. Früher hatte ihm auf Skiern niemand etwas vorgemacht, nicht auf diesem Berg und auch nicht auf den meisten anderen. Bis eine kleine Unachtsamkeit und ein stümperhafter Rettungssanitäter alles beendet hatten.

„Ich bin nicht ‚einfach aufgetaucht‘. Mir wurde gesagt, dass Sie über den Wechsel informiert wurden. So, wie ich das verstanden habe, soll ich entweder in der Skischule unterrichten oder die Anfängerpiste beaufsichtigen. Dazu bin ich durchaus qualifiziert“, entgegnete er barsch.

Überrascht blinzelte sie, straffte dann jedoch die Schultern. „Das mag sein, aber ich muss es selbst sehen. Die Regeln gibt es schließlich aus gutem Grund.“

Das könnte sein Ausweg sein, wenn diese zierliche Frau seinen Stolz nicht verletzt hätte. Wie konnte sie andeuten, er könnte nicht gut genug sein? Schließlich hatte er sich entschieden, seine Skier an den Nagel zu hängen, und das bestimmt nicht, weil er nicht Ski fahren konnte, sondern weil er nicht mehr wollte.

„Ich brauche wohl kaum eine Einweisung, um auf der Anfängerpiste zu fahren.“ Kyle bemühte sich erst gar nicht, höflich zu klingen. So langsam ging ihm diese Situation auf seine bereits angespannten Nerven.

Und alles nur, weil die Partner seiner Arztpraxis, Kyle eingeschlossen, beschlossen hatten, der Gemeinde etwas zurückzugeben. Kyle hatte sich für ein Gemeindekrankenhaus im Stadtzentrum von Pittsburgh gemeldet, nicht für die freiwillige Pistenwacht am Snow Mountain. Und er hatte nur zugestimmt, für Metcalf einzuspringen, weil er nichts Schwierigeres als die Anfängerpiste fahren musste.

Ihm ging es jetzt gut. Er war ein erfolgreicher Arzt und hatte gelernt, mit seinem Verlust umzugehen. Hätte Metcalf nicht seine Termine durcheinandergebracht und seine Frau nicht gerade über dieses Wochenende eine Fahrt zu ihren Eltern geplant, hätte Kyle nie nachgegeben. Sein Kollege hatte den Leuten im Resort erzählt, dass er wenig Erfahrung hatte, darum hatten sie zugestimmt, ihm nur die einfachsten Pisten zur Beaufsichtigung zu geben. So hatte Kyle das Gefühl gehabt, dass er die zwei Tage durchstehen konnte. Von seiner Angst würde er auf keinen Fall erzählen.

„Sind Sie mit dem Berg vertraut?“, fragte Baylie weiter, während sie auf das Aufgabenbrett schaute.

„Nein.“

„Fantastisch.“ Sie wirkte nicht unbedingt begeistert, drehte sich dann aber zu ihm um. „Erst mal statten wir Sie aus, und wenn ich hier fertig bin, weise ich Sie ein.“ Ein Schmunzeln umspielte ihren Mund.

Wäre er nicht so schlecht gelaunt gewesen, weil er nach zehn Jahren seine Skier wieder anziehen sollte, hätte er das vielleicht sogar erwidert.

„Tiffani“, rief Baylie. Eine Frau, die wie ein sprichwörtliches Skihäschen aussah, drehte sich zu ihnen um. „Zeigst du …?“

„Kyle“, half er ihr aus.

„Kyle, wo er eine Patrouillenjacke bekommt?“

„Klar.“ Tiffani schenkte ihm ein Lächeln, das viele Erinnerungen weckte. Zu seiner aktiven Zeit hatten ihn die Schneegroupies genauso interessiert angesehen, was seinem Ego damals sehr geschmeichelt hatte.

Er erwiderte das Lächeln, wenn auch deutlich kühler, bevor er sich wieder Baylie zuwandte. Sie hatte die Lippen zusammengepresst. Also hatte sie das Zwischenspiel zwischen ihm und Tiffani bemerkt. Er zuckte die Schultern. Sollte sie doch denken, was sie wollte.

„Kommen Sie wieder her, wenn Sie fertig sind. Sie haben eigene Schuhe und Skier?“

„Im Auto.“ Widerwillig hatte er seine Ausrüstung aus den Tiefen seines Schrankes gefischt und sich dabei gefragt, warum er sie nicht schon längst entsorgt hatte. Er nickte ihr zu und folgte Tiffani in ein Hinterzimmer.

Baylie musterte die breiten Schultern des Neuen deutlich länger, als ihr lieb war. Seine Haltung zeigte deutlich, dass es ihm überhaupt nicht passte, von ihr Anweisungen zu bekommen. Sein Pech. Damit musste er sich wohl oder übel arrangieren. Soweit es die Pistenwacht betraf, hatte sie das Sagen.

Bei seinem Aussehen war er es gewohnt, im Zentrum des Interesses zu stehen. Würden ihr nicht so viele Freiwillige fehlen, hätte sie ihn weiter ausgefragt, so musste sie auf seine Worte vertrauen. Aber sie würde ihn im Auge behalten.

Es dauerte nicht lange, bis Kyle mit einer roten Jacke zurückkam, die seine markanten Gesichtszüge noch betonte. Jetzt trug er Skischuhe, hatte die Schnallen aber noch nicht geschlossen, und hielt in der Hand ein Paar hochwertige Skier, die sich kaum jemand leisten konnte. Wer war er nur?

Baylie kam hinter dem Empfangstresen hervor und nahm dabei ihre Jacke vom Haken. Als sie mit dem Arm in einen Ärmel fuhr, wurde die Jacke plötzlich leichter. Überrascht sah sie hinter sich. Kyle half ihr hinein. Schnell zog sie sich fertig an, schloss den Reißverschluss und murmelte: „Danke.“

„Gern geschehen.“

Ein Gentleman. Seine tiefe Stimme klang so unglaublich beruhigend. Sie schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken zu vertreiben. Auch ohne diesen mürrischen Freiwilligen hatte sie genug Probleme, um die sie sich kümmern musste. Und wenn er noch so attraktiv war. Entschlossen ging Baylie zur Tür, nahm auf dem Weg ein tragbares Funkgerät von der Ladestation und reichte es ihm. „Hier, das wirst du brauchen. Wir duzen uns hier übrigens alle.“

Als seine langen Finger ihre Hand streiften, ließ sie beinahe das Funkgerät fallen. Zum Glück griff er rechtzeitig zu. Erleichtert, wenn auch nervös, atmete sie auf. Dann nahm sie ihre Skier vom Haken. „Bist du ein fortgeschrittener oder erfahrener Skifahrer?“

„Ich bin durchaus fähig, den Anfängerhügel zu befahren.“

Was sollte denn das? Warum gab er ihr keine direkte Antwort? Allzu selbstsichere Männer waren nicht gerade ihr Ding. Ihre Kameraden im Nahen Osten hatten sich auch jedes Mal so aufgeführt, wenn sie auf eine Mission geschickt wurden. Besonders Ben. Als ob er sich für unverwundbar hielt. Leider hatte er sich da geirrt. „Eine direkte Antwort auf meine Frage wäre schön.“

„Dann ja, ich bin ein erfahrener Skifahrer.“

„Gut. Der Anfängerhügel ist dort drüben.“

Seine Mundwinkel zuckten leicht nach oben.

Baylie nahm ihre Skier auf die Schulter und stieg eine flache, schneebedeckte Erhebung hinauf. Dort lag vor ihnen auf der Anhöhe die Skischule.

Nachdem sie ein gutes Stück gelaufen waren, hielt Baylie an und legte ihre Skier in den Schnee. „Wir fahren auf Skiern runter und mit dem Lift wieder hoch.“

„Nicht mit dem Lift hoch und dann auf Skiern runter?“

„Nein. Ich weiß, bei allen anderen Resorts bleibt man am Fuß des Berges und fährt mit dem Lift hoch. Bei uns ist es genau andersherum.“ Sie schob ihren Schuh in die Skibindung und trat den Hacken runter, bis ein Klicken zu hören war, das anzeigte, dass er eingerastet war. Kyle dagegen rührte sich nicht.

Seine Skier steckten aufrecht neben ihm im Schnee, und er umfasste sie so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Er machte keine Anstalten, sie anzuziehen, sondern starrte wie hypnotisiert in die Landschaft.

„Gibt es ein Problem?“ Baylie folgte seinem Blick, konnte aber nichts entdecken.

„Nein“, antwortete er beinahe scharf. „Ich habe nur die Aussicht bewundert.“ Vorsichtig legte er die Skier auf den Boden, bevor er seine Schuhschnallen schloss.

Schnell zog Baylie ihren anderen Ski an, bevor sie erneut zu ihm sah. Er zögerte kurz, bevor er seine Skier einrasten ließ.

„Ich folge dir!“, sagte er.

Da stieß sie sich mit ihren Stöcken ab.

Seine Nerven waren gespannt wie Drahtseile. Aber erleichtert spürte Kyle, wie alles wiederkam. Für ihn war es sprichwörtlich wie Fahrrad fahren.

Zuerst noch unsicher folgte er der Schneeelfe vor sich und hielt dann neben ihr in der Schlange für den Lift.

„Wieder sicher auf Skiern? Gut. Der Anfängerhügel mag die einfachste Piste sein, aber auf ihr ist auch am meisten los.“

War ihr sein Zögern aufgefallen? Das konnte er nicht, nein, das würde er nicht zulassen. Sie wirkte, als würde sie Schwäche bei anderen genauso wenig wie an sich selbst akzeptieren. Und auf keinen Fall würde er seine zeigen. Es durfte keinen Grund für Fragen geben. Darum sah er ihr direkt in die Augen. „Ich weiß, welche Skifahrer auf dem Anfängerhügel unterwegs sind. Ich komme mit meiner Aufgabe klar.“

„Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass die Resortbesucher Spaß haben und dabei sicher sind. Das nehme ich sehr ernst, und du solltest das auch.“

„Zu Befehl!“ Sein Tonfall verriet, dass er sich ihr nicht einfach unterordnen würde.

Sie gingen in Position und nahmen den nächsten Liftsessel, der auf sie zukam.

Trotz ihres Größenunterschieds streifte ihn Baylies Bein von der Hüfte bis zum Knie. Sogar durch die dicken Skiklamotten spürte er ihre weiblichen Kurven. Ihre Persönlichkeit war vielleicht stachlig, aber ihr Körper ganz das Gegenteil.

Baylie wollte von ihm wegrücken, aber durch den begrenzten Platz klappte das nicht.

Tief atmete sie ein und aus. „Von dir wird erwartet, dass du diesen Bereich beaufsichtigst und eingreifst, wenn Hilfe gebraucht wird. Achte bitte besonders auf die Erwachsenen. Die Kinder lernen schnell, wie man den Lift benutzt, aber die Erwachsenen können eine Gruppe von Skifahrern, die in der Schlange steht, schneller umwerfen als eine Lawine.“

Kyle musste schmunzeln. Das hatte er schon oft gesehen. Sie grinsten sich an. Das veränderte sie total. Mit ernstem Gesicht wirkte sie nur durchschnittlich, mit einem Lächeln dagegen erstaunlich attraktiv.

Dann berührten ihre Skier wieder Schnee. Nach einem unsicheren Wackler fuhr er neben ihr. Geschafft! Baylies professionelle Art auf Skiern führte ihm nur allzu deutlich sein fehlendes Selbstvertrauen vor Augen.

„Du hast dein Funkgerät. Wenn du irgendetwas brauchst, gib Bescheid, und es kommt jemand zu Hilfe.“

Nach diesen letzten Worten fuhr sie die blaue Piste wieder hinunter und wechselte, ohne anzuhalten, über die Bergseite. Kyle sah ihr nach. Sie schien sehr selbstbewusst auf dem Schnee und in ihrer Arbeit. Damals war er auch so gewesen. Er atmete tief durch. Wenn er die nächsten zwei Tage heil überstand, konnte er danach seine Skier für immer an den Nagel hängen.

Baylie wusste nicht so recht, was sie von dem Neuen halten sollte.

Für einen Moment hatte er unsicher gewirkt, als sie ihre Skier angezogen hatten, aber auf dem Weg zum Lift wirkte er selbstbewusst, als ob er alles konnte. Es war eine Sache, unabhängig zu sein, eine ganz andere, leichtsinnig zu sein. Am besten sah sie regelmäßig nach ihm. Die Freiwilligen der Pistenwacht sollten selbstbewusst auf den Pisten auftreten, aber nicht überheblich.

Gegen Mittag verließ Baylie den Lift, der am Berggipfel anhielt. Während ihrer Runden hatte sie einmal gesehen, wie der Neue einem Mädchen aufgeholfen und später einen erfahrenen Skifahrer angehalten hatte, um ihn darauf hinzuweisen, dass er nicht so schnell durch den Anfängerbereich fahren sollte.

Diesmal hielt Baylie neben ihm an. „Du scheinst dich schnell reingefunden zu haben.“

„Das meiste ist einfach gesunder Menschenverstand“, erwiderte er lächelnd.

Ein schönes Lächeln, eingerahmt von Grübchen. Ob es seine Augen erreichte, konnte sie wegen seiner Sonnenbrille nicht sehen, aber sie hoffte es.

„Besteht die gesamte Pistenwacht aus Freiwilligen?“

„Ja, die meisten von ihnen genießen einfach einen Tag kostenloses Skifahren im Austausch für ihre Hilfe. Sie sind Schneejunkies, die froh sind, wenn sie auf Skiern stehen können.“

„Du bist als Einzige fest angestellt?“

„Genau. Das Management denkt, dass es für eine freundlichere Atmosphäre sorgt, wenn die Pistenwacht mit Freiwilligen besetzt ist. Angestellte könnten denken, dass sie Macht über die Skifahrer haben. So sind wir Partner beim Skispaß. Ein feiner, aber bedeutender Unterschied.“

Er grinste. „Interessante Art, die Dinge zu sehen. Und marketingtechnisch auf jeden Fall wertvoll.“

Sie war froh, ihn so entspannt zu erleben. Sein Lächeln allein würde den Resortbesuchern gefallen – ganz besonders den Frauen.

„Macht es Spaß?“, fragte sie.

„Es war nicht schlecht. Ich hatte gut zu tun.“

„Habe ich doch gesagt.“ Sie lächelte ihn an. „Es wird dich jemand ablösen, damit du etwas essen kannst. Weißt du, wo?“

„Nein, aber ich habe mir etwas mitgebracht.“

Hatte er das selbst gemacht oder wartete zu Hause jemand auf ihn? Egal, das ging sie nichts an.

„Gut, dann bis später.“ Sie verlagerte ihr Gewicht, um weiterzufahren.

„Auf mich muss niemand aufpassen.“

Mit einer schnellen Hüftbewegung stoppte sie. „Es gehört zu meinen Aufgaben nachzusehen, wie es meinen Freiwilligen geht.“

„Stündlich?“

„So oft ich es für nötig erachte.“

„Und ich dachte, du beobachtest mich einfach gern.“

So ein aufgeblasener Kerl!

So, wie er grinste, wusste er genau, was sie jetzt dachte. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, wurde in der Ferne ein Schuss abgefeuert. Sie zuckte zusammen, geriet ins Straucheln und suchte mit den Stöcken Halt, um nicht zu fallen. Es war beinahe ein Jahr her, und noch immer erschreckten sie laute Geräusche. Sie wollte vor ihren Freiwilligen nicht schwach erscheinen – und besonders nicht vor diesem. Kyle schien kaum etwas zu entgehen. Sie musste wirklich lernen, ihre Angst zu kontrollieren.

Eine große Hand umfasste ihren Oberarm und hielt sie fest. Die Kraft spürte sie sogar durch ihre gepolsterte Jacke.

„Alles okay?“ Kyle klang besorgt.

Sie hatte das Gefühl, dass er sie hinter seiner Sonnenbrille genau beobachtete. „Ja.“ Hastig entzog sie ihm ihren Arm. „Mir geht es gut.“ Trotz des Wetters stieg ihr Hitze in die Wangen. „Es hat mich nur überrascht.“

„Sicher?“

Baylie brachte ihre zitternden Hände unter Kontrolle, stach ihre Skistöcke entschlossen in den Schnee und stieß sich ab. „Ja.“ Aber ihre Antwort ging im Wind unter. Als sie den Übergang zu einer mittelschweren Piste erreichte, hielt sie an und drehte sich noch einmal zu ihm um. Sogar aus der Entfernung sah sie seine Verwirrung.

Stunden später knackte das Funkgerät an Baylies Hüfte: „Verletztes Kind auf dem Anfängerhügel.“ Das war nicht die Stimme des Neuen, seltsamerweise hätte sie die erkannt.

„Bin in fünf Minuten da“, antwortete sie.

Schnell fuhr sie zum nächsten Lift. Auf dem Weg nach oben gab sie per Funk Anweisungen an den Freiwilligen durch, der sie benachrichtigt hatte. Der Mann stockte kurz und sagte dann: „Der Neue hat sie in die Klinik gebracht.“

Was?

„Er sagte, er wäre Arzt und würde sich um sie kümmern.“

Arzt? Warum hatte er sich dann nicht mit seinem Titel vorgestellt?

Hitze erfüllte sie von Kopf bis Fuß, und sie biss die Zähne zusammen, um über das Funkgerät nicht so zu antworten, wie sie gern wollte. Auch wenn es ihr schwerfiel, sagte Baylie locker: „Danke. Ich treffe ihn dann dort. Bitte beaufsichtige den Anfängerhügel, während wir in der Klinik sind.“

„Verstanden.“

Baylie würde diesem aufgeblasenen Kerl sehr deutlich erklären, wo sein Platz war. Sie traf hier die Entscheidungen. Die Versorgung der Skifahrer lag in ihrer Verantwortung. Es könnte Haftungsprobleme geben, wenn jemand durch die Pistenwacht noch weiter verletzt wurde.

Kaum war sie vom Lift runter, öffnete sie schon ihre Skibindungen und stürmte wütend in die Klinik. Mühsam rief sie sich in Erinnerung, dass der Patient an erster Stelle kam. Das letzte Mal war sie so wütend gewesen, als sie in einem Krankenhausbett aufwachte und ihr niemand sagen wollte, was mit ihren Kameraden passiert war.

Sie holte tief Luft, um sich zu beruhigen, bevor sie durch den winzigen Empfangsbereich der Pistenwachtdienststelle ging. Eine tiefe Stimme und das schüchterne Kichern eines kleinen Kindes ertönten aus Richtung der Untersuchungsräume. Als Baylie eintrat, beugte sich Kyle über ein kleines Mädchen von vielleicht sechs Jahren, mit engelsgleichem Gesicht und flachsblonden Locken. Er überprüfte ihre Augen mit einer kleinen Stiftleuchte, während am Kopfende ein anderes Langzeitmitglied der Pistenwacht stand. Durchdringend sah ihn Baylie an. Er presste seine Lippen fest zusammen, zuckte jedoch die Schultern. „Er hat darauf bestanden.“

„Das habe ich“, ertönte die tiefe Stimme des Mannes, der das Mädchen untersuchte.

Sie wandte sich an den Freiwilligen: „Bitte versuch, ihre Eltern zu finden.“

Er nickte und ging sofort.

„Erzähl mir, was passiert ist.“

Kurz sah Kyle sie an, bevor er weiter sanft den Kopf des Mädchens streichelte. Trotz ihres Ärgers musste sie zugeben, dass er eine sehr angenehme Art an sich hatte. Trotzdem gehörte er hier nicht zum medizinischen Personal. Sie dagegen schon. Er durfte das Kind nicht ohne ihre Erlaubnis von der Piste entfernen.

„Cassie kam nicht rechtzeitig vom Lift weg, und der hat sie dann am Hinterkopf getroffen.“ Er untersuchte das Mädchen weiter und sah lächelnd auf sie hinunter. Sie lächelte schüchtern zurück.

Der Mann war ein unverschämter Charmeur. Baylie befürchtete, dass es selbst ihr schwerfallen würde, nicht darauf zu reagieren, wenn er sie jemals so anlächelte.

„Der Liftsitz hat sie umgeworfen, aber hauptsächlich erschreckt“, beendete Kyle seinen Bericht, ohne Baylie anzusehen.

Sie trat an den Untersuchungstisch. „Du kannst wieder auf die Piste zurückkehren. Ich kümmere mich ab jetzt darum“, sagte sie so nachdrücklich wie möglich.

Kyle presste die Lippen zusammen, als er zurücktrat, aber sie spürte ihn noch hinter sich. Er blieb? Weil sie nicht vor einem Patienten, besonders nicht vor einem verängstigten Kind, eine hässliche Diskussion führen wollte, schwieg sie. Später würde sie ihm dafür die Regeln auf diesem Berg sehr ausführlich erklären.

„Na du, ich bin Baylie“, stellte sie sich dem Kind vor und lächelte beruhigend. „Cassie, kannst du mir sagen, wo es wehtut?“

Das Mädchen deutete mit der Hand auf ihren Hinterkopf.

„Ich habe hinten links eine Beule gefunden“, mischte sich Kyle ein.

Vorsichtig tastete Baylie den Hinterkopf des Mädchens ab und fand die Beule. „Das wird ein paar Tage wehtun“, erklärte Baylie dem Kind. „Darf ich dein Herz abhören und noch ein paar Dinge überprüfen?“

„Das habe ich bereits getan, und es ist alles in Ordnung“, protestierte Kyle und kam zur anderen Seite der Untersuchungsliege.

Er konnte es einfach nicht lassen.

„Hast du etwas dagegen, wenn ich das noch einmal tue?“, fragte sie das Mädchen.

Die Kleine schüttelte den Kopf.

„Gut. Deine Eltern sind bestimmt bald hier.“

„Mein Vater. Meine Mum lebt nicht mehr bei uns“, erzählte sie traurig.

„Nun, dann sorgen wir dafür, dass bei dir alles in Ordnung ist, bevor dein Dad herkommt, ja?“ Baylie lächelte sie an und zog ihr Stethoskop hervor. Sie begann, das Mädchen zu untersuchen, und wurde gerade fertig, als ein Mann aus dem Empfangsbereich ängstlich rief: „Cassie?“

Mit schnellen Schritten ging Kyle zu ihm.

„Sie müssen Cassies Vater sein.“ Kyles raue Stimme reichte bis in den Untersuchungsraum, wo Baylie und Cassie warteten. „Es geht ihr gut. Sie hat nur eine kleine Beule am Kopf. Kommen Sie hier lang.“

Kyle hatte den Vater effektiv beruhigt, das musste Baylie widerwillig zugeben. Kurze Zeit später betraten die Männer den Raum.

Sofort eilte der Vater an die Seite seiner Tochter. „Liebling, geht es dir gut?“

„Ja, aber ich habe mir den Kopf gestoßen.“

„Hallo, ich bin Baylie Walker, die Leiterin der Pistenwacht.“

Der Mann warf ihr einen kurzen Blick zu, bevor er sich wieder auf seine Tochter konzentrierte.

„Cassie geht es gut. Sie sollten nur die Beule kühlen, bis die Schwellung zurückgeht“, sprach Baylie weiter und drückte dem Mädchen die Hand.

„Das hat mir Dr. Campbell gerade gesagt.“

Sie presste die Lippen fest zusammen und sah wütend zu Kyle. Der hob eine Schulter und senkte sie wieder.

„Ich habe Cassie gründlich untersucht. Außer der Beule geht es ihr gut. Sie können sie mitnehmen, aber Sie sollten sie aufmerksam beobachten. Wir geben Ihnen gern ein Kühlkissen mit. Wenn Sie sonst etwas brauchen, lassen Sie es mich wissen.“ Sie ging zum Tresen, holte eine Karte und reichte sie dem Vater. „Sie können mich jederzeit erreichen.“

„Danke, das weiß ich zu schätzen“, antwortete der Vater und umarmte Cassie.

„Ich wette, nach einer Tasse heißer Schokolade geht es dem Kopf gleich wieder besser“, schlug Kyle vor. Sein Augenzwinkern löste in Baylie etwas aus, das ihr gar nicht gefiel.

„Oh ja.“ Bettelnd sah Cassie zu ihrem Vater auf. „Kann ich eine heiße Schokolade haben, Daddy?“

Ihr Vater nahm sie auf den Arm. „Aber sicher, Süße.“

Gut, Kyle mochte einige andere nervende Persönlichkeitsprobleme haben, aber Baylie hatte noch keinen besseren Umgang mit Patienten erlebt. Trotzdem konnte er nicht einfach Entscheidungen treffen, die sie treffen sollte.

„Die beste Schokolade hier oben gibt es im ‚Snow Mountain Café‘“, erklärte Baylie. „Wissen Sie, wo das ist?“

„Sicher. Noch einmal vielen Dank.“ Der Vater lächelte sie an und reichte Kyle die Hand. „Danke, Dr. Campbell, dass Sie sich um mein kleines Mädchen gekümmert haben.“

„Gern geschehen.“ Kyle zerzauste Cassie liebevoll die Haare. „Ich sehe dich dann auf der Piste.“

Schüchtern grinste sie ihn an.

Als sich die Tür hinter den beiden schloss, wandte sich Baylie an Kyle. „Du hast mir nicht gesagt, dass du Arzt bist.“

„Spielt es denn eine Rolle?“

Autor

Susan Carlisle
<p>Als Susan Carlisle in der 6. Klasse war, sprachen ihre Eltern ein Fernsehverbot aus, denn sie hatte eine schlechte Note in Mathe bekommen und sollte sich verbessern. Um sich die Zeit zu vertreiben, begann sie damals damit zu lesen – das war der Anfang ihrer Liebesbeziehung zur Welt der Bücher....
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