Schön wie Cinderella

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Seit dem Tod ihrer Eltern führt Cindy im Haus ihrer Tante ein Aschenputtel-Dasein. Als man sie auf der Hochzeit ihrer Cousine beschuldigt, gestohlen zu haben, ist Cindys Geduld am Ende. Hals über Kopf flüchtet sie und trifft unterwegs auf John Hitchcock, ihren heimlichen Jugendschwarm. Der attraktive Junggeselle bietet ihr an, bei ihm zu wohnen, bis sie eine Unterkunft gefunden hat. Und Cindy sagt nicht Nein - sollte das ihre Chance sein, doch einmal Glück im Leben zu haben?


  • Erscheinungstag 21.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756574
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Dies ist mein erstes Tagebuch, und ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Mama hat immer eins geführt, ich bislang nicht. Sie sagte, ich sollte ihres lesen, wenn sie mal nicht mehr da wäre, dann würde ich vieles verstehen. Aber ich hatte lange keine persönlichen Dinge von ihr.

Mein Name ist Cynthia Danbury. Ich bin vierzehneinhalb Jahre alt.

Vierzehneinhalb. Das war also vor zehn Jahren. Wie jung ich damals war, dachte Cindy und las weiter.

Ich werde dauernd losgeschickt, um Dinge zu erledigen. Sollte jemand das hier lesen, möchte ich, dass er weiß, dass mein Daddy Erfinder war. Er starb, bevor er etwas ausreichend Wichtiges erfand, dass Leute dafür Geld bezahlt hätten. Aber das will nicht heißen, dass er zu gar nichts gekommen wäre. Mama hat in der Lastwagenkneipe hart gearbeitet, um das Geld für Daddys Experimente zu verdienen. Sie war überhaupt keine Vorstadtschlampe, die einen anständigen Jungen verdorben hat, wie Tante Stephenson mal zu Onkel Henry gesagt hat. Darum schreibe ich dies auch auf. Damit jeder es weiß.

Cindy konnte sich noch genau daran erinnern, wie sie Tante Stephenson, die Schwester ihres Vaters, zum ersten Mal getroffen hatte. Sie war damals ungefähr sieben Jahre alt gewesen, und sie waren gerade nach Mocksville gezogen. Ihr Vater hatte sie in ein großes, weißes Haus mitgenommen, das eine mächtige Eingangstür mit Glasscheiben hatte. Dort hatte sie Tante Lorna kennengelernt.

In der Halle stellte ihr Vater sie einer großen Frau in schwarzem Kleid vor und erklärte ihr, dass das ihre Tante Lorna sei.

„Sie nennt mich besser Mrs. Stephenson“, hatte die Frau ihn kühl korrigiert, was ihren Vater sehr verärgerte. Cindy erinnerte sich daran, dass sie sich hinter ihm versteckt und sich an seine Hand geklammert hatte. Über die Jahre fanden sie einen Kompromiss: Cindy nannte die Schwester ihres Vaters nun „Tante S.“.

Sie nahm das Tagebuch wieder auf und blätterte ein paar Seiten weiter.

Mama begleitete uns nie bei diesen Besuchen. Den Grund dafür verstand ich erst Jahre später. Nach ihrem Unfall. Als ich ihr Tagebuch fand.

Der Unfall passierte, als Daddy und ich sie zur Arbeit fuhren. Ein Reifen platzte, und wir überschlugen uns. Daddy war sofort tot. Mein Becken war gebrochen. Ich hätte ein neues Hüftgelenk gebraucht, aber das bekam ich nicht. Mama und ich waren beide im Krankenhaus, ich konnte nicht mal zu Daddys Beerdigung gehen. Tante S. kümmerte sich um alles. Dafür müsste ich ihr wohl dankbar sein. Aber ich denke nicht gern an damals, und deshalb fällt es mir schwer, dankbar zu sein.

Cindys Becken war nie ganz ausgeheilt. Wenn sie müde war, humpelte sie noch immer ein wenig, aber die Narben waren kaum noch zu sehen. Der Unfall geschah im November, als sie elf war. Im folgenden Mai bekam sie ihre Periode. Sie dachte sofort, es hätte etwas mit dem Bruch zu tun, bis ihre Mutter ihr alles erklärte.

Mama wunderte sich, dass ich es noch nicht wusste, oder jedenfalls nicht genau. Man lernt das in der Schule, aber wenn es einem dann selbst passiert, ist es irgendwie anders. Ich entwerfe immer Hüte, wenn ein Thema aufkommt, das mir peinlich ist. Große, verrückte Hüte. Romantische Hüte, mit ganz vielen Blumen drauf.

Das tat Cindy noch immer. Jetzt allerdings nicht mehr nur in Gedanken. Sie blätterte weiter und dachte daran, wie naiv sie vor zehn Jahren noch gewesen war.

Wer ich wohl bin? Sollte ich eines Tages mal Kinder haben, und sollten die etwas über ihre Herkunft wissen wollen, kann ich ihnen nicht viel sagen. Mamas Familie, die Scarboroughs, kommen von der Küste, aber da gibt es höchstens noch einen Cousin dritten Grades. Mama war sehr traurig nach Daddys Tod, sie konnte das nie verwinden. Und dann bekam sie Leukämie. Als sie im Krankenhaus war, wohnte ich in der Zeit bei einer Nachbarin. Wenn ich sie besuchte, tat sie immer so, als würde bald alles wieder gut, aber wir wussten beide, dass das nicht stimmte.

Das waren wirklich schlimme Zeiten. Ich weiß noch, dass wir im Krankenhaus oft Karten gespielt und Trickfilme im Fernsehen angesehen haben. Manchmal saßen wir nur da und hielten uns die Hände. Ein Mal haben wir schrecklich über meinen komischen Geschmack gelacht, und sie sagte, das müsste ich wohl von ihr geerbt haben, denn auch sie liebte riesige Hüte mit vielen künstlichen Blumen drauf.

Cindy griff nach der gerahmten Fotografie auf ihrem Nachttisch, dem leicht unscharfen Schnappschuss von einer jungen Frau in enger Dreiviertelhose, einem Oberteil mit Trägern, mit blumengeschmücktem Hut und glücklichem Lächeln. Mama mit neunzehn, im Arm ihre geliebte Gibson-Gitarre.

Über das alles kann ich nicht sprechen, weil es noch so wehtut, aber wenn irgendjemand das hier liest, soll er wissen, dass Aurelia Scarborough Danbury die liebste und beste Frau der Welt war.

Nach Mamas Tod kam ich zu Tante Stephenson, zu Onkel Henry und zu meinen Stiefcousinen Maura und Stephanie. In einer kleinen Stadt, wo jeder jeden kennt, selbst wenn manche in großen feinen Häusern wohnen wie Tante S. und andere in Wohnwagen, wie wir es taten, wissen alle, wer zu wem gehört. Als die vom Jugendamt sagten, wenn die Stephensons mich nicht aufnehmen würden, müsste man eine Pflegefamilie für mich finden, hatte die arme Tante S. wohl keine Wahl. Ihr wäre sicher eine Entschuldigung eingefallen, aber die Leute hätten darüber geredet, und anständige Menschen sorgen dafür, dass man nicht über sie tratscht, wie Tante S. immer sagt.

Onkel Henry kommt mir mehr vor wie Familie als Tante S. Eigentlich sind sie ja gar keine richtige Familie, du weißt schon, wie ich das meine. Wegen meiner Haare nennt er mich immer Radieschen, und zu Weihnachten schenkt er mir Schokolade und einen Zwanzig-Dollar-Schein. Die Hälfte spare ich, vom Rest kaufe ich Geschenke. Aber die Schokolade ist immer schon alle, bevor die Feiertage zu Ende sind. Steff und Maura essen gern Süßes.

Ich bin nicht gern bei ihnen, weiß aber nicht, wo ich sonst hin soll. Und wenn man erst zwölfeinhalb ist, nimmt einen niemand ernst. Maura und Steff sind eigentlich ganz nett. Maura ist zwei Jahre älter als ich, Steff dreieinhalb. Wir haben wenig gemeinsam. Da ich kleiner bin als sie, muss ich mir wenigstens keine Gedanken über Kleidung machen. Maura kauft ihre Jeans immer eine Nummer zu klein, und wenn Tante S. sie damit erwischt, bekomme ich sie. Genauso ist es mit den T-Shirts. Ganz eng. Maura zeigt gern ihren Busen. Aber ich habe noch keinen. Jeans mag ich eigentlich nicht besonders. Im Sommer sind sie zu warm, im Winter zu kalt. Aber sie sind praktisch.

Steff trägt nie Jeans. Sie gibt mir die Kleider, die sie nicht mag. Die muss man reinigen lassen, und das kostet Geld. Zum Glück kann ich ganz gut nähen und Flecke rauswaschen. Die Sachen sind immer fleckig, wenn ich sie bekomme.

Dir ist vielleicht schon aufgefallen, dass ich gern dies und jenes erzähle. Mama sagte immer, ich hätte einen Verstand wie ein üppiger Blumengarten. Und dass unter all dem Unkraut auch Gutes wächst.

Um das mal zu sagen: Ich bin Tante S. wirklich dankbar. Darum kann ich auch nicht einfach weglaufen und alleine leben, auch wenn ich es noch so gern möchte.

Oh, wie oft war Cindy versucht gewesen, davonzulaufen! Aber bald würde sie es wirklich schaffen.

So, liebes Tagebuch, jetzt kommt etwas Schwieriges. Es betrifft etwas, was Tante S. schon immer wusste, was ich aber erst erfuhr, nachdem ich Mamas Tagebuch gelesen hatte. Darum schreibe ich auch selbst eins, damit meine Kinder und Enkel wissen, was los war.

Ich bin keine richtige Danbury. Mein leiblicher Vater war Pilot beim Militär und stürzte vor meiner Geburt bei einem Aufklärungsflug ab. Mama sagt, sein Name war Bill Jones. Er stammte von irgendwoher in Virginia.

Als Daddy Mama heiratete, gab er mir seinen Namen. Nur darum nahm Tante S. mich schließlich bei sich auf. Onkel Henry hatte nichts dagegen. Er trägt immer einen Anzug mit Weste, geht jeden Morgen ins Büro und kommt nachmittags, um eine Zigarre zu rauchen, was zu trinken und ein Schläfchen zu machen. Maura sieht ihm sehr ähnlich, ist aber nicht so nett wie er.

Seufzend legte Cindy das Tagebuch beiseite und schaute aus dem Fenster zum gegenüberliegenden Haus. Hitch würde bald kommen, John Hale Hitchcock, der Mann ihrer Jungmädchenträume. Vermutlich hatte sie deshalb ihr altes Tagebuch hervorgekramt.

Als Mac ihr erzählte, dass Hitch sich bereit erklärt hätte, Trauzeuge bei seiner Hochzeit zu sein, war Cindy ganz anders geworden. Sie würde vor Scham sterben, wenn er das je herausfände, aber vermutlich würde er sie gar nicht wieder erkennen! Er hatte sie damals kaum beachtet. Cindy dagegen sah ihn noch vor sich, als sei es gestern gewesen.

Natürlich würde er sich verändert haben, war vielleicht sogar verheiratet – obgleich Mac nichts von einer Ehefrau gesagt hatte. Schließlich hatte Cindy sich seit diesen schwärmerischen Tagen ebenfalls verändert. Nicht sehr, aber zumindest war sie nicht mehr platt wie ein Bügelbrett.

Cindy fuhr mit der Hand über das abgegriffene Tagebuch und schaute bei ihrem 18. Geburtstag hinein.

Onkel Henry hat mir ein Auto geschenkt! Ich kann es kaum glauben! Nun muss ich all die Erledigungen montags nicht mehr mit dem Fahrrad machen. Vielleicht sollte ich an die Tür ein Reklameschild hängen. Zum Beispiel: „Cindy erledigt alles schnell, zuverlässig und billig“. Tante S. würde einen Anfall kriegen.

Noch vor ihrem nächsten Geburtstag war Onkel Henry gestorben. Cindy vermisste ihn noch immer. Ich glaube, Tante S. weiß es, hatte sie damals geschrieben. Der Grund dafür, dass sie nichts sagt, ist der, dass sie mir dann Geld für all das geben müsste, was ich brauche. Ich habe mir große Mühe gegeben, mich all die Jahre selbst zu versorgen, indem ich mich nützlich mache. Aber eins sage ich dir, liebes Tagebuch, ich werde nie mehr zulassen, dass Maura oder Steff noch mal eine Verabredung für mich arrangieren. Lieber ende ich als alte Jungfer! Der Typ im vergangenen Monat hat mir beinahe mein Kleid zerrissen. Der von der letzten Woche hat immer schmutzige Witze erzählt und sich halb totgelacht, wenn ich rot wurde. Und der von gestern Abend war so langweilig, dass ich beinahe eingeschlafen wäre, als er mir von jedem Job erzählte, den er mal gehabt hat, vom Tütenträger bis zum Produktmanager. Ich bin weder reich, noch aus gutem Haus oder besonders hübsch, aber ich verdiene Besseres als das.

Das gehört zu den Dingen, die sich nicht geändert haben, dachte Cindy und legte das Tagebuch zur Seite. Sie verdiente etwas Besseres. Sobald Steffs Hochzeit vorbei wäre, würde sie sich eine winzige, billige Wohnung suchen und aus ihrem Montags-Job einen Full-Time-Job machen, so lange, bis sie genug gespart hatte, um ihre Traumkarriere zu starten. Eines Tages würden die Frauen wieder große, wunderbare, romantische Hüte tragen. Und wenn es dazu kam, wollte sie bereit sein!

Vorausgesetzt, sie hätte nach dieser verdammten Hochzeit noch genug Kraft dafür übrig.

1. KAPITEL

John Hale Hitchcock legte den Hörer auf und fluchte leise vor sich hin. Wieso hatte er bloß zugesagt! Er hatte sich bisher immer erfolgreich bemüht, sich von Hochzeiten fernzuhalten – schon damit er nicht selbst auf die Idee kam zu heiraten. Vor allem von Hochzeiten, wo man selbst aktiv sein musste. Wie nannten die Psycho-Fritzen das noch? Abwehrmechanismus?

Ja, genau das war es.

Er hatte immer das Gefühl gehabt, dass seine Eltern sich nicht besonders leiden konnten, aber viel zu wohlerzogen waren, um es auszusprechen. Dazu kam noch, dass seine Mutter immer wieder versuchte, ihn mit einer ihrer jungen Kolleginnen zu verkuppeln. Kein Wunder, dass er solchen Widerwillen gegen die Ehe entwickelt hatte.

Inzwischen konnte er ganz gut damit umgehen. Obgleich seine Eltern alles andere als begeistert waren, als er nicht Jura in Yale studierte, sondern sich für Ingenieurwesen an der Universität von Georgia entschied, war er schließlich kein Barbar. Zumindest hatte er genug Anstand, seinen tief sitzenden Widerwillen gegen Nadelstreifen, handgenähte Schnürschuhe und Engstirnigkeit zu verschweigen.

Janet Hale Hitchcock, eine angesehene Bundesrichterin, war nicht mal in jungen Jahren so etwas wie eine richtige Mutter gewesen.

Nachdem sie endlich nicht mehr versuchte, ihren Sohn mit einer ihrer Kolleginnen zu verkuppeln, gab sie es zum Glück auf, ihn unter die Haube bringen zu wollen. Nun bemühten sich nur seine verheirateten Freunde noch darum. Aber damit konnte er inzwischen umgehen: Immer höflich lächeln, und dann nichts wie weg! Nachdem er seine Kindheit unter der Herrschaft dominierender Eltern verbracht hatte, in einem Haus, das die Wärme eines Kühlschranks besaß, würde er keinesfalls in die Falle der Ehe tappen!

Macs Anruf hatte ihn in einem schwachen Moment erwischt. Hitch war gerade von der Beerdigung eines Klassenkameraden zurückgekommen, der mit nur dreiunddreißig an einem Herzinfarkt gestorben war.

Nachdem Hitch einen Drink genommen hatte, war er einem seltenen Anfall sentimentaler Gedanken erlegen. In dem Moment hatte Mac MacCollum ihn angerufen, ihm von seiner bevorstehenden Hochzeit erzählt und ihn gebeten hatte, sein Trauzeuge zu sein.

„Nein, danke, mein Freund. Du hast wohl vergessen, dass ich gegen Hochzeiten allergisch bin.“

„Ach, komm schon, Hitch, du bist mein bester Freund! Ich kann doch keinen anderen bitten!“

Die beiden Männer hatten vier Jahre lang zusammen an der Universität von Georgia studiert. Einen Tag nach dem Abschluss waren Mac und Hitch dann gemeinsam zur Armee gegangen. Anschließend hatte Mac ein halbes Dutzend Karrieren angesteuert, während Hitch nach Harvard ging, um sich dort weiter zu qualifizieren. Während all der Zeit waren sie immer in Verbindung geblieben – was allerdings vor allem Mac zu verdanken war.

„Hör mal, Mac“, hatte Hitch gesagt, „herumzujammern gehörte noch nie zu deinen Eigenschaften.“

„Ich jammere nicht herum, ich bitte dich. Das hat mehr Würde als herumzujammern.“

„Kenne ich die Glückliche?“

„Erinnerst du dich an Steffie Stephenson? Die im Haus neben uns wohnt?“

Hitch würde nie die vielen Wochenenden während der College-Zeit vergessen, die er in dem gemütlichen alten Haus der MacCollums verbracht hatte. Dort war es immer laut, herzlich und chaotisch zugegangen. Und es hatte nach leckerem Essen gerochen – ganz im Gegensatz zu seinem Elternhaus.

Hitch erinnerte sich auch an die Stephenson-Schwestern im Nachbarhaus, an Stephanie und … hieß sie Mary? Marnie? Na, irgend so was.

Gab es da nicht noch eine dritte Schwester? Die hatte Hitch nie kennengelernt, aber er sah ein rothaariges Mädchen vor sich, das immer im Hintergrund gewesen war.

„Ja, ich erinnere mich an Steff“, sagte er und nahm einen Schluck von seinem Drink. „Ich gebe dir allerdings einen Rat, Mac: Verschwinde, bevor es zu spät ist. Frauen wollen verheiratet sein, Männer nicht! Frag nicht nach Logik, denn die gibt es dabei nicht. Glaub mir, und mach dich aus dem Staub.“

Aber Mac hatte ihn überredet. Der gute alte Mac mit seinen großen Ohren, seinen zwei linken Füßen und seiner Fröhlichkeit. Hitch hatte nach seiner zögerlichen Zusage aufgelegt und eine Weile darüber nachgedacht, wie Mac und Steff wohl zusammengekommen waren. Wenn sie sich nicht unheimlich verändert hatte, dann war Stephanie Stephenson eine hohle, arrogante Schnepfe mit wunderhübschem Gesicht und wenig Hirn.

Sollte sie etwa begriffen haben, dass Mac, auch wenn er sich oft etwas albern benahm, einen wunderbaren Charakter hatte? Oder hatte Mac es mit viel Glück und harter Arbeit vielleicht geschafft, aus dem heruntergekommenen Ski-Hotel, das er vor Jahren gekauft hatte, eine Hotelkette zu machen, die sich bis nach West-Virginia zog?

Hitch trank sein Glas leer, stand auf und streckte sich. Er hatte in den vergangenen Jahren schwer gearbeitet, um aus seinem eigenen Unternehmen für Industriedesign, JHH Designs, in Richmond, Virginia, eine Firma mit großer Zukunft zu machen. Er konnte mal eine Pause gebrauchen, und wo würde er die besser verbringen als in der Familie, die ihn wie einen eigenen Sohn behandelt hatte?

Auf dem Weg dorthin würde bei seinen Eltern vorbeikommen. Vielleicht sollte er mal bei ihnen reinschauen, um die Beziehung zu glätten. Er hatte sie seit gut einem Jahr nicht mehr gesehen, und die letzte Begegnung war nicht gerade angenehm gewesen.

Seine Eltern waren beide Richter und äußerst streng. Diese Eigenschaft hatte Hitch zu spüren bekommen, sobald er alt genug war, in dem dunklen, alten Haus klebrige Fingerspuren auf einer polierten Oberfläche zu hinterlassen.

Seine Mutter, eine zierliche Person mit eisgrauem Haar, das sie immer zu einem Knoten aufgesteckt trug, konnte mit einer hochgezogenen Augenbraue mehr erreichen als andere mit einem geladenen Gewehr. Schon sein Großvater väterlicherseits war Richter am Obersten Bundesgerichtshof gewesen. Jedermann erwartete natürlich von Hitch, dass er die gleiche Laufbahn einschlüge, aber er hatte seine eigenen Vorstellungen.

Das nahm man ihm allerdings so übel, dass es zu einem riesigen Problem geworden war. Hitch, der von beiden Seiten genug Dickköpfigkeit mitbekommen hatte, gewann zwar bei keinem Streitgespräch mit seinen Eltern, hatte aber gelernt, den Schaden dadurch zu begrenzen, dass er seinen Mund hielt und schnellstmöglich das Haus verließ.

Vielleicht war die Ursache für seinen beruflichen Ehrgeiz ja der Wunsch, seinen Eltern zu beweisen, dass auch er es schaffen würde?

„Zwei Dinge will ich niemals machen“, murmelte Cindy, während sie einen Stapel feines Geschirr in die Küche trug. „Einen Party-Service haben oder Hochzeiten arrangieren.“

Sie hatte bei einer der Tassen den Griff abgebrochen und kostbare Zeit am Telefon zugebracht, um jemanden zu finden, der den Schaden beheben könnte.

Bedauerlicherweise kostete das eine Menge Geld, und die Fahrt nach Greensboro würde auch noch dazukommen.

„Cindy, hast du den Floristen angerufen?“

„Der kommt morgen Vormittag, um alles zu arrangieren.“

„Cindy, ist mein Kleid aus der Reinigung zurück?“

„Es ist in etwa einer Stunde fertig.“

„Cindy, du meine Güte, ich hatte dir doch gesagt, dass mein Koffer gelüftet werden muss, er riecht ganz muffig!“

„Es sah heute Morgen nach Regen aus, deshalb hielt ich es für besser, noch zu warten. Wenn es nicht aufklart, lüfte ich dein Gepäck in meinem Zimmer, da steht es jedenfalls trocken.“ Unerträglich heiß war es dort, da ihr Zimmer keine Klimaanlage hatte.

Die Hochzeit würde erst in ein paar Tagen stattfinden, aber schon waren die ersten Übernachtungsgäste da, unter anderem zwei Brautjungfern, ehemalige Schulkameradinnen von Steff. Cindy hatte sich die Hacken abgelaufen, um alle Zimmer vorzubereiten und die Gläser sowie das Geschirr für das Fest per Hand abzuwaschen.

Da es für Tante S. das erste Mal war, dass sie eine Hochzeit vorbereitete, wurde aus der ehemals eher schlicht geplanten Haustrauung nun allmählich ein riesiger Zirkus mit allem Drum und Dran – was vor allem Cindy auszubaden hatte.

Daneben musste sie natürlich auch die normal anfallenden Arbeiten erledigen,, sodass sie bereits völlig erschöpft war. Wenn in drei Tagen die Hochzeit überstanden wäre, müsste sie hinterher alles wieder aufräumen und in Ordnung bringen. Wäre sie nicht an so viel Arbeit gewöhnt gewesen, wäre sie vermutlich durchgedreht.

„Irgendwann“, murmelte sie, während sie ein zerknülltes Einwickelpapier unter dem Tisch im Flur hervorzog. Irgendwann hätte sie genug gespart, und dann würde ihr das alles nur noch wie ein böser Traum vorkommen. Aber bis dahin war es nützlich, die Geduld eines Elefanten zu haben, um das Ganze zu überstehen.

„Cynthia, was hast du nur wieder mit den Rosen angestellt!“, rief Lorna Stephenson aus einem der hinteren Zimmer, wo sie gerade ihre Kopfschmerzen mit einem in Lavendelwasser getränkten Tuch und einem Glas Brandy kurierte.

„Nichts, Ma’am. Ich glaube, Charlie hat vorhin draußen Ball gespielt. Vielleicht sollte man mal mit seiner Mutter sprechen.“

Wenn es nach Cindy gegangen wäre, hätte sie alle Blumen aus dem Garten geholt und die Hochzeitsdekoration selbst gemacht. Aber Tante S. zog das formelle, starre Blumenarrangement des örtlichen Floristen vor. Cindys Idee, alles, was blühte, miteinander zu kombinieren und durcheinander zu stecken, mochte sie nicht.

Noch drei Tage. Das Haus erstrahlte bereits. Cindy war auf einmal merkwürdig zumute. Aber vielleicht lag ihr das halbe Sandwich auf dem Magen, das sie im Vorbeigehen zum Mittag gegessen hatte.

Nein, bei Verdauungsproblemen brannte ihr der Magen. Jetzt dagegen hatte sie wehmütige Gefühle. Schließlich war eine Hochzeit ja ein Meilenstein. Und außerdem war sie mit ihrer Stiefcousine, die nun das Haus verlassen würde, praktisch aufgewachsen. Auch wenn sie sich nicht besonders verstanden, würde Cindy sie doch vermissen.

Das Hochzeitskleid. Ach ja, daran musste noch irgendwas gemacht werden, fiel ihr ein, als sie die Hintertreppe hinaufeilte. Es sah noch gar zu langweilig aus.

„Steff, was dein Hochzeitskleid betrifft“, sagte sie, als sie atemlos ins große Eckzimmer von Tante S. und Onkel Henry stürmte, „dem fehlt noch etwas, findest du nicht auch?“

„Wage es ja nicht, mein Hochzeitskleid anzurühren! Das ist von einem erstklassigen Designer!“

Steff behauptete, es sei elegant, Cindy fand es eher trist. „Wir brauchen ja nicht viel“, schlug sie vor, „nur ein bisschen Spitze am Hals oder so. Oder ich habe noch weiße Samtrosen, ganz feine, nicht welche aus einem Ramschladen. Ich könnte sie dir anstecken …“

„Nein!“

„Aber du musst doch etwas ‚Altes‘ und etwas ‚Geliehenes‘ an dir haben, das ist bei uns schließlich Tradition. Vielleicht würden die Samtrosen auch schön an der Taille aussehen. Dann bräuchtest du nicht mal einen Brautstrauß.“

Steff rollte mit den Augen, und Cindy war verlegen. Sie wusste, was alle von ihren Kreationen hielten, auch wenn es nur Probeentwürfe waren und die richtigen, wenn sie erst Geld genug dafür hätte, viel schöner aussehen würden. „Ich wollte dir nur anbieten zu … helfen. Es ein bisschen aufzupeppen, verstehst du?“

Vermutlich war es gut, dass in diesem Moment die Stimme von Tante S. durchs Treppenhaus schrillte: „Cinndiiieee!“

„Ich komme!“

Es ging mal wieder um den sechsjährigen Charlie. Er hüpfte und sprang gerade die Treppen hinunter und war schnell wie ein Wiesel durch die Tür ins Freie gerannt, bevor Cindy ihn packen konnte.

„Geh mit ihm raus, und komm erst wieder, wenn er völlig erschöpft ist!“, ordnete Tante S. an, für die Kinder völlig lautlos und unsichtbar zu sein hatten.

Cindy hatte beinahe Mitleid mit Charlie. Sie war kaum älter als er gewesen, als sie ihre Tante kennengelernt hatte. Alt genug, um zu erkennen, dass in dem schwarzen Seidenkleid ein Drachen steckte, aber nicht alt genug, um damit umgehen zu können. Und seitdem hatte sich nicht viel geändert.

Sie spielte Ball mit Charlie, bis der mal wieder im Rosengarten landete. Danach wechselte sie lieber zum Spiel „Welche Farbe hat das Auto, das als Nächstes vorbeifährt“. Aber da es zu dieser Tageszeit wenig Verkehr gab, fand Charlie das Spiel bald langweilig.

„Hey, ein Eichhörnchen! Ich fange es, tu es in eine Schachtel und nehme es mit nach Hause!“, rief er.

„Charlie, lass das lieber, Eichhörnchen haben scharfe Zähne und können … Charlie!“

Der Wagen kam so schnell um die Kurve, dass keine Zeit mehr blieb zum Nachdenken. Cindy flog praktisch hinter ihm her, packte den Jungen und rollte sich mit ihm in die Hecke auf der anderen Seite der Straße.

„Sie hirnloser Idiot!“, schrie sie dem Fahrer des Luxuswagens zu, der nun mit quietschenden Reifen zum Stehen kam.

Cindy lag noch fast atemlos über dem Körper des Kindes, als die Autotür geöffnet wurde und zwei lange Beine in Kakihosen zum Vorschein kamen.

„Hey, du tust mir weh!“, brüllte Charlie. Jetzt wusste sie wenigstens, dass er noch am Leben war. Schnell untersuchte Cindy seine Arme und Beine, bevor sie ihn aufstehen ließ. „Du wartest hier, rühr dich ja nicht vom Fleck!“ Ihr Ton war so streng, dass Charlie schluckte und gehorsam nickte.

„Du hast das Eichhörnchen verscheucht“, klagte er dennoch. Er war blass und den Tränen nahe, wollte aber nicht zeigen, wie sehr er sich erschrocken hatte.

Cindy, noch auf allen Vieren, war hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, den Jungen in die Arme zu nehmen oder ihn ordentlich auszuschimpfen. „Ein Glück!“, schimpfte sie, „das Eichhörnchen hätte dir vermutlich den Finger abgebissen.“

Mühsam kam sie auf die Beine und rang nach Luft. Sie empfand einen brennenden Schmerz. Trotz der Jeans, die sie trug, hatte sie offenbar Schürfwunden an Knien und Händen.

Autor

Dixie Browning

Dixie Browning, Tochter eines bekannten Baseballspielers und Enkelin eines Kapitäns zur See, ist eine gefeierte Malerin, eine mit Auszeichnungen bedachte Schriftstellerin und Mitbesitzerin einer Kunstgalerie in North Carolina. Bis jetzt hat die vielbeschäftigte Autorin 80 Romances geschrieben – und dabei wird es nicht bleiben - sowie einige historische Liebesromane zusammen...

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