Schön wie eine Waldfee

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Seit der bekannte Künstler Simon Greywood die schöne Unbekannte in einem romantischen Waldsee gesehen hat, träumt er nur noch von ihr. Durch einen Zufall kommt ihm die Fremde bald sehr nahe - eine traumhafte Romanze mit ungewissem Ausgang beginnt.


  • Erscheinungstag 06.05.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733777500
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Simon Greywood lächelte vor sich hin und hörte auf zu paddeln. Ruhig glitt sein Kanu über das spiegelglatte Wasser, über dem kalte Nebel vom See aufstiegen und sanft wogendes Schilf mit den das Ufer umgebenden Findlingen zu einem gespenstischen Bild verwoben. Vom Wald erklangen Vogelstimmen, doch auch ihr Gesang vermochte die tiefe Stille des Sees nicht zu stören.

Die Stille der Wildnis, dachte er. Ein vollkommener Gegensatz zu der Stadt, der er erst vor zwei Wochen den Rücken gekehrt hatte. Es spielte keine Rolle, um welche Tages- oder Nachtzeit es sich handelte, in London hörte man immer Verkehrslärm, und überall wimmelte es nur so von Passanten. Doch hier, auf diesem Waldsee im Herzen von Nova Scotia, war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Simon fand es wunderschön hier.

Simon nahm das Paddel wieder auf und glitt mit seinem Kanu durch eine Enge, die zu einem angrenzenden See führte. Sorgfältig umschiffte er einige nur eben unter der Wasseroberfläche liegende Felsen. Die Dürre dieses Sommers hatte den Pegel sinken lassen. Das wusste er von Cliff.

Es war das erste Mal, dass er bis zu diesem zweiten See gepaddelt war. Wie hatte Cliff ihn doch gleich genannt? Maynard’s Lake? Simon folgte dem Ufer und übte den indianischen Paddelschlag, den Cliff ihm beigebracht hatte. In den vielen kleinen Buchten wuchsen Farne und rosa blühender Sumpflorbeer. Langsam hob sich der Nebel, die Sonne wärmte Simon mit ihren Strahlen. All die Ängste und Zwänge, die ihn beherrscht hatten, solange er denken konnte, fielen in dieser verzauberten Atmosphäre von ihm ab. Ein Gefühl tiefen Friedens überkam ihn. Das hatte er Cliff zu verdanken, seinem Bruder, von dem er fast ein Vierteljahrhundert getrennt gewesen war …

Ein lautes Planschen ertönte von der nächsten Bucht und schreckte Simon aus seinen Gedanken. Es klang, als stürze sich ein großes Tier ins Wasser. Ob es vielleicht ein Elch war? Oder ein Bär? Gegen seinen Willen verspürte Simon Angst. Er fühlte sich hier zwar wie zu Hause, doch seine Erfahrungen mit der Wildnis waren gleich null. Das durfte er nicht vergessen.

Vorsichtig näherte er sich den Findlingen, die ihn vor Blicken aus der nächsten Bucht schützten. Die Felsspalte war zu schmal für sein Kanu, doch immerhin so breit, dass er beobachten konnte, was dort vor sich ging. Behutsam glitt er auf die Spalte zu, plötzlich war das Planschen nicht mehr zu hören.

Er fragte sich schon, ob er alles nur geträumt hatte, doch dann fiel sein Blick auf die unruhige Wasseroberfläche, auf der die Seerosenblätter auf und ab tanzten. Aber wo war der Verursacher der Wellen?

Simon war sich fast sicher, dass Elche nicht tauchten. Und wie war das mit Bären? Er hatte keine Ahnung und bereitete vorsorglich seinen schnellen Rückzug vor.

Ein Kopf erschien an der Oberfläche und schwamm in die entgegengesetzte Richtung. Langes Haar glitt durchs Wasser, und mit einer geschmeidigen, eleganten Bewegung tauchte die nackte Frau wieder unter. Kleine Luftblasen stiegen empor, und kleine Wellen kräuselten sich auf dem See.

Simon holte tief Luft und fragte sich, ob er träume. Er hatte gedacht, dass Cliffs Hütte das einzige Stück Zivilisation an dieser Seenplatte sei. Jedenfalls hatte sein Bruder nicht erwähnt, dass noch jemand hier wohnte. Wer also war diese Frau?

Als habe sie seine Frage gehört, schoss die Frau wieder durch die Fluten, diesmal wandte sie ihm ihr Profil zu. Sonnenschein glänzte auf ihren nassen Wangen und ließ ihre weißen Zähne aufblitzen, denn sie lächelte verträumt. Ganz kurz erspähte Simon ihre Schultern und die sanft geschwungenen Brüste. Dann tauchte die Frau wieder unter.

Angespannt wartete Simon, dass sie wieder hervorkam. Sie tat es, mit dem Gesicht zu ihm. Doch die aufgehende Sonne blendete sie, und er war sicher, dass sie ihn nicht gesehen hatte.

Zwei Gedanken durchzuckten ihn mit beunruhigender Heftigkeit. Zunächst natürlich der Gedanke, sie bei ihrem Spiel nicht stören zu wollen. Denn das war es, das Spiel einer unschuldigen, fröhlichen jungen Frau. Sie zu erschrecken oder sie nur auf sich aufmerksam zu machen war das Letzte, woran er dachte.

Er kannte weder ihre Augen- noch ihre Haarfarbe, und trotz des geschulten Blicks eines Kunstmalers war er nicht in der Lage, ihre Gesichtszüge zu erkennen, sie war einfach zu weit entfernt. Simon gewann den Eindruck von Bewegung und Gefühl, von sprühendem Leben.

Als sie sich graziös wieder auf den Rücken drehte, sich wassertretend in die andere Richtung bewegte und die rosafarbenen Brustspitzen durch die Gischt lugten, gestand sich Simon den anderen Gedanken ein: Er begehrte sie. Hier und jetzt, ohne Wenn und Aber. Mit so heißer Leidenschaft hatte er seit langem keine Frau mehr gewollt. Wenn er seinen Instinkten folgen würde, müsste er sein Kanu um die Felsen steuern, die Frau in die Arme reißen und sie mit einer Heißblütigkeit lieben, die er verloren geglaubt hatte.

Die Frau drehte sich auf den Bauch, nun konnte Simon ihren wohlgeformten Rücken sehen. Ihre Stimmung hatte sich gewandelt, das Spiel war vorbei, jetzt wurde gearbeitet. Fast eine Viertelstunde lang kraulte sie mit kräftigen Bewegungen parallel zum Ufer auf und ab. Dann tauchte sie noch einmal und näherte sich dann dem Ufer.

Simon hatte sich während der ganzen Zeit völlig ruhig verhalten. Nun manövrierte er das Boot so, dass er die Frau nicht aus seinen Blicken verlor. Er kam sich fast wie ein Spanner vor, besonders weil sie in dieser einsamen Gegend sicher nicht damit rechnete, beobachtet zu werden.

Jetzt richtete sie sich auf und stand bis zur Taille im Wasser, die Wellen umspielten ihre Hüften. Das Haar reichte ihr fast bis zur Taille. Mit einer energischen Bewegung warf sie es zurück und watete dann zu dem schmalen Sandstrand am anderen Ende der Bucht.

Die Frau bückte sich jetzt, um nach einem roten, am Strand liegenden Handtuch zu greifen. Sie ging jedoch nicht gleich in Richtung Wald, sondern wandte sich zunächst noch einmal dem See zu. Sie warf den Kopf zurück und lachte fröhlich und ausgelassen, die ganze Freude über die erfrischende Badestunde am frühen Morgen schwang in diesem Lachen mit.

Sie hatte sich das Handtuch inzwischen um den Körper gewickelt und schritt beschwingt auf eine alte, hoch über den Strand ragende Kiefer zu. Erst jetzt nahm Simon die verwitterte Hütte mit der großen Veranda und dem Steinschornstein wahr. Sie lag sehr geschützt, umgeben von mächtigen Bäumen. Er sah das Handtuch noch einmal aufblitzen, dann hörte er eine Tür zuschlagen.

Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Seine Gefühle waren völlig durcheinander geraten. Er wusste nur, dass er von hier verschwinden und zu Cliffs Hütte zurückkehren musste, wo die Welt noch in Ordnung war. Als er nach dem Paddel griff und einen Blick ins Wasser warf, um zu prüfen, ob er auch keinen Felsen ausweichen müsste, sah er sein Spiegelbild. Es war unverändert, was ihm merkwürdig vorkam, nach allem, was er in den vergangenen Minuten gefühlsmäßig durchgemacht hatte.

Sein dichtes schwarzes, immer etwas wirr aussehendes Haar bildete einen aufregenden Gegensatz zu den leuchtend blauen Augen. Seine Willensstärke spiegelte sich in seinem energischen Kinn und der kühn geschwungenen Nase wider. Er hatte einen Charakterkopf, gut aussehend im herkömmlichen Sinn war er allerdings nicht. Simon wusste, dass er auf Frauen anziehend wirkte, hatte jedoch nie richtig verstanden, wieso. Das geübte Künstlerauge ließ ihn bei der Selbstbetrachtung im Stich, sonst hätte er den sinnlichen Mund, die ausdrucksvollen Augen, die dichten schwarzen Wimpern und das gut geschnittene Gesicht wahrgenommen.

Er verstand vielleicht nicht, warum die Frauen ihn umschwärmten, doch er wusste, dass er jede haben konnte, wenn er wollte. Sie waren nur zu willig, mit ihm ins Bett zu gehen. Es bereitete ihm keinerlei Mühe, sie zu verführen. Und genau das hatte dazu geführt, dass er in den vergangenen Jahren nur mit sehr wenigen Frauen geschlafen hatte. Was leicht und schnell zu erobern war, stellte keine Herausforderung dar und war langweilig.

Fast hätte so ein Strudel mich verschlungen, dachte er wütend und schleuste das Boot durch die in den anderen See führende Enge. Er hatte eine nackte Frau im See schwimmen sehen. Na und? Er hatte schon viele nackte Frauen gesehen, gemalt, und mit einigen hatte er sogar geschlafen. Es gab überhaupt keinen Anlass dafür, plötzlich das Gefühl zu haben, der einzige Mann auf der Welt zu sein und sie für die Frau zu halten, die nur für ihn da war. Schließlich war er ein erfahrener, weltgewandter Mann von fünfunddreißig, kein sechzehnjähriger Teenager.

Vielleicht würde er sie niemals wieder sehen. Und wenn doch, würde er sie wieder erkennen? Nur wenn sie nackt ist, flüsterte ihm seine innere Stimme zu. Egal. Er, Simon, war nicht nach Kanada gekommen, um sich mit einer Frau einzulassen, sondern um seinen Bruder näher kennen zu lernen und das Stadtleben hinter sich zu lassen, das ihn fast erdrückt hätte. Diese unbekannte Schöne bedeutete ihm nichts.

Trotz des Gegenwinds trieben Simons Gedanken ihn so schnell vorwärts, dass er in Rekordzeit vor Cliffs Hütte anlegte. Wie immer fühlte er sich nach dieser körperlichen Anstrengung besser. Nachdem er das Kanu festgemacht hatte, schlenderte er zur Hütte und stieß die Tür auf.

Er war wild entschlossen, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten und nicht eine einzige Frage nach der Frau zu stellen. Stattdessen murmelte er nur: „Mm, riecht das gut.“

Cliff briet Speck in der gusseisernen Pfanne auf dem Gasherd. Obwohl die Hütte sehr rustikal eingerichtet war, fehlte es nicht an modernem Komfort. Er drehte den Speck um und bemerkte ganz nebenbei: „Du warst ziemlich lange unterwegs. Hast du irgendwas Interessantes gesehen?“

Niemand würde uns für Brüder halten, dachte Simon, als er Cliff betrachtete. Cliff war zehn Jahre jünger, zehn Zentimeter kleiner, hatte hellblondes Haar und immer ein fröhliches Lächeln auf den Lippen. Seine Offenherzigkeit stand in direktem Gegensatz zu Simons Verschlossenheit.

„Ich bin bis zum Maynard’s Lake gekommen. Soll ich mich um den Toast kümmern?“

„Klar, tu das. Wie klappt es denn mit dem Indianerschlag?“

Simon lächelte. „Ganz gut, Bruderherz.“

„Reich mir mal bitte die Eier rüber.“

Simon nahm die frischen Eier aus dem Kühlschrank und gab sie seinem Bruder. Dabei sagte er etwas verlegen: „Du bist ein guter Lehrer, Cliff. Vor zwei Wochen habe ich zum ersten Mal in meinem Leben in einem Kanu gesessen, und nun kann ich schon wie ein Alter paddeln. Du hast dir viel Zeit für mich genommen, dafür danke ich dir.“

„Bitte, bitte. Schließlich kann ich es ja nicht zulassen, dass du nach England zurückkehrst, ohne so etwas typisch Kanadisches wie Paddeln gelernt zu haben. Am besten war eigentlich die Lektion über Rettungsmaßnahmen. Dabei bist du zum ersten Mal menschlich geworden.“

Nach kurzem Zögern meinte Simon: „Du nimmst kein Blatt vor den Mund, was?“

„Nö, warum sollte ich? Reine Zeitverschwendung. Die ersten drei oder vier Tage nach deiner Ankunft dachte ich, dass das ein unendlich langer Sommer wird.“

Simon erinnerte sich nur zu gut an die Lektion über Rettungsmaßnahmen. Er hatte dabei in einem Kanu stehen und Cliffs gekentertes Boot wieder aufrichten müssen. Danach musste er auch noch seinen Bruder aus dem Wasser ziehen, der zudem noch vorgab, von Panik geschüttelt zu sein. Es waren sehr interessante Minuten gewesen. Jedenfalls hatte diese Begebenheit dazu geführt, dass die zwischen den beiden Männern aufgebauten Schranken gefallen waren, da hatte Cliff ganz Recht. „Und wie steht es jetzt? Glaubst du immer noch, dass der Sommer endlos lang wird?“

„Nein. Obwohl ich nur ein Zehntel von dir kenne. Der Rest bleibt wie bei einem Eisberg unter der Oberfläche.“

„Das liegt an meinem Lebensstil“, entgegnete Simon verärgert.

Gekonnt drehte Cliff die Spiegeleier um. „Ist das der Grund, warum du fast sechs Wochen gebraucht hast, um meinen Brief zu beantworten?“

Sorgfältig strich Simon Butter auf die Toastscheiben, um Zeit zu gewinnen. „Als ich hier eintraf, erwähnte ich, dass die Dinge nicht so liefen, wie sie sollten. Was meine Malerei betrifft, so stecke ich in einer Sackgasse, in London fühle ich mich wie ein Gefangener und … ach, ich mag nicht darüber reden.“

Ihm war bewusst, dass er untertrieb. Während der vergangenen sechs Monate war er außer Stande gewesen zu malen. Er hatte Stunden vor der leeren Leinwand zugebracht. Das grelle Weiß lähmte ihn auf einmal. Seit seinem sechzehnten Lebensjahr war die Malerei sein Lebensinhalt gewesen, und plötzlich hatte ihn diese Leere ergriffen. Er hatte sogar Schwierigkeiten, den Pinsel zu halten, wie sollte er da malen?

Simon holte tief Luft. Er wusste, dass er die Geschichte nun erzählen musste. „Als ich im April deinen Brief erhielt, war ich völlig überrascht. Ich hatte vor Jahren einmal versucht, dich aufzuspüren, doch deine Spur verlor sich. Die Unterlagen waren bei einem Feuer zerstört worden. Damit musste ich mich abfinden. Was hätte ich sonst tun können? Und als du dich dann meldetest, war das, als würde ich eine Stimme aus der Vergangenheit hören. Mit der Vergangenheit hatte ich aber eigentlich abgeschlossen, deshalb habe ich nicht gleich geantwortet.“ Dann warf Simon einen Blick auf die Bratpfanne. „Sag mal, wie lange willst du die Eier eigentlich noch brutzeln lassen?“

Cliff goss das Fett ab und richtete dann Speck und Eier auf zwei Tellern an. „Als ich nichts von dir hörte, dachte ich, du wolltest nichts von mir wissen.“

„Davon kann keine Rede sein.“

„Wer kann schon einen verlorenen Bruder gebrauchen, der Tausende von Kilometern entfernt lebt?“

„So etwas habe ich nie gedacht“, sagte Simon heftig. „Bin ich etwa jetzt nicht hier?“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Also gut, ich weiß, dass ich ein ziemlich schwieriger Mensch bin. Das liegt daran, dass ich so viel Zeit allein verbringe. Aber ich bin froh, dass wir uns wieder gefunden haben und uns aneinander gewöhnen können. Du musst mir nur etwas Zeit lassen.“

„Wir haben den ganzen Sommer vor uns. Falls du so lange bleiben willst.“

„Ich würde gern bleiben. Wenn du genug von mir hast, kannst du mich jederzeit an die Luft setzen.“

„In Ordnung“, versprach Cliff. Ein fröhliches Lächeln erhellte sein Gesicht. „Und jetzt lass uns frühstücken.“

Die Eier waren genau richtig, und die Erdbeermarmelade schmeckte köstlich. Simon schenkte Kaffee nach und rekelte sich. „Wenn ich den Sommer hier verbringe, werde ich noch Fett ansetzen.“

Mit amüsiertem Blick musterte Cliff die schlanke Figur seines Bruders. „Bestimmt. Aber wenn die Dürre anhält, gibt es eine sichere Methode abzunehmen. Wenn du willst.“

„Ja? Wie denn?“, fragte Simon faul. „Wettfahrten im Kanu zur Bäckerei und zurück?“

„Brandbekämpfung.“

Simon blieb das Lachen in der Kehle stecken, als er den ernsten Gesichtsausdruck seines Bruders bemerkte. „Wo ist das Feuer?“, fragte er halb belustigt.

„Der Wald ist knochentrocken. Wir hatten im Winter weniger Schnee als sonst und fast keinen Regen im Frühjahr. Eine unachtsam weggeworfene Zigarettenkippe oder ein Blitzschlag würde schon genügen, um das Feuer ausbrechen zu lassen. Ich bin Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, wir werden in der ganzen Provinz eingesetzt. Nächste Woche findet wieder ein Lehrgang zur Brandbekämpfung am Boden statt. Willst du teilnehmen?“

Simon sagte ohne Zögern zu. „Klar.“

„Prima. Dann melde ich dich an.“

„Im Winter bist du also Lehrer und im Sommer Feuerwehrmann?“ Simon konnte es kaum glauben. „Das ist ja eine merkwürdige Kombination.“

„Brandbekämpfung ist manchmal eine richtige Erholung, nach dem Ärger, den manche Schüler so machen. Außerdem liebe ich den Wald, und wenn ich zu seiner Erhaltung beitragen kann, erfüllt mich das mit tiefer Freude.“

Cliffs Hütte stand im Schutz mächtiger Bäume. Hemlocktannen, Buchen und Kiefern umgaben das kleine Gebäude. Bei der Vorstellung, dass all dieses wunderbare Grün in Flammen aufgehen könnte, schauderte Simon. „Ich fühle mich hier unglaublich wohl“, sagte er aus tiefstem Herzen.

„Und ich hatte schon gedacht, du verabscheust diesen Ort.“ Cliffs Stimme klang erleichtert. „Ich fragte mich, ob wir nicht besser in meiner Wohnung in Halifax geblieben wären. Schließlich ist es ja auch eine Stadt, wenn auch nicht vergleichbar mit London.“

„Ich bin hier, weil ich vom Stadtleben genug habe.“

„Aber du hast noch nichts gemalt seit deiner Ankunft.“

Ein Schatten glitt über Simons Gesicht. Verzweifelt bemühte er sich um Haltung. „Stimmt.“

„Ich bin wohl mal wieder auf den Eisberg gestoßen“, meinte Cliff fröhlich. „Kommst du mit in die Stadt? Ich muss einige Besorgungen machen.“

Mit Stadt meinte er das kleine Dorf Somerville, in dem etwa siebenhundertfünfzig Einwohner lebten. „Lieber nicht. Ich kümmere mich inzwischen um den Abwasch, und dann werde ich ein wenig lesen.“

„Wenn ich wieder da bin, könnten wir schwimmen gehen. Es wird wieder so ein heißer Tag heute.“ Cliff griff nach dem an der Kühlschranktür klebenden Einkaufszettel.

Würde er je wieder so unbefangen schwimmen gehen können, ohne das Bild einer nackten, fröhlich planschenden Frau vor Augen zu haben? Zu seinem großen Entsetzen hörte Simon sich sagen: „Ich dachte, diese Hütte sei die Einzige hier in der Gegend. Doch in einer der Buchten am Maynard’s Lake steht auch eine.“

„Stimmt. Die gehört Shea.“

„Shay?“ Verblüfft wiederholte Simon den Namen.

„Schreibt sich S.H.E.A., wird aber ‚Shay‘ ausgesprochen. Wir sind gut befreundet. Früher oder später wirst du sie kennen lernen.“

„Was meinst du mit ‚gut befreundet‘?“ Simon versuchte, ein möglichst unbeteiligtes Gesicht zu machen. Daran, dass die Unbekannte mit seinem Bruder liiert sein könnte, hatte er nicht im Traum gedacht.

„Na, wie ich schon sagte. Als ich vierzehn und sie achtzehn war, war ich unsterblich in sie verliebt. Wer war das nicht? Als ich dann mein Examen machte, lernte ich Sally kennen, und Shea geriet in den Hintergrund.“ Seine Stimme klang ein wenig zu gleichgültig, als er hinzufügte: „Sie wird dir gefallen.“

„Willst du mich verkuppeln?“

Cliff lachte. „Da kennst du Shea schlecht. Die lässt sich nicht verkuppeln.“

Simon hatte schnell nachgerechnet. „Dann ist sie jetzt also neunundzwanzig und noch immer solo.“

„So ist es. Genau wie du mit deinen fünfunddreißig Jahren.“

„Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du eine Nervensäge bist, Cliff Hanrahan?“

„Ja, Sally behauptet das dauernd. Ich kann es gar nicht mehr abwarten, dass sie endlich kommt. Es ist eine halbe Ewigkeit her, seit ich sie zuletzt gesehen habe.“

Sally war auch Lehrerin, sie hatten sich beim Studium kennen gelernt und zusammen in der Einsamkeit von Baffin Island unterrichtet. Cliff wurde schließlich nach Halifax versetzt, doch Sally war noch dort geblieben und hatte erst jetzt eine Stelle an einer Schule etwas außerhalb von Halifax gefunden. Zurzeit besuchte sie ihre Eltern in Montreal und ihre Schwestern in New Brunswick. In Nova Scotia würde sie erst in etwa einem Monat eintreffen. Cliff litt offensichtlich unter der langen Trennung. „Willst du sie heiraten?“, fragte Simon unverblümt.

Cliff nickte. „Wenn sie einverstanden ist. Weißt du, es ist komisch, aber die Zeit auf Baffin Island hat uns richtig zusammengeschweißt. Trotzdem meint Sally, dass wir uns nach der langen Trennung erst wieder aneinander gewöhnen sollten.“

„Klingt ganz logisch“, meinte Simon.

„Logik hat wenig mit dem zu tun, was ich für Sally fühle. Hast du auch schon mal so für eine Frau empfunden, Simon?“

Ja, dachte er, heute Morgen, als ich eine Frau namens Shea im See schwimmen sah. „Ich habe nie geheiratet.“ Simon wich der Frage aus. „Eigentlich war ich immer zu beschäftigt damit, ganz nach oben zu kommen. Die Frauen, mit denen ich ausgehe, sind alle sehr attraktiv und intelligent. Eben die Art von Frauen, mit denen sich ein erfolgreicher Mann in der Öffentlichkeit zeigt. Du weißt schon, die, die immer für Zeitschriften fotografiert werden und sich ohne drei Zentimeter dick aufgetragenes Make-up im Gesicht nackt fühlen. Solche Geschöpfe geben sich nur mit Erfolgstypen ab.“

„Wenn du auf solche Frauen stehst, ist Shea bestimmt nichts für dich.“

2. KAPITEL

Auf den ersten Blick schien ein ziemliches Durcheinander zu herrschen. Simon, der mit Jeans, T-Shirt und neuen Stahlkappenstiefeln bekleidet neben Cliffs Geländewagen stand, betrachtete die Szene eingehend. Nach und nach begriff er den Sinn des Ganzen. Das verwitterte Gebäude am anderen Ende der Straße schien als Unterkunft, Küche und Befehlszentrale zu dienen. Zwei mit Schlafsäcken bepackte Männer verschwanden gerade im Haus, aus dem ihm der Duft frischer Hühnersuppe entgegenströmte. Überall standen die verschiedensten Geräte herum: Pumpen, Schaufeln, Kettensägen sowie große gelbe, aufgerollte Schläuche. Die Schläuche kannte er schon vom Lehrgang. Wie sorglos hatte er der Teilnahme doch zugestimmt! Wenn die Schläuche mit Wasser gefüllt waren, bekamen sie ein unglaubliches Gewicht.

Hinter dem Gebäude hörte er das Geräusch eines landenden Hubschraubers. Simon hatte inzwischen gelernt, dass die Helikopter zur Brandbekämpfung aus der Luft eingesetzt wurden und Feuerwehrleute zu abgelegenen Einsatzorten brachten. Das neben Cliffs Geländewagen stehende Fahrzeug verfügte über einen glänzenden Aluminiumwassertank, der Wagen der Freiwilligen Feuerwehr hatte ebenfalls einen eingebauten Tankbehälter. Zwei Bulldozer standen auch noch bereit.

Fast unwillig ließ Simon den Blick gen Westen wandern. Dort am Horizont war der Grund seines Einsatzes zu sehen.

Dicke gelbe Rauchwolken standen über der Hügelkette. Simon hatte erwartet, dass der Rauch ruhig und gleichmäßig aufsteigen würde, doch er bewegte sich unruhig und schwoll dem Himmel entgegen. Flammen waren aus dieser Entfernung nicht zu sehen, doch der aufwallende Rauch genügte schon, um Simons Herz unruhig schlagen zu lassen.

Cliff kam zum Wagen zurückgelaufen. „Ich habe uns beim Einsatzleiter angemeldet“, rief er schon von weitem. „Vier Leute sollen sich um die andere, weiter entfernt liegende Seite des Feuers kümmern. Kannst du mal eben zum Hubschrauber laufen und den Piloten fragen, wann wir losfliegen können? In der Zwischenzeit reserviere ich Betten für uns.“

Simon war froh, sich nützlich machen zu können, und ging die unbefestigte Straße hinunter. Mehr denn je schien London in eine andere Welt gerückt zu sein. Plötzlich war er sehr froh, hier zu sein. Was er in den nächsten vierundzwanzig Stunden zu tun hatte, wäre wenigstens sinnvoll.

Jedenfalls sinnvoller, als mit Farbe auf einer Leinwand herumzuklecksen.

Er erreichte die Rückseite des Gebäudes. Die Rotoren des Hubschraubers standen still. In dem winzigen Ding sollten vier Leute und der Pilot Platz haben?

Simon ging zur Kanzel hinüber. Auf halber Höhe stand jemand und nahm etwas vom Pilotensitz. Zu seiner grenzenlosen Überraschung bemerkte er, dass die Person in dem besudelten beigefarbenen Overall mit Sicherheit kein Mann war. Eine so kurvenreiche Figur mit solch schmaler Taille konnte nur einer Frau gehören. Sofort drängten sich Simon die Plakate auf, die im Flughafen London-Heathrow vor Sabotageanschlägen warnten. In scharfem Ton befahl er: „Kommen Sie sofort heraus. Was tun Sie da?“

Die Frau erstarrte. Dann drehte sie sich um und sah ihn an. Ihre Augen hatten die kaltgraue Farbe des Novemberhimmels. „Wie bitte?“, fragte sie drohend.

„Sie haben gehört, was ich sagte. Sie sind hier eingedrungen.“

Mit einer einzigen eleganten Bewegung, die ihm irgendwie bekannt vorkam, sprang sie zu ihm herunter. „Mir ist nicht nach Scherzen zu Mute. Also, was wollen Sie?“

„Ich wollte dem Piloten ausrichten, dass er vier Leute zur Südflanke des Feuers bringen soll und …“

„Okay“, entgegnete sie ungeduldig. „Das haben Sie hiermit getan. Wir können …“

Sie sind der Pilot!“ Simon konnte es nicht fassen.

„Ich bin der Pilot.“ Sie wiederholte seine Worte mit unbewegtem Gesicht. „Und nach chauvinistischen Bemerkungen steht mir auch nicht der Sinn.“

Die hatte er auch gar nicht machen wollen. Allerdings davon auszugehen, dass der Pilot ein Mann sein müsste, war ja schon chauvinistisch genug.

Schweigend betrachtete Simon sie einen Augenblick lang. Sie wirkte müde und schmutzig, und ihr schien heiß zu sein. Ihr hellblondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, einige Strähnen hatten sich gelöst und fielen ihr ins Gesicht. Sie hatte dunkle Schatten unter den Augen, ihre Nase hatte einen interessanten kleinen Höcker, und ihr Mund war breit und voll. Wie gern hätte er sie lächeln sehen!

Ohne viel Federlesens entschuldigte er sich bei ihr. „Es tut mir Leid. Ich hätte nicht annehmen sollen, dass Sie ein Mann sein müssten.“

Sie nickte ihm kurz zu. „Schon in Ordnung. Wir sind in etwa einer halben Stunde abflugbereit. Ich muss erst noch auftanken.“

Sie wandte sich ab und ging in die Knie, um die Ladeluke zu öffnen. Damit war er also entlassen. Doch Simon, dem ihre Bewegungen, ihre schlanke Figur und ihre Nackenlinie seltsam bekannt vorkamen, fragte ungewöhnlich linkisch: „Ich weiß Ihren Namen nicht.“

Autor

Sandra Field
Sandra Field hätte sich nicht träumen lassen, dass sie mal eine erfolgreiche Romance-Autorin sein würde, als sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin für Nahrungsmittelforschung tätig war. Es begann damit, dass Sandra Fields Mann als Pfarrer zur Army ging und die beiden deshalb insgesamt drei Mal innerhalb von 18 Monaten umzogen. Endlich wurden...
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