Schottische Ballade

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"Du kannst dich nicht gegen das Unabwendbare wehren", flüstert Lion, Lord Sutherland, Rowena ins Ohr. Sein warmer Atem streicht über ihre Haut; seine zärtlichen Worte beschwören alte Gefühle herauf. Er war ihre große Liebe … bis er aus Schottland verschwand. Ihn nun wiederzusehen ist schrecklich. Verwirrend. Und unglaublich erregend …


  • Erscheinungstag 13.10.2017
  • Bandnummer 0002
  • ISBN / Artikelnummer 9783733753016
  • Seitenanzahl 224
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Highlands, Juli 1384

Er war nicht gekommen.

Rowena MacBean schloss die Augen und ließ den Kopf hängen. Ungewollt strich sie über ihren Bauch. Noch war er flach, doch wenn Old Meg recht behielt mit dem, was sie Rowena diesen Morgen gesagt hatte – und die Hebamme wusste, wovon sie sprach –, dann sollte es nicht lange so bleiben.

Rowena trug Lion Sutherlands Kind unter dem Herzen.

Die Freude, die sie bei dieser Nachricht empfunden hatte, hatte sich in Furcht und Schrecken gewandelt, als die Zeit verstrich und Lion nicht kam. Ein Schauder ergriff sie, als sie an zu Hause dachte.

„Du Närrin!“, würde ihre Mutter schelten. „Was hast du dir gedacht, dich mit seinesgleichen einzulassen? Wenn der Erbe des allmächtigen Sutherland-Clans freit, dann eine Frau, die so reich und nobel ist wie er selbst, und gewiss nicht eine niedrige MacBean-Dirne. Und warum sollte er auch, wenn du ihm alles freiwillig gibst?“

Rowena würde gewiss Schläge bekommen und den Schmerz in den Augen ihres älteren Bruders ertragen müssen, und den Hohn und Spott der Burschen, die sie ausgeschlagen hatte.

„Lion ist nicht wie die anderen, Mutter“, flüsterte sie und lehnte sich gegen den Stamm der alten Kiefer. Seit zwei Monaten, seit sie sich beim Sippentag im Mai kennengelernt hatten, hatten sie sich heimlich hier in den Wäldern zwischen dem Tarbert Keep und der großen Burg der Sutherlands in Kinduin getroffen.

Er würde kommen. Lion war immer gekommen. Auch wenn er von nobler Geburt war und in Reichtum lebte, stellte er die Ehre über alles. Er hatte gesagt, dass er sie liebe. Er hatte ihr versprochen, sie in drei Jahren zur Frau zu nehmen, wenn er aus Frankreich zurückkehrte, wohin sein Vater ihn zur Erziehung schickte. „Dann bist du achtzehn Jahre“, hatte Lion gesagt und sie fest in die Arme genommen. „Zusammen werden wir mein kleines Reich in Glenshee regieren.“

Der Gedanke an seine Liebe wärmte sie, gab ihrer niedergeschlagenen Seele einen Schimmer Hoffnung.

Lion liebte sie. Er würde kommen. Er hatte sich bloß verspätet.

Er hat sich noch niemals verspätet. Nicht ein einziges Mal in den letzten beiden Monaten. Meistens war er ihr bis kurz vor Tarbert entgegengekommen, so begierig war er gewesen, sie zu sehen. Er wäre sogar bis an ihre Haustür gekommen, hätte sie es ihm erlaubt, doch da sie den Zorn der Mutter fürchtete, hatte Rowena darauf bestanden, ihn im Geheimen zu treffen.

Die Vorbereitungen für seine Reise nach Frankreich, zu der er in zwei Wochen aufbrechen sollte, mussten ihn aufgehalten haben.

Könnte ihre Enthüllung seine Pläne zunichtemachen?

Sie schwankte in ihrem Glauben an ihn, doch dann rief sie sich Lions Ausdruck ins Gedächtnis, als er sie geküsst hatte, seinen Mund mit dem betörenden Lächeln, seine bernsteinfarbenen Augen, in denen die Liebe leuchtete. Lion, ihr Lion mit der schwarzen Mähne, würde sie nicht fallen lassen. Er würde seine Eltern überreden, einer Heirat zuzustimmen. Er würde sie mit sich nach Frankreich nehmen. Auch wenn der Hof dort prächtiger und reicher wäre als in Kinduin selbst, an Lions Seite wäre sie tapfer genug, vor den fremden Adeligen zu bestehen. Sie wollte sich samtene Kleider nähen, wie sie auch Lady Elspeth, Lions Mutter, trug. Rowena wollte selbst ihr blondes wildes Haar bändigen und unter einer steifen Haube verstecken, wie sie bei den hohen Frauen Mode war. Sie wollte so hart arbeiten, um eine Dame zu werden, deren Lion sich nicht schämen musste.

Ihr Lion. Stark und tapfer, von wildem Temperament, schnell von Zorn erfasst, noch schneller verzeihend. Und so zärtlich und sanft mit ihr. Die Erinnerung daran belebte ihre Sinne. Er liebte sie.

Rowena zog die Chamarre fester um sich und richtete ihren Blick auf den Pfad. Eine Stunde verging. Und noch eine. Sie ließ die Schultern hängen. Vier Stunden wartete sie nun schon. Bald würde die Nacht hereinbrechen. Wenn sie nicht bald losginge, müsste sie bei Dunkelheit nach Hause reiten.

Als die Sonne langsam hinter den majestätischen Bergen versank, band Rowena ihr Pony los und saß auf. Sie fühlte sich schwach und steif wie eine alte Frau, geschunden und geschlagen. Nun, sie sollte bald genug Schläge erhalten, wenn ihre Mutter herausfand, dass sie einen Bastard unter ihrem Herzen trug.

Als sie die Holzpforte von Tarbert erreichte, war es bereits völlig dunkel. Der zahnlose Will reckte sich über die Mauer und blickte auf sie herab.

„Du kommst aber spät, Mädchen.“

„Ja.“ Ihre Füße schienen zu Eisklumpen erstarrt, als sie im Hof vom Pferd stieg. In der Dunkelheit schien Tarbert Tower finster und abweisend. Durch die schmalen Pfeilschlitze der Großen Halle schimmerte Licht. Die Leute waren beim abendlichen Mahl versammelt. Rowenas Magen knurrte, doch sie konnte ihnen jetzt nicht unter die Augen treten. Schnell schlüpfte sie durch die Küche und über die Hintertreppe in ihre kleine Kammer.

Zitternd entkleidete sie sich im Dunkeln und kroch unter die klamme Decke. Nun erst ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Sie weinte, wie sie es schon Jahre nicht mehr getan hatte. Erschöpft schlief sie ein, um beim ersten Morgengrauen wieder zu erwachen.

Was sollte sie bloß tun? Sie entwarf und verwarf ein gutes Dutzend Pläne. Nur eines machte Sinn. Sie musste nach Kinduin reiten und mit Lion sprechen. Erst dann konnte sie eine Entscheidung treffen.

Obgleich es bereits Sommer war, war es eisig kalt in der kleinen Kammer, als sie sich wusch und ihr bestes Festtagsgewand anlegte. Sie bürstete ihre langen Flechten und zwang sie in geordnete Zöpfe. Ihre Hände zitterten, als sie die Zöpfe um den Kopf feststeckte, wie sie es bei den feinen Damen gesehen hatte. Sie besaß nur ein einziges Schmuckstück, eine Nadel in Form eines Schwanes, die sie von ihrem Vater in ihrem dreizehnten Lebensjahr erhalten hatte. Sie befestigte damit ihre Chamarre und schlich sich aus der Kammer.

Niemand außer ihr war bereits auf den Beinen, als sie ihr Pony sattelte. Der Wache am Tor erzählte sie, dass sie einen Botengang im Dorf zu erledigen habe. Die fünf Meilen bis nach Kinduin vergingen zu schnell und doch zu langsam, denn alles in ihr war verkrampft, ihre Sinne waren bis aufs Äußerste gespannt. Angst hatte sie übermannt, als sie die Tore von Kinduin erreicht hatte. Ihre Stimme klang zittrig, als sie der Wache im Torhaus ihren Namen nannte. Nach schier endlos langem Warten öffnete sich die schmale Pforte in der Zugbrücke, und ein Soldat im dunklen Tartan der Sutherlands trat auf sie zu.

„Was willst du?“, fragte er schroff.

„I…ich wollte L…Lion Sutherland sehen.“

„Bist du allein?“ Er blickte sich um, als erwartete er, dass hinter ihr Männer aus den Felsen hervorbrachen.

„Ja. K…kann ich mit ihm sprechen?“

„Er ist nicht da.“

„Nicht hier? Wo …?“

„Frankreich“, entgegnete der Soldat kurz. „Er ist nach Frankreich abgereist.“

„Aber … er sollte doch erst in zwei Wochen fort.“

„Pläne ändern sich.“

Nein. Er konnte nicht gegangen sein … nicht, ohne ihr ein Wort zu sagen. Wie betäubt schwankte Rowena im Sattel. „Warum?“, flüsterte sie.

Der Mann blickte misstrauisch. „Wer bist du?“

„R…Rowena MacBean. Ich …“

„MacBean!“ Er kniff die Augen zusammen. Er trat näher und blickte ihr finster ins Gesicht. „Was will denn eine niedrige MacBean-Dirne von unserem Sir Lion? Glaubst du, du kannst ihn in dein Bett locken und dir so einen reichen Ehemann angeln? Verschwinde, bevor ich dich mit meinem Schwert davonjage.“

Rowena wandte ihr Pferd und trieb es den steilen Pfad hinunter, mehr um dem entsetzlichen Schmerz zu entgehen als aus Angst vor den Drohungen. Am Fuße des Hügels gab sie ihrem Pony die Zügel, doch auch der Wind vertrieb nicht den Zorn in ihrem Herzen. Er war gegangen. Er hatte sie ohne ein Wort verlassen. Als sie Tarbert erreichte, hatte sich ihr Schmerz in Wut gewandelt.

Sie war niemals leichtgläubig und vertrauensselig gewesen. Doch mit Verstand, Zärtlichkeit und Verführungskunst hatte Lion sie dazu gebracht, ihm zu vertrauen. Wie musste er triumphiert haben, als sie ihm ihre Unschuld darbot. So böse sie ihm auch war, noch zorniger war sie mit sich selbst. Sie hätte es besser wissen sollen.

„Niedrige MacBean-Dirne“ hatte die Wache sie genannt, und Tarbert bot gewiss nicht viel – einige heruntergekommene Gebäude, ein paar Stück mageres Vieh. Seit Generationen hatten die MacBeans ihr Auskommen gefunden, indem sie anderer Leute Pferde zuritten. Es brachte Essen auf ihren Tisch, Kleidung auf den Leib, doch nicht mehr. Der Burgfried indes war sauber, ihre Leute waren ehrlich. Und das ist mehr, als man vom Erben der Sutherlands sagen kann, dachte sie.

Die MacBeans waren beim Mittagsmahl versammelt, als sie in den Hof ritt. Niemand kam, um ihr das Pony abzunehmen, so führte sie es selbst in den Stall. Sie löste den Sattelgurt, dann hob sie den schweren Sattel vom Pferd.

„Lass mich das machen“, befahl eine raue Stimme.

Rowena erschrak und wandte sich um. „Oh, Ihr seid es, Laird Padruig.“ Sie beugte ihr Haupt zum Gruße, denn er war ein Auftraggeber ihres Bruders John, der seine Ponys zugeritten hatte.

„Wo warst du?“, fragte er. Selbst beim schwachen Licht waren die Falten in seinem wettergegerbten Gesicht und seine rauen Züge zu sehen. Seine Augen blickten kalt, sein Mund lächelte niemals.

„R…reiten.“ Sie verspürte keine Lust auf seine Gesellschaft. „Ich muss hinein.“

„Einen Augenblick.“ Er hob den Sattel vom Rücken des Ponys und legte ihn ins Stroh. „Der Stallbursche kann sich darum kümmern, wenn er sein Mahl beendet hat.“ Er nahm ihren Arm und führte Rowena hinweg. Doch als sie sich zum Turm wenden wollte, zog er sie am festen Steingebäude vorbei in den Küchengarten.

„Laird Padruig?“ Sie empfand keine Furcht, denn er war ein willkommener Gast ihres Vaters und ihres Bruders.

„Ich habe auf dich gewartet.“

„Warum?“ Rowena hielt inne, Furcht ergriff sie. „Ist etwas mit Mutter? Oder mit John?“

„Deiner Mutter und John geht es gut.“ Er blieb im Schatten einer alten Eberesche neben der Hintertür stehen, doch hielt er sie weiterhin fest, als ob er Angst hätte, sie könnte davonlaufen.

„Was ist dann?“

„Du hast es noch nicht bemerkt, doch ich habe Gefallen an dir gefunden.“

„I…ich wusste es nicht.“ Sie war viel zu sehr mit ihren Gefühlen für Lion beschäftigt gewesen und hatte die meiste Zeit mit ihm verbracht. „Warum?“

„Ich brauche eine Frau“, sagte er geradeheraus.

Rowena blinzelte. Padruig hatte sich so oft wie kein anderer in den Highlands verlobt, hatte nicht weniger als fünfzehn Frauen in den letzten Jahren gehabt. Doch keine dieser Verbindungen hatte länger als das vorgeschriebene Jahr und einen Tag gedauert, denn keine Frau hatte Padruig gegeben, was er so dringend brauchte – einen Erben, der die Gunns nach seinem Tode anführen sollte. Sie erinnerte sich, von John gehört zu haben, dass Padruig seinem Halbbruder Eneas misstraue, der wohl der nächste Clanführer werden sollte, sollte Padruig keinen Sohn bekommen.

„Warum sagt Ihr mir das?“, fragte sie schwach.

„Weil ich eine Frau brauche und du einen Ehemann.“ Er blickte auf ihren Bauch, und sie hatte das Gefühl, er könnte durch ihr Gewand hindurchsehen.

Unruhig trat Rowena von einem Fuß auf den anderen. „Ich weiß nicht, was …“

„Doch, das tust du. Du bist ein gescheites, vernünftiges Mädchen … Du willst gewiss nicht deiner Familie erzählen, dass du einen Balg erwartest und kein Ehemann in Sicht ist.“

„Woher wisst Ihr?“, fragte sie.

„Ich sah in all den Jahren genügend Weiber in diesem Zustand. Ich sah sie und beneidete sie. Du hast das Leuchten eines Mädchens, das guter Hoffnung ist.“ Er verzog die Mundwinkel zu einem schwachen Lächeln. „Und ich hatte das Glück, deine Unterhaltung mit Old Meg zu belauschen.“

„Oh!“ Rowena wünschte sich nichts sehnlicher, als sich hinsetzen zu können.

„Hier.“ Padruig ergriff ihren Arm und führte sie zu einer Holzbank. „Ich will nicht das Leben meines Kindes in Gefahr bringen.“

„Ihr … Ihr wollt das Kind eines anderen als Eures anerkennen?“

„Ja, das will ich, und wenn du nur die Hälfte von dem gehört hast, was sich die Leute erzählen, weißt du, warum.“

„Doch das Kind hat nicht das Blut der Gunns in seinen Adern.“

„Es kommt aus gutem Stamm. Du bist ein hübsches Mädchen, freundlich und klug – außer in der Liebe. Doch welches Mädchen ist das schon. Und der Vater …“ Padruig Gunn knirschte mit den Zähnen. „Besser, sein Name wird niemals zwischen uns erwähnt, falls man uns belauscht, doch ich habe Gutes von ihm gehört. Tapfer in der Schlacht, seinem Clan treu ergeben und ehrenhaft … Ich sterbe leichter, wenn ich weiß, dass ein Knabe mit diesen Anlagen all das erbt und beschützt, was ich so hart erarbeitet habe.“ Sein Blick war fest und starr wie die Berge, die sich hinter den Mauern von Tarbert erhoben. „Ich würde alles tun, um Eneas daran zu hindern, nach mir Clanführer zu werden. Er ist skrupellos und so versessen auf Macht, dass er unseren Clan mit sich in die Tiefe reißen würde.“

Unsicher hatte Rowena den Blick gesenkt.

„Glaubst du vielleicht, er ändert seine Meinung und kommt zu dir zurück?“

„Woher wisst Ihr, dass er fort ist?“

„Ich machte es mir zur Aufgabe, alles über ihn zu erfahren. Sein Vater hat Großes mit ihm vor. Er soll in Frankreich erzogen werden, wie es sich für die Noblen der Highlands geziemt. Sie werden ihn mit einer reichen Erbin vermählen. Da die Engländer genügend französische Adelige töteten, gibt es ausreichend reiche Töchter aus gutem Haus und Witwen, unter denen er wählen kann.“

Rowena seufzte und ließ den Kopf hängen. Seine Worte spiegelten ihre Ängste wider, die sie empfunden hatte, als Lion sich zuerst um sie bemühte. Hätte sie doch nur auf ihre innere Stimme gehört und die Liebe, die zwischen ihnen aufkeimte, missachtet. „Und wenn es ein Mädchen wird?“

„Dann wird es ein Mädchen. Ich werde sie erziehen und mit einem Mann meiner Wahl vermählen. Es ist also abgemacht?“

Nein, schrie ihr Herz. Doch zum ersten Mal seit zwei Monaten hörte sie auf ihre Vernunft. „Ja.“

1. KAPITEL

Highlands, Mai 1390

Die Nacht war wild und stürmisch. Dicke Wolken verdeckten den Mond und verdunkelten die Schatten in dem schmalen, bewaldeten Tal, in dem Lion Sutherland lauerte. Aus Westen blies ein scharfer Wind, schüttelte die Kiefern und rauschte in den Blättern der Eichen.

Wie sehr hatte er all dies vermisst, das raue Land, das feuchte Wetter und den lieblichen Duft der Heimat. Als er das Gesicht dem Wind entgegenhielt, riss der Sturm an seinem schulterlangen Haar wie eine ungestüme Geliebte.

Ja, es war eine perfekte Nacht für einen Highlander, wie geschaffen, durch die Büsche zu schleichen für einen Überfall oder ein geheimes Treffen. Und all dies hatte Lion vor. Er musste lächeln, als er an seine Lage dachte. Das Leuchten seiner bernsteinfarbenen Augen und das Grübchen, das die harten Linien seines Gesichtes aufhellte, hatten schon viele Mädchen in ihren Bann gezogen. Doch nicht die eine, die er am meisten begehrte.

Lions Lächeln schwand. Welch ein Hohn des Schicksals, dass er allen Stürmen getrotzt hatte, um jenem Mann das Leben zu retten, den er am meisten hasste. Wenn er nichts unternahm und Padruig Gunn starb, dann wäre Rowena frei … Nein, mit dieser Schuld wollte er nicht leben.

Sein Pferd Turval schien seine Unruhe zu spüren und scharrte mit den Hufen.

„Ruhig, mein Junge. Es dauert nicht mehr lange.“ Er hatte Blantyre Castle lange zuvor verlassen, und Padruig musste auf seinem Heimweg diesen Weg nehmen. Jeden Augenblick sollte er vorbeikommen, Lion würde seine Aufgabe vollbringen und dann fortreiten.

Sein Pferd erschrak und legte die Ohren an.

„Nähert er sich?“ Lion nahm die Zügel fest in die Hand, um den Hengst zu beruhigen, beugte sich vor und spähte durch die Zweige der Kiefer. Ein einzelner Mann führte sein Pferd an den felsigen Ufern des rauschenden Wildbaches entlang.

„Himmel, er muss von Sinnen sein, ohne Deckung zu reiten, als gäbe es weit und breit keine Gefahren“, murmelte Lion. Er sollte ihn sich selbst überlassen, doch sein Gerechtigkeitssinn ließ dies nicht zu.

Als Padruig an seinem Versteck vorbeikam, brach Lion mit seinem Pferd hervor.

„Was um …?“ Die tödliche Klinge glänzte im schwachen Licht, als Padruig sein Schwert zog. „Wer bist du?“

„Ein Freund.“ Lion hielt seine bloßen Hände hoch.

„Freunde lauern einem Mann nicht in der Dunkelheit auf.“ Padruig war ein großer, hagerer Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, mit dünnem Haar und dem narbigen Gesicht eines Kriegers. Wie hatte Rowena ihn nur zum Mann nehmen können? Es schmerzte Lion, wenn er daran dachte, dass Rowena diesen Mann geküsst, das Lager mit ihm geteilt und sein Kind geboren hatte.

„Ihr habt Blantyre in rechter Eile verlassen. Und da meine Mission geheim ist, schien es angebracht, Euch hier zu treffen.“

„Tretet hervor, damit ich Euch besser sehe.“

Lion führte sein Pferd aus dem Schatten der dichten Äste.

Padruig blickte erstaunt, als er Lions Gesicht erkannte. „Lion Sutherland.“ Ein scharfer Unterton begleitete diesen Ausruf.

„Ja.“ Sie waren sich nicht begegnet in den wenigen Stunden, die Padruig in Blantyre verbracht hatte, wohin Lions Oberherr, Alexander Stewart, Earl of Buchan, ihn gerufen hatte. „Woher kennt Ihr mich?“

Padruig zuckte mit den Schultern. „Ich hatte Grund, Euren Namen zu erfahren.“

Hatte Rowena von ihm gesprochen? Hatte sie ihrem Gatten verraten, dass sie seinetwegen nicht als Jungfrau in die Ehe trat? Es bereitete Lion große Befriedigung, dass er der Erste war, der die süße Frucht genossen hatte. Das war zwar nicht viel, doch alles, was ihm geblieben war, um den Schmerz über den Verlust erträglicher zu machen. „Ich verstehe“, sagte Lion scharf und fragte sich, ob er vielleicht einem eifersüchtigen Ehemann gegenüberstand. Das wäre für ihn das erste Mal, denn er war kein Leichtfuß.

„Das bezweifle ich. Doch dann …“ Padruigs dünne Lippen verzogen sich zu einem grimassenhaften Lächeln. „Seid Ihr hier, um mich dafür zu töten?“

Lion runzelte die Stirn. Obgleich Padruig wie ein offener, gradliniger Mann wirkte, schwangen Untertöne in seinen Worten mit. Geheimnisse, für deren Entdeckung Lion jetzt keine Zeit verschwenden konnte. „Ihr habt die Forderung des Earls abgewiesen, ihm bei der Unterwerfung der Gesetzlosen, welche die Highlands unsicher machen, mit Euren Männern zur Seite zu stehen.“

„Gesetzlose unterwerfen?“ Padruig fluchte und spie auf den Boden. „Das ist doch nur eine Ausrede, um unsere Unabhängigkeit zu beschneiden und unser Eigentum zu rauben. Alexander Stewart will jene Clans ausrotten, die sich ihm widersetzen und ihr Land übernehmen. Eines Tages macht er sich noch zum König der Highlands, merkt Euch meine Worte.“

Lion war erstaunt, wie gut Padruig die Lage verstanden hatte. Viele Clanführer, die Alexander folgten, waren durch seine schönen Worte getäuscht worden oder dachten, Macht für sich selber zu gewinnen. Diejenigen, die sich ihm nicht angeschlossen hatten, waren entweder Gesetzlose, die in der Tat gezügelt werden mussten, oder einige wenige Clans, die die dunklen Absichten des Earls durchschaut hatten und ihn aufhalten wollten.

Dies war eine gefährliche, wenn nicht sogar unmögliche Aufgabe. Sie hatte Lion dazu gebracht, als Spion an Alexanders Hof zu leben. „Wenn Alexander so ehrgeizig und gewissenlos ist, wie Ihr sagt …“, und Lion wusste, dass dem so war, „dann wart Ihr ein Narr, Euch ihm so offen zu widersetzen.“

„Pah! Er wird die paar Männer nicht vermissen, die ich für sein Heer gebracht hätte. Wir Gunns sind ein kleiner, abseits lebender Clan.“

„Er ist kein Mann, der ein Nein so einfach hinnimmt.“

Padruig stieß einen Fluch aus.

Lion seufzte. Er konnte sich seine fröhliche, junge Rowena nicht mit diesem kalten, mürrischen Mann vorstellen. Selbst der Versuch schmerzte. „Es wäre besser gewesen, Ihr hättet vorgegeben, ihm zu folgen.“

„Lügen?“

„Wem tut eine Lüge weh, wenn sie Leben rettet und uns Zeit bringt?“

„Zeit wofür?“

„Einen Ausweg aus dieser verdammten Lage zu finden“, antwortete Lion.

„Indem ich zustimme, einem Gauner und Mörder zur Seite zu stehen? Ich hörte seine Männer, wie sie ihn hinter seinem Rücken Wolf nannten. Und das trifft es genau, wenn man sieht, mit welchem Genuss er plündert und mordet.“

Lion bewunderte seine Gesinnung, doch nicht seinen Eigensinn. „Macht Ihr Euch keine Sorgen um Euren Clan? Um Euer … Euer Weib?“ Das Wort blieb ihm fast in der Kehle stecken.

„Ah, mein Weib.“ Padruig musterte Lion von oben bis unten. „Ich denke an sie – und an das Land, das mein Sohn einst erben wird. Und deshalb beschmutze ich mich nicht, indem ich mich mit diesem Bastard einlasse. Doch ich danke Euch für Eure Warnung. Wäre die Lage umgekehrt, ich weiß nicht, ob ich das Gleiche täte.“ Er ergriff die Zügel und setzte sein Pferd in Bewegung.

Lion blickte Padruig nachdenklich nach, als dieser seinen Weg aus dem Tal nahm. Als er ihn aus den Augen verlor, ritt Lion zögernd nach links, den schmalen Pfad hinauf, den er gekommen war. Auf dem Hügelkamm hielt er gerade so lange inne, um sicherzugehen, dass er alleine war, bevor er sich auf den Weg zu seinen Männern machte. Ein langer Ritt lag vor ihnen bis zu ihrem Treffpunkt mit Fergie Ross.

Noch ein rauer, dickköpfiger, alter Mann, der sich eher dem Earl widersetzte, als Lions Plänen zuzustimmen.

Lion war kaum eine Viertelmeile geritten, als ein heiserer Schrei die Stille durchbrach. „Verdammte Hölle.“ Er riss sein Pferd herum und preschte am Rande des Tals entlang. Er rechnete nach, wie weit Gunn in der kurzen Zeit seit ihrer Trennung gekommen war. Als er den Ort erreichte, wo der Strom hinunterstürzte, um sich mit dem Wildbach aus dem Tal zu vereinigen, stieg er ab, band seinen Hengst fest und schlich vorsichtig weiter.

Er war schon fast unten angelangt, als ein Trupp vorbeigaloppierte. Zwanzig Mann oder mehr, dem Hufgeräusch der Pferde nach zu schließen. Er konnte sie zwar nicht erkennen, doch sah er flüchtig das Rot und Blau ihrer Tartans. MacPhersons? Ja, das schien Sinn zu machen. Oft schon hatte Alexander Georas MacPherson ausgesandt, um die schmutzige Arbeit tun zu lassen.

Mit gezogener Klinge kroch Lion durch das Unterholz. Er hielt an, als er Padruig erblickte, der in seinem Blute am Ufer lag. Er suchte nach einem Lebenszeichen, doch umsonst.

Verdammt! Verdammt! Er hätte mit Padruig reiten sollen. Ihm wenigstens folgen sollen. Und mit ihm sterben? Ein ernüchternder Gedanke, doch er verdrängte nicht Lions Schuldgefühl. „Himmel, Rowena, es tut mir so leid.“

Hufschläge ließen ihn schnell ein Versteck suchen. Doch nicht Padruigs Mörder kehrten zurück, sondern seine eigenen Männer stürmten herbei.

„Wir hörten einen Schrei“, erklärte Bryce und brachte sein Pferd zum Stehen, als er Lion erblickte. „Bist du verletzt?“

„Nein, doch Padruig Gunn ist tot.“

„Alexanders Leute?“

„Wahrscheinlich. MacPhersons, denke ich.“ Lion kniete neben dem Toten nieder. „Das war kein Raubüberfall, denn sein Geldbeutel ist noch hier.“

„Verdammt, hätten wir doch früher bemerkt, dass sich der Earl so weit herablässt.“

Lion stand auf. „Er muss verzweifelt sein, wenn er einen Mann bloß wegen ein paar Truppen für sein verdammtes Heer töten lässt. Ich hätte Gunn besser überzeugen sollen, dass er in Gefahr war.“

„Was nun? Bringst du den Leichnam zu seinen Leuten?“

Lion überlegte kurz, bevor er den Kopf schüttelte. „Das Treffen mit Fergus ist dringlicher. Gott weiß, welche Dummheiten er macht, wenn ich nicht komme.“ Er warf einen Blick auf Padruig. „Und die Gunns werden fragen, wer diese Tat vollbrachte, vielleicht Rache an Alexander nehmen wollen und auch sterben.“ Er holte tief Atem. „Red Will, nimm drei Mann und bring Gunn in die Nähe seines Hauses. Lass ihn an der Straße liegen …“ Wie Abfall. Lion ekelte es, doch es war die beste Lösung. „Lass es wie einen Raubüberfall aussehen.“ So gab es weniger Fragen.

Padruig Gunns Begräbnis war ein wildes und lautes Fest, wie es die Highlands lange nicht gesehen hatten. Die Gunns, die sich in der Großen Halle von Hillbray Tower versammelt hatten, um ihren Anführer zu betrauern, zechten ausgelassen wie an einem Festtag. Laute Lieder und Lachen wetteiferten mit Tränen der Trauer.

Doch die Gunns tun eben alles bis zur Unmäßigkeit, dachte Rowena, als sie die Horde überblickte und rasch die Kosten für Essen, Trinken und den zerbrochenen Hausrat nachrechnete.

„He, ist das nicht ein großer Abschied, den wir ihm bereiten?“, rief Finlay Gunn über die Tafel. „Vetter Padruig hätte sich darüber gefreut!“

Rowena, seit vier Tagen Witwe und voller Angst, wenn sie daran dachte, was vor ihr lag, saß neben dem alten Kämpen an der Hohen Tafel. „Es würde ihn mehr erfreuen, wenn er noch am Leben wäre. Verdammt sei er!“ Sie ließ alle Beherrschung fahren. „Wohin war er bloß gegangen? Warum war er alleine fortgeritten?“

„Geschäfte des Clans“, sagte Finlay, der als Einziger von Padruig ins Vertrauen gezogen worden war. „Du weißt, wie hoch er seine Pflicht hielt.“

„Pflicht!“ Sie stieß dieses Wort wie einen Fluch hervor. „Männer tragen dieses Banner vor sich her, als ob es ihnen von Gott gegeben wäre, doch dies ist bloß eine Entschuldigung für Abenteuer!“ Die Erinnerung an Lions längst vergangene Sünde schien ihr Herz zu durchbohren. Auch wenn sie Lion Sutherland niemals vergeben konnte, fiel es ihr schwer, ihn zu vergessen. Padruigs Tod, sein böswilliges Verlassen, hatte die Erinnerung wieder zurückgebracht: den Schmerz, die Angst und auch die Wut. Dies alles war wie Salz in einer offenen Wunde. „Die Frauen und Kinder zahlen den Preis dafür, wenn Männer losziehen, um ihrer Pflicht nachzugehen.“

„Ruhig, Mädchen.“ Finlay legte seine raue Hand auf ihren Arm. „Ich weiß, du trauerst um Padruig und hast Angst vor dem, was die Zukunft bringt, doch das musst du nicht.“

Oh doch. Zitternd sank Rowena in den hohen Lehnstuhl zurück, der ein verkleinertes Ebenbild jenes Stuhls zu ihrer Rechten war, der Padruig gehört hatte. Sie warf einen Blick auf denjenigen, der jetzt diesen Platz innehatte – den neuen Führer des Clans, Paddy, ihren fünfjährigen Sohn.

Sein Kopf mit dem roten Haar, das ihn scheinbar als einen Gunn auswies, war über den Tisch gebeugt, wo er mit einem Hafermehlkuchen spielte. Sie betrachtete ihn von der Seite – rundliche Bäckchen, ein energisches Kinn und eine Nase, die viel zu groß war. Eine Nase, die Lucais Sutherland an Lion vererbt hatte und somit weiter an Paddy.

Er war noch so klein, so verletzlich, so liebenswert. Sie würde alles tun, um ihn zu beschützen. Alles.

Ihr Blick schweifte zu dem Mann an Paddys Seite. Eneas hatte den Kopf abgewandt. Oft schon hatte Padruig sie vor den Absichten seines Bruders gewarnt, der die Herrschaft über den Clan anstrebte. Das Einzige, was jetzt noch zwischen Eneas und seinem Ziel stand, war Paddy. Angst überfiel Rowena, mehr Angst, als sie jemals in all den Jahren empfunden hatte. Was, wenn Padruig keinem räuberischen Überfall zum Opfer gefallen war? Wenn Eneas ihn getötet hatte? Wenn er plante, nun auch ihren Sohn aus dem Weg zu räumen?

Ein Tonkrug sauste an ihr vorbei, landete krachend auf dem Boden neben Padruigs Totenbahre und holte ihre Gedanken aus der Vergangenheit in die gefahrvolle Gegenwart zurück. Selbst im Tode blickte Padruig hart und unbeugsam, seine kantigen Züge drückten Missbilligung aus, seine grau-roten Augenbrauen schienen sich über der breiten Nase zu runzeln. Sie hatte ihn nicht geliebt. Sie konnte niemanden mehr lieben, doch Padruig hatte sie beschützt und behütet. Bis jetzt …

„Ich muss für Paddys Sicherheit sorgen“, sagte sie leise.

„Ja, und ich helfe dir“, flüsterte Finlay. Er war drei Jahre älter als Padruig, ein Krieger, der einer Knieverletzung wegen das Kämpfen aufgeben musste. Er war mitleidsvoller als ihr Ehemann. Finlay war der Erste gewesen, der sie willkommen geheißen hatte, als sie als verschüchterte Braut angekommen war. Auch jetzt hatte sie Angst, hätte nichts lieber getan, als mit Paddy wegzulaufen und zu den MacBeans zurückzukehren. Doch sie hatte das Recht dazu aufgegeben, als sie Padruigs Vorschlag angenommen und ihn geehelicht hatte. Durch ihren Eid und zum Wohle von Paddys Zukunft war sie mit den Gunns von Hillbrae verbunden bis zum Tage ihres Todes.

„Ich will mich nicht bei dir ausweinen, Finlay. Ich mache mir bloß Sorgen.“ Ihr Magen zog sich zusammen. Padruig war ein kalter und gefühlloser Ehemann gewesen, der seine Geliebten ihr vorgezogen hatte, zu ihrem Glück. Doch er war Rowenas Stütze gewesen, ihr Beschützer.

Finlay lächelte schwach. „Keine Angst. Bevor er wegging, bat mich Padruig, auf dich und den Knaben zu achten. Ich werde für seine Erziehung sorgen, damit er alles lernt, was er wissen und können muss. Er wurde von Padruig zu seinem Erben ernannt, und unsere Männer werden seinen Wunsch ehren. Wenn Paddy alt genug ist, wird er Clan Gunn anführen.“

Das hatte sie gewollt, das hatte sie sich geschworen, und dafür hatte sie sogar gelogen. Paddys Zukunft. Alles, was sie in diesen sechs Jahren getan hatte, war für ihren Sohn gewesen. „Du bist ein guter Mann, Finlay Gunn. Ich weiß, du tust alles für uns“, sagte sie leise. Sie hatte sich wieder gefasst. „Doch er wird erst in zehn Jahren für sich kämpfen können. Jahre, die Gefahr bedeuten.“

Finlay nickte. „Ich werde über ihn wachen, dafür sorgen, dass er stark und klug wird.“

„Doch du kennst nicht Eneas’ Pläne“, sagte Rowena und sprach ihre Ängste endlich aus, auch wenn es Finlay in Gefahr bringen könnte. „Vorhin ging ich an Padruigs Kontor vorbei und hörte Eneas mit Clem reden.“

„Fahr fort“, drängte der alte Mann.

Sie zögerte. Nur wenige Gunns würden glauben, dass Eneas dazu fähig wäre, seinem eigenen Neffen Leid anzutun. Ihr Vater war nicht mehr am Leben und ihr Bruder nicht stark genug, sich Eneas Gunn entgegenzustellen. Lion wäre es, flüsterte eine verräterische innere Stimme.

Vor ihren Augen tauchte das Bild von Lion auf, wie er seinen mächtigen Claymore schwang, um die beiden Männer, die sie während des Clantreffens angegriffen hatten, abzuwehren. Seine Gegner waren erwachsene Männer gewesen, Lion hingegen ein Jüngling von achtzehn Jahren, doch er hatte sie in die Flucht getrieben, um Rowena zu retten.

Lion, der Held ihrer Jugend.

Lion, der Mann in ihren düstersten Albträumen. Sie würde nicht einmal mehr einen Becher Wasser von ihm annehmen, selbst wenn sie am Verdursten wäre, nach allem, was er ihr angetan hatte. Wenn es eine Gerechtigkeit in dieser Welt gäbe, wäre Lion Sutherland an der Pest gestorben.

„Komm, Mädchen, geteiltes Leid ist halbes Leid“, sagte Finlay.

Rowena seufzte und beugte sich zu ihm, froh über den Lärm in der Halle. „Morgen früh will Eneas nach Blantyre Castle reiten, um den Earl of Buchan zu treffen.“

„Was? Doch … doch Padruig ist auf des Earls Aufforderung dorthin geritten.“

„Warum? Wer ist dieser Earl?“

„Des Königs Bruder, hierher gesandt, die Clans zu unterwerfen, die rauben und morden. Dafür muss er ein Heer aufstellen, und er wollte, dass Padruig ihm Männer sendet.“

„Oh! Ein großartiger Plan“, sagte Rowena nebenbei, denn ihre eigenen Sorgen schienen ihr wichtiger. „Eneas möchte dem Earl von Padruigs Ableben erzählen und in Paddys Namen Lehenstreue schwören.“

„Lehenstreue? Einige der Clans aus dem Tiefland folgen diesem Brauch der Engländer und schwören dem König Treue, doch wir Highlander suchen niemandes Zustimmung zu unserem Tun. Vor allem, wenn der König so schwach und unfähig ist wie Robert. Was glaubt Eneas zu gewinnen, wenn er die Füße des Earls küsst?“

„Eneas sagte zu Clem, er wolle den Earl bitten, als Paddys Vormund eingesetzt zu werden“, sagte sie schwach.

„Doch Padruig wollte, dass du, Father Cerdic und ich selbst die Erziehung des Jungen übernehmen. Er sagte dies vor dem ganzen Clan und ließ jeden Mann schwören, Paddy als seinen Erben anzuerkennen.“

„Clem hatte Eneas daran erinnert, doch Eneas sagte, dass der Earl nichts von … von Padruigs ungewöhnlichen Absichten wisse.“ Ihre Finger spielten unruhig mit dem leinenen Tafeltuch, und der Schmerz in ihrem Herzen verstärkte sich. „Eneas sagte, diese Aufgabe müsse Padruigs einzigem Bruder zufallen, und er sei gewiss, der Earl würde zustimmen.“

„Kein Gunn schert sich darum, was dieser Earl sagt.“

„Vielleicht doch.“ Sie ergriff Finlays Arm. „Sosehr sie auch Padruig verehrten und Paddy lieben, gibt es doch Männer, die es nicht gutheißen, von einer Frau, einem Priester und einem … einem …“ Sie brachte es nicht über das Herz, Finlay einen Krüppel zu heißen, wie Eneas dies getan hatte. „Vor allem die jungen Krieger wollen einen kraftvollen Führer, der mit ihnen auf die Jagd geht und sie in den Kampf führt. Sie sehen nicht die Gefahr, die Paddy dadurch droht. Dass Eneas, sobald er Paddys Vormund ist, mir meinen Sohn wegnehmen kann und … ihn vielleicht tötet.“

„Eneas würde seinem eigenen Blut niemals Leid zufügen.“

„Das Leben in den Highlands ist hart und gefahrvoll. Unfälle passieren, selbst einem erfahrenen Krieger wie Padruig“, betonte sie. „Ich werde aufpassen, dass meinem Sohn nichts geschieht, bis er alt und kräftig genug ist, um für sich selbst zu kämpfen.“

„Ich spreche mit Eneas und werde ihm klarmachen, dass wir es nicht dulden, wenn er Padruigs Wünsche missachtet.“

„Er wird nicht auf dich hören.“

„Dann reite ich selbst nach Blantyre und berichte dem Earl von Padruigs Absichten.“

„Danke“, sagte Rowena leise. Doch sie wusste, welchen Schmerz es für Finlays verletztes Bein bedeutete. „Es wird uns etwas einfallen.“

„Was flüsterst du, Rowena?“, fragte zischend eine kalte Stimme.

Rowena nahm allen Mut zusammen und blickte über den roten Schopf ihres Sohnes zu den funkelnden Augen ihres Gegners. Eneas hatte sie vom ersten Augenblick an verachtet, die junge Frau seines kinderlosen Bruders, die versprochen hatte, für einen Erben zu sorgen, der Eneas von diesem Platz verdrängte. Als sie dieses Versprechen erfüllt und Paddy zur Welt gebracht hatte, hatte sich Eneas’ Feindschaft in Hass gewandelt, die deutlich aus seinen Augen leuchtete.

Selbst in der menschenvollen Halle und mit Finlay an ihrer Seite fühlte sie sich verwundbar. Eneas hatte sie immer zermürbt, sein missgünstiger Blick schien ihr Innerstes zu durchdringen. Sie widerstand dem Zwang, sich zu ducken. Ein einziges Zeichen von Schwäche, und er würde sich wie ein Falke auf sein Opfer stürzen. Früher hatte sie Padruigs Beistand gehabt. Nun war sie alleine. Ihre scharfe Zunge und ihr Verstand waren die einzigen Waffen für ihre Verteidigung. Sie nahm alle Kräfte zusammen, die Mütter aufbringen können, wenn sie ihr Kind bedroht sehen, und bereitete sich auf den Kampf um die Zukunft ihres Sohnes vor, auf den Kampf um sein Leben. „Wir haben die Rangordnung für das Geleit zur Begräbnisstätte besprochen“, sagte sie mit scheinbar leichter Stimme.

„Habt ihr das?“ Eneas kniff die Augen zusammen. Er war von großer, hagerer Gestalt, besaß scharfe Züge und dünne Lippen, die immer höhnisch zu lächeln schienen. Er war zehn Jahre jünger als Padruig, hatte die Kraft und Entschlossenheit seines Halbbruders, doch nicht seine Ehrenhaftigkeit. „Father Cerdic, dann ich selbst und Paddy.“

„Er ist zu klein, um so weit zu gehen.“

Paddy hörte auf, an seinem Kuchen zu kauen, und wandte ihr seinen Blick zu. Sein rundes Gesicht war von ungewohnter Blässe. Tiefe Schatten lagen unter seinen braunen Augen, die denen seines Vaters so ähnlich waren. Sie blickten müde und verwirrt. Er mochte seinen Onkel Eneas ebenso wenig wie sie. Doch es war besser, wachsam zu sein als zu vertrauensselig. „Mutter, darf ich jetzt gehen? Ich kann bald nicht mehr sitzen.“

Armes Lämmchen! Er hatte so viel durchgemacht. Der plötzliche Tod seines strengen, ihm fremd gebliebenen Vaters, die Spannung, die dadurch zwischen den Menschen in seinem Leben entstanden war, die Aufregungen des Begräbnisses …

„Ja, Liebes. Jennie wird dich …“

„Er bleibt“, sagte Eneas bestimmt.

Rowena wandte sich ihm brüsk zu. Sie fühlte ihr Gesicht glühen und zwang sich, ruhig zu bleiben. „Er ist erschöpft, da er die ganze Nacht neben der Bahre seines Vaters kniete.“ Worauf du bestanden hattest.

„Wir alle hielten Totenwache. Das erwartet man von uns. Als Laird muss Paddy sein eigenes Wohl hintanstellen“, sagte Eneas mit sichtlichem Gefallen.

„Er ist doch noch ein Kind.“

„Ja, das ist er.“ Und ich bin ein starker Mann. Fähig, zu herrschen, wenn ich einen Weg finde, warnten seine Augen. „Ich würde meiner Aufgabe als Paddys Onkel und Lehrer nicht nachkommen, wenn ich zuließe, dass er seine Pflicht vernachlässigt.“

Wieder dieses verhasste Wort. Und mit ihm kam die offene Warnung vor einem langen, tödlichen Krieg. Verdammt sei Eneas dafür, dass er scheinbar das Beste für Paddy wollte, wenn sie das Gegenteil erkannte. Trotz der erdrückenden Hitze in der Großen Halle überlief sie ein eiskalter Schauder. Was sollte sie tun? Sollte sie Eneas jetzt widersprechen und Padruigs Andenken missachten? Oder nachgeben und Gefahr laufen, Schwäche zu zeigen?

„Ist schon gut, Mutter.“ Paddy legte seine Hand mit beruhigendem Druck auf ihren Arm. „Ich möchte dabei sein, wenn sie Vater begraben. Ich will einen Steinhaufen als Grabstein errichten, wie sie es in den Geschichten, die du mir erzähltest, für die Helden machen. Es wird wahrscheinlich eine Zeit dauern, und ich muss kleine Steine nehmen, doch ich werde größere bringen, wenn ich stärker bin.“

Nun musste sie gegen die Tränen kämpfen. Paddy, ihr kleiner Paddy, beschützte sie, wie es sein Vater vor so langer Zeit getan hatte.

„Gut gesprochen, Paddy“, sagte Finlay herzlich. „Er wird einst ein guter Clanführer sein.“

„Falls er richtig geleitet wird“, wandte Eneas ein.

„Und du bist der richtige Mann dafür“, rief eine Stimme, die Rowena nur zu gut kannte.

Sie blickte zum nächsten Tisch, wo Clem saß und Eneas anlächelte. Clem war von großer Gestalt und ein wahrer Teufel mit dem Schwert, dem Dolch oder den bloßen Fäusten, der gefährlichste von Eneas’ Gefährten. Es gab auch andere Männer in der Menge, ehrenhafter und weniger herrschsüchtig als Eneas und seine Bande, doch wenn Eneas darauf bestand, Paddys Vormund zu werden, dann würden sie ihn wählen und nicht sie – die Außenseiterin und, schlimmer noch, die Frau.

Rowena wusste nun, was sie tun musste – nach Blantyre gehen und den Earl überzeugen, Padruigs Letztem Willen zuzustimmen. Eneas hätte gewiss seine Einwände, würde versuchen, sie von dieser Reise abzuhalten, falls sie um seine Zustimmung bitten sollte. So wollte sie nicht fragen, sondern jetzt zuschlagen, in der Gegenwart all dieser Zeugen – und schnell, bevor sie zu betrunken waren, alles zu verstehen.

Sie erhob sich und sprach mit lauter Stimme: „Schweigt still, ich bitte euch. Ich brauche euer Gehör in einer wichtigen Sache, die den Clan betrifft.“

Die Gunns unterbrachen ihre Unterhaltung und starrten sie an, als wären ihr plötzlich Flügel gewachsen. Kein Wunder, denn in all den Jahren in Hillbrae hatte sie niemals ihre Stimme in der Halle erhoben. Padruig hatte ihr die Haushaltung in der Burg überlassen, doch die Führung des Clans war Männersache. Und so war sie im Hintergrund geblieben, hatte ihre wenigen, wertvollen Bücher gelesen, die Kleidung für ihren Gatten genäht und sich mit der Erziehung ihres Sohnes beschäftigt.

„Ich möchte euch danken, dass ihr gekommen seid, Padruig zu ehren. Ich weiß, wie sehr es ihm gefallen hätte.“ Sie fuhr fort, sich der ungläubigen Blicke bewusst: „Letzte Nacht, als ich Wache an Padruigs Bahre hielt, erinnerte ich mich seiner Furcht, ihm könnte etwas zustoßen, bevor Paddy alt genug wäre, und ein anderer Clan könnte uns als führerlos betrachten und versuchen, uns unseren Besitz wegzunehmen.“

„Denkst du, ich kann nicht verteidigen, was unser ist?“, brummte Eneas.

Rowena lächelte. „Du würdest tapfer kämpfen, doch wir könnten hohe Verluste erleiden. Warum einen Kampf riskieren, wenn Padruig einen Plan hatte, jedes Blutvergießen zu vermeiden?“

„Hatte er?“, fragte Finlay.

„Er hatte“, log Rowena ohne Zögern. „Der König sandte seinen Bruder, den Earl of Buchan, um die kriegerischen Clans zu unterwerfen und den Highlands Frieden zu bringen. Ich werde zum Earl gehen, ihm von Padruigs Ableben berichten und in Paddys Namen dem Thron Lehenstreue schwören.“

„Du!“, stieß Eneas hervor. „Warum willst du gehen?“

„Padruig hat mich zum Vormund Paddys bestimmt, gemeinsam mit Father Cerdic und Finlay“, entgegnete Rowena sanft.

Diese Worte wurden von der Menge mit zustimmendem Gemurmel und von Eneas mit einem leisen Fluch aufgenommen.

„Wenn des Königs Vertreter die Führerschaft des Clans Gunn bestätigt, kann kein anderer Clan es wagen, uns anzugreifen, ohne den Zorn des Earls zu erregen und von ihm für vogelfrei erklärt zu werden“, sprach Rowena mit fester Stimme, erfreut über ihren Erfolg.

Eneas konnte sich ihrem Plan nicht widersetzen und dann ein Gleiches tun.

„Ich werde dich begleiten“, verkündete er. „Um sicherzustellen, dass meines Bruders Witwe kein Leid geschieht.“

„Wie gütig von dir.“

Eneas starrte sie mit tödlicher Verachtung an. „Die Reise wird anstrengend und gefährlich werden.“

„Du wirst uns sicher nach Blantyre bringen.“

Eneas fluchte leise, dann wandte er sich an den Tafelmeister. „Wat, es ist Zeit, die Tafel aufzuheben.“ Noch ein durchdringender Blick zu ihr, dann schob er seinen Stuhl zurück und stapfte zu seinen Getreuen.

Auch Finlay erhob sich. „Gut gemacht, Rowena, doch ich werde mit dir gehen und dafür sorgen, dass Eneas sich nicht vergisst.“

„Ich kann auf mich selber aufpassen, Finlay. Du musst hierbleiben und über Paddy wachen.“

„Eneas mag ein rauer Bursche sein, doch er liebte Padruig. Er würde seines Bruders Sohn kein Leid antun“, wiederholte Finlay.

Wenn Eneas erfuhr, dass Paddy nicht Padruigs Sohn war, dann würde er nicht zögern, ihn zu töten.

Paddys Kichern unterbrach ihre düsteren Gedanken. „Ich glaube nicht, dass es die Leute noch den Hügel hoch schaffen, viel weniger, dass sie Vater hinauftragen können.“

Rowena beobachtete die Gunns, die sich für den Marsch zum Kirchhof aufrafften. Sie waren so betrunken, dass viele Männer und Frauen gleich wieder umfielen. „Es überrascht mich nicht. Sie leerten zehn Fass Bier seit dem Morgengrauen.“

„Ja. Doch du hast recht getan.“ Finlay grinste, als er ihr aufhalf. „Er hat nie viele Worte gemacht und seine Gefühle nicht gezeigt, doch Padruig zollte dir Respekt, Mädchen.“

Rowena nickte und dachte an ihre kalte, liebeleere Ehe und an ihre ungewisse, gefährliche Zukunft.

„Macht Platz“, rief Wat, der Tafelmeister, und stieß die Leute zur Seite, als er den Weg für die nächsten Angehörigen des verstorbenen Lairds freimachte.

Jennie kam Rowena am äußeren Tor entgegen. „Ich bringe Eure fellgefütterte Chamarre und die des jungen Laird.“ Sie gab Finlay Paddys Umhang und half dann Rowena. Jennie war drei Jahre älter als Rowena, eine plumpe, aber hübsche Magd mit rotem Haar und Sommersprossen, die so zahlreich waren wie ihre Freier. Als treue und zuverlässige Dienerin hatte sie Tarbert verlassen, um mit ihrer Herrin bei den Gunns zu leben. Ohne ihren Beistand hätte Rowena es keine zwei Wochen als Padruigs Braut ausgehalten. „Ihr seid weiß wie Schnee“, jammerte Jennie.

„Kein Wunder.“ Rowena presste ihre Hand an die Schläfe, um den stechenden Schmerz zu lindern.

„Was hat Euch Eneas schon wieder angetan?“

„Jennie …“

„Eneas weiß, wie sehr ich ihn hasse.“

„Ja, doch das war früher.“ Rowena blickte nach vorn.

Jemand hatte das Tor geöffnet und eine erfrischende kalte Brise hereingelassen. Eneas stand am Eingang. Eine Vorahnung beschlich sie, er könnte sie und Paddy für immer auslöschen …

„Von jetzt an hältst du deine scharfe Zunge im Zaun, Jennie MacBean“, sagte Rowena rasch. „Da Padruig tot ist, müssen wir alle darauf achten, was wir tun.“

„Und was hinter unserem Rücken geschieht.“

„Ja.“ Rowena erschauerte und wandte sich um. Sie beruhigte sich, als sie Finlay beobachtete, der Paddys Umhang mit der schweren Schmucknadel, dem Symbol der Führerschaft, befestigte. Gott schütze ihn.

„Mutter?“ Paddy ergriff ihre Hand. „Wenn ich Vaters Grabstein ganz hoch baue, mag er mich dann lieber?“

„Dein Vater hat dich geliebt“, sagte Rowena.

Paddy blickte zu Boden und zeichnete mit der Schuhspitze einen Kreis auf den Steinboden. „Das hat er niemals gesagt. Manches Mal blickte er mich an …“, seine schmalen Schultern hoben und senkten sich unter dem schweren Umhang, „… als hätte ich mich in einen Topf voll Kohl verwandelt.“ Das Essen, das Paddy am wenigsten mochte.

Rowena seufzte, litt mit ihrem kleinen Sohn, fand indes keine Worte des Trostes. „Er musste an so vieles denken, Liebes. Wenn er mürrisch war, war das nicht deinetwegen. Du warst ihm sehr wichtig. Komm, die anderen warten schon. Lass uns zusammen gehen und deinem Vater das letzte Geleit geben.“

Seine Hand, wenn auch klein, lag warm und sicher in der ihren. Sie fragte sich, wer wohl wem half, als sie sich auf den langen Weg bergauf zur Kirche machten. Letzte Nacht hatte es geregnet, und der Boden dampfte in der eisigen Luft und hüllte den Totenzug in einen gespenstischen Nebel. Wäre dies alles doch nur ein Traum, und sie könnte aufwachen, Padruig am Leben und ihr eigenes Leben unverändert vorfinden. Wenn sie schon beim Träumen war, könnte sie sich nicht wünschen, die letzten sechs Jahre wären nur ein Albtraum gewesen, und sie wäre noch immer Rowena MacBean, jung, fröhlich und verliebt in Lion Sutherland?

Nein, denn dann gäbe es Paddy nicht.

Als sie der Menge der Trauernden folgte, schwor Rowena bei Padruigs Seele, dass sie einen Weg finden wolle, Paddy zu beschützen, gleich, was sie dafür tun musste.

2. KAPITEL

Der Ritt nach Blantyre war so schrecklich, wie Finlay vorausgesagt hatte. Der Regen hatte die durchfurchten Wege in Schlamm verwandelt, und sie kamen nur langsam über die Bergpässe. Die Zweitagereise dauerte nun bereits endlose fünf Tage, in denen sie der Unbill des Wetters ebenso ausgesetzt waren wie der schlechten Laune Eneas’. Er hatte darauf bestanden, dass sie jede Nacht in den Wäldern lagerten, nur von ihren Tartans bedeckt und dem Ölzeug, das Wat ihnen zum Schutz vor Wind und Wetter mitgegeben hatte.

Gewiss geschah dies aus Bosheit, dessen war sich Rowena sicher. Nass, erschöpft und schlecht gelaunt, weigerte sie sich jedoch, Eneas die Genugtuung zu geben, ihm ihre Stimmung zu zeigen. Sie ritt hinter ihm, mit gestrafften Schultern und eiserner Entschlossenheit.

„Wann, glaubt Ihr, erreichen wir Blantyre?“, fragte Harry Gunn, der junge Krieger, den Finlay ihr als Knappe mitgegeben hatte.

„Du musst jemanden haben, der deine Befehle ausführt und der dich beschützt“, hatte Finlay gesagt, „da du dich weigerst, eine der Zofen mitzunehmen.“

„Ich muss Jennie hierlassen, damit sie sich um Paddy kümmert. Schlimm genug, dass er seinen Vater verloren hat. Nun reitet auch noch seine Mutter weg. Er braucht jemanden, der ihn umsorgt und behütet. Und die anderen Mägde sind entweder zu alt, um den Ritt zu überstehen, oder zu flatterhaft.“

„Der Hof des Earls ist ein rauer Ort.“

„Ich habe mein ganzes Leben mit rauen Gesellen zugebracht“, hatte sie gesagt und den Kopf in den Nacken geworfen. Sie genoss diese Freiheit, für sich selbst zu entscheiden, nach so vielen Jahren unter dem Kuratel von Padruig.

„Ich hörte Eneas zu Clem sagen, wir könnten Blantyre noch am heutigen Tag erreichen“, sprach Rowena zu ihrem sommersprossigen Begleiter.

„Nicht einen Augenblick zu früh.“ Harry verzog das Gesicht, als er sich im Sattel aufrichtete. „Ich wette, mein Hinterteil wird für immer flach bleiben.“

Rowena lächelte und blies einen Regentropfen von ihrer Nasenspitze. „Ich weiß, was du meinst.“

„Was denkt Ihr, wird es eine reiche Burg sein?“

„Es sollte mich nicht überraschen. Finlay sagte mir, es sei der altehrwürdige Stammsitz des Clans Shaw, die eine überaus wohlhabende Familie sind.“ Auch sie wollte einen guten Eindruck auf den einflussreichen Earl machen, der sich dort niedergelassen hatte. Einen flüchtigen Augenblick hatte sie Bedenken, als sie an das wollene Kleidungsstück dachte, das sie sorgsam gefaltet in der Satteltasche verstaut hatte. Es war das feinste, das sie jemals besessen hatte, und Jennie hatte ihr versichert, wie gut ihr die tiefblaue Farbe zu Gesicht stehe.

„Denkt Ihr, dass auch Mädchen da sein werden?“

„Schäm dich, Harry“, sagte sie. „Du hast den Befehl, mich zu beschützen und nicht hinter einer Schar leichter Röcke her zu sein.“

„Mylady! Ich … ich versichere Euch, dass ich das nicht meinte, ich …“

„Es war nur ein Scherz, Harry.“

Er sah sie von der Seite an, die dunklen Augen blickten erstaunt unter langen roten Haarsträhnen hervor. „Ich habe Euch nie zuvor scherzen sehen, Mylady. Ihr wart immer eine ernsthafte und schickliche Dame.“

„Du hast recht.“ Doch da war einst eine Zeit gewesen, eine kurze Zeit, während jenes wilden, glorreichen Sommers mit Lion, als sie fröhlich und glücklich gewesen und geliebt worden war. Die Erinnerung kehrte mit einem heftigen Verlangen zurück. Sechs Jahre waren vergangen, seit jemand sie geküsst oder in den Armen gehalten hatte. Sechs einsame, lange Jahre.

„Lady Rowena?“

Sie erschrak. „Ja, Harry.“

„Seht doch. Eneas’ Späher sind mit der Nachricht zurückgekehrt, dass wir nur noch eine Meile von Blantyre Castle entfernt sind.“

„Gelobt sei Gott“, sagte Rowena. „Können wir anhalten, damit ich frische Kleider anziehen und mein Haar kämmen kann?“

„Ich zweifle, dass Eneas anhalten lässt, und ich möchte nicht alleine in diesen Wäldern verweilen.“

Rowena folgte seinem besorgten Blick in das dunkle, undurchdringliche Gehölz, das sie zu umschließen schien. Dunstschwaden stiegen von den schwarzen Geröllmassen auf, die den Pfad begrenzten. Sie vermischten sich mit dem Dunst aus den Bäumen und bildeten einen dichten Nebel, in dessen Tiefen das Böse zu lauern schien. Irgendwo in der Nähe durchbrach der einsame Schrei eines Falken die Stille, und Rowena lief es kalt über den Rücken. „Ich glaube, du hast recht. Hoffentlich wird der Earl das verstehen.“

„Ihr seht gut aus, wie Ihr seid, Mylady. Nur habt Ihr ein wenig Schlamm auf Eurer Wange.“

Hastig rieb sich Rowena das Gesicht. „Oh, es ist so wichtig, dass der Earl mich wohlwollend betrachtet.“

„Wir müssen uns beeilen“, drängte Harry. „Eneas und seine Leute haben die Weggabelung erreicht, und wir verlieren sie aus den Augen.“

Rowena hob den Kopf und sah, wie Eneas von der Spitze der Kolonne sie über seine Schulter hinweg anblickte. Der hasserfüllte Blick in seinen Augen beantwortete die Frage. Er würde wohl nichts lieber tun, als sie verlieren … oder zusehen, wie sie einem tödlichen Unfall zum Opfer fiel. „Komm, Harry. Lass uns eilen.“

Die Worte waren kaum Rowenas Mund entschlüpft, als sie gedämpfte Hufschläge hinter sich vernahm, unter die sich leise Männerstimmen mischten.

„Vielleicht sind es Späher von Blantyre, die uns willkommen heißen“, flüsterte Rowena.

„Nein, sie kommen zu schnell.“ Harry zog das Schwert. „Rasch, seht zu, dass Ihr Eneas und die anderen erreicht“, rief er eindringlich.

Zu spät. Männer hoch zu Ross brachen in großer Zahl aus dem Dickicht hervor. Sie schwangen ihre Schwerter und brüllten dazu, dass einem das Blut in den Adern erstarrte.

Eneas zeigte sein wahres Gesicht. Oder vielmehr seinen Rücken. Er entfloh der angreifenden Horde, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Seine Gefährten drängten hinter ihm her wie ein Rudel aufgescheuchter Karnickel.

„Heilige Maria, wir sind verloren!“, schrie Rowena.

Harry wirbelte herum und stellte sich den heransprengenden Männern entgegen. „Reitet, Mylady“, brüllte er. „Haltet nicht eher an, bis Ihr Blantyre erreicht habt.“

Es blieb keine Zeit, darüber zu streiten oder Harry auch nur zu danken. Rowena stieß ihrem Pferd die Stiefel in die Flanken und galoppierte den Pfad entlang, den auch Eneas genommen hatte. Zweige peitschten ihr ins Gesicht, Dornengestrüpp zerrte an ihrem Kleid. Hinter sich hörte sie, wie Klinge auf Klinge traf, dann folgte ein schrecklicher Schrei.

Harry.

Es war keine Zeit zu trauern, keine Zeit für Schmerz und Bedauern. Rowena dachte nur daran, im Sattel zu bleiben und das Pferd auf dem Weg zu halten. Sie war eine kleine Weile geritten, ehe sie die donnernden Hufschläge ihrer Verfolger vernahm.

„Schneller! Schneller!“, rief Rowena drängend und gab dem Pferd die Sporen. Als das Tier strauchelte, drohte ihr Herz stillzustehen. „Nein.“ Sie riss an den Zügeln, mühte sich, das Gleichgewicht zu halten, und betete um ein Wunder. Es ward ihr nicht gegeben. Das Tier wieherte auf, als es zusammenbrach und Rowena in hohem Bogen aus dem Sattel flog.

Hart schlug sie auf dem Boden auf. Um sie herum wurde es Nacht, ein Nebelschleier senkte sich über sie. Sterne tanzten vor ihren Augen. Sie hatte den Geschmack von Blut und Schlamm im Mund.

„Jagt hinter den anderen her, ich kümmere mich um die Dirne“, rief eine dröhnende Stimme.

Rowena wühlte mit den Händen im weichen Erdreich, als sie versuchte, in ein Versteck aus Laubwerk zu kriechen, das einen Fuß entfernt war. Derbe Hände griffen nach ihr, packten sie an den Schultern und rissen sie hoch. Ihre Füße baumelten in der Luft, und sie kam sich vor wie ein Fisch am Angelhaken.

„Sieh da, sieh da …“ Selbst durch den Nebelschleier hindurch war das Gesicht ihres Peinigers noch erschreckend deutlich zu erkennen. Seine groben, brutalen Züge waren von Sonne und Wind gegerbt. Die finsteren Augen standen dicht beieinander, das schwarze Haar war ungepflegt und verfilzt. „Sie ist ein wenig verdreckt, indes, wenn sie sauber ist, mag sie angehen.“

„Ich will aber nicht warten“, schnarrte eine mürrische Stimme. Der Kerl, der das sagte, war kleiner als sein ungeschlachter Spießgeselle und sah besser aus, wenn man die Niederträchtigkeit in seinem blassen Gesicht außer Acht ließ.

Entsetzen verjagte die Benommenheit in ihrem schmerzenden Kopf. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und sagte mit anmaßender Stimme: „Nehmt eure Hände von mir.“

Der Rohling lachte. „Sieh an, Dickie, mein Junge, wir haben keine Stallmagd erwischt, sondern eine feine Dame.“

„Sie sieht aber nicht sehr fein aus … und es macht für mich auch keinen verdammten Unterschied, wer sie ist.“ Dickie griff nach den Bändern, die ihr Gewand vorne zusammenschnürten.

„Haltet ein!“, rief Rowena. Sie hasste das Zittern in ihrer Stimme. „Ich bin Lady Rowena Gunn und mit meinen Clansleuten in wichtiger Angelegenheit auf dem Weg zum Earl of Buchan. Wenn ihr mich unversehrt nach Blantyre Castle bringt, wird euch mein Bruder reichlich belohnen.“

Die Augen des Rohlings verengten sich abschätzend. „Dickie und ich haben keine Verwendung für Gold, eine Dirne jedoch …“ Er reckte den Hals, und ein gnadenloses Grinsen verzerrte sein hässliches Gesicht. „Auf diese Belohnung kann ein Mann nur verzichten, wenn er tot ist.“

„Tot wirst du sein, wenn du diese Lady nicht loslässt“, sagte eine tiefe, ruhige Stimme. Der Mann, der hinter dem Wüstling stand, war schlanker, doch größer als ihr Angreifer. Ein Helm beschattete sein Gesicht. Dichtes schwarzes Haar fiel auf seine breiten Schultern. Mit dem Schwert in der Hand und seinem dunklen Umhang, der im Wind flatterte, sah er aus wie ein Racheengel.

„Es ist Glenshee“, rief Dickie aus.

Mit einem Fluch warf der Rohling Rowena ins Gebüsch und zog sein Schwert, als er sich dem Neuankömmling zuwandte. „Du bist allein.“ Ein grimmiges Lächeln durchzuckte sein hässliches Gesicht.

„Ich habe ‚Avenger‘.“ Der Recke hob seinen Claymore und ließ das Dämmerlicht mit den Runen, die in die glänzende Klinge ziseliert waren, spielen. „Das ist genug, um mit solchem Gesindel fertig zu werden, Georas MacPherson.“

Autor

Suzanne Barclay
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