Schwach vor Sehnsucht

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Wie eine kleine Lolita verführt die 17-jährige Joanna den attraktiven Joshua. Zu ihrem Entsetzen wird sie schwanger. Als Ehrenmann heiratet Joshua sie, und ihr Zusammenleben ist überaus glücklich - bis ihre Tochter stirbt. Nun scheint auch ihre Liebe zu sterben. Sie geben der Ehe eine Auszeit. Aber Joanna sehnt sich so sehr nach Joshua …


  • Erscheinungstag 09.05.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756956
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Wir sind wirklich daran interessiert, eine Serie dieser Bücher herauszubringen“, sagte der Mann, der Joanna an seinem Schreibtisch gegenübersaß. „Wenn Sie noch andere schreiben können, die ebenso gut sind wie das Erste.“

Joanna zuckte die Schultern. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich es kann.“

Das selbstbewusste Lächeln sollte wohl heißen, dass er es gewohnt war, mit launischen Autoren umzugehen, und dass normalerweise er der Sieger war. Der Mann mittleren Alters gab sich freundlich, aber der kühle Blick und das energische Auftreten verrieten ihr, dass er ein harter Geschäftsmann sein konnte.

Joanna war zum ersten Mal bei einem Verleger. Sie hatte sich ein steriles weißes und chromfarbenes Büro vorgestellt und war stattdessen in ein unordentliches, vollgestopftes Zimmer gekommen. Der Schreibtisch war übersät mit Manuskripten und Büchern. Als sie schriftlich zu dem Gespräch mit James Colnbrook aufgefordert worden war, hatte sie sich gedacht, dass das vor mehreren Monaten an ihn geschickte Kinderbuch über einen verspielten Boxer namens Billy Anklang gefunden hätte. Aber eine Serie war möglicherweise völlig ausgeschlossen.

„Ich weiß nicht, ob ich die Zeit haben werde, mehr Bücher zu schreiben“, sagte Joanna ruhig. „Allein an diesem habe ich Monate gearbeitet.“

„Und manchmal dauert es Jahre, auch wenn man alle Zeit der Welt hat.“ James Colnbrook nahm ihren Einwand offensichtlich nicht ernst. „Ich bin davon überzeugt, dass Sie es können, Miss Radcliffe.“

„Mrs.“, verbesserte sie kurz angebunden und sah dem Mann an, dass er die Situation neu abschätzte. Sie wusste, dass sie mit ihren blonden Locken, dem elfenhaft hübschen Gesicht und der zierlichen Figur zu jung wirkte, um für eine verheiratete Frau gehalten zu werden. Nicht einmal der gut sitzende schwarze Rock und die schwarze Seidenbluse verliehen ihr die Reife, die von einer verheirateten Frau erwartet wurde. Aber sie war eine. Mit dreiundzwanzig war sie in einer Ehe gefangen, die ihr nichts bedeutete. Und ihrem Mann zweifellos auch nicht.

„Tut mir leid, das wusste ich nicht.“ James Colnbrook lächelte wieder. Gerade hatte er den mit Diamanten verzierten Trauring bemerkt und richtig erkannt, dass er ein kleines Vermögen gekostet hatte.

Joanna zuckte die Schultern. „Es ist nicht wichtig, stimmt’s?“

„Nein. Natürlich nicht“, erwiderte der Verleger gelassen. Als Joanna Radcliffe vor einer halben Stunde in sein Büro gekommen war, hatte er sie für eine Karrierefrau gehalten. Sie besaß Stil und Eleganz. Chefsekretärin oder vielleicht selbst leitende Angestellte, hatte er gedacht. Jetzt, da sie erwähnt hatte, dass sie verheiratet war, sah sie plötzlich verletzlich aus. Ihr Blick war kühl und unnahbar geworden. Und James Colnbrook fiel auf, dass das Leben schon Spuren in ihrem schönen jungen Gesicht hinterlassen hatte. Joanna Radcliffe hatte tiefes Leid erfahren, und wenn sie es auch überstanden hatte, so war sie doch davon gezeichnet. „Ist Ihr Mann dagegen, dass Sie arbeiten?“ James Colnbrook lachte gequält. Er hatte Mitleid mit einer Frau, die er kaum kannte, und da sein Ruf als einer der härtesten Mistkerle im Verlagswesen nicht unverdient war, weckte so ein seltsam fremdes Gefühl Unbehagen in ihm. „Manche Männer müssen ihr Image als Macho schützen.“

„Joshua braucht sich um sein Image keine Sorgen zu machen“, erwiderte Joanna kühl. „Es ist völlig intakt.“

Joshua Radcliffe … Der Name war ihm ein Begriff. Aber er war sicher, dass er den Mann nicht persönlich kannte. „Ihn wird es also nicht stören, wenn Sie mehrere Stunden täglich arbeiten?“, fragte er geistesabwesend. Er zerbrach sich noch immer den Kopf darüber, wo er den Namen schon gehört hatte. Es war erst vor Kurzem gewesen.

„Als ich gesagt habe, ich würde nicht wissen, ob ich Zeit habe, weitere Bücher zu schreiben, habe ich nicht gemeint, dass Joshua etwas dagegen haben würde. Ich verstehe wirklich nicht, was meine Ehe damit zu tun hat, Mr. Colnbrook. Entweder Sie wollen das Buch herausbringen oder nicht.“

„Oh, das wollen wir“, sagte er schnell. Dann verfluchte er sich, weil er zu viel verraten hatte. Die übermütigen Streiche eines verrückten Hundes waren ein passender Stoff für ein Kinderbuch, und es würde sich wahrscheinlich gut verkaufen. Aber er musste zugeben, dass ihn Joanna Radcliffe mehr interessierte. Mehr als jede andere Frau, die er jemals kennengelernt hatte.

Sie war offensichtlich gut erzogen, die kühle, distanzierte Ausdrucksweise hatte sie sich zweifellos an einer Privatschule angeeignet, und höchstwahrscheinlich waren ihre Sachen von demselben Designer wie die seiner Frau. Nur dass sie Moira niemals so gut stehen würden! Ihm wurde klar, dass Joanna Radcliffe nicht wie die anderen Autorinnen war, die er in seinem Büro empfing. Sie sah aus, als sollte sie ihr Leben mit Teegesellschaften und exklusiven Dinnerpartys verbringen, Wohltätigkeitsveranstaltungen organisieren und die Zeit vertrödeln, während ihr Mann das Geld verdiente. Trotzdem machte sie den Eindruck einer sehr disziplinierten Dame, die nur Verachtung für solche unnützen Dinge übrig hatte. James’ Neugier wurde immer größer.

„Ja, wir wollen das Buch herausbringen, Mrs. Radcliffe.“ Er war jetzt selbst kühl und reserviert. „Aber wir erfahren gern ein bisschen über unsere Autoren.“

„Warum?“

„Warum?“ Allmählich fragte er sich, wer hier der Verleger und wer die angehende Autorin war! „Normalerweise machen wir auf der Rückseite des Umschlags einige Angaben über den Autor.“

Joanna Radcliffe schüttelte den Kopf, bevor James Colnbrook den Satz überhaupt beendet hatte. „Das möchte ich nicht“, sagte sie hochmütig. „Und die Geschichte wird nicht unter meinem richtigen Namen erscheinen.“

„Nicht unter … Warum?“ James Colnbrook runzelte überrascht die Stirn. Die meisten Leute sehnten sich danach, ihren Namen auf einem Buchdeckel zu sehen.

„Es wäre mir einfach lieber.“

Er erkannte, dass sie sich nicht umstimmen lassen würde. „Okay“, sagte er seufzend, „wir finden sicher einen, der Ihnen gefällt, aber …“ Joshua Radcliffe! Natürlich, jetzt erinnerte er sich.

James Colnbrook sah die junge Frau plötzlich mit anderen Augen an. War sie etwa mit dem bekannten Joshua Radcliffe verheiratet? Das konnte doch wohl nicht sein. Der Mann war ein Spezialist aus der Harley Street, ein teurer obendrein. Er sollte es wissen, schließlich hatte er erst vor Kurzem die Rechnung für Moiras Operation bezahlt! Aber der Arzt musste viel älter als Joanna Radcliffe sein. Nicht, dass er ihm jemals begegnet war. Moira hatte sich allein um alles gekümmert. Er gehörte zu den Menschen, die weder Ärzte noch irgendetwas ertragen konnten, was mit ihnen zu tun hatte. Seine Frau hatte ihm die Hölle heißgemacht, weil er sie nur zwei Mal in der Klinik besucht hatte.

Wer in der Harley Street eine Praxis hatte, musste mindestens in den Dreißigern oder Vierzigern sein. Hatte der Mann vielleicht einen Sohn, der auch Joshua hieß und mit dieser jungen Frau verheiratet war?

Joanna war sich der Neugier des Verlegers nicht bewusst. Sie sah auf ihre goldene Armbanduhr. „Ich habe eine Verabredung zum Mittagessen und muss jetzt gehen.“

„Oh, normalerweise lade ich neue Autoren zum Mittagessen ein …“

Sie nahm ihre Handtasche und stand auf. „Tut mir leid. Ich möchte nicht zu spät kommen.“ Da sie sehr klein war, trug sie hohe Absätze, um sich größer zu machen.

James Colnbrook stand ebenfalls auf. Er war sichtlich verärgert. Groß, dunkelhaarig, noch immer gut aussehend und distinguiert, war er nicht gewohnt, von einer Frau abgewiesen zu werden.

Joanna konnte er jedoch nicht beeindrucken, weil sie sich mit großen, distinguierten Männern auskannte. Schließlich war sie mit einem verheiratet.

„Wann sehen wir uns wieder?“, fragte James.

Sie war schon an der Tür. „Ihre Sekretärin kann mich ja anrufen.“

„Aber …“

„Es hat mich gefreut, Sie kennenzulernen, Mr. Colnbrook. Und ich werde darüber nachdenken, noch mehr Bücher zu schreiben. Auf Wiedersehen.“ Joanna ging mit hoch erhobenem Kopf hinaus.

James Colnbrook sank verwirrt zurück in seinen Sessel.

Auf dem Weg nach draußen nickte Joanna der Sekretärin kühl zu. Vor dem Gebäude hielt sie ein Taxi an und ließ sich zu dem Restaurant bringen, in dem sie immer mit ihrer Mutter zu Mittag aß.

Ein Buch von ihr würde erscheinen! Sie, Joanna Proctor Radcliffe, hatte ein Kinderbuch geschrieben, das gut genug war, um veröffentlicht zu werden! Jahrelang hatte sie das Gefühl gehabt, dass sie nichts weiter als Joshuas Frau war. Jetzt konnte sie endlich von sich behaupten, etwas ohne seine Hilfe oder seinen Einfluss getan zu haben. Viel verdienen würde sie mit dem Schreiben nicht. Darauf hatte James Colnbrook sie bereits hingewiesen. Aber ihr war einfach die Unabhängigkeit wichtig, auch wenn es nur eine intellektuelle war. Und sie brauchte das Geld nicht. Sie war mit einem reichen Mann verheiratet und durch ein Vermächtnis ihrer Großmutter selbst reich. Nein, was sie brauchte, wonach sie sich sehnte, war das Gefühl, etwas geleistet zu haben.

Obwohl sie das Büro des Verlegers so eilig verlassen hatte, kam Joanna mehrere Minuten zu spät im Restaurant an. Ihre Mutter saß schon am gewohnten Tisch und machte kein Geheimnis daraus, dass sie Unpünktlichkeit nicht leiden konnte. Allein schon ihr missbilligender Blick verdarb Joanna die gute Laune.

„Entschuldige, Mutter.“ Joanna setzte sich ihr gegenüber und nahm lächelnd das Glas Sherry an, das der Ober vor sie hinstellte. Ihre Vorlieben waren in diesem Restaurant bekannt.

„Schon gut, Joanna.“ Mit vierundvierzig war ihre Mutter noch immer eine schöne Frau. Ein fähiger Friseur sorgte dafür, dass ihr Haar ebenso leuchtend blond wie das von Joanna blieb.

Es klang unaufrichtig, und Joanna wurde rot. In Gegenwart ihrer Mutter kam sie sich wie das linkische Schulmädchen vor, das sie früher einmal gewesen war, und nicht wie eine seit fünf Jahren verheiratete Frau. „Ich wurde beim Verleger aufgehalten.“

Die beiden Frauen waren ein sensationelles Paar. Sie sahen wie Schwestern und nicht wie Mutter und Tochter aus. Cora tat alles kosmetisch Mögliche, um sich ihre Jugend zu bewahren, während Joanna für ihr Alter reifer wirkte.

„Was hat er gesagt?“

Ihre Mutter fragte nur aus Höflichkeit. Joanna tat die Gleichgültigkeit weh, sie ließ sich jedoch nichts anmerken. Sie erwartete keine Goldmedaillen von irgendjemand in ihrer Familie. Ihr Vater war ein prominenter Banker, ihre Mutter die perfekte Gastgeberin für seine Geschäftspartner und Joshua … Er hatte mit allem Erfolg. Joanna wusste, dass keiner von ihnen ihre Leistung wichtig finden würde. Aber sie war stolz darauf!

Sie zuckte die Schultern und nahm die Speisekarte. „Sie werden die Geschichte herausbringen.“

„Wirklich?“ Die Augen ihrer Mutter wurden groß. „Es geht darin um einen Collie oder so etwas, stimmt’s?“

„Einen Boxer“, verbesserte Joanna sie ausdruckslos und fragte sich, warum sie sich mit diesen wöchentlichen Mittagessen quälte. Das Desinteresse ihrer Mutter verletzte sie nur jedes Mal aufs Neue. Einmal im Monat besuchten Joshua und sie zusammen ihre Eltern, und es wäre vernünftiger gewesen, den Kontakt darauf zu beschränken. Ihren Vater sah sie sonst überhaupt nicht. Er und ihre Mutter führten beide ein so hektisches Leben, dass sie noch nie Zeit für sie gehabt hatten, und Joanna hatte sich schon als Kind damit abgefunden. Joshua geheiratet zu haben war ihr einziger versöhnender Zug, was ihre Eltern anbelangte, aber sogar das hatten sie am Anfang zur Katastrophe erklärt. „Wie Billy“, sagte sie leise.

„Also wirklich, Joanna! Der Hund ist schon Jahre tot!“, fuhr ihre Mutter sie an.

„Ich habe ihn geliebt.“ Ihr Vater hatte einmal ihren Geburtstag vergessen. Auf dem Weg nach Hause hatte er den Welpen im Schaufenster eines Zoogeschäftes gesehen und ihn ihr spontan gekauft, ohne daran zu denken, dass seine Frau vielleicht nicht damit einverstanden sein würde. Joanna liebte den jungen Hund vom ersten Moment an und überredete ihren Vater irgendwie, ihn nicht zurückzubringen, obwohl ihre Mutter heftig protestierte. Billy zerkaute alles, von den Möbeln bis zu den Schuhen ihrer Mutter. Als sie sechs teure Paare fand, die nicht mehr zu reparieren waren, durfte sich Billy nur noch im Garten und in der Küche aufhalten. Ihn störte die Verbannung anscheinend nicht. Im Sommer jagte er Schmetterlinge, und im Winter schlief er in der warmen Küche. Und Joanna beklagte sich auch nicht. Sie war einfach nur froh, den Hund behalten zu können.

Billy war neun Jahre lang ihr ständiger Begleiter gewesen, dann hatte ihn ein übermütiger Sprung auf die Straße das Leben gekostet. Joanna hatte ihn niemals vergessen, und „Billy Boxer“ beruhte auf ihm und seinen Streichen.

Ihre Mutter sprach erst wieder, nachdem sie beide bestellt hatten. „Soll das heißen, dass ein Verleger tatsächlich bereit ist, dich für eine Geschichte über einen lästigen Hund zu bezahlen?“, fragte sie spöttisch.

„Ja“, erwiderte Joanna ärgerlich.

Cora schüttelte den Kopf. „Wo soll das noch alles hinführen? Was hält Joshua davon?“

Joanna presste wütend die Lippen zusammen. „Er hat nicht viel dazu gesagt.“

„Das will ich meinen! Ein so hoch angesehener Mann – und dann eine Ehefrau, die Kinderbücher schreibt!“

„Er missbilligt es nicht, Mutter. Wir haben nur nicht sehr oft darüber gesprochen.“ Sie redeten über nichts mehr und gingen gerade noch höflich miteinander um!

Ihre Mutter wollte etwas erwidern und unterließ es, da der Ober die Vorspeise brachte, Avocado mit Garnelen.

„Was wolltest du sagen?“, fragte Joanna nach dem ersten Löffel voll.

Cora warf ihr einen gereizten Blick zu. „Nicht beim Essen. Wir unterhalten uns später.“

Schließlich wurde der Kaffee serviert, und Joanna wartete auf einen weiteren Vortrag darüber, dass es nicht ratsam sei, einen Beruf zu haben, wenn der Ehemann ein so bedeutender Mann sei und eine Frau brauche, die ihm Ehre mache. Sie bekam das seit Jahren zu hören und hatte es satt. „Billy Boxer“ mochte keine große Leistung sein, aber es war die eine Sache, die sie wirklich ihr Eigen nennen konnte, die nicht Joshua gehörte oder ein Geschenk von ihm war.

„Und deshalb habe ich mich gefragt, wie es ihm geht.“

Joanna nahm ihre Mutter und das Stimmengewirr im Restaurant wieder wahr und runzelte die Stirn. „Wem?“

„Joshua, natürlich. Ich weiß, dass du wegen deines Buches aufgeregt bist, aber bitte hör zu! Dein Vater und ich haben Joshua beim Mittagessen am vergangenen Sonntag vermisst. Ich habe mich gefragt, wie es ihm wohl geht.“

„Er musste in die Klinik, das habe ich dir doch gesagt.“

„In letzter Zeit arbeitet er ziemlich viel.“

„Joshua hat schon immer hart gearbeitet.“

„Aber seit einigen Monaten scheint er besonders viel zu tun zu haben.“

Ihre Mutter blickte sie erwartungsvoll an, und Joanna seufzte. „Wenn du mir etwas sagen möchtest, dann sag es. Ich habe keine Lust, Spiele zu spielen.“

„Bist du glücklich mit Joshua?“

Joanna sah weg. „Natürlich.“

„Dein Vater und ich waren mit dieser Heirat zuerst nicht einverstanden …“

„Nicht einverstanden? Du warst ganz entschieden dagegen. Zumindest, bis du genau über ihn Bescheid wusstest.“

„Das stimmt nicht!“, protestierte ihre Mutter empört. „Ich habe niemals daran gezweifelt, dass er eine bedeutende Persönlichkeit ist. Er ist nur so viele Jahre älter als du. Dein Vater und ich waren nicht sicher, ob du reif genug für die Ehe bist, aber unter solchen Umständen …“

„Sag es mir einfach.“ Joanna kannte ihre Mutter zu gut, um sich täuschen zu lassen und die Sorge um ihr Wohl für echt zu halten.

„Ich habe gehört …“

„Ja?“

„Vielleicht ist es nur Klatsch …“

„Mutter!“

„Man spricht davon, dass Joshua die Zeit außer Haus nicht nur mit Arbeiten verbringe. So, ich habe es gesagt. Jetzt, da es heraus ist, fühle ich mich viel besser. Es muss ja nicht stimmen. Du weißt, wie gern Jackie Simms tratscht. Ich habe nicht …“

Joanna hörte nicht mehr zu. Joshua und sie hatten im Lauf der Jahre Probleme gehabt, ihr war jedoch niemals der Verdacht gekommen, dass es in seinem Leben eine andere Frau geben könnte. Natürlich war Joshua ein sinnlicher Mann und sie …

„Ich habe dir immer gesagt, dass Angela Hailey zu schön ist, um nur die Sekretärin und Sprechstundenhilfe eines Mannes zu sein.“

„Angela Hailey?“ Der Name riss Joanna aus ihren Gedanken. „Sie ist die Frau, um die es geht?“

„Jackie zufolge. Meistens hat sie recht“, sagte Cora mürrisch. „Und Angela ist eine wunderschöne Frau.“

Sie hatte schulterlanges rotes Haar, grüne Augen und eine gute Figur. Seit sieben Jahren war sie Joshuas Sekretärin und Sprechstundenhilfe, und Joanna hatte sie schon oft getroffen. Die Abneigung war gegenseitig. Sobald sie allein waren, machte Angela keinen Hehl daraus, dass sie Joanna verachtete, in Joshuas Gegenwart war sie jedoch immer höflich. Joanna hatte es für klüger gehalten, die Feindseligkeit der anderen Frau zu ignorieren, aber das hatte sie anscheinend nur noch mehr aufgebracht. Ja, sie konnte sich vorstellen, dass Angela Hailey seine Geliebte war. Und er hatte eine Schwäche für Rothaarige. Er war mit einer zusammen gewesen, als Joanna ihn zum ersten Mal gesehen hatte.

„Über einen Mann wie Joshua wird immer geredet“, sagte sie gelassen. „Die Hälfte seiner Patientinnen hätte gern eine Affäre mit ihm, und die andere Hälfte will ihn bemuttern. Wenn ich den ganzen Klatsch über ihn und andere Frauen glauben würde, wäre ich ein Nervenbündel.“

„Es ist unglaublich, wie kühl und gelassen du bist!“, brauste ihre Mutter auf. „Joshua hat wahrscheinlich eine stürmische Affäre mit Angela Hailey, und du lehnst dich zurück und leugnest es einfach!“

Joanna erwiderte den wütenden Blick ihrer Mutter ruhig. „Soll ich sagen, dass es stimmt? Wäre dir das lieber?“

„Wenn es stimmt, ja!“

„Frag Joshua und nicht mich. Heißt es nicht, die Ehefrau erfahre es als Letzte?“

„Ist es dir gleichgültig?“

„Natürlich nicht. Joshua ist mein Mann. Aber er wird mir nicht erzählen, dass er eine Affäre mit Angela hat, selbst dann nicht, wenn ich ihn frage. Was ich nicht tun werde.“

„So sehr vertraust du ihm?“

Nein, es interessierte sie so wenig! „Wir sind verheiratet“, sagte sie ausdruckslos. „Ich habe keinen Grund, zu glauben, dass sich daran etwas ändern wird.“ Ihre Stimme wurde schärfer. „Und wenn doch, erfährst du es als Erste, damit du zur Abwechslung einmal Jackie Simms mit Klatsch versorgen kannst!“

„Sei nicht respektlos, Joanna …“

„Die größte Klatschbase der Stadt glaubt, mein Mann sei mir untreu. Soll ich deswegen schreien und kreischen? Wärst du dann glücklich?“

„Ich denke an dein Glück. Deshalb habe ich es dir erzählt. Viele Männer gehen fremd. Auch dein Vater … Aber das steht auf einem anderen Blatt“, sagte Cora schnell, als Joanna plötzlich interessiert aussah. „Wenn die Ehefrau Bescheid weiß, hat sie die Chance, der Sache ein Ende zu machen.“

Wollte sie das? Kümmerte es sie noch, was Joshua tat? Joanna kannte die Antwort darauf nur zu gut. Ihre Mutter wäre entsetzt, wenn sie wüsste, was sie wirklich für Joshua empfand. „Ich muss los.“ Sie nahm die Rechnung. „Ich glaube, ich bin an der Reihe. Wir sehen uns nächste Woche.“

„Joanna …“

„Ja?“ Sie stand auf.

„Denk daran, was ich gesagt habe!“ Die Haltung ihrer Tochter beunruhigte Cora offensichtlich. „Joshua ist ein erfahrener, weltkluger Mann. Nimm es ihm nicht allzu übel, falls es stimmt. Ich bin sicher, es ist nur eine flüchtige Affäre. Oh, und ich gratuliere zum Buch.“

„Danke, Mutter“, erwiderte Joanna trocken. Der Glückwunsch war nichts weiter als ein nachträglicher Einfall.

Sie nahm ein Taxi zu dem vornehmen Haus in Belgravia, in dem Joshua und sie wohnten. Es wurde von der sehr tüchtigen Mrs. Barnaby geführt, die schon vor seiner Heirat für Joshua gearbeitet hatte. Sie sorgte unaufdringlich und methodisch dafür, dass alles seinen gewohnten Gang ging. Frühstück war immer um acht, das Mittagessen wurde immer um eins serviert, das Abendessen um Punkt halb acht. Alles war Tag und Nacht für Joanna bereit, das Haus war fleckenlos sauber … Und sie hasste es, von den Messingtürgriffen bis zum Kristalllüster im Wohnzimmer. Es war kein Heim, sondern ein Hotel. Ein sehr schönes Hotel, aber deshalb nicht weniger unpersönlich.

Sie nickte kühl dem Dienstmädchen zu, das ihr die Tür öffnete. Auf dem Tisch in der Eingangshalle stand eine Vase mit Nelken, die einen berauschenden Duft verströmten. Daneben lag die Post. Joanna sah sie flüchtig durch. Das meiste war für Joshua. Ein Brief an sie war dabei. Sie legte die Einladung zum Abendessen eines Kollegen von Joshua zurück auf den Stapel. Joshua würde entscheiden, ob sie hingehen würden oder nicht. Wahrscheinlich würde er zusagen.

„Irgendwelche Anrufe, Mrs. Barnaby?“, fragte Joanna die Haushälterin, die in diesem Moment mit einer Kanne Tee in der Hand aus der Küche kam.

„Nur von Mr. Radcliffe“, erwiderte die Frau, deren strenges Wesen sich vom Haarknoten bis zu den praktischen Schuhen in ihrem Aussehen widerspiegelte. „Er wird wie gewöhnlich um sieben hier sein.“

„Danke.“ Joanna schenkte sich eine Tasse Tee ein. „Ich nehme sie mit nach oben“, sagte sie und ignorierte Mrs. Barnabys missbilligenden Blick. Die Haushälterin sah es nicht gern, dass Getränke mit nach oben genommen wurden. Joanna war im Lauf der Jahre unempfänglich für diese Blicke geworden.

Ihr Schlafzimmer war ein wunderschönes Boudoir voller weißer und rosafarbener Spitze. Sogar das Himmelbett hatte weiße Spitzenvorhänge, die sie nachts zuziehen konnte. Schon als Kind hatte sie von so einem Raum geträumt. Obwohl sie von ihren Eltern immer alles bekommen hatte, was für Geld zu haben war, hatten sie ihr diesen Wunsch nicht erfüllt. So eine Einrichtung hatten sie für lächerlich gehalten. Joshua war bereit gewesen, ihr darin entgegenzukommen, hatte aber darauf bestanden, dass sein Schlaf- und das Badezimmer frei von solchen Kinkerlitzchen blieben.

Getrennte Schlafzimmer. Zuerst hatte Joanna es kaum glauben können. Er wolle sie nicht stören, wenn er nachts in die Klinik gerufen werde, hatte er behauptet. Jetzt war sie froh darüber. Sie könnte es nicht ertragen, jede Nacht mit ihm in einem Bett zu liegen.

Es war durchaus möglich, dass er in seiner vornehmen Praxis in der Harley Street eine Affäre mit seiner Sekretärin hatte. Joanna dachte daran, wie viel Zeit er dort verbrachte, und stellte sich das superelegante Sprechzimmer mit den Couches als Schauplatz vor. Ja, es war denkbar. Sie missbilligte nur, dass er Angela Hailey zur Geliebten gewählt hatte. So viele andere Frauen wären bereit gewesen, ein Verhältnis mit ihm anzufangen.

Um Punkt sieben hörte Joanna das leise Motorengeräusch des weißen Rolls-Royce. Sie überprüfte ihr Aussehen im Ganzfigurspiegel und horchte auf Joshuas tiefe Stimme, als er unten mit der Haushälterin sprach. Früher war sie abends die Treppe hinuntergelaufen und hatte ihn begrüßt, doch die Zeiten waren lange vorbei.

Sie zogen sich immer zum Essen um. An diesem Abend trug Joanna ein auf einer Seite schulterfreies, enges schwarzes Kleid und als Schmuck eine goldene Spange am nackten Oberarm. Sie war perfekt geschminkt und hatte das lockige blonde Haar offen gelassen. Kühl und gelassen aussehend, ging sie nach unten ins Wohnzimmer und wartete auf Joshua.

Fünfzehn Minuten später kam er herein. Sein Haar war noch feucht vom Duschen. Er trug einen maßgeschneiderten schwarzen Smoking, der seine breiten Schultern betonte. Joanna war in der Lage, ihn objektiv zu betrachten. Mit siebenunddreißig war Joshua wahrscheinlich noch immer der attraktivste Mann, den sie jemals gesehen hatte. Sein dichtes schwarzes Haar war an den Schläfen grau meliert, er hatte graue Augen, eine gerade Nase und ein energisches Kinn, das die Autorität verriet, die ihm zur zweiten Natur geworden war.

Er blickte sie ausdruckslos an. „Herzlichen Glückwunsch.“

Joanna erkannte, dass auch er sich seit ihrer Heirat vor fünf Jahren verändert hatte. Von dem Mann, den sie damals kennengelernt und zu dem sie sich sofort hingezogen gefühlt hatte, war kaum noch etwas übrig. Er machte den Eindruck eines Zynikers, und die Jahre hatten Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. War es möglich, dass er mit dieser Ehe ebenso unzufrieden war wie sie? Wenn er eine Affäre mit Angela hatte, dann war er es wohl, der sie angefangen hatte.

„Deine Mutter hat mich angerufen“, erklärte Joshua. Er schenkte sich einen Whisky ein und setzte sich Joanna gegenüber. „Sie hat mir das mit dem Buch erzählt. Du musst sehr stolz sein.“

„Ja.“

„Sie schien in Sorge um dich zu sein, Joanna.“ Joshua sah sie mit zusammengekniffenen Augen an.

Was für eine hinterhältige Methode, sich einzumischen! „Ich kann mir nicht denken, warum“, erwiderte sie kühl.

„Du bist blass …“

„Das kommt, weil ich Hunger habe.“ Sie stand auf. „Wollen wir essen?“

„Ja“, sagte er kurz angebunden und stand auch auf. Er überragte sie um dreißig Zentimeter.

Wo ist all sein Charme geblieben?, fragte sich Joanna in diesem Moment. Und zum ersten Mal bemerkte sie, dass er abgenommen hatte und fast hohlwangig aussah. Ja, auch Joshua war in dieser Ehe nicht glücklich.

Wie meistens war das Gespräch beim Essen schleppend und unpersönlich. Joshua fragte nach dem Buch, aber Joannas einsilbige Antworten waren nicht ermutigend. Er trank keinen Wein und lehnte auch den Brandy nach dem Dessert ab. Sie wusste, was das bedeutete.

„Ich muss noch einmal in die Klinik“, sagte er und stellte seine leere Kaffeetasse aufs Tablett.

„Ja.“

Er zögerte. „Was wirst du tun?“

„Früh ins Bett gehen. Ein Buch lesen.“ Joanna zuckte die Schultern. „Mach dir um mich keine Sorgen.“

Joshua runzelte die Stirn. „Aber ich mache mir Sorgen um dich. Du musst dich sehr einsam fühlen, wenn ich abends arbeite und du allein hier bist.“

„Nein“, sagte Joanna kühl. „Ich weiß mich zu beschäftigen.“

Er stand unvermittelt auf. „Ich ziehe mich um.“

Joanna entließ die Haushälterin bis zum Morgen und ging nach oben in ihr Schlafzimmer. Plötzlich hatte sie Lust auf ein langes Schaumbad. Sie zog sich aus, schlüpfte in ihren seidenen Morgenmantel und schminkte sich am Toilettentisch ab.

Einige Minuten später hörte sie Joshua das angrenzende Bad verlassen und ging hinein. Wie immer war alles sauber und ordentlich. Die Zahnpastatube lag genau am richtigen Platz und war sorgfältig vom unteren Ende her ausgedrückt.

Joanna drehte den Hahn an der Wanne auf und durchsuchte den Schrank, während das Wasser einlief. Dabei blieb sie mit dem Ärmel des Morgenmantels an einer Arzneiflasche hängen. Sie fiel hinunter und zerbrach auf dem Boden.

Sofort wurde die andere Tür aufgerissen. Joshua trug jetzt einen seiner hervorragend gearbeiteten dreiteiligen Anzüge und ein weißes Seidenhemd. „Beweg dich nicht“, sagte er scharf.

Seine Warnung kam jedoch zu spät. Dass er in das gemeinsame Badezimmer kam, während sie es benutzte, ließ sie unwillkürlich zurückweichen. Sie trat auf das Glas und schrie auf vor Schmerz, als sich eine Scherbe in ihre Fußsohle bohrte.

Autor

Carole Mortimer
<p>Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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