Schwerenöter küsst man nicht

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Debütantin Zara hat keinesfalls vor, sich auf diesem Sommerfest mit einem passenden Mann verkuppeln zu lassen. Da wirft sie sich lieber dem berüchtigten Schwerenöter Kael an den Hals. Aber ihr unschuldiger Flirt hat ungeahnte Folgen …


  • Erscheinungstag 23.09.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733719470
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Samstag, 14. Juni 1817

Brockmore Manor Hausparty

Programm

Willkommensfeier im großen Salon

Vorführung der weltberühmten russischen Artisten

„Die Fliegenden Vengarovs“

im großen Ballsaal

Das war also die Hausparty der Saison? Miss Zara Titus stand an der Seite ihrer Mutter im Bogengang und blickte in den eleganten Salon des Duke of Brockmore. Der große Raum war mit blauen Wandbehängen und maritimen Gemälden als „Ode an das Meer“ gestaltet. Zara ließ ihren Blick über die Menschen schweifen, die sich dort tummelten, und empfand eine starke Abneigung, die sie kaum verbergen konnte. Am liebsten wäre sie an irgendeinem anderen Ort, nur nicht hier. Tatsächlich hatte sie bis vor drei Wochen noch gedacht, dass sie auf dieser Party überhaupt nicht erscheinen müsste. Doch dann hatte Viscount Haymore ihr langjähriges Verlöbnis gelöst. Seit diesem Moment war alles anders geworden, sogar sie selbst hatte sich verändert. Sie wusste kaum noch, wer sie war und was sie wollte. Sie war nicht mehr vorteilhaft verlobt, die geplante Hochzeit an Weihnachten würde nie stattfinden. Plötzlich war sie nichts anderes als eine Debütantin, die bereits drei Saisons hinter sich hatte und noch keinen Heiratskandidaten vorweisen konnte.

Diese Party sollte das alles wieder in Ordnung bringen. Wenn sie es zuließ. Ihre früheren Träume passten irgendwie nicht mehr zu ihr. Nach Haymores Treuebruch fragte sie sich, ob es überhaupt ihre eigenen Träume gewesen waren. Inzwischen sehnte sie sich nach etwas ganz anderem – Eigenständigkeit. Sie wollte selbst entscheiden, welchen Weg ihr Leben nehmen sollte und mit wem sie ihn gehen würde. Falls sie überhaupt noch jemanden wollte. Diese Party brachte jedoch ihre noch unfertigen Pläne in Gefahr.

Oh, die Party machte einen ganz harmlosen Eindruck. Als sie den Salon betrat, stellte sie fest, dass die üblichen Akteure an den üblichen Orten saßen oder standen. Lady Verity Fairholme, die Nichte des Dukes, thronte in der Mitte des Salons. Umgeben von ihren Verehrern saß sie in einem zierlichen Sessel. Alles war perfekt arrangiert wie für ein Porträt. Zweifellos hatte sie ihr cremefarbenes Kleid mit den blauen Bordüren auf die Einrichtung des Salons abgestimmt. Diese Strategie, mit der sie die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf sich ziehen wollte, bemerkte Zara bei ihrer Rivalin nicht zum ersten Mal. Miss Florence Canby, ganz in Weiß gekleidet, saß in der Nähe der geöffneten Glastüren, die nach draußen führten. Sie war umgeben von Gentlemen, die angeblich wegen des kühlen Luftzugs dort standen. Vielleicht aber auch, weil das Gerücht kursierte, dass sie einen Mann tatsächlich küssen und noch mehr tun würde, wenn sie genug Champagner genossen hatte. Kein Wunder, dass Florence hier war, sie musste wirklich schnellstens heiraten.

Wie du selbst, meldete sich Zaras Gewissen. Sie hatte den anderen Mädchen nicht mehr viel voraus. Die anderen mochten nicht so hübsch sein wie sie, waren jedoch genauso reich und rangierten ebenso hoch in der Gesellschaft. Und aus welchen Gründen auch immer – sie hatten es genauso nötig wie sie, hier einen Gatten zu finden. Zara schob diese unguten Gedanken zur Seite. Sie gehörten zu der alten Zara, deren alte Träume sich wieder in den Vordergrund gedrängt hatten.

Es war für sie eine ziemlich beschämende Erkenntnis, dass sie so stolz auf ihren Status als Verlobte gewesen war. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte sie ihr Selbstwertgefühl an ihr Verlöbnis geknüpft, und jetzt war es nicht mehr da. Haymore hatte seine wahre Liebe gefunden, aber das war nicht sie gewesen. Ihn zu verlieren hatte wehgetan, doch das war wohl nur natürlich. Auf dieser Party wollte Zara unter Beweis stellen, wie sehr sie entschlossen war, ihre neuen Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Sie hoffte auf eine von ihr selbst bestimmte Zukunft, die nicht mehr von ihren wohlmeinenden Eltern gelenkt wurde.

Zara sah sich weiter im Salon um. Noch andere ihr bekannte Gesichter waren zugegen, darunter Jeremy Giltner, Douglas Brigstock und Jessamy Addington. Sie kannte die drei flüchtig und wusste, dass sie Protegés des Dukes waren. Außerdem entdeckte sie Lord Markham, der den Titel erst kürzlich geerbt hatte, und seine Schwester Catherine, die nach dem Trauerjahr für ihren Vater verspätet in die Saison gestartet war. Die hübschen Kilmun-Zwillinge, Cynthia und Cecily, standen in Veritys Nähe. Die schüchterne Miss Ariana Falk wurde begleitet von ihrer Mutter, die ein wahrer Drachen war. Mr. Melton Colter hatte leider die grässliche Angewohnheit, während des Essens sehr anschaulich über die Pferdezucht zu reden.

Auf den ersten Blick erschien dies wie die übliche Ansammlung von Mitgliedern der Londoner Oberschicht, dennoch war jeder Gast vom Duke selbst sorgfältig ausgewählt worden, und nur eine sehr naive Person konnte annehmen, dass es sich um eine normale Hausparty handelte. Jeder der Gäste wusste genau, worum es hier ging. Man konnte die Bedeutung dieser Party gar nicht hoch genug ansetzen. An diesem Ort kamen die unverheirateten Söhne und Töchter der angesehensten Familien ganz Englands zusammen. Der Silberfuchs, wie der Duke of Brockmore genannt wurde, sorgte gemeinsam mit seiner Duchess dafür, dass sich die jungen Leute hier zu prestigeträchtigen Ehen zusammenfanden. Bei diesen Eheschließungen ging es um hochrangige diplomatische Posten, einträgliche Ländereien, einflussreiche Parlamentssitze oder militärische Karrieren. Der Duke konnte das Vorankommen eines Gentlemans fördern oder dafür sorgen, dass eine Dame ein angenehmes und sicheres Leben in Reichtum führen konnte. Alles war möglich, wenn man die Vorgaben des Dukes befolgte und die von ihm geplante Verbindung einging. Sich nicht daran zu halten war undenkbar. Wer die Einladung zur Hausparty annahm, willigte damit zugleich ein, nach Brockmores Regeln zu spielen.

Zara Titus wollte sich aber nicht daran halten. Sie wollte keinen Mann heiraten, den sie erst eine Woche kannte, nur um ihr Gesicht zu wahren. Ihre Mutter, die unerschütterliche Viscountess Aberforth, sah das natürlich ganz anders. Ihrer Ansicht nach war Brockmore Manor genau der richtige Ort, um der feinen Gesellschaft zu beweisen, dass es nicht Haymore gewesen war, der die Verlobung gelöst hatte. Vielmehr konnte man zeigen, dass der Bruch auf Gegenseitigkeit beruhte, allerdings etwas mehr von Zara ausging. Zara konnte eine bessere Partie machen als den Viscount, doch ihr blieb nur eine Woche Zeit dafür. Sie musste sich mit einem Herrn von höherem Rang und größerem Vermögen als Haymore verloben. Während der letzten drei Wochen hatte Zara nichts anderes mehr zu hören bekommen.

„Kinn hoch, Schultern zurück, schau nach links, Augenkontakt mit unserem Gastgeber herstellen“, wies ihre Mutter sie leise, aber bestimmt an. Brockmore kam auf sie zu, um sie zu begrüßen. Er war ein stattlicher und gepflegter Gentleman mit silberfarbenem Haar, dem er seinen Spitznamen verdankte. Trotz seiner zweiundfünfzig Jahre war er noch im besten Mannesalter. „Ein- und ausatmen …“

mit einem Lächeln, beendete Zara im Kopf die Anweisung ihrer Mutter. Sie schaute sich mit strahlendem Gesicht im Salon um, ohne dass sie darüber nachdenken musste. Nach drei Jahren kannte sie diesen Ablauf genau und führte alles mühelos aus. Es war Routine für eine selbstsichere und schöne Dame, der es stets gelang, alle Anwesenden zu faszinieren. Drei Jahre lang hatte sie das getan, obwohl es zu der Zeit kaum von Bedeutung war, weil jeder wusste, dass sie Haymore heiraten würde. Nun war es wichtig für sie geworden, wenngleich nicht unbedingt aus den Gründen, die ihre Mutter annahm. Wenn ihre Mutter die Gedanken kennen würde, die ihrer sonst so pflichtbewussten Tochter durch den Kopf gingen, wäre sie sehr besorgt. Gute Mädchen taten, was man ihnen sagte, sie machten keine eigenen Erfahrungen. Zara beabsichtigte jedoch, gegen alles hier aufzubegehren – die Regeln, die Erwartungen, die erdrückenden Konventionen.

Obwohl sie wütend auf ihren ehemaligen Verlobten war, weil er sie verlassen hatte, wollte sie sich nicht an einen anderen Mann verkaufen, nur um sich an Haymore zu rächen. Eine Ehe war für immer, ein Skandal dauerte nur ein paar Wochen, bis wieder etwas Neues die Aufmerksamkeit des ton erregte. In London schwirrten immer viele Gerüchte umher.

In den drei Wochen nach der Trennung von Haymore hatte sie ziemlich viel über sich selbst gelernt. Dass sie ihn nie geliebt hatte, zum Beispiel. Sie hatte nur die angenehme Vorstellung genossen, dass er da war. Es war ja nie anders gewesen, denn Haymore war ihr schon fast ihr ganzes Leben lang versprochen. Jetzt wusste sie, dass sie auch allein stark sein konnte, denn sie hatte die ersten schlimmen Tage nach der Trennung und das niederträchtige Gerede darüber allein durchgestanden. Nun musste sie nicht mehr auf Haymores Ansichten und seinen gesellschaftlichen Rang Rücksicht nehmen. Ihre neu gewonnene Freiheit gefiel ihr.

Sie konnte ihre eigenen Entscheidungen treffen, wenn sie mutig genug war, dafür einzustehen. Haymore hatte den Mut dazu aufgebracht, also warum nicht auch sie? Warum sollte sie sich nicht auch ein bisschen Vergnügen gönnen, statt sich ständig alles vorschreiben zu lassen? Wie gern würde sie selbst entscheiden, ob sie überhaupt heiraten wollte, auch wen und wann. Sie wollte selbst bestimmen, wie und wo sie ihr Leben verbringen wollte, selbst wenn sie dabei die Grenzen der Londoner Gesellschaft überschritt.

„Wie aufregend, Darling. In diesem Moment ist dein zukünftiger Gatte in diesem Raum“, flüsterte ihre Mutter, als der Duke näher kam. „Vielleicht der flotte Mr. Giltner … oder der junge Lord Markham?“

Das war genau das, wovor Zara die größte Angst hatte. Sie bezweifelte, dass auch nur ein einziger Gentleman im Raum war, der ihr gestatten würde, auf Konventionen zu verzichten und ihr Leben frei zu gestalten. Dies war wahrscheinlich der Salon, der in ganz England dafür am wenigsten Chancen bot. Für eine junge Lady gab es keine andere Möglichkeit als die Heirat, wie ihre Mutter gern betonte. Es war wie eine Falle, die darauf wartete, über ihr zuzuschnappen.

Seit sie in die lange, von Eichen gesäumte Auffahrt nach Brockmore Manor eingebogen waren, hatte Zara tapfer versucht, den Mut nicht sinken zu lassen. Doch als der Duke sich jetzt charmant über ihre Hände beugte und so tat, als wüsste er nicht, warum sie hier waren, geriet sie beinah in Panik. „Miss Titus, es ist mir eine Ehre, Sie hier begrüßen zu dürfen.“ Eine Ehre? Nannte man so das vornehme Geschacher um eine kurzfristige Einladung? Zara wusste, dass sie hier nur teilnehmen durfte, weil ihr Vater seine Verbindungen hatte spielen lassen und zudem einen Gefallen von einer hochrangigen Persönlichkeit eingefordert hatte. „Erlauben Sie mir, Sie allen vorzustellen, obwohl ich sicher bin, dass Sie die meisten schon kennen.“ Der Duke legte väterlich seine Hand auf ihren Rücken und führte sie zu den verschiedenen Grüppchen, die im Salon standen. Ihre Mutter ging an seiner anderen Seite. Sie wirkte ruhig, vor allem aber äußerst zufrieden, so als wäre ihr Leben nicht vor Kurzem völlig durcheinandergeraten. Vielleicht war sie ja wirklich froh, hier zu sein. Für ihre Mutter und den Duke war alles nur ein Spiel. Alle Gäste waren lebende Schachfiguren, die auf dem Spielbrett der Gesellschaft hin- und hergeschoben wurden.

Zara wollte jedoch keine Spielfigur mehr sein. In dieser Woche würde sie Widerstand leisten. Je dringlicher ihre Mutter etwas von ihr verlangte, desto mehr würde sie es ablehnen. Am Ende würde sie eine gewisse Freiheit erlangen, und ihre Eltern müssten einsehen, dass sie von nun an ihre eigenen Entscheidungen treffen würde.

„Sie kennen natürlich meine Nichte.“ Der Duke strahlte, als sie sich Lady Verity näherten. Wie sollte sie sie nicht kennen? Seit Jahren konkurrierten sie darum, wer von beiden den Platz der schönsten jungen Lady in der Gesellschaft einnahm. Trotzdem lächelte Zara, küsste Veritys Wange und bewunderte ihr Kleid, so als seien sie die besten Freundinnen. So verhielten sich Rivalinnen nun einmal. Der Duke führte sie weiter zu den Downings, Catherine und ihrem Bruder Richard, dem neuen Lord Markham. In diesem Moment spürte sie etwas oder vielmehr spürte sie ihn.

Ein Mann beobachtete sie und folgte ihr mit seinen Blicken, während sie von einer Gruppe zur nächsten ging. Bald fiel es ihr schwer, sich auf die höfliche Konversation zu konzentrieren und vorzugeben, sie bemerke seine Aufmerksamkeit nicht. Bei der vierten Gruppe gab sie auf und wagte einen Blick zu ihm hinüber. Sie wusste sofort, welcher der Herren sie beobachtet hatte. Er stand bei dem exzentrischen Timothy Farthingale und dem Großhandelskaufmann Desmond Falkner, den beiden einzigen Gästen, die aus geschäftlichen Gründen hier waren – und nicht, um einen Ehepartner zu finden.

Er war verwegen in Aussehen und Auftreten. Neben den beiden kleineren Herren wirkte er groß. Das dunkle glänzende Haar hatte er straff zurückgekämmt, wodurch seine markanten Wangenknochen und die durchdringenden dunklen Augen betont wurden. In entsprechenden Kleidern und der passenden Umgebung könnte er leicht als Pirat durchgehen. Hier, in der Gesellschaft von lauter ehrbaren Leuten, hatte er etwas Animalisches. Er machte keinen Versuch, seinen Blick von ihr abzuwenden, sondern lächelte breit, als ihre Blicke sich begegneten. Zara wusste sofort Bescheid. Dieser Mann war kein Gentleman.

Er sah sie nicht nur an – er zog sie förmlich aus mit den Blicken. Plötzlich hatte Zara das Bedürfnis, sich Luft zuzufächeln, aber dies hatte nichts mit der Temperatur im Salon zu tun. Sie hielt ihren Fächer jedoch still, denn sie wollte ihm nicht die Genugtuung verschaffen zu sehen, dass seine Blicke durchaus eine gewisse Wirkung auf sie ausgeübt hatten. Zara beugte sich näher zum Duke. „Wer ist der Herr dort drüben?“ Sie wies nur mit den Augen zu ihm und bemühte sich, ihre Stimme unbeteiligt klingen zu lassen.

Der Duke lächelte freundlich und tätschelte ihre Hand. Er wechselte einen Blick mit ihrer Mutter. „Nur ein Besucher, meine Liebe. An den brauchen Sie keinen Gedanken zu verschwenden.“ Die Botschaft war deutlich. Das war genau die Art von Mann, die ihre Mutter ablehnte. Sie sollte ihn ignorieren. Also war er genau der Richtige für ihren Neuanfang.

Ohne es zu wissen, hatte der Duke leider die falschen Worte zu einer jungen Dame gesagt, die diese Woche nicht mit einem Verlobten beenden, sondern lieber ein wenig Unabhängigkeit ausprobieren wollte. Der Mann in der Ecke war mit einem Mal viel interessanter geworden als noch vor wenigen Augenblicken. Nun war er sogar regelrecht faszinierend. Zara klappte unauffällig ihren Fächer auf. Vielleicht war ein wenig Ermutigung ja doch angebracht.

2. KAPITEL

Kael Gage erkannte ein Katz-und-Maus-Spiel schon in den ersten Minuten. Er und die umwerfende brünette Frau in dem buttergelben Musselinkleid hatten einen Flirt begonnen, der eher einem temperamentvollen Schlagabtausch glich und bei dem jede Seite versuchte, die andere zu kontrollieren. Mit einer Bewegung der Augen oder dem Aufklappen eines Fächers wechselten die Rollen vom Jäger zum Gejagten und umgekehrt.

Der nächste Schritt musste von ihm ausgehen, aber er würde sich diesen genau überlegen. Zunächst einmal würde er so lange warten, bis sie sich fragte, ob er überhaupt noch reagieren würde. Wenn er zu rasch auf sie zukam, ging der erste Punkt an sie, während er wie ein zahmes Hündchen dastand. Das war uninteressant. Wenn ein Mann zu einfach zu gewinnen war, verloren die Frauen das Interesse an ihm. Der Schlüssel lag darin, sich ein wenig rarzumachen und erst nach und nach ihren Reizen zu erliegen.

Kael richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Unterhaltung zwischen Falkner und Farthingale, die durchaus interessant waren. Falkner in seiner dunklen und puritanisch schlichten Kleidung zweifelte gerade die Geschäftspraktiken des extravagant gekleideten Sir Timothy an. Es gab auch praktische Gründe dafür, die hübsche Dame in dem buttergelben Kleid jetzt noch nicht anzusprechen. Wenn er sich ihr näherte, solange der Duke und ihre Mutter neben ihr standen, würde er auf der Stelle abgewiesen werden.

Er musste keine Gedanken lesen können, um zu wissen, was Brockmore der hübschen Brünetten gerade zuflüsterte, oder die Bedeutung des scharfen Blicks zu erraten, den ihre Mutter in seine Richtung warf. Kael antwortete darauf mit einem Lächeln und zeigte ihnen damit, dass er sich ihrer Ablehnung bewusst war, sich jedoch keinen Deut darum scherte. In den zehn Jahren, die er schon in London lebte, hatte er bereits drei Ehrenhändel ausgefochten. Zwei davon waren mit Pistolen erfolgt. Im Morgengrauen hatte er dem möglichen Tod auf zwanzig Schritte in die Augen gesehen. Nach dieser Erfahrung ließ er sich von dem tadelnden Blick einer kupplerischen Mutter und dem Flüstern eines Dukes nicht so leicht einschüchtern.

Dennoch war zweifellos richtig, was sie der jungen Frau zuflüsterten. Er war tatsächlich ein Tunichtgut und gab sich gewöhnlich mit den falschen Damen ab – Opernsängerinnen, Schauspielerinnen, halbseidenen Damen und einer bestimmten Sorte von Frauen aus der Oberschicht, die heimlich ein wenig Vergnügen erleben wollten. Das alles konnte er nicht abstreiten. Er gab sich nicht nur mit ihnen ab – er verführte sie, ging mit ihnen ins Bett, gab sich den körperlichen Freuden mit ihnen hin. Aber das taten viele andere Männer auch, selbst verheiratete. Das Unverzeihliche bei ihm war wahrscheinlich, dass er es nie zu etwas Besserem bringen würde. Sein Stammbaum war nur ein Stumpf mit vielen abgebrochenen Zweigen. Sein Großvater war ein Earl, der zahlreiche leichtlebige Söhne gezeugt hatte. Es waren insgesamt sieben gewesen, von denen heute nur noch einer am Leben war. Leider war der alte Earl nicht imstande gewesen, ein entsprechendes Einkommen zu erzielen, sodass seine Söhne – einschließlich seines Vaters – sehen mussten, wo sie blieben.

Aus diesem Grund besaß Kael nicht mehr als sein gutes Aussehen und ein kleines Pferdegestüt in Sussex. Es bedeutete auch, dass er nur gut genug war für die Tochter eines Squires oder eines Landedelmannes, wie man ihm seit seinem achtzehnten Lebensjahr klargemacht hatte. Die Debütantinnen der oberen Gesellschaft flirteten zwar gern mit einem Mann wie ihm, doch heiraten würden sie ihn niemals. Dies zu begreifen war eine harte Lektion für ihn gewesen, egal wie hübsch die Lady war, die sie ihm beibrachte.

Nun war er dreißig Jahre alt und wusste sehr genau, dass ein Diamant erster Güte wie Miss Butterkleid ihn nur am Rande zur Kenntnis nahm. Aber das bewirkte bei ihm nur das Gegenteil, und er wollte sein Spiel umso lieber spielen. Um der Herausforderung willen – und weil er es konnte. Aus dem Wedeln ihres Fächers schloss er, dass sie es auch wollte. Sie war unzufrieden, das konnte er an ihrem Blick erkennen, obwohl sie es hinter einem selbstbewussten Lächeln verbarg. Ihre Kopfhaltung wirkte irgendwie trotzig, so als wollte sie nicht hier sein. Höchst interessant. Die meisten Damen würden einen Mord begehen, um an der Party teilnehmen zu dürfen. Dass diese eine Frau es nicht wollte, machte sie zu etwas Besonderem. Er wollte mehr über sie erfahren.

Anders als erwartet konnte diese Hausparty doch noch unterhaltsam werden. Es war nicht sein übliches Milieu, und er war lediglich hergekommen, um der Stadt für eine Weile zu entfliehen. Nur zu gern hatte er Jeremy Giltners Einladung angenommen, ihn zu begleiten, denn im Moment war es ihm in London etwas zu heiß. Das hatte allerdings nichts mit dem Wetter zu tun.

Kael wartete, bis am Abend die Vorführung der Fliegenden Vengarovs beendet war, bevor er wieder Kontakt aufnahm. Es war eine schillernde Vorstellung gewesen, die gute Laune verbreitete und die Fantasie anregte. Wahrscheinlich hatte ihr Gastgeber es genauso geplant, dachte Kael spöttisch. Der Silberfuchs überließ nichts dem Zufall. Die Akrobatin Katerina Vengarov war halb nackt über das im Ballsaal gespannte Hochseil getänzelt und hatte alle möglichen Fantasien in den Gehirnen der männlichen Zuschauer hervorgerufen. Ihr wohlproportionierter Bruder hatte vermutlich einen ähnlichen Eindruck bei den Damen hinterlassen.

Kaels schöne Brünette schlüpfte aus dem Ballsaal auf die Terrasse hinaus. Ihre Wangen waren gerötet von der Hitze und vielleicht noch von etwas anderem. Sie war den ganzen Abend unruhig gewesen. Er hatte sie beim Dinner beobachtet – ihre Augen glänzten zu sehr, und sie lachte zu gekünstelt. Außer ihm schien dies jedoch niemandem aufgefallen zu sein, wahrscheinlich, weil es außerhalb der Vorstellungskraft der anderen Gäste lag, dass jemand nicht hier sein wollte. Er hingegen verstand es sehr gut, besonders seit er wusste, wer sie war: Miss Zara Titus. Er hatte sich diskret nach ihr erkundigt – sie war Viscount Haymores Auserkorene oder sollte er „Nicht-Erkorene“ sagen? Dem Gerücht zufolge war die Trennung auf Gegenseitigkeit erfolgt, doch Kael hatte seine Zweifel. Oft wurde etwas gesellschaftlich angemessen formuliert, was aber nicht unbedingt der Wahrheit entsprach, sondern nur eine höfliche Version davon war. Das Mädchen war schön, sogar ganz bezaubernd schön, mit intelligenten haselnussbraunen Augen, üppigem, seidig glänzendem Haar und einer Figur, von der jede Schneiderin nur träumen konnte. Er hatte sie bisher in zwei Kleidern gesehen und in jedem sah sie fantastisch aus. Haymore musste den Verstand verloren haben, als er sie gehen ließ. Allerdings hatte er auch über Haymore Gerüchte gehört, die plausibel klangen.

Kael zählte bis fünf, dann schlich er sich hinaus in die kühle Nacht. Er sah sie sofort. Sie stand in einer Ecke der Terrasse, wo das Mondlicht ihr silberfarbenes Kleid besonders gut zur Geltung brachte. Ihre Haltung deutete jedoch darauf hin, dass sie allein sein wollte. Ah, trotzig und ruhelos. Eine nicht zu unterschätzende Kombination, die er selbst sehr gut kannte. Er war trotzig und ruhelos, seit er zwanzig war und Miss Ella Davison ihm mitgeteilt hatte, dass sie für ihn unerreichbar sei, obwohl sie sich sehr gern von ihm küssen ließ. In den zehn Jahren danach war es nur noch immer schlimmer geworden.

Kael lehnte sich gegen die steinerne Brüstung, von der aus man in den Garten schauen konnte. Er lächelte Zara abschätzend an und sah ihr so dreist in die Augen, dass eine schüchterne junge Dame wie Ariana Falk sofort in den Schutz des Ballsaales geflüchtet wäre. „Sie sind also Miss Zara Titus. Die Frau, die ihrem Verlobten den Laufpass gegeben hat.“

Sie zog die Augenbrauen leicht zusammen. Er bemerkte, dass sie mit den behandschuhten Händen die Brüstung etwas fester umfasste, aber sie hielt seinem Blick stand. Ihre Antwort zeigte hingegen deutlich, dass ihr seine Worte nicht gefallen hatten. „Wie grässlich, so etwas zu sagen.“

„Es ist nur ehrlich, es so auszudrücken“, erwiderte Kael langsam. „Es stimmt doch, nicht wahr? Sie haben Haymore doch sitzen lassen. Warum sollten wir es nicht deutlich sagen? Ich heiße übrigens Gage, Kael Gage.“

Sie straffte ihren Rücken, und aus ihren Augen schienen entzückende kleine Funken zu sprühen. „Sie glauben also, Ihr Name interessiert mich?“

Er lachte leise. „Oh ja, er interessiert Sie.“ Er warf einen auffälligen Blick auf den Fächer, der an ihrem Handgelenk hing. „Sie haben mich schließlich mehr oder weniger aufgefordert, zu Ihnen zu kommen.“ Er griff nach ihrer Hand und zeichnete mit der Fingerspitze Kreise auf ihre Handfläche, die sie auch durch den Handschuh hindurch spüren musste. Mit halb geschlossenen Lidern warf er ihr einen heißen Blick zu. „Ich weiß, was Sie wollen, Zara“, sagte er mit sehr leiser Stimme. „Wir sind dazu geschaffen zu fliegen. Warum hat unser werter Gastgeber wohl die Artisten eingeladen? Um unsere Sinne anzuregen und uns die Möglichkeiten zu zeigen, die uns offenstehen.“ Er zog ihre Hand an seine Wange und küsste sie. Er spürte den Puls an ihrem Handgelenk. „Sie wollen fliegen. Sie sind dazu geschaffen zu fliegen.“

Autor

Bronwyn Scott
<p>Bronwyn Scott ist der Künstlername von Nikki Poppen. Sie lebt an der Pazifikküste im Nordwesten der USA, wo sie Kommunikationstrainerin an einem kleinen College ist. Sie spielt gern Klavier und verbringt viel Zeit mit ihren drei Kindern. Kochen und waschen gehören absolut nicht zu ihren Leidenschaften, darum überlässt sie den...
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