Sehnsucht nach deinen wilden Küssen

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Fassungslos starrt Kat den heißen Typ an, mit dem sie eine leidenschaftliche Nacht verbrachte. Damals nannte Justin ihr einen falschen Namen. Nun stellt sich heraus, dass er der Erbe der Sunset Ranch ist - und leider immer noch unwiderstehlich. Kann Kat ihm diesmal trauen?


  • Erscheinungstag 09.05.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746766
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Seit drei Tagen war Justin Slade wieder zu Hause.

Er raste mit seinem Ford F-150 über den Highway. In dem Truck steckten so viele Pferdestärken, wie Zuchtpferde auf der Sunset Ranch weideten. Aus dem Radio tönte Luke Bryans neuester Country Hit. Eine Musik, bei der er normalerweise auf dem Lenkrad den Takt mitschlagen würde.

Heute Morgen hatte er jedoch weder an der Musik Freude, noch an dem blauen Himmel über Nevada oder am klaren und frischen Wetter, das schon auf den Winter hindeutete. Sein Magen zog sich zusammen bei dem Gedanken daran, was er vorhatte. Der Soldat in ihm hatte keine Zweifel daran, dass er das Richtige tat. Er musste Farbe bekennen. Um Matilda Applegates willen und für Brett.

Er schaltete das Radio aus.

Stille breitete sich aus.

Kalte Angst kroch in ihm hoch und ließ sich nicht abschütteln. Brett Applegate war tot. Justin trug die Schuld daran, und Bretts Tante, seine einzige lebende Verwandte, musste die Wahrheit erfahren.

Er drückte das Gaspedal durch. Schotter flog durch die Luft, als er durch die verlassenen, engen Straßen von Silver Springs raste. Das Ganze lag ihm wie ein Stein im Magen, und er wünschte, es wäre schon alles vorüber. Selbst die gefährlichste Mission in Afghanistan hatte ihn nicht so in Panik versetzt.

Justin schluckte zwei Talcid-Tabletten. In letzter Zeit ernährte er sich fast schon von diesen Dingern gegen Sodbrennen.

„In fünfzig Metern rechts abbiegen“, sagte die nette weibliche Stimme seines Navis.

Justin bog in einen staubigen Weg ein, der sich zu einem verwitterten Farmhaus schlängelte. Der vernachlässigte Zustand von Bretts Zuhause zeugte von der wirtschaftlichen Misere, unter der die Applegates seit Jahren litten. Brett hatte immer gesagt, dass sein Onkel Ralph einen Herzanfall bekommen würde, wenn er miterleben müsste, was mit seinem einst so schönen Haus passiert war.

Als Justin näherkam, bemerkte er einen Wagen, der offensichtlich eine Reifenpanne hatte. Eine Frau steckte den Kopf tief in den Kofferraum, ihr Hinterteil zeigte gen Himmel. Es war ein Bild, bei dem jeder Mann sofort anhalten und helfen würde.

Justin trat auf die Bremse, während er seinen Blick auf etwas richtete, das er lange nicht gesehen hatte: einen wunderschönen, perfekt geformten weiblichen Hintern. Der äußerst verführerische Anblick genügte, ihn zu erregen. Mann, nach neun Jahren bei der Armee war das nicht verwunderlich.

Er schluckte und kletterte aus seinem Truck. Der Schotter knirschte unter seinen Stiefeln, als er sich dem Wagen näherte. Während die Frau weiter im Kofferraum wühlte, rutschte ihre Seidenbluse hoch und gab den Blick auf seidige Haut frei. Mann, oh Mann.

„Lieber Himmel, was geht heute denn noch alles schief?“ Ihre Stimme war samtweich wie ein guter Whiskey.

Er räusperte sich und verfluchte seine Mutter im Stillen dafür, dass sie ihn zu einem höflichen Menschen erzogen hatte. Dann wandte er den Blick von dem wundervollen Po und konzentrierte sich auf das lockige, platinblonde Haar.

„Entschuldigen Sie. Kann ich Ihnen helfen?“

Sie schnellte hoch und stieß sich dabei den Kopf an der Kofferraumklappe. „Aua.“ Sie rieb sich die schmerzende Stelle. „Ich habe Sie nicht …“ Als sich ihre Blicke trafen, geriet die Bewegung ihrer Hand ins Stocken. Sie zog die Augenbrauen zusammen und schürzte die Lippen. „Oh.“

Die Frau war eine Wucht.

Eine aufflackernde Erinnerung riss ihn aus seinen lüsternen Gedanken.

Diese dunkelgrünen Augen, den Schmollmund und die Marilyn-Monroe-Haare hatte er schon einmal gesehen. Und er hätte seinen letzten Dollar darauf verwettet, dass er diese Frau niemals wiedersehen würde. Aber jetzt stand sie vor ihm. Auf Matilda Applegates Farm.

Er glaubte nicht an Zufälle. Und dieser war zu groß, um ihn zu ignorieren. Wieder machte sich sein Magen schmerzhaft bemerkbar. Vielleicht täuschte er sich, immerhin war es anderthalb Jahre her. Vielleicht hatte sie nur Ähnlichkeit mit der Frau, die er an jenem Wochenende in New York City kennengelernt hatte.

Justin nahm seinen Stetson ab. „Entschuldigen Sie, wenn ich Sie erschreckt habe, Miss.“

Einen Augenblick beäugte sie seine glänzenden schwarzen Stiefel, die silberne Gürtelschnalle und das braune Hemd mit offenem Kragen. Dann betrachtete sie sein Gesicht und blickte ihm tief in die Augen. Nachdenklich, die Hand immer noch in den platinblonden Locken, sah sie ihn an. Plötzlich kam ein atemloser Seufzer über ihre Lippen.

Diese Körpersprache war einzigartig. Sexy. Ungezwungen. Ehrlich. Und plötzlich war er sich sicher: Sie musste es sein. Seine Gedanken flogen zurück zu jener Nacht in der Golden Palace Bar.

„Ich gehe nicht mit einem Soldaten aus“, hatte sie zu ihm gesagt.

Er hatte trotzdem an ihrem Tisch Platz genommen und gelächelt. „Aber für mich machen Sie eine Ausnahme.“

„B-Brett? Bist du das?“

Die Hoffnung in ihrer Stimme verwirrte ihn und versetzte ihm im nächsten Moment einen Schock. Oh, Mann, das war nicht möglich. „Ich verstehe nicht“, sagte sie gerade. „Uns wurde gesagt … uns wurde gesagt, dass du tot bist. Dass du in einem Gefecht ums Leben gekommen bist. Oh, mein Gott, deine Tante Mattie wird so glücklich sein. Gab es eine Verwechslung? Was ist passiert?“

Er atmete tief ein, dann sah er weg und blinzelte in die helle Nachmittagssonne. Vollidiot. Er hasste sich für die Lüge und für das Leid, das er ihr mit der Wahrheit zufügen würde.

„Ich bin nicht Brett Applegate“, sagte er zu der Blondine.

Sie schürzte die Lippen und musterte ihn mit geneigtem Kopf. „Aber ich erinnere mich an dich. Erkennst du mich nicht? Ich bin Katherine Grady. Genannt Kat.“

Verdammt, ja. Er erinnerte sich an sie. Aber er hatte keine Ahnung, warum zum Teufel sie hier war, vor dem Haus der Applegates.

Stumm verfluchte Justin die Wette, die er mit Brett Applegate geschlossen hatte. Er hätte nie damit gerechnet, dass er beim Armdrücken gegen seinen Freund verlieren würde. Das war noch nie passiert. Doch Brett hatte ihn tatsächlich in drei von fünf Runden geschlagen. Kurz danach wurden sie ausgewählt, einen hochrangigen General zu einem dreitägigen Gipfeltreffen nach Washington, D. C., zu begleiten. Nachdem sie ihre Mission erfüllt hatten, gewährte der General ihnen einen Wochenendurlaub in New York, bevor sie wieder zu ihrem Einsatzort in Afghanistan zurückkehren mussten.

Der Wetteinsatz? Rollentausch am Wochenende.

Sie hatten ihre Taschen geleert, und der gute alte Brett hatte nur zu gern die Gelegenheit ergriffen, für ein paar Tage in Justins Haut zu schlüpfen. „Ich glaube, ich werde als Justin viel Spaß haben“, hatte er gesagt und sich mit einem breiten Grinsen Justins Kreditkarte und die siebenhundert Dollar Bargeld geschnappt.

Justin selbst hatte das wenige Geld, das Brett in der Tasche gehabt hatte, in eine Flasche Wein im Hotel investiert. Anschließend hatte Kat ihn in ihr kleines Zimmer mitgenommen. Er hatte Spaß gewollt. Sie auch, jedenfalls war er davon ausgegangen. Sie hatten Sex gehabt. Und dann war es kompliziert geworden.

„Ich erinnere mich, Süße.“

Ihr Blick wurde weich. „Niemand hat mich je so genannt, Brett.“

Justin zuckte zusammen. „Ich heiße nicht Brett. Ich bin Justin Slade, und ich wohne etwa zwanzig Meilen nördlich von hier. Brett und ich haben zusammen in der Armee gedient.“

Stumm öffnete sie den Mund. „Du bist Justin … Slade?“

Er nickte.

„Justin Slade von der Sunset Ranch?“

Er nickte wieder.

„Aber wir … du hast mir gesagt, dass du Brett Applegate heißt. Du warst Soldat, musstest wieder nach Übersee. Du hast so viel von Afghanistan erzählt … Du …“

Er zog eine Grimasse. Er war ein Mistkerl schlimmster Sorte. Er hatte das Vertrauen einer Frau ausgenutzt, etwas, was er nie zuvor getan hatte. „Ich habe gelogen.“

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu, und er konnte es ihr nicht verübeln. Es war eine idiotische Wette gewesen.

Sie schüttelte langsam den Kopf. „Oh, nein. Das ist nicht wahr.“

„Vielleicht können wir ins Haus gehen und uns dort unterhalten. Ich werde versuchen, alles zu erklären. Ist Matilda Applegate zu Hause?“

Sie schloss die Augen und hielt sie geschlossen, als würde sie im Stillen beten.

„Kat.“

Sie öffnete die Augen und blinzelte ein paar Mal. Dann sagte sie mit ruhiger Stimme. „Wir können nicht ins Haus.“

„Warum nicht?“

Die Haustür wurde quietschend geöffnet, und eine ältere Frau mit hellblonden Haaren trat auf die Veranda. Auf den Armen hielt sie ein Baby. Die Frau bewegte sich langsam, als berechnete sie jeden Schritt. Sie war stark geschminkt. Schwarzer Kajal und dunkelblauer Lidschatten ließen die lebhaften Augen dunkel erscheinen. Der fleckige Gesichtspuder betonte ihre Falten eher, statt sie zu verbergen. Aber die Freundlichkeit in ihren Augen war echt. Sie sah Justin an.

„Mir war, als hätte ich Stimmen gehört. Wen haben wir denn da?“

Das Baby warf einen Blick auf Justin, dann schlang es die Ärmchen fest um den Hals der älteren Frau. Sie drückte das Kind an sich und flüsterte beruhigend: „Connor, mein Kleiner, du musst keine Angst haben.“

Kat räusperte sich. „Tante Mattie, das ist Justin Slade.“

Die Frau zog die Augenbrauen zusammen. „Slade? Der Name kommt mir bekannt vor.“

„Ich war ein Freund von Brett. Ich bin gekommen, um mit Ihnen zu sprechen.“

Katherine Grady wusste mit schwierigen Situationen umzugehen. Sie war als einzige Tochter in einem gewalttätigen Zuhause aufgewachsen. Um ihrem aggressiven Vater zu entkommen, war sie mit ihrer Mutter von Frauenhaus zu Frauenhaus gezogen. So lebten sie immer auf der Flucht und immer von der Hand in den Mund.

Was sie aber aus dem Konzept brachte, war die Angst vor dem Unbekannten. Angst vor Momenten, in denen sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte.

Dies war ein solcher Moment.

Normalerweise konnte sie ihre Gefühle gut verstecken, doch jetzt schnürte ihr die Angst die Kehle zu und beschleunigte ihren Herzschlag. Sie zitterte am ganzen Körper. Konnte es möglich sein? Der Mann, den sie für Brett gehalten hatte, war Justin Slade? Du liebe Zeit! Sie konnte nicht fassen, dass sie dermaßen angelogen worden war. Doch jetzt war nicht der richtige Moment, sich damit auseinanderzusetzen. Ihre ganze Sorge galt Mattie. Die alte Dame durfte keinen gesundheitlichen Rückschlag erleiden.

Mattie lud Justin ins Haus ein, und er zögerte keine Sekunde. Er hielt die Tür auf und ließ den Frauen den Vortritt. Hinter ihm schlug die Tür mit dem gewohnten Knall zu. Kat zuckte zusammen. Ihre Nerven lagen so blank, dass sogar das vertraute Geräusch sie erschreckte. Lustig, vor ein paar Minuten war ihr größtes Problem noch der platte Reifen gewesen.

Eine Kleinigkeit verglichen mit der Szene, die sich gleich im Wohnzimmer von Tante Matties bescheidenem Haus abspielen würde. Kat wusste nicht, wie sie das drohende Unheil verhindern und Mattie vor der Wahrheit schützen konnte.

„Nehmen Sie Platz, junger Mann“, sagte Tante Mattie. „Auch ich muss mich setzen. Der kleine Connor kann ganz schön anstrengend sein. Und er ist schwer. Er wiegt jetzt fast zehn Kilo, nicht wahr, Kat?“

Sie nickte zögernd. Mit einem flauen Gefühl im Magen ließ sie sich auf einem farbenfrohen Sessel nieder. Tante Mattie setzte sich in ihren Lehnstuhl aus Wildleder, und Justin nahm auf dem Sofa Platz. Seinen Hut legte er neben sich, wobei er immer wieder zu Connor blickte.

„Entschuldigen Sie das Durcheinander“, sagte Tante Mattie. „Aber Kat ist dabei, hier Wunder zu vollbringen. Sie hat ein Händchen dafür, finden Sie nicht?“

Höflich sah Justin sich um. „Sieht nett und gemütlich aus“, sagte er.

Kat konnte immer noch nicht glauben, dass der Mann, der sich so höflich mit Mattie unterhielt, sie dermaßen belogen hatte. Warum? Warum hatte er nicht gesagt, wie er wirklich hieß?

„Sie sagen, Sie kennen meinen Neffen Brett?“

„Ja, Ma’am. Wir haben uns beim Militär kennengelernt. Als wir feststellten, dass wir beide aus diesem Teil von Nevada stammen und fast Nachbarn sind, haben wir uns angefreundet.“

Connor wurde ruhiger. Er drehte sich in Matties Armen. Kat traten Tränen in die Augen. Dies war ein ganz besonderer Moment, eine kurze, aber denkwürdige Zeitspanne.

Ihr Sohn lernte seinen Vater kennen.

„Sehen Sie nur, Connor wird langsam warm mit Ihnen. Er ist Bretts Sohn. Demnächst wird er ein Jahr alt.“

Kat senkte den Blick. Bei der Bedeutung des Augenblicks wurde ihr fast schwindelig, ihr Herz klopfte. Sie musste sich schnell etwas einfallen lassen, um Mattie zu schützen.

„Er ist dein Sohn?“, fragte Justin sie.

„Ja.“ Kat stand schnell auf und ging zu Mattie. „Ich nehme ihn, Tante Mattie. Du hast ihn fast den ganzen Morgen getragen. Du musst erschöpft sein.“

„Meine Arme schmerzen etwas. Ich bin halt nicht mehr die Jüngste“, sagte sie, als sie Connor vorsichtig seiner Mutter reichte. „Obwohl es auf dieser Welt nichts Schöneres gibt, als den kleinen Connor im Arm zu halten.“

Das Kind schlang seine Ärmchen um Kats Hals, und sie küsste es auf die zarte Wange, bevor sie sich zu Justin drehte. „Tante Mattie erholt sich gerade von einem Herzanfall. Die Nachricht von Bretts Tod war ein harter Schlag für sie.“

„Ich glaube, ich wäre gestorben“, warf Tante Mattie ein, „wenn Kat und Connor nicht gekommen wären. Dieser kleine Junge ist wie ein Engel, der vom Himmel geschickt wurde, um mein Leben zu retten.“

Justin erhob sich. Sein Blick wanderte von Kat zu Connor. Argwohn blitzte in seinen Augen auf. „Brett hat mir nie erzählt, dass er einen Sohn hat.“

Tante Mattie ergriff das Wort. „Weil er nichts von Connor gewusst hat. Kat ist hierhergekommen, um ihm endlich von dem Kind zu erzählen. Aber es war zu spät. Connor hat seinen Daddy nicht mehr kennengelernt. Seitdem lebt Kat hier und kümmert sich um mich.“

Justin sah Kat eindringlich an. „Du hast Brett nie gesagt, dass er einen Sohn hat?“

Tante Mattie machte ein besorgtes Gesicht. „Oh je, Liebes. Habe ich etwas Falsches gesagt?“

„Nein, alles gut, Tante Mattie“, sagte Kat leise. „Justin war ein Freund von Brett. Er kann die Wahrheit wissen.“ Sie starrte Justin an und hoffte, dass er verstand. Noch hatte sie nicht verdaut, dass sie so schändlich getäuscht worden war, und ihre Gefühle drohten sie zu überwältigen. Aber um Mattie Applegate kein weiteres Leid zuzufügen, wahrte sie den Schein. „Ich habe Brett in New York getroffen, und wir haben etwas Zeit miteinander verbracht. Nachdem ich feststellte, dass ich schwanger war, habe ich versucht, ihn in Übersee zu erreichen. Aber ich habe nie eine Antwort auf meinen Brief bekommen. Deshalb bin ich in der Stadt geblieben, habe meinen Sohn bekommen und dann wieder gearbeitet, bis … nun, bis ich eines Tages entschieden habe, nach Nevada zu fahren, um nach Brett zu suchen.“

Justin blickte auf den kleinen Jungen in ihren Armen, dann konzentrierte er sich wieder auf sie.

Kat verdrängte ihre Enttäuschung über den Mann, der sie bewusst belogen hatte. Schnell fuhr sie fort: „Ich habe Brett nicht gefunden, aber Tante Mattie.“ Kat drehte sich zu der alten Dame um. „Connor war die beste Medizin für sie. Ihr Gesundheitszustand hat sich so unglaublich verbessert, dass selbst die Ärzte sprachlos sind. Stimmt’s, Tante Mattie?“

Die alte Dame lehnte sich vor, nickte und bekreuzigte sich. „Es ist ein Wunder, ja. Connor ist ein Geschenk Gottes.“

Justin schloss für eine Sekunde die Augen, dann sah er Connor so besitzergreifend an, dass Kat flau im Magen wurde. „Ja, das ist es.“

Tante Mattie erhob sich mühsam. „Wo bleiben meine Manieren? Darf ich Ihnen ein Stück Kuchen anbieten? Kat hat heute Morgen Pfirsichkuchen gebacken. Ich setze auch Kaffee auf. Und dann können wir noch etwas über Brett sprechen.“

„Danke für die nette Einladung, aber ich habe heute keine Zeit“, sagte Justin bestimmt. „Bitte, bleiben Sie sitzen.“

Mattie machte ein enttäuschtes Gesicht. „Sie kommen aber wieder, nicht wahr? Ich möchte gern von Ihrer Freundschaft mit Brett hören.“

Justin schwieg. Sein Gefühl sagte ihm, dass Matties Situation ernst war, und er hielt den Mund. Als er Kat ansah, bemerkte er ihre Erleichterung. „Ich verspreche, dass ich wiederkomme.“ Er ging zu Tante Mattie und nahm die Hand der siebzigjährigen Frau. Sie hatte Brett Applegate aufgezogen, nachdem er seine Eltern im Alter von fünf Jahren auf tragische Weise bei einem Sturm verloren hatte.

„Das ist schön.“ Matties blaue Augen strahlten. Sie sah gleich zwanzig Jahre jünger aus. „Es macht mich sehr glücklich, einen von Bretts Freunden kennengelernt zu haben.“

„Die Freude ist ganz meinerseits, Ma’am. Brett hat ständig von seiner Tante Mattie erzählt. Und von Ihrem Pfirsichkuchen hat er so geschwärmt, dass allen Männern in unserer Einheit das Wasser im Mund zusammengelaufen ist.“

„Das höre ich gern. Wenn Sie das nächste Mal kommen, dann sorge ich dafür, dass Sie ein Stück bekommen.“

„Gern. Ich verspreche, schon bald zu kommen. Und dann reden wir über Brett.“ Justin nahm seinen Hut und ging zur Tür, wobei er Kat einen strengen Blick zuwarf. „Kat, wenn du mit nach draußen kommst und mir hilfst, dann wechsele ich dir den Reifen.“

„Ist das nicht nett?“, sagte Mattie und lehnte sich zurück.

Kat rang sich ein Lächeln ab. Die Autorität, die in seiner Stimme mitschwang, sagte ihr, dass dieser Offizier jemand war, mit dem man sich besser nicht anlegte. Aber je mehr sie darüber nachdachte, dass Justin Slade sie angelogen hatte, desto weniger konnte sie ihre Wut verdrängen. Sie wollte Antworten haben. „Ich bin gleich bei dir.“

Nachdem Justin das Zimmer verlassen hatte, gab sie Connor einen Kuss auf die Wange und setzte ihn in den Laufstall, der neben Matties Lehnstuhl stand.

„Ich passe auf ihn auf“, sagte Tante Mattie.

„Danke. Ich denke, es dauert nicht lange.“

Mattie schaute nachdenklich aus dem Fenster. „Er scheint mir ein netter junger Mann zu sein.“

Kat erstickte fast an ihrer Antwort. „Ja, scheint so.“

Dann ging sie nach draußen, um Justin Slade zur Rede zu stellen.

Justin stellte den Wagenheber auf den Boden und begann, Kats zehn Jahre alten Chevy aufzubocken. Kat beobachtete ihn aus sicherer Entfernung bei der Arbeit. Er hatte die Ärmel hochgekrempelt, das Gesicht war angespannt, kleine Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn.

Während sie ihn ansah, ließ sie noch einmal Revue passieren, was in New York geschehen war, und verstand, warum sie bei ihm ihre Regeln gebrochen hatte. Normalerweise ging sie weder mit Soldaten aus noch mit Männern, die sie in den Abgrund ziehen könnten, aus dem sie sich gerade herausgekämpft hatte. Sie war auf dem Weg nach oben und nichts würde sie aufhalten. Einmal hatte sie sich mit einem mittellosen jungen Mann eingelassen, und das hatte ihr nichts als Kummer gebracht. Aber Brett … oder besser Justin, war so charmant gewesen, dass sie eine Ausnahme gemacht hatte.

Damals war sie einsam gewesen und hatte sich nach einem echten Freund gesehnt. Und genau das war er zwei Tage lang gewesen. Sie hatte von ihrem Leben und dem Tod ihrer Mutter erzählt. Er hatte zugehört. Und er hatte sie verstanden. Er hatte nicht auf Sex gedrängt, hatte sie an jenem ersten Abend nicht angemacht. Ohne Klagen hatte er auf der Couch in ihrem Wohnzimmer geschlafen. Ohne Geld hatten sie die Stadt erobert und viel gelacht. Die ganze Zeit über hatte Kat gewusst, dass das Wochenende zu nichts führen würde. Kein noch so charmanter Mann konnte sie dazu bringen, ihren Traum aufzugeben. Sie würde sich nicht in einen mittellosen Farmer verlieben.

Justin kämpfte mit den eingerosteten Radmuttern. Nachdem er die erste gelöst hatte, setzte er sich auf die Fersen, blinzelte gegen die Sonne und warf Kat dann einen stechenden Blick zu. „Ist Connor mein Sohn?“

„Pst“, sagte sie und blickte zur Haustür. Hoffentlich war Mattie eingedöst. „Tante Mattie darf dich nicht hören.“

Justin löste die zweite Radmutter mit dem Sechskantschlüssel. „Mit wie vielen Männern hast du geschlafen, bevor und nachdem du mich kennengelernt hast?“

Mit einem, aber das würde sie ihm nicht sagen. Sie war sich sicher: Connors Vater war Brett Applegate … oder zumindest der Mann, den sie für Brett gehalten hatte. „Du hast mich angelogen. Du hast mir gesagt, du wärst Brett.“

Nachdem Justin sämtliche Radmuttern gelöst hatte, stand er auf und ging auf Kat zu. „Wie ernsthaft hast du versucht, Brett Applegate zu erreichen, nachdem du wusstest, dass du schwanger bist?“

Kat zuckte bei seinem Tonfall sichtlich zusammen. Er war entschlossen, die Wahrheit zu erfahren. Das war auch in ihrem Sinne, aber noch wichtiger war, Tante Mattie zu schützen. „Wir können hier nicht darüber sprechen. Du hast Tante Mattie gesehen. Die Frau hat in ihrem Leben genug Kummer gehabt. Sie ist gesundheitlich angeschlagen. Ich bin sicher, sie erleidet einen Rückschlag, wenn sie auch nur einen Fetzen unserer Unterhaltung auffängt.“

Er starrte sie aus seinen dunkelbraunen Augen an. Connors Augen. Als könnte er ihre Gedanken lesen, sagte er: „Das Kind hat meine Augen und meine dunklen Haare.“

Richtig. Die Ähnlichkeit zwischen Connor und Justin war nicht zu übersehen.

„Pst. Tante Mattie liebt Connor. Er hat ihr ein neues Leben geschenkt. Wir können nicht … wir können diese Unterhaltung jetzt nicht führen. Wenn du wirklich ein Freund von Brett warst, dann weißt du, wie sehr er sie geliebt hat. Er hätte nicht gewollt, dass sie verletzt wird. Und genau das passiert, wenn du …“

Justin verstand den Hinweis und sprach leiser. „Ich habe nicht vor, Bretts Tante wehzutun. Aber wenn dieser Junge mein Sohn ist, dann habe ich …“

„Bitte …“ Ihre Nerven lagen blank. Wieder blickte sie zur Tür. „Kapierst du es nicht? Ich werde hier nicht mit dir darüber sprechen.“

„Wir müssen reden, Kat. Sei um sieben bei mir auf der Sunset Ranch. Sie liegt zwanzig Meilen westlich von hier.“

Kat zuckte zusammen. Sie konnte nicht zu den Slades. Wenn sie jetzt auf der Sunset Ranch auftauchte, dann würde alles noch komplizierter. Aber das konnte sie Justin jetzt nicht erklären. „Ich kann nicht.“

„Warum nicht?“

„Wir treffen uns woanders. An einem neutralen Ort.“

Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich höre.“

„In Silver Springs gibt es ein kleines Café namens Blossom. Kennst du es?“

„Ich werde es finden. Wir treffen uns um sieben.“

„Acht. Ich muss Connor zuerst ins Bett bringen. Wir haben Rituale, dazu gehört, dass ich ihm jeden Abend vorlese. Danach schläft er schnell ein. Für Tante Mattie ist es einfacher, wenn er im Bett ist, wenn ich gehe.“

Justins Blick wurde weicher, als er von Connors Einschlafgewohnheiten hörte. Für einen kurzen Moment verspürte sie eine gewisse Erleichterung, dass ihr Sohn seinen Daddy nicht ganz verloren hatte. Dann wurde sein Blick wieder stechend. „Wenn du nicht kommst, dann komme ich hierher.“

„Ich werde dort sein. Auch ich will Antworten haben.“

„Du bekommst sie.“ Damit drehte er sich um und wechselte den Reifen.

Mit klopfendem Herzen ging Kat zurück ins Haus. Mattie war tatsächlich eingedöst. Gott sei Dank. Als der kleine Connor seine Mommy erblickte, zog er sich am Gitter seines Laufstalls hoch. Auf wackeligen Beinchen stand er da, und seine Augen funkelten vor Stolz über seine Leistung. Kat strahlte vor Liebe und ebensolchem Stolz.

Dein Daddy lebt, Connor. Und er ist reich und mächtig

Ihr wurde schwindelig bei dem Gedanken an die Folgen. Aber darüber durfte sie jetzt nicht nachdenken. Sie durfte Matties Wohlergehen nicht aus den Augen verlieren. Sie hatte keine Zweifel daran, dass Matilda Applegate einen Herzanfall erleiden würde, wenn sie die Wahrheit über Connor erfuhr. Kat durfte das nicht zulassen. Noch mehr Unglück hatte Mattie nicht verdient, und Kat würde tun, was in ihrer Macht stand, um sie zu schützen.

Sie hob Connor aus dem Laufstall und drückte ihn an sich. Zärtlich strich sie über die dunklen Locken ihres Sohnes.

Ein paar Minuten später, nachdem sie Justin hatte wegfahren hören, konnte sie endlich wieder gleichmäßig atmen.

2. KAPITEL

Justin biss die Zähne zusammen, als er das Grundstück der Applegates verließ. Kein Ausdruck war stark genug für die tiefe Erschütterung, die er verspürte. Er war gekommen, um Matilda zu erzählen, wie Brett ums Leben gekommen war, stattdessen hatte er herausgefunden, dass er einen Sohn hatte – einen süßen, dunkelhaarigen Jungen mit braunen Augen.

Mein Sohn.

Autor

Charlene Sands
<p>Alles begann damit, dass der Vater von Charlene Sands, ihr als Kind die schönsten, brillantesten und fantastischsten Geschichten erzählte. Er erfand Geschichten von plündernden Piraten, mächtigen Königen und Sagen von Helden und Rittern. In diesen Erzählungen war Charlene immer die Prinzessin, Königin oder Heldin um die gekämpft oder die gerettet...
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