Sie wetten gefährlich, Mylord!

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"Zehntausend Pfund für denjenigen, der die Tatham-Erbin verführt!" Für Richard Arrandale, ein Gentleman mit berüchtigtem Ruf, ist die Wette ebenso skandalös wie reizvoll - bis er die Anstandsdame der blutjungen reichen Ellen Tatham kennenlernt. Denn die verwitwete Lady Phyllida scheint zwar entschlossen, die Unschuld ihrer Stieftochter um jeden Preis zu bewahren. Aber sie ist auch betörend schön! Plötzlich geht es für Richard um mehr. Einerseits könnte er bei der pikanten Wette ein Vermögen gewinnen. Andererseits will er die stolze Phyllida …


  • Erscheinungstag 28.07.2020
  • Bandnummer 605
  • ISBN / Artikelnummer 9783733748234
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Richard Arrandale weilte kaum zwei Wochen in Bath, da bereute er schon seine Zusage, hier auszuharren. Die Stadt war im August nicht nur heiß und staubig, sondern auch sterbenslangweilig für jemanden, der ein turbulentes Gesellschaftsleben gewöhnt war. Er dachte an all die Einladungen, die sich auf dem Kaminsims seines Londoner Domizils reihten, darunter die einer rassigen Rothaarigen, die ihn schon seit einiger Zeit zu ködern versuchte. Sie wollte, dass er den September mit ihr auf einer Hausgesellschaft in Leicestershire verbrachte, und hatte ihm eine erfolgreiche Jagd sowie abendliche Unterhaltungen in Aussicht gestellt, die mehr nach seinem Geschmack waren als alles, was das biedere, grundanständige Bath zu bieten hatte.

Daran hegte er keinerlei Zweifel, doch er hatte seiner Großtante Sophia, der Dowager Marchioness of Hune, sein Wort gegeben, in Bath zu bleiben, bis sie wieder wohlauf wäre. Und wenn er bis in den Herbst hinein hier festsäße, er würde sein Versprechen halten. Sophia war die Einzige gewesen, die ihm in seiner dunkelsten Stunde beigestanden hatte, als der Rest der Welt sich gegen ihn verschworen zu haben schien. Und nun, da sie ihn brauchte, würde er sie nicht im Stich lassen.

Sie erwartete nicht von ihm, immerzu um sie herumzuscharwenzeln. Es genügte ihr, ihn allmorgendlich zu sehen, bevor sie mit ihrer Pflegerin zu den Thermalquellen aufbrach, und gelegentlich mit ihm in ihrem Haus am Royal Crescent zu dinieren. Ansonsten stand es ihm frei, sich zu amüsieren, weshalb er den heutigen Abend beim Hasardspiel in einer kleinen, exklusiven Spielhölle verbrachte. Von außen unterschied sich das schmale Gebäude in der Union Street nicht von seinen Nachbarn. Im Erdgeschoss befand sich ein Tabakladen, doch in den oberen Stockwerken wurden die Vorhänge kaum je geöffnet, da der Inhaber, ein gewisser Mr. Elias Burton, seine Kundschaft nicht abzulenken gedachte, indem er ihnen auch nur den kleinsten Hinweis auf die Tageszeit lieferte.

Richard leerte sein Weinglas, ehe er die Würfel über den grün bespannten Spieltisch rollen ließ.

„Sieben“, rief Henry Fullingham und beugte sich vor, um die Elfenbeinwürfel kurzsichtig anzublinzeln. „Einen ‚Main‘ gleich beim ersten Wurf schafft auch nur Arrandale.“

„Tja, ich wette jedenfalls nicht darauf, dass ihm keine zweite Sieben gelingt“, meinte George Cromby lachend. „Er hat heute eine Glückssträhne.“

Richard sagte nichts, sondern griff nach seinem Glas, das von einem wartenden Kellner aufgefüllt worden war, kaum dass er es abgesetzt hatte.

„Ich auch nicht“, brummte ein dürrer, säuerlich dreinblickender Gentleman in grünem Gehrock. „Glück nennen Sie das? Davon hat er ein wenig zu viel.“

Angespanntes Schweigen senkte sich über den Tisch. Richard klaubte die Würfel auf und wog sie in der Hand, den Blick fest auf den Sprecher gerichtet.

„Was wollen Sie damit sagen, Tesford?“, fragte er gefährlich leise.

Fullingham lachte nervös. „Oh, er will gar nichts sagen. Aus ihm spricht der Alkohol.“

Richard sah sich um. Sie spielten seit Stunden, und der Wein floss in Strömen. Tesfords Gesicht war gerötet, und seine Augen glänzten fiebrig, während er ihn über den Tisch hinweg angriffslustig anfunkelte. Kurz erwog Richard, einen Streit vom Zaun zu brechen. Immerhin stellte dieser Kerl seine Ehre infrage. Und ein Duell mochte sich als probates Mittel gegen die Langeweile erweisen.

„Nun, ich werde einen Einsatz wagen“, verkündete Fullingham munter. „Na los, Arrandale, würfeln Sie, wir alle warten!“

Zustimmendes Gemurmel erhob sich. Während gesetzt wurde, tat Richard die Provokation Tesfords ab. Jeder hier sprach großzügig dem Alkohol zu, und da offenkundig war, dass Tesford zu tief ins Glas geschaut hatte, wäre es unangemessen gewesen, ihn zu fordern. Er ließ die Würfel rollen.

„Teufel auch!“ Fullingham lachte hörbar erleichtert. „Er hat verloren.“

Richard lächelte. Die Kunst des Hasards bestand darin, die eigenen Gewinnchancen richtig einzuschätzen. Das beherrschte er, was jedoch nicht hieß, dass die Würfel nicht dann und wann gegen ihn waren. Er verlor nicht gern, trug es jedoch mit Fassung.

Nach einer weiteren Stunde des Würfelns war er um einiges reicher als bei seiner Ankunft.

Er war ein Spieler, aber er wusste, wann er aufhören sollte. Soeben strich Richard seinen Gewinn ein, als eine Schar junger Burschen lärmend hereinplatzte. In ihrer Mitte erspähte Richard einen modisch gewandeten Herrn, etwas älter als dessen Gefährten, in dem er Sir Charles Urmston erkannte.

„Die kommen bestimmt von einer Veranstaltung in den Assembly Rooms “, bemerkte Cromby, der sich ebenfalls umgeschaut hatte. Er hob eine Hand und winkte die Gruppe herbei. „Was gibt es Neues, Gentlemen? Wie ich sehe, ist der junge Peterson nicht mit von der Partie. Sollte er die holde Lady Heston tatsächlich erobert haben?“

„Aye“, erwiderte Sir Charles und nickte zustimmend. „Er geleitet sie heim.“

„Dann sehen wir ihn vor dem Morgengrauen nicht wieder.“ Cromby lachte leise.

„Es gibt weitere Neuigkeiten“, verkündete ein rotgesichtiger Jüngling, der an den Tisch getreten war. „Eine neue Erbin kommt nach Bath!“

„Hoffen Sie darauf, durch sie Ihr Vermögen aufstocken zu können, Naismith?“, fragte Sir Charles gedehnt. „Ich bezweifle, dass die Dame Sie auch nur eines Blickes würdigen wird.“

Das Gesicht des jungen Mr. Naismith nahm einen noch dunkleren Ton an.

„Wenigstens wäre ich ihr ein treuer Gatte, Urmston“, konterte er. „Die ganze Welt weiß, dass Sie Ihre verstorbene Frau betrogen haben.“

Alle lachten, doch Richard sah flüchtig Verärgerung die Miene des Älteren verdunkeln.

„Also, wer ist diese neue Erbin?“, wollte Fullingham wissen. „Ist sie jung, alt, eine Schönheit?“

„Jung ist sie auf jeden Fall, aber über ihr Aussehen weiß niemand Genaues“, erklärte Mr. Naismith. „Sie ist die Tochter des verblichenen Sir Evelyn Tatham und soll bis zu ihrem Debüt nächstes Jahr bei ihrer Stiefmutter Lady Phyllida Tatham leben.“

„Eine Jungfrau, frisch von der Schulbank“, murmelte Sir Charles. „Ein Pfläumchen, das gepflückt werden will.“

Die Stirn gerunzelt, trommelte Cromby mit den Fingern auf den Tisch. „Ich erinnere mich an den alten Tatham. Ein Neureicher. Hat sich den Titel erkauft, nachdem er in Indien ein Vermögen gemacht hat.“

Mr. Naismith winkte ab. „Das kümmert keinen mehr. Worauf es ankommt, ist, dass sie als sein einziges Kind alles erbt!“

„Somit könnte sie aussehen wie eine preisgekrönte Sau und würde dennoch Freier anziehen“, warf Tesford ein und leerte sein Glas.

Sir Charles trug dem Kellner auf, ihnen mehr Wein zu bringen.

„Es wäre eine Schande, sich nicht um eine solch fette Beute in Bath zu bemühen“, sagte er versonnen.

Cromby grinste. „In der Tat. Wäre ich nicht verheiratet, würde ich mich beteiligen.“

„Wenn sie so wohlhabend ist, dürfte sie streng bewacht werden“, gab Fullingham zu bedenken. „Ihre Vormünder werden ein scharfes Auge darauf haben, dass sie keinem Mitgiftjäger in die Hände fällt.“

„Es gibt Wege, sich einen Vormund gewogen zu machen“, hielt Sir Charles dagegen, wobei er sein Monokel polierte. „Sollte besagte Erbin beispielsweise ihre Unschuld verlieren …“

„Natürlich“, rief der junge Naismith. „In dem Fall würde man sie schnellstmöglich unter die Haube bringen wollen.“

„Wie wäre es mit einer kleinen Wette darum, wer von uns die Erbin heiraten wird?“

Cromby schlug auf den Tisch und schaute triefäugig auf. „Nein, nein, Urmston, das ist ungerecht gegenüber denen, die bereits das Ehejoch tragen.“

„Also schön, sofern Sie alle mitspielen möchten, sollten wir darauf wetten, wer sie als Erster verführt“, schlug Sir Charles vor.

„Viel besser“, erwiderte Cromby zustimmend und lachte übermäßig laut. „So können wir alle unser Glück versuchen.“

Fullingham hob eine Hand. „Aber es muss Zeugen geben – zum Beispiel einen glaubwürdigen Diener, der den Sieg bestätigt.“

„Das versteht sich.“ Urmston lächelte. „Ober, bitten Sie Burton, das Wettbuch zu bringen, damit wir die Wette niederschreiben können.“ Unter gesenkten Lidern hervor musterte er die Runde. „Es gibt einen unter uns, der noch nicht zugestimmt hat, obwohl er in London den Ruf eines Frauenhelden genießt. Was sagen Sie, Arrandale? Ich dachte, Sie würden sich begeistert in dieses kleine Abenteuer stürzen.“

Richard ließ sich seinen Abscheu nicht anmerken.

„Ich mache mir nichts daraus, unschuldige Mädchen zu verführen. Ich bevorzuge erfahrene Frauen.“

„Ha, anderer Männer Gattinnen.“

„Nicht unbedingt, solange die Betreffende nicht von mir erwartet, sie zu ehelichen.“

Die nonchalante Entgegnung wurde mit Gelächter belohnt.

„Wie bitte, Mann?“, entfuhr es George Cromby. „Hinterlassen Sie in London etwa nicht auf Schritt und Tritt gebrochene Herzen?“

„Nicht dass ich wüsste.“

„Besser, er bleibt außen vor“, verkündete Fullingham fröhlich. „Er ist ein solch attraktiver Bursche, dass ihm keine Dame widerstehen kann. Wir Übrigen hätten keine Chance!“

„Mir jedenfalls ist nicht zu Ohren gekommen, dass er sich auf eine Liaison eingelassen hätte, seit er in Bath ist“, murmelte Sir Charles und ließ sein Monokel hin und her pendeln. „Womöglich sind Sie geläutert, Arrandale.“

„Womöglich bin ich das“, entgegnete Richard unbewegt.

„Vielleicht scheuen Sie sich im Fall unserer Wette aber auch, gegen den besseren Mann zu verlieren.“

Richard verzog die Lippen. „Wohl kaum.“

„Warum nehmen Sie dann nicht teil?“, drängte Fullingham. „Sie sind ledig. Sollte das Mädchen Gefallen an Ihnen finden, spräche nichts gegen eine Heirat. Erzählen Sie mir nicht, eine vermögende Braut wäre nicht in Ihrem Sinne.“

Schweigend lehnte sich Richard auf seinem Stuhl zurück. Als Zweitgeborener hätte er sich tatsächlich eine reiche Braut suchen sollen, doch die desaströse Ehe seines Bruders hatte ihm das Heiraten vergällt. Er war entschlossen, so lange wie möglich Junggeselle zu bleiben.

Er konnte sich glücklich schätzen, Brookthorn Manor von seinem Patenonkel geerbt zu haben. Es war ein solides Anwesen in Hampshire mit reichlich Land. Ohne die Erträge hätte er sich längst eine Anstellung suchen müssen. Brookthorn machte ihn unabhängig, wenngleich ihm klar war, dass es ihm seinen Lebenswandel nicht mehr lange würde finanzieren können. Das Anwesen musste gewissenhaft verwaltet werden, und wann wären die Arrandales darin je gut gewesen? Ihr Name stand für Skandale und Katastrophen.

Sir Charles hatte sich vor ihm aufgebaut, ein verhaltenes Hohnlächeln im Gesicht. Leise sagte er: „Ich setze eintausend Pfund darauf, dass ich mir die Erbin vor Ihnen angeln kann, Arrandale.“

Erstaunt sah Richard auf. „Eine private Wette, Urmston? Nein danke.“

„Auch gut.“ Sir Charles schaute in die Runde. „Wir sind elf.“ Er winkte dem wartenden Inhaber des Etablissements, ihm Wettbuch, Schreibfeder und Tinte zu bringen. „Wie viel, was meinen Sie? Fünfhundert Pfund pro Kopf?“

„Was schwebt Ihnen vor, Urmston?“, hakte Tesford nach.

„Jeder von uns setzt fünfhundert Pfund darauf, dass er Miss Tatham als Erster verführt. Burton soll das Geld verwahren, bis einem von uns Erfolg beschieden ist.“

„Famos! Aber wir sollten eine Frist festlegen, Urmston“, rief Henry Fullingham ein wenig lallend. „Wir können das ja nicht end… endlos laufen lassen.“

„Einverstanden.“ Urmston blickte sich um. „Sagen wir, bis zum Quartalstag?“

„Michaeli.“ George Cromby nickte. „Gut ein Monat. Bis dahin sollte einer von uns Erfolg haben.“

„Abgemacht. Fünftausend Pfund für denjenigen, der die Erbin bis zum neunundzwanzigsten September verführen kann. Und als Dreingabe die Chance für uns Junggesellen, sie zu ehelichen.“

Cromby lachte. „Und sollte ich gewinnen …“

„Wäre uns Ledigen der Weg geebnet, sie zu erbeuten“, beendete Tesford den Satz. „Ihre Familie wäre sogar dankbar dafür. Bei Jupiter, welch fabelhafte Idee. Ich habe nichts gegen Ware aus zweiter Hand, sofern sie mit einem Geldsegen einhergeht.“

„Ganz recht.“ Urmston legte das Buch auf den Tisch und schrieb rasch die Konditionen nieder.

„Nun, Arrandale, was meinen Sie? Reizen fünftausend Pfund Sie nicht? Oder kneifen Sie lieber wie Ihr Bruder?“

Jäh wurde es totenstill am Tisch. Nicht einmal durch ein Wimpernzucken ließ Richard erkennen, wie sehr die Bemerkung ihn aufbrachte. Ein spöttisches Grinsen umspielte Urmstons Mund, einer Provokation gleich. Richard betrachtete den Haufen Goldmünzen vor sich auf dem Tisch. Eintausend Pfund. Er hatte sie in die dringend erforderliche Instandhaltung von Brookthorn Manor stecken wollen, aber zum Teufel, er würde es Urmston zeigen! Er schob seinen Gewinn zurück in die Tischmitte.

„Verdoppeln wir den Einsatz.“

Das angespannte Schweigen wurde durch Keuchen und unterdrückte Ausrufe gebrochen. Der ein oder andere schüttelte den Kopf, aber niemand ging.

„Gut denn, eintausend Pfund pro Kopf.“ Urmston korrigierte die Bedingungen und hielt Richard die Schreibfeder hin. „Das ergibt einen Gewinn von zehntausend Pfund, Arrandale.“

Richard nahm die Feder, tauchte sie in die Tinte und fügte seinen Namen denen der anderen hinzu.

„Zehntausend“, wiederholte er. „Alles oder nichts.“

„Fertig.“

Lady Phyllida Tatham stellte die kleine Blumenvase auf den Kaminsims und trat zurück, um sie zu begutachten. Sie hatte den Mietvertrag für das Haus erst Anfang des Monats unterzeichnet und war seitdem damit beschäftigt gewesen, es nach ihren Vorstellungen umzugestalten. Dieses zur Straße hinausgehende Schlafzimmer war der letzte Raum gewesen. Trotz des offenen Fensters hing ein schwacher Farbgeruch in der Luft, der hoffentlich nicht allzu aufdringlich war. Das vormals triste Zimmer war nunmehr bezaubernd dank des cremeweißen Anstrichs von Täfelung und Decke sowie neuer gelber Chintz-Vorhänge mit Blumenmuster an Bett und Fenstern. Den Fußboden zierten neue farblich passende Teppiche und Läufer. Lächelnd staubte Phyllida sich die Hände ab, zufrieden mit ihrem Werk.

Ein solches Zimmer hätte sie sich selbst kurz vor ihrem Debüt gewünscht, und sie hoffte, es werde ihre Stieftochter ebenfalls ansprechen. Ellen war derzeit auf dem Weg hierher, um nach dem Besuch des exklusiven Mädchenpensionats in Kent bei ihr in Bath zu leben. Beide Seiten der Familie hatten Bedenken ob dieses Arrangements geäußert. Ihre Schwester hatte ihrer Sorge lediglich in einem Brief Ausdruck verliehen und gefragt, ob sie wisse, wie anstrengend es sei, ein temperamentvolles Mädchen zu hüten, das gerade einmal knapp sieben Jahre jünger sei als sie? Walter, der Bruder ihres verstorbenen Mannes, war unverblümter gewesen. Er war persönlich nach Bath geeilt und hatte ihr Vorhaltungen gemacht.

„Meine liebe Schwägerin, du hast keine Ahnung, worauf du dich einlässt“, hatte er ihr auf seine wichtigtuerische Art beschieden. „Kapriziös war meine Nichte schon immer, doch nun mit siebzehn ist sie nicht mehr zu bändigen. Was Bridget und ich über ihr Betragen im Pensionat gehört haben, ist schockierend!“

„Gewiss, sie ist lebhaft …“

„Lebhaft!“, fiel er ihr ins Wort, sein hageres Gesicht vor Missbilligung verzerrt. „Sie ist gar davongelaufen!“

„Nein, nein, da bist du falsch unterrichtet“, hielt sie beschwichtigend dagegen. „Ellen und ihre Freundinnen haben sich bloß zum Mai-Jahrmarkt gestohlen und waren vor Einbruch der Dunkelheit zurück.“

„Aber es ist kein Geheimnis, wer sie alle zu dieser Kapriole angestiftet hat! Du heißt doch nicht etwa gut, dass sie ohne Anstandsdame durch die Straßen zieht?“

„Keineswegs, aber zum Glück ist ihr nichts geschehen, wie Mrs. Ackroyd sich beeilt hat, uns mitzuteilen.“

„So wie sie sich beeilt hat, uns mitzuteilen, dass sie Ellen nicht länger in ihrer Schule behalten könne.“

„Nur weil der Gutsherr ein … ein übermäßiges Faible für Ellen entwickelt hat und zu den unmöglichsten Zeiten vorstellig wird.“

„Und Ellen hat ihn ermutigt!“

„Nein, sie hat mir in einem Brief versichert, dass sie ihm lediglich zugestanden habe, sie von der Kirche zurück zum Pensionat zu begleiten.“

„Nach der Abendmesse. Als es schon dämmerte, und nicht einmal ein Dienstbote war dabei.“

Phyllida runzelte die Stirn. „Woher um alles in der Welt weißt du all dies? Ah, natürlich.“ Ihre Stirn glättete sich. „Bridgets Busenfreundin Lady Lingford hat eine Tochter, die ebenfalls Mrs. Ackroyds Bildungsstätte besucht, richtig? Bernice.“ Sie nickte. „Ich entsinne mich, dass Ellen mir von ihr erzählt hat, als sie über Weihnachten auf Tatham Park war. Ein grässliches Plappermaul hat sie sie genannt.“

„Wie ich an die Informationen gelangt bin, tut nichts zur Sache“, erwiderte Walter steif. „Fest steht: Wenn nicht einmal Mrs. Ackroyd, eine gestandene Lehrerin, das Mädchen zu bändigen vermag, wie stehen dann deine Chancen? Tut mir leid, wenn ich unumwunden spreche, werte Schwägerin, aber mein Bruder hat dich zu sehr von der Welt abgeschirmt. Du bist zu unschuldig und naiv, um meine Nichte zu beaufsichtigen.“

„Ich bedaure, dass du dies so siehst, Walter, aber Sir Evelyn hat Ellen allein mir anvertraut, und ich werde sie zu mir nehmen, bis sie nächstes Jahr von meiner Schwester in die Gesellschaft eingeführt wird. Keine Sorge, ich bin durchaus fähig, mich um sie zu kümmern.“

Als sie dies zu ihrem Schwager gesagt hatte, war sie guter Dinge gewesen, doch jetzt, da Ellen bald eintreffen würde, kamen ihr Zweifel. War es töricht gewesen, Ellen zu überreden, zu ihr zu ziehen? Seit Sir Evelyns Tod vor einem Jahr hatte Phyllida sich zutiefst einsam gefühlt, da sie zurückgezogen gelebt und nur eine ältere Verwandte als Gesellschaft gehabt hatte. Schlimmer noch, sie hatte sich gelangweilt. Ihr war nicht bewusst gewesen, wie sehr sie das Leben vermissen würde, das sie als Gattin von Sir Evelyn Tatham geführt hatte. Sie war die Ehe mit einigem Bangen und wenigen Erwartungen eingegangen, doch Sir Evelyn hatte sie so gütig und zuvorkommend behandelt, wie sie es in ihrem Elternhaus nie erlebt hatte. Sie hatte es genossen, seinem Haushalt vorzustehen, und selbst in seinem Bett hatte sie sich einigermaßen wohlgefühlt, wenn auch die glühende Leidenschaft gefehlt hatte, von der in Romanen und Gedichten die Rede war. Dafür war, wie sie wusste, Liebe vonnöten, und eine solche Liebe – die Art, die einen in einen Freudentaumel versetzt oder in tiefe Verzweiflung stürzt –, war vermutlich höchst selten. Doch das war ihr egal gewesen. Sie hatte ihre Tage mit ihrer neuen Familie und ihren Freundinnen verbracht, und das hatte ihr genügt. Während der zwölf langen Trauermonate hatte sie dieses Dasein schmerzlich vermisst. Ellen wurde an ihrer Schule zunehmend unzufriedener, wie sie ihr geschrieben hatte. Sie wollte in die Welt hinaus und flügge werden. Als Mrs. Ackroyd ihr mitgeteilt hatte, dass sie sich zu ihrem großen Bedauern gezwungen sehe, sie zu ersuchen, Ellen von ihrer Lehranstalt zu nehmen, hatte Phyllida die perfekte Lösung darin gesehen, in Bath ein Haus für sie beide zu mieten.

Das Rattern der Räder einer sich nähernden Kutsche riss sie aus ihren abschweifenden Gedanken. Sie ging zum Fenster, blickte hinaus und sah ihre eigene elegante Reisekutsche vor der Tür stehen. Ihr Lächeln wurde breiter. „Sie ist hier!“, sagte sie ins leere Zimmer hinein.

Sie eilte die Treppe hinab und löste im Gehen ihre Leinenschürze. Als sie die Eingangshalle erreichte, herrschte dort rege Betriebsamkeit. Lakaien trugen große und kleine Koffer herein, unter der Aufsicht einer gestreng dreinblickenden Frau mit eisengrauer Pelisse und dazu passender Schute. Ihre Erscheinung stand in krassem Kontrast zu dem anderen weiblichen Wesen in der Halle, einer lebensprühenden jungen Dame von siebzehn Jahren, deren Figur vorteilhaft durch ein Promenadenkleid aus blassblauem Samt betont wurde. Ein modisches Hütchen lenkte den Blick auf das blonde Haar. Phyllida schwoll das Herz vor Stolz und Liebe, während sie ihre hübsche Stieftochter betrachtete. Ellen plauderte angeregt mit Hirst, dem ältlichen Butler, den Phyllida nach Bath mitgenommen hatte, doch als Ellen sie entdeckte, unterbrach sie sich jäh und lief herüber, um sich ihr in die Arme zu werfen.

„Philly! Endlich.“ Ellen erdrückte sie schier. „Wie froh ich bin, bei dir zu sein!“

„Und ich bin froh, dich hierzuhaben, mein Schatz. Du meine Güte, bist du gewachsen. Ich hätte dich kaum wiedererkannt“, beteuerte Phyllida lachend und erwiderte die herzliche Umarmung. „War die Reise arg anstrengend?“

„Kein bisschen. Deine Kutsche ist ungemein bequem, und jeder, dem wir auf der Fahrt begegnet sind, war überaus freundlich. Als wir im ‚Stag‘ übernachtet haben, dachten wir schon, wir müssten im Schankraum essen, weil das Gasthaus von einer großen Gruppe in Beschlag genommen worden war, aber als diese von unserer Notlage erfuhr, war sie so freundlich, eines der Separees für uns zu räumen. Und vergangene Nacht im ‚Red Lion‘ hat uns ein wahrhaft galanter Herr sein Zimmer überlassen, da unseres auf die Hauptstraße hinausging und es dort schrecklich laut war.“

„Wie gut, dass ihr nur zweimal übernachten musstet. Wer weiß, was sonst noch geschehen wäre“, rief Phyllida. „Vielleicht hätte ich dich lieber selbst abholen sollen, aber ich wollte sichergehen, dass hier alles vorbereitet ist.“

„Und du wusstest, dass die gute Matty mich hüten würde wie ihren Augapfel.“

Als die Frau mit der grauen Pelisse ihren Namen hörte, schaute sie auf.

„Stimmt, aber wer hat auf Mylady aufgepasst, während ich fort war?“, fragte sie forsch.

„Jane, das neue Mädchen, das wir eingestellt haben, hat sich bewährt“, antwortete Phyllida ruhig. „Ich glaube, sie wird mir gute Dienste leisten.“

„Heißt das, Matty ist nicht länger deine Zofe?“ Ellens Augen wurden groß.

„Ja, mein Schatz, Miss Matlock würde gern weiterhin für dich da sein. Immerhin war sie dein Kindermädchen, bis du aufs Pensionat gegangen bist.“

„Was Mylady sagen will, ist, dass ich mit all Ihren flegelhaften Allüren vertraut bin, Miss Ellen“, warf Miss Matlock ungerührt ein.

„Ich habe keine flegelhaften Allüren“, protestierte Ellen empört.

„Nein, natürlich nicht“, erwiderte Phyllida und lächelte in sich hinein, weil unter dem eleganten neuen Äußeren die alte Ellen hindurchschimmerte. „Lass uns in den Morgensalon gehen, während Miss Matlocky sich um dein Gepäck kümmert. Dort warten Limonade und Gebäck auf dich.“

Derart abgelenkt, folgte Ellen ihr durch die Eingangshalle.

„Ach, es ist so schön, wieder bei dir zu sein, Philly“, meinte sie, sobald sie allein waren. „Von den zwei Wochen über Weihnachten abgesehen, habe ich dich ein ganzes Jahr lang entbehren müssen.“

„Wir waren uns doch einig darin, wie wichtig es ist, dass du deine Schulzeit beendest. Zudem wäre dir Tatham Park in den letzten zwölf Monaten unsäglich öde vorgekommen.“

„Vermutlich hast du recht. Aber ich hatte Angst, dass ich jetzt, da Papa nicht mehr da ist, bis zu meinem Debüt bei Onkel Walter und seiner Familie leben müsste.“

„Wieso das, wo du doch weißt, dass dein Vater mich zu deinem Vormund ernannt hat?“

„Weil mir bewusst ist, wie sehr du Unruhe verabscheust, und da alle Welt behauptet, du wärest viel zu jung, um meine Stiefmutter zu sein …“

„Zum Zeitpunkt der Trauung war ich das vielleicht, aber heute bin ich vierundzwanzig!“, wandte Phyllida lachend ein.

Mir ist das klar, doch du wirkst weit jünger, und ich dachte, sie würden dich gefügig machen.“

Phyllida legte ihr die Hände auf die Schultern und sah ihr in die Augen.

„Ich weiß, ich war schüchtern und … und nachgiebig, als ich deinen Vater geheiratet habe“, sagte sie ernst. „Aber seitdem habe ich mich grundlegend verändert, mein Schatz. Ich bin in die Gesellschaft eingeführt worden, kaum dass ich die Schulbank verlassen hatte, und ich wusste nichts über die Welt, was immer von Nachteil ist. Dieses Schicksal möchte ich dir ersparen, und deshalb dachte ich, einige Monate in Bath würden dir guttun.“

„Das werden sie.“ Ellen umarmte sie erneut. „Wir werden eine Menge Spaß zusammen haben, du und ich.“

„Nun, das will ich hoffen. Nach einem Jahr der Einsamkeit habe ich es herzlich satt, allein zu sein. So“, schloss sie und führte Ellen zum Tisch. „Komm, probiere die Limonade, die Mrs. Hirst eigens für dich zubereitet hat.“

Sie unterhielten sich den ganzen Abend lang, und als Phyllida zu Bett ging, wurde ihr bewusst, wie sehr sie die Gesellschaft ihrer Stieftochter vermisst hatte. Sie war erst achtzehn gewesen, als sie Sir Evelyn geheiratet hatte, und sie hatte sich sehr um die Freundschaft seiner elfjährigen Tochter bemüht. Dass Ellen kurz nach der Hochzeit aufs Pensionat geschickt worden war, hatte ihrer Verbundenheit keinen Abbruch getan. Sie waren einander mehr Schwestern denn Tochter und Mutter. Bislang hatte Phyllida dies als Vorteil erachtet, doch als sie die Kerze ausblies, spürte sie leises Unbehagen wie einen winzigen Wurm an ihrem Seelenfrieden nagen.

Mit siebzehn war sie furchtbar scheu gewesen. Sie war gemeinsam mit ihrer Schwester zu Hause unterrichtet worden und hatte das kleine Dorf, in dem sie gelebt hatten, nie verlassen. Ellen war nicht schüchtern. Das exklusive Internat in Kent, auf dem sie die letzten fünf Jahre verbracht hatte, mochte ihr eine exzellente Bildung beschert haben, doch nach ihrer direkten Art zu urteilen, hatte sie weit mehr Freiheiten genossen als sie selbst in ihrem Alter. Es war unwahrscheinlich, dass Ellen von der gleichen Befangenheit gehemmt werden würde, mit der sie selbst während ihrer einzigen Londoner Saison hatte ringen müssen.

Phyllida hatte sämtlichen Einwänden ihrer Familie getrotzt, doch nun fragte sie sich, ob es egoistisch von ihr gewesen war, Ellen nach Bath zu holen. Dass die Tochter des verblichenen Marquess of Hune jüngst mit einem mittellosen Abenteurer durchgebrannt war, bewies, dass selbst in Bath Gefahr lauerte. Was wusste sie schon darüber, wie man ein junges Mädchen hütete, das obendrein eine Erbin war? Gereizt seufzend schüttelte sie ihr Kissen zurecht.

„Ich und Matty werden auf Ellen achtgeben. Ihr wird nichts zustoßen“, sagte sie sich, als sie sich wieder ausstreckte. „Ich werde mir das Vergnügen, Ellen bei mir zu haben, nicht von Bedenken und Ängsten verderben lassen. Wir werden uns wunderbar amüsieren!“

2. KAPITEL

Guten Morgen, Sir. Ihre Ladyschaft lässt Sie grüßen und hofft, dass Sie das Frühstück mit ihr gemeinsam einnehmen werden.“

Die energische Munterkeit, mit der sein Kammerdiener Fritt ihn begrüßte, ließ Richard stöhnen. Doch dass er leise fluchte, während er sich im Bett aufsetzte, lag weder daran, dass Fritt ihn geweckt hatte, noch an seinem Kater. Schuld war vielmehr die Erinnerung an gestern Abend. Hatte er wirklich seinen Namen unter diese närrische Wette gesetzt? Er musste betrunkener gewesen sein, als ihm klar gewesen war, wenn er sich von seiner Abneigung gegen Sir Charles Urmston hatte übermannen lassen. Für einen Rückzieher war es zu spät. Sein Ehrenkodex verbot ihm, eine Wette zu widerrufen. Verfluchter Kerl. Allein schon die Erinnerung an Urmstons selbstgefälliges Grinsen ließ Wut in ihm aufsteigen. Fritt hüstelte dezent.

„Da die Zeit drängt, Sir, habe ich Wasser zum Rasieren dabei. Ich dachte mir, wir sollten uns sputen …“

„So brandeilig wird es schon nicht sein“, bremste Richard ihn. „Wo ist mein Kaffee?“

„Neben Ihrem Bett, Sir, aber Ihre Ladyschaft sucht den Frühstückssalon stets vor neun auf, und es ist bereits kurz vor acht …“

„Bei Gott, welch unchristliche Stunde“, knurrte Richard. „Wann war ich im Bett?“

„Ich glaube, gegen vier, Sir. Wünschen Sie, dass ich Ihrer Ladyschaft ausrichte, Sie seien verhindert?“

„Sie wissen, dass das ausgeschlossen ist. Sie verlangt nicht viel von mir, also werde ich ihr dies nicht abschlagen.“ Er stürzte seinen Kaffee in einem Schluck hinunter. „Gut denn, machen wir uns ans Werk.“

Gähnend, aber entschlossen stieg er aus dem Bett. Ein gemeinsames Frühstück schuldete er Sophia. Sie hatte zu ihm gestanden, als die übrige Familie von ihm verlangt hatte, sich von seinem Bruder loszusagen, und das würde er ihr nie vergessen.

„Heuchler, alle miteinander“, hatte sie ihm beschieden, als der Skandal ans Licht gekommen war. „Die Arrandales hatten stets Leichen im Keller. Wieso machen sie um die deine so viel Aufhebens? Meine Tür steht dir immer offen, Richard. Vergiss das nicht.“

Er war damals erst siebzehn und dankbar für ihren Rückhalt gewesen. Sie hatte sein Verhalten weder verurteilt noch beanstandet, nicht einmal, als er Oxford den Rücken gekehrt und sich ins Londoner Leben gestürzt hatte, um sich mit Alkohol, Glücksspiel und Frauen zu betäuben. Nein, sie hatte nicht versucht, seinem skandalösen Treiben ein Ende zu setzen. Es liege ihm im Blut, das hatte sein Vater ihm gesagt. Alle Welt wusste, dass den Arrandales Skandale und Chaos auf dem Fuße folgten. Richard tauchte das Gesicht in die Schüssel mit warmem Wasser auf dem Waschtisch. Er würde in Bath bleiben, solange Sophia ihn brauchte.

Gewaschen, rasiert und tadellos gekleidet, betrat Richard eine Stunde darauf den Frühstückssalon. Seine Großtante saß bereits am Tisch.

„Guten Morgen, Sophia.“ Er küsste sie auf die Wange. „Sie sehen prächtig aus heute Morgen.“

„Was man von dir nicht behaupten kann. Es überrascht mich, dass dein Kammerdiener dich in dieser Aufmachung hat ziehen lassen.“

Richard lachte.

„Ist Ihnen mein Hemdkragen nicht hoch genug?“

Sie schnaubte wenig damenhaft.

„Für meinen Geschmack ist er zu hoch. Ich kann diese Mode nicht ausstehen, die so hohe, steife Kragen vorschreibt, dass Männer kaum den Kopf bewegen können und aussehen wie Pferde mit Scheuklappen! Nein, ich meine dein Krawattentuch. Zu schlicht. Nicht ein Hauch von Spitze. Dein Vater hat nur feinste Brüsseler Spitze an Hals und Ärmelbündchen getragen.“

Richard setzte sich an die Tafel.

„Nun, Sie werden mich nehmen müssen, wie ich bin“, erwiderte er, unbeeindruckt von ihrem Tadel. „Dass ich zu dieser verflixt frühen Stunde überhaupt auf den Beinen bin, beweist, wie viel mir an Ihnen liegt.“

„Es ist eine durchaus annehmbare Stunde, um auf den Beinen zu sein, hättest du dir nicht die Nacht um die Ohren geschlagen.“

„Wenn Sie das sagen, Ma’am.“

Sie musterte ihn finster. „Bilde dir bloß nicht ein, ich wüsste nicht, wie du deine Abende verbringst.“

„Mit Glücksspiel, ich gestehe.“ Er grinste. „Es könnte schlimmer sein. Wenigstens halte ich mich von leichten Frauenzimmern fern.“

„Das will ich auch hoffen nach dem letzten Skandal in London. Wie ich hörte, hast du dich nicht nur mit der Gattin eines Ministers, sondern obendrein mit dessen Mätresse eingelassen.“

„Ja, zugegeben, das war ein wenig heikel. Deshalb werde ich mich in Bath ans Glücksspiel halten. Aber keine Bange, Ma’am, ich setze nie mehr, als ich mir leisten kann.“

Er beschloss, die Wette von gestern Abend unerwähnt zu lassen. Ein Malheur, nichts weiter. Er hatte nicht die Absicht, sich der Meute anzuschließen, die der Erbin nachstellen würde wie Rüden einer läufigen Hündin. Angewidert verzog er das Gesicht. Lieber verlöre er seine eintausend Pfund und schriebe sie als Lehrgeld ab. Eine teure Lektion, die er sich schwerlich leisten konnte, aber so tief würde er nicht sinken.

„Was hast du heute vor?“

Sophias Frage verblüffte ihn. Gemeinhin überließ sie ihn bis zum Dinner sich selbst.

„Nun, nichts.“

„Gut. Duffy hat Zahnschmerzen, weshalb ich sie heute Vormittag zum Zahnarzt schicke und den Besuch im Thermalbad ausfallen lasse. Ich hatte gehofft, du würdest mich zur Brunnenhalle begleiten.“

„Mit Vergnügen, Ma’am. Möchten Sie die Kutsche nehmen?“

„Zum Kuckuck, Junge, noch bin ich keine Invalidin! Sofern du mir deinen Arm leihst, komme ich zurecht, vielen Dank.“

Hastig bat Richard um Verzeihung, froh darüber, dass seine Großtante in den zwei Wochen, die er nun bei ihr war, viel von ihrem alten Schwung wiedererlangt hatte. Der Tonfall des Schreibens, in dem sie ihn gebeten hatte, herzukommen, hatte ihn beunruhigt, weshalb er sogleich nach Bath aufgebrochen war. Er hatte seine Großtante auf einer Liege ausgetreckt vorgefunden, mit Riechsalz in der Hand, doch sein Eintreffen hatte sie aufleben lassen, und bald war sie in der Lage gewesen zu erklären, was es mit ihrer Malaise auf sich hatte. Sie hatte ihm einen Brief gereicht.

„Lies“, hatte sie befohlen. „Er ist von diesem undankbaren Fratz, meiner Enkelin.“

„Cassandra?“

„Von ebender. Sie hat sich als Schlange an meinem Busen erwiesen. Da habe ich sie nach dem Tod ihrer Eltern aufgenommen, ihr die bestmögliche Bildung angedeihen lassen, sie verwöhnt und verhätschelt, und so dankt sie es mir – indem sie mit einem Niemand durchbrennt.“

Richard überflog den Brief.

„Die Unterschrift ist verschmiert“, bemerkte er. „Als hätte sie beim Schreiben geweint. Oh, verflucht sei das Mädchen. Ich hätte nie gedacht, dass Cassie Ihnen so etwas antut.“

„Sie glaubt, sie wäre verliebt.“

Er sah auf. „Der Brief ist auf Ende Juli datiert. Das liegt einige Wochen zurück!“

„Zunächst dachte ich, sie würde sich besinnen und zurückkommen. Als das nicht geschah und meine Gesundheit sich verschlechterte, riet Dr. Whingate mir zu Gesellschaft, weshalb ich dir geschrieben habe.“ Sie lachte humorlos. „Whingate hat angeregt, das arme Cousinchen Julia einzuladen, aber die ist so rührselig, dass mich der bloße Gedanke abgeschreckt hat.“

„Ich könnte mir nichts Schlimmeres vorstellen“, pflichtete er ihr inbrünstig bei. „Nun, Sophia, was soll ich tun? Soll ich den beiden nachsetzen? Ich bin im Karriol nach Bath gekommen, aber gewiss könnten Sie mir eine Reisekutsche zur Verfügung stellen.“

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein, sie sind nach Schottland geflohen und haben dort geheiratet. Sie ist nun Mrs. Gerald Witney.“

Er stieß den Atem aus. „Hätten Sie mich unverzüglich unterrichtet, hätte ich sie vielleicht eingeholt.“ Er hob eine Braue. „Ich könnte sie immer noch aufspüren und Cassie als Witwe zurückbringen.“

„Damit sie mich für alle Zeiten hasst? Ganz zu schweigen davon, dass dies einen weiteren Skandal bedeuten würde. Nein, nein, wenn sie ihn liebt, soll sie ihn haben. Witney ist ein Trottel, aber ich halte ihn nicht für böswillig. Sie zurückzuholen würde nur das Gerede wieder aufflammen lassen. Die Sache war das Tagesgespräch in Bath, es wurde über nichts anderes getuschelt, aber inzwischen hat sich die Lage beruhigt.“ Sie seufzte. „In ihrem letzten Brief schrieb sie, dass sie vorhaben, nach Paris zu reisen. Cassie hat immer die Welt sehen wollen, daher hoffe ich, dass sie mit ihrem Niemand glücklich wird.“

„Ich nehme an, Sie haben Einwände gegen die Eheschließung erhoben?“

„Selbstverständlich. Sobald ich gemerkt habe, woher der Wind weht, habe ich Erkundigungen eingezogen und Cassie erklärt, dass Witney ein bettelarmer Taugenichts sei. Aber sie wollte nicht hören, sie hatte ihr Herz bereits verloren. Ich habe mein Bestes gegeben, um ihre Pläne zu durchkreuzen, doch sie ist bei Nacht und Nebel durchgebrannt. Außerdem hat sie eine falsche Fährte gelegt, der wir prompt gefolgt sind. Als wir das erkannten, waren sie bereits in Gretna und vermählt.“ Sie blickte düster drein. „Ich bin mir sicher, all dies war Cassies Idee. Sie ist von den beiden der weit klügere Kopf und scheut sich nicht, für Aufsehen zu sorgen!“

„Das macht sie zu einer waschechten Arrandale.“ Richard lächelte schief. „Es liegt uns im Blut, Ma’am. Unter uns gibt es keinen, der nicht für den einen oder anderen Skandal gesorgt hätte. Wenn stimmt, was man sich erzählt, sind Sie selbst mit Hune durchgebrannt.“

„Aber er war wenigstens ein Marquess und noch dazu reich! Nein, ich habe Cassie zu verstehen gegeben, dass ich eine Ehe mit Witney nicht billigen würde. Seine Herkunft ist annehmbar, doch er hat weder Geld noch Perspektiven. Das indes hat Cassie nicht bekümmert, sie ist seinem hübschen Gesicht erlegen. Oh, ansehnlich ist er, keine Frage, und zudem liebenswürdig, aber er besitzt keinen roten Heller.“

„Wovon wollen sie leben?“

„Cassie hat ihren gesamten Schmuck mitgenommen. Sie wird ihn verkaufen und mit dem Erlös haushalten müssen, bis sie nächstes Jahr mündig wird. Dann steht ihr ein ansehnliches Sümmchen zur Verfügung, genug, um auch die letzten Klatschmäuler verstummen zu lassen. Die beiden werden so wohlhabend sein, dass sie allenthalben akzeptiert werden dürften. Das ist der Lauf der Dinge.“

Sophia hatte ein paar Tränen vergossen, was Richard nicht von ihr gewohnt war, und so hatte er versprochen zu bleiben.

Seitdem war Cassandras Flucht nicht mehr erwähnt worden, doch der Vorfall hatte Sophia merklich erschüttert. Da seine Großtante ihm am Herzen lag, würde er nicht abreisen, bis sie wiederhergestellt war und zu ihrer alten Tatkraft zurückgefunden hatte. So kam es, dass er sie am frühen Nachmittag eines sonnigen Tages Ende August zur berühmten Brunnenhalle von Bath geleitete.

Sie kamen nur langsam voran, denn Sophia war in Bath allseits bekannt, und viele blieben stehen, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Ihm selbst begegneten sie höflich, aber distanziert, und ließen keinen Zweifel daran, dass er nur aufgrund seiner Verbindung zur Dowager Marchioness geduldet wurde. In Anbetracht seines Leumunds hatte Richard nichts anderes erwartet. Immerhin war er ein Arrandale, und die waren Draufgänger im Leben wie im Glücksspiel und scherten sich nicht um die Folgen.

Die Brunnenhalle war gut besucht, und wegen des Stimmengewirrs herrschte eine beachtliche Lautstärke.

„Jetzt weiß ich wieder, weshalb ich seit meiner Ankunft in Bath nicht mehr hier war“, murmelte Richard, während er seine Großtante durch die Menschenmenge führte. „Alles, was Rang und Namen hat – oder sich für so jemanden hält –, kommt hier zusammen, um über Bekannte zu tratschen und zu richten. Schrecklich, wie sie gaffen!“

„Vermutlich fragen sie sich nur, wer mein ansehnlicher Begleiter ist.“ Sophia lachte leise.

„Oh, ich kenne die meisten“, meinte er bitter. „Vielmehr denken sie wahrscheinlich, dass kein Sohn aus dem geächteten Hause Arrandale ihre heiligen Hallen sollte entweihen dürfen, zumal einer, dessen Bruder als Mörder verschrien ist.“

Sophia schlug ihm leicht mit ihrem Fächer auf den Arm. „Rede keinen Unsinn, Richard. Du vergisst, dass auch ich eine Arrandale bin.“

„Aber Sie haben einen vermögenden Marquess geehelicht, Ma’am. Das macht Sie über den Makel erhaben, der dem Familiennamen anhaftet. Schauen Sie sich um. Alle lächeln, doch sobald man am Boden liegt, zögern sie nicht, einen zu zerfleischen wie Jagdhunde, die Blut gewittert haben. Das weiß ich nur zu gut.“

„Nicht alle. Die Wakefields beispielsweise sind reizende Leute. Wie ich sehe, ist Lady Wakefield auch hier. Soll ich dich ihr vorstellen?“

„Nicht nötig, ich kenne ihren Sohn und stimme Ihnen zu – sie geben nichts auf meinen angeschlagenen Ruf. Aber sie sind die Ausnahme. Alle Übrigen lästern für ihr Leben gern. Sie selbst haben mir erzählt, wie schadenfroh sie sich über Cassies Verschwinden mokiert haben. Wie ertragen Sie es, diesen Menschen gegenüber höflich zu sein?“

„Das ist ein Leichtes. Wir nicken einander lächelnd zu und erwidern jeden Gruß ebenso unaufrichtig. Still jetzt, da kommt Lady Catespin.“

„Meine verehrte Lady Hune!“ Eine exaltierte Matrone steuerte auf sie zu, die üppige Figur in gelben Samt gehüllt und eine federgeschmückte Schute auf den unnatürlich schwarzen Locken. Richard drängte sich das Bild einer Galeone unter vollen Segeln auf, und er musste sich ein Grinsen verkneifen, während seine Großtante die überschwängliche Begrüßung der Dame erwiderte.

„Und Mr. Arrandale. Wie schön, Sie hier zu sehen, Sir. Dass Sie sich in Bath aufhalten, hatte ich gehört, aber das letzte Mal begegnet sind wir uns in London – wann war das gleich? Auf Lady Whittons Abendgesellschaft, habe ich recht?“

Er verbeugte sich. „Ich glaube ja, Ma’am.“

Wieder an Sophia gewandt, verkündete die Matrone unverfroren heuchlerisch: „Es muss ein ungeheurer Trost für Sie sein, Ma’am, Mr. Arrandale bei sich im Royal Crescent zu haben. Bestimmt fühlt sich das Haus leer an, nun da die arme Lady Cassandra fort ist.“

Sophia grub Richard die Finger wie Klauen in den Arm, und er bedeckte ihre Hand mit seiner und drückte sie beschwichtigend.

„Ja, Lady Cassandra hat ihren Verehrer geheiratet“, sagte er gelassen. „Erst neulich hat sie uns geschrieben, nicht wahr, Tante? Sie ist überglücklich.“

Lady Catespin blinzelte, und ihr scheinheiliges Mitgefühl wich Überraschung.

„Oh. Sie … Sie billigen die Verbindung?“

„Wir fechten sie nicht an“, warf Sophia ein, jeder Zoll eine Marchioness. „Ich hätte einen anderen Gatten für sie vorgezogen, aber gegen Gefühle ist man machtlos. Inzwischen ist meine Enkelin rechtmäßig vermählt, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“

„Ah, natürlich. Ich verstehe.“ Lady Catespin mochte der Wind aus den Segeln genommen sein, doch sie war offenbar nicht bereit, sich von der Flaute die Fahrt nehmen zu lassen. „Und Sie sind hier, um Ihrer Großtante beizustehen, Mr. Arrandale. Ihre Familie ist Kummer gewohnt, nicht wahr, Sir? Wegen Ihres Bruders …“ Sie seufzte schwer, den Blick erneut auf die Dowager Marchioness richtend. „Gewiss weiß Ihr Großneffe Sie aufzuheitern, Mylady.“

„Das würde er, wäre es denn nötig“, gab Sophia zurück, hörbar die Geduld verlierend. „Was ich statt Aufheiterung brauche, ist sein Arm, um mich durch die Horde von Lästermäulern zu kämpfen, die dieser Tage die Brunnenhalle bevölkern!“

Lady Catespin zuckte zurück und lief purpurrot an.

„Das hat ihr den Mund gestopft“, murmelte Richard, als sie die wie vom Donner gerührte Matrone stehen ließen. „Sagten Sie nicht, wir sollten die verbalen Spitzen lächelnd übergehen?“

„Ich habe mich vergessen. Schlimm genug, dass sie mich mit Cassie aufgestachelt hat, aber diese jahrealte Angelegenheit aufs Tapet zu bringen, das ist mehr, als ich ertrage!“

Richard zuckte mit den Schultern. „Sie brauchen mich nicht zu verteidigen. Ich bin die Sticheleien gewohnt, selbst aus den Reihen meiner Familie. Abgesehen von Ihnen hält jeder es für falsch, dass ich zu meinem Bruder stehe, Ma’am.“

„Mir ist schleierhaft, wieso Wolfgang von allen so vorschnell verurteilt wurde. Nichts ist je bewiesen worden.“

„Aber Vater war überzeugt davon, dass er seine Frau umgebracht habe. So überzeugt, dass er versucht hat, ihn aus der Erbfolge auszuschließen.“

Sophia winkte ab. „Was immer Wolfgang getan hat, er ist immer noch dein Bruder. Die Welt ächtet meiner Meinung nach zu leichtfertig, und nirgendwo gibt es so viele Pharisäer wie in Bath.“

„Verflixt, Sophia, warum bleiben Sie dann?“

„Ich bleibe meiner Gesundheit zuliebe.“ Sie bedachte ihn mit einem schelmischen Blick. „Und weil ich ebenso gern tratsche wie alle anderen. In meinem Alter gibt es sonst kaum etwas zu tun!“

Sie hatten den Brunnen erreicht und warteten schweigend darauf, dass ein Lakai in Livree Sophia ein Glas des warmen Wassers reichte. Sichtlich angewidert, nippte sie daran, während Richard geduldig neben ihr stand. Er schaute sich in der belebten Halle um und nickte einigen Bekannten zu, darunter ein paar Herren aus der Spielhölle. Gerade überlegte er, wie lange seine Großtante wohl zu verweilen gedachte, als sie das Wort ergriff.

„Ah, ich hatte mich gefragt, ob sie heute herkommen würde.“

Autor

Sarah Mallory
<p>Schon immer hat die in Bristol geborene Sarah Mallory gern Geschichten erzählt. Es begann damit, dass sie ihre Schulkameradinnen in den Pausen mit abenteuerlichen Storys unterhielt. Mit 16 ging sie von der Schule ab und arbeitete bei den unterschiedlichsten Firmen. Sara heiratete mit 19, und nach der Geburt ihrer Tochter...
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