Siebter Himmel - Guadeloupe

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Sonnenaufgang über türkisblauem Meer - schneeweißer Strand: Die Journalistin Alix ist hingerissen von Guadeloupe. Dazu der attraktive Fremde, den sie hoffentlich bald wiedersehen wird. Doch die Begegnung verläuft ganz anders, als Alix es sich erträumt hat …


  • Erscheinungstag 30.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757847
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Die Augen durch die modische Sonnenbrille vor der Frühsonne geschützt, löste Alix Bray den Blick von der Zeitschrift, die sie eigentlich mehr aus Langeweile durchgeblättert hatte, und beobachtete interessiert den Mann, der gerade von der schnittigen Yacht, die in der Bucht vor Anker lag, an Land ruderte.

Im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild von einem Mann, dachte sie und lächelte amüsiert. Fasziniert beobachtete sie das Spiel der trainierten Rückenmuskeln, während der Fremde das Boot an Land zog und geschickt vertäute. Nach der muskulösen Gestalt zu urteilen, musste er Matrose sein, und da er über einsfünfundachtzig groß war und von der Sonne gebleichtes blondes Haar hatte, konnte er kein Ureinwohner der Westindischen Inseln sein.

Erneut versuchte Alix, sich auf den Artikel in der Zeitschrift zu konzentrieren, blickte aber immer wieder wie magisch angezogen auf, um den ausgesprochen attraktiven Mann am Ufer zu beobachten. Sein Gesicht war markant geschnitten, und das kantige Kinn verriet Durchsetzungskraft. Das helle Brusthaar verlief pfeilförmig vom breiten Brustkorb bis zu den schmalen Hüften. Abgesehen von verwaschenen Jeans war er nackt. Aufmerksam beobachtete Alix, wie der Fremde ein Paar abgetragene Ledersandalen aus dem Boot herausholte.

Da sie die einzigen Menschen am Strand waren, gebot es schon die Höflichkeit, den Fremden zu grüßen. Alix schob die Sonnenbrille über das kastanienfarbene Haar, blinzelte kurz ins grelle Sonnenlicht und sagte so selbstsicher wie möglich: „Hallo! Ein wundervoller Morgen, nicht wahr?“ Nicht gerade geistreich, dachte sie. Aber was soll ich sonst sagen?

Lächelnd erwiderte der Fremde den Blick. Es war ein unerwartet offenes und freundliches Lächeln, das seinem verschlossenen Gesicht fast charmante Züge verlieh, ja es geradezu attraktiv erscheinen ließ. Mit einem seltsam hohlen Gefühl im Magen beobachtete Alix, wie der Mann abrupt die Richtung wechselte, auf sie, Alix, zukam und sich mit einer geschmeidigen Bewegung neben sie hockte. Aus der Nähe wirkte er noch größer.

Er musterte sie so aufmerksam, dass Alix sich unwillkürlich wünschte, das durchsichtige gelbe Hemd würde den schlichten schwarzen Badeanzug wesentlich besser verhüllen. Stirnrunzelnd blickte der Fremde auf das Meer hinaus, das von Türkisblau bis Nachtschwarz in allen Schattierungen schillerte, bevor er sich schließlich wieder Alix zuwandte. Seine Augen waren so blau wie das Meer. „Wirklich wunderschön“, sagte er ruhig mit einem eindeutig amerikanischen Akzent.

Alix schob die Brille wieder herunter, damit der Fremde auf keinen Fall in ihrem Blick lesen konnte. Verlegen setzte sie sich auf und umfasste ihre Knie. Aus einem unerfindlichen Grund hatte sie das Gefühl, sich vor diesem seltsam durchdringenden Blick schützen zu müssen. Um sich nichts anmerken zu lassen, warf sie das kastanienbraune, dichte Haar herausfordernd in den Nacken.

„Gefällt Ihnen das?“, fragte er mit leicht verächtlichem Unterton, während er mit dem Kopf auf die reißerisch aufgemachten Schlagzeilen der Zeitschrift deutete, die neben Alix im Sand lag.

Sie schüttelte den Kopf. Mit jeder Faser ihres Körpers war Alix sich bewusst, dass ein ausgesprochen attraktiver Mann neben ihr saß. „Nein“, antwortete sie heiser. „Die Zeitschrift habe ich nur aus Langeweile am Flughafen gekauft.“

„Billigster Journalismus“, sagte er voll Verachtung. Dann deutete er mit dem Kopf auf die hinter Palmen verborgenen Ferienhäuser. „Wohnen Sie dort drüben?“, erkundigte er sich.

„Ja“, gab Alix zu. „Ich wollte mich sonnen, bevor sich hier Hinz und Kunz tummeln.“ Mit einer vagen Handbewegung deutete sie auf den menschenleeren Strand. Plötzlich ging ihr auf, dass sie sich sehr unhöflich verhielt. Der Fremde musste ja annehmen, sie wolle ihn loswerden. Verlegen fügte sie deshalb hinzu: „Tut mir leid. Vermutlich höre ich mich schrecklich egoistisch an.“

Lächelnd reichte der Fremde Alix die Zeitschrift, die sie neben sich gelegt hatte. „Eigentlich nicht“, widersprach er. „Ich bin zu dieser frühen Morgenstunde auch nicht an Land gekommen, um mich in die Geschäfte zu stürzen. Ich wollte nur einen kleinen Spaziergang machen, zumal ich leere Strände auch ganz gern mag.“

Alix hatte bereits das Gefühl, sich lächerlich gemacht zu haben. Dieser blonde Fremde hatte eindeutig etwas Beunruhigendes an sich. Sie ging jetzt wohl besser auf ihr Hotelzimmer zurück.

„Dann will ich Sie jetzt auch wieder sich selbst überlassen“, sagte sie mit einem strahlenden Lächeln und stand auf. „Sicherlich kann man im Hotel bereits frühstücken.“

Ohne auf ihren Versuch, sich höflich zurückzuziehen, einzugehen, stand auch der Fremde auf und fragte sorglos lächelnd: „Warum begleiten Sie mich nicht? Der Morgen ist viel zu schön, um schon hineinzugehen. Außerdem denke ich nur wieder an meine Arbeit, wenn Sie mich jetzt verlassen.“

Unwillkürlich erwiderte Alix sein Lächeln. Eigentlich sollte sie ablehnen, schließlich hatte sie mehr als genug zu tun. Vermutlich war der Fremde gewöhnt, sich jeder einsamen weiblichen Touristin anzunehmen, auf die er traf. Doch plötzlich überkam sie der unwiderstehliche Wunsch, etwas völlig Leichtsinniges zu tun.

Zögernd blickte sie den Fremden an. Er überragte sie um etliches, obwohl auch sie nicht gerade klein war. Wieder huschte dieses charmante Lächeln über sein Gesicht und ließ seine Züge fast weich erscheinen. Hilflos merkte Alix, wie sie seinem Charme verfiel, und schalt sich eine Närrin.

„Nun kommen Sie schon“, drängte er. „Ihre Sachen sind in meinem Boot sicher aufgehoben. Außerdem glauben Sie doch selbst nicht, dass man bereits um halb acht morgens unbedingt frühstücken muss, oder etwa doch?“

Wieder konnte Alix nicht umhin, das offene Lächeln zu erwidern. „Vermutlich reibt sich die Bedienung gerade den Schlaf aus den Augen“, sagte sie humorvoll.

Der Fremde nahm Handtuch und Zeitschrift und wandte sich zu dem kleinen Boot um. „Sind Sie mit einem Freund hier? Oder mit Ihrem Mann?“, erkundigte er sich wie beiläufig.

Alix blickte auf ihre ringlosen Hände und fragte sich, wieso ihn das überhaupt interessierte. Es gab keinen Mann in ihrem Leben, hatte es auch nicht gegeben seit Davids Treuebruch kurz vor der Hochzeit. Und das war nun schon sechs Jahre her. „Nein, ich hin ganz allein hier“, erwiderte sie aufrichtig.

Obwohl der Fremde neugierig und überrascht zugleich zu sein schien, stellte er keine weiteren Fragen. Und darüber war Alix froh, denn sie hatte nicht die Absicht, sich über ihr Privatleben auszulassen. Genauso wenig verspürte sie das Verlangen, über ihre berufliche Situation zu sprechen oder über das anspruchsvolle Interview, das sie heute Nachmittag machen sollte, bevor sie morgen in das kühle Märzwetter Londons zurückflog.

„Und was ist mit Ihnen?“, erkundigte Alix sich, während der Fremde wieder auf sie zuging. „Ist das Ihr Schiff dort draußen? Sind viele Leute an Bord?“

Nach kurzem Zögern schüttelte er den Kopf. „Nein, ich bin ganz allein. Ich ziehe es vor, allein zu reisen und zu segeln“, sagte er.

„Kein lästiger Anhang also, dafür aber in jedem Hafen eine Braut“, sagte Alix halb scherzend. Dieser attraktive Mann hatte sicherlich keine Schwierigkeiten, Frauen zu finden. Aber warum sollte sie, Alix, das kümmern?

Er lachte leise. „Hätte ich gewusst, dass Sie in Guadeloupe sind, hätte ich Ihnen einen Job auf meinem Schiff angeboten.“

„Hätte ich gewusst, dass bereits am frühen Morgen Piraten hier ihr Unwesen treiben, hätten Sie dazu nicht die geringste Chance gehabt!“, konterte Alix selbstsicher. Es war ein wirklich erhebendes Gefühl, nach über sechs Jahren wieder einmal harmlos zu flirten.

Herausfordernd lächelnd erwiderte er: „Die Reue kommt zu spät. Jetzt sind Sie gefangen!“

Entschieden, aber nicht grob, griff er nach ihrer Hand und ließ keinen Zweifel daran, dass er durchaus wusste, was er wollte. Irgendwie brachte sie es fertig, beiläufig zu fragen: „Nur einen kleinen Spaziergang?“

Alix mochte das mutwillige Lachen, mit dem er antwortete. „Wirklich nur einen kleinen Spaziergang. Ich fühle mich im Augenblick nicht stark genug, Frauen gegen ihren Willen zu verführen oder an den Haaren in mein Boot zu schleifen, um mich an ihnen zu vergehen. Obwohl Ihr Haar, das muss ich Ihnen lassen, allen noch so großen Ansprüchen genügen würde.“

Das dichte kastanienbraune Haar reichte Alix fast bis zur Taille. „Ich fühle mich wirklich nicht als Frau, die einem Mann um jeden Preis zu Gefallen sein muss“, entgegnete sie nüchtern. „Vermutlich würde ich mich mit Händen und Füßen dagegen wehren, in ein Boot gezerrt zu werden.“

Langsam gingen sie bis zum Ende des Strandes nebeneinander her. Nachdenklich betrachtete Alix den blütenweißen Sand, über den sie schlenderten. Als sie wieder aufsah, fiel ihr Blick in einiger Entfernung auf ausgetretene Holzstufen, die zu einem Plateau hinaufführten.

„Sind Sie jemals dort oben gewesen?“, fragte der Fremde.

„Nein. Ich bin doch erst gestern Morgen hier angekommen und hatte noch nicht die Gelegenheit, mich umzusehen. Wohin führt der Weg denn?“

Auf ihre offensichtliche Begeisterung reagierte er lächelnd. „Ich werde es Ihnen zeigen. Bitte gedulden Sie sich ein wenig, bis ich mir Sandalen angezogen habe. Dann gehen wir zusammen zum Aussichtspunkt hinauf.“

Als er sich wieder aufrichtete, schien es Alix die natürlichste Sache der Welt zu sein, seine ausgestreckte Hand zu ergreifen. Der warme Druck war vertraut und beunruhigend zugleich.

Alix wandte sich der Treppe zu und sagte beiläufig, um ihre Verlegenheit zu verbergen: „In ein paar Stunden wird man den Strand vor lauter Sonnenschirmen nicht mehr erkennen können.“ Irgendwie musste sie den Bann brechen.

Leise lachend gab der Fremde zu verstehen, dass er durchaus wusste, was in Alix vorging. „Dann lassen Sie uns nicht noch mehr Zeit verschwenden. Hinauf mit Ihnen!“

Obwohl die Stufen sehr steil waren, erklomm Alix sie mühelos, denn sie war durchtrainiert. Trotzdem wurde sie den Eindruck nicht los, dass der Mann an ihrer Seite die Treppen ohne sie wesentlich schneller hinaufgestiegen wäre. Offensichtlich machten das felsige Gelände und die immer stärker werdende Hitze ihm nicht das Geringste aus.

Schließlich erreichten sie das spärlich bewachsene Plateau. Links erstreckte sich die kleine geschützte Bucht, wo die Yacht in der frühen Morgensonne friedlich vor Anker lag. Nur an wenigen Stellen wurde das türkisblaue Wasser von dunkelgrünen Algen getrübt. Doch es war nicht dieser berauschend schöne Anblick, der Alixs Aufmerksamkeit gefangen nahm. Sie sah ihren Begleiter von der Seite an. „Der Ausblick ist wunderschön und beängstigend zugleich, finden Sie nicht auch?“

Daraufhin löste der Fremde seine Hand aus ihrer und legte ihr den Arm um die Taille. Obwohl die Geste eigentlich mehr beschützend als intim wirkte, reagierte Alix überraschend heftig. Sie konnte nur hoffen, dass dem Fremden entgangen war, wie sie bei seiner Berührung kurz erschauerte.

Als er schließlich antwortete, wirkte er nachdenklich. „Beängstigend? Ja. Die See ist wie ein Mensch. Manchmal kann sie sehr unangenehm sein. Das darf man niemals vergessen.“

Alix merkte an dem Unterton in seiner Stimme, dass das Meer ihm viel bedeutete. „Sie laufen wohl kaum Gefahr, diesen Fehler zu begehen. Habe ich recht?“

Er verstärkte den Griff um ihre Taille und lachte jungenhaft. „Vielleicht, vielleicht auch nicht“, antwortete er und folgte ihrem Blick. Beinahe andächtig betrachtete Alix den Ozean, der sich in schier endloser Weite bis zum fernen Horizont erstreckte, wo man verschwommen die Umrisse anderer Inseln erkennen konnte. Eine sanfte Brise kräuselte die Oberfläche. „Waren Sie schon jemals auf den Westindischen Inseln?“, fragte der Fremde.

„Nein, noch nicht“, antwortete Alix. „Und auch in der kurzen Zeit, die ich hier bin, habe ich noch nicht viel Gelegenheit gehabt, die Schönheiten der Natur zu bewundern. Als ich ankam, war ich einfach zu müde, um die idyllische Landschaft zu würdigen. Ich wollte mich nur entspannen.“ Irgendwie hatte sie das Gefühl, sich dafür entschuldigen zu müssen, dass sie in der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes nicht mehr unternommen hatte.

Doch der Fremde schien ihr das nicht übel zu nehmen. „Die meisten Leute wollen in kürzester Zeit alle Sehenswürdigkeiten erkunden und vergessen dabei ganz, dass jede Insel ihre eigene Atmosphäre hat“, sagte er nachdenklich. „Und da Sie auf mich den Eindruck machen, als würde die leiseste Brise Sie von diesem Felsen hinunterwehen, möchte ich mir erst gar nicht vorstellen, wie Sie wohl aussahen, als sie aus dem Flugzeug stiegen.“

Alix war blass, erschöpft und angespannt eingetroffen. Den meisten Frauen wäre die Erfahrung, sich in einer Männerwelt behaupten zu können, zu Kopf gestiegen. Doch sie musste zugeben, dass die vergangenen Jahre mehr von ihr gefordert hatten, als sie sich lange Zeit selbst eingestehen wollte. Obwohl sie ausgiebig geschlafen und den ganzen Tag über mehr oder weniger gefaulenzt hatte, war Alix sich wohl bewusst, dass sie neben dem gebräunten, muskulösen Mann an ihrer Seite immer noch zerbrechlich wirken musste. Dennoch konnte man wohl kaum davon ausgehen, dass sie weggeblasen werden würde, schon gar nicht, wenn ein so starker Mann sie festhielt.

Plötzlich schien es die natürlichste Sache der Welt zu sein, dass auch Alix den Arm um den Mann legte. Als sie den muskulösen Rücken unter ihrer Hand spürte, durchströmte sie ein prickelndes Gefühl. Es war eine sehr intime Geste, so eng aneinander geschmiegt dazustehen, doch im Gegensatz zu all den Männern, die Alix bislang kennengelernt hatte, schien der Fremde die Situation nicht ausnutzen zu wollen.

„Da hinten liegt Antigua.“ Mit der freien Hand deutete er auf die am nächsten gelegene Insel. „Mit dem Segelboot kann man sie in nur einem Tag erreichen. Und doch ist sie ganz anders als diese Insel. Die Engländer haben sie maßgeblich geprägt. Allein der Hafen ist sehenswert. Die Gebäude stammen noch aus der Zeit von Admiral Nelson.“

„Hier hingegen haben die an schönen Künsten und gutem Essen interessierten Franzosen ihre Spuren hinterlassen“, sagte Alix nachdenklich.

„Richtig. Und diese wirklich einschneidenden Unterschiede zwischen den im Grunde so nahe gelegenen Inseln machen für mich den Reiz aus. Jede hat ihre ganz eigene Geschichte.“

Alix war so fasziniert von den Erzählungen des Fremden, dass sie am liebsten mehr über seine Inseltouren erfahren hätte. Doch die Zeit war wie im Flug vergangen. Mittlerweile stand die Sonne schon hoch am Himmel. Alix spürte die sengende Hitze durch den dünnen Stoff ihres T-Shirts. Widerstrebend streckte sie den Rücken durch und ließ ihren Arm sinken. Der Fremde tat es ihr nach.

„Jetzt muss ich aber wirklich zum Hotel zurück“, meinte sie ruhig und blickte in die blauen Augen, die genauso geheimnisvoll und verlockend zu sein schienen wie das Meer.

„Ich weiß“, antwortete er fast zärtlich. „Wie lange sind Sie denn noch hier?“

Instinktiv versteifte Alix sich. Trotz ihrer Gedanken wenige Augenblicke zuvor kam ihr tief verwurzeltes Misstrauen sofort wieder an die Oberfläche. Sie konnte sich dem Fremden einfach nicht öffnen, gleichgültig, was er vorschlug. Sie hatte den heutigen Morgen genossen und würde bestimmt gern an ihn zurückdenken, wenn sie wieder an ihrem Schreibtisch saß. Aber mehr steckte wirklich nicht dahinter.

„Noch ein oder zwei Tage“, antwortete Alix bewusst vage und hoffte, dass sie weder unhöflich noch ermutigend klang.

Erstaunt zog der Fremde die Augenbrauen hoch. „Ist das nicht ein wenig kurz, um in der Karibik Ferien zu machen?“ Gleichgültig zuckte sie die Schultern. Sie hatte nicht die Absicht, dem Mann den Grund für ihren Aufenthalt zu erklären. Zu oft hatte sie erlebt, wie sich das Verhalten anderer Leute unvermittelt änderte, wenn sie über ihren Job sprach. Beiläufig fragte sie: „Und was ist mit Ihnen?“

„Ich habe hier einige geschäftliche Dinge zu erledigen“, erwiderte er mit einem harten Unterton. Der Ausdruck der blauen Augen wurde plötzlich eisig. Wer immer diesen Mann überredet hatte, etwas zu tun, was er offensichtlich verabscheute, konnte einem leidtun. Plötzlich fröstelte Alix trotz der Hitze.

„Wir gehen jetzt wohl besser wieder an den Strand zurück“, sagte der Fremde mit einem entschuldigenden Lächeln, bewegte sich allerdings keinen Zentimeter vom Fleck.

Unvermittelt klopfte Alix das Herz bis zum Hals. Wie gebannt sah sie den Mann an. Würde er sie küssen? Wollte sie das überhaupt?

Seltsam beschützend strich er Alix eine Strähne hinters Ohr und ließ anschließend für einen kurzen Augenblick die Hand unter ihrem Kinn verweilen. Durch die Schwielen, die offensichtlich vom Segeln stammten, fühlte sie sich weich und hart zugleich an.

Mit weit aufgerissenen Augen erwiderte sie den Blick, in dem eine unausgesprochene Frage stand. Unvermittelt überkam Alix das verrückte Verlangen, den Kopf leicht zu drehen und die Hand zu küssen, die ihr Kinn umfasst hielt. Verwirrt senkte sie die Augenlider. Einen Moment später ließ der Fremde die Hand sinken.

Schweigend gingen sie zum Boot zurück. Nachdem er Alix Zeitschrift und Handtuch zurückgegeben hatte, bückte er sich unvermittelt und hob einen Gegenstand auf. „Hier, ein Souvenir.“

Die rosa und elfenbeinfarben schimmernde, zerbrechliche Muschel machte kaum den Eindruck, dem Ansturm der Wellen gewachsen zu sein. Alix wusste nicht, was sie sagen sollte.

Der Fremde lächelte. „Danke für den Spaziergang“, sagte er schließlich. „Passen Sie auf sich auf.“

„Sie auch“, antwortete Alix mechanisch. Es fiel ihr unglaublich schwer, den Blick von seinen strahlend blauen Augen abzuwenden, in deren Tiefen plötzlich ein leidenschaftlicher Funke aufglomm. Unwillkürlich machte der Fremde einen Schritt auf Alix zu, hielt dann aber mitten in der Bewegung inne.

„Der Pirat in mir rührt sich“, sagte er ruhig. „Ich verspüre das fast unwiderstehliche Verlangen, Sie einfach über die Schulter zu werfen und auf mein Schiff zu entführen, wenn Sie sich nicht bald aus dem Staub machen.“

Obwohl die Worte eher scherzend klangen, hörte Alix doch einen warnenden Unterton aus der wohlklingenden, tiefen Stimme heraus. Plötzlich rief jemand ihren Namen.

„Alix!“

Sie drehte sich um und sah, wie das ältere Ehepaar, mit dem sie den Abend zuvor gegessen hatte, ihr von den entfernten Bäumen aus zuwinkte. Sie wandte sich wieder dem Mann am Boot zu und zuckte die Schultern. „Scheint fast so, als wäre ich in letzter Minute gerettet worden“, sagte sie und machte keinen Hehl daraus, wie sehr sie das bedauerte.

„Da wäre ich mir an Ihrer Stelle nicht so sicher“, entgegnete der Fremde, drehte sich um und schob das Boot ins Wasser. „Au revoir“, rief er über die Schulter, während er hineinsprang, die Ruder ergriff und schnell das Wasser durchpflügte.

Nachdem Alix sich kurz mit dem Ehepaar unterhalten hatte, ging sie zu der kleinen strohgedeckten Hütte, in der sie untergebracht war. Obwohl sie von außen unscheinbar wirkte, war sie doch wesentlich luxuriöser eingerichtet als die Unterkünfte, die Alix von ihren sonstigen Geschäftsreisen her kannte.

Während sie sich T-Shirt und Badeanzug auszog und unter die Dusche ging, fragte sie sich, wie der Fremde wohl auf seiner Yacht untergebracht sein mochte. Von Weitem hatte das Schiff sehr groß gewirkt. Doch mit dem Segeln kannte Alix sich überhaupt nicht aus. In ihren Ohren klangen die Erzählungen über Inselkreuzfahrten interessant und beängstigend zugleich. Doch wie kam er ohne Mannschaft aus? Alix runzelte die Stirn. Manche Risiken waren wirklich nichts für sie.

Schließlich stieg sie aus der Dusche, wickelte ein großes weißes Handtuch um sich und betrachtete sich in dem beschlagenen Spiegel. Oh nein. Sie war nicht mehr der leicht zu beeindruckende Teenager oder die verbitterte Frau, die erst nach Jahren darüber hinweggekommen war, dass ihr Verlobter sie sitzen gelassen hatte. Kein Mann würde jemals wieder eine Rolle in ihrem Leben spielen.

Sie war eine erfolgreiche siebenundzwanzigjährige Journalistin, die sich dazu entschlossen hatte, allein zu leben. Und dennoch hatte sie auf einen völlig fremden Mann auf eine Weise reagiert, die sie bei sich nie für möglich gehalten hätte.

Alix wandte den Blick vom Spiegel ab und zog sich rasch weiße Shorts und ein pinkfarbenes T-Shirt über. Gegen eine blühende Fantasie war ein ausgiebiges Frühstück die beste Medizin.

Mittags hatte Alix ihr außergewöhnliches Verhalten am Strand fast vergessen. Sie hatte den ganzen Vormittag erfolglos versucht, mit ihrem Londoner Büro zu telefonieren, und war im Augenblick ziemlich reizbar. Der einzige ihr zur Verfügung stehende Apparat stand in der Empfangshalle des Hotels, sodass man, selbst wenn man schließlich Verbindung hatte, nie in Ruhe sprechen konnte.

„Bill?“

„Ja?“ Wie immer klang die Stimme ihres Chefs sehr geschäftsmäßig. „Hast du das Interview?“

Typisch. Ihren Chef interessierte es nicht im Geringsten, ob es ihr gut ging oder nicht.

„Nein“, antwortete sie knapp. „Wir treffen uns heute Nachmittag. Hast du die Informationen bekommen, die ich wollte? Oder soll ich wie verabredet auf der Linie: ‚Jake Hunter, der geheimnisvolle Mann‘ weitermachen?“

Die offensichtliche Abneigung, die aus ihrer Stimme klang, brachte ihren Chef kurz zum Lachen. „Tut mir leid, meine Liebe. Ich kann mit keinerlei Neuigkeiten aufwarten. Möglich, dass später noch etwas hereinkommt. Wenn ja, faxe ich es dir ins Hotel.“

Demnach blieb Alix nichts anderes übrig, als sich mit den lückenhaften Informationen zu begnügen, die sie hatte. „Ich soll also einen Geschäftsmann interviewen, der in Konkurs geratene Unternehmen aufkauft und zu wahren Goldgruben umwandelt und dem es gelungen ist, die Umsätze einer fast bankrotten japanischen Firma innerhalb eines Jahres zu verdoppeln. Meinen äußerst spärlichen Angaben zufolge könnte er ebenso gut aus der Bostoner High Society wie aus den Chicagoer Slums stammen. Ist das wirklich alles?“

In den vergangenen sechs Jahren hatte Jake Hunter in der amerikanischen Geschäftswelt einen kometenhaften Aufstieg erlebt. Doch trotz seines fast legendären Erfolgs war seine Vergangenheit stets im Dunkeln geblieben. Alix war es nicht einmal gelungen, ein halbwegs annehmbares Foto dieses Mannes zu bekommen. Die einzige Aufnahme, die sie hatte auftreiben können, war eine relativ unscharfe Gruppenaufnahme, aus der noch nicht einmal klar hervorging, wer von den fünf Männern eigentlich Jake Hunter war.

Wahrscheinlich war es der untersetzte, beinah kahlköpfige Mittvierziger, der sich in der Mitte der Gruppe befand. Jake Hunter konnte in Anbetracht seiner Erfolge kaum wesentlich jünger sein.

Bills Stimme riss Alix aus ihren Gedanken. „Richtig“, bestätigte er in dem Tonfall, in dem er normalerweise das Unmögliche verlangte. Obwohl er ihr Patenonkel war, tat er Alix beruflich nichts zu Gefallen. Und das erwartete sie auch nicht. Ihr Onkel Bill hatte ihr einen guten Job verschafft, als sie völlig verzweifelt gewesen war und sogar Putzen gegangen wäre.

Jetzt gehörte sie zu den Redakteuren einer Zeitung, und niemand, nicht einmal ihre schärfsten Konkurrenten glaubten, dass sie ihren Posten nicht ihrem Talent und ihrer Entschlusskraft verdankte. Trotzdem hatte Alix oft den Eindruck, dass Bill verlangte, sie sollte die Sterne vom Himmel holen.

„Ich habe nur einen Brief der Presseabteilung seiner Firma, in dem man mir ein Interview anbietet, und jeder Menge Zeitungsartikel, die lediglich enthüllen, was ohnehin schon jeder weiß: Jake Hunter ist ein Mann der Tat.“

„Und damit verdient er echtes Geld“, fügte Bill unnötigerweise hinzu. „Sieh mal, Alix. Wenn er tatsächlich vorhat, in den britischen Markt einzudringen, dann möchten wir das gern vorher wissen. Du bist diesem Mann nähergekommen als irgendjemand sonst. Außerdem hat er dir das Interview versprochen.“

„Sein Pressesprecher hat“, verbesserte Alix ihren Chef. „Von Jake Hunter persönlich habe ich noch kein einziges Wort gehört. Ich wünschte, ich wüsste mehr über ihn“, fügte sie stirnrunzelnd hinzu.

„Mehr Informationen scheint es einfach nicht zu geben. Trotzdem, sei unbesorgt, Jake Hunter wird von deinem Charme mehr als angetan sein.“

„Wundervoll. Du weißt offenbar ganz genau, wie überaus leicht es mir fällt, charmant zu sein“, entgegnete Alix ziemlich gereizt. Ihr Spezialgebiet waren Finanzfragen, und das kam nicht von ungefähr. Sie hatte sich dafür entschieden, weil in dieser Sparte gutes Aussehen, Glanz und Klatsch wenig zählten. Und Bill gehörte zu den wenigen Menschen, die wussten, weshalb sie allem misstraute, was damit in Zusammenhang stand. Schließlich hatte er mitbekommen, wie schwer es ihr gefallen war, ihr Leben ohne David neu aufzubauen.

Dem leisen Lachen aus der Leitung entnahm Alix, dass Bill ihre Gedanken erraten hatte. „Keine Sorge, Mädchen. Ich habe Vertrauen in deine Fähigkeiten.“

Ein solches Kompliment aus Bills Mund zu hören, verschlug Alix fast die Sprache. „Danke“, sagte sie etwas milder gestimmt. „Ich werde schon alles herausbekommen, selbst wenn ich bei Jake Hunter vor Charme sprühen müsste.“

Autor

Lynn Jacobs
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