Sinnliche Kreuzfahrt mit dir

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Ein Kreuzfahrtschiff! Zumindest eine Hälfte davon … Die Schiffsärztin Della sollte sich freuen über das großzügige Erbe. Doch die Sache hat einen Haken: Die andere Hälfte geht an den Neffen des Verstorbenen, den schillernden Hotelmagnaten Luke Marlow. Und der ist nicht bloß unwiderstehlich sexy, sondern auch profitgierig und will ihr geliebtes Schiff stilllegen. Della bleiben drei Wochen, um das zu verhindern! Oder sollte sie ihm besser sofort ihren Anteil verkaufen? Ehe dieser aufregende Mann sie aus Berechnung verführt - und hinterher mit gebrochenem Herzen zurücklässt …


  • Erscheinungstag 10.03.2015
  • Bandnummer 1863
  • ISBN / Artikelnummer 9783733721039
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Della Walsh blickte noch einmal zurück auf die Skyline von Melbourne. Dann betrat sie ihr Zuhause, das Kreuzfahrtschiff Cora Mae.

Vor dem Foyer standen mehrere Herren in Anzügen, darunter auch Captain Tynan. Ein großer Mann in der Mitte kehrte Della den Rücken zu, deshalb sah sie von ihm nur dunkelblonde Haare und breite Schultern in einem maßgeschneiderten Jackett. Sogar von hinten wirkte er selbstbewusst.

Das muss er sein, dachte sie. Luke Marlow, der Erbe der Cora Mae.

Wie Della waren viele Angestellte zur heutigen Testamentseröffnung eingeladen. Alle fragten sich: Was will Patrick Marlows Neffe mit dem Schiff anstellen? Verkaufen? Umbauen? Sich in das Alltagsgeschäft einmischen?

Wahrscheinlich interessierte sich Della noch mehr für Luke Marlow als die meisten ihrer Kolleginnen und Kollegen, denn im Laufe der Jahre hatte Patrick ihr viel über ihn erzählt. Vielleicht wusste sie sogar mehr über diesen Mann als über einige ihrer Freunde.

Als sie Richtung Foyer ging, hörte sie Captain Tynan versichern: „Wir kümmern uns unverzüglich um Ihre Wunde.“

Der dunkelblonde Fremde hielt eine Hand hoch. Sie war in ein blaues Taschentuch gewickelt. „Nicht nötig. Ich halte sie schnell unter den Wasserhahn und klebe ein Pflaster drauf.“

Als Captain Tynan sich umsah, erspähte er Della. „Dr. Walsh! Sie kommen gerade zur rechten Zeit. Mr Marlow hat eine Schnittwunde.“

Della nahm sich vor, den Mann nicht als künftigen Chef, sondern als x-beliebigen Patienten zu betrachten. „Guten Tag, Mr Marlow. Kommen Sie doch bitte mit in die Praxis, damit ich Ihre Verletzung behandeln kann.“

Langsam drehte er sich zu ihr um. Als er sie mit seinen stahlgrauen Augen anblickte, bekam Della eine Gänsehaut. Sie fragte sich, ob sie nervös war, weil ihre Zukunft von diesem Mann abhing. Oder reagierte ihr Körper etwa auf Luke Marlows markante Wangenknochen und den sinnlichen Mund? Irritiert schob sie den Gedanken von sich.

„Vielleicht muss die Wunde tatsächlich genäht werden“, meinte Luke nachdenklich, ohne Della aus den Augen zu lassen.

„Ich kümmere mich um Ihre Mitarbeiter“, bot Captain Tynan an. „Unser Chefsteward holt Sie später in der Praxis ab und bringt Sie zu uns, sobald Sie fertig sind.“

Wie in Zeitlupe wichen die Leute um Luke Marlow zur Seite. Er ging auf Della zu, bis er so dicht vor ihr stand, dass sie ihn hätte berühren können. Ihr Herz pochte heftig, weil er eine Ausstrahlung besaß, die alles um ihn herum verblassen ließ.

Sei nicht albern, schalt sie sich. Du hast geschworen, nie wieder etwas für einen Mann zu empfinden. Niemals. Außerdem ist Luke Marlow drauf und dran, dein Chef zu werden.

Sie stellte sich aufrecht hin, sodass sie bis zu Lukes Kinn reichte, und lächelte höflich. „Hier entlang, bitte.“

Luke nickte. Della hätte gern gewusst, ob er wohl all die Blicke bemerkte, die ihm auf dem Weg durch das Foyer folgten.

„Sagen Sie mal, Dr. Walsh …“, begann er.

Della sträubte sich gegen den Schauer, den ihr die tiefe Stimme über den Rücken rieseln ließ, und marschierte Richtung Fahrstühle. „Ja?“

„Stehen auf diesem Schiff immer so viele Leute Spalier, um Gäste zu begrüßen?“

Sie betraten einen Fahrstuhl, und Della drückte auf den Knopf für Deck 3. „Nein, aber Sie sind nun mal kein gewöhnlicher Gast.“

Er hob eine Augenbraue, sie war dunkler als seine Haare. „Was für einer bin ich denn?“

Der einzige Gast, der meine Knie weich werden lässt. Und der einzige Mann, der das fertigbringt, seit … Sie riss sich zusammen und sagte leichthin: „Derjenige, der heute wahrscheinlich die Cora Mae erbt.“

„Aha.“ Er steckte die gesunde Hand in die Hosentasche.

Glaubte er etwa, es würde sich nicht herumsprechen? Patrick Marlow hatte kein Geheimnis daraus gemacht, dass er dieses Schiff seinem Neffen hinterlassen wollte. „Gerüchte machen an Bord schnell die Runde“, sagte sie kühl.

„Dann gibt es also mehr als ein einziges Gerücht?“

Della lächelte. 330 Menschen arbeiteten auf der Cora Mae. Einige waren Saisonkräfte, die etwas von der Welt sehen wollten, hart arbeiteten und ausgiebig feierten. Außerdem gab es die langjährigen Angestellten, deren Heimat dieses Schiff war. In beiden Gruppen erzählte man sich die wildesten Geschichten über Luke.

Patrick hatte Della erzählt, dass sein einziger Neffe aus einem reichen Elternhaus stammte, mit großem Erfolg die Marlow-Hotelkette leitete und Respekt in der Branche genoss. Aber die Informationen ihres Freundes, der vor zwölf Tagen gestorben war, hatten Della nicht annähernd auf diesen Mann, auf Luke Marlow vorbereitet.

Sie führte ihn aus dem Fahrstuhl und einen Gang entlang. „Ja, mehrere Gerüchte“, räumte sie ein. „Aber die meisten stimmen vermutlich nicht.“

„Lassen Sie hören.“

Dem Menschen, der über ihren Arbeitsplatz und ihr Zuhause entschied, würde sie ganz sicher keine Einzelheiten anvertrauen. „Lieber nicht“, wehrte sie lächelnd ab und ging voraus in die Praxis.

„Hallo, Jody“, begrüßte sie die Krankenschwester am Empfang. „Ist Dr. Bateman da?“

Irgendwie brachte Luke Marlow sie aus dem Konzept. Bestimmt, weil er so einflussreich war. Wie auch immer: Wenn sich Ärzte nicht hundertprozentig wohlfühlten, sollten sie niemanden behandeln.

Cal Bateman hörte seinen Namen und kam zum Empfang. Della atmete auf. „Mr Marlow hat eine Schnittwunde“, informierte sie ihren Kollegen. Dann wandte sie sich an den Patienten: „Dr. Bateman kümmert sich jetzt um Sie.“

„Nein“, widersprach Luke entschieden.

Della stockte. „Wie bitte?“

„Falls die Wunde genäht werden muss, möchte ich, dass Sie es tun, Dr. Walsh.“

Verdutzt sah sie ihn an. Wieso war ihm nicht egal, wer ihn behandelte? „Dr. Bateman ist ein ausgezeichneter Chirurg“, erklärte Della. „Er hat mehrere Fortbildungen in Schönheitschirurgie absolviert und kann deshalb eine kleinere Narbe hinbekommen als ich.“

„Eine Narbe macht mir nichts aus. Ich will Sie, Dr. Walsh.“

Etwas in ihrer Brust zog sich zusammen. Flirtete er etwa mit ihr? Das hatte niemand versucht seit … ihrem Ehemann, Shane.

Um keine falschen Hoffnungen zu wecken, gab sich Della stets unnahbar. Luke Marlow machte allerdings nicht den Eindruck, als würde er sich davon abhalten lassen. Sie unterdrückte einen Seufzer. Dann nickte sie, schließlich war sie ein Profi. Sie würde Patricks Neffen behandeln, und zwar so, dass er nicht den geringsten Grund zur Klage hatte.

„In Ordnung.“ Sie führte ihn in das Behandlungszimmer und legte die nötigen Utensilien bereit. „Nehmen Sie bitte Platz, Mr Marlow.“

„Luke.“ Er setzte sich auf einen schwarzen Patientensessel neben einem kleinen Tisch.

„Ich belasse es bei Mr Marlow, wenn es Ihnen recht ist.“ Della nahm den weißen Kittel vom Türhaken und schlüpfte hinein. „Immerhin werden Sie in ein paar Stunden mein Chef sein.“

„Nein, es ist mir nicht recht. Sie wollen mit einer Nadel in meine Haut stechen. Unter diesen Umständen fühle ich mich wohler, wenn wir auf Formalitäten verzichten.“

Della blickte ihn kurz an, als er sich auf dem Sessel ausstreckte. Er wirkte überhaupt nicht so, als wäre ihm unwohl. Aber als Erbe der Cora Mae gab er nun mal den Ton an. „Na gut. Luke.“

Er betrachtete das Namensschild auf ihrem Kittel. „Dr. Adele Walsh. Darf ich Sie Adele nennen?“

Nur Shane hatte sie so genannt. Sie sah sein Gesicht vor sich und wäre fast zusammengezuckt. „Della ist mir lieber.“

„Della. Gefällt mir. Jetzt kennen wir uns näher, und Sie können mir beruhigt sämtliche Gerüchte anvertrauen.“

Sie musste lachen. „Cleverer Schachzug, Luke. Aber Sie wollen doch sicher nicht ernsthaft Zeit mit Klatsch verschwenden?“

Er schaute ihr in die Augen. „Nein, eigentlich nicht. Eine Frage habe ich allerdings.“

Della ahnte, worum es ging. Irgendwann würde das Thema ohnehin zur Sprache kommen. Besser, es passierte vor der Testamentseröffnung. Sie holte tief Luft und zwang sich zu einem Lächeln. „Welche denn?“

„Meinen Informationen zufolge wurde mein Onkel während seiner Krankheit von einer Schiffsärztin betreut.“

„Richtig.“ Ihre Stimme klang nicht ganz fest.

„Sind Sie diese Ärztin?“

Trauer schnürte ihr die Kehle zusammen, deshalb nickte sie nur. Patrick Marlow war so ein lebensfroher, beeindruckender Mann gewesen. Irgendwie mochte sie immer noch nicht glauben, dass sie nie wieder mit ihm reden konnte. Außerdem brachte sein Tod den Verlust von Shane erneut an die Oberfläche …

Luke musterte sie ernst. „Danke, dass Sie sich um ihn gekümmert haben.“

Sie schluckte. „Keine Ursache. Patrick war für mich wie ein Freund. Es war sein Wunsch, sein Leben auf dem Schiff statt in einem Hospiz auf dem Festland zu beenden – wir haben ihn gern erfüllt.“

„Wir hatten keine Ahnung, wie krank er war. Ich habe oft mit ihm telefoniert, aber er hat es nie erwähnt. Früher kam er alle drei Monate für ein paar Tage zu meiner Mutter zu Besuch. Uns war bewusst, dass es ihm dafür in letzter Zeit nicht gut genug ging, aber niemand wusste, wie schlecht es um ihn stand.“ Luke stützte die Ellenbogen auf die Armlehnen und verschränkte die Finger unter dem Kinn. „Warum nicht?“

Della dachte daran, wie sie Patrick geraten hatte, seine Familie über die Krebserkrankung zu informieren. Er hatte vehement abgelehnt. Seine Verwandten sollten ihn nicht gebrechlich erleben, sondern als vitalen Mann in Erinnerung behalten.

Sie suchte nach Worten. „Patrick war stolz. Er dachte, so wäre es am besten.“

„Seit wann ging es ihm eigentlich schon schlecht?“, fragte Luke leise.

„Die Krebsdiagnose kam vor knapp einem Jahr. Daraufhin hat Ihr Onkel an Land zwei Chemotherapien gemacht, aber vor etwa vier Monaten hat sich sein Zustand rapide verschlechtert.“

„Musste er … leiden?“

„Ich habe ihm nach Bedarf Morphin und andere Arzneimittel gegeben, deshalb waren seine Beschwerden minimal.“

„Und gab es …“ Er zögerte und fuhr sich mit der unverletzten Hand durch die Haare. „Ich möchte nicht respektlos klingen, aber hat er noch andere Ärzte konsultiert?“

Della verstand Luke. An seiner Stelle hätte sie ebenfalls wissen wollen, ob Patrick die bestmögliche Behandlung bekommen hatte.

„Er war Patient einer Fachärztin im Royal Sydney Hospital. Wenn Sie mit ihr sprechen möchten, gebe ich Ihnen gern die Telefonnummer.“

Als Luke den Kopf schüttelte, fuhr Della fort: „Während der letzten beiden Monate hat Patrick aus eigener Tasche einen zusätzlichen Schiffsarzt bezahlt, damit ich mich ganz um ihn kümmern konnte. Wir haben auch eine Krankenschwester an Bord geholt, also war rund um die Uhr jemand bei ihm.“

Luke nickte und atmete tief durch. „Kommen Sie zur Testamentseröffnung?“

„Ja.“ Patrick hatte ihr dieses Versprechen abgenommen und angekündigt, er hinterlasse ihr eine Kleinigkeit. Ihr Protest war auf taube Ohren gestoßen. „Viele Mitarbeiter sind eingeladen worden.“

„Ich hoffe, Patrick hat Sie bedacht, als Anerkennung für Ihr Engagement. Falls er nicht mehr dazu gekommen sein sollte, sein Testament entsprechend zu ändern, sorge ich dafür, dass Sie ein Andenken erhalten.“

Lukes Großzügigkeit erinnerte sie so sehr an die seines Onkels, dass es Della einen Stich versetzte. Sie musste daran denken, wie oft Patrick seinen Neffen in den höchsten Tönen gelobt hatte. Damals hatte sie sich gefragt, ob der alte Herr wohl übertrieb oder ob Luke tatsächlich so ein toller Mann war.

„Das ist überaus freundlich von Ihnen“, meinte Della. „Aber es muss wirklich nicht sein. Ich habe nur meine Arbeit gemacht, und wie gesagt, ich mochte Patrick sehr.“

„Unabhängig davon weiß ich zu schätzen, dass Sie für ihn da waren.“

„Danke.“ Della fiel ein Stein vom Herzen. Mehr als einmal hatte sie befürchtet, Patricks Verwandte könnten ihr die Schuld daran geben, dass sie nichts von seiner Erkrankung gewusst hatten. „Wenn Sie pünktlich zur Testamentseröffnung kommen wollen, sollten wir uns jetzt aber um Ihre Wunde kümmern.“

„Stimmt.“

Della wusch sich die Hände, nahm auf der anderen Seite des Tisches Platz und breitete ein steriles Tuch aus. „Legen Sie bitte Ihren Arm darauf“, sagte sie, während sie Handschuhe überstreifte.

Luke gehorchte. Interessante Frau, diese Ärztin. Es konnte nicht leicht gewesen sein, für seinen sturen Onkel zu sorgen. Nach dessen Tod hatte Captain Tynan angerufen und voller Hochachtung von der Schiffsärztin gesprochen.

Doch nicht nur deshalb hatte Luke darauf bestanden, dass Della ihn behandelte. Sie hatte etwas Besonderes. Sie trug kein Make-up, aber ihre karamellbraunen Augen fesselten ihn mehr als die irgendeiner kunstvoll geschminkten Society-Schönheit. Klug sah sie aus, und in ihrem Blick lag eine seltsame Verheißung …

Er runzelte die Stirn. Es gehörte sich nicht, auf diese Weise über die Ärztin seines Onkels nachzudenken. Patrick war erst vor zwölf Tagen gestorben, und Luke fühlte den Verlust noch immer wie einen Schlag in die Magengrube.

Behutsam entfernte Della das blaue Taschentuch, das er um seine Hand geknotet hatte. Der Schnitt am Daumen war lang, aber nicht tief. Della untersuchte die Wunde sorgfältig und desinfizierte die unverletzte Haut um den Schnitt herum. Dann spülte sie die Wunde mit Kochsalzlösung aus und tupfte sie mit sterilen Tupfern ab. „Wobei haben Sie sich denn geschnitten?“

„Bei einem Autounfall.“

Alarmiert wanderte ihr Blick seinen Hals entlang zu den Schultern. „Haben Sie noch weitere Verletzungen? Und wie geht es den anderen Leuten, die am Unfall beteiligt waren?“

„Alles in Ordnung. Genau genommen war es harmlos. Ich hatte gerade Wasser aus dem Kühlschrank genommen und wollte es in ein Glas gießen.“

Della sah ihn verständnislos an. „Ich denke, es ist in einem Auto passiert?“

„Ja, in einer Stretchlimousine. Ich nutze den Wagen oft als Konferenzraum. Als der Fahrer plötzlich scharf bremsen musste, gab es einen Ruck. Das Glas ist gegen den Kühlschrank geprallt und zerbrochen.“

„Glück im Unglück.“ Della konzentrierte sich wieder auf seine Hand.

Vielleicht hatte ich das wirklich, weil ich hier gelandet bin, dachte Luke. Er betrachtete die seidigen braunen Locken der Ärztin, die ihm mit gesenktem Kopf gegenübersaß.

„Können Sie Ihren Daumen bewegen?“, fragte Della. „Und den Zeigefinger? Okay, gut. Spüren Sie das hier?“ Mit einer Fingerspitze strich sie über die Innenseiten seiner Hand.

„Ja.“

Sie nickte zufrieden. „Ich spritze Ihnen jetzt eine örtliche Betäubung.“

Luke spürte nicht nur die beiden Einstiche, sondern auch Dellas Hand, die seine eigene routiniert festhielt.

„Bis die Betäubung richtig wirkt, suche ich in der Wunde nach Glassplittern. Das tut nicht weh.“

Ihre dunklen Wimpern senkten sich über die samtigen Wangen, als sie die Pinzette nahm und mit der Arbeit begann. Unter normalen Umständen hätte Luke sie zu einem Drink eingeladen, vielleicht sogar zum Dinner. Aber da sie bald seine Mitarbeiterin sein würde, hielt er sich zurück.

Außerdem bezweifelte er, dass Della sein Angebot annehmen würde. Die Frau schien sich ausschließlich beruflich für ihn zu interessieren.

„Dieser Schnitt hier muss tiefer gewesen sein.“ Sie ließ eine Fingerspitze über die lange Narbe an der Innenseite seines Daumens gleiten.

„Ein Unfall in meiner Kindheit“, schwindelte er. Dabei hatte er sich als 13jähriger absichtlich den Daumen mit einem Taschenmesser aufgeschlitzt.

In jener Nacht waren vier Freunde im dunklen Schlafsaal des Internats zu Blutsbrüdern geworden. Luke wusste noch genau, wie enthusiastisch er zugestochen hatte – als könnte viel Blut das Band noch fester machen. Vielleicht stimmte das sogar, denn den drei Jungen von damals stand er noch heute näher als irgendwelchen anderen Menschen.

Della legte die Pinzette weg und desinfizierte die Haut noch einmal. Dann zog sie die Handschuhe aus, streifte ein neues Paar über und griff zur Nadel.

„Wie schlimm ist es?“, erkundigte sich Luke.

„Die Wunde ist nur oberflächlich.“

Er fühlte ein kaum wahrnehmbares Ziehen, als Della in seine Haut stach und den Schnitt nähte. Rasch und geschickt verknotete sie die Fäden und schnitt sie ab. Ihre Handgriffe waren anmutig und kompetent – wie die Frau selbst.

Nach dem dritten Stich klebte Della ein steriles Pflaster auf die Wunde und zog die Handschuhe aus. „Wie lange ist Ihre letzte Tetanusimpfung her?“

„Etwa ein Jahr.“

„Gut. Ein Antibiotikum dürften Sie nicht brauchen. Der Schnitt war sauber, und ich habe keine Fremdkörper gefunden.“ Della stand auf und wusch sich die Hände. „In sieben Tagen müssen die Fäden gezogen werden. Sollten Sie dann noch auf der Cora Mae sein, kommen Sie einfach wieder her, und Cal oder ich kümmern uns darum.“

„Ich bleibe nur kurz hier.“ Er war zur Testamentseröffnung gekommen und wollte sich über die Abläufe auf dem Schiff informieren. Aber sobald es in Sydney anlegte, würde er von Bord gehen.

Eine feine Falte erschien zwischen Dellas Brauen. „Wollen Sie die Cora Mae denn gar nicht auf dem Pazifik erleben?“

„Nicht nötig.“ Wenn es nach ihm ging, kreuzte dieses Schiff bald weder auf dem Pazifik noch irgendwo anders.

„In dem Fall gehen Sie bitte in einer Woche zu Ihrem Hausarzt, Mr Marlow“, sagte Della mit ihrem höflichen Lächeln. „Melden Sie sich schon früher bei ihm, falls die Hand wehtut, rot wird oder anschwillt. Hier sind ein paar Ersatzpflaster für Sie. Soll ich jetzt dem Chefsteward Bescheid geben, damit er Sie zu den anderen Herren bringt?“

Sein Termin bei Dr. Walsh war zu Ende, deshalb sprach sie ihn förmlich an. Keine Vornamen mehr. Gleich würde er gehen und ihr wahrscheinlich nie wieder unter vier Augen begegnen. Das war auch gut so, sonst würde er sie womöglich doch noch zu einem Drink einladen. Dabei wollte er auf keinen Fall etwas mit einer künftigen Angestellten anfangen, die obendrein nie länger als eine Nacht im selben Hafen verbrachte.

„Nein, danke. Ich finde schon allein hin.“ Luke stand auf und legte eine Hand auf die Türklinke. „Danke, Dr. Walsh.“

„Gern geschehen, Mr Marlow.“ Sie klang völlig unbeeindruckt.

Aus irgendeinem Grund zog ihn diese Frau in ihren Bann. So etwas erlebte er nicht oft. Was, wenn sie beide trotz allem …

Verschwinde jetzt, drängte ihn sein gesunder Menschenverstand. Das ist keine Frau für dich. Bedauernd schüttelte Luke den Kopf. Auf der Türschwelle hätte er sich fast umgedreht, um noch einen Blick auf die Schiffsärztin zu erhaschen – doch dann nahm er sich zusammen und ging.

2. KAPITEL

Eine knappe Stunde später eilte Della zum Konferenzsaal. Sie hasste Unpünktlichkeit. Wer zu spät kam, stand im Mittelpunkt, und das tat sie nie gern.

Nachdem Luke die Praxis verlassen hatte, war ein Kind mit einem Bienenstich aufgetaucht. Ein anderes Kind hatte sich bei einem Sturz das Handgelenk verrenkt, eine junge Frau litt unter Migräne, ein Mann unter einem Sonnenbrand. Della hatte Cal nicht sämtliche Fälle aufhalsen wollen, um selbst zur Testamentseröffnung zu gehen, also hatte sie mit angepackt.

Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. 14.03 Uhr.

Leise öffnete sie die Tür – und atmete auf. Obwohl die Leute schon saßen, herrschte noch allgemeines Gemurmel, während ein grauhaariger Mann am vordersten Tisch seine Papiere ordnete. Della erspähte ganz hinten einen leeren Stuhl am Gang und huschte hinüber.

„Habe ich etwas verpasst?“, fragte sie ihre Nachbarin leise.

„Nein“, antwortete Jackie, die leitende Hauswirtschafterin. Wie Della war auch sie mit dem Besitzer der Cora Mae befreundet gewesen. „Es hat so etwas Unwirkliches, nicht wahr? Ich mag einfach nicht glauben, dass Patrick tot ist und wir hier sind, um über sein Erbe zu reden.“

„Ich weiß, was du meinst.“ Della kämpfte mit den Tränen. „Bis zuletzt habe ich geglaubt, er könnte es doch noch schaffen.“

„Er hat ja auch selbst daran geglaubt.“

„Patrick war so optimistisch. Er hat länger durchgehalten, als alle Spezialisten es für möglich hielten.“

„Nicht zuletzt dank dir.“ Jackie drückte die Hand ihrer Kollegin. „Jeder hier weiß, wie gut du dich um ihn gekümmert hast.“

Jetzt ergriff der grauhaarige Mann das Wort. Er stellte sich als Patrick Marlows Anwalt und Testamentsvollstrecker vor.

Während er sprach, schaute Della zu Luke Marlow, der wie sie am Gang saß, wenn auch weiter vorne. Wie bei ihrer ersten Begegnung konnte sie den Blick nur schwer von ihm losreißen.

Langsam sah Luke in die Runde. Als er Della erkannte, nickte er knapp. Sie nickte zurück, strich sich eine Locke hinter das Ohr und versuchte, ihn zu vergessen. Schließlich war sie wegen seines Onkels hier.

Jetzt kam der Anwalt zur Aufteilung von Patricks Besitz. Die Bücher sollte Lukes Mutter bekommen. Manschettenknöpfe und Krawattennadeln hatte Patrick Mitarbeitern hinterlassen.

„Was das Kreuzfahrtschiff Cora Mae betrifft …“ Der Anwalt hüstelte. „… hinterlasse ich eine Hälfte meinem Neffen, Luke Marlow.“

Ein paar Sekunden lang war es ganz still im Saal. Dann lief ein Raunen durch die Reihen.

Luke erbte nur eine Hälfte? Della versuchte, sich einen Reim auf den Satz zu machen, während Patricks Neffe aufrecht und regungslos dasaß.

Es muss einen weiteren Erben geben, folgerte sie und dachte an Patricks Geschichten über seine Verwandten. Wer von denen kam wohl infrage?

„Die andere Hälfte hinterlasse ich Dr. Della Walsh“, fuhr der Anwalt fort.

Was? Dellas Herz stolperte kurz, um gleich darauf heftig zu pochen. Jeder Schlag war wie ein schmerzhafter Hieb mit einem Hammer.

Wie bitte?

Das konnte unmöglich stimmen. Fieberhaft überlegte Della, was sie wohl missverstanden hatte.

Die Leute drehten sich um und starrten sie an. Da hatte sie sich so beeilt, um noch rechtzeitig zu kommen und in der Masse unterzugehen, und nun stand sie doch im Mittelpunkt.

Um ein Haar hätte sie hysterisch gekichert, aber Lukes wütender Blick erstickte den Impuls im Keim. Sie lehnte sich zurück, weg von der Wucht des stummen Vorwurfs in seinen grauen Augen.

Luke erhob sich abrupt und zog dadurch alle Aufmerksamkeit auf sich selbst. Della fröstelte, als er auf sie zukam.

„Dr. Walsh“, stieß er mit zusammengebissenen Zähnen hervor. „Ich würde Sie gern unter vier Augen sprechen.“

Mit einer Hand deutete er zum Ausgang. Offenbar sollte Della mit ihm den Saal verlassen. Ihre Beine schienen der Herausforderung nicht gewachsen zu sein, doch irgendwie schaffte sie es, aufzustehen. Beinahe wäre sie gestolpert. Mit einer festen, warmen Hand griff Luke ihren Ellenbogen und bewahrte sie vor der Schmach eines Sturzes.

Della wollte ihm danken, aber der harte Glanz in seinen Augen ließ sie verstummen. Mit all der Würde, die sie unter diesen Umständen zusammenkratzen konnte, ließ sie sich von Luke hinausführen.

Sobald sie auf dem Korridor standen, fragte er: „Wo können wir hier ungestört reden?“

Sie zeigte auf die Tür links von ihnen. Luke steuerte darauf zu, die Hand noch immer fest um Dellas Ellenbogen. Sie betraten einen Besprechungsraum mit zehn Stühlen um einen rechteckigen Tisch.

Luke zog die Tür zu und ließ Dellas Arm los. Er stemmte die Hände in die Hüften – ein gut 1,90 Meter langer Mann voller Wut und Misstrauen.

„Sagen Sie, Dr. Walsh.“ Seine Stimme klang verächtlich. „Was genau haben Sie eigentlich für meinen Onkel getan, um ein halbes Schiff zu verdienen?“

Es dauerte einen Moment, bis Della begriff. Luke dachte, sie hätte sich prostituiert, um Geld aus Patrick herauszuschlagen. Zorn brodelte in ihr hoch. Bevor sie richtig wusste, was sie vorhatte, schwang ihre Hand schon wie von selbst Richtung Luke. Seine Augen weiteten sich. Er wollte sich wegdrehen, doch es war zu spät.

Della versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. Ein heißer Schmerz durchzuckte ihre Handfläche, während der Rest ihres Körpers eiskalt blieb. Die Erschütterung durch den Schlag kroch ihr den Arm hoch bis zur Schulter.

Ich habe Luke Marlow geschlagen! Sie fühlte sich schrecklich.

Fassungslos kehrte sie die rechte Handfläche nach oben und betrachtete sie. Dann glitt ihr Blick zu dem roten Abdruck ihrer Finger auf Lukes Wange, und ihr Magen krampfte sich zusammen.

Autor

Rachel Bailey
Rachel Bailey war während ihrer Schulzeit nicht sehr interessiert am Schreiben und lesen. Physik, Chemie und Biologie waren ihre Lieblingsfächer. Ihre Mutter machte sich darüber lustig, dass sie wissenschaftliche Lehrbücher in den Urlaub mitnahm. Nach der Schule machte sie einen wissenschaftlichen Abschluss (wer hätte das auch anders gedacht?) aber ganz...
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