Sinnliche Winternacht mit dem Playboy

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Ungläubig schaut Piers auf das Bündel in den Armen seiner Assistentin Faye: Jemand hat vor seinem verschneiten Anwesen ein Baby ausgesetzt! Ganz unerwartet verspürt der Playboy-Millionär den heftigen Wunsch nach einer Familie. Gut, dass Faye sich mit Kindern auskennt! Wie ein begehrenswerter Engel kommt sie Piers plötzlich vor. In einer Winternacht finden sie vor dem Kamin zueinander - doch dann verschwindet Faye ohne ein Wort der Erklärung. Hat ihre Angst vor der Liebe sie vertrieben?


  • Erscheinungstag 13.11.2018
  • Bandnummer 2055
  • ISBN / Artikelnummer 9783733724467
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Lass das die letzte karierte Schleife sein, die ich anbringen muss“, stöhnte Faye, während sie zurücktrat und das hölzerne Geländer begutachtete, das zur Galerie der Lodge führte. Eine lange Weihnachtsgirlande – unterbrochen von großen karierten Schleifen – zog sich bis ganz nach oben.

Nicht zum ersten Mal verfluchte sie das Pech der Dekorateurin ihres Chefs, die von einer Leiter gefallen und sich dabei eine Woche, bevor Piers in seinem Ferienhaus in Wyoming erwartet wurde, die Schulter ausgerenkt hatte.

Faye hatte vorgeschlagen, das Haus für die Feiertage in diesem Jahr etwas minimalistischer zu schmücken, aber nein, Piers war halsstarrig geblieben. Er nannte es Tradition. Sie nannte es nervtötend. Jedenfalls hatte sie ihr sonniges Zuhause in Santa Monica verlassen und in ein Flugzeug steigen müssen, nur um bei ihrer Ankunft in Jackson Hole zu entdecken, dass sich das Wetter eher für Eisbären eignete als für Menschen. Und nun war sie also hier. Sechs Tage vor Weihnachten schmückte sie ein Haus für Leute, die ihre Dekoration wahrscheinlich nicht einmal zu schätzen wussten. Außer ihrem Chef natürlich. Er liebte diese Zeit des Jahres mit der Inbrunst eines Kindes – einschließlich des Schnees.

Sie hasste Weihnachten noch mehr als Schnee.

Langsam drehte sie sich um und begutachtete die Eingangshalle der Lodge. Selbst meine Mutter wäre stolz auf mich, würde sie noch leben, dachte Faye, bevor sie diesen Gedanken entschlossen beiseiteschob. Das Haus sah rundherum widerlich festlich aus. Jeder normale Mensch würde es lächerlich finden. Es gab auch keinen vernünftigen Grund traurig zu sein, weil man die Weihnachtstage allein verbrachte, wenn man die Weihnachtstage ohnehin leidenschaftlich hasste, oder?

Jedenfalls hatte sie ihren Auftrag erfüllt und konnte in die Sonne zurückfliegen, wo sie sich in ihrer herrlich klimatisierten Wohnung verstecken und ihrer üblichen Tradition hingeben konnte, die daraus bestand, sich erst alle Predator-Filme anzusehen und danach alle Alien-DVDs ihrer Sammlung.

Sie ging zur Eingangstür, wo ihre gepackte Reisetasche bereits auf sie wartete.

Die Eingangstür flog auf, und ein Schwall kalter Luft kündete das Eintreffen ihres Chefs Piers Luckman an. Sie arbeitete seit drei Jahren für ihn und hegte für ihn als Geschäftsmann den größten Respekt. Und als Mann? Etwas regte sich in ihr, etwas Verbotenes. Etwas, das jemand anders als Hinweis auf Sehnsucht und Verlangen deuten würde. Etwas, das sie unterdrückte. Nein, damit würde sie sich nicht beschäftigen.

Piers stampfte mit den Füßen auf, um den Schnee loszuwerden, trat dann ins Haus und nahm die zerschrammte Computertasche von der Schulter.

„Guten Flug gehabt?“, fragte sie. Sie wusste, dass er den Firmenjet von LA nach Jackson Hole selbst flog.

Er hatte kein Gepäck dabei, weil er in seinen überall auf der Welt verstreuten Häusern Kleidung für jede Gelegenheit aufbewahrte.

„Frohe Weihnachten!“, begrüßte Piers sie, als er sie sah, und öffnete den Reißverschluss seiner Daunenjacke.

Herr im Himmel, was er wohl darunter trug?

„Hattest du nicht vor, erst am Tag vor der Party zu kommen? Du bist vier Tage zu früh da“, kommentierte sie seine Ankunft. „Und was ist das, bei allen Heiligen?“ Sie zeigte auf den knallbunten handgestrickten Pullover, den er trug. Das Rentier schielte, sein Geweih war schief und seine Nase? Sie leuchtete grellrot.

Auf Piers’ Gesicht erschien ein atemberaubendes Grinsen.

Faye konzentrierte sich darauf, das Lächeln nicht zu erwidern. Der Mann sah einfach viel zu gut aus. Sie widerstand seinem Charme nur, weil sie sich geschworen hatte, Single und kinderlos zu bleiben. Außerdem mochte sie ihre Arbeit, und sich in ihren Chef zu verknallen, wäre wie ein Freifahrtschein zur Arbeitslosigkeit.

Und außerdem: War ihren vielen Vorgängerinnen nicht genau das passiert? Er konnte ja nichts dafür, dass seine persönlichen Assistentinnen, die eine Menge Zeit mit ihm verbrachten, ihn anziehend fanden. Er war charmant, intelligent, gut aussehend, und auch wenn er mit einem goldenen Löffel im Mund zur Welt gekommen war, scheute er sich nicht, hart zu arbeiten. Faye hatte ihren Chef nur ein einziges Mal aufgewühlt erlebt: vergangenen Januar, als sein Bruder bei einem Fallschirmsprung ums Leben gekommen war. Seitdem war Piers ruhiger und nachdenklicher geworden.

In der Vergangenheit hatte Faye oft den Eindruck gehabt, Piers gehe mit anderen ein wenig nonchalant um, insbesondere was seine Freundinnen anbelangte. Doch im vergangenen Jahr war er aufmerksamer geworden, als habe Quins Tod ihn daran erinnert, wie zerbrechlich das Leben war. Mit Lydia, seiner letzten Freundin, war er sogar länger zusammen gewesen. Faye hatte sich schon gefragt, ob Piers vorhatte, daraus eine feste Beziehung zu machen, als sie den Auftrag von ihm erhielt, das übliche Trennungsgeschenk zu verschicken: ein wertvolles Schmuckstück in einer hellblauen Schachtel mit einer handgeschriebenen Karte.

Nur aus Selbstschutz fand sie ihn nicht unwiderstehlich, und in Sachen Selbstschutz war sie ziemlich gut. Man konnte nicht verletzt werden, wenn man keine romantischen Träume hegte, und ohne sie lebte es sich sehr gut.

„Das hier?“, fragte er und strich sich mit der Hand über die breite Brust. Sie wusste genau, was sich unter dem Pullover befand, seit sie mit Piers an der Côte d’Azur gearbeitet hatte, wo er Badeshorts statt der Bürokleidung getragen hatte: ein festes Sixpack. „Den hat Tante Florence mir zu Weihnachten geschenkt. Ich habe eine ganze Sammlung davon. Gefällt er dir?“

„Er ist grässlich“, antwortete sie offen. „Jetzt, wo du da bist, kann ich fahren. Gibt es noch etwas, worum ich mich in LA kümmern soll?“

Piers sah seine Assistentin an. Jemandem wie Faye Darby war er zuvor nicht begegnet. Und genau deshalb hatte er sie gern in seiner Nähe. Sie faszinierte ihn, und in seiner Welt gab es nur wenige, die das schafften. Außerdem war sie unglaublich kompetent, was ihm größte Hochachtung einflößte. Wahrscheinlich war es grausam von ihm gewesen, sie das Haus für ihn dekorieren zu lassen, vor allem, weil er wusste, dass sie die Feiertage hasste. Aber jemand musste es machen, und offen gesagt, traute er niemand anderem zu, es für ihn zu erledigen.

Jetzt stand sie da und wartete auf eine Antwort.

„Im Moment fällt mir nichts ein. Hast du Lydia das Dankeschön-Geschenk geschickt?“

Noch etwas, worum er sich selbst hätte kümmern sollen. Aber warum sollte man es nicht delegieren, wenn man jemand hatte, der so unglaublich fähig war? Außerdem überließ man es besser einem Experten, wenn man sich aus einer Affäre retten wollte, die kompliziert zu werden begann. Und Faye hatte weiß Gott reichlich Erfahrung darin, seine Freundinnen zu verabschieden.

Zu seiner Freude verdrehte Faye die Augen. Ah, sie war so leicht zu ärgern, immer so ernsthaft! Und das brachte ihn stets dazu, sich noch mehr anzustrengen, ihr eine spontane Reaktion zu entlocken.

„Natürlich“, erwiderte Faye eisig. „Sie hat es übrigens zurückgeschickt. Möchtest du wissen, was sie geschrieben hat?“

Piers hatte keine Zweifel, dass seine verflossene Geliebte nicht besonders erfreut darüber gewesen war, mit Diamanten abgefunden zu werden, und dass sie Armband und die passenden Ohrringe mit deutlichen Worten zurückgeschickt hatte. Lydia hatte ein Faible dafür, Leuten in knappen Worten zu sagen, was sie von ihnen hielt, und er hätte darauf gewettet, dass sie ihm mitgeteilt hatte, wohin er sich besagten Schmuck stecken könne.

Er war auch davon überzeugt, dass Faye Lydias Standpunkt teilte. Die beiden Frauen waren gut miteinander ausgekommen. Vielleicht sogar ein bisschen zu gut.

„Nein, ist schon okay. Ich glaube, ich weiß es“, antwortete er und verzog das Gesicht.

„Sie wird nicht aufgeben“, fuhr Faye fort, als hätte er nichts gesagt. „Sie schreibt, sie verstehe, dass du kalte Füße bekommst, wenn man deine Bindungsunfähigkeit und die Tatsache, wie viel ihr euch gegenseitig bedeutet, bedenkt.“

„Meine was?“

„Sie schreibt außerdem, dass du ihr den Schmuck persönlich geben könntest, und schlägt ein Abendessen im neuen Jahr in ihrem Lieblingsrestaurant vor. Ich habe es in deinen Kalender eingetragen.“

Piers stöhnte. „Okay, ich sage es ihr persönlich.“

„Gut. Wenn es sonst nichts gibt, mache ich mich auf den Weg.“

Sie war offenbar ganz scharf darauf, loszufahren. Er hatte ihr gesagt, sie könne gern an seiner jährlichen Party teilnehmen, aber Faye hatte ihn angesehen, als würde sie lieber mit Glassplittern gurgeln.

„Nein, sonst nichts. Fahr vorsichtig! Der vorhergesagte Schneesturm scheint früher zu kommen. Draußen ist es ziemlich krass. Willst du wirklich fahren?“

„Klar!“, sagte sie mit absolutem Selbstvertrauen.

Ihm schien es, als gebe sie sich eher draufgängerisch als selbstsicher. Er durchschaute Faye inzwischen ziemlich gut und fragte sich, ob sie es wusste.

„Die Autovermietung hat mir sogar Schneeketten angeboten. Ich habe sie heute Morgen angebracht.“

„Du weißt, wie man mit Schneeketten umgeht?“, fragte er verblüfft. Natürlich wusste sie, wie man Schneeketten aufzog. Sie konnte einfach alles, oder?

„Du brauchst dir meinetwegen keine Sorgen zu machen.“

Überhaupt schien sie zu denken, dass sich niemand Sorgen um sie machen müsse. Dabei war er sich sicher, dass er der einzige Mensch war, der sich um sie kümmerte. Sie hatte sonst niemanden. Mit sechzehn war sie Waise geworden. Es gab auch keine entfernten Verwandten.

Er fragte sich, wie es wohl war, total allein zu sein. Sein Zwillingsbruder war im Januar zwar unerwartet gestorben, aber seine Eltern lebten noch, und er hatte eine Menge Onkel und Tanten, Cousins und Cousinen. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es war, ganz allein auf sich gestellt zu sein.

Sie griff nach ihrem Mantel. Piers half ihr hinein. Zusammen beugten sie sich zur Reisetasche hinunter. „Ich nehme sie“, sagte Faye. „Du musst nicht noch einmal in die Kälte hinaus.“

Sie hatte recht, doch er war gut erzogen. In seiner Welt rührten Frauen keinen Finger, und ihr Gepäck trugen sie schon gar nicht. Aber Faye gehörte nicht zu seiner Welt. „Danke, dass du in die Bresche gesprungen bist und dich um das Haus gekümmert hast“, sagte er.

Faye warf einen letzten Blick auf den dekorierten Eingangsbereich und erschauderte sichtlich. „Jetzt überlasse ich es dir“, sagte sie offensichtlich erleichtert.

„Danke, Faye. Ich weiß deinen Einsatz zu schätzen.“

„Das solltest du“, erwiderte sie. „Ich habe das Gehaltsbüro angewiesen, mir dafür einen fetten Bonus zu zahlen.“

„Verdoppele ihn! Du bist es wert“, gab er mit diesem Lächeln zurück, das alle Frauen jeden Alters dazu brachte, ihm aus der Hand zu fressen. Alle Frauen außer seiner persönlichen Assistentin.

„Danke“, sagte Faye knapp, schloss den Mantel und setzte sich die Kapuze auf.

Er sah ihr zu, wie sie ihre Reisetasche nahm und den Riemen ihrer Schultertasche höherschob.

Piers hielt ihr die Tür auf. „Pass in den Kurven auf, und achte auf den Steilhang! Bei diesem Wetter kann man nicht vorsichtig genug sein.“

„Vorsicht ist mein zweiter Vorname.“

„Und warum, Faye?“

Sie gab vor, seine Frage überhört zu haben. Ihm war aufgefallen, dass sie überhaupt alle persönlichen Fragen, die er stellte, unbeantwortet ließ.

„Hab Spaß! Wir sehen uns nächstes Jahr“, sagte sie.

Piers sah zu, wie sie die Treppe hinunterstapfte und über die Auffahrt zur Garage ging. Er schloss die Tür, drehte sich um und betrachtete das Innere des Hauses. Bald würde es sich mit Menschen füllen, Freunden, die er über die Ferien eingeladen hatte. Aber jetzt, wo Faye gegangen war, fühlte es sich seltsam leer an.

Draußen hatte der Wind in den vergangenen Stunden zugelegt, und Faye duckte sich auf dem Weg zu den umgebauten Ställen, wo sie ihren gemieteten SUV geparkt hatte. Piers hatte es nicht für nötig gehalten, den Range Rover, den sie für ihn besorgt hatte, in die Garage zu stellen, sondern ihn am Fuß der Treppe abgestellt. Geschieht ihm recht, wenn er ihn morgen ausgraben muss, dachte sie schadenfroh.

Vor allem würde es ihm recht geschehen, weil er ihr zweimal innerhalb kürzester Zeit dieses umwerfende Lächeln zugeworfen hatte. Sie wusste, dass er es als Waffe einsetzte. Nein, es brachte ihr Herz nicht zum Frohlocken, und nein, es löste auch nicht etwas Seltsames in ihrem Unterleib aus. Aber es könnte es durchaus bewirken – wenn sie es zuließ.

Faye blinzelte, als wollte sie das innere Bild von ihm, wie er so dastand und sehr viel verführerischer aussah als ein Mann in einem so grässlichen Pullover aussehen sollte, verbannen. Herrje, konnte es sein, dass einer der Ärmel länger war als der andere?

Na, egal. Sie war auf dem Weg zum Flughafen und in die Normalität. Ein Schwall Schnee wurde ihr ins Gesicht geweht. Hatte sie schon erwähnt, dass sie Schnee hasste? Faye biss die Zähne zusammen und drückte auf die Fernbedienung in ihrer Tasche, um die Garagentür zu öffnen. Sie huschte in das Gebäude, das noch immer nach Heu und Pferden roch.

In einer Ecke der Garage schien sich etwas zu bewegen. Faye starrte ins Dunkel, bevor sie sich sagte, sie habe sich die Bewegung nur eingebildet. Sie öffnete den Kofferraum des SUV und hievte ihre Reisetasche hinein. Eine traurige Analogie zu ihrem Leben, wenn sie es recht bedachte: ein kleines, kompaktes, vollgestopftes Ding in einem leeren Raum. Doch eigentlich erlaubte sie sich diesen Gedanken nie. Nur um diese Jahreszeit. Und genau deshalb hasste sie Weihnachten so sehr. Egal, wo sie sich hinwandte, sie konnte dem Schmerz nicht entkommen, den sie den Rest des Jahres gewissenhaft im Zaum hielt.

Ein seltsames Geräusch aus dem Wageninneren ließ sie innehalten. Die Härchen an ihrem Nacken stellten sich auf; vorsichtig sah sie sich um. Keine Massenmörder lungerten hier herum. Keine Außerirdischen, die bereit waren, sie zu jagen. Nichts. Korrektur: nichts, außer dem Heulen des Windes. Sie sollte wirklich fahren, bevor das Wetter so schlecht wurde, dass sie den Flugplatz nicht mehr erreichen konnte.

Als sie an der Fahrertür stand, bemerkte sie, dass sich etwas auf ihrem Sitz befand. Seltsam. Sie konnte sich nicht erinnern, dort vor zwei Tagen etwas zurückgelassen zu haben. Ihr war auch nichts aufgefallen, als sie am Morgen die Schneeketten aufgezogen hatte. Wollte Piers sich einen Scherz mit ihr erlauben? Er freute sich jedes Jahr so sehr über die Weihnachtszeit, dass er ihr ein Geschenk machte. Und sie ließ es jedes Jahr ungeöffnet.

Sie ging ein bisschen näher und bemerkte, dass es eigentlich zwei Gegenstände waren. Einer auf dem Beifahrersitz, der aussah wie eine große Einkaufstasche. Der andere, den eine Decke verbarg, sah verdächtig nach einem Kindersitz aus. Eine Vorahnung sandte ihr einen Schauder über den Rücken.

Hinten in der Garage öffnete sich eine Außentür und schlug so heftig zu, das Faye zusammenzuckte. Was ging hier vor? Dann hörte sie auf der Rückseite des Gebäudes einen Wagen anspringen und davonfahren. Schnell. Sie rannte zum Eingang und sah noch gerade rechtzeitig das Aufflackern der Rücklichter eines kleinen Kombis, der die Auffahrt hinunterschoss. Was? Wer?

Aus ihrem SUV hörte sie noch ein Geräusch. Eins, das sie ohne Schwierigkeiten erkannte. Wenn es etwas gab, das sie noch kribbeliger machte als die Weihnachtszeit, dann waren es Babys. Das Geräusch wiederholte sich, dieses Mal lauter und verzweifelter.

Obwohl sie den Kombi hatte davonfahren sehen, schaute sie sich immer noch um und wartete darauf, dass jemand, der es witzig fand, ein Kind hier auszusetzen, aus einer Ecke sprang und „Überraschung!“ rief. Doch sie und das weinende Baby waren allein. „Das ist nicht mehr witzig“, murmelte sie.

Die Decke, die über den Kindersitz gelegt war, begann sich zu bewegen. Die Bewegung ließ ein Stück Papier, das an der Decke befestigt war, knistern. Faye atmete tief durch und zog die Decke nach unten.

Das Baby – ein Junge, nahm sie wegen seiner blauen Wollmütze und der kleinen blauen Jacke an, die er trug – sah sie erschrocken an. Einen Moment lang war er still, bevor sich sein kleines Gesicht verzog und er ein lautes Jammern ausstieß.

Übelkeit stieg in ihr auf. Nein, nein, nein! Das durfte nicht wahr sein. Ihr Instinkt befahl ihr, das Kind zu trösten, doch die Angst hielt sie zurück. Schon der Gedanke daran, diesen kleinen Körper an sich zu drücken, das Köpfchen mit der Hand zu halten, den süßen Geruch nach Baby einzuatmen … Nein, sie konnte das nicht noch einmal tun.

Rasch dachte sie nach. Sie musste das Kind ins Warme bringen. Babysitting mochte nicht das sein, worauf sich Piers gefreut hatte, aber er musste sich damit abfinden. Sie griff nach dem Kindersitz, um ihn zu schaukeln und das Baby zu beruhigen. Doch es reagierte nicht darauf.

„Tut mir leid, kleiner Mann!“, sagte sie und zog die Decke wieder über ihn, um ihn vor der Kälte draußen zu schützen. „Doch du musst da drunter bleiben, bis ich dich im Haus habe.“

Das Blatt Papier auf der Decke knisterte erneut, und Faye nahm sich die Zeit, es einzustecken. Sie konnte später lesen, was darauf stand. Jetzt aber musste sie das Baby ins Warme bringen.

Wieder fragte sie sich, wer den Kleinen zurückgelassen hatte. Welcher gemeingefährliche Idiot tat so etwas? Bei diesen Temperaturen wäre das Kind bald gestorben. Wer auch immer es gewesen war, er hatte abgewartet, bis sie kam. Was hätte er gemacht, wenn sie noch eine Nacht geblieben wäre? Das Kind vor der Tür abgelegt und geklingelt, bevor er verduftet wäre? Wer tat so etwas?

Wer auch immer es ist, es spielt jetzt keine Rolle, ermahnte sie sich. Sie musste das Baby ins Haus bringen.

Faye hängte sich die Einkaufstasche über die Schulter, drückte den Kindersitz fest an sich und hastete zum Haus zurück.

Das Baby hörte nicht auf zu schreien. Dafür hatte sie Verständnis. Als sie vor der Eingangstür stand, hätte sie am liebsten selbst losgeheult. Sie stellte die Einkaufstasche ab, hämmerte an die Tür und war erleichtert, als sie fast sofort geöffnet wurde.

„Probleme mit dem Auto?“, fragte Piers und machte eine einladende Handbewegung.

„Nein“, antwortete sie. „Probleme mit einem Baby.“

2. KAPITEL

„Probleme mit einem Baby?“, wiederholte er verblüfft.

„Das habe ich ja gesagt. Jemand hat es in der Garage gelassen. Hier, nimm es!“

Faye drückte ihm den Kindersitz in die Arme und schloss die Tür hinter sich. Verdammt, er spielte schon Songs aus der Weihnachtsliedersammlung. Eintausendzweihundertvierundsiebzig Versionen aller Lieder, die die Menschen kannten, und das in sechs Sprachen. Sie wusste es, weil sie das Ganze für Piers zusammengestellt hatte. Mal ehrlich, konnte der Tag noch schlimmer werden?

Piers sah erschrocken auf das schreiende Bündel in seinen Armen. „Was ist das?“

Faye seufzte und verdrehte die Augen. „Hab ich doch gesagt. Ein Baby. Ein Junge, nehme ich an.“

Sie zog die Decke herunter. Darunter kam das unglückliche rote Gesicht des Babys zum Vorschein.

Piers fassungsloser Blick glitt von dem Säugling zu ihr. „Aber wer? Was?“

„Genau das habe ich auch gedacht“, gab Faye zurück. „Ich weiß nicht, wer oder was ihn zurückgelassen hat. Aber ich nehme an, es war derjenige, der in einem Kombi die Auffahrt hinuntergerast ist. Ich habe einen kurzen Blick auf seinen Wagen werfen können. Fürs Protokoll: Nein, ich weiß die Nummer des Kennzeichens nicht. Schau, ich muss den Kleinen bei dir lassen, ich bin spät dran! Ah, übrigens, es lag ein Zettel dabei.“ Sie griff in ihre Jackentasche, zog das zerknitterte Blatt Papier hervor, warf einen Blick darauf und legte es dann auf die Decke. „Schau, er ist an dich adressiert! Viel Spaß!“, sagte sie und drehte sich um, um zu gehen.

„Du kannst mich damit nicht allein lassen“, protestierte Piers.

„Ich kann und ich werde. Ich habe frei, weißt du noch? Ernsthaft, wenn du dich nicht darum kümmern kannst, ruf jemanden in Jackson Hole an. Ich bin sicher, du findest reichlich Leute, die dir helfen werden. Ich will meinen Flug nicht verpassen. Ich muss los.“

„Ich verdoppele dein Gehalt. Oder verdreifache es.“

Faye schüttelte den Kopf und öffnete entschlossen die Tür. In der Welt gab es nicht genug Geld, um sie zum Bleiben zu bewegen. Sie ging nach draußen.

Ihr Zittern bemerkte sie erst, als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. Die Schreie des Babys waren sogar durch das dicke Holz hindurch zu hören. Sie blinzelte ihre Tränen weg. Sie. Würde. Nicht. Weinen. Das Findelkind hier bei ihm zu lassen würde niemandem wehtun, vor allem ihr nicht. Piers hatte jede Menge Möglichkeiten. Es gab genügend Menschen, die auf einen Wink von ihm bereit waren, ihm zu helfen.

Sie straffte die Schultern, eilte in die Garage, stieg in ihren SUV und fuhr die Auffahrt hinunter. Es war zwar erst vier Uhr nachmittags, doch es wurde bereits dunkel. Trotz der guten Bremsen und der Schneeketten würde sie sich nie an verschneite und vereiste Straßen gewöhnen. Jedes Mal, wenn die Bremsen nicht sofort griffen, hatte sie schreckliche Angst. Und mit der Angst kam die Erinnerung.

Und mit der Erinnerung kamen die Schuldgefühle. Sie nannten es das Schuldgefühl der Überlebenden. Dreizehn Jahre später fühlte es sich noch immer wie eine Strafe an. Das war ein Grund, weshalb sie sich entschlossen hatte, in Süd-Kalifornien zu wohnen, statt in ihrer Heimatstadt in Michigan oder überhaupt irgendwo, wo im Winter Schnee lag.

Eine Windböe drückte den SUV zur Seite; Faye umklammerte das Lenkrad fester. Sie hätte schon viel früher losfahren sollen. Stunden am Flughafen zu warten war besser als das hier.

„Entspann dich“, redete sie sich zu. „Du schaffst das.“

Wieder wurde das Auto von einer Windböe getroffen und geriet ins Rutschen. Ihr Herz klopfte schneller, und sie spürte, dass sie schwitzte. Verdammter Schnee! Verdammter Piers! Verdammte Weihnachten!

Und dann geschah es. Eine Kiefer stürzte direkt vor ihr auf die Fahrbahn. Faye trat auf die Bremse und riss das Lenkrad herum. Doch es war zu spät, keine Chance, einen Aufprall zu vermeiden. Mit einem Knall entfaltete sich der Airbag und drückte sie gegen die Sitzlehne. Die Luft füllte sich mit einem feinen Staub, der sie zum Husten brachte, und ein scharfer Geruch fuhr ihr in die Nase.

Sofort meldete sich die Vergangenheit. Schreie, der Geruch von Blut und Benzin, die Hitze, die Flammen und dann der Schmerz und der Verlust und das Ende von allem, was sie bis dahin gekannt hatte. Faye zitterte unkontrollierbar und versuchte auszusteigen. Es dauerte einige Zeit, bis sie bemerkte, dass sie immer noch angeschnallt war.

„Mir geht es gut“, beruhigte sie sich mit zittriger Stimme. „Mir geht es gut.“

Sie löste den Gurt, checkte schnell, ob sie sich verletzt hatte. Ein kurzer Blick in den Rückspiegel zeigte ihr, dass ihr kleine Teilchen im Gesicht klebten, die vom Airbag stammten. Nicht wirklich wichtig, fand sie. Es könnte schlimmer sein. Immerhin war sie dieses Mal allein.

Faye suchte im Fußraum nach ihrer Handtasche und holte ihr Handy heraus. Sie musste Hilfe holen, doch sie hatte keinen Empfang. Sie stöhnte frustriert, schlang sich die Handtasche um und wollte die Tür aufschieben. Sie klemmte, doch schließlich bekam sie sie weit genug auf, um sich durchzuquetschen.

Sie betrachtete den Schaden. Dieses Auto würde so bald nirgendwohin fahren. Auch wenn sie über den umgestürzten Baum klettern, es irgendwie zur Hauptstraße schaffen und ein Taxi erwischen konnte, würde sie sehr wahrscheinlich ihren Flug verpassen.

Sie wog die Alternativen ab, schaute zum Haus zurück, das nicht so schrecklich weit entfernt war und mit seiner Weihnachtsbeleuchtung nur so funkelte. Dann sah sie in die andere Richtung, über den dicken Baum hinweg auf die hohen Schneewehen auf der einen Straßenseite und den Abgrund auf der anderen.

Ihr blieb keine andere Wahl.

Piers starrte ungläubig auf die geschlossene Tür. Sie hatte es wirklich getan. Sie hatte ihn mit einem schreienden Baby allein gelassen. Er hätte sie auf der Stelle gefeuert, wenn er sie nicht so verdammt dringend bräuchte. Faye sorgte dafür, dass sein Leben mit der Präzision einer Schweizer Uhr lief. Und bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen etwas aus dem Ruder lief, war sie stets zur Stelle. Außer jetzt.

Piers schaute das schreiende Baby an und stellte den Kindersitz auf den Boden. Der verflixte Winzling war verdammt laut.

Er fand heraus, wie er den Kleinen von seinen Gurten befreien konnte, hob ihn hoch, drückte ihn an die Brust und begann instinktiv, ihm auf den Rücken zu klopfen. Erstaunt stellte Piers fest, dass das den kleinen Schreihals beruhigte. Plötzlich wurde ihm klar, dass das Baby wohl Hunger hatte.

Bevor es erneut in Tränen ausbrechen konnte, griff Piers sich die Einkaufstasche, die seine treulose Assistentin hinterlassen hatte, und trug Tasche und Baby in die Küche.

Als er es geschafft hatte, das Ding mit einer Hand zu öffnen, fand er darin eine volle Babyflasche.

„Gut, was?“, fragte er den Kleinen. „Ihr mögt das Zeugs warm, oder?“

Er erinnerte sich undeutlich daran, dass man die Milch nicht in der Mikrowelle erhitzen durfte, und wusste auch, dass es zu lange dauern würde, die Flasche im Wasserbad zu wärmen. Wie aufs Stichwort wurde das Baby unruhig. Es krallte ihm die Händchen ungeduldig in den Pullover und ließ das Köpfchen von einer Seite auf die andere rollen.

„Okay, okay. Ich mache das zum ersten Mal. Du musst ein bisschen Geduld mit mir haben.“

Leicht verzweifelt prüfte Piers den Inhalt der voluminösen Einkaufstasche, nahm alles heraus und legte es auf die breite Granitplatte seines Arbeitstresens.

In der Einkaufstasche waren jede Menge Sachen: mehrere Gläschen Babynahrung, ein Stapel Windeln und Kleidung. Unten in der Tasche entdeckte er etwas, das wie die Verpackung einer Babyflasche aussah. Als er feststellte, dass es sich um einen Flaschenwärmer handelte, atmete er erleichtert auf. Vier bis sechs Minuten würde es laut Anweisung dauern, bis der kleine Tyrann auf seinem Arm gefüttert werden konnte.

„Okay, Junge, es geht los! Lass uns das hier mal aufwärmen!“, murmelte Piers seinem unzufriedenen Publikum zu, das anscheinend fand, dass es genug gewartet hatte, und ein lautes Jammern ausstieß.

Piers schaukelte das Baby heftig, während er die Anweisungen auf der Schachtel befolgte. Es waren die längsten vier Minuten seines Lebens. Beruhigend strich er dem kleinen Schreihals über die Wange. Oh, verdammt! Der Kleine fühlte sich heiß an. Ob er Fieber hatte? Piers legte ihm eine Hand auf die Stirn. Ein bisschen zu warm, aber nicht fiebrig. Hoffte er. Vielleicht sollte er ihm das Jäckchen ausziehen. Aber wie sollte er das hinkriegen? Nach einer Weile gelang es ihm, es abzustreifen.

Autor

Yvonne Lindsay
Die in Neuseeland geborene Schriftstellerin hat sich schon immer für das geschriebene Wort begeistert. Schon als Dreizehnjährige war sie eine echte Leseratte und blätterte zum ersten Mal fasziniert die Seiten eines Liebesromans um, den ihr eine ältere Nachbarin ausgeliehen hatte. Romantische Geschichten inspirierten Yvonne so sehr, dass sie bereits mit...
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