Sinnliches Dinner für zwei

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Evan Lawford ist nicht nur der arroganteste Mann, der Olivia je begegnet ist, sondern leider auch der erfolgreichste. Und das ist das Einzige, was im Moment für die schöne Ballerina zählt. Zwar hat sie nie vergessen, dass Evan sie einst nach nur einer Nacht kalt fallen ließ. Aber jetzt muss sie ihren Stolz vergessen und ihn zum Dinner treffen. Schließlich braucht sie einen Sponsor, der ihre Karriere fördert! Allerdings ist Evan attraktiver denn je, sodass es sofort wieder sinnlich zwischen ihnen prickelt. Und ehe Olivia sich versieht, gerät ihr Herz erneut in Gefahr …


  • Erscheinungstag 22.12.2015
  • Bandnummer 0026
  • ISBN / Artikelnummer 9783733707279
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Da hat wohl jemand ein heißes Date!“

Es war fast ein Ding der Unmöglichkeit, sich gleichzeitig die Wimpern zu tuschen und die Augen zu verdrehen, doch Olivia gelang es – gerade so. Sie hatte den ganzen Tag in Proben gesteckt und war jetzt spät dran. Für diese Art Gespräch hatte sie keine Zeit. „Es ist kein Date.“

Ihre Mitbewohnerin Annie ließ sich auf das Bett fallen und begutachtete das Outfit, das Olivia für den heutigen Abend herausgelegt hatte. „Hm … ein Seidentop, knallenge Jeans und verboten hohe Stiefel, die förmlich ‚Nimm mich‘ schreien. Du hast dir Locken in die Haare gedreht, schminkst dich und …“ Sie hielt die Nase schnuppernd in die Luft. „Ich rieche Parfum. Alles deutet auf ein heißes Date hin. Was übrigens auch mal Zeit wurde!“

„Hey, was soll die Anspielung? Um zu heiraten und Kinder zu kriegen sind die Dreißiger da. Das hier ist nur ein Dinner. Ein Geschäftsessen, um genau zu sein.“

Annie war immer noch nicht überzeugt. „In diesem Outfit? Oh, bitte. Hast du dir die Beine rasiert?“

Hatte Olivia, aber das hatte nichts mit dem Mann zu tun, mit dem sie zum Dinner gehen würde. „Herrgott noch mal, ich treffe den ehemaligen College-Mitbewohner meines Bruders.“

„Ist er sexy?“

Olivia musste zugeben, dass er es war. Sie hatte im Internet nach seinem Namen gesucht um nachzuschauen, ob er sich in den vergangenen neun Jahren sehr verändert hatte. Wenn sie ehrlich war, hatte sie gehofft, dass er mittlerweile einen Bauchansatz oder eine Halbglatze haben würde, doch diese Hoffnung hatte sich nicht erfüllt. Im Gegenteil. Das vergangene Jahrzehnt hatte es gut mit Evan Lawford gemeint und seine Züge auf männliche Art reifen lassen. Das einst sonnengebleichte Haar war nun dunkler, was vermutlich bedeutete, dass er weniger Zeit am Strand verbrachte. Auf diese Weise kamen seine strahlend blauen Augen jedoch noch besser zur Geltung.

Ganz objektiv betrachtet, musste sie zugeben, dass Evan Lawford sexy war. Und zwar auf die Art und Weise, wie sie gerne in Hochglanzmagazinen abgelichtet wurde. „Das spielt keine Rolle. Er ist ein Idiot.“

„Also ist er heiß, was einfach nur unfair ist“, seufzte Annie und rollte sich auf den Rücken. „Warum können zur Abwechslung nicht mal die wirklich netten Männer umwerfend sein? Ist das wirklich zu viel verlangt?“ Sie schien ihre Frage an das Universum zu richten.

„Alles deutet darauf hin, ja.“ Olivia warf die Wimperntusche in ihre Kulturtasche. Idiot war noch ein nettes Wort für Evan. Er war eine eingebildete, arrogante, egomanische Spielernatur. Dummerweise war er auch sehr erfolgreich, und das war das Einzige, was im Moment eine Rolle spielte. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihren Stolz hinunterzuschlucken und auf ihn zuzugehen.

„Warum triffst du dich dann mit ihm zum Dinner?“

Weil ich gezwungen bin, mich selbst zu verkaufen, um meine Karriere voranzutreiben. Nun ja, das stimmte nicht ganz: Niemand bei der Miami Modern Ballet Company erwartete von ihr, dass sie des Geldes wegen mit jemandem schlief. „Ich brauche ihn als Sponsor.“

Annie runzelte besorgt die Stirn. „Du meinst wie bei einem Selbsthilfeprogramm? Ist mit dir alles in Ordnung, Olivia?“

Olivia verkniff sich ein Seufzen ebenso wie eine Zurechtweisung. Wenigstens fragte Annie aus Sorge heraus. Olivia hatte ihr Elternhaus mit fünfzehn verlassen, um das folgende Jahrzehnt in Ballettstudios und auf Bühnen zu verbringen. Sie hatte sich schonungslos angetrieben, um die Position zu erreichen, die sie jetzt innehatte: Primaballerina einer renommierten Ballettkompagnie. Dummerweise glaubten viele Leute, dass man, um dorthin zu kommen, irgendein Problem haben musste – Drogen, eine Essstörung oder eine andere schwere psychische Macke. „Nein, nicht diese Art Sponsor. Ich brauche einen Bitte-spende-dein-Geld-Sponsor.“

Jetzt wirkte Annie verwirrt. „Es geht um Fundraising?“

„In gewisser Weise. Die Gelder sind überall knapp, ganz besonders im Kulturbereich“, erklärte Olivia und schlüpfte dabei in ihre Jeans. Annie wandte den Blick ab, während Olivia sich völlig unbefangen vor ihr anzog. Es fiel Liv gar nicht weiter auf, die Situation war ihr allzu vertraut. Unzählige Male hatte sie sich in ihrem Leben backstage in aller Eile vor allen möglichen Bühnenarbeitern umziehen müssen. „Die staatlichen Subventionen sind stark gekürzt worden. Die Ticketverkäufe gehen zurück, und es gibt nicht mehr so viele Firmen, die sponsern. Deshalb können heutzutage reiche Leute einen Tänzer ‚adoptieren‘. Im Gegenzug erhalten sie alle möglichen Vergünstigungen – Karten, Backstage-Pässe, die begehrtesten Tische beim Opernball und für die ganz großen Spender …“, fuhr Olivia fort, während sie ein künstliches Lächeln aufsetzte, „… die Möglichkeit, dass ihr Tänzer auf einer Firmenveranstaltung auftritt.“

„Das klingt toll.“ Annie runzelte die Stirn. „Aber irgendwie auch gruselig.“

„Das kannst du laut sagen.“

„Und du brauchst einen dieser Sponsoren? Ich dachte, du hättest einen festen Vertrag.“

Annie, die als Spanisch-Dolmetscherin für die Stadt arbeitete, erhielt gerade einen Crash-Kurs in Sachen moderner Kulturförderung. „Habe ich ja auch, aber ich bin für die Kompagnie nicht billig. Und auch wenn die MMBC meinen Vertrag in der nächsten Saison verlängern kann, gibt es doch keine Garantie, dass sie das tatsächlich tun wird – insbesondere wenn ich die Einzige bin, die keinen Sponsor hat, der ihre Kosten verringert. Natürlich bringt auch ein Sponsor mir keine Garantien ein, aber schaden würde er definitiv nicht.“

„Ich verstehe. Deshalb hoffst du also, dass der College-Freund deines Bruders genug Geld hat, um dich zu unterstützen?“

„Ich weiß, dass er das Geld hat. Evan und ich haben uns zwar jahrelang nicht gesehen, aber er und Jory sind immer noch eng miteinander befreundet.“ Warum dem so war, wusste sie nicht so genau. Evan war es zu Collegezeiten beinahe gelungen, Jory in sein Ebenbild zu verwandeln. Da ihr Bruder Gott sei Dank noch rechtzeitig die Kurve bekommen hatte, konnte sie sich nicht vorstellen, was die beiden Männer heute verbinden sollte. „Das Geld hat er definitiv.“ Sie kämmte mit den Fingern durch ihre Locken und fixierte sie danach mit etwas Haarspray. „Ich muss nur noch herausfinden, wie ich ihn am besten darum bitte.“

„Warum kannst du ihn nicht rundheraus fragen? Es ist doch eine ganz klare Angelegenheit. Er könnte es mit Sicherheit von der Steuer absetzen.“

„Ja schon, aber …“ Olivia wusste nicht, wie sie es erklären sollte. „Es ist kompliziert.“

„Kompliziert?“ Erneut runzelte Annie die Stirn. Doch plötzlich ahnte sie, was Olivia meinte, und ihre Stirn wurde wieder glatt. „Oh, ich verstehe. Diese Art von kompliziert.“

„Lass es mich so formulieren: Es ist nicht kompliziert genug, dass es mich davon abhalten würde, ihn zu fragen, andererseits aber wieder so kompliziert, dass ich vorsichtig mit der Situation umgehen muss. Dummerweise bin ich erst seit drei Monaten in Miami und kenne sonst niemanden.“ Sie zog sich die Stiefel an, dann schaute sie Annie hoffnungsvoll an. „Es sei denn, du hast zufälligerweise ein paar tausend Dollar zu viel und ein brennendes Verlangen, Kunst und Kultur in deiner Gemeinde zu fördern?“

Annie schüttelte den Kopf. „Äh, nein.“

„Dann muss ich jetzt wohl los zum Dinner mit Evan.“ Sie warf einen letzten kritischen Blick in den Spiegel, dann wandte sie sich ihrer Mitbewohnerin zu. „Wie sehe ich aus?“

„Umwerfend, wie immer. Und wie immer hasse ich dich dafür. Wenn du Evan nicht mit Logik oder Vernunft überzeugen kannst, dann sollte es dir spielend leicht mit einem kleinen Flirt gelingen.“ Annie rollte sich vom Bett und stand auf. Grinsend fügte sie hinzu: „Ich werde nicht auf dich warten.“

Olivia hegte nicht die Absicht, mit Evan zu flirten. Höflich und freundlich konnte sie sein, aber das hier war eine rein geschäftliche Angelegenheit. Ein einziges Mal hatte sie mit ihm geflirtet – die Lektion, die sie daraus gelernt hatte, würde sie nie vergessen. Aber jetzt war sie älter und weiser. Sie konnte auf diese Episode als wichtige Erfahrung zurückblicken, ohne den Schmerz oder die Scham von damals noch zu spüren.

Zumindest nicht allzu sehr.

Das Restaurant, das Evan vorgeschlagen hatte, war nur sechs Blocks von dem Apartment entfernt, das Olivia mit Annie teilte, deshalb beschloss sie, dorthin zu laufen. Irgendwann würde sie sich ein Auto kaufen müssen – eine Ausgabe, die sie in den vergangenen fünf Jahren gescheut hatte –, aber im Moment kam sie in Miami noch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln klar.

Es war zwar bereits November, dennoch brauchte sie keine Jacke. Nur einen Pashmina-Schal nahm sie mit für den Fall, dass man die Klimaanlage im Restaurant auf „arktisch“ eingestellt hatte. Nachdem sie jetzt einige Winter in nördlicheren Breiten verbracht hatte, war es verdammt schön, wieder in Florida mit seinem angenehmen Klima zu leben.

Es gefiel ihr richtig gut hier. MMBC war eine angesehene Kompagnie, die sowohl klassische als auch zeitgenössische Stücke in ihrem Repertoire hatte. Das Ensemble war nicht ganz so renommiert wie einige New Yorker Kompagnien, aber dafür hatte Olivia hier geringere Lebenshaltungskosten, und es gab nicht so viele aufstrebende Senkrechtstarter, die ihr ihren Platz streitig machen wollten. Wenn die Reiselust sie mal wieder packte, konnte sie immer noch Gastauftritte annehmen. Bis dahin war Miami erst einmal eine gute Basis.

Aber es war schon an der Zeit, sich ein paar Gedanken über die Zukunft zu machen. Wenn alles gut ging, konnte sie noch sechs, sieben weitere Jahre tanzen, ehe sie ihre aktive Ballettlaufbahn aufgab. Bereits jetzt spürte sie die Auswirkungen der vergangenen zwei Jahrzehnte. Mit jedem Jahr wuchs das Risiko, sich zu verletzen. Deshalb musste sie sich eine gute Grundlage für später aufbauen. Auch dafür war Miami ideal.

Außerdem war es nur vier Stunden von zu Hause entfernt.

All das war großartig. Vorausgesetzt, sie behielt den Job, um den sie so gekämpft hatte. Die Tatsache, dass sie sogar bereit war, sich an Evan Lawford zu wenden, zeigte, wie sehr sie sich eine Verlängerung ihres Vertrags wünschte. Wenn sie das schaffte, hatte sie genug Zeit, sich einen Ruf und ein Netzwerk in Miami aufzubauen und damit ihre Chancen auf weitere Spielzeiten zu vergrößern.

Dazu musste sie jetzt allerdings das Dinner mit Evan durchstehen und seine finanzielle Unterstützung gewinnen.

Ganz einfach, oder?

Seltsamerweise hatte Evan nicht allzu viele Fragen gestellt, als sie ihm gemailt hatte, um Hallo zu sagen und ihn zu fragen, ob er Lust auf ein Treffen hätte. Sie hatte ihm ihre Telefonnummer gegeben, doch er war beim Mailen geblieben und hatte Zeit und Ort mit einem Minimum an Kommunikation vereinbart. Olivia wusste nicht so recht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war.

Evan und Jory waren Freunde, praktisch wie Brüder. Sie wusste, dass Evan ihre Eltern liebte und viele Wochenenden und Feiertage in ihrem Haus verbrachte. Ihre Eltern liebten ihn auch. Aber das hatte nichts mit ihr zu tun. Sie beide waren keine Freunde. Sie waren nur zwei Menschen in Jorys Umlaufbahn, wenig mehr als Fremde.

Also gut, sie waren mehr als Fremde. Aber sie wusste nicht so genau, wo sie den ehemaligen Mitbewohner ihres Bruders ansiedeln sollte, an den sie ihre Jungfräulichkeit verloren hatte, was jedoch nicht viel mehr als ein One-Night-Stand gewesen war.

Oh je.

Das wirklich Beschämende daran war, dass sie ganz genau gewusst hatte, worauf sie sich einließ. Himmel, Evan hatte Jory doch zu Collegezeiten in seine Welt eingeführt, die voller Wein, Weib und Gesang gewesen war. Aber mit der Überheblichkeit eines Teenagers hatte Olivia geglaubt, dass es bei ihr anders sein würde. Dass sie etwas Besonderes für ihn war.

Völlig gefangen von Evans Charme, seiner Attraktivität und seiner unübersehbaren Sinnlichkeit, hatte sie nicht weiter auf ihre innere Stimme gehört, die sie mahnte, vorsichtig zu sein.

Nach Evan war es ihr nicht mehr schwergefallen, zugunsten ihrer Ballettkarriere auf Partys und Jungs zu verzichten.

Doch die Achtzehnjährige, die sie einmal gewesen war, hatte ihm sein Verhalten nie ganz verziehen. Und das war etwas, das sie heute Abend auf jeden Fall verbergen musste.

Es war nicht ausgeschlossen, dass Evan das Ganze mittlerweile leidtat, doch sie konnte und wollte diesen möglichen Trumpf nicht ausspielen. Es würde sie dumm und lächerlich und völlig naiv wirken lassen, außerdem kleinkariert und berechnend.

Nein. Dieses lang zurückliegende Wochenende blieb am besten vergessen und begraben.

Sie war jetzt erwachsen. Er ebenso. Es war ein reines Geschäftstreffen, auch wenn das Ganze einen persönlichen Touch hatte. Schließlich war nichts Verwerfliches daran, die Kontakte zu nutzen, die man hatte, ob persönlich oder nicht. Wenn alles gut ging, würde sie heute Abend Evans Zustimmung bekommen und konnte dem Manager der Kompagnie morgen die frohe Botschaft überbringen.

Wenn alles gut ging.

Und es gab wirklich keinen Grund, warum es das nicht tun sollte.

„Guten Abend, Mr Lawford.“

Der Restaurantchef im Tourmaine öffnete Evan die Tür und begrüßte ihn mit einem Lächeln. Tourmaine war das Lokal, in dem sich Evan am liebsten mit seinen Kunden traf – modern genug, um „in“ zu sein, aber nicht unangenehm trendy. Die Musik war laut, aber nicht zu laut, um ein Gespräch zu führen. Doch vor allen Dingen war das Essen wirklich gut, und das Personal kannte ihn. „Guten Abend, Brian.“

„Genießen Sie Ihr Essen.“

„Vielen Dank.“ Ein banaler Austausch an Höflichkeiten, der ihn aber daran erinnerte, dass die Welt nicht verrückt geworden war.

Denn er hatte wirklich keine Ahnung, warum Olivia Madison sich mit ihm zum Dinner verabredet hatte.

Natürlich wusste er, dass sie nach Miami gezogen war. Jory war geradezu lächerlich stolz auf die Leistung seiner kleinen Schwester und hatte bei ihrem letzten Treffen vor ein paar Wochen, als Jory sich Olivias erste Aufführung in Miami angeschaut hatte, kaum von etwas anderem gesprochen.

Evan hatte Olivia seit neun Jahren nicht mehr gesehen, und das war kein Zufall. Das Einzige, was je zwischen ihn und Jory geraten war, war sie. Wegen ihr hätten sie sich beinahe entzweit. Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis der Schaden repariert war, den ihre Freundschaft damals erlitten hatte.

Deshalb machte es ihn misstrauisch, so völlig aus dem Blauen heraus von Olivia zu hören. Allerdings hatte er kommen müssen. Und wenn es nur darum ging, herauszufinden, was sie von ihm wollte.

Ja, das war die Ausrede, die er sich zurechtgelegt hatte und an der er festhalten würde. Komme, was da wolle.

Er war ein paar Minuten zu früh dran, trotzdem war Olivia bereits da. Das ungewöhnliche, kupferblonde Haar, das beide Madison-Sprösslinge besaßen, war in der kleinen Menschenmenge, die sich an der Bar versammelt hatte, nicht zu übersehen. Während sie einen Text auf ihrem Handy las, wandte sie ihm ihr Profil zu und gab ihm so die Gelegenheit, sie ausgiebig zu mustern.

Mit achtzehn hatte sie noch ein wahres Babyface gehabt, war aber in vielerlei Hinsicht bereits reifer gewesen als andere Mädchen ihres Alters. Zu diesem Zeitpunkt war sie bereits weitgereist, lebte fern von zu Hause und trieb ihre Karriere äußerst professionell voran. Andere in ihrem Alter wussten nicht mal, welchen Weg sie einschlagen sollten.

Jetzt war das Babyface verschwunden. Hohe Wangenknochen und sanft geschwungene Augenbrauen verliehen Olivia ein klassisch-elegantes Aussehen. Getoppt wurde das Ganze noch durch ihre unglaublich anmutige Haltung und die grazilen Bewegungen – selbst wenn sie nur einen Drink orderte oder auf ihn zuging … was sie gerade tat. Dabei hatte sie ein zaghaftes Lächeln auf den Lippen.

„Evan, schön, dich zu sehen.“

Auch wenn ihre Worte aufrichtig klangen, zweifelte er doch daran. Es hatte einen kurzen Moment des Zögerns gegeben, ehe sie sich vorbeugte, um ihm einen dieser Luftküsse zu geben. Dabei berührte ihre Wange unabsichtlich die seine. Olivia zuckte zurück, als hätte sie sich verbrannt. Er konnte es ihr nicht verübeln – auch er hatte einen kleinen Schock verspürt. Rasch räusperte er sich. „Ich finde es auch schön, dich zu sehen.“

Nachdem sie die üblichen Höflichkeiten ausgetauscht hatten, standen sie in unangenehmem Schweigen voreinander. Das war er so gar nicht gewohnt. „Du siehst gut aus“, brachte er schließlich hervor.

Es zuckte ganz leicht um ihre Mundwinkel, was aber für ein echtes Lächeln nicht ausreichte. „Du auch.“

Wieder Schweigen.

Gott sei Dank rettete sie in diesem Augenblick der Kellner. „Mr Lawford, Ihr Tisch ist jetzt bereit.“

Als er Olivia zum Tisch folgte, hatte er weitere Gelegenheit, sie zu mustern. Himmel, war sie dünn! Sie war schon immer sehr schlank gewesen – eine Voraussetzung als Tänzerin –, aber jetzt kam sie ihm geradezu geisterhaft vor. Ein Glück, dass sie sich in einem Restaurant befanden, denn ihn überkam ganz plötzlich das Bedürfnis, sie zu füttern.

Lange, weiche Locken fielen ihr weit auf den Rücken hinab. Ein goldener Kettengürtel lag um ihre extrem schmale Taille, und die endlos langen Beine steckten in hohen Lederstiefeln. Sie ging leichtfüßig, dennoch mit sehr geradem Rücken und erhobenem Kinn. Olivia hatte Haltung.

Evan konnte kaum den Blick von ihr wenden. Genau das hatte ihn früher schon in Schwierigkeiten gebracht.

Er versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Natürlich war diese Frau dünn und grazil. Das musste sie ja sein. Es war eine Job-Voraussetzung, und so weit er wusste, war Olivia Madison sehr gut in ihrem Job.

Als sie an seinem üblichen Tisch saßen, der ein wenig abseits stand und deshalb mehr Ungestörtheit bot, wurde das unangenehme Schweigen, das an der Bar begonnen hatte, rasch durch Diskussionen über die Speiseauswahl und die Bestellung ersetzt. Als er hörte, dass sie ein Gericht bestellte, das fast so üppig war wie seines, machte er jedoch große Augen, was Olivia nicht entging. „Was?“

„Das ist eine Menge Essen.“

Sie runzelte die Stirn. „Falls das ein Problem ist – ich zahle gern selbst.“

„Das meinte ich nicht.“

Sie hob eine Augenbraue. „Wirklich? Was hast du dann gemeint?“

Man hätte ihren Ton als harmlos bezeichnen können, doch Evan registrierte den gefährlichen Unterton leider einen Hauch zu spät. „Es ist nur so … dass … nun … ich schätze, ich habe erwartet, du würdest einen kleinen Salat bestellen und nichts weiter.“

Sie schnaubte verächtlich. „Vielleicht als ersten Gang. Ich habe heute sechs Stunden lang geprobt, da habe ich Hunger.“

„Also gut, dann einen großen Salat“, neckte er sie.

Olivia faltete die Hände auf dem Tisch. Ihr Ton machte deutlich, dass sie die folgenden Worte schon häufig ausgesprochen hatte. „Ich esse. Das muss ich. Ich verlange meinem Körper einiges ab. Er braucht Energie, um diese Leistung zu bringen. Natürlich achte ich auf mein Gewicht, aber nicht in ungesundem Maße. Da ich mir darüber keinen unnötigen Kopf mache, wäre ich dir dankbar, wenn du es auch nicht tun würdest. Okay?“

Evan nickte angemessen gemaßregelt. „Okay.“

Dann beugte sie sich vor. „Und ganz ernsthaft: Die haben hier Steak mit Blue Cheese Sauce. Das muss ich doch bestellen!“

„Da hast du recht.“ Sie konnte ja einiges behaupten, wirklich glauben würde er ihr erst, wenn er sie essen sah. Immerhin arbeitete er in der Werbung. Er wusste, was Models alles trieben, um Gewicht zu verlieren. Und doch musste er zugeben, dass Olivia nicht verhungert aussah. Sie war sehr schlank, ja, aber sie wirkte nicht wie ein Skelett. „Es ist nur überraschend.“

Sie legte den Kopf leicht schräg und griff nach ihrem Wasser.

„Aber nicht so überraschend wie von dir zu hören.“

Olivias Hand erstarrte, was sein Misstrauen neu anfachte. Allerdings erholte sie sich schnell. „Dann stecke ich eben voller Überraschungen. Ganz ehrlich? Ich habe eher ein schlechtes Gewissen, dass ich nicht schon eher Kontakt zu dir aufgenommen habe. Meine einzige Entschuldigung ist, dass ich in den vergangenen Wochen wahnsinnig beschäftigt war – der Umzug, die Eingewöhnung, die ganzen Proben für die Herbstaufführungen, und dann geht es gleich weiter mit dem Nussknacker und dem Winter-Special im Januar … ich hatte nicht mal Zeit zum Nachdenken.“

„Aber inzwischen hast du dich gut eingelebt?“

„Ja. Ich verlaufe mich nicht mehr jedes Mal, sobald ich das Haus verlasse, was wirklich ein Vorteil ist. Und es ist schön, wieder in Florida zu sein, wo ich jederzeit an den Strand gehen kann. Sogar im November.“

Durch Jory wusste Evan, dass Olivia zuvor in Chicago und Boston gelebt hatte, wo der viele Schnee jeden, der aus dem Süden kam, in den Wahnsinn treiben konnte. „Welcher ist dein Lieblingsstrand?“

Sie zog eine Grimasse. „Wenn ich ehrlich bin, war ich noch gar nicht am Strand. Ich war sehr beschäftigt.“

„Dann bist du wohl so eine Art Workaholic?“

„Wenn man seinen Job liebt, ist es kein Opfer, viel Zeit dabei zu verbringen.“

„Das ist keine Antwort.“

„Ich arbeite viel, und mir gefällt das.“

„Das ist eine gute Antwort. Vielleicht sollte ich sie in Zukunft selbst benutzen.“ Er verstummte, als der Kellner ihre Drinks brachte. Dann hob er das Glas. „Und herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen Job.“

Diesmal spielte ein echtes Lächeln um ihre Lippen. „Danke. Es ist wahnsinnig aufregend. MMBC – die Kompagnie – wählt ihre Primaballerinen normalerweise aus den eigenen Reihen, aber diesmal nicht. Ich kannte eines der Ensemblemitglieder von meinem ersten Engagement in New York vor ein paar Jahren, und er hat meinen Namen ins Spiel gebracht. Ich schätze, das Ganze stand für mich unter einem günstigen Stern, und so bin ich nun hier.“ Es schien, als würde sie langsam entspannen, doch sofort riss sie sich wieder zusammen, griff nach ihrem Weinglas und lehnte sich gegen den Stuhl. „Aber was ist mit dir? Jory erzählte, dass deine Agentur wirklich gut läuft.“

„Ich kann nicht klagen. Es gibt uns erst seit drei Jahren, und wir müssen noch wachsen, aber wir stehen schon sehr gut da.“

„Das freut mich zu hören. Wie schön für dich.“ Olivia starrte ihr Glas an, worauf sich wieder Schweigen über sie senkte. Dann schaute sie mit diesem Lächeln zu ihm auf, das er allmählich wirklich für falsch hielt. „In ein paar Wochen kommen Jory und meine Eltern in die Stadt, um sich unsere nächste Produktion anzuschauen.“

„Ich weiß. Wir wollen uns treffen, während er in der Stadt ist.“

„Oh, gut.“

„Er sagt, dass deine Eltern schon ganz aufgeregt sind.“

„Sie haben nicht sehr oft die Gelegenheit, mich tanzen zu sehen, weil ich normalerweise so weit weg bin. Natürlich schicke ich ihnen Videos und Zeitungsausschnitte, aber das ist nicht dasselbe. Ich bin mindestens genauso aufgeregt, dass sie kommen. Übrigens“, fügte sie beiläufig hinzu, „falls du auch kommen möchtest, kann ich dir ein Ticket besorgen.“

„Oh, Gott, nein.“ Die Worte waren draußen, ehe er sie zurückhalten konnte. Verdammt. Jetzt hatte er sie auch noch beleidigt. Was für ein großartiger Dinner-Einstieg. „Ich meine, nein danke. Ich bin nicht wirklich ein Fan.“

„Des Nussknackers oder des Balletts im Allgemeinen?“

„Beides. Bitte sei jetzt nicht beleidigt“, sagte er rasch. „Es ist einfach nicht mein Ding.“

„Kein Problem. Jeder hat einen anderen Geschmack“, erwiderte sie höflich, aber er hatte trotzdem das Gefühl, sie gekränkt zu haben. „Kannst du Kunst und Kultur überhaupt etwas abgewinnen?“

Er zuckte die Achseln. „Ich hatte eine Jahresmitgliedschaft beim Kunstmuseum. Ich mag die ägyptischen Sachen. Und dann gibt es ein paar lokale Bands, zu deren Konzerten ich gehe.“ Gott, er klang wie ein wahrer Banause. Rasch fügte er hinzu: „Die Agentur aufzubauen, war verdammt viel Arbeit.“

„Ich maße mir kein Urteil an.“

Evan grinste. „Doch, das tust du.“

Nun zuckte sie die Achseln. „Okay, vielleicht ein bisschen. Die Kunst feiert all das, was uns menschlich macht. Sie ist der Eckpfeiler unserer Zivilisation und das Herz unserer Gesellschaft.“

Beinahe hätte er laut gelacht, doch er schluckte den Impuls im letzten Moment hinunter. Offensichtlich glaubte Olivia an das, was sie da sagte. „Du solltest in die Werbung gehen. Das klingt wie ein Auszug aus einer Fundraising-Broschüre.“

Sie neigte den Kopf. „Deshalb ist es nicht weniger wahr.“

Evan hatte das Gefühl, dass es hier noch um etwas anderes ging. Irgendeine unterschwellige Bedeutung, die er nicht verstand. Doch in diesem Moment tauchte der Kellner auf und brachte ihre Teller.

Olivia freute sich sichtlich. „Das sieht fantastisch aus.“ Sie atmete das köstliche Aroma tief ein, dann nahm sie einen ersten Bissen.

Das Steak mit der Sauce aus Blauschimmelkäse gehörte zu den Spezialitäten des Restaurants – zu Recht. Olivia schien das auch so zu sehen. Mit geschlossenen Augen kaute sie den ersten Bissen und gab dabei eine Menge Glücksgeräusche von sich. „Oh, Mann. Das ist so gut.“

Evan schluckte schwer. Er kannte diesen Blick. Erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen. Doch damals hatte Olivia kein Steak gegessen. Damals war er derjenige gewesen, der diesen Blick ausgelöst hatte.

Sein Blut strömte mit aller Macht in seine Lenden. Dabei wurde ihm beinahe schwindlig. Dieser eine Blick löste eine ganze Flut an Erinnerungen aus – Erinnerungen, die er sorgfältig weggesperrt hatte, um sie zu vergessen. Aber dieser Blick …

Beinahe konnte er spüren, wie sich ihre langen, starken Beine um seinen Körper schlangen.

Als sie die Augen öffnete und sah, wie er sie anstarrte, wirkte sie ein bisschen verlegen. „Ich habe doch gesagt, dass ich esse. Natürlich kann ich solche Sachen nicht ständig essen, deshalb genieße ich es jedes Mal sehr, wenn ich die Gelegenheit dazu habe.“

Autor

Kimberly Lang
Schon in der Highschool versteckte Kimberly Lang Liebesromane hinter ihren Schulbüchern. Statt sich mit Theorien und Zahlen herumzuschlagen, schmökerte sie lieber in den neuesten Romances. Auch das Studium ernster englischer Literatur konnte ihre Leidenschaft für aufregende Helden und Happy Ends nicht ändern. Kimberly war nach der Ausbildung zunächst Balletttänzerin und...
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