Skandalöse Bräute - Kronprinzen, Wüstenkönige und Milliardäre haben es nicht leicht

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Verheiratet aus Leidenschaft ... wie geschaffen für Skandale

PRINZESSIN AUF ZEIT, GELIEBTE FÜR IMMER?

Plötzlich Prinzessin! Weil Natalie verblüffende Ähnlichkeit mit Prinzessin Valentina hat, soll sie eine Weile deren Rolle spielen. Doch in der prunkvollen Welt verliebt sie sich in Prinz Rodolfo, den gutaussehenden Verlobten der echten Prinzessin …

BELÜG MICH NICHT, PRINZESSIN!

Achilles Casilieris spürt es vom ersten Moment an: Nicht seine Assistentin sitzt mit ihm im Jet, sondern ihre Doppelgängerin Prinzessin Valentina! Dass sie ihn hemmungslos anlügt, ist eine Sache, aber dass die Schönheit ein nie gekanntes Verlangen in ihm weckt, eine ganz andere …

VERBOTENE TRÄUME DES GLÜCKS

Niemals wird er diese Frau besitzen dürfen! Geschweige denn seine heißen Fantasien mit ihr in die Tat umsetzen! Zu schwer wiegt die Schande, die Sterling über seine Familie gebracht hat. Und doch fühlt sich Scheich Rihad geradezu magisch von der sexy Amerikanerin angezogen …

IM REICH DES WÜSTENPRINZEN

"Du gehörst zu mir!" Scheich Kavian duldet nicht länger, dass die schöne Amaya sich seinen Heiratsplänen widersetzt - auch wenn er sie insgeheim umso mehr begehrt, je zorniger sie ihn macht. Er weiß schon, wie er sie umstimmen kann, damit sie doch noch seine Königin wird …


  • Erscheinungstag 24.10.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733727994
  • Seitenanzahl 576
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Caitlin Crews

Skandalöse Bräute - Kronprinzen, Wüstenkönige und Milliardäre haben es nicht leicht

IMPRESSUM

Prinzessin auf Zeit, Geliebte für immer? erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2017 by Caitlin Crews
Originaltitel: „The Prince’s Nine-Month Scandal“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA
Band 451 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Trixi de Vries

Umschlagsmotive: GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format in 10/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733728786

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Natalie Monette hatte in ihren siebenundzwanzig Lebensjahren kein einziges Mal etwas Unbedachtes getan – und bis jetzt war sie darauf immer sehr stolz gewesen. Nach der Kindheit bei einer rastlosen Mutter, die als Freigeist in der ganzen Welt umherflatterte, nie einen festen Wohnsitz hatte und der alles zuwider war, was auch nur den Anschein von Normalität verkörperte, legte Natalie als erwachsene Frau größten Wert auf Sicherheit und Vorhersehbarkeit – besonders im Beruf.

Nun reichte es ihr allerdings.

Fünf lange Jahre hatte sie es bei ihrem extrem eigenwilligen Chef ausgehalten. Wohlwollend würde der egozentrische Milliardär ihre Kündigung ganz sicher nicht akzeptieren. Natalie graute schon vor seiner Reaktion! Als seine persönliche Assistentin kannte sie seine Wutausbrüche zur Genüge.

Zuletzt hatte er sie wegen eines eingebildeten Fehlers vor der gesamten Chefetage in London heruntergeputzt. Da war für Natalie das Fass endgültig übergelaufen. Jetzt ist Schluss! hatte eine innere Stimme ihr zugeraunt. Du musst kündigen, sonst gehst du noch zugrunde!

Natalie konnte sich kaum vorstellen, wie es sich anfühlen mochte, nicht auf Gedeih und Verderb einem Tyrannen ausgeliefert zu sein. Oh ja! Irgendwo würde es einen besseren Job für sie geben.

Warum sollte sie also nicht ein einziges Mal etwas Unbedachtes tun und wirklich auf der Stelle kündigen? Es konnte ihr doch gleichgültig sein, ob ihr Chef mit einem Wutanfall darauf reagieren würde.

Natalie seufzte. Gerade befand sie sich im noblen VIP-Waschraum eines kleinen Privatflugplatzes am Londoner Stadtrand, wusch sich die Hände und versuchte, sich zu beruhigen. Normalerweise behielt sie in allen Situationen einen kühlen Kopf. Aber heute war gar nichts normal.

Völlig in Gedanken versunken nahm sie kaum wahr, wie die Schwingtür sich öffnete und eine Frau sich neben sie an den marmornen Waschtisch stellte. Natalie bemerkte aus den Augenwinkeln lediglich das glamouröse Erscheinungsbild des anderen Fluggastes, beachtete die Frau aber nicht weiter. Sie war einfach zu beschäftigt damit, sich zu überlegen, wie sie ihrem Chef die Kündigung plausibel machen sollte. Jetzt oder nie, dachte sie entschlossen. Sonst würde sie ja doch wieder klein beigeben und sich weiterhin tyrannisieren lassen.

„Entschuldigen Sie, aber Sie kommen mir irgendwie bekannt vor!“, sagte die Frau neben ihr plötzlich.

Die Stimme klang sehr kultiviert. Natalie beschlich ein komisches Gefühl. Es konnte gar nicht angehen, trotzdem war sie sicher, diese Stimme zu kennen. Unmöglich, ich verkehre ja nicht in diesen Kreisen, dachte Natalie verwirrt, sah aber trotzdem auf, um im Spiegel das Gesicht der feinen Dame neben ihr zu betrachten.

Und plötzlich schien die Welt aus den Fugen zu geraten …

Natalie stockte der Atem. Die Frau neben ihr war ihr wie aus dem Gesicht geschnitten!

Das kupferrote Haar war anders gestylt. Auch fehlte die schwarze Hornbrille, hinter der Natalie ihre grünen Augen verbarg. Aber davon abgesehen, waren die Gesichter identisch: die schmale Nase, das leicht herausfordernd wirkende Kinn, die hochgezogenen Augenbrauen, die hohe Stirn. Allerdings war die andere Frau etwas größer, wie Natalie seltsam erleichtert feststellte. Automatisch ließ sie den Blick an ihrer Nachbarin hinuntergleiten und bemerkte die superhohen Absätze, die nur Frauen tragen konnten, die lediglich kurze Strecken zu Fuß gehen mussten. Dadurch gewann sie mindestens sechs Zentimeter, denn Natalies Sandaletten waren nur halb so hoch. Schließlich musste sie ja ständig mit ihrem durch die Gegend hastenden Chef Schritt halten.

Die andere Frau atmete tief durch. „Als ich Sie vorhin aus der Ferne gesehen habe, ist mir eine gewisse Ähnlichkeit zwischen uns aufgefallen, auf die ich Sie gern ansprechen wollte. Aber das hier ist ja …“ Ihr fehlten die Worte.

Fassungslos beobachtete Natalie, wie sich ihre Lippen im Gesicht einer anderen Frau zu bewegen schienen. Der Spiegel schien ein Eigenleben zu führen. Aber das war doch unmöglich.

„Das hier ist mehr als eine gewisse Ähnlichkeit.“ Die andere Frau hatte die Stimme wiedergefunden.

„Aber ich verstehe das nicht“, stieß Natalie schockiert hervor. „Wie ist das möglich?“

„Keine Ahnung.“ Nachdenklich blickte die Frau vor sich hin. „Faszinierend, oder?“ Sie wandte sich vom Spiegel ab und musterte Natalie nun direkt. „Ich bin übrigens Valentina“, sagte sie schließlich freundlich.

„Und ich Natalie.“ Jeder Mensch hatte ja angeblich irgendwo auf dem Planeten einen Zwilling. Doch dabei ging es eher um oberflächliche Ähnlichkeiten und identische Mimik und Gestik. Die Frau neben Natalie war ihr aber wie aus dem Gesicht geschnitten, sogar der winzige Schönheitsfleck auf der linken Wange war identisch. Das konnte ja nur bedeuten, dass …

Nein, in diese Richtung mochte Natalie gar nicht weiterdenken! Solche Erwägungen würden alles nur verkomplizieren. Außerdem war Natalies Kindheit ein Kapitel in ihrem Leben, mit dem sie abgeschlossen hatte. Nur zu gut erinnerte sie sich daran, wie ihre Mutter stets behauptet hatte, nicht zu wissen, wer Natalies Vater gewesen sein könnte …

Während Natalie sich noch redlich bemühte, nicht die Nerven zu verlieren, kam ihr plötzlich ein Gedanke. Der Name Valentina sagte ihr etwas. Natürlich! Ihr fiel ein, wer heute noch eine Maschine von diesem Flugplatz nehmen wollte und die Terminplanung ihres Chefs dadurch kräftig durcheinandergewirbelt hatte.

Immer dieser Hochadel, hatte Natalie noch abfällig gedacht. Sie hatte für diese hochnäsigen Leute nichts, aber auch gar nichts übrig. Seit frühester Kindheit war ihr von ihrer Mutter eingebläut worden, wie nutzlos die Mitglieder des Hochadels waren. Wenn andere kleine Mädchen sich als Prinzessinnen verkleideten, die auf ihren Traumprinzen warteten, hatte ihre Mutter nur verächtlich das Gesicht verzogen. „Es gibt kein Happy End“, hatte sie Natalie versichert. „Das Gerede davon ist dummes Zeug. Es soll dich nur einlullen. Darauf fällt meine Tochter aber nicht herein. Du musst realistisch sein, Natalie.“

Daran hatte Natalie sich bisher immer gehalten. Und jetzt? Verstört betrachtete sie Valentina. „Du bist eine Prinzessin, oder?“

„Ja, leider.“ Valentina lächelte flüchtig. „Du aber auch, wie ich stark annehme.“

Natalie musterte sie schockiert. Sie weigerte sich, dieser offensichtlichen Tatsache ins Auge zu sehen. „Wir können gar nicht miteinander verwandt sein. Ich arbeite als Direktionssekretärin und bin ohne festen Wohnsitz aufgewachsen. Du bist eine Prinzessin! Wahrscheinlich lebst du in einem Schloss – und deine Abstammung lässt sich bis zu den alten Römern nachweisen, oder?“

„Mehr oder weniger.“ Valentina nickte würdevoll. Bei Natalie hätte diese edle Geste vermutlich lächerlich ausgesehen, aber bei der Prinzessin wirkte sie vollkommen natürlich. „Es kommt darauf an, welchen Zweig der Familie man betrachtet …“

„Aha. Ich hatte bisher immer gedacht, dass eine königliche Familie mit Anspruch auf einen Thron nicht so leicht ein Familienmitglied aus den Augen verliert.“

„Das sehe ich genauso“, antwortete Valentina zustimmend und betrachtete Natalie eingehend. „An die Verschwörungstheorie, dass meine Mutter ums Leben gekommen sein soll und ihr Tod vertuscht worden ist, habe ich nie geglaubt. Ihre Abwesenheit wurde mir damit erklärt, dass sie den Anforderungen an ein Leben als Königin nicht gewachsen war und deswegen aus freien Stücken weggegangen ist. An die Gerüchte, dass sie wegen psychischer Probleme in einer Spezialklinik behandelt wird, habe ich auch nie geglaubt. Jedenfalls habe ich meine Mutter nie kennengelernt. Mein Vater hat mir erzählt, dass meine Mutter sich von allen Bindungen freimachen wollte und untergetaucht ist.“

Am liebsten hätte Natalie die Flucht ergriffen und sich wieder für ihren anstrengenden Chef in die Arbeit gestürzt. Dann hätte sie vielleicht so tun können, als wäre die Begegnung im Waschraum nur ein Traum gewesen. Stattdessen atmete sie tief durch und vertraute ihrem Ebenbild ein bis dato perfekt gehütetes Geheimnis an.

„Ich habe meinen Vater nie kennengelernt“, gestand sie leise und wunderte sich über das Vertrauen zu einer Wildfremden, selbst wenn diese aussah wie sie selbst. Seltsam, aber es kam ihr vor, als hätte sie Valentina schon ihr ganzes Leben lang gekannt … Beherzt sprach Natalie weiter. „Meine Mutter hat immer behauptet, sie hätte keine Ahnung, wer mein Vater ist. Aber sie hat mir immer wieder eingeschärft, dass es im wahren Leben keine Märchenprinzen gibt. Dass sie nur eine Erfindung sind, um junge Mädchen einzulullen. Und dass man keinem Mann vertrauen darf …“ Nach kurzem Schweigen fügte Natalie hinzu: „Meine Mutter hat sich von einer Affäre in die nächste gestürzt. Irgendwann hab ich ihr geglaubt, dass sie vergessen hat, wer mich gezeugt hat.“

Valentina lachte. Es klang tief und rauchig – wie mein eigenes Lachen, dachte Natalie schockiert.

„Man kann ja viel über meinen Vater behaupten“, sagte Valentina amüsiert. „Er ist Seine königliche Hoheit, König Geoffrey von Murin. Aber jede Frau würde sich daran erinnern, mit ihm zusammen gewesen zu sein. Davon bin ich überzeugt.“

„Du unterschätzt meine Mutter“, widersprach Natalie. „Sie hat ihre Neigung zu Gedächtnisverlust zu einer Art Kunstform erhoben. Manchmal bewundere ich diese Gabe.“ So offen hatte Natalie noch nie mit jemandem über ihre Probleme gesprochen.

„Meine Mutter Frederica de Burgh entstammt einer sehr alten Adelsfamilie in Murin.“ Valentina ließ Natalie nicht aus den Augen, um keine Reaktion zu verpassen. „Schon seit ihrer Geburt war sie meinem Vater versprochen und wurde im Kloster erzogen. Später erklärte man sie dann wegen angeblich psychischer Probleme ungeeignet für die Aufgaben einer Königin. Ich bezweifle das, aber irgendwie mussten sie ihr Verschwinden ja begründen, oder? Wie heißt deine Mutter?“

Natalie stellte seufzend ihre schwere Handtasche auf der Marmorkonsole des Waschbeckens ab. „Sie nennt sich Erica.“

Erica? Das klang ja wie eine Kurzform von Frederica! Wissend und schockiert zugleich musterten die beiden Frauen einander.

Plötzlich nahm Natalie ihre Umgebung überdeutlich wahr: den Fluglärm, den viel zu laut gestellten Nachrichtensender in der VIP-Lounge. Wahrscheinlich wunderte ihr Chef sich bereits, wo sie so lange blieb, und würde gleich wütend in den Waschraum stürmen.

„Ich habe vorhin den berühmt-berüchtigten Milliardär Achilles Casilieris in der VIP-Lounge gesehen.“ Valentina schien Natalies Gedanken zu lesen. „Er ist ja noch furchteinflößender als auf Fotos. Man spürt seine Power förmlich.“

„Er ist mein Chef. Und wenn ich ihm nicht sofort wieder zur Verfügung stehe, reißt er mir den Kopf ab“, sagte Natalie trocken.

Das war ihre erste laut geäußerte Kritik an dem Mann, dessen weltweit operierendes Unternehmen die Rezession völlig unbeschadet überstanden hatte. Sofort kam Natalie sich wie eine Verräterin vor. Fünf lange Jahre hatte sie für ihren anstrengenden Chef gearbeitet. Und obwohl sie entschlossen war, den Job an den Nagel zu hängen, kam sie sich wie eine Verräterin vor, weil sie sich einer Frau anvertraute, die aussah wie sie, die sie aber gar nicht kannte. Natalie wusste plötzlich gar nicht mehr, wer sie eigentlich war.

Die Prinzessin zog gerade ein brummendes Handy aus der eleganten Lederclutch, die sie achtlos auf die Konsole gelegt hatte. „Mein Verlobter“, sagte sie, warf einen Blick gen Himmel und schob das Handy wieder zurück. „Oder besser gesagt sein Adjutant.“

„Herzlichen Glückwunsch zur Verlobung.“ Natalie betrachtete Valentina neugierig. Freudensprünge machte die Prinzessin ja nicht gerade.

„Danke. Ich habe wirklich Glück.“ Valentina rang sich ein Lächeln ab, doch ihre Augen blickten ernst. „Prinz Rodolfo ist wirklich attraktiv. Die Paparazzi sind ganz heiß darauf, der Welt seinen durchtrainierten Körper zu präsentieren. Oder seine unzähligen Affären mit Models und Schauspielerinnen aus mindestens vier Kontinenten. Daran hat sich auch seit unserer Verlobung im Herbst nichts geändert.“

„Klingt nach einem echten Märchenprinz“, spottete Natalie, die sich in ihrer Meinung über die oberen Zehntausend mal wieder bestätigt fühlte.

Valentina zuckte die Schultern. „Er steht auf dem Standpunkt, bis zur Hochzeit ein freier Mann zu sein. Nach der Geburt des Thronfolgers will er sich auch wieder seine Freiheiten nehmen. Hoffentlich ist er dann wenigstens diskreter. Aber ich bin natürlich überglücklich, in nur zwei Monaten meinen Platz an seiner Seite einnehmen zu müssen.“

Natalie lachte über Valentinas Ironie und fühlte sich der Frau eng verbunden. „Dann stehen uns beiden ja aufregende zwei Monate bevor. Mr. Casilieris ist nämlich gerade in Hochform und arbeitet an einem besonders komplizierten Deal. Im Moment läuft es nicht so gut, das ist er nicht gewohnt. Statt zwanzig Stunden muss ich also jetzt noch zwei Stunden länger am Tag seine Launen ertragen.“

„Das kann auch nicht schlimmer sein, als mit einem höflichen Lächeln den stundenlangen Ausführungen seines zukünftigen Ehemannes über die absurden Erwartungen an die eheliche Treue in einer Vernunftehe zu lauschen. Absurd ist für ihn, mir bis zur Geburt des Thronfolgers treu bleiben zu müssen. Von mir wird aber wie selbstverständlich erwartet, dass ich Erfüllung in wohltätiger Arbeit finde. Wie seine fast als Heilige verehrte Mutter, die sich angeblich aus Gesundheitsgründen nach Bayern zurückziehen musste, um dort ein abgeschiedenes Leben zu führen.“

„Dann versuch mal, die Zähne zusammenzubeißen und nicht in Tränen auszubrechen, wenn dein schlecht gelaunter Chef dich innerhalb einer Stunde hundertmal grundlos zur Schnecke macht“, antwortete Natalie lächelnd. „Was meinst du, wie oft ich schon drauf und dran war, den Medien zu stecken, wie er wirklich ist.“

Valentina setzte noch einen drauf. „Wie würden dir stundenlange Presseinterviews zu deiner bevorstehenden Hochzeit gefallen? Wobei die Antworten vorher in mühsamer Kleinarbeit mit dem Hofpressestab eingeübt werden müssen, bis man nur noch Süßholz raspelt und sich wie eine Comicfigur fühlt.“

„Apropos Süßholz: Ich muss auch Schönwetter bei den Vorständen des Unternehmens machen, wenn Mr. Casilieris die Direktoren mal wieder wie ungezogene Schuljungen abgefertigt hat“, erzählte Natalie. „Seine verflossenen Geliebten muss ich auch besänftigen. Auch keine leichte Aufgabe, jede Ex hat ihren eigenen Racheplan. Ganz zu schweigen von den verängstigten Angestellten, die ich vor Terminen mit ihm coachen muss. Einige von ihnen mussten schon wegen posttraumatischer Belastungsstörungen behandelt werden. Außerdem ist da noch das Hauspersonal in seinen Residenzen rund um den Erdball. Wenn diese Leute was von ihm wollen, schicken sie immer mich vor, weil sie genau wissen, dass er in die Luft gehen wird.“

Wissend nickten die beiden Frauen einander zu – wie beste Freundinnen. Oder Schwestern, dachte Natalie. An diese Vorstellung konnte sie sich aber nicht so schnell gewöhnen.

Angestrengt überlegte sie hin und her. Mr. Casilieris hatte sie gerade so sehr heruntergeputzt, dass sie es keine Sekunde länger bei ihm aushalten konnte. Ich muss verschwinden, dachte sie entschlossen und sah Valentina an.

„Ehrlich gesagt bin ich drauf und dran, noch heute zu kündigen“, vertraute sie Valentina an.

„Ich kann leider nicht so einfach kündigen!“, seufzte Valentina. Da trat plötzlich ein abenteuerliches Funkeln in ihre Augen. „Ich habe eine Idee! Wir tauschen die Rollen. Sagen wir, für einen Monat. Höchstens für sechs Wochen. Einfach so.“

„Das ist völlig verrückt.“

„Stimmt.“ Valentina nickte. „Aber für dich ist das Hofprotokoll mal was anderes, und ich wollte schon immer mal ausprobieren, wie es ist, richtig zu arbeiten.“

„Aber wir können doch nicht einfach die Rollen tauschen. Wie soll ich mich denn plötzlich in eine Prinzessin verwandeln?“

„Ach, das schaffst du schon. Jedenfalls hättest du Zeit darüber nachzudenken, ob du deinen Job wirklich kündigen willst. Es wäre ein schöner Urlaub für dich. Weißt du schon, wo Achilles Casilieris sich in sechs Wochen aufhalten wird?“

„Vermutlich in London“, antwortete Natalie und fing insgeheim bereits an, ernsthaft über Valentinas unglaublichen Vorschlag nachzudenken.

Valentina lächelte zufrieden. „Prima, dann treffen wir uns in sechs Wochen in London wieder. Wir bleiben über die Handys in Kontakt, um Detailfragen zu klären. In sechs Wochen schlüpfen wir dann wieder zurück in unser eigenes Leben. Niemand wird etwas merken. Das wird bestimmt ein großer Spaß.“ Mitfühlend musterte sie Natalie. „Du siehst aus, als könntest du etwas Spaß gebrauchen.“

„Das kann gar nicht funktionieren“, sagte Natalie pessimistisch. Doch sie wirkte nicht völlig abgeneigt. „Niemand wird mir abnehmen, dass ich du bin.“

Valentina machte eine wegwerfende Geste. „Wie soll uns denn jemand auseinanderhalten? Ich kann es ja selbst kaum.“

„Man wird mir auf den ersten Blick ansehen, dass ich nicht du bin“, beharrte Natalie. „Du siehst aus wie eine Prinzessin.

Aus langjähriger Gewohnheit sprach Natalie das Wort mit tief empfundener Verachtung aus, aber Valentina ließ sich nichts anmerken. „Du kannst auch wie eine Prinzessin aussehen!“, beteuerte sie lächelnd. „Du tust es bereits.“

„Aber ich habe weder deine Eleganz noch deine Haltung“, gab Natalie zu bedenken. „Die hast du dir sicher über Jahre hinweg erarbeitet. Du hast gelernt, diplomatisch und stets höflich zu sein. Du, du … Na ja, du weißt immer genau, wann man welche Gabel für welches Essen benutzt und all das!“

„Achilles Casilieris gehört zu den reichsten Männern auf diesem Planeten. Er diniert ebenso oft in königlicher Gesellschaft wie ich. Als seine PA hast du ihn sicher schon oft begleitet und längst gelernt, in welcher Reihenfolge das Besteck zu benutzen ist.“

„Trotzdem, wir würden niemals damit durchkommen“, flüsterte Natalie. Oder vielleicht doch? Insgeheim konnte sie sich den Rollentausch gut vorstellen. Einmal Prinzessin sein … Sich verwöhnen lassen, in einem Schloss wohnen … Nur sechs Wochen lang. Eigentlich hatte sie nach fünf stressigen Jahren doch mal eine Abwechslung verdient, oder?

Valentina lächelte siegesgewiss. Sie spürte, dass Natalie auf ihre Idee eingehen würde, und zog schon mal den spektakulären Verlobungsring vom Finger. Sie legte ihn auf die Marmorkonsole. „Probier ihn mal an! Es ist ein uraltes Familienerbstück aus Prinz Rodolfos Safe. Beeindruckend, oder?“ Sie hielt Natalie den Ring hin. „Wenn er nicht passt, vergessen wir das Ganze.“

Natalie ließ sich darauf ein. Sie konnte nicht anders. Was sie und Valentina da vorhatten, war völlig verrückt. Der Ring würde es beweisen …

Doch der Ring saß wie angegossen!

Schon als Kind hatte sie von so einem Glitzerring geträumt – und von einem echten Zuhause. Wie sehr hatte sie sich insgeheim danach gesehnt, zugehörig zu sein – zu einem Mann, einem Land, zu Traditionen.

Es schien, als wäre der Ring für sie gemacht. Natürlich gehörte er ihr nicht, aber ihn zu tragen, war wie ein Versprechen.

Die Würfel waren gefallen. Die beiden Frauen tauschten einen verschwörerischen Blick und zogen die Schuhe aus. Der Teppich im Waschraum fühlte sich geradezu absurd weich an! Ohne Hemmungen schlüpfte die Prinzessin vor Natalie aus ihrem edlen Kleid, offensichtlich daran gewöhnt, dass Bedienstete ihr beim An- oder Auskleiden zur Hand gingen. Mit leicht herrischem Blick bedeutete sie Natalie, ihrem Beispiel zu folgen.

Da Natalie nicht daran gewöhnt war, dass ihr andere Menschen beim Auskleiden zusahen, verschwand sie lieber in einem der WC-Räume und reichte Valentina diskret ihre Sachen heraus. Nervös nahm sie die exklusive Garderobe der Prinzessin entgegen. Erstaunlich, die Kleidung passte ihr wie angegossen, als wäre sie für sie geschneidert worden.

Natalie kam heraus und stutzte, als sie sich gegenüberstanden. Valentina wollte sich ausschütten vor Lachen, denn auch sie fand die Situation außergewöhnlich, nicht von dieser Welt.

Ein Problem gab es jedoch. Natalie war es nicht gewohnt, auf hohen Absätzen zu gehen. Ihre Knie protestierten, als sie in Valentinas High Heels schlüpfte.

„Du musst das Gewicht auf die Hacken verlagern, nicht auf Zehenspitzen gehen. Das sieht lächerlich aus. Lehn dich einfach zurück!“, sagte Valentina. Sie fühlte sich in Natalies flachen Sandaletten ausgesprochen wohl. Natürlich war auch die Schuhgröße der beiden Frauen identisch …

Doch dann fiel Valentinas Blick auf Natalies Brille. „Oje, daran habe ich nicht gedacht. Wahrscheinlich bekomme ich Kopfschmerzen, wenn ich deine Brille trage, und du bist blind wie ein Maulwurf.“

Natalie lachte. „Es ist nur Fensterglas.“ Sie nahm die schwarze Hornbrille ab. „Die Brille dient lediglich als Abschreckung. Immer wieder haben Mr. Casilieris‘ Geschäftspartner mir Avancen gemacht, was ihn sehr irritiert hat. Da habe ich schließlich in die Trickkiste gegriffen. Eine strenge Frisur dazu, und das Problem war gelöst.“

„Es ist mir unbegreiflich, wie idiotisch Männer sein können“, sagte Valentina amüsiert und setzte die Brille auf.

„Ach, die Männer haben mich nur als Ablenkungsmanöver während der Vertragsverhandlungen benutzt“, erklärte Natalie freimütig. „Du wirst es nicht glauben, aber viele Männer übersehen intelligent wirkende Frauen einfach.“ Natalie schüttelte das lange Haar aus und reichte Valentina das Haarband.

Sekunden später trug nun Valentina einen Pferdeschwanz.

Die Verwandlung war perfekt.

Aus der Bürgerlichen Natalie Monette, bekannt für ihre harte, gewissenhafte Arbeit rund um die Uhr als PA eines der erfolgreichsten, gnadenlosesten Geschäftsmänner weltweit, war wie durch Zauberhand Ihre königliche Hoheit, Prinzessin Valentina von Murin geworden. Und Valentina war nun Natalie Monette.

„Unfassbar“, flüsterte Natalie, als Valentina nun als die tüchtige, durch nichts aus der Ruhe zu bringende PA von Achilles Casilieris vor ihr stand.

So wollte ich immer wirken, dachte sie und stutzte. Noch einmal musterte sie die Frau vor sich und bemerkte keinen Unterschied. Das hieße ja, dass sie selbst immer so gewirkt hatte, wie sie es sich erhofft hatte!

Noch etwas wurde Natalie in diesem Augenblick klar: Valentina und sie mussten Zwillinge sein. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Das war ja ein starkes Stück! Ihre Mutter hätte sie dann ein Leben lang belogen! Diese Erkenntnis mit all ihren Konsequenzen traf Natalie bis ins Mark. Aber sie konnte und wollte jetzt nicht einmal im Ansatz darüber nachdenken.

„Auf gehts“, sagte Valentina, leicht nervös. „Ich wollte schon immer mal ausprobieren, wie man als normal Sterbliche lebt. Es ist ja nur für kurze Zeit.“

Aufgeregt musterten sie einander. Natalie sah, dass Valentinas kupferrotes Haar von wenigen blonden Strähnen durchzogen war, vermutlich verursacht durch ausgedehnte Sonnenbäder auf Luxusjachten oder am Strand ihres Inselkönigreichs.

Wenn ihr wirklich Zwillingsschwestern seid, ist es auch dein Inselkönigreich, wisperte eine innere Stimme Natalie zu. Doch diese Vorstellung überforderte sie. An die Rolle der Prinzessin musste sie sich erst gewöhnen.

„Träumen alle Prinzessinnen von einem normalen Leben?“, fragte sie Valentina leise. Sie spürte, dass auch sie sehr aufgewühlt war.

Eine Antwort bekam sie nicht, denn direkt vor der Tür erklang eine barsche, Natalie nur zu vertraute Männerstimme. Ohne nachzudenken schnappte Natalie nach Valentinas Handtasche, flüchtete im Outfit der Prinzessin in eine Kabine und verschloss die Tür.

Gerade noch rechtzeitig, denn im nächsten Moment stürmte Achilles Casilieris in den Waschraum.

„Was treibst du hier eigentlich?“, fragte er wütend. „Brauchst du noch eine Stunde, um dein Make-up zu perfektionieren, oder können wir jetzt endlich nach New York fliegen?“

Instinktiv drückte Natalie in der Toilettenzelle das Kreuz durch. Erst dann ging ihr auf, dass ihr Chef gar nicht mit ihr schimpfte, sondern mit Valentina! Offensichtlich hält er sie für mich, dachte Natalie. Vermutlich denkt er, ich habe mir Strähnchen gemacht.

Aber so etwas würde ihrem Chef gar nicht auffallen. Er sah ja nur seine Assistentin in ihr – und die hatte zu funktionieren.

„Entschuldigung“, sagte Valentina leise.

„Ich brauche keine Entschuldigung, ich brauche dich im Flieger“, polterte er und verschwand wieder.

Natalie war fassungslos. Da hatte sie nun fünf lange Jahre tagein, tagaus für diesen Mann gearbeitet, dem man absolut nichts vormachen konnte, und er bemerkte nicht einmal, wen er vor sich hatte?

Zögernd kam sie heraus und sah gerade noch, wie Valentina nach Natalies Handtasche griff und zur Tür eilte, durch die Achilles Casilieris gerade verschwunden war.

„Ich rufe dich an“, flüsterte die wahre Prinzessin aufgeregt, und schon war sie fort.

Natalie sah ihr nach, warf einen Blick in den Spiegel, bemerkte den funkelnden Ring am Finger und strich sich mit bebenden Händen übers Haar.

Einfach so war sie zu einer Prinzessin geworden – das Märchen konnte beginnen!

2. KAPITEL

Prinz Rodolfo entstammte einem uralten Adelsgeschlecht, das seit vielen Jahrhunderten über das Fürstentum Tissely herrschte. Der wohlhabende Kleinstaat in den Pyrenäen, eingebettet zwischen Frankreich und Spanien, zeichnete sich durch lang anhaltenden Frieden und landschaftliche Schönheit aus.

Doch Rodolfo langweilte sich. Kein Wunder, denn er weilte auf Schloss Murin. Dort sollte er mal wieder auf seine hochwohlgeborene Verlobte treffen, die sein Vater schon vor langer Zeit für ihn auserwählt hatte. Amüsieren konnte man sich nicht mit ihr, diese Erfahrung hatte Rodolfo bereits gemacht. Zugegeben, Prinzessin Valentina, seine zukünftige Ehefrau und Mutter seiner Kinder, war eine Schönheit, aber leider sehr langweilig. Vielleicht sterbe ich ja vor der Hochzeit an Langeweile, dachte Rodolfo sarkastisch und streckte die langen Beine aus.

Das antike Sofa im Salon war viel zu zierlich und unbequem für einen so hochgewachsenen Mann wie ihn. Aber was sollte er tun? Hier traf er sich einmal im Monat mit seiner Verlobten, damit sie einander besser kennenlernen konnten.

Ein Schmerz durchzuckte seinen Oberschenkel. Im letzten Tauchurlaub vor einigen Monaten hatte er eine unangenehme Begegnung mit einem Hai gehabt. Geistesabwesend rieb Rodolfo die schmerzende Narbe.

Wenigstens hatte sein Vater nichts von dem Haiangriff erfahren und sich daher lediglich über Rodolfos Indiskretion echauffiert. An Bord der Privatjacht, auf der er mit Freunden vor Belize kreuzte, hatten sich nämlich auch einige hübsche Mädchen befunden. Wie nicht anders zu erwarten, hatten mit Teleobjektiven ausgerüstete Paparazzi das Treiben an Bord gefilmt.

Ohne diese kleinen Abenteuer wäre sein Dasein als Prinz aber gänzlich unerträglich gewesen. Dafür nahm er auch die Gardinenpredigten seines Vaters gern in Kauf.

„Dein Verhalten wird von Jahr zu Jahr beschämender!“, hatte der Fürst angesichts der eindeutigen Fotos in den Medien gewütet.

„Es steht in deiner Macht, mir eine Aufgabe zu geben, die mich ausfüllt“, antwortete Rodolfo. „Irgendwo in diesem Fürstentum wird sich doch ein Job für deinen einzigen Sohn finden.“

Genau das war die Crux. Der Fürst hatte seinen ältesten Sohn perfekt auf die Thronfolge vorbereitet. Felipe hätte einmal die Herrschaft über das Fürstentum übernehmen sollen. Aber Felipe war tot.

Über dieses Thema wurde geschwiegen. Doch Rodolfo wäre nicht zum Thronfolger aufgestiegen, wenn sein älterer Bruder überlebt hätte. Rodolfo war nur die zweite Wahl …

„In meinem Land ist kein Platz für einen genusssüchtigen, im Luxus schwelgenden Narren, dessen Leben an eine dieser grässlichen Überlebensshows im Fernsehen erinnert und über den ständig in den grellsten Farben in der Klatschpresse berichtet wird“, hatte sein Vater ihm abfällig vorgeworfen. „Mit deinen ewigen Eskapaden beschmutzt du das Ansehen des Fürstentums.“

Das eigentliche Thema hatte er dadurch mal wieder geschickt umschifft. Es war ja auch viel einfacher, seinen Sohn anzugreifen, als die Wahrheit auszusprechen. Nun war Rodolfo durchaus bewusst, dass auch er seinen Vater durch immer riskantere Abenteuer provozierte.

„Es war nur ein harmloser Bootsausflug, Vater“, warf Rodolfo ein, nur um etwas zu sagen, denn je länger er schwieg, desto aufgebrachter wurde der Fürst. „Wohl kaum dazu angetan, die Regierung zu stürzen.“

„Was weißt du denn schon vom Regieren?!“, brauste sein Vater auf.

„Wenig“, gab Rodolfo zu. „Aber das könnte sich schnell ändern, wenn du mir endlich die entsprechenden Aufgaben übertragen würdest!“

Wieder einmal drehten sie sich nur im Kreis.

Rodolfos Vater Ferdinand IV. war nicht bereit, auch nur einen Bruchteil seiner Pflichten als Herrscher über das Fürstentum Tissely aus der Hand zu geben. Obwohl er es seinem Sohn nach dessen Examen an der London School of Economics vor zehn Jahren fest versprochen hatte. Stattdessen hielt der Fürst immer erbitterter und sturer an der Macht fest. Wohl oder übel hatte Rodolfo sich diesem Umstand angepasst.

Das Leben im Fürstentum war sehr ruhig. Seit Jahrhunderten hatte der abgelegene Kleinstaat sich aus allen Kriegen herausgehalten.

Rodolfos Leben hingegen war aufregend und provokant. Er liebte Extremsport und exzessiven Sex, und es kümmerte ihn herzlich wenig, dass darüber seit Jahren ausführlich in den europäischen Gazetten berichtet wurde. Sein Vater brauchte ihm nur eine Aufgabe zu geben, die ihn ausfüllte, dann würde Rodolfo seinen gefährlichen Lifestyle aufgeben und sein Leben nicht mehr aufs Spiel setzen, sondern zu schützen versuchen, um den Fortbestand des Fürstentums zu sichern. Seinen ursprünglichen Thronfolger Felipe hatte Ferdinand stets in Watte gepackt. Er durfte sich keinerlei Gefahren aussetzen. Und dann hatte eine kleine Wunde am Finger Felipe das Leben gekostet …

Statt ihm eine wichtige Aufgabe zu übertragen, hatte Rodolfos Vater ihn im vergangenen September auf andere Weise überrascht. Wieder einmal hatte er seinen Sohn in eins der riesigen Arbeitszimmer des weitläufigen Schlosses zitiert, um ihm einen seiner Vorträge zu halten. Und dann hatte er die Bombe platzen lassen: „Herzlichen Glückwunsch, Rodolfo! Du heiratest nächsten Sommer.“

„Wie bitte?“ Bis zu diesem Punkt hatte Rodolfo die Ohren auf Durchzug geschaltet. Anders war die Litanei des Fürsten nicht zu ertragen. Außerdem ärgerte es ihn, dass er mal wieder vom anderen Ende der Welt in den Palast zitiert worden war. Hatte Ferdinand noch nie etwas von Handys gehört? Aber der Herrscher über Tissely zog noch immer das direkte Gespräch unter vier Augen vor.

Irritiert bemerkte Rodolfo den ungewöhnlich selbstzufriedenen Blick seines Vaters. Oje, das konnte nichts Gutes bedeuten.

„Du hast mich gebeten, dir eine Aufgabe hier im Fürstentum zu geben. Die sollst du haben. Die Prinzessin von Murin ist seit ihrer Geburt inoffiziell dem Prinzen von Tissely versprochen. Es wird höchste Zeit, dass du dich dem Fortbestand unserer Familie widmest. Wieso schaust du mich so überrascht an, Rodolfo? Auch du wirst nicht jünger, wie deine jüngsten verzweifelten Eskapaden plastisch demonstriert haben.“

Darüber ging Rodolfo kommentarlos hinweg. „Ich habe die Prinzessin exakt ein einziges Mal gesehen. Damals war ich zehn Jahre alt, und sie trug noch Windeln.“ Er erinnerte sich noch genau, dass der vierzehnjährige Felipe, dem die Prinzessin ursprünglich versprochen gewesen war, damals auch nicht gerade begeistert reagiert hatte. „Seitdem sind wir uns nie wieder begegnet.“

Der Fürst musterte seinen Sohn streng. „Prinzessin Valentina ist in der ganzen Welt für ihr soziales Engagement und als Gesandte ihres Vaters bekannt. Sie erfüllt ihre Verpflichtungen vorbildlich. Kein Wunder, dass sich eure Wege nie gekreuzt haben. Sie wird wohl kaum einen Fuß in die zweifelhaften Etablissements setzen, in denen du dich für gewöhnlich herumtreibst.“

„Trotzdem glaubst du, dieser Ausbund an Tugendhaftigkeit will mich heiraten?“

„Von Wollen kann sicher keine Rede sein. Aber die Prinzessin ist sehr pflichtbewusst und weiß, was sie ihrem Land schuldig ist. Du behauptest ja auch, dass du dem Fürstentum dienen willst. Jetzt hast du die Chance, das zu beweisen.“

Verflixt, das hatte er sich selbst eingebrockt! Aus der Nummer kam Rodolfo nicht mehr heraus. Er würde bis ans Ende seiner Tage an diese tugendhafte, pflichtbewusste und überaus langweilige Prinzessin gebunden sein, die er zur Frau nehmen musste …

„Prinzessin Valentina, Hoheit“, kündigte der Butler an.

Rodolfo erhob sich höflich und platzierte sich am imposanten Kamin. Er war zwar gegen diese arrangierte Ehe, aber deshalb musste er ja nicht seine Kinderstube vergessen. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, alles anders zu machen als sein Vater und nur eine Frau zu heiraten, mit der er sich auch angeregt unterhalten konnte. Das war wohl das Mindeste. Seine eigene Mutter, die ihren Ehemann ebenso wenig liebte wie ihren Sohn, hatte sich bereits vor zwanzig Jahren auf ihren Landsitz in Bayern zurückgezogen, der seit Jahrhunderten im Besitz ihrer Familie war. Angeblich erlaubte ihr schlechter Gesundheitszustand keine Rückkehr an die Seite ihres Ehemannes in Tissely.

Gleich würde seine Zukünftige den Salon betreten, um höfliche Konversation zu machen, steif wie im sechzehnten Jahrhundert. Seit der Verlobung vor Monaten war er Valentina nicht einen Zentimeter näher gekommen. Sie schien so undurchdringlich wie Panzerglas.

Doch dieses Mal war alles anders.

Wieso? Rodolfo hätte es nicht zu sagen gewusst. Er spürte es nur, als sie an der Tür einen Moment zögerte, den Blick über die getäfelte Decke wandern ließ, dann ihn anschaute, als hätte sie ihn nie zuvor gesehen, als wäre ihr diese Umgebung völlig fremd.

Es war … erregend. Rodolfos Körper reagierte entsprechend.

Das war doch unmöglich! Was war nur plötzlich mit ihm los?

Rodolfo musterte seine Verlobte scharf. Sie sah aus wie immer. Und doch war etwas an ihr anders. Nicht das elegante Mantelkleid, das ihre perfekte Figur verbarg und vielleicht gerade deshalb sein Interesse weckte. Seltsam, die Prinzessin stand da, als wäre sie plötzlich unsicher auf den High Heels. Ihr wunderschönes kupferrotes Haar erschien ihm ungebändigter als sonst. Von einem intensiveren Rot, irgendwie leuchtender.

Bin ich jetzt völlig verrückt geworden? überlegte Rodolfo. Hatte er bei dem Fallschirmsprung in der vergangenen Woche in den Schweizer Alpen doch eine Gehirnerschütterung davongetragen, als er zu hart gelandet war?

Die Prinzessin fuhr unbewusst mit der Zunge über ihre Lippen und fing Rodolfos Blick auf. Rodolfo meinte, die sinnlichen Lippen um sein bestes Stück zu spüren. Was in aller Welt …?

„Hallo.“ Sogar ihre Stimme klang anders als sonst. „Es freut mich, dich wiederzusehen.“

„Es freut dich, mich wiederzusehen?“, fragte er erstaunt nach. „Bist du sicher? Ich hatte bei unserem letzten Treffen den Eindruck, du würdest lieber zum Zahnarzt gehen, als dich mit mir zu unterhalten.“

Was war nur plötzlich in ihn gefahren? Bei all den zurückliegenden Treffen war er ausgesucht höflich geblieben, obwohl er sich fast zu Tode gelangweilt hatte. Nun würde die perfekte Prinzessin vermutlich gleich beleidigt zu Boden sinken. Und wie sollte er das ihrem humorlosen Vater, König Geoffrey von Murin, erklären?

Doch Valentina lächelte nur – fast schelmisch. Waren ihre Augen schon immer so grün gewesen? Wieso war ihm das vorher nie aufgefallen?

„Das hängt vom Zahnarzt ab. Meinst du nicht?“

Rodolfo musterte sie verblüfft. Neckte Valentina ihn? Das hatte sie noch nie getan. „Nun ja, vielleicht“, antwortete er daher vorsichtig.

Lächelnd kam sie näher, blieb dann hinter einem hohen antiken Brokatsessel stehen und ließ eine Hand auf der Rückenlehne ruhen.

Bleib nicht stehen, komm näher, komm zu mir, damit ich … Verwirrt rief Rodolfo sich zur Ordnung.

Als hätte er die Aufforderung laut ausgesprochen, ließ Valentina den Sessel los und kam näher – mit schwingenden Hüften.

Rodolfo kniff kurz die Augen zu. Das bilde ich mir nur ein, dachte er. Diese steife, langweilige Prinzessin, die ich in den vergangenen Monaten ertragen musste, hat plötzlich einen sexy Hüftschwung? Fasziniert beobachtete er, wie sie sich vorsichtig in die Mitte des Sofas setzte, von dem er sich vorhin erhoben hatte.

Seltsam, woher kam ihre plötzliche Unsicherheit? Zuvor war Valentina immer schnurstracks auf einen Sessel zugesteuert und hatte sich elegant darauf niedergelassen.

„Ich habe vorhin auf dem Flug von London hierher etwas über dich gelesen“, erzählte sie unvermittelt.

„Ach?“ Er musterte sie verwundert. „Ich dachte, du liest keine Klatschblätter.“

„Normalerweise tue ich das auch nicht.“ Sie lächelte, und er war wie gebannt. „Es ist unter meiner Würde.“

„Genau.“ Rodolfo war plötzlich ernsthaft versucht, sie zu küssen. Was ist nur mit mir los? dachte er wieder.

„Schließlich bin ich eine Prinzessin und keine Verkäuferin, die sich durch die Lektüre von Klatschblättern von ihrem eigenen trübseligen Leben ablenken will. Dabei sind die Geschichten doch meistens sowieso erfunden oder entsprechen höchstens zur Hälfte der Wahrheit.“

„Absolut.“

„Aber ich würde dich gern etwas fragen.“ Das höfliche Lächeln, das ihn bei den anderen Begegnungen so schrecklich gelangweilt hatte, blitzte auf. Doch dieses Mal fand er selbst das faszinierend.

„Du darfst mich alles fragen, Prinzessin“, sagte er lässig mit der rauen Stimme, die eigentlich den unbedarften Mädchen vorbehalten war, die sich ständig dem „aufregendsten Prinzen Europas“ an den Hals warfen. Völlig unpassend für seine zukünftige Ehefrau.

Ich will sie haben, schoss es ihm plötzlich durch den Kopf. Wieso? Rodolfo hatte keine Ahnung, aber es war eindeutig: Er begehrte seine Verlobte. Er musste sie haben – jetzt, sofort.

Valentina schien seine Gedanken zu lesen, denn ihr Lächeln vertiefte sich. „Okay. Es geht um deine Doppelmoral. Wieso kannst du dich durch halb Europa schlafen, und ich darf das nicht?“

Rodolfo hätte ihr am liebsten gezeigt, was er davon hielt. Es fiel ihm schwer, diesen Impuls zu unterdrücken. Entschlossen ballte er die Hände zu Fäusten.

„Das will ich dir sagen, Prinzessin“, stieß er heiser hervor. „Weil du mir gehörst. Mir ganz allein, ob dir das nun passt, oder nicht.“

3. KAPITEL

Natalie hatte sich Prinz Rodolfo ganz anders vorgestellt.

Kein noch so freizügiges Foto – und davon mussten inzwischen viele Tausend im Internet und in den Gazetten Europas veröffentlicht worden sein, denn die Leserinnen konnten gar nicht genug von dem waghalsigen, durchtrainierten, fabelhaft aussehenden Thronfolger aus dem kleinen Fürstentum in den Pyrenäen bekommen – wurde dem Mann gerecht, der nun leibhaftig vor ihr stand. In natura war er wesentlich größer als auf den Fotos. Sie schätzte ihn auf mindestens einen Meter neunzig. Auch die unbändige Energie, die er ausstrahlte, konnten Fotos nicht abbilden.

Auf den ersten Blick hatte der Prinz sie verzaubert, kaum dass sie den beeindruckenden Salon betreten hatte. Rodolfo stand am Kamin, schien die edlen antiken Möbel zu überragen und sah ihr aufmerksam entgegen. Die unglaubliche Präsenz des Mannes faszinierte sie. Er war athletisch, hatte dichtes schwarzes Haar, das etwas zu lang war, dadurch aber erst recht sexy wirkte … In den Tiefen der dunkelbraunen Augen hätte sie sich verlieren können. Die schwarze Hose, das Button-Down-Hemd brachten den durchtrainierten Körper perfekt zur Geltung. Die Hände zupackend, aber gleichzeitig auch elegant. Eine tiefe Stimme, die in Natalies Innerstem ein wildes Feuer entfachte. Und dann dieser intensive Blick …

Natalie war vollkommen überrumpelt und unvorbereitet. Mit dieser Reaktion auf den Prinzen hatte sie nicht gerechnet, zumal ihre Mutter ihr immer erzählt hatte, wie abstoßend Mitglieder des Hochadels waren. Und wie unendlich eingebildet und langweilig. Dass sie sich nur für Pferdezucht interessierten oder für Jagdhunde.

Dann musste Rodolfo wohl eine absolute Ausnahme sein …

Valentina hatte zwar am Rande erwähnt, er wäre attraktiv, doch sie hatte für sich behalten, wie überwältigend er tatsächlich war. Überwältigend und atemberaubend!

Natalie riss sich zusammen. Gar nicht so einfach, wenn man sich bei jedem Schritt darauf konzentrieren musste, auf den High Heels nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Außerdem war das Ambiente so faszinierend, dass sie nicht wusste, wohin sie zuerst schauen sollte. Valentinas Bemerkung, sie sollte sich keine Sorgen machen, in Begleitung ihres Chefs hätte sie ja schon reichlich Gelegenheit gehabt, VIPs in ihren Domizilen kennenzulernen, fiel Natalie jetzt ein. Aber da bin ich nur die Begleitung eines Gastes gewesen, dachte sie. Hier auf Schloss Murin bin ich ja nun – zu Hause.

Die Crew des königlichen Privatjets hatte sie mit Hofknicks und tiefer Verbeugung an Bord begrüßt, wie es sich bei der Ankunft eines Mitglieds der königlichen Familie geziemt.

Während des kurzen Flugs wurde sie von Prinzessin Valentinas Privatsekretärin über die bevorstehenden Termine unterrichtet. Jedenfalls nahm Natalie an, dass es sich um die Privatsekretärin handeln musste.

Valentina schien sich großer Wertschätzung unter dem Personal zu erfreuen, was Natalie erleichtert zur Kenntnis nahm. Noch etwas erfuhr sie über ihren Zwilling: Valentina liebte Liebesromane! Ein ganzer Stapel Neuerscheinungen lag im Flugzeug für sie bereit.

Viel zu schnell setzte der Jet zur Landung auf der kleinen Insel im Mittelmeer an. Fasziniert schaute Natalie aus dem Fenster, ließ den Blick über Berge gleiten, über Olivenhaine, hübsche Häuser mit roten Ziegeldächern, Glockentürme und Kirchen. Weißer Sandstrand umgab das azurblaue Meer, auf dem elegante Segeljachten unterwegs waren. Sie entdeckte eine Marina und ein malerisches Fischerdorf. Hoch über allem das altehrwürdige Residenzschloss der Herrscherfamilie.

Traumhaft. Nur dass es kein Traum war, sondern Wirklichkeit.

„Prinz Rodolfo wartet im Salon, Hoheit.“

Das muss der Butler sein, hatte Natalie gedacht und hoheitsvoll genickt, so wie sie es sich von Valentina abgeschaut hatte. Es fiel ihr schwer, so zu tun, als wäre sie völlig unbeeindruckt von der ganzen Pracht.

So gut es auf den ungewohnten High Heels ging, folgte sie dem Butler auf schier endlosen, mit glatt poliertem Marmor ausgelegten Korridoren durch den Palast, bis sie den Salon erreicht hatten. Höflich öffnete der Butler ihr die Tür, verneigte sich und zog sich zurück.

Nun war Natalie allein mit einem Prinzen, der sie vom ersten Augenblick an in seinen Bann zog. Damit hatte sie nicht gerechnet. Wie auch? Von frühester Kindheit an waren ihr Mitglieder des Hochadels als schreckliche Menschen beschrieben worden. Ihre Mutter hatte da ganze Arbeit geleistet. Doch nun …

Natalie riss sich zusammen. Was hatte Rodolfo gerade gesagt? Sie musste sich verhört haben. Doch sein heißer Blick sprach für sich. Die lustvolle Reaktion ihres Körpers auch.

Mit keinem Wort hatte Valentina sie darauf vorbereitet! Du gehörst mir! Mir ganz allein!

Das passte überhaupt nicht zu der Beschreibung, die Valentina ihr von Prinz Rodolfo gegeben hatte. Es passte auch nicht zu dem Bild, das seine Exfreundinnen in den Klatschblättern von ihm gezeichnet hatten. Die Damen hatten sich eher darüber ausgelassen, dass der Prinz die Frauen wie die Hemden wechselte. In Internetforen gab es sogar Statistiken zu Rodolfos Frauenverschleiß auf vier Kontinenten.

Täuschte sie sich, oder hatten ihn seine besitzergreifenden Worte gerade selbst überrascht?

„Das ist aber unfair, oder?“ Verzweifelt versuchte Natalie, ihre Verwirrung zu verbergen. „Ich soll mich allein mit dir zufriedengeben, wohingegen du nicht im Traum daran denkst, einer einzigen Frau treu zu sein. Jedenfalls haben meine Recherchen das ergeben.“

„Hast du einen bestimmten Mann im Auge, Prinzessin?“, fragte Rodolfo betont lässig, während sein heißer Blick auf ihr ruhte. „Wer ist denn der Glückliche?“

„Eine Lady genießt und schweigt“, entgegnete sie und schenkte ihm ein Lächeln, das bisher den aufdringlichen Sekretärinnen von Achilles Casilieris‘ Rivalen vorbehalten gewesen war. Die Damen hatten sie alle unterschätzt. „Im Gegensatz zu dir, Rodolfo.“

„Ich kann nichts dafür, dass die Paparazzi mir auf Schritt und Tritt folgen.“

Wie gebannt schaute Natalie ihn an. Er war so groß und so … erregt. Und begehrenswert. Von Kopf bis Fuß begehrenswert. Es war unmöglich, den Blick abzuwenden.

„Sie schreiben, was sie wollen. Denken sich ständig neuen Unsinn über mich aus. Dagegen bin ich machtlos. Es geht ihnen nur darum, möglichst hohe Auflagen zu erreichen“, fügte er resigniert hinzu.

„Ach? Ich hatte ja keine Ahnung, dass du in Wirklichkeit wie ein Mönch lebst“, antwortete Natalie herausfordernd.

„Eher nicht, Prinzessin. Ich bin auch nur ein Mann.“ Seine makellos weißen Zähne blitzten auf, als er sich ein Lächeln abrang.

Sie meinte die Zähne auf ihrem Körper zu spüren. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Schnell rief Natalie sich zur Ordnung. Es gehörte sich nicht, mit ihm zu flirten, schließlich war sie nur für sechs Wochen in Valentinas Rolle geschlüpft. Das durfte sie nicht vergessen. Außerdem verkörperte Rodolfo genau den Typ Mann von Adel, vor dem ihre Mutter sie immer wieder eindringlich gewarnt hatte. Er war nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen, stürzte sich ohne Rücksicht auf Verluste von einem Abenteuer ins nächste. Kürzlich sollte er beim Tauchurlaub sogar einem Hai begegnet sein. Nein, sie durfte sich nicht mit ihm einlassen, sosehr sie ihn auch begehrte.

Als sie nach dem Rollentausch im Waschraum des Flugplatzes wieder klar denken konnte und beobachtet hatte, wie Achilles Casilieris‘ Privatjet ohne sie abgehoben hatte, hatte sie Valentina sofort eine SMS geschickt: Ich werde deinen Verlobten bearbeiten. Das ist dann mein Hochzeitsgeschenk für dich.

Sie hatten mit den Taschen ja auch die Handys getauscht. Glücklicherweise kannte Natalie ihre eigene Handynummer auswendig und konnte Valentina somit problemlos erreichen. Die Antwort der Prinzessin hatte nicht lange auf sich warten lassen: Nur zu. Viel Glück! Ich fürchte nur, er lässt sich nicht bearbeiten.

Sie gibt mir Carte blanche, hatte Natalie gedacht, als sie die SMS gelesen hatte. Prompt hatte sie sich vorgenommen, dem aufgeblasenen Prinzen all das zu sagen, was Valentina sich nicht getraut hatte.

Das war aber noch lange kein Grund, bei Rodolfos heißem Blick plötzlich den Kopf zu verlieren. Entschlossen wandte sie sich ab und betrachtete das Interieur des prächtigen Salons. Natürlich durfte sie sich dabei nicht anmerken lassen, wie beeindruckend sie dieses Ambiente fand, denn eigentlich war sie ja hier zu Hause.

Schließlich konzentrierte sie sich wieder auf Rodolfo. „Hier sind jedenfalls keine Paparazzi“, sagte sie, um das Thema zu wechseln. Sie konnte ja wohl kaum mit dem Prinzen über seine Männlichkeit diskutieren.

„Offensichtlich nicht. Wir befinden uns hier auf Privatgelände. Ich glaube, dein Vater würde die Typen verprügeln lassen, sollten sie es wagen, auch nur einen Schritt in den Schlosspark zu setzen.“

„Du hast es erfasst.“ Natalie lächelte. „Auch du könntest dafür sorgen, dass die Pressemeute dich in Ruhe lässt.“ Sie sprach aus Erfahrung, denn immerhin hatte sie Achilles Casilieris fünf Jahre lang von Paparazzi abgeschirmt. „Aber das willst du ja gar nicht.“ Offenbar hatte sie ins Schwarze getroffen, denn Rodolfo wirkte plötzlich beunruhigt. Oder hatte sie sich getäuscht?

„Ich habe ja zugesagt, mich nach der Hochzeit eine Weile zurückzuhalten“, sagte Rodolfo. „Mehr kann ich nicht versprechen, Valentina.“

Valentina? Natalie musste sich erst wieder ins Gedächtnis rufen, dass sie ja jetzt Prinzessin Valentina war und nicht die überarbeitete Natalie, die alles für ihren ungnädigen Chef regelte. Daran musste sie sich noch gewöhnen.

Sie hielt den Blick des Prinzen fest. „Ich auch nicht, Rodolfo“, antwortete sie unnachgiebig. Seine Einstellung hatte sie bis ins Mark getroffen. Sie musste sich erst bewusst machen, dass ja nicht sie, sondern die Prinzessin diesen Mann heiraten würde, bei dem der Ehebruch vorprogrammiert war. Sie selbst würde das ganz sicher nicht widerspruchslos hinnehmen.

Entschlossen hielt sie seinem wütenden Blick stand, rang sich sogar ein Lächeln ab und lehnte sich betont lässig zurück. Innerlich war sie unglaublich aufgewühlt.

„Nein“, sagte Rodolfo schließlich und schüttelte den Kopf.

Ein ahnungsvoller Schauer lief Natalie über den Rücken, als sie die unausgesprochene Drohung in Rodolfos Tonfall wahrnahm. „Offenbar hast du mich missverstanden“, entgegnete sie kühl. „Ich habe nicht um deine Erlaubnis gefragt, sondern eine Ankündigung gemacht. Gleiches Recht für alle, Rodolfo.“

„Darüber würde ich an deiner Stelle noch mal gründlich nachdenken, Prinzessin.“ Drohend schaute er sie an. „Ich bin nämlich ziemlich sicher, dass dir meine Reaktion nicht gefallen würde.“

Natalie schlug ein Bein übers andere und versuchte, sich betont lässig zu geben. Dabei klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Sie kopierte Valentinas nonchalante Handbewegung. „Das werden wir dann sehen, wenn es so weit ist“, antwortete sie kühl.

Er lachte amüsiert.

Dieses Lachen klang magisch und unglaublich sexy. Zum Dahinschmelzen …

Energisch riss sie sich zusammen. Wenn sie nicht aufpasste, konnte ihr dieser Mann gefährlich werden. Viel zu gefährlich …

„Es ist müßig, darüber zu diskutieren“, befand Rodolfo schließlich. „Ich hatte ja keine Ahnung, wie wichtig dir ist, was ich tue und lasse. Bisher habe ich davon nichts bemerkt. Eigentlich war ich überzeugt, dass du mir bei unseren Begegnungen in den vergangenen Monaten überhaupt nicht zugehört hast, Prinzessin.“ Langsam kam er auf sie zu – geschmeidig wie ein Panther.

Beunruhigt sah Natalie ihm entgegen. Doch statt sich zu ihr aufs zierliche Sofa zu setzen, entschied er sich für einen Sessel, der etwas bequemer aussah. Er scheint sich besser unter Kontrolle zu haben, als ich dachte, mutmaßte Natalie. Insgeheim wünschte sie sich, er würde den Playboy heraushängen lassen. Dann könnte sie ihm unmissverständlich zu verstehen geben, was sie von ihm hielt. Der Mann, der ihr jetzt gegenübersaß, drohte aber, sie mit seinem Charme einzuwickeln. Er machte es sich in dem Sessel bequem und streckte die langen Beine aus, die nun fast ihre Füße berührten, und lächelte.

Natalie widerstand dem Impuls, die Beine zurückzuziehen. Diese Reaktion hätte Rodolfo zweifellos als Schwäche bewertet. „Mir ist vollkommen gleichgültig, was du tust und was du lässt“, versicherte sie ihm kühl. „Allerdings kannst du wohl nicht das Gleiche von dir behaupten.“

„Wer hat denn meine sexuellen Absichten ins Spiel gebracht?“, fragte er lauernd. „Ich war es jedenfalls nicht.“ Er lächelte frech. „Es gab dazu ja nicht einmal eine Veranlassung.“

„Ja, das war dumm von mir. Aber du bist es gewohnt, die Presse zu manipulieren. Was soll ich denn davon halten, wenn du dich in aller Öffentlichkeit mit anderen Frauen vergnügst, obwohl die ganze Welt weiß, dass du mit mir verlobt bist?“

Rodolfo lächelte amüsiert. „Ich bin eben sehr gefragt.“

„Okay, dann musst du dich aber auch damit abfinden, dass nicht nur du sehr gefragt bist, sondern auch ich. Wieso reagierst du, was das angeht, eigentlich wie ein Steinzeitmensch? Du betonst doch sonst bei jeder Gelegenheit, wie modern und fortschrittlich du denkst.“

„Wir sitzen hier in einem Schloss, das viele Jahrhunderte alt ist, befinden uns auf einer Insel, deren Geschichte mindestens so weit zurückreicht wie die Athens und sprechen über unsere bevorstehende Hochzeit. Diese Verbindung zwischen unseren renommierten, privilegierten Familien wurde arrangiert – wie es seit jeher Brauch ist in diesen Kreisen.“ Fragend zog Rodolfo die schwarzen Augenbrauen hoch. „Was soll daran fortschrittlich und modern sein?“

„Wir beide“, antwortete Natalie und wippte lässig mit dem Fuß, um zu überspielen, wie sehr Rodolfos Nähe sie verwirrte. So sehr, dass sie die harschen Worte ihrer Mutter über den Hochadel glatt vergessen konnte, wie auch die Tatsache, dass Rodolfo nicht ihr, sondern Valentina versprochen war. Natalie verachtete sich beinahe selbst.

Sie sah auf. „Zumindest hatte ich das bisher geglaubt. Aber offensichtlich bist du wesentlich altmodischer als deine Millionen Follower in den sozialen Medien annehmen.“

„Zugegeben, im Zeitalter der Renaissance hätte ich mich auch sehr wohlgefühlt.“ Er lächelte ironisch. „Aber ich weiß genau, was die moderne Öffentlichkeit goutiert und was nicht. Gewisse Indiskretionen des Hochadels werden nur in den seltensten Fällen verziehen, Prinzessin. Darüber solltest du dir im Klaren sein.“

„Du überraschst mich immer wieder, Rodolfo. Ich hätte nicht gedacht, dass es einen Mann in deiner Position kümmert, was über ihn berichtet wird. Du lieferst den Medien ja praktisch täglich Material, aus denen sie Schlagzeilen fabrizieren.“

„Wir könnten uns noch stundenlang darüber unterhalten, wie modern und fortschrittlich wir sind, Prinzessin, solange uns bewusst ist, dass die Öffentlichkeit größten Wert auf traditionelle Werte legt. Eine Märchenprinzessin, die vom Pfad der Tugend abweicht, ist für alle Zeiten unten durch.“

„Mit anderen Worten: Du möchtest weiterhin deine Freiheit genießen, als wärst du ungebunden, wirst aber daran gehindert, weil dir dein Bild in der Öffentlichkeit plötzlich wichtig ist?“ Sie warf ihm einen fragenden Blick zu. „Kaum zu glauben. Gerade hast du dich noch geweigert, deine Eskapaden aufzugeben.“

„Tu nicht so naiv, Prinzessin!“ Sein heißer Blick entfachte sofort das Feuer in ihr. „Du weißt genau, dass man es mir kaum ankreiden wird, so weiterzumachen wie bisher. Es geht um dich. Das Bild, das die Öffentlichkeit von dir hat, ist das eines untadeligen Charakters. Was meinst du, was los ist, wenn plötzlich ans Tageslicht kommt, dass du auch nur ein Mensch bist?“

4. KAPITEL

Rodolfo erkannte sich selbst kaum wieder. Anscheinend konnte er in Gegenwart seiner Verlobten gar nicht mehr aufhören zu reden.

„Wie willst du deinen Heiligenschein verteidigen, wenn alle Gazetten Europas in jeder Wochenausgabe über deine Liebhaber berichten?“, fragte er in gelangweiltem Ton, als würde ihn das vollkommen kaltlassen.

Allerdings nahm ihm die verwirrende Frau ihm gegenüber, die ihn fast um den Verstand brachte, das offensichtlich nicht ab. Das verräterische Glitzern in den unglaublich grünen Augen der Prinzessin sprach für sich. Als sie ihre Hand hob und eine wegwerfende Geste machte, wünschte er sich, die schlanken Hände auf seinem Körper zu spüren – überall …

„Du bist doch derjenige, der auf Diskretion pfeift“, stellte Natalie gleichmütig fest. „Offensichtlich macht es dich an, wenn über deine Bettgeschichten berichtet wird. Ich muss dich wohl beglückwünschen. Nicht alle Männer sind imstande im gleißenden Licht der Öffentlichkeit ständig Hochleistungen zu bringen, schon gar nicht, wenn die besten Jahre längst hinter ihnen liegen.“

„Hast du gerade meine … Leistung angezweifelt? Ich muss doch sehr bitten.“ Ungläubig musterte Rodolfo sein Gegenüber.

„Reg dich wieder ab! Die ganze Welt weiß nur zu gut, wozu du imstande bist. Zweifellos verfügst du über die entsprechende … Ausstattung.“

Nichts und niemand konnte Rodolfo schockieren. Aber jetzt war er sprachlos. Er wusste nicht, ob er sich ärgern oder sich vor Lachen ausschütten sollte. Jedenfalls hatte er Mühe, sich zusammenzureißen. Also versuchte er Zeit zu gewinnen.

„Ich weiß nicht, ob ich diesen ungewöhnlichen Gedankengang richtig verstanden habe“, sagte er langsam.

„Ungewöhnlich? Das können wohl nur du und deine ständig wechselnden Anhängsel beurteilen.“ Als sie Rodolfos verständnislosen Blick auffing, erklärte Natalie fröhlich: „Die Mädchen, die an deinem Arm hängen: Models, Schauspielerinnen, Kellnerinnen, Flugbegleiterinnen und so weiter. Du wechselst sie so schnell, dass man kaum hinterherkommt.“

„Ich habe gerade das Gefühl, in einer Parallelwelt gelandet zu sein“, sagte Rodolfo nachdenklich. „In dieser Welt sitzt Prinzessin Valentina von Murin mir gegenüber und äußert versteckte Beleidigungen über meine Männlichkeit.“

„Ich hoffe, es ist eine Welt, in der man nicht Männlichkeit sagt, wenn man eigentlich Penis meint!“

Die Prinzessin schenkte ihm ein heiteres Lächeln. Hatte er sie tatsächlich mal für langweilig gehalten? Er riss sich zusammen. „Wieso provozierst du mich, Valentina? Was versprichst du dir davon?“, fragte er leise. „Einen Wutanfall? Da muss ich dich enttäuschen. So leicht verliere ich nicht die Fassung. Als Extremsportler bin ich darauf trainiert, in jeder Situation einen kühlen Kopf zu bewahren.“

Ein selbstzufriedenes Lächeln huschte über ihr bildhübsches Gesicht. „Sagt der Mann, der vorhin ausgesprochen heftig auf meinen Wunsch nach Gleichberechtigung reagiert hat.“

Rodolfo atmete tief durch. „Dir ist aber schon klar, dass es kein Zurück mehr gibt, oder?“, fragte er – äußerlich gelassen, obwohl es in ihm brodelte. „Du müsstest schon eine Staatskrise in unseren Ländern heraufbeschwören, wenn du die Heirat verhindern willst. Ist dir deine freie Willensäußerung so viel wert? Wir wissen doch beide, dass wir nicht frei sind, sondern unserem Land gehören und unserem Volk dienen müssen. Dein zweiter Name ist doch Pflichtbewusstsein, Valentina. Du wirst das am besten verstehen.“

„Ich schon. Aber du, Rodolfo? Du bist der einzige verbliebene Erbe einer uralten Dynastie, stürzt dich aber immer wieder in die waghalsigsten Abenteuer, die dich das Leben kosten könnten.“ Eindringlich schaute sie ihn an mit diesen unglaublich grünen Augen. „Du tust gerade so, als wärst du deinem Land nichts, aber auch gar nichts schuldig.“

„Sag mal, bist du eifersüchtig? Was verbirgt sich hinter diesen kindischen Spielchen?“, stieß er harsch hervor.

Die Prinzessin lachte amüsiert. Es klang rauchig und sexy, fast wie eine Liebkosung. „Diese Unterstellung ist wohl typisch für so einen eingebildeten Mann. Ich verberge gar nichts, Rodolfo.“

Seine Lippen verzogen sich zu einem ironischen Lächeln, als er vorschlug: „Wenn du wissen willst, ob ich wirklich so gut ausgestattet bin, Prinzessin, dann brauchst du nur um eine Demonstration zu bitten.“

Betont gelangweilt wandte sie den Blick himmelwärts.

Jetzt reicht es mir aber endgültig, dachte Rodolfo entschlossen. Er war es nicht gewohnt, von bildhübschen Frauen links liegen gelassen zu werden. Ganz im Gegenteil. Schon als Teenager waren ihm die Frauen nachgelaufen und hatten zu den unterschiedlichsten Tricks gegriffen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Nichts war ihm mehr fremd. Doch was hier geschah, konnte er nicht begreifen.

Seit ihrer ersten Begegnung als Erwachsene im vergangenen Herbst hatte er diese Frau hier als uninteressant und desinteressiert eingestuft. Er hatte keine Ahnung gehabt, was er mit ihr anfangen sollte. Aber als sie vorhin den Salon betreten hatte, war ihm schlagartig heiß geworden vor Erregung. Dabei schien er für die Prinzessin nur ein schlechter Witz zu sein.

Aber ihr Desinteresse konnte er nicht verkraften. Das war ihm plötzlich sonnenklar. Impulsiv zog er die Prinzessin mit einer blitzschnellen Bewegung auf den Schoß. Zugegeben, klug war das nicht. Aber Rodolfo wollte wissen, ob sie wirklich desinteressiert war oder ob sie nur so tat.

Das Blut schoss ihr in die Wangen. Sie war leicht wie eine Feder, duftete frisch und fühlte sich so gut an, dass sein Körper nur noch mehr in Aufruhr geriet. Halt suchend oder abwehrend, offensichtlich wusste sie das selbst noch nicht so genau, stützte sie sich auf seinen Oberkörper. Dabei fiel das seidige kupferrote Haar schmeichelnd über Rodolfos Arm. Vor Aufregung atmete sie schneller. Ertappt, dachte Rodolfo zufrieden. Er war seiner bildhübschen Braut alles andere als gleichgültig!

„Ich kann die Signale einer Frau meisterhaft lesen. Wusstest du das nicht?“, flüsterte er und schaute ihr tief in die Augen.

„Ja?“ Ihr Blick war trotzig. „Es wird gemunkelt, dass du es davon abgesehen nicht so mit dem Lesen hast.“

„Du willst mich, Prinzessin. Ich sehe es, ich fühle es. Dein Puls verrät dich, dein Blick, das leichte Beben.“

„Weil du die Frechheit besitzt, mich zu überrumpeln“, behauptete sie.

Bei der impulsiven Aktion war der Kleidersaum hochgerutscht. Begehrlich schob Rodolfo eine Hand auf den nackten Oberschenkel. Wie weich und seidig ihre Haut war! Ich muss sie küssen, dachte Rodolfo, zögerte aber noch. „Was passiert, wenn ich meine Hand unter den Rock schiebe?“, fragte er leise an den einladend sinnlichen Lippen.

„Ich würde dich ins Verlies werfen lassen“, stieß sie heiser hervor. „Wie im Mittelalter.“

Leere Drohungen, dachte der Prinz. Zufälligerweise wusste er, dass es in diesem Schloss gar kein Verlies gab …

„Wie erregt bist du, Prinzessin? Bist du bereit für mich? Beweist dein Körper, dass du dich durchaus für mich interessierst?“

„Im Gegensatz zu dir muss ich mein Begehren nicht ständig und überall zur Schau stellen.“

Immerhin machte sie keine Anstalten, sich von ihm zu lösen. „Es zählt nur das Hier und Jetzt. Du musst nur für mich da sein“, flüsterte er rau.

Rodolfo hatte seine Verlobte schon einmal geküsst. Es war eine extrem emotionslose Angelegenheit gewesen, ein offizieller Fototermin vor dem Muriner Schloss. Sie hatten nebeneinander auf der Schlosstreppe gestanden und angestrengt lächelnd in die Menge gewunken. Dann hatte Rodolfo seiner Verlobten einen züchtigen Kuss auf die geschlossenen Lippen gegeben – und fertig. Von Leidenschaft keine Spur!

Dieser Kuss war anders. Heute war alles anders!

Wild, heiß und leidenschaftlich küsste er die Frau auf seinem Schoß. Als wäre die bevorstehende Heirat nicht zwischen den beiden Familien arrangiert worden, sondern als hätte die Prinzessin die ganze Nacht in seinen Armen verbracht …

Stundenlang hätte er sie küssen können. Sie schmeckte wunderbar, verführerisch, er war ganz wild auf sie. Der Kuss wurde noch leidenschaftlicher, drängender. Sie gehört mir, fuhr es Rodolfo durch den Kopf. Ganz egal, was sie davon hält.

Und sie schien eine Menge davon zu halten! Seine wundervolle Zukünftige schmiegte sich nämlich verlangend an ihn und erwiderte leidenschaftlich seinen feurigen Kuss.

In diesem erregenden Augenblick gab es nur sie und ihn auf der Welt. Das Feuer zwischen ihnen loderte immer heftiger. Es war verrückt, einfach unglaublich.

Doch dann schob sie ihn von sich und stand auf.

Er ließ sie ziehen. Was blieb ihm denn übrig? Rodolfo blieb zurück mit seinem unerfüllten Begehren. Das war eine völlig neue Erfahrung für ihn.

Bebend und etwas unsicher auf den Beinen entfernte sich die Prinzessin von ihm und suchte Halt am Kamin. Dort atmete sie einige Male tief durch, um sich zu beruhigen.

„Valentina …“

Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geohrfeigt, und hob die Hand, als wollte sie ihn zum Schweigen bringen. Auch das war neu.

Er stand noch ganz unter dem Eindruck des leidenschaftlichen Kusses, spürte noch ihre zärtlichen Hände auf seinem Körper. Nur so war es zu erklären, dass er wie ein Schuljunge auf die autoritäre Geste reagierte, statt wie der zukünftige Souverän eines uralten Fürstentums im Mittelmeer.

„Das darf nie wieder passieren“, stieß sie leise hervor, ohne ihn dabei anzusehen.

„Aber, Prinzessin!“ Rodolfo erkannte seine Stimme kaum wieder. Sie klang noch viel tiefer als sonst. „Das muss sogar wieder passieren. Schließlich heiraten wir, um Erben zu zeugen.“

Langsam wandte sie sich zu ihm um. Er erschrak über ihren entsetzten Gesichtsausdruck. Was hatte das zu bedeuten? Irgendwie ergab das überhaupt keinen Sinn. Ihr musste bewusst sein, welches Schicksal sie erwartete. In den vergangenen Monaten hatte er den Eindruck gewonnen, sie wäre zwar nicht erpicht auf ihre Rolle, Thronfolger zu produzieren, hätte sich aber damit abgefunden.

„Nein!“ Energisch schüttelte sie den Kopf.

„Doch! Dieser Punkt ist nicht verhandelbar“, erklärte der Prinz ausdruckslos. Verzweifelt versuchte er, die heftige Erregung zu ignorieren, die ihm schmerzhaft zu schaffen machte.

Sie runzelte die Stirn. „Vielleicht können wir gar keine Nachfahren produzieren. Das Problem ist weit verbreitet.“

„Das ist alles vertraglich geregelt. Du hast es selbst unterschrieben. Wir müssen es probieren, Valentina. So sieht es der Vertrag vor. Natürlich entspricht das nicht unserer heutigen Zeit, aber Eheschließungen im Hochadel werden seit vielen Jahrhunderten so geregelt. Das dürfte dir bekannt sein.“

Ein Schatten huschte über ihr ebenmäßiges Gesicht, dann hatte sie ihre Gefühle wieder im Griff.

„Du hast mich falsch verstanden.“ Sie strich sich über den Rock, als müsste sie ihn glätten.

Diese Geste entfesselte bei Rodolfo sofort wieder heiße Lust. Er stöhnte unterdrückt.

„Selbstverständlich werde ich meine Pflicht tun. Aber ich werde dir nur so treu sein wie du mir.“

„Ich habe mich noch jeder Herausforderung gestellt. Das sollte dir bekannt sein.“

„Es ist keine Herausforderung, sondern eine Tatsache“, entgegnete sie mit fester Stimme. „Wenn du deine Verpflichtungen ignorierst, tue ich das auch. Was habe ich denn zu verlieren? Für mich wird immer klar sein, dass mein Kind von mir ist. Wir wollen hoffen, dass du das auch sagen kannst.“ Sie wandte sich ab und ging hinaus.

Konsterniert über diese offene Drohung sah Rodolfo ihr nach. Eins wurde ihm schnell klar: Er musste die Prinzessin noch wesentlich besser kennenlernen.

Der dramatische Abgang war geglückt. Und nun? Natalie hatte keine Ahnung, wo sie war. Schon dreimal war sie in die falsche Richtung gelaufen. Es war zum Verzweifeln. Schließlich wandte sie sich an eine verstört dreinblickende Angestellte. Natürlich durfte die nicht merken, dass sie sich verlaufen hatte. Schloss Murin war ja schließlich ihr Familiensitz.

Die Angestellte führte sie in einen abgelegenen Flügel des weitläufigen Palasts derer von Murin.

Endlich, dachte Natalie erleichtert, als sie sich offensichtlich in Valentinas Privatgemächern wiederfand. Staunend schaute sie sich in all der Pracht um. Das war ja eine richtige Penthousewohnung im Schloss! Sogar einen Speisesaal entdeckte sie, ein Kino und riesige Schlafzimmer mit großen Balkonen und Seeblick. Und dann die Ankleidezimmer – unglaublich. Der Raum für die Schuhe war größer als Natalies Eigentumswohnung am Stadtrand von London, die sie leider nur selten nutzen konnte, da Achilles Casilieris seine PA praktisch rund um die Uhr beanspruchte.

Aus der Entfernung hörte Natalie Stimmen. Vermutlich warteten Zofen und Hofdamen auf Valentinas Anweisungen.

Zum Glück hatte sie das Schlafzimmer für sich allein. Erleichtert streckte sie sich auf einer Chaiselongue aus und ließ die vergangenen Stunden vor ihrem geistigen Auge Revue passieren. Ein bitterer Geschmack im Mund war das Resultat.

Schon vor ewigen Zeiten hatte sich Natalie vorgenommen, wenn sie mal einem Märchenprinzen begegnen sollte, den Mann zur Schnecke zu machen! Nun ja, vorausgesetzt, sie lernte ihn privat kennen und nicht beruflich. Damit wollte sie ihre Mutter rächen, die offensichtlich sehr unter einem Mitglied des Hochadels gelitten hatte.

Doch was war passiert? Statt Rodolfo zur Schnecke zu machen, hatte sie ihn hingebungsvoll geküsst, nachdem er sie auf seinen Schoß gezerrt hatte! Wieso hatte sie ihm keine Ohrfeige verpasst? Wieso war sie nicht aufgestanden und hatte wütend den Salon verlassen? Rodolfo hätte sie nicht zum Bleiben gezwungen.

Als sie seine Lippen auf ihren gespürt hatte, war sie wie entfesselt gewesen.

Nicht nur, dass sie einen in ihren Augen hassenswerten Mann geküsst hatte, er war auch einer anderen Frau versprochen! Und dann hatte sie ihm auch noch gedroht, ihm nach der Heirat Kuckuckskinder zu gebären. Sie wusste nicht, was sie da geritten hatte. Der Prinz war völlig konsterniert gewesen, als sie diese Drohung ausgestoßen hatte. Vermutlich hatte er ihr aufs Wort geglaubt.

Prinzessin Valentina hätte sich so ein Verhalten niemals erlaubt.

Du hast ganze Arbeit geleistet, Natalie, dachte sie frustriert. Oje, wie sollte sie das bloß wiedergutmachen? Die arme Valentina hatte es sicher schwer mit Achilles Casilieris. Sie war seinen ruppigen Umgang ja nicht gewohnt. Im Gegensatz zu mir, dachte Natalie.

Sie versuchte, anderen das Leben leichter zu machen. Das war ihre Aufgabe. Aber bei Rodolfo war sie an ihre Grenzen gestoßen. Er war ihr auf den ersten Blick unter die Haut gegangen. Davon hatte sie sich noch nicht erholt. Das wirst du auch nicht, wisperte ihre innere Stimme. Nein, das wäre ja schrecklich! Natalie verdrängte diese Möglichkeit schnellstens.

Während sie dem Märchenprinz verfallen und wüste Drohungen gegen ihn ausgestoßen hatte, war mit Valentinas Gepäck auch ihre Clutch in die Suite gebracht worden.

Was soll ich tun, wenn Drohungen gegen den Thronfolger als Hochverrat bewertet werden? überlegte Natalie. Sie sah sich bereits hinter Gittern. Wozu hatte sie sich da vorhin nur hinreißen lassen? So ein Verhalten sah ihr gar nicht ähnlich.

Unglücklich erhob sich Natalie von der Chaiselongue und griff nach der Clutch, die auf einer vor dem riesigen Himmelbett platzierten Bank deponiert worden war. Fasziniert hatte sie den Inhalt der kleinen Handtasche bereits im Privatjet durchgesehen. Offensichtlich hatten Prinzessinnen nicht viel bei sich, im Gegensatz zu Privatsekretärinnen, die immer alles für den Notfall dabeihatten. Geld? Personalausweis? Fehlanzeige. Wozu auch, wenn die Geldscheine das eigene Konterfei trugen …

In Valentinas Handtasche befand sich nur ein Handy, außerdem ein sündhaft teurer Lipgloss-Stift und ein Taschenspiegel.

Sie griff nach dem Handy, setzte sich auf die Bank und ließ gedankenverloren den Blick über das elegante Interieur des Schlafzimmers schweifen. Die freudige Erregung über den Rollentausch war verpufft. Natalie empfand nur noch Angst. Seit sie in Murin eingetroffen war, befürchtete sie jeden Moment aufzufliegen. Wie sollte sie erklären, warum sie die Identität der Prinzessin angenommen hatte und wie ihr das gelungen war? Nur durch Zufall hatte bisher niemand etwas gemerkt, nicht einmal Prinz Rodolfo.

Plötzlich fühlte sie sich verloren. Kein Wunder, sie war keine Prinzessin und dies war nicht ihr Zuhause. Jede andere Frau hätte jetzt wahrscheinlich bei ihrer Mutter Rat gesucht. Aber Natalies Verhältnis zu ihrer Mutter war alles andere als entspannt, und sie bezweifelte, dass Erica ihr gut zureden würde. Wahrscheinlich würde Erica eher sie um Unterstützung bitten. So lief das in dieser Mutter-Tochter-Beziehung: Eigentlich war eher Natalie die Mutter. Erica hatte überhaupt nichts Mütterliches an sich. Das beste Beispiel waren die Märchen, die sie erzählte. Ausnahmslos endeten sie grausam. Kein Wunder, dass Natalie Zuflucht in der jeweiligen Schule gesucht hatte, die sie vorübergehend besucht hatte. Erica hielt sich ja nie lange an einem Ort auf, sie und ihre Tochter führten ein Nomadenleben. Aber im Unterricht konnte Natalie sich immer in den Stoff vertiefen.

Erica hatte nur abfällig gelacht, als Natalie ihr eines Tages anvertraut hatte, sie würde gern studieren, und wäre es möglich, sie finanziell zu unterstützen. Also hatte Natalie sich um ein Stipendium beworben und es auch erhalten.

Zum ersten Mal verweilte sie länger als nur ein paar Wochen an einem Ort. Vier Jahre lang hatte sie ein Zuhause und widmete sich ausschließlich dem Studium. Dann legte sie ihr Examen ab, bewarb sich bei Achilles Casilieris und begleitete ihn auf Geschäftsreisen in aller Welt. Einen Freundeskreis konnte sie so natürlich nicht aufbauen.

Im ersten Studienjahr hatte sie zwar einen festen Freund, doch die Beziehung hielt nicht lange. Seitdem hatte sich nie wieder eine Gelegenheit für eine Beziehung ergeben. Bisher hatte sie sich nie darüber beklagt. Sie hatte sich damit abgefunden und war stolz auf das, was sie erreicht hatte – ohne jedwede Unterstützung. Gestern allerdings war sie drauf und dran gewesen, Achilles Casilieris nach fünf Jahren die Brocken vor die Füße zu werfen und fristlos zu kündigen.

Nun saß sie verloren in diesem altertümlichen Riesenschloss und hätte jemanden zum Reden gebraucht. Zögernd betrachtete sie das Handy, dann gab sie sich einen Ruck und wählte die Nummer ihres eigenen Handys.

Der Privatjet konnte aber noch gar nicht in New York gelandet sein. Es war also kein Wunder, dass Valentina den Anruf nicht annahm. Vermutlich war sie sowieso zu sehr damit beschäftigt, die Aufträge von Achilles Casilieris zu erledigen. Sicher hatte er sie schon mehrmals angeblafft. Man konnte es ihm ja nie recht machen. Vielleicht hatte Valentina ihm auch schon gestanden, dass sie nicht Natalie war, und der Privatjet des Milliardärs würde jeden Moment in Murin landen, um Valentina an die Luft zu setzen. Bei der Gelegenheit würde ihr Chef wohl auch gleich seine langjährige PA aufstöbern, um ihr die fristlose Kündigung höchstpersönlich auszusprechen.

Ich habe Valentina ins offene Messer laufen lassen, dachte Natalie beschämt. Sie wusste, dass der Milliardär etliche Privatsekretärinnen innerhalb von Stunden wieder an die Luft gesetzt hatte, bevor sie auf der Bildfläche erschienen war und immerhin fünf Jahre überdauert hatte, weil sie meistens bereits im Voraus wusste, was er wollte. Wenn er merkte, dass dies nicht mehr der Fall war, würde er Valentina ohne Skrupel feuern.

Andererseits hatte die Prinzessin es ja nicht anders gewollt. Und wenn Casilieris Valentina feuerte, brauchte Natalie nicht mehr zu kündigen.

Der Typ hat mehr Zeit mit mir verbracht als mit seinen zehn Verflossenen während der vergangenen fünf Jahre, dachte Natalie. Er hätte sofort merken müssen, dass nicht ich aus dem Waschraum gekommen bin, sondern Valentina.

Aber auch Rodolfo hatte nichts gemerkt. Allerdings schien es ihn ziemlich erwischt zu haben! Und seine Küsse …

Kopfschüttelnd betrachtete Natalie das Handy in ihrer Hand. Sie würde Valentina lieber keine Nachricht hinterlassen, in der sie ihr von Rodolfos leidenschaftlichem Kuss erzählte!

Immerhin sollte Valentina ihn ja heiraten. Sie hatte aber keine Ahnung, was Valentina von dieser arrangierten Ehe erwartete.

Natalie war ratlos. Wie sollte es denn nun weitergehen? Rodolfo hatte sich nichts zuschulden kommen lassen. Er hielt sie ja für Valentina.

Ich habe Schuld auf mich geladen, indem ich Rodolfo geküsst habe, dachte Natalie. Die Szene war so erotisch gewesen, dass noch immer Lust durch Natalies Körper strömte. Ihre Lippen begannen zu beben. Ein sehnsüchtiges Pulsieren im Schoß ließ sich nicht unterdrücken.

Frustriert legte sie das Handy wieder weg und erschrak, als es gleich darauf piepte. Sofort griff sie wieder danach. Hoffentlich ist das Valentina, dachte sie. Dann kann ich doch noch mein Gewissen erleichtern.

Leider war es nur eine automatische Nachricht, die an das gemeinsame Abendessen mit dem König in einigen Stunden erinnerte.

Am liebsten hätte Natalie sich auf der Chaiselongue zusammengerollt und geweint. Stattdessen begab sie sich auf die Suche nach einem PC. Irgendwo musste die Prinzessin ihn doch versteckt haben. Ich muss unbedingt mehr über sie erfahren, dachte Natalie, die plötzlich zutiefst bedauerte, die Rollen getauscht zu haben.

Wobei … Ein Abendessen mit dem König. Nachdenklich betrachtete sie die Nachricht auf dem Display. Ob Erica tatsächlich ihren Namen verkürzt hatte? War ihre Mutter ständig mit ihr umgezogen, weil sie auf der Flucht war? Waren Valentina und sie wirklich Zwillinge? Dann war der König von Murin, mit dem sie später zu Abend essen sollte, nicht nur Herrscher über den Inselstaat im Mittelmeer, immens reich und angeblich kein Kostverächter schöner Frauen, sondern auch – ihr Vater.

Das war ein Lockmittel, dem Natalie nicht widerstehen konnte.

5. KAPITEL

Eine knappe Woche später hatte Natalie den Bogen raus. Sie fühlte sich in der Prinzessinnenrolle schon sehr viel sicherer und fand sich inzwischen auch im Palast zurecht.

Das erste Abendessen mit König Geoffrey von Murin hatte sie auch überstanden. Ob er ihr Vater war, blieb allerdings ein Rätsel.

Das erste Aufeinandertreffen war enttäuschend verlaufen. In den Privatgemächern des Königs wurde sie in einen beeindruckenden Speisesaal mit einer großen Tafel geführt. Dort geleitete man sie zu ihrem Platz am Ende des auf Hochglanz polierten antiken Tisches. Als Natalie noch überlegte, was von ihr erwartet wurde – sollte sie sich setzen oder warten und einen Hofknicks machen? – öffneten sich auch schon die Flügeltüren, und der König schritt gemessen zu Tisch.

Sie hätte nicht so viele Fotos im Internet studieren müssen, um diesen Mann zu erkennen! Und die Ölporträts des Königs im Schloss hätte Natalie auch nicht so genau betrachten müssen. Er war groß, schlank, trug einen eleganten maßgeschneiderten Anzug – und hatte die gleichen grünen Augen wie sie selbst.

„Hallo!“, sagte Natalie aufgeregt, als der König den Kopf der Tafel erreicht hatte.

Der König stutzte.

Oje, jetzt bin ich aufgeflogen, dachte sie. Er hat gemerkt, dass ich nicht Valentina bin, sondern seine verschollene Tochter.

„Geht es dir gut?“, erkundigte er sich jedoch nur und ließ kurz den Blick über sie gleiten.

„Ja.“ Sie räusperte sich. Ihr wurde schwindlig. „Sehr gut, danke. Und dir?“

„Ich hoffe, das ist kein Beispiel für die Schlagfertigkeit, mit der du die Konversationen mit Prinz Rodolfo bestreitest.“ Der König nickte ihr zu, zum Zeichen, dass sie sich setzen dürfte. Dann nahm er selbst Platz und forderte durch das Hochziehen einer Augenbraue das Personal auf, mit dem Servieren zu beginnen.

„Aber nein.“ Und dann ritt Natalie ein kleiner Teufel. „Ein Thronfolger muss seine Zukünftige ja auf eine Vielzahl von Qualitäten überprüfen, das reicht von der Abstammung bis zur Frage, ob sie fotogen ist. Schlagfertigkeit ist da eher nebensächlich. Die ist Normalsterblichen vorbehalten, die Unterhaltung brauchen, um ihr armseliges Dasein auszuhalten.“

„Sehr witzig.“

In seinen grünen Augen, die ihren eigenen so ähnlich waren, las Natalie unterdrückte Wut. Auch dieses Verhalten kannte sie nur zu gut. Panik stieg in ihr auf. Am liebsten wäre Natalie hinausgelaufen, doch die Beine versagten ihr den Dienst.

„So unwürdig wirst du dich hoffentlich in Anwesenheit des Thronfolgers nicht verhalten.“ Streng musterte der König sie. „Seine Kamikaze-Aktionen sind nur eine bedauerliche Phase. Aber ich kann dir versichern, dass er auch nicht anders ist als andere Männer in seiner Position. Irgendwann wird er den Thron von Tissely besteigen, auch wenn er jetzt noch dagegen rebelliert. Und dann kann er keine Komödiantin an seiner Seite gebrauchen, Valentina. Dann wird er eine Königin benötigen!“

Natalie war es von Achilles Casilieris gewohnt, in die Schranken gewiesen zu werden. Das geschah schnell und lautstark und mit deutlichen Worten – ganz anders als die Methode des Königs. Angetan war Natalie trotzdem nicht, obwohl er im Grunde nicht sie, sondern Valentina zurechtgewiesen hatte.

„Du hast doch auch keine Königin an deiner Seite“, entfuhr es Natalie in ihrer Wut. Diese Bemerkung trug ihr einen konsternierten Blick ein.

„Reiß dich bitte zusammen, Valentina!“ Missbilligend sah er sie an. „Du weißt, was von dir erwartet wird. Gleich nach deiner Geburt wurdest du dem Thronfolger von Tissely versprochen. Damals rechnete ich damit, noch weitere Kinder zu zeugen. Doch es gibt kein Zurück. Ein gegebenes Versprechen darf nicht gebrochen werden. Wenn du die Verlobung problematisch findest, dann musst du entweder die Probleme lösen oder dich damit abfinden. Eine andere Wahl hast du nicht.“

„Hattest du auch nur diese Wahl?“, fragte Natalie leise. Sie war verletzt, weil König Geoffrey sie nicht erkannt hatte. Er musste doch gemerkt haben, dass sie nicht die Tochter war, die ihm normalerweise an dieser Tafel Gesellschaft leistete. Doch er ließ sich nichts anmerken. Seltsam. Valentina und sie waren Zwillinge. Der König musste doch wissen, dass er Vater von Zwillingen geworden war und eines Tages vermutlich seine andere Tochter treffen würde. Vor siebenundzwanzig Jahren war ihm eine Tochter abhandengekommen. Doch belastet hatte ihn das offensichtlich nicht.

„Wir alle müssen uns entscheiden“, antwortete er kühl. „Und wir, Valentina, müssen dabei immer zum Wohl unseres Königreichs entscheiden. Darüber bist du dir bisher immer im Klaren gewesen. Daher schlage ich vor, dich in dein Schicksal zu fügen.“ Damit war das Thema für ihn erledigt. Geschmeidig lenkte er das Gespräch auf ein unverfängliches Thema – in wechselnden Sprachen. Zuerst zitterte Natalie vor Angst, dass sie etwas auf einer ihr unbekannten Sprache sagen sollte. Doch von der Prinzessin wurde offensichtlich nur erwartet, stumm zuzuhören. Selbst Zwischenfragen waren unerwünscht.

Kein Wunder, dass Valentina mal was anderes erleben wollte, hatte Natalie für sich gedacht …

In der SMS nach dem ersten Abendessen mit dem König hatte sie Valentina ein Geständnis angekündigt und sofort eine Antwort erhalten.

Nur zu. Geständnisse erleichtern das Herz, schrieb Valentina.

Wo sie wohl gerade steckt? hatte Natalie überlegt. Wahrscheinlich in dem kleinen Zimmer in Mr. Casilieris‘ New Yorker Penthouse, wo ich immer arbeite. Sie zwang sich, nicht an ihr Leben als PA des Milliardärs zu denken, sondern an Valentinas Leben im Schloss. Ich wirbele ihr Leben gerade ganz schön durcheinander, dachte Natalie und schrieb die nächste SMS: Rodolfo hat mich geküsst. Sie war froh, dieses Geheimnis zu teilen.

Erst nach einer gefühlten halben Ewigkeit antwortete Valentina: Dieses Geständnis sollte wohl eher Rodolfo machen.

Natalie wollte ehrlich sein und schrieb: „Ich habe ihn auch geküsst.“

Gespannt wartete sie auf Valentinas Reaktion. Wahrscheinlich war sie wütend und verurteilte sie. Oder sie schickte die königliche Leibgarde, die Natalie in den Kerker werfen würde, weil sie vorgab, die Prinzessin zu sein. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.

Dann kam die Antwort: Irgendjemand muss es ja tun. Ich habe ihn nie berührt.

Verdutzt betrachtete Natalie die SMS. Ihr wurde warm ums Herz. Ich werde es nicht wieder tun, versprach sie Valentina dann.

Du kannst mit Rodolfo machen, was du willst, lautete die überraschende Antwort. Meinen Segen hast du. Hundert osteuropäische Models können sich nicht irren.

Amüsiert schüttelte Natalie den Kopf. Mit dieser Reaktion hatte sie nicht gerechnet. Valentina gab ihr ja praktisch einen Freibrief! Mit Wut oder Verärgerung hätte Natalie umgehen können. Aber die Prinzessin forderte sie ja förmlich auf, sich mit Rodolfo einzulassen …

Inzwischen war eine gute Woche vergangen. Statt sich erneut mit seiner Verlobten zu treffen, hatte Rodolfo um eine Audienz bei König Geoffrey gebeten. Natalie musste zugeben, dass dies ein kluger Schachzug des Prinzen war. Dem konservativen König würde so etwas sicher gefallen!

Nun, beim gemeinsamen Abendessen mit dem König, erfuhr Natalie mehr von diesem Treffen.

„Prinz Rodolfo meint, es wäre gut, wenn ihr euch vor der Hochzeit beide zusammen öfter in der Öffentlichkeit zeigen würdet“, erklärte der König.

Natalie sah auf. Offensichtlich erwartete der König zur Abwechslung mal eine Reaktion von ihr. Schnell schluckte sie den köstlichen Bissen hinunter, den sie gerade im Mund hatte, und setzte ein freundliches Lächeln auf. Da bei den Abendessen mit dem König normalerweise nur einer sprach, hatte sie sich angewöhnt, den Monologen nicht zuzuhören, sondern nur gelegentlich zustimmend zu nicken. Interessiert achtete sie auf die Mimik des Mannes, der ihr Vater sein musste, für den sie aber nichts empfand.

Seltsam, fand Natalie. Sie war doch sein Fleisch und Blut. Irgendetwas musste sie doch fühlen. Der Gedanke, bei der Ähnlichkeit zwischen Valentina und ihr handele es sich nur um einen Zufall, drängte sich ihr auf. Aber so ein Zufall war höchst unwahrscheinlich.

„Wieso?“, fragte sie schließlich.

„Wieso nicht? Ich finde die Idee gut.“ Der König widmete sich wieder dem köstlichen Braten auf seinem Teller. „Heutzutage zählt Image ja leider mehr als das, was man für sein Volk tut.“ Mehr brauchte er nicht zu sagen. Seine Tochter würde schon wissen, was er von ihr erwartete …

Und so flog Natalie am nächsten Tag nach Rom, um eine glanzvolle Gala zu besuchen, bei der alles anwesend sein würde, was Rang und Namen hatte. Denn Rodolfo wollte diese perfekte Gelegenheit nutzen, um sich mit seiner Zukünftigen zu zeigen.

Natalie genoss es, zur Abwechslung mal nicht selbst für alles verantwortlich zu sein, wie sonst als PA von Achilles Casilieris. Sie würde sich einfach zurücklehnen und rundum verwöhnen lassen. Sie musste nur am nächsten Morgen zeitig aufstehen. Um alles andere kümmerte sich das Personal.

Ihre Garderobiere fragte, ob sie einen bestimmten Wunsch hätte. Als Natalie den Kopf schüttelte, stellte sie die Garderobe für die Prinzessin zusammen und ließ das Gepäck abholen. Wenig später bestieg Natalie den Privatjet, mit dem sie hergeflogen war.

Autor

Caitlin Crews
<p>Caitlin Crews wuchs in der Nähe von New York auf. Seit sie mit 12 Jahren ihren ersten Liebesroman las, ist sie dem Genre mit Haut und Haaren verfallen und von den Helden absolut hingerissen. Ihren Lieblingsfilm „Stolz und Vorurteil“ mit Keira Knightly hat sie sich mindestens achtmal im Kino angeschaut....
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