So küsst man nur im Wilden Westen

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Es gibt viele Dinge, die den athletischen Cowboy Cliff Carpenter an Mandy Marlowe ärgern, aber am meisten ist er auf sich selbst wütend: der Wunsch, sie in die Arme zu reißen, ist übermächtig. Da hilft auch nicht die Einsamkeit, die er in der Prärie sucht …


  • Erscheinungstag 19.09.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751535502
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Daheim, daheim auf der Ranch“, trällerte Mandy, während sie ein Paar Socken, ihre Lieblingssocken, auspackte. Es waren die mit den großen Tupfen und dem Rüschenbesatz. Sie legte sie in die Schublade einer Kommode im französischen Landhausstil, die echt antik zu sein schien.

Mandy hörte auf zu singen und seufzte. Es war zwecklos. Sie fühlte sich hier nicht heimisch, würde es niemals sein.

Sie widerstand der Versuchung, die Socken wieder in den ziemlich ramponierten Koffer zu packen, ihn zum Wagen zu tragen und zu verstauen, dann einzusteigen und davonzufahren.

„Mandy Marlowe ist keine Drückebergerin“, ermahnte sie sich streng. „Daheim, daheim auf der Ranch“, sang sie danach in voller Lautstärke, jeglichem Zweifel zum Trotz, und packte weiter aus.

Ihr Blick fiel auf das von ihr oft benutzte Fernglas. Ein Lächeln huschte über Mandys zartes Gesicht und offenbarte ihren elfenhaften Charme.

Sie hängte sich das Fernglas um den Hals, strich fast zärtlich darüber, ging ans Fenster, schaute hinaus und betrachtete die Landschaft.

Das Herrenhaus, sofern man dieses scheußliche Gebäude im Tudorstil überhaupt so nennen konnte, lag in einer Senke, die von mit fast vertrocknetem Gras bedeckten Hügeln umgeben war. Wegen der in dieser Gegend häufig herrschenden heftigen Stürme hatte das Haus in der Talsenke errichtet werden müssen, was Mandy bedrückend fand. An einer höher gelegenen Stelle hätte man wenigstens im Westen die majestätischen Rocky Mountains sehen können.

Von hier aus sah man nur Hügel mit braungrünem Gras und einige dürre Bäume, die vom Kampf gegen die wütenden Stürme gezeichnet waren. Ein Swimmingpool lag direkt unter Mandys Fenster. Er sah nicht so aus, als würde er oft benutzt, und schien fehl am Platz zu sein.

Irgendwie rührte der Anblick des Landes an eine einsame, wunde Stelle in ihrem Herzen. Mandy gab sich einen Ruck, setzte das Fernglas an die Augen und betrachtete die Landschaft genauer. Ihr Zimmer lag nach hinten hinaus, wo ein Weg zu den Nebengebäuden führte.

Sie stellte das Fernglas scharf, sah aber nichts anderes als die trostlose Gegend. Halt, doch, da war etwas! Ach, nur eine verwahrlost aussehende Katze schlich draußen umher. Mandy beobachtete das Tier, bis es durch ein Loch in einem Zaun verschwand. Noch einmal glitt ihr Blick über die Landschaft. Gerade als sie das Fernglas abnehmen wollte, erweckte etwas ihre Aufmerksamkeit.

Eine Staubwolke erhob sich auf einem der Hügel hinter der Ranch. Mandy schaute genauer hin und lächelte.

Ja, das war mehr nach ihrem Geschmack. Ein reitender Cowboy! Sie sah, wie er den Abhang hinunterpreschte. Hinter sich den aufgewirbelten Staub wie eine Fahne, ritt er auf einem geschlängelten Pfad in die Richtung der Nebengebäude.

Wie gebannt betrachtete Mandy den Reiter, der den dunklen Cowboyhut tief in die Stirn gezogen hatte. Die Kleidung war derb und verschmutzt. Nichts an dem Cowboy war modern. Mandy hatte den Eindruck, er käme aus einer anderen Zeit. Einer Zeit, in der das Leben noch viel rauer war, die Männer unendlich stark, hart im Nehmen und unabhängig sein mussten.

Der Mann und sein Pferd strahlten eine Kraft aus, die zu der einsamen, kargen Landschaft passte.

Er war so sehr ein Teil dieser Gegend, wie sie, Mandy, es niemals sein würde. Kraftvoll, ungebändigt und wild wie das Land selbst.

Der Mann hielt vor einem Gatter, beugte sich vor und öffnete vom Sattel aus das Tor, durch das man in den Hof der Nebengebäude gelangte. Langsam bewegte sich das Pferd darauf zu.

Sogar aus der Entfernung vermochte Mandy den Mann einzuschätzen. Seine Bewegungen waren geschmeidig und gleichzeitig kraftvoll. Dieser Mann hielt sich oft in der Wildnis auf, trotzte den Naturgewalten und wusste das Vieh zu beherrschen … Und womöglich kämpfte er noch mit einem oder zwei Bären, wenn es ihm einmal langweilig wurde.

Die breite Krempe des verschlissenen Cowboyhuts, auf dem Schmutz, Regen und Sonne ihre Spuren hinterlassen hatten, verdeckte fast ganz das Gesicht des Mannes. Er trug ein ausgebleichtes Jeanshemd, dessen Ärmel bis über die Ellbogen hochgekrempelt waren. Die sonnengebräunten, kräftigen Arme, die breiten Schultern und die breite Brust bestätigten den anfänglichen Eindruck von Stärke.

Mandy fühlte sich bereits wohler. Dieser Mann entsprach dem Bild eines Cowboys in jeder Hinsicht und deckte sich im Gegensatz zu dem reichlich überladen wirkenden Haus mit ihren Vorstellungen von einer richtigen Ranch.

Der Mann, der nicht wissen konnte, dass er durch ein Fernglas beobachtet wurde, schwang sich aus dem Sattel. Die ausgewaschenen Jeans, an einem Knie zerrissen, lagen eng um die schmalen Hüften und die langen, muskulösen Beine.

Er drehte sich um und tätschelte dem Pferd liebevoll den Kopf. Ungeniert musterte Mandy weiterhin den kraftvollen Körper des Mannes. Ihr Blick blieb zwischen Hüften und Oberschenkeln hängen. Die Jeans saßen wirklich wie eine zweite Haut.

Mit Leichtigkeit nahm der Cowboy den Sattel ab und legte ihn über die Schulter. Dann verschwand er in einem Schuppen, kam aber wenig später wieder heraus, um dem Pferd das Zaumzeug abzunehmen. Anschließend striegelte er das Tier. Fasziniert sah Mandy zu. Was für ein Mann! Einfach umwerfend das Spiel seiner Armmuskeln, die sich rhythmisch anspannten und entspannten!

Unwillkürlich seufzte sie enttäuscht auf, als er das Striegeln mit einem Klaps auf die Flanke des Pferdes beendete und es auf die Koppel entließ.

Dann musste sie jedoch schmunzeln. Das Pferd trabte zu einer kahlen Stelle, warf sich dort nieder und wälzte sich genüsslich im Staub. Der Cowboy hatte das Pferd also vergeblich so sorgfältig gestriegelt. War er nun ärgerlich?

Nein. Lässig stand er gegen einen Pfosten der Koppel gelehnt, und obwohl Mandy sein Gesicht aufgrund des Hutes nicht sehen konnte, hätte sie schwören können, dass der Cowboy ebenfalls schmunzelte.

Jetzt wandte er sich ab und ging zu einer Viehtränke, die einige Meter von der Koppel entfernt war. Er nahm den Hut ab, und Mandy hielt den Atem an. Pechschwarzes Haar kam zum Vorschein. Es war sehr dicht und ein klein wenig gewellt. Mandy sah nun auch die Augen des Mannes. Augen, so dunkelgrün wie ein tiefer, dichter Wald. Die Gesichtszüge waren regelmäßig und klar. Der Mann hatte hohe Wangenknochen, eine gerade Nase, einen perfekt geformten Mund und ein Grübchen im Kinn.

„Du meine Güte!“, entfuhr es Mandy, die oft Selbstgespräche führte. „Gibt es etwas Vollkommeneres als dieses Gesicht?“

Und ob! Davon konnte sie sich gleich darauf überzeugen.

Mit den schlanken, doch zugleich kraftvollen Händen öffnete der Cowboy das Hemd und zog es aus. Mandy richtete das Fernglas auf den nackten, straffen Oberkörper. Ein wohliger Schauer überlief sie. Zu Weihnachten hatte sie einen Männerkalender geschenkt bekommen, ihrer Meinung nach hatten die Aufnahmen jedes Frauenherz höher schlagen lassen müssen. Nie im Traum hätte Mandy gedacht, dass sie einen solch perfekten Körper einmal in Wirklichkeit sehen würde.

„Schlüssellochguckerin“, schalt sie sich, allerdings nicht wirklich streng. Was konnte sie denn dafür, dass dieses prächtige Exemplar von Mann sich praktisch direkt vor ihren Augen halb entblößte?

Der hochgewachsene Cowboy tauchte den Kopf ins Wasser, zog ihn wieder heraus und schüttelte sich. Tausende Wassertropfen glitzerten um ihn herum auf, und ein sinnliches Lächeln zeigte die blendend weißen Zähne. Die angedeuteten Wellen in dem schwarzen Haar hatten sich nun zu richtigen Locken gekringelt. Er spritzte etwas Wasser auf die Arme und hielt dann plötzlich in der Bewegung inne.

Seine Haltung war mit einem Mal steif. Er kniff die Augen zusammen und blickte in Richtung Haus – genaugenommen sah er auf Mandys Fenster.

Der Blick wirkte so gefährlich, dass Mandy das Fernglas abrupt sinken ließ. Ganz sicherlich hatte sich die Sonne, die ihm auf den Rücken schien, verräterisch in den Gläsern gespiegelt.

Mandy wartete ein paar Sekunden und hob das Fernglas dann wieder vorsichtig an die Augen.

Der unglaublich gut aussehende Cowboy war verschwunden. Es war, als sei er nie da gewesen, als habe sie nur ein Traumbild gesehen, eine Fata Morgana in dem rätselhaften Land, von dem sie umgeben war.

Mandy legte das Fernglas auf dem Fensterbrett ab, wandte sich um und schaute sich das Zimmer gründlich an. Gemessen mit dem, was sie soeben an Ursprünglichkeit und Erdverbundenheit gesehen hatte, war es unerträglich „süß“. Ja, es war schön. Sie war sich dessen bewusst. Das Bett war schön, die Möbel waren schön, auch die zartrosa und pastellgrüne Farbe der Tapete war schön. Nur … einfach zu schön.

„Ich hasse das alles“, sagte Mandy und ließ sich aufs Bett fallen. Sie schloss die Augen und dachte an British Columbia, an den kleinen Ort Anpetuwi, an ihr gemütliches Zimmer mit den schlichten Holzwänden und den selbst genähten rot karierten Vorhängen. Wenn sie dort zum Fenster hinausgeblickt hatte, konnte sie den saphirblauen Okanaga See durch das Blätterwerk der Bäume glitzern sehen …

Das Gefühl der Einsamkeit, das in Mandy aufstieg, schien ihr den Hals zuzuschnüren. Was hatte sie bloß bewogen, hierher zu kommen?

Es war ein Fehler, dachte sie grimmig.

Dann öffnete sie die Augen. Nein, in Selbstmitleid würde sie nicht versinken! Das passte nicht zu ihr. Außerdem, tröstete sie sich in Gedanken, ist es vielleicht doch kein Fehler gewesen, dass ich mir die Ranch ausgesucht habe. Es ist viel zu früh, um etwas richtig beurteilen zu können.

„Ich bin nur so deprimiert, weil es hier so anders ist als in Anpetuwi Lodge“, sagte sie zu sich selbst.

In der Antpetuwi Lodge war sie vier Sommer lang als Animateurin tätig gewesen. Sie hatte dafür zu sorgen, dass den Gästen ein abwechslungsreiches Unterhaltungsprogramm geboten wurde. Von Beruf, im „wirklichen“ Leben, war sie Kindergärtnerin. Für Mandy bildete es allerdings keinen großen Unterschied, ob sie sich um Erwachsene oder kleine Kinder kümmern musste. Dennoch blieb die Frage, was sie bewogen hatte, ihre alte Stelle aufzugeben, mit der sie rundum zufrieden gewesen war.

Ein Mann, gestand sie sich ein, und ihre Gedanken wanderten zurück in die Vergangenheit. Sie dachte an die Hochzeit ihrer Cousine Charity Marlowe mit Matthew Blake. Die beiden hatten im Herbst in Anpetuwi geheiratet.

Eine richtige Traumhochzeit! Charity sah in ihrem wunderschönen Hochzeitskleid aus weißem Satin hinreißend aus und Matthew im Smoking noch blendender als sonst.

Auf der illustren Gästeliste war alles vertreten, was Rang und Namen hatte, da Matthew ein angesehener Hotelier war.

Einer der Gäste, Lord James Snow-Pollington, ein Bild von einem Mann, fiel Mandy sofort auf. Ganz leger nannte sie ihn einfach Lord Snowy. Ein Verstoß gegen die guten Sitten, den der Lord offenbar so amüsant fand, dass er nicht mehr von ihrer Seite wich, Mandy in der folgenden Woche mit Aufmerksamkeiten überhäufte und viel zu viel Geld für sie ausgab.

James, so nannte Mandy ihn nach ein paar Tagen, war groß und stattlich, hatte gepflegtes braunes Haar, eine wohlgeformte Nase und blaue Augen, aus denen der Schalk mindestens so oft lachte wie aus Mandys.

Er musste nach England zurück, rief aber in den folgenden Monaten oft an, schrieb Nettigkeiten, schickte Blumen und kleine Kostbarkeiten, sodass Mandy jedes Mal überwältigt war. Dann, im Frühling, als sie wieder einmal miteinander telefonierten, hatte er ihr von einer riesigen Rinderranch in Alberta erzählt, die ihm gehörte. Und davon, dass er dort eine Gästeranch eröffnen werde. Schließlich hatte er Mandy gefragt, ob sie im Sommer nicht lieber in Alberta arbeiten wolle als in Anpetuwi.

Mandy schüttelte den Kopf über sich selbst. Sie hatte, und das war ein typischer Fehler von ihr, nicht einmal darüber nachgedacht, sondern gleich zugesagt.

Jetzt saß sie also hier in diesem Land, in dem sie sich so verlassen vorkam, dass sie am liebsten losgeheult hätte.

Und James hatte ihr nicht einmal gesagt, ob er diesen Sommer selbst auf der Ranch verbringen würde. Seine Absichten, wenn er überhaupt welche hatte, die sie betrafen, waren ihr nicht bekannt.

Mandy fühlte sich so schwer wie ein Stein, als sie sich vom Bett erhob. Ihr Blick fiel in den Spiegel über der Frisierkommode. Die kurzen kupferroten Locken waren wie üblich in Unordnung. Die Erschöpfung von der langen, strapaziösen Fahrt stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie war blasser als sonst, wodurch die Sommersprossen erst recht ins Auge stachen. Sie sah aus, als hätte ein ungezogenes Kind mit einem rotbraunen Filzstift wahllos Punkte auf ihr Gesicht gemalt. Waagerechte Linien waren auf der normalerweise glatten Stirn zu sehen, und die großen grünen Augen leuchteten nicht wie sonst, sondern wirkten trübe.

„Nein“, sagte sie fest, „von den paar hundert Meilen öder Wildnis lässt sich eine Marlowe nicht unterkriegen.“ Dann beugte sie sich über den Koffer und begann, weitere Sachen zu verstauen.

„Boss, erinnern Sie sich, dass ich Ihnen gesagt habe, Flame O’Hara sei die schönste Frau auf der Welt?“, fragte Blair.

Cliff Carpenter grummelte etwas. Der Junge redete zu viel für seinen Geschmack. Na ja, dachte er, er ist noch grün hinter den Ohren, erst sechzehn.

„Also, da hab’ ich mich gewaltig geirrt“, fuhr Blair fort, „die da ist die schönste Frau auf der Welt.“

Seine Stimme klang dabei derartig weich und schwärmerisch, dass Cliff aufhorchte und dem Blick des Jungen folgte.

Der Grünschnabel hat recht, schoss es Cliff durch den Kopf. Sie hat eine frappierende Ähnlichkeit mit der Country- und Westernsängerin Flame O’Hara. Nur, dass sie noch besser aussieht.

Cliff beobachtete das rothaarige Persönchen, das sich vom Ranchhaus aus näherte, mit leicht zusammengekniffenen Augen. Er war gespannt, wie sie auf das Schild am Zaun reagieren würde. Dort stand nämlich unübersehbar: „Zutritt strengstens verboten“. Als er das Schild angefertigt hatte, hätte er beinahe noch hinzugefügt: Zuwiderhandelnde werden erschossen.

Cliff sah, wie sie vor dem Schild stehen blieb und den Kopf in den Nacken warf. Die Strahlen der rot glühenden Abendsonne verfingen sich in den schimmernden kupferfarbenen Locken. Einen Augenblick lang sah es so aus, als hätte das Haar der Frau Feuer gefangen.

Cliff hörte den bewundernden Pfiff, den der Junge ausstieß, und warf ihm einen giftigen Blick zu, den Blair jedoch nicht wahrnahm. Wer hätte es ihm auch verdenken können? Die Frau trug Jeans, die sich um überraschend weibliche Formen schmiegten, obwohl sie ziemlich klein war. Zu den Jeans trug sie ein blütenweißes, am Hals geöffnetes Hemd, unter dem sich straffe, volle Brüste abzeichneten.

Und die grünen Augen der Frau funkelten angriffslustig, bevor sie das Zauntor öffnete und weiterging.

Da hätte es schon mehr als eines lumpigen Schildes bedurft, damit er, Cliff, vor so einer Frau seine Ruhe hatte.

„Hallo“, sagte sie, nachdem sie ihn und Blair erreicht hatte. Dem Jungen schenkte sie ein sonniges Lächeln, worauf der förmlich dahinzuschmelzen schien. Sie sah ihn mit ihren riesigen smaragdgrünen Augen freundlich an und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich bin Mandy Marlowe.“

Der Junge nahm ihre schmale Hand in seine ziemlich kräftige.

„Ich bin Blair Sinclair“, stellte er sich vor.

Er machte nicht den Eindruck, als hätte er die Absicht, Mandys Hand bald wieder loszulassen.

Cliff versetzte ihm deshalb einen nicht gerade sanften Stoß und sagte: „Hol endlich das Wasser, Blair.“

„Oh … Ja, ja, natürlich, Boss, sofort“, erwiderte de Junge sichtlich verwirrt, ließ Mandys Hand los, wandte sich um und ging davon.

„Wir sehen uns von nun an bestimmt öfter, Blair!“, rief Mandy ihm nach.

Cliff mochte sie nicht, und dafür gab es mehrere Gründe. Erstens war er fast sicher, dass sie es gewesen war, die ihn mit dem Fernglas beobachtet hatte. Zweitens hatte sie sein Verbotsschild ignoriert, und drittens hatte sie das gewisse Etwas. Sie war viel zu schön. Die Art Frau, die ganz genau wusste, wie sie mit Männern umgehen musste, damit sie ihr aus der Hand fraßen.

Ihm fiel auf, dass sie schmale, zarte Hände hatte. Zart wie Blütenblätter, dachte er.

Doch er war schließlich kein sechzehnjähriger Junge. Er verschränkte die Arme vor dem Oberkörper und fragte: „Kann ich was für Sie tun, Madam?“

Falls sie bemerkt haben sollte, dass seine Stimme eisiger war als ein Schneesturm im Januar, so schien sie das nicht zu beeindrucken.

Sie lächelte, und er sah ihre schönen weißen Zähne. „Als Erstes könnten Sie für mich dieses scheußliche Schild abnehmen.“

Er hatte es gewusst. Es wäre doch besser gewesen, er hätte den Zusatz über das Erschießen Zuwiderhandelnder hinzugefügt.

„Das Schild abnehmen“, wiederholte er unfreundlich.

Mandy nickte zustimmend, anscheinend völlig unberührt von Cliffs abweisender Haltung. „Ja, die Leute fühlen sich sonst nicht wohl hier.“

„Ach so, die Leute“, sagte er sarkastisch.

Der beißende Spott sollte sie, Mandy, offenbar dazu veranlassen, ganz schnell das Weite zu suchen, doch sie ließ sich nicht beirren.

„Ich glaube, Sie verstehen nicht, was ich meine“, sagte sie. „Die Gäste, die hierher kommen, wollen sich dazugehörig fühlen. Sie wollen sich auf den Zaun setzen dürfen und sehen, wie die Cowboys Pferde zureiten …“

„Vielleicht könnten sie einfach von ihren Zimmern aus mit dem Fernglas alles beobachten“, unterbrach Cliff sie.

Befriedigt stellte er fest, dass sie jetzt endlich die Ruhe zu verlieren schien. Ihr Gesicht rötete sich. Trotzdem zog sie ihr hübsches Näschen kraus und blinzelte Cliffs Meinung nach kokett. Verdammt, sie wollte ihn bezirzen! Aber er war ein Mann, der die Weite gewohnt war. Und nichts auf der Welt vermittelte Weite und Freiheit so sehr wie dieses Fleckchen Erde. Er legte großen Wert auf diesen Freiraum, und sie war eine Frau, die Warnungen wie „Zutritt verboten“ einfach ignorierte.

„Ich bin kein Forschungsobjekt“, sagte Cliff. „Ich hasse es, wenn man mich beobachtet.“

Die Röte auf Mandys Gesicht wurde dunkler.

Typisch Rothaarige, dachte er, als er Zeichen des Zorns in ihrem Gesicht entdeckte. Will Sie Eis mit ihrem Feuer bekämpfen?

Bedroht fühlte er sich allerdings keineswegs. Wer ließ sich denn auch schon von jemandem einschüchtern, der aussah, als hätte ihm jemand einen Eimer feuerroter Farbe über den Kopf geleert?

„Seien Sie nicht so eingebildet“, erwiderte Mandy vorwurfsvoll. „Zufällig habe ich mir die Landschaft angeschaut, als sie mir vor die Linse liefen.“

„Eingebildet?“, wiederholte Cliff empört. „Ich war sozusagen dabei, ein Bad zu nehmen. Entschuldigen Sie vielmals, dass ich etwas dagegen habe, wenn mir jemand dabei zusieht.“

„Ein Bad?“ Sie schnaubte. „Das ist wohl reichlich übertrieben. Sie hatten lediglich ihr Hemd ausgezogen. Seien Sie doch nicht so schrecklich prüde!“

Eingebildet und prüde, dachte er und schaute sie feindselig an. Sein Blick blieb an ihren Lippen hängen. Sie waren süß und rot wie frische Erdbeeren. Augenblicklich wurde ihm klar, dass Feuer für Eis ganz schön gefährlich war.

Er drehte sich um und bückte sich, um die Hufe seines Pferdes zu begutachten. Hoffentlich verstand sie den Wink mit dem Zaunpfahl und würde gehen.

Sie verstand ihn nicht. „Was das Verbotsschild anbelangt …“

Cliff richtete sich auf und wandte sich ihr wieder zu.

„Das Verbotsschild bleibt“, sagte er fest.

„Es bleibt nicht“, erwiderte Mandy ebenso fest.

Sekundenlang war Cliff so verblüfft, dass er sogar von einer sanften Brise des Southern Alberta, wenn sie geweht hätte, umgeworfen worden wäre.

„Wer, glauben Sie eigentlich, sind Sie? Der Befehlshaber einer Armee und eines Rekruten?“, fragte er schließlich und wusste im Grunde nicht so recht, ob er wütend war oder eher belustigt.

„Ich bin Mandy Marlowe“, antwortete sie und warf den Kopf in den Nacken. „Und wer, zum Teufel, sind Sie?“

Die Belustigung siegte. Cliff brach beinahe in Lachen aus. Sie erinnerte ihn nun an ein Kätzchen – grünäugig und fauchend. Doch er verkniff sich das Lachen. Das war der Typ Frau, der wie selbstverständlich Besichtigungstouren veranstaltete, auf denen erschöpfte, schwitzende Cowboys zu sehen waren, die ihre Köpfe in Pferdetränken steckten.

„Mein Name ist Cliff Carpenter.“

„Oh nein!“, entfuhr es Mandy. Entgeistert blickte sie ihn an. Cliff hätte schwören können, dass sie ihre Schultern einen Augenblick mutlos hängen ließ. Sie straffte sie jedoch sofort wieder. „Ich soll hier das Unterhaltungsprogramm für die Gästeranch aufstellen. Lord Snow-Pollington sagte, Sie würden mir jederzeit dabei helfen, wenn ich Sie brauchte.“

„So, hat er das?“

„Ja, und zuallererst müssen Sie das Schild hier entfernen.“

Zuallererst. Was mochte danach kommen? Das Wort gefiel ihm nicht, es beunruhigte ihn irgendwie. Doch Cliff ließ sich nichts anmerken.

„Zuallererst sollten wir einige grundlegende Dinge klären und Regeln aufstellen“, entgegnete er. „Regel Nummer eins: Keine Gäste jenseits dieser Stelle, Sie eingeschlossen.“

Mandy stemmte die Hände in die Hüften.

Sie ist also entschlossen zu kämpfen, dachte Cliff. Weiß sie denn nicht, dass es für eine kleine Katze zu gefährlich ist, sich mit einem Grizzly anzulegen?

„Hören Sie“, fuhr er fort, bevor sie etwas erwidern konnte. „Ich habe keine Zeit, den Babysitter zu spielen für eine Horde Großstadtheinis, die hier auf Abenteuerspielplatz machen wollen und sich womöglich eine blutige Nase und eingeschlagene Zähne holen, wenn sie nicht vorsichtig sind. Das da ist kein Platz für Touristen.“

„Aber es ist eine Gästeranch!“

„In erster Linie werden hier Rinder gezüchtet, Miss Marlowe.“

„Missis“, korrigierte sie ihn kurz angebunden. Sie hasste es, mit siebenundzwanzig Jahren als Miss angeredet zu werden.

„Hätte ich wissen müssen“, sagte er trocken.

„Also haben die Rinder den Vorzug – Ihrer Ansicht zufolge?“

„Außerhalb des Zauns mit der Verbotstafel auf jeden Fall. Vom Ranchhaus bis zum Zaun dürfen die Gäste sich aufhalten. Das ist ihr Territorium. Sie können dort machen, was Sie wollen. Bungee-Springen aus dem Dachfenster, von Baum zu Baum hüpfen, Schlammschlachten mit im Pool aufgeweichter trockener Erde oder was auch immer. Aber alles auf der Seite“, Cliff machte eine Handbewegung, „ist mein Revier.“

„Ich kann doch keinen Ranchurlaub anbieten, ohne Zugang zu den Pferden zu haben! Vor allem wegen der Pferde kommen die Leute doch hierher.“

„Schon klar. Deshalb habe ich Blair eingestellt. Er ist zwar noch sehr jung, aber er hat jede Menge Erfahrung mit Pferden. Er wird zwei Dutzend Pferde aussuchen, zahme alte Klepper, mit denen er einmal täglich eine Reitrunde organisiert. Nun, zufrieden?“

„Ganz und gar nicht! Wie können Sie nur so unvernünftig sein?“

„Was ist daran unvernünftig?“ Cliff war der festen Überzeugung gewesen, dass er seinem meist abwesenden Chef damit sehr entgegenkam.

„Reitrunden sind höchstens etwas für Kinder. Die Leute würden vor Langeweile sterben!“

„Lieber aus Langeweile als wegen eines Sturzes vom Pferd.“

„Wie soll ich einen Ranchurlaub gestalten, wenn ich das Ranchgelände nicht betreten darf?“

„Sie sehen so aus, als ob Sie auch mit dieser Herausforderung fertig würden.“

„Wie meinen Sie das?“

„Das wollen Sie doch nicht wirklich wissen.“

„Doch, das will ich.“

„Also gut, Missis Marlowe. Sie sehen aus wie eine junge Frau, die nicht nur stets weiß, was sie will, sondern auch, wie sie es bekommt. Und das bedeutet Ärger. Verschwenden Sie Ihren Charme nicht an mich. Das wäre vergebliche Liebesmühe Ihrerseits. Mir ist schon eine Menge Ärger in meinem Leben begegnet, und ich versichere Ihnen, ich kann ihn mir vom Leib halten.“

„Wie können Sie mich einfach so Knall auf Fall beurteilen? Sie kennen mich doch gar nicht.“

„Ihre Haarfarbe sagt alles.“

„Wie bitte?“, rief Mandy empört.

Cliff gestand es sich ungern ein, doch es machte ihm Spaß, sie zu reizen. Ihre Augen sprühten Funken, die mühelos ein Buschfeuer entfacht hätten. „Ihre Haarfarbe sagt alles“, wiederholte er.

„Mr. Carpenter, Sie werden ein paar Zugeständnisse machen müssen.“

„Muss ich, muss ich nicht? Was meinen Sie?“ Er sah, dass sie die Hände zu Fäusten ballte, die nicht größer waren als ein ausgewachsener Spatz. Es hätte Cliff nicht gewundert, wenn sie auf ihn losgegangen wäre.

„Andernfalls bleibt mir nichts anderes übrig, als Ihren Vorgesetzten zu unterrichten!“, stieß Mandy hervor.

Er zuckte gleichgültig die Schultern. „Tun Sie, was Sie nicht lassen können.“

Mandy stampfte mit dem Fuß auf, der Cliff ebenfalls unglaublich klein vorkam. Er konnte nun nicht mehr anders – er brach in schallendes Gelächter aus. Er wäre nicht überrascht gewesen, hätte sie ihm nun einen Tritt gegen das Schienbein versetzt.

„Die Ranch gehört James, und er kann machen, was er will.“

Aha, sie nennt ihn James, registrierte Cliff und wünschte sich, der Lord hätte nicht sie, sondern ein junges Mädchen kennengelernt, das sich damit zufriedengegeben hätte, ein-, zweimal ins Kino und zum Pizzaessen eingeladen zu werden.

„Das ist richtig“, erwiderte Cliff. „Er kann mich sogar entlassen, wenn er etwas an mir auszusetzen hat. Doch bis jetzt hat er mich noch nicht gefeuert, und ich habe das Gefühl, dass er das auch nicht tun wird, bloß weil Sie es wollen.“

Mandys Gesicht glühte inzwischen vor Zorn. Merkwürdigerweise sah ihr Haar dadurch noch roter aus.

„Das will ich ja gar nicht! Lassen Sie uns einiges klarstellen und vernünftig miteinander reden, Mr. Carpenter“, sagte sie, sich mühsam beherrschend.

Cliff fand ihre Stimme hübsch. Mandy Marlowe versuchte ihre Erregung zu verbergen, doch ein hoher Tonfall und die Zornesröte im Gesicht verrieten sie. Hübsche Stimme, hübsches Äußeres. Temperament … faszinierend. Dennoch war ihm diese Frau unsympathisch.

Die Sache mit der Gästeranch betrachtete Cliff als Schnapsidee seines Chef, die schon bald vergessen sein würde. Vielleicht hielt sie sich den Sommer über, aber im Grunde war sie jetzt schon gestorben, fand Cliff.

„Schauen Sie, Miss … sorry, Missis Marlowe“, die Sanftheit seiner Stimme überraschte ihn selbst, „ich glaube nicht, dass die Gästeranch überhaupt richtig realisierbar ist in dem Gebäude.“

„Ich denke schon, und Sie werden mir dabei helfen.“

„Nie im Leben! Eine Runde Reiten täglich. Das ist alles, was ich für Sie tun kann.“

„Mr. Carpenter …“

Er spürte, wie er weich wurde, als sich Tränen in ihren schönen Augen sammelten.

„Also, was wollen Sie noch?“, fragte er schließlich.

Sie verdrängte die Tränen. „Ein Rodeo.“

„Ein … was?“

„Ein Rodeo. Und ein Lagerfeuer bei Nacht. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Leute gern einmal erleben würden, wie man sich als Viehtreiber fühlt.“

Ungläubig blickte Cliff sie an.

„Lassowerfen wäre auch nicht schlecht“, fuhr sie fort. „Meinen Sie, wir könnten außerdem Stunden geben im Zureiten von Pferden?“

„Miss … Missis Marlowe …“

„Lagerfeuer jede Nacht und vielleicht auch ein Frühstück in einem Planwagen und Tanz in der Scheune.“

Autor

Quinn Wilder
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