So spielt das Herz: Verlockende Träume

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Während sich die Sozialarbeiterin Ann nach Familienglück sehnt, genießt der Ingenieur Hank seine Affären. Dennoch weckt er in ihr romantische Träume. Plötzlich fragt sie sich, ob es doch stimmt, dass Gegensätze sich anziehen …


  • Erscheinungstag 01.01.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783956495151
  • Seitenanzahl 120
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Sherryl Woods

Verlockende Träume

Roman

Aus dem Amerikanischen von
Brigitte Marliani-Hörnlein

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2016 by MIRA Taschenbuch

in der HarperCollins Germany GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Tea and Destiny

Copyright © 1990 by Sherryl Woods

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Harlequin S.A., Schweiz;

Thinkstock / Iakov Kalinin; pecher und soiron; Köln

ISBN eBook 978-3-95649-515-1

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

1. KAPITEL

Es war schon später Samstagnachmittag, als Hank seinen Pick-up an den Rand der schmalen Straße lenkte, den Motor abschaltete und hinausschaute. Ihn interessierte allerdings nicht der spektakuläre Sonnenuntergang im Westen, stattdessen blickte er mit fasziniertem Entsetzen in Richtung Osten auf das abscheulichste Gebäude, das er je gesehen hatte. Als Bauingenieur mit ausgeprägtem Sinn für schöne Architektur beleidigte dieses Haus sein Empfinden für Proportionen und Farben.

An das einst kleine und wahrscheinlich schöne Cottage auf der Landzunge am Atlantik war im Lauf der Zeit wahllos angebaut worden, ohne dem ursprünglichen Stil zu entsprechen.

Und dieser Anstrich … Hank schüttelte ungläubig den Kopf. War es möglich, dass von jeder Farbe – Lachsrot, Graublau und Kanariengelb – nur jeweils ein Eimer vorhanden gewesen war? Die Zusammenstellung war eine künstlerische Katastrophe. Das Haus erinnerte ihn an die Eigentümerin.

Hank hatte Ann Davies während der drei Tage andauernden Festivitäten anlässlich der Hochzeit seines besten Freundes kennengelernt. Ann war eine große, schlanke Frau mit kurzen schwarzen Haaren, die aussahen, als seien sie von einem Rasenmäher geschnitten worden. Ihr Make-up beschränkte sich auf etwas Lippenstift auf den vollen Lippen, die immer in Bewegung waren. Die Frau sprach mehr als jedes andere weibliche Geschöpf, das er bisher kennengelernt hatte. Sie gab ihre Meinung zu allem kund, angefangen beim Fußball bis hin zu Champignons. Das eine hielt sie für brutal, das andere für unappetitlich. Hank liebte beides.

Warum also, um alles in der Welt, parkte er jetzt neben ihrem Grundstück? Warum hatte er auf seine Freunde Liz und Todd gehört, die ihm vorgeschlagen hatten, hierher zu fahren? Sie hatten es tatsächlich geschafft, ihn davon zu überzeugen – noch bevor er das Sechserpack seines Lieblingsbiers getrunken hatte –, dass er einige Monate lang mit dieser irrwitzigen Frau in einem Haus zusammenleben konnte, während er die Bauarbeiten an einem Shoppingcenter in Marathon beaufsichtigte. Sie waren verrückt. Und er war noch verrückter.

Er war aber auch verzweifelt. Es war Anfang Januar und die denkbar schlechteste Zeit, um mit Bauarbeiten zu beginnen. Ferienwohnungen und Hotels waren überfüllt mit Touristen. Die wenigen noch verfügbaren Unterkünfte kosteten horrendes Geld. Natürlich hätte die Firma die Kosten dafür übernehmen können, aber selbst diese Quartiere waren nicht für längerfristig zu haben.

Trotzdem hatte er sich überall umgesehen, in der Hoffnung, doch noch ein Zimmer zu finden. Vergeblich. Die andere Alternative, jeden Tag von Miami hierher zu pendeln, schlug er sich gleich aus dem Kopf. Bei dem Verkehr um diese Jahreszeit wäre er innerhalb einer Woche verrückt geworden. Allein die Aussicht, sich jeden Tag mit dem Auto in die Schlange der Touristen einreihen zu müssen, ließ ihm die Haare zu Berge stehen.

Dann hatte Ann ihm über Liz ein Zimmer in ihrem großen Haus angeboten. Kostenlos. Sie hatte sogar vorgeschlagen, für ihn zu kochen, wenn er seinen Anteil an den Lebensmitteln bezahlte.

„Warum macht sie das?“, hatte er Liz argwöhnisch gefragt. „Ich war bei der Hochzeit bestimmt nicht so charmant zu ihr, dass sie von den Socken war.“

Die Anspielung auf ihre Socken war Absicht gewesen. Nie zuvor hatte er eine Frau kennengelernt, die gelbe Socken und blaue Turnschuhe zu einem langen grünen Rock und einem pinkfarbenen T-Shirt trug. Ihn schauderte bei der Erinnerung daran. Er hätte damals schon ahnen müssen, wie ihr Haus aussehen würde.

Liz hatte ihn nur angelächelt und gesagt: „Oh, du weißt doch, wie Ann ist.“

Er hatte es nicht gewusst. Er wollte es auch nicht wissen. Tatsache war jedoch, dass er jetzt hier war und einige Koffer und drei Einkaufstüten im Kofferraum hatte. Zwei davon enthielten Lebensmittel, die dritte Bier und Sodawasser. Das Bier brauchte er nach einem langen, heißen Arbeitstag, das Sodawasser zum Frühstück. Und dazu süße Donuts. Beides könnte er auch jetzt vertragen.

Er atmete noch einmal tief durch, startete den Motor und fuhr auf das Grundstück. Er parkte den Pick-up neben dem Haus. Als er versuchte, die drei Einkaufstüten gleichzeitig zu tragen, geriet er ins Stolpern, als er in Kniehöhe angerempelt wurde. Die Tüten flogen durch die Luft. Hank schnappte wie ein Verdurstender nach dem Bier. Er wusste, dass er es brauchen würde, noch bevor es Abend war.

Das Bier hatte er retten können, die Lebensmittel lagen verstreut auf dem Boden. Er sah hinab und blickte auf ein etwa dreijähriges Mädchen, das ernst zu ihm aufsah. Es hatte den Daumen im Mund, und in der anderen Hand hielt es einen verblichenen Stofffetzen. Hank unterdrückte ein Stöhnen. Er hatte gar nicht mehr an die Kinder gedacht. Besser gesagt, er hatte sie absichtlich aus seinem Bewusstsein verdrängt.

Hank hasste Kinder. Sie machten ihn nervös. Sie waren laut, fordernd und unordentlich. Sie stellten ständig Fragen, die nicht zu beantworten waren. Sie brachten ihren Eltern nichts als Sorgen, ganz davon abgesehen, dass sie einen perfekten und angenehmen Lebensstil völlig auf den Kopf stellten. Mädchen waren ihm noch rätselhafter als Jungen. Schließlich war er selbst einmal einer gewesen.

Er musste jedoch zugeben, dass dieses kleine Mädchen etwas Reizvolles an sich hatte. Mit seinen hellblonden, lockigen Haaren wirkte es sanft und unschuldig.

„Hallo“, sagte er vorsichtig.

Es war schon lange her, dass Todds Sohn – sein Patenkind – in diesem Alter gewesen war, und er hatte sich geschworen, Todds soeben geborener Tochter so lange aus dem Weg zu gehen, bis er sich vernünftig mit ihr unterhalten konnte. Und das würde wahrscheinlich noch zwölf bis vierzehn Jahre dauern. Was sollte man außer „Hallo“ schon zu einem dreijährigen Kind sagen, das den Daumen noch im Mund hatte und das sich anscheinend gar nicht unterhalten wollte?

„Wo ist deine Mommy?“, fragte er schließlich.

Zu seinem Entsetzen füllten sich die großen blauen Augen mit Tränen, und das Mädchen rannte mit markerschütterndem Geschrei davon.

Hank überlegte gerade, ob er nicht geradewegs wieder in seinen Pick-up steigen und die teuerste und winzigste Wohnung nehmen sollte, die er finden konnte, als eine Tür zugeschlagen wurde. Eine Frau mit langem wehenden Rock kam um die Ecke gerannt, ein Fleischmesser in der erhobenen Hand. Sie hielt inne, als sie ihn sah, und ließ langsam den Arm sinken. Ihr Zorn verwandelte sich in Gelassenheit.

Seine eigene Reaktion auf ihren Anblick war alles andere als gelassen. Sein Herz schlug auf einmal schneller. Er tat dieses Gefühl kurzerhand als verspätete Panik ab. Schließlich passierte es nicht so häufig, dass man von einer Frau mit einem Küchenmesser in der Hand empfangen wurde. Das erklärte wahrscheinlich den plötzlichen Adrenalinstoß.

Und dennoch … Er sah sie lange an. Irgendwie war ihr Gesicht viel interessanter, als er es in Erinnerung gehabt hatte, vor allem jetzt, da es ein wenig gerötet war. Ihre schlanke Figur erschien ihm trotz der unmöglichen Kleidung aus irgendeinem Grund wesentlich anziehender als damals. Ihre Haare, immer noch kurz geschnitten, schienen heute zu ihrem Gesicht zu passen. Sie betonten ihre Augen und die dichten Wimpern. Sie sah gut aus. Verdammt gut. Selbst mit dem Messer in der Hand.

Er musste verrückt sein.

„Da bist du also“, sagte Ann munter und begann, die Lebensmittel aufzusammeln. Es gab ihr die Möglichkeit, ihre plötzliche Nervosität zu überspielen. Sie nahm die Packung mit den Donuts, musterte sie missbilligend und steckte sie dann in die Tüte zu den anderen Knabbereien, die sie außer bei besonderen Gelegenheiten den Kindern streng verweigerte. Um Hank Rileys Essgewohnheiten würde sie sich später kümmern. Erst einmal musste sie die Erinnerung an den arroganten Mann, den sie kennengelernt hatte, mit diesem ausgesprochen anziehenden Gast in Einklang bringen.

„Tut mir leid wegen Melissa“, entschuldigte sie sich und steckte einen Kopf Salat in die Tüte. Salat war gut. Die Wirkung dieses großen, bärtigen Mannes auf ihre Sinne war verheerend. Sie schluckte. „Ich nehme an, sie hat Schuld daran.“

„Wenn sie etwa einen Meter groß ist und ihren Daumen liebt, dann war sie es“, stimmte er lächelnd zu. Sein Lächeln ließ ihren Puls schneller schlagen. „Habe ich ihr einen Schreck eingejagt oder so etwas? Ich habe nach ihrer Mommy gefragt, und da hat sie einen furchtbaren Schrei ausgestoßen.“

Ann kämpfte gegen die ungewohnten Gefühle an, die er in ihr weckte. Es liegt nicht an ihm, sondern an Melissas ängstlichem Geschrei, dass ich mich nicht unter Kontrolle habe, redete sie sich ein. „Das war es also“, meinte sie, zufrieden mit dieser Erklärung für ihre Nervosität.

Er sah sie merkwürdig an. „Was war was?“

„Ich habe mich gewundert, warum sie so weint. Sie hat irgendetwas von einem Mann gesagt.“

„Deshalb also das Messer.“

Sie blickte auf ihre Waffe, die sie ergriffen hatte, bevor sie aus der Tür stürmte. Sie lag auf dem Boden. „Oh, entschuldige.“

„Schon gut. Heutzutage kann eine Frau gar nicht vorsichtig genug sein.“ Er bückte sich, um das Messer aufzuheben. „Da du es nicht gegen mich verwendet hast, nehme ich an, dass du mich für harmlos hältst.“

Harmlos? Überhaupt nicht.

„Ich sollte dir besser von Melissas Mutter erzählen“, erwiderte sie, froh, über ein neutrales Thema sprechen zu können. „Die Frau hat sie vor einem Jahr verlassen, ging einfach davon, ohne irgendjemandem etwas zu sagen. Ein Nachbar fand Melissa am nächsten Tag ganz allein in der Wohnung. Man glaubt, dass Kinder sich schnell einer neuen Situation anpassen, aber bei Melissa ist das nicht der Fall. Sie wacht immer noch mitten in der Nacht auf und schreit nach ihrer Mutter. Jede Erinnerung an diese Frau bringt sie total aus der Fassung.“ Dank ihrer Berufserfahrung gelang es Ann, sachlich darüber zu sprechen, doch in ihrem Inneren sah es anders aus. „Ich kann einfach nicht begreifen, dass eine Mutter ihr Kind verlässt. Was hätte ihr nicht alles passieren können? Stell dir vor, ein Feuer wäre ausgebrochen. So ein kleines Kind bekommt schon Angst, wenn es aufwacht und ganz allein ist. Als der Sozialarbeiter mir davon erzählte, hätte ich die Frau am liebsten umgebracht. Kein Wunder, dass Melissa mit der Situation nicht fertig wird.“

Hank stieß einen leisen Fluch aus. „Tut mir leid. Ich hatte ja keine Ahnung davon. Ich glaube, ich habe einfach angenommen, du seiest die Mutter.“

„Hier wird nicht geflucht“, warnte sie ihn. „Was Melissa betrifft“, fuhr sie fort, „so nennt sie mich meistens Ann. Einige der Kinder betrachten mich auch als Mutter. Da du einige Zeit bleiben wirst, werde ich dir die Geschichte jedes Kindes erzählen, damit du weißt, warum sie hier sind. Die Älteren verhalten sich mittlerweile sehr offen, die Jüngeren sind noch ein wenig sensibel. Jason zum Beispiel spricht kaum ein Wort.“

„Wie viele Kinder leben denn hier?“, fragte er unbehaglich.

„Fünf. Sechs. Es hängt davon ab, ob Tracy nach dem College in Key West nach Hause kommt oder bei einer Klassenkameradin bleibt. Heute Abend sind alle hier. Manchmal besucht uns auch eines der Kinder, die einmal bei mir gewohnt haben.“

Hank, ein Mann, der den Eindruck erweckte, vor nichts und niemandem Angst zu haben, schien der Panik nahe zu sein. „Ich werde wahrscheinlich nicht viel von ihnen zu sehen bekommen“, meinte er. „Ich muss immer sehr lange arbeiten.“

„Trotzdem ist es besser, du weißt Bescheid. Komm, ich führe dich herum.“

Sie betraten das Haus durch die hintere Tür, die direkt in die Küche führte. Wie immer an einem Sonntagabend, wenn alle das ganze Wochenende daheim verbrachten, herrschte dort ein absolutes Chaos. Ann beobachtete Hanks Miene angesichts des vielen Geschirrs im Spülbecken und versuchte, die Unordnung mit den Augen eines Junggesellen zu sehen, der wahrscheinlich eine Haushälterin beschäftigte.

Spielzeug lag auf dem Boden verstreut, ihre Arbeitspapiere bedeckten den großen runden Eichentisch, an dem leicht zehn Personen Platz finden konnten. Es war chaotisch, doch sie liebte dieses Durcheinander. Ann konnte jedoch verstehen, wie es auf einen Außenstehenden wirken musste. Sie zuckte mit den Schultern. Er würde sich daran gewöhnen müssen.

„In einer Stunde wird aufgeräumt“, beruhigte sie ihn. „Man kann es sich vielleicht nicht vorstellen, aber wenn wir uns zum Abendessen hinsetzen, wird der Raum tadellos aussehen. Leider hält dieser Zustand meist nicht länger als zwanzig Minuten an.“

Hank stand immer noch unsicher in der Tür. „Bist du sicher, dass ich dir keine Umstände mache? Ich weiß, Liz hat gesagt, es sei okay, aber …“ Er deutete auf die Küche. „Du scheinst genug zu tun zu haben.“

„Kannst du deine Wäsche selbst waschen?“

„Ja, aber …“

„Kannst du dein Bett selbst machen?“

„Ja, aber …“

„Kannst du Kaffee kochen?“

„Ja, aber …“

„Dann ist es kein Problem.“

Kaum hatte Ann die Worte ausgesprochen, bedauerte sie sie schon. Wenn er unbedingt verschwinden wollte, dann sollte sie ihn gehen lassen. Sie hätte ihn noch dazu ermutigen müssen.

Als Liz sie das erste Mal bat, Hank zu helfen, hatte sie strikt abgelehnt. Der Mann verkörperte all das, was sie am männlichen Geschlecht verabscheute. Außerdem sah er gut aus, was ihn noch gefährlicher machte. Er hatte einen kräftigen Oberkörper und breite Schultern. Seine Haut war leicht gebräunt. Seine Haare und sein Bart schimmerten goldblond mit einem leichten Stich ins Rötliche. Seine strahlenden blauen Augen schienen Frauen in Sekunden ausziehen zu können. Er war anmaßend, forsch und irritierend. Sein Benehmen Frauen gegenüber war ungehobelt, und doch flogen ihm ihre Herzen nur so zu. Das hatte sie bei der Hochzeit gut beobachten können.

Hinzu kam, dass er bei fast allen Themen grundsätzlich anderer Meinung war als sie. Kaum waren sie einander auf dem Fest vorgestellt worden, stritten sie auch schon über etwas so Unwichtiges, dass sie sich heute gar nicht mehr daran erinnern konnte, worum es eigentlich ging. Liz hatte ihren Krach interessiert verfolgt, was ihre Bitte um Hilfe umso unerklärlicher machte. Später sagte Ann sich, dass sie gleich hätte argwöhnisch werden sollen.

„Nimm ihn als einen deiner Fälle“, hatte Liz herausfordernd geantwortet. „Du wirst wochenlang an ihm arbeiten können.“

„Ich habe sechs Kinder, die bei mir wohnen, außerdem einen Fulltime-Job. Ich brauche keinen Fall. Ich brauche eine Hilfe.“

„Du brauchst einen Mann.“

„Oh nein, den brauche ich nicht“, erwiderte Ann. „Nur weil du so verliebt und glücklich bist, heißt das noch lange nicht, dass jede andere auch unbedingt in den Ehestand treten will. Ich brauche keinen Mann. Vor allem keinen, der Ringkämpfe für kultiviert hält.“

Liz hatte nur gelacht. „Hank sieht sich keine Ringkämpfe an.“

„Okay, vielleicht war es auch etwas anderes Brutales.“

„Du bist ein Feigling.“

„Kaum. Ich habe nur nicht die Zeit für den Versuch, einen siebenunddreißigjährigen Mann zu therapieren. Es ist zu spät.“

„Als Psychologin weißt du genau, dass es nie zu spät ist, jemanden umzukrempeln.“

„Sofern er sich umkrempeln lassen will. Wie kommst du auf die Idee, dass Hank Riley den Wunsch verspürt, sich zu ändern?“

„Betrachte es als Experiment. Du könntest wahrscheinlich eine ausführliche Dokumentation mit den Analyseergebnissen verfassen.“

„Du gehst zu weit, Liz.“

„Ich bin verzweifelt“, gab Liz schließlich zu. „Ich habe ihm schon gesagt, dass du einverstanden bist.“

„Warum hast du das getan?“

„Es war ein kalkulierbares Risiko. Hast du jemals einem Heimatlosen Unterschlupf verwehrt?“

„Hank Riley hat ein Zuhause. Außerdem scheint es genug Frauen zu geben, die sich gern um ihn kümmern würden. Er ist nicht auf mich angewiesen.“

Liz lächelte, was Ann irritierte, aber gleichzeitig auch herausforderte.

„Okay, schick ihn zu mir. Ich nehme an, es wird Jason und Paul nichts ausmachen, für einige Wochen ein Zimmer zu teilen. Hank kann Jasons Zimmer haben. Wahrscheinlich bekommt er dort Albträume bei all den Science-Fiction-Postern.“ Der Gedanke erheiterte sie.

Liz dagegen wirkte ein wenig schuldbewusst.

„Liz, was verheimlichst du mir?“

„Sei bitte nicht böse“, bat Liz. „Du kannst dein Angebot immer noch zurücknehmen, wenn du willst.“

„Oje, es muss schlimmer sein, als ich befürchtet habe. Also los, heraus mit der Sprache.“

„Es ist nur, dass es wahrscheinlich nicht ein paar Wochen, sondern eher Monate sein werden. Vielleicht drei oder vier.“

Ann protestierte laut, doch sie wusste, dass sie geschlagen war. Seither redete sie sich ein, dass es den Jungen guttun würde, einen Mann um sich zu haben. Hank war zwar nicht derjenige, den sie normalerweise dafür ausgewählt hätte, aber ein wenig von seiner Machohaltung würde den Jungen nicht schaden. Er könnte mit ihnen angeln gehen und Baseball spielen. Sie selbst konnte das auch, aber sie wusste, dass es nicht dasselbe war. Es gab unzählige Bücher darüber, wie wichtig ein Mann im Leben eines Jungen war.

Jetzt, da er tatsächlich in ihrer Küche saß, fragte sie sich, ob es wirklich gut ausgehen würde. Bei der Hochzeit hatte sie sich so über ihn geärgert, dass sie nicht bemerkt hatte, welch belebende Wirkung er auf ihren Herzschlag ausübte. Sie hatte angenommen, dass es an den ständigen Streitgesprächen gelegen hatte, doch in den letzten fünf Minuten hatte er nichts getan, was sie verärgert hätte, und trotzdem raste ihr Puls. Vielleicht lag es an dem Anblick der vielen nutzlosen Kalorien – Donuts, Kartoffelchips, Flips.

„Das Zeug muss weg.“ Sie nahm einige der Tüten und wollte sie in den Müll werfen.

Hank riss sie ihr entsetzt aus der Hand. „Bist du wahnsinnig geworden? Liz sagte, du wolltest Lebensmittel haben. Also habe ich eingekauft.“

„Du hast nur Mist mitgebracht. Die Kinder werden hyperaktiv, wenn sie davon naschen.“

„Dann verbiete ihnen, das Zeug anzurühren. Ich opfere mich und werde alles selbst aufessen.“

„Man kann Kindern nicht erklären, sie dürfen so etwas nicht essen und es ihnen dann vor die Nase stellen.“

„Ich werde alles in meinem Zimmer verstecken.“

„Siehst du, das ist genau das, was ich meine: Du bist süchtig danach.“

Herausfordernd blickte er sie an. „Ich mag es, aber ich bin nicht süchtig. Das ist ein Unterschied.“

„Raucher genießen auch ihre Zigarette. Das bedeutet nicht, dass sie weniger abhängig sind.“

Er trat einen Schritt auf sie zu und war ihr nun so nahe, dass sie seinen frischen Atem und den maskulinen Duft seiner Seife wahrnehmen konnte. Nahe genug für einen Kuss.

„Die Sachen bleiben“, sagte er sanft.

Das Funkeln in seinen Augen wurde gefährlich. Vielleicht lag es nur an diesen verdammten Flips, aber sie hatte das Gefühl, dass es noch etwas ganz anderes war. Diese Alternative behagte ihr weniger. Sie wich ein Stück zurück und hob herausfordernd den Kopf. „Behalte es außer Sichtweite der Kinder.“

Er schmunzelte. „Ja, Ma’am.“

Zwar war seine Antwort höflich, doch der Tonfall weckte in ihr den Drang, ihn zu ohrfeigen. Ihre Reaktion schockierte sie. Sie war Psychologin, eine Frau, die an vernünftigen Gedankenaustausch und die Wichtigkeit einer ruhigen Diskussion glaubte und Schläge verabscheute.

„Noch etwas?“, fragte er.

Sie unterdrückte den Wunsch, ihn noch weiter zu maßregeln. Er war Liz’ Freund, besser gesagt, Todds Freund, was aber auf dasselbe hinauslief. Und schließlich wohnte er nur vorübergehend bei ihr. Mit etwas Glück würde er sich so sehr über die Einschränkungen ärgern, die das Leben in diesem Haus mit sich brachte, dass er schon am Wochenende verschwunden war.

„Um sieben Uhr gibt es Abendessen. Wir helfen alle dabei. Hausordnung.“

„Kein Problem.“

„Es gibt noch andere Regeln. Sie sind für Kinder besonders wichtig. Ich werde sie dir irgendwann erklären.“

„Wie du möchtest.“

Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er sich so gefügig zeigen würde. Irgendwie irritierte sie sein Verhalten. „Dann zeige ich dir jetzt dein Zimmer.“

In dem Moment hallte wieder dieser markerschütternde Schrei durch das Haus.

„Schreit jeder hier so herum?“

„Nur, wenn ein Unglück geschieht.“

„Ist das oft der Fall?“

„Wenn es dich nervös macht …“

„Es macht mich nicht nervös. Sollten wir jetzt nicht besser herausfinden, was passiert ist?“

„Richtig. Ich nehme an, dass die Badewanne wieder einmal überläuft. Der Wasserhahn lässt sich manchmal nicht richtig zudrehen.“

„Warte, ich werde mich darum kümmern.“

„Das kann ich selbst.“

„Du siehst nach den Kindern. Ich hole eben Werkzeug aus dem Pick-up. Bist du je auf die Idee gekommen, einen Klempner zu benachrichtigen?“

Natürlich hatte sie daran gedacht, den Gedanken aber wegen der Kosten verworfen. Das wollte sie ihm aber nicht eingestehen. „Sicher bin ich das, aber ich hoffte, es selbst reparieren zu können.“

„Wenn es dir nicht bald gelingt, wirst du auch die Böden erneuern müssen.“

„Hank, darf ich dich daran erinnern, dass du Gast in meinem Haus bist? Es steht dir nicht zu, mir zu sagen, wie ich mein Leben zu führen oder mein Haus in Ordnung zu halten habe.“

„Und ich brauche niemanden, der mir vorschreibt, was ich zu essen habe.“

„Okay“, fuhr sie ihn an. „Iss, was du willst.“

„Werde ich.“

„Und ich repariere den verdammten Wasserhahn.“

Er lächelte. „Wie du willst“, meinte er freundlich und entfernte sich.

„Wohin gehst du?“, rief sie ihm nach.

Er drehte sich zu ihr um und grinste. „Ich hole mir ein Bier. Möchtest du auch eins? Ich könnte dir eins einschenken, während du den Wasserhahn reparierst.“

„Geh zur …“

Er unterbrach sie mitten im Satz. „Ts, ts, ts, Annie. Vor den Kindern flucht man doch nicht. Hast du mir das nicht selbst gesagt?“

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