So süß duftet nur das Glück

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Rico D'Angelo stockt der Atem, als er Janeens betörenden Erdbeerduft einatmet. Woran erinnert ihn diese Frau nur? Am liebsten würde er sie auf der Stelle verführen. Aber das ist keine gute Idee, wenn sie künftig als Managerin für sein neues Café arbeiten soll, oder?


  • Erscheinungstag 04.04.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751529228
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Leseprobe

1. KAPITEL

Rico blickte auf das Bewerbungsschreiben und seufzte. Er hatte gehofft, für sein Projekt wenigstens einen Menschen zu finden, der sich ebenso dafür begeisterte wie er selbst – und der noch dazu ausgezeichnete Qualifikationen und Erfahrung mitbrachte.

Nachdem er eineinhalb Tage lang Kandidaten interviewt hatte, war ihm klar, dass er diese Hoffnung aufgeben konnte.

Er drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage und fragte die Sekretärin schroff: „Ist Janeen Cuthbert schon da?“

„Nein, ihr Termin ist erst in zehn Minuten“, antwortete Lisle sachlich.

„Danke, Lisle.“

Gab es nicht ein ungeschriebenes Gesetz, demzufolge man zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit zu einem Vorstellungsgespräch auftauchte? Aber Restaurantmanager schienen nach ihren eigenen Regeln zu handeln. Nicht, dass mir Hobarts Restaurantmanager die Tür einrennen, weil sie unbedingt ein Wohltätigkeitscafé führen möchten, dachte Rico und schloss den Ordner mit Janeen Cuthberts Unterlagen.

Er wollte doch nur einen einzigen Manager, der sich im Geschäft und im Leben auskannte. War das zu viel verlangt?

Bisher hatte er überwiegend Vorstellungsgespräche mit Leuten geführt, die durchaus Gemeinsinn besaßen. Fröhliche, intelligente und ernsthafte Anwärter – aber leider ohne eine Spur von Erfahrung. Nette Menschen, das ja, aber sie würden Schiffbruch erleiden. Die Jungen würden ihnen auf der Nase herumtanzen, sie enttäuschen und entmutigen. Es würde Tränen und Szenen geben. Dann würden sie kündigen und ihn im Regen stehen lassen.

Das durfte er nicht riskieren. Das Projekt war einfach zu wichtig.

Mit einem Blick auf die Uhr stellte Rico fest, dass es fünf vor zwei war. Falls Janeen Cuthbert nicht spätestens um Punkt zwei auf der Schwelle stand, konnte sie gleich wieder gehen! In den nächsten Minuten trommelte er mit den Fingern auf die Schreibtischplatte und hatte für die belebte Straßenszene unter seinem Fenster keinen Blick übrig. Andere Büros boten Aussicht auf den Hafen, aber da er als Projektmanager selten im Haus zu tun hatte, war es ihm egal, wohin er schaute.

Nun war es Punkt zwei!

Er wollte die Gegensprechanlage betätigen, da klang Lisles Stimme aus dem Gerät: „Janeen Cuthbert ist hier.“

„Soll reinkommen“, sagte er brüsk.

Es klopfte. Das Klopfen klang viel zu zaghaft, fand er und fluchte im Stillen. Er hatte so viele nette, nachgiebige, unfähige Bewerber erlebt, dass es ihm reichte! Für immer.

„Herein“, rief er.

Als die junge Frau die Tür öffnete, stellte er sofort fest, dass sie keineswegs zaghaft wirkte, sondern so, als wäre sie äußerst wütend. Das verbarg sie zwar hinter einem höflichen Lächeln, aber er hatte viel mit problematischen Jugendlichen zu tun und kannte die Anzeichen: das Glitzern in den Augen, die roten Flecke auf den Wangen, die schnellen Atemzüge.

Diese junge Frau war bestimmt nicht sanft und nachgiebig.

„Ich bin Neen Cuthbert“, stellte sie sich vor. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Mr D’Angelo.“

Mit ausgestreckter Hand kam sie auf ihn zu. Die Hand war rot, als wäre sie erst vor Kurzem heftig geschrubbt worden. Auf dem taubengrauen Kostüm zeichneten sich unübersehbar vier enorme Pfotenabdrücke ab. Beinah hätte Rico gelächelt. Zum ersten Mal seit zwei Tagen.

„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Neen“, erwiderte er. „Ich vermute, Ihr Tag war bisher ebenso stressig wie meiner.“

„Sieht man mir das so deutlich an?“, fragte sie lachend. „Ja, es gab nichts als Schwierigkeiten. Bisher.“

„Bitte, setzen Sie sich“, forderte er sie auf, ließ sich selbst auf seinem Schreibtischstuhl nieder und aktivierte die Gegensprechanlage. „Lisle ich weiß, dass ich das eigentlich nicht von Ihnen verlangen darf, aber könnten Sie uns Kaffee bringen?“

„Klar! Kommt sofort“, antwortete die Sekretärin freundlich.

„Das ist sehr nett von Ihnen, Mr D’Angelo“, bedankte Neen Cuthbert sich. „Aber meinetwegen müssen Sie sich keine Umstände machen.“

„Ich brauche selber etwas Koffein“, wehrte er ab. „Dringend.“

„Es läuft mit den Bewerbungsgesprächen also nicht so toll?“, vermutete sie.

Wie unprofessionell, dass ich mir meine Frustration anmerken lasse, tadelte er sich. Er brauchte dringend Urlaub! Aber dafür hatte er keine Zeit. Unwillkürlich seufzte er.

Neen deutete das offensichtlich falsch. „Kein Wunder, wenn niemand zusagt, Mr D’Angelo. Sie suchen eine hoch qualifizierte und erfahrene Person als Manager Ihres Cafés, aber der Lohn, den Sie bieten, ist absolut nicht verlockend.“

„Sie haben sich trotzdem beworben“, konterte Rico.

„Wie Sie meinen Unterlagen entnehmen können, bin ich keineswegs hoch qualifiziert“, erwiderte sie geradeheraus.

„Trotzdem haben Sie sich beworben“, wiederholte er.

„Und Sie haben mich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen.“

Sie hat auf jeden Fall Mumm, stellte er fest, und das war eine Grundbedingung für den Job – neben Engagement und unerschütterlicher Gelassenheit.

Lisle brachte Kaffee, und als sie wieder draußen war, fragte Rico neugierig: „Was ist da eigentlich passiert?“ Er wies auf die Abdrücke auf dem Rock.

„Heute läuft einfach nichts wie geplant“, gestand Neen kläglich. „Ich hatte eine hübsche Rede vorbereitet, um Sie zu überzeugen, dass ich die Beste aller möglichen Bewerber bin. Stattdessen mache ich dumme Bemerkungen über den Lohn und …“ Sie ließ kurz die Schultern hängen. „Und jetzt ist es ohnehin egal, was ich noch sage. Wenn ich mir selber alles verderbe, nehme ich mir das nicht mal übel.“

Falls sie glaubt, dass sie aus dem Rennen ist, irrt sie sich, dachte Rico. Das würde er ihr aber nicht sagen. Noch nicht.

„Was ist denn nun passiert?“, hakte er nach.

Sie trank einen Schluck Kaffee und schlug die Beine übereinander. „Meine völlig durchgeknallte Nachbarin hat mir ihren Hund aufgehalst“, begann sie. „Ob Sie es glauben oder nicht, Sie hat ihn mir geschenkt und sich auf unbestimmte Zeit nach Italien abgesetzt, wo sie Aufträge als Fotomodell hat.“

„Aha. Und dieser Hund …“

„Er heißt Montgomery“, warf sie ein.

„Hat Ihnen die Abdrücke verpasst.“

„Mehr als das! Sie sollten mal den Zustand meines blauen Kostüms sehen! Von meiner Strumpfhose ganz zu schweigen.“ Wieder trank sie einen Schluck, sichtlich angetan vom Kaffee.

Rico probierte nun ebenfalls und war überrascht, wie gut das Gebräu schmeckte.

„Monty kann aber eigentlich nichts dafür“, verteidigte Neen nun ihren Schützling. „Audra hat ihn nicht erzogen, und mit vierzehn Monaten ist er fast noch ein Welpe.“

Erstaunt blickte er auf die Abdrücke, die seiner Meinung nach auch von einem ausgewachsenen Löwen hätten stammen können.

„Zu welcher Rasse gehört dieser Beinahe-Welpe?“, erkundigte er sich.

„Er ist eine dänische Dogge.“ Neen schüttelte den Kopf. „Kein süßer kleiner Chihuahua oder Zwergpudel für unsere Audra, oh nein! Das wäre ja ein Klischee. Sie wollte als das Model mit der Dogge bekannt werden.“

„Und? Hat es geklappt?“

Sie lächelte schelmisch. Also hatte sie nicht nur Mumm, sondern auch Humor. Wer immer den Job schließlich bekam, würde beide Eigenschaften im Überflüss brauchen.

„Bekannt wurden sie und Monty schon, aber nicht so, wie sie sich das vorgestellt hatte.“

„Also waren die beiden eher berüchtigt, ja?“ Rico lachte unwillkürlich, als er sich ausmalte, was der Hund wohl alles angestellt haben mochte. „Warum haben Sie ihn trotzdem genommen?“

„Weil Audra ihn in mein Haus geschmuggelt hat, während ich unter der Dusche stand“, erklärte sie. „Immerhin hat sie eine Notiz auf dem Küchentisch hinterlassen, bevor sie zum Flughafen entschwunden ist.“

Offensichtlich wusste diese Audra, dass man Neen nicht leicht überrumpeln konnte. Auch das sprach für Neen als Managerin.

„Was machen Sie jetzt mit Monty?“, erkundigte er sich.

„Ich muss ein gutes Zuhause für ihn finden. Sie sehen übrigens aus wie ein Mann, der unbedingt einen Hund braucht, Mr D’Angelo.“ Neen lächelte ihn so strahlend an, dass ihm kurz der Atem stockte.

Starr blickte er sie an und war kurz versucht, einfach zuzustimmen. Dann meldete sich glücklicherweise seine Vernunft zurück.

„Ich bin viel zu selten zu Hause“, wehrte er ab. „Es wäre also dem Hund gegenüber nicht fair.“

Während er das sagte, musste er sich ein Lächeln verkneifen. Neen ist ganz schön raffiniert, dachte er anerkennend.

„Wenn nur jeder, der sich einen Hund anschafft, so viel Voraussicht hätte!“, erwiderte sie ernsthaft. „Man müsste einen Befähigungstest bestehen, finde ich, bevor man sich einen Hund zulegen darf.“

„Dasselbe könnte man vom Kinderkriegen sagen.“

„Denken Sie an Ihre Problemteenager?“, fragte sie einfühlsam.

„Benachteiligte Jugendliche“, korrigierte Rico.

„Wortklauberei!“, kommentierte sie.

„Ich bestreite nicht, dass die Jungen Probleme haben“, gab er zu. „Aber alles, was sie brauchen, ist eine Chance. Und da komme ich ins Spiel. Der Zweck des Cafés ist es, unterprivilegierte junge Menschen in den Grundlagen von Küche und Service auszubilden und ihnen so einen Job in der Gastronomie zu ermöglichen.“

Neen trank aus und stellte den Becher auf den Schreibtisch. „Mr D’Angelo, ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit dem Projekt. Danke für den Kaffee. Und jetzt verabschiede …“

„Neen, Sie sind noch nicht aus dem Rennen!“

„Warum nicht?“ Sie musterte ihn mit schmalen Augen.

Ihr Argwohn kam für ihn überraschend. Aber eine vernünftige Dosis an Skepsis war bei dem Job, den er anbot, nicht verkehrt. Auch in diesem Punkt entsprach Neen also den Anforderungen!

„Nicht alle Bewerbungsgespräche waren Zeitverschwendung“, erklärte Rico. „Es gibt mindestens zwei Bewerber, die Potential haben.“

„Aber?“, hakte sie scharfsinnig nach.

„Ich bezweifle, ob sie engagiert genug sind.“

„Und warum halten Sie mich für geeignet, Mr D’Angelo?“

Da musste er keinen Moment lang nachdenken. „Sie sind ehrlich, Sie zeigen Rückgrat und Sie besitzen Humor. All das wird in diesem Job bitter nötig sein. Und es spricht für Sie, dass Sie Hunde mögen“, fügte Rico hinzu.

„Oh nein, das tue ich nicht“, widersprach Neen nachdrücklich. „Ich verabscheue Hunde. Sie sind lärmende, übelriechende, dumme Geschöpfe. Ich hätte lieber eine Katze.“

Verblüfft sah er sie an. „Aber Sie wollen doch einen guten Platz für Monty finden, statt ihn einfach ins Tierheim abzuschieben.“

„Das blöde Vieh kann ja nichts dafür, dass die Besitzerin es im Stich gelassen hat.“

„Ihre Worte beweisen mir endgültig, dass Sie eine integre Person sind. Und darauf lege ich großen Wert bei meinen Bewerbern.“

„Was ist mit meinem Mangel an Erfahrung?“, wollte sie wissen.

„Wieso Mangel?“ Er zog ihr Bewerbungsschreiben zu sich. „Sie arbeiten im gastronomischen Bereich, seit Sie vor acht Jahren die Highschool abgeschlossen haben.“

„Ja, ich war Kellnerin, Köchin und ich habe für zwei angesehene Cateringfirmen gearbeitet.“

Restaurantmanagerin war sie allerdings nicht gewesen, das stimmte. „Ich sehe hier, dass Sie vor Kurzem einen Kurs zur Leitung von Kleinbetrieben abgeschlossen haben, Miss Cuthbert.“

„Richtig. Mein langfristiges Ziel ist es, ein eigenes Café zu eröffnen.“

„Wie ehrgeizig!“

„Ich finde, man sollte große Ziele haben. Sie nicht?“

„Doch. Und was können Sie, Ihrer Meinung nach, in den angebotenen Job einbringen?“, fragte Rico.

„Sie meinen, abgesehen von Ehrlichkeit, Integrität, Mumm und Humor?“ Ihre Augen funkelten.

Er öffnete den Mund und zwang sich dann mit beinah übermenschlicher Anstrengung, Neen nicht gleich einzustellen. Immerhin kam nach ihr noch jemand zum Bewerbungsgespräch. Und er neigte sonst nicht zu spontanen Entschlüssen.

Sie wurde wieder ernst. „Was ich Ihnen bieten kann, ist Folgendes, Mr D’Angelo: gute Arbeit. Ich habe mich in meinen bisherigen Jobs bei verschiedensten Gelegenheiten als Managerin betätigen können, auch wenn es nie zur Jobbeschreibung gezählt hat. Ich möchte die Erfahrung sammeln, die Ihr Job mir bietet. Im Gegenzug werde ich hart arbeiten. Ich werde Sie nicht enttäuschen oder irgendwie hängen lassen.“

Das glaubte er ihr sofort. Er hatte nur noch eine Frage. Nein, zwei. „Warum sind Sie zurzeit ohne Anstellung?“

Sie zögerte kurz. „Aus persönlichen Gründen.“

Er lehnte sich abwartend zurück. Würde sie auf die Gründe näher eingehen?

Sie schien zu überlegen, ob es für ihn wirklich notwendig war, ihre Motive zu kennen – und ob sie ihm trauen konnte. Schließlich sagte sie: „Ich habe dieses Jahr eine Erbschaft gemacht, die mir die Erfüllung meines Traums ermöglichen würde. Dann wurde das Testament allerdings angefochten, und es ist noch keine Entscheidung gefallen.“

„Das tut mir leid.“

„So was passiert nun mal. Bis alles geklärt ist, wollte ich nicht untätig herumsitzen und fand es besser, mir einen Job zu suchen.“

„Eine abschließende Frage noch, Neen: Wären Sie bereit, einen Zweijahresvertrag zu unterschreiben?“

„Nein“, antwortete sie prompt.

Plötzlich kam ihm der Tag grau und trüb vor, und eine Last schien sich auf seine Schultern zu senken.

„Ich wäre allerdings bereit, mich für ein Jahr zu verpflichten“, fügte Neen hinzu.

Immerhin etwas, fand er. Aber es war nicht genug. Das war schade, denn in jeder anderen Hinsicht war Neen Cuthbert einfach perfekt für den Job.

Am nächsten Morgen ging Rico erneut die Unterlagen der drei Bewerber durch, die er in Betracht zog, dann rief er die Leute an, die als Referenz angegeben waren.

Der frühere Arbeitgeber des Bewerbers mit der größten Berufserfahrung stellte diesem leider ein schlechtes Charakterzeugnis aus. Aufbrausende und launische Menschen waren das Letzte, was das Projekt brauchte. Es war jemand nötig, der die Jungen verstand und förderte.

Sofort kam Rico die Person in den Sinn, die das schaffen würde: Neen Cuthbert.

Er prüfte die Referenzen seiner anderen Kandidatin. Die waren makellos. Danach rief er die Personen an, die Neen als Referenz angeben hatte. Alle empfahlen sie wärmstens und fügten hinzu, sie würden Neen sofort wieder einstellen.

Rico überlegte. Der Job des Managers war ungeheuer wichtig, deshalb durfte er keine Fehlentscheidung treffen. Neens Konkurrentin Helen Clarkson besaß mehr Erfahrung und war bereit, einen Zweijahresvertrag zu unterschreiben. Was gab es da noch zu überlegen?

Er ging ins Vorzimmer. „Lisle, würden Sie bitte Helen Clarkson anrufen und ihr den Job anbieten? Wenn sie Ja sagt, soll sie …“

„Ich habe gerade eben mit ihr telefoniert und von ihr erfahren, dass sie eine Anstellung in Launceston angenommen hat“, berichtete die Sekretärin.

Hatte Helen nicht behauptet, sich für sein Projekt mit aller Kraft einzusetzen, wenn sie den Job bekam? Das war also eine Lüge gewesen.

Neen war keine Lügnerin …

„Na schön, dann bieten sie Neen Cuthbert die Stelle an“, sagte Rico schroff. „Sie soll irgendwann diese Woche herkommen und den Vertrag unterschreiben.“

„Alles klar.“

Er ging in sein Büro zurück und widmete sich den Bergen von Unterlagen und Ansuchen, die sich auf seinem Schreibtisch türmten.

Eine Stunde später warf er den Kugelschreiber hin. Der ganze Papierkram machte ihn jedes Mal wütend. Er eilte zur Tür und riss sie auf.

„Haben Sie Neen Cuthbert schon erreicht?“, blaffte er Lisle an.

„Sie hat mit Freuden zugestimmt“, erwiderte diese ungerührt.

„Ausgezeichnet!“ Er blickte auf seine Uhr. „Sie lebt in Bellerive, richtig?“

„Stimmt.“

„Ich habe ein Geschäftsessen mit dem Manager des Eastland Shopping Center. Wenn ich schon auf der anderen Seite des Hafens bin, kann ich Miss Cuthbert gleich den Vertrag vorbeibringen.“

Lisle reichte ihm die entsprechenden Papiere. „Sie wissen doch, dass Harleys Stelle nächste Woche ausgeschrieben wird, Rico? Sie sollten sich bewerben.“

„Ich bin hier von größerem Nutzen“, wehrte er ab.

„Da vergeuden Sie aber Ihre Talente“, meinte sie ehrlich.

„Trotzdem. Ich bin glücklich in meiner Position.“

Glücklich? dachte er dann. Nein! Aber immerhin bewegte er hier etwas. Um Glück ging es ihm nicht.

„He, Monty, mach mal Pause“, rief Neen entnervt und drehte das Radio lauter.

Aber das ausdauernde Bellen des großen Hundes ließ sich nicht übertönen. Wenn das nicht bald aufhörte, würden die Nachbarn sich beschweren.

Ich brauche doch nur eine halbe Stunde, um das Wichtigste fürs Abendessen vorzubereiten, dachte sie verzweifelt und schnitt weiter Zwiebeln. Dann konnte sie ihn wieder hereinlassen. Aber ohne ihre ständige Aufsicht würde er das kleine Haus verwüsten. Da er wusste, dass sie drinnen war, bellte er und bellte und bellte …

Neen öffnete das Küchenfenster, das auf den kleinen Hof hinausging, und Monty kam sofort angelaufen, hörte aber nicht zu bellen auf. Dabei schaute er nicht sie an, sondern eher an ihr vorbei. Plötzlich prickelte es in ihrem Nacken, als sie in der Fensterscheibe eine Bewegung hinter sich wahrnahm.

Das Messer fest umklammernd wandte Neen sich um, jeder Muskel ihres Körpers war angespannt. In der offenen Tür stand ein Mann, nur als dunkler, breiter Umriss zu erkennen. Adrenalin schoss ihr durch die Adern, und ihr Herz pochte wie wild.

Der Eindringling hob beschwichtigend die Hände und ging rückwärts durch den Flur, bis er draußen vor der Tür mit dem Fliegengitter stand. Jetzt erst erkannte Neen den unangekündigten Besucher: Es war Rico D’Angelo. Ihr neuer Boss.

Rasch schaltete sie die Musik aus, dann befahl sie dem Hund, still zu sein. Zu ihrer Überraschung gehorchte er.

„Neen, es tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe“, entschuldigte Rico sich.

Ihr wurde bewusst, dass sie noch immer das Messer umklammerte. Peinlich berührt ließ sie es in die Spüle fallen. Dann verschränkte sie die zitternden Finger.

„Mr D’Angelo, kommen Sie doch bitte rein!“, forderte sie ihn auf.

Er hielt einige Papiere hoch. „Ich wollte Ihnen nur den Vertrag vorbeibringen.“

Monty fing wieder an zu bellen, und sie presste die Hände an die Schläfen.

„Wie wäre es mit einem Spaziergang?“, schlug Rico D’Angelo unerwartet vor. „Monty scheint Bewegung zu brauchen, so wie er klingt.“

„Sie haben doch sicher viel zu tun“, wehrte sie ab.

„Nein. Ich bin hier, weil ich einige Punkte mit Ihnen besprechen wollte. Ich hätte Sie vorher anrufen sollen, ich weiß, aber ich hatte hier in der Nähe zu tun und dachte, ich komme auf gut Glück vorbei.“

Ein Spaziergang ist eine gute Idee, dachte Neen. Er würde ihr helfen, das innere Gleichgewicht wiederzufinden.

„Wenn Sie wirklich so viel Zeit haben?“

„Die habe ich.“

„Dann hole ich nur schnell Montys Leine.“

Sie leinte den Hund an und führte ihn vors Haus, wo Rico D’Angelo auf sie wartete. Dann schloss sie die Haustür sorgfältig ab. Beim Weitergehen vermied sie es, zum Carport zu blicken und vor allem auf ihr Auto, das dort mit vier aufgeschlitzten Reifen stand. Hoffentlich hatte ihr neuer Boss das nicht bemerkt!

„Wie schön, dass Sie das Angebot angenommen haben“, begann Rico freundlich. „Ich setze große Hoffnungen in das Caféprojekt, und ich weiß, dass Sie den Job als Managerin perfekt erledigen werden.“

Sein Lächeln war zu freundlich. Zu mitleidig. Zu … wissend.

„Ihnen sind die kaputten Reifen aufgefallen, oder?“, fragte Neen und seufzte leise.

In dem Moment versuchte Monty, vorwärtszustürmen. Rico nahm ihr die Leine ab.

„Ist das letzte Nacht passiert?“

Sie nickte. „Und nun stellt sich erst recht die Frage, wie ich so fahrlässig sein konnte, meine Haustür nicht abzuschließen.“

„Ist Monty vielleicht schuld?“

„Na ja, er begrüßt mich immer sehr begeistert“, gab sie zu. „Da bin ich genug damit beschäftigt, auf den Füßen zu bleiben.“

Sie hätte geschworen, dass sie abgeschlossen hatte, aber offensichtlich hatte sie es vergessen. Seit sie erfahren hatte, dass der letzte Wille ihres Großvaters angefochten wurde, waren ihre Gefühle ein einziges Chaos und ihre Konzentrationsfähigkeit war gleich Null.

„Haben Sie den Vorfall der Polizei gemeldet?“, wollte Rico wissen.

„Ja. Mr D’Angelo, es tut mir sehr leid, dass …“ Ihr wurde elend beim Gedanken, dass sie ihn in ihrer Panik mit dem Messer hätte verletzen können. „Ich bin im Moment ein bisschen mit den Nerven herunter.“

Am Ende der Straße blieb sie stehen. „Sitz, Monty“, befahl sie.

Der Hund sah sie treuherzig an.

Sie gab ihm ein Handzeichen, und er gehorchte. „Braver Hund“, lobte sie ihn und kraulte seine Ohren.

Dann überquerten sie die Straße und wandten sich nach rechts zum Strand.

„Monty gehorcht mir mittlerweile besser“, meinte sie, um überhaupt etwas zu sagen.

„Hören Sie, Neen, ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Ich hätte nicht einfach in Ihr Haus kommen dürfen. Es tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe“, sagte Rico und sah sie mit seinen ungewöhnlich dunklen Augen reuig an. „Allerdings hatte ich mehrmals geklopft und gerufen.“

„Bei dem Getöse, das Monty und das Radio veranstaltet haben, konnte ich natürlich nichts hören. Es war nicht Ihre Schuld“, beruhigte sie ihn. „Also brauchen Sie sich nicht zu entschuldigen, Mr D’Angelo.“

„Nennen Sie mich doch bitte Rico“, forderte er sie auf und blieb stehen. „Hören Sie, Neen, mir musste vorhin einfach auffallen, dass nur bei Ihrem Auto die Reifen aufgeschlitzt wurden. Gibt es da etwas, was ich unbedingt wissen sollte?“

Autor

Michelle Douglas
Das Erfinden von Geschichten war schon immer eine Leidenschaft von Michelle Douglas. Obwohl sie in ihrer Heimat Australien bereits mit acht Jahren das erste Mal die Enttäuschung eines abgelehnten Manuskripts verkraften musste, hörte sie nie auf, daran zu arbeiten, Schriftstellerin zu werden. Ihr Literaturstudium war der erste Schritt dahin, der...
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