Sommer der Sinnlichkeit

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Sinnlicher Sommer in San Francisco: Noch nie hat Kerry sich so sehr zu einem Mann hingezogen gefühlt wie zu Ford Ashton. Doch als sie sich ihm nach leidenschaftlichen Küssen rückhaltlos hingeben will, zeigt er ihr plötzlich die kalte Schulter …


  • Erscheinungstag 20.06.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733747091
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

San Francisco, 1991

Sally Barnett Ashton war tot.

Spencer Ashton thronte in seinem vornehmen Büro der Ashton-Lattimer Corporation. Ihm gegenüber saß der Privatdetektiv, der ihm die Nachricht überbracht hatte und jetzt ein Gesicht machte, als erwartete er, sein Auftraggeber würde mit Trauer auf den Tod seiner ersten Frau reagieren. Das Gegenteil war der Fall. Spencer empfand nichts als Erleichterung, dass Sally endgültig aus seinem Leben verschwunden war. „Was ist mit den Zwillingen?“

„Sie sind jetzt achtundzwanzig. Grant lebt immer noch in Nebraska. Er hat die Farm Ihrer Schwiegereltern übernommen.“

„Meiner Ex-Schwiegereltern.“ Spencer hatte die Barnetts mit Inbrunst gehasst.

„Bis zu Sallys Tod waren es Ihre Schwiegereltern. Sie haben sich nie von ihrer Tochter scheiden lassen.“

Spencer war mit seiner Geduld am Ende. „Das interessiert jetzt nicht, Rollins. Reden Sie endlich weiter.“

„Wie ich schon sagte, Grant bewirtschaftet die Farm. Und zwar sehr erfolgreich. Er ist nicht nur ein guter Farmer, sondern auch ein ausgezeichneter Geschäftsmann.“

Offensichtlich hatte Grant den Geschäftssinn seines Vaters geerbt. „Was ist mit seiner Schwester?“

„Ihre Tochter Grace hat zwei Kinder, Ford und Abigail Ashton. Sie wurden 1979 und 1981 geboren.“

„Ashton?“

Rollins blätterte durch seine Unterlagen. „Ja. Sie ist nicht verheiratet. Die Väter der Kinder sind unbekannt.“

Nach außen wirkte Spencer kühl und gelassen, doch innerlich kochte er. Nicht, weil seine Tochter zwei uneheliche Kinder in die Welt gesetzt hatte. Er war wütend, weil er selbst damals gezwungen worden war, das schwangere Mauerblümchen zu heiraten. Bei seinem Nachwuchs waren offensichtlich andere Maßstäbe angelegt worden. „Wo lebt Grace jetzt?“

Rollins rieb sich das Kinn. „Gute Frage. Angeblich ist sie vor etwa fünf Jahren, als die Kinder gerade in der Grundschule waren, mit einem Verkäufer durchgebrannt. Ich konnte sie nicht ausfindig machen. Wenn Sie wollen, forsche ich weiter nach ihr.“

„Das ist nicht nötig. Was ist mit ihren Kindern?“

„Ihr Sohn ist der gesetzliche Vormund Ihrer Enkel. Er zieht sie allein auf.“

Spencer fand es irgendwie paradox, dass er Enkel hatte, die genauso alt waren wie seine jüngsten Kinder. „Grant ist nicht verheiratet?“

„Nein. Bisher nicht.“

Anscheinend hatte er die Intelligenz seines ältesten Sohnes überschätzt. Warum halste sich ein Mann Kinder auf, die nicht einmal seine eigenen waren? Und wieso kümmerte er sich überhaupt um Kinder? Das war in seinen Augen Frauensache.

Spencer blickte den Privatdetektiv ernst an. „Ich kann mich doch darauf verlassen, dass Sie in Crawley diskret vorgegangen sind?“

„Natürlich. Ich habe jedem erzählt, dass wir uns als Teenager kennengelernt und dann aus den Augen verloren haben. Dabei habe ich festgestellt, dass die Einwohner nicht gut auf Sie zu sprechen sind. An Ihrer Stelle würde ich mich dort nicht so bald blicken lassen.“

Spencer hatte nicht die Absicht, jemals wieder in das gottverlassene Nebraska zu reisen. „Ihnen ist hoffentlich klar, dass absolute Diskretion Ihrerseits unerlässlich ist.“

„Spielen Sie auf mein Wissen an, dass Ihre zweite Ehe ungültig war, weil Sie von Ihrer ersten Ehefrau nie geschieden wurden?“

Richtig, aber die Ehe mit seiner jetzigen Frau war gültig, obwohl ihm Lilah absolut egal war. Ihre Stelle könnte schnell eine andere Frau einnehmen. Oft genug hatte er sie schon betrogen. Das war der Vorteil, wenn man blauäugige Sekretärinnen hatte und Macht besaß. „Ich zähle auf Ihre Verschwiegenheit. Ansonsten werden Sie in dieser Stadt nie wieder einen Auftrag bekommen.“

Rollins machte endlich ein betretenes Gesicht. „Ich bin Profi, Mr. Ashton. Sie können mir vertrauen.“

Spencer vertraute niemandem außer sich selbst. „Schön. Ich nehme Sie beim Wort.“

Der Privatdetektiv zögerte einen Moment, bevor er fragte: „Fürchten Sie nicht, dass die Wahrheit eines Tages ans Licht kommt? Und wenn das passiert, würde das nicht bedeuten, dass Sie das Unternehmen verlieren? Schließlich gehörte es dem Vater Ihrer zweiten Frau.“

„Keine Sorge. Ihr Vater hat mir seine Anteile überschrieben. Caroline hat keinen Anspruch darauf.“ Spencer unterdrückte ein Lächeln. Der alte Lattimer und seine Tochter waren leichte Beute für ihn gewesen.

„Ich denke, damit ist meine Arbeit erledigt.“ Rollins schob seinen Stuhl zurück und deutete auf die Unterlagen. „Dort finden Sie alle Details. Kopien der Geburts- und Sterbeurkunden. Außerdem ein paar Fotos, die mir in die Hände gefallen sind. Vor allem eins von Ihrem Sohn. Falls es Sie interessiert, wie er heute aussieht.“

Spencer nickte nur. „Das wäre dann alles.“ Er holte einen Umschlag aus einer Schublade und reichte ihn dem Privatdetektiv. „Der vereinbarte Betrag in bar, plus Zuschlag für Ihr Schweigen.“

Rollins lächelte ihn durchtrieben an. „Viel Spaß auf der Reise in die Vergangenheit.“

Ohne sich zu verabschieden, verließ der Mann das Büro und ließ Spencer mit Erinnerungen an seine Vergangenheit zurück.

Kaum war Spencer allein, blätterte er durch die Unterlagen. Er fand das Foto seines Sohnes in einem Zeitungsartikel im Crawley Crier. Grant hatte eine Auszeichnung von der Stadt bekommen. Ein Junge von etwa dreizehn Jahren und ein zwei Jahre jüngeres Mädchen standen rechts und links von Grant. Anständig aussehende Kinder, soweit man das von Kindern sagen konnte. Aber schließlich hatten sie auch seine Gene.

Gelangweilt schloss er die Akte, so wie er dieses Kapitel seines Lebens vor langer Zeit abgeschlossen hatte. Er musste sich keine Sorgen mehr machen, dass Sally eines Tages vor seiner Tür stehen könnte. Und sein dummer Sohn und seine leichtfertige Tochter auch nicht. Seine Vergangenheit in Crawley war so tot wie die Stadt selbst.

Spencer Ashton lebte ein faszinierendes Leben, musste niemandem gegenüber Rechenschaft ablegen, und er würde dieses Leben noch viele Jahre fortführen. Ja, er würde jeden überleben.

1. KAPITEL

August, vierzehn Jahre später

Spencer Ashton war tot, und Grant Ashton war wegen Mordes angeklagt.

Sein ganzes Leben hatte Ford Ashton darunter gelitten, als das uneheliche Kind eines angeblichen Flittchens abgestempelt zu werden, das die eigenen Kinder im Stich gelassen hatte. Aber seinen Onkel – den Mann, der ihn und seine Schwester liebevoll aufgezogen hatte – in Gefängniskleidung und mit Fußketten zu sehen, war der schlimmste Moment im Leben des Sechsundzwanzigjährigen.

Ford stand inmitten neugieriger Zuschauer im Gerichtssaal von San Francisco und hörte traurig und wütend zugleich, wie der Vorsitzende Richter verkündete: „Untersuchungshaft, keine Entlassung gegen Kaution.“ Wütend und verzweifelt kämpfte er sich durch die Menge. Bevor er jedoch seinen Onkel erreichen und ihm sagen konnte, wie viel er ihm bedeutete, wurde dieser von bewaffneten Beamten fortgeführt.

Nur ihre Blicke trafen sich noch, und Ford sah die Resignation in den Augen seines Onkels.

Grant durfte nicht aufgeben. Nicht jetzt. Nicht nach allem, was sie gemeinsam durchgemacht hatten. Ford ballte die Fäuste. Er war verzweifelt angesichts der Ungerechtigkeit. Verzweifelt, wütend und frustriert.

„Mr. Ashton.“

Ford drehte sich zu einem ihm unbekannten aalglatten jungen Mann in dunklem Anzug um. Ohne Zweifel ein Presseheini. „Ich beantworte keine Fragen.“

Der Mann schob seine Brille hoch. „Ich bin kein Reporter. Ich arbeite für den Anwalt Ihres Onkels. Wenn Sie mir bitte folgen? Da ist jemand, der Sie gern sprechen würde.“

Offensichtlich bekam er doch noch die Gelegenheit, mit Grant zu reden. Ohne zu zögern trat er in den Vorraum. Links von ihm machten sich die Reporter über die Staatsanwaltschaft und den Verteidiger her und konnten nur mit Mühe von den Sicherheitskräften zurückgehalten werden. Er folgte dem jungen Mann durch einen schmalen Gang zu einem abseits gelegenen Raum. Der Mann öffnete die Tür. Statt Grant erblickte Ford Caroline Sheppard – früher Caroline Ashton – und ihren zweitältesten Sohn Cole an dem kleinen Besprechungstisch.

„Ich lasse Sie jetzt allein“, sagte der junge Mann und schloss die Tür.

Caroline stand auf und ging mit ausgebreiteten Armen auf Ford zu. „Es tut mir so leid, Ford.“

Er ließ sich von ihr umarmen und verbarg seine Enttäuschung hinter einem Lächeln. „Ich freue mich, dich zu sehen, Caroline.“

Cole trat zu ihnen und schüttelte Ford die Hand. „Tut mir leid, dass wir uns unter diesen traurigen Umständen wiedersehen, Ford. Wir waren nicht sicher, ob du es schaffst, rechtzeitig hier zu sein.“

„Das war auch knapp. Ich habe einen Flug nach Denver bekommen und dort die Nacht im Flughafen verbracht, sodass ich heute Morgen gleich den ersten Flug nach San Francisco nehmen konnte.“

Caroline sah ihn mütterlich besorgt an. „Dann hast du also gar nicht geschlafen?“

„Nein, aber nach der schlechten Nachricht hätte ich sowieso schlafen können.“

Caroline fuhr sich durch die blonden Haare. „Tut mir leid, dass ich dir nicht persönlich sagen konnte, dass Grant verhaftet worden ist, sondern auf den Anrufbeantworter sprechen musste. Aber ich wusste nicht, wie ich dich erreichen konnte.“

„Du musst dich nicht entschuldigen, Caroline. Woher solltest du wissen, dass ich geschäftlich unterwegs war? Es wundert mich allerdings, dass Grant dir nicht meine Handynummer gegeben hat.“

Caroline seufzte. „Grant wollte nicht, dass ich dich anrufe. Aber das war ich dir schuldig. Außerdem wollte ich verhindern, dass Abby und du aus dem Fernsehen davon erfahrt.“

Abby. Ford hatte kein gutes Gefühl bei dem Gedanken, seiner Schwester von den Geschehnissen zu berichten. Seine Schwester war zwar eine starke Persönlichkeit, aber sie war auch schwanger. Mit Zwillingen. „Seit dem Mord sind drei Monate vergangen. Ich dachte, sie hätten Grant vielleicht von der Liste der Verdächtigen gestrichen. Warum ist er plötzlich verhaftet worden?“

„Es hat sich ein Zeuge gemeldet, der behauptet, gesehen zu haben, wie Grant ein paar Minuten vor neun Uhr abends, der mutmaßlichen Tatzeit, das Gebäude betrat“, antwortete Cole. „Dieser Zeuge hat Grant bei einer Gegenüberstellung wiedererkannt.“

Wenn Grant doch nur in Nebraska geblieben wäre, statt nach San Francisco zu reisen, um seinem charakterlosen Vater gegenüberzutreten. Dann wäre das alles nicht passiert, und er würde bei der Ernte helfen, statt des Mordes an seinem Vater angeklagt zu sein.

Eines aber wusste Ford genau – sein Onkel war vielleicht wütend gewesen, vielleicht hatte es auch tatsächlich einen heftigen Streit gegeben, doch Grant würde niemals einen Menschen umbringen. „Er hat es nicht getan.“

„Das wissen wir, Ford“, sagte Caroline.

„Wer ist der angebliche Zeuge, und warum hat es so lange gedauert, bis die Polizei ihn präsentiert hat?“

„Wir kennen keine Einzelheiten“, erwiderte Cole. „Doch du kannst am Montag mit Grants Anwalt sprechen.“

„Warum erst Montag und nicht jetzt?“

„Heute hat er noch eine Gerichtsverhandlung, und am Wochenende ist er leider nicht in der Stadt.“

„Edgar Kent genießt einen ausgezeichneten Ruf als Strafverteidiger“, fügte Caroline hinzu. „Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass wir ihn engagiert haben.“

„Im Gegenteil, ich bin euch sehr dankbar.“ Ford hatte Caroline erst vor sechs Monaten anlässlich Abbys Hochzeit in Napa kennengelernt, aber er mochte sie sehr. „Wann darf ich Grant sehen?“

Caroline und Cole tauschten einen flüchtigen Blick. „Laut Mr. Kent ist es gar nicht möglich. Du kannst nur über den Anwalt mit ihm kommunizieren.“

„Grant wird wie ein Schwerverbrecher behandelt!“ Ford fiel es immer schwerer, seine Wut unter Kontrolle zu halten. „Wieso kommt er nicht gegen Kaution frei?“

„Nach Meinung des Richters besteht Fluchtgefahr. Er ist nicht in San Francisco ansässig. Und er ist ein Ashton, der, wie der Richter glaubt, genug Verbindungen und Geld hat, um sich ins Ausland abzusetzen.“

Grant mochte Geld haben und den Namen Ashton tragen, aber er entzog sich nicht der Verantwortung. „Das ist lächerlich. Er war noch nie woanders als in Nebraska und Kalifornien. Was geschieht als Nächstes?“

„Zunächst steht die Entscheidung an, ob die Klage zugelassen wird. Wenn ja, wird ein Gerichtstermin festgelegt. Ich fürchte, dieser Vorgang nimmt einige Zeit in Anspruch.“

„Ich werde Grant da rausholen. Koste es, was es wolle.“

„Grant hat geahnt, dass du so etwas sagen wirst“, sagte Caroline. „Er möchte, dass du die Sache der Polizei überlässt.“

„Der Polizei überlassen?“ Ford konnte seine Wut kaum noch zügeln. „Die hat doch jetzt ihren Schuldigen. Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie Grant im Gefängnis verkommt, während er auf den unwahrscheinlichen Fall wartet, dass die Anklage fallen gelassen wird. Ich werde selbst ein paar Nachforschungen anstellen.“

Cole sah ihn verständnisvoll an. „Ich kann dich gut verstehen. Vielleicht kann ich dir helfen. Ich habe da ein paar Informationen. Sie betreffen Spencers Assistentin bei Ashton-Lattimer, Kerry Roarke. Ich habe sie und Spencer vor ein paar Monaten zusammen in einem Restaurant gesehen, als ich mit Dixie dort war. Vielleicht weiß sie mehr, als sie zugibt, zumal sie behauptet, gehört zu haben, wie Grant Spencer bedroht hat.“

„Grant hat mir davon erzählt, und er hat gesagt, dass es stimmt. Deshalb weiß ich nicht, wie sie mir helfen sollte.“

Caroline legte den Arm um ihren Sohn, als benötigte sie eine Stütze. „Ford, wir alle wissen, wie schändlich Spencer die Frauen behandelt hat. Ich habe immer damit gerechnet, dass sich eines Tages eine Frau in irgendeiner Weise rächen wird. Vielleicht ist Kerry Roarke diese Frau.“

Zu den betrogenen Frauen gehörten Fords Großmutter und Caroline. „Du glaubst, dass Kerry ihn umgebracht hat?“

„Sie hat ein wasserdichtes Alibi“, sagte Cole. „Offensichtlich besucht sie eine Abendschule. Aber sie könnte jemanden mit dem Mord beauftragt haben.“

Caroline runzelte die Stirn. „Das wäre teuer. Und soviel ich weiß, hat sie kein Geld.“

„Ich werde es herausfinden. Habt ihr eine Ahnung, wo ich sie auftreiben kann?“

„Ich weiß nur, dass sie noch bei Ashton-Lattimer arbeitet“, sagte Caroline. „Spencers Neffe Walker müsste dir weiterhelfen können. Er leitet die Firma seit letztem Monat. Auch wenn er Spencer gegenüber sehr loyal war und uns nicht besonders mag, kann man sicherlich mit ihm reden.“

Das war zumindest ein Anfang. „Könnt ihr mir seine Telefonnummer geben? Dann rufe ich ihn an, sobald ich in einem Hotel eingecheckt habe.“

„Du kannst bei uns auf The Vines wohnen“, bot Caroline an.

„Vielen Dank für das Angebot, aber Napa ist zu weit entfernt von San Francisco. Wenn ich etwas über diese Kerry Roarke erfahren will, muss ich mich in der Stadt aufhalten.“

„Sei vorsichtig, Ford“, warnte Cole. „Wenn sie herausfindet, dass du ein Ashton bist, wird sie nicht mit dir sprechen, vor allem dann nicht, wenn sie irgendetwas mit Spencers Tod zu tun hat.“

„Es wird schon klappen.“

Ford hatte nichts für Frauen übrig, die sich nicht um Moral und Anstand scherten und eine Affäre mit einem verheirateten Mann anfingen. Spencer mochte den Ruf eines Frauenhelden genießen, aber zu einer Affäre gehörten immer noch zwei, und deshalb trug diese Kerry Roarke mindestens genauso viel Schuld daran wie sein Großvater. Auch wenn sich herausstellen sollte, dass sie nichts mit seinem Tod zu tun hatte. Irgendjemand musste Spencer ermordet haben, und Grant war es nicht.

Caroline verflocht die Finger ineinander, ein Zeichen ihrer inneren Unruhe. „Wir sollen dich auch von Lucas und Eli grüßen. Es tut ihnen leid, dass sie nicht kommen konnten, aber sie mussten auf dem Weingut bleiben. Dort ist im Moment sehr viel los. Von Jillian und Mercedes sollen wir dir ausrichten, dass sie sich freuen, dich bald zu sehen. Sie sind in Gedanken bei Grant und dir.“

Ford nahm ihre Hände. „Schon gut, Caroline. Ich verstehe, dass die Mädchen nicht hier sind. Schließlich ist Grant angeklagt, ihren Vater umgebracht zu haben.“

„Er war kein Vater für uns, Ford. Nicht wie Grant für dich. Es ist schwer für uns, weil wir an Grants Unschuld glauben, nicht, weil Spencer tot ist.“

Ford schüttelte Coles Hand. „Vielen Dank für eure Unterstützung.“

„Kein Problem. Du gehörst zur Familie.“ Cole deutete zur Tür. „Wir können dich zu einem Hotel fahren. Der Wagen steht hinter dem Gebäude. Kent hat empfohlen, den Hintereingang zu nehmen, um der Presse aus dem Weg zu gehen.“

Das kam Ford sehr gelegen, denn er wollte auf keinen Fall, dass seine Identität durch Fotos in den Zeitungen preisgegeben wurde. Wenn er bei dieser Kerry Roarke etwas erreichen wollte, durfte sie nicht wissen, dass er ein Ashton war.

„Sei bitte vorsichtig, Ford“, bat Caroline ihn.

Er würde vorsichtig sein. Sogar sehr vorsichtig. Und er würde die Unschuld seines Onkel beweisen, egal wie. Auch wenn es bedeutete, dass er lügen musste.

Kerry Roarke hatte schon früh im Leben etwas gelernt: Sei immer wachsam im Umgang mit Männern.

Diese Lektion hatte sie nie vergessen, und es störte sie nicht, dass manche Menschen einfach nicht begriffen, warum es ihr schwerfiel, sich mit einem Mann einzulassen. Vor allem ihre Freundinnen nicht, mit denen sie wie üblich den Freitagabend in einer angesagten Bar in Nob Hill verbrachte. Wie immer drehten sich die Gespräche um deren aktives und Kerrys nicht vorhandenes Liebesleben.

Vor ein paar Minuten hatten sich die Frauen von Kerry verabschiedet, um sich ins Nachtleben zu stürzen, nicht ohne Kerry wie üblich zu ermahnen, endlich auch einmal das Leben zu genießen. Lachend hatten sie ihr noch zwei Kondome in die Tasche gesteckt.

Kondome oder nicht, Kerry war nicht auf Männerfang aus. Weder heute, noch an einem anderen Tag. Sie verfolgte ihre Karriere und hatte außerdem noch nicht mit ihrer schmerzlichen Vergangenheit abgeschlossen.

Deshalb war sie in der Lounge geblieben, einem relativ sicheren Platz, um sich zu entspannen. Auch hier war sie schon von Geschäftsleuten angebaggert worden, doch sie hatte mittlerweile Übung darin, sich unnahbar und prüde zu geben. Die meisten Männer, die ein schnelles Abenteuer im Sinn hatten, wurden dadurch abgeschreckt. Nur ihr widerlich aufdringlicher Chef nicht, der jetzt glücklicherweise nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Trotz Kerrys Desinteresse an einer Beziehung weckte ein Mann in diesem Moment ihre Neugier. Er stand mit einem Bierglas in der Nähe des Eingangs und hob sich wohltuend von den Stammgästen ab. Er trug eine schlichte blaue Jacke über einem weißen Hemd, keine Krawatte, enge Jeans und braune Cowboystiefel, was nicht dem Outfit der Firmenchefs entsprach, die hier verkehrten. Mit seiner gebräunten Haut und den blonden fransig geschnittenen Haaren wirkte er eher wie ein Sportler. Ein Surfer vielleicht. Ein außerordentlich attraktiver Surfer.

Doch sie war nicht interessiert. Überhaupt nicht. Vielleicht etwas, aber nicht genug, um ihn zu einem Drink einzuladen.

Du musst mal etwas riskieren, Kerry …

Um den ungebetenen Rat ihrer Freundinnen und den attraktiven Fremden zu ignorieren, konzentrierte Kerry sich auf einen Tropfen Kondenswasser, der an ihrem Glas herunterlief. Entgegen aller Vernunft musste sie immer wieder zu ihm sehen. Und als er sich von der Wand abstieß und in ihre Richtung schlenderte, schenkte sie ihm ihre volle Aufmerksamkeit.

Der Mann kam definitiv nicht von hier, was schon sein Gang verriet. In San Francisco waren die Menschen immer in Eile, beim Gehen, beim Sprechen, beim Arbeiten. Dieser Mann nicht. Langsam bahnte er sich seinen Weg an den Tischen vorbei zur Bar. Je näher er kam, desto größer wirkte er – und desto mehr Selbstbewusstsein strahlte er aus.

Kerry trank einen Schluck und stellte dann ihr Glas ab. Sie richtete ihren Blick auf die durchnässte Cocktailserviette unter ihrem Glas. Erst als sie das Knarren eines Barhockers hörte, hob sie den Kopf und starrte auf die Schnapsflaschen auf dem Regal hinter der Bar. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte sie, dass er zwei Hocker weiter saß. Eine angenehme Distanz und die Botschaft, dass er es nicht auf sie abgesehen hatte.

Statt Erleichterung zu verspüren, war sie eher enttäuscht. Was sie nicht sein sollte. Denn egal, wie attraktiv der Mann war, er war ein Fremder, und schon dadurch ging eine gewisse Gefahr von ihm aus. Also, dachte sie, trink aus, nimm deine Tasche und geh nach Hause. Dann iss etwas und sieh dir einen Film mit Millie an, deiner überspannten, aber geliebten Vermieterin. Und hör endlich auf, diesem tollen Typen heimliche Blicke zuzuwerfen.

„Entschuldigen Sie.“

Kerry hätte vor Schreck fast ihr Glas fallen lassen. Sie schluckte und blickte dann zu dem Mann zwei Hocker weiter – direkt in seine Augen. Und was für Augen! Blau wie das Meer und funkelnd wie Millies Kristallsammlung. Umrahmt wurden sie von langen dunklen Wimpern.

Kerry räusperte sich. „Haben Sie mich gemeint?“

„Ja, Ma’am. Wohnen Sie hier?“

Ein typischer Aufreißerspruch, abgesehen von dem Ma’am. „Nicht direkt. Zu laut.“

Er lachte, und Kerry starrte fasziniert auf das markante Grübchen in seinem Kinn. Der dunkle Bartschatten bot einen reizvollen Kontrast zu seinen blonden Haaren. Sie glaubte jedoch nicht, dass die Haare gefärbt waren, sondern wahrscheinlich von der Sonne so hell.

Er legte die Hände auf den Schoß. Große, kräftige Hände mit langen Fingern. Männerhände. „Ich meinte, wohnen Sie in San Francisco?“

„Ja.“ Seit zehn Jahren, wovon nicht alle schön gewesen waren.

„Gut. Dann können Sie mir vielleicht helfen.“ Er zog einige Prospekte aus der Jackentasche und breitete sie vor sich auf dem Tresen aus. „Ich bin nur ein paar Tage in San Francisco und kann mich nicht entscheiden, was ich zuerst unternehmen soll. Hätten Sie irgendwelche Vorschläge?“

Oh ja, sie wüsste schon etwas. Das behielt sie aber besser für sich und beantwortete einfach höflich seine Frage. „Lassen Sie mal sehen.“

Er sammelte die Prospekte zusammen und rückte näher zu ihr. Kerry nahm den unaufdringlichen, frischen Duft seines Aftershaves wahr. Sehr angenehm. Er reichte ihr die Hand. „Ford Matthews.“

Er hatte einen kräftigen Händedruck. Nicht dramatisch fest, einfach männlich kräftig und selbstbewusst. Wie sie es erwartet hatte. „Kerry Roarke.“

„Freut mich, Sie kennenzulernen, Kerry.“

„Ford ist ein interessanter Name. Ich glaube, ich habe ihn gerade kürzlich einmal gehört. Allerdings kann ich mich nicht erinnern, wo.“

„Sie denken sicher an die Automarke.“ Er lächelte. „Ich könnte Sie mir gut in einem roten Ford Mustang Cabrio vorstellen.“

„Kaum.“

„Als Teenager haben Sie bestimmt davon geschwärmt.“

Als Teenager hatte sie andere Probleme gehabt. „Ich habe weder davon geschwärmt, noch jemals ein Cabrio besessen.“

„Ehrlich gesagt, ich auch nicht. Ich mag eher Trucks. Die braucht man dort, wo ich herkomme.“

„Und woher kommen Sie, Ford?“

„Aus einer Kleinstadt im Mittleren Westen.“

„Der Mittlere Westen ist groß. Aus welchem Staat?“

Er zögerte einen Moment, dann sagte er: „Kansas.“

Das kurze Zögern beunruhigte sie etwas, aber vielleicht hatte er Probleme mit seiner Herkunft. „Womit verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt?“

„Ich bin Farmer. Ich baue Mais an und habe ein paar Pferde und Rinder.“

Der Mann gefiel Kerry immer besser. Er unterschied sich wohltuend von den überheblichen wohlhabenden Männern, mit denen sie so oft zu tun hatte. „Das ist sicher harte Arbeit.“ Und der Grund für seine gebräunte Haut und die von der Sonne gebleichten Haare.

„Es kann sehr hart sein. Sehr zeitaufwendig. Aber ich liebe es, das Land mit meinen Händen zu bearbeiten.“

Raue Hände, mit denen er wahrscheinlich nicht nur das Land erfolgreich bearbeitete, sondern die er auch in anderen Situationen gekonnt einsetzte. „Das kling spannend.“

„Nicht wirklich. Es kann langweilig sein, wenn keine Saison ist. Trotzdem ist es ein schöner Beruf, von dem man auch ganz gut leben kann.“

„Und Sie sind Ihr eigener Boss.“

„Stimmt.“

„Ich hoffe, es eines Tages auch zu sein. Dann sind Sie also nicht geschäftlich in der Stadt?“

„Nein. Nur zum Vergnügen.“

Kerry hatte die Erfahrung gemacht, dass ein Mann, wenn er von „Vergnügen“ sprach, dazu anzüglich zwinkerte. Nicht so dieser rätselhafte Mann namens Ford. Nein, er schien ein wahrer Gentleman zu sein. Hoffentlich täuschte sie sich nicht.

„Was machen Sie beruflich?“ Er klang wirklich interessiert, auch etwas Neues für Kerry.

„Im Moment arbeite ich für eine Investment-Firma. Ich war die Assistentin des Chefs, bin aber in die Personalabteilung versetzt worden.“

„Probleme mit dem Chef?“

„Er ist gestorben.“

Autor

Kristi Gold
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