Sonnenaufgang über dem Languedoc

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Als Meg die Rolle ihrer Schwester Margot übernimmt und nach Frankreich fährt, ahnt sie nicht, dass sie diese Entscheidung bald bitter bereuen wird. Meg verliebt sich leidenschaftlich in Jérôme, der sie aber für die leichtfertige, intrigante Margot hält. Soll sie ihm die Wahrheit sagen?


  • Erscheinungstag 30.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733757793
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Ich hab’s! Du fährst für mich – das ist die Lösung!“, erklärte Margot Trant.

Darauf folgte eisiges Schweigen.

Schließlich räusperte Meg Langtry sich. „Damit wir uns richtig verstehen“, sagte sie zögernd. „Du erwartest also, dass ich nächsten Monat zu deiner Patentante auf das Château, das Schloss in Südfrankreich, fahre und behaupte, ich sei Margot Trant.“ Sie hielt inne und warf ihrer Stiefschwester einen langen, vielsagenden Blick zu. „So soll die Sache deiner Meinung nach ablaufen, nicht wahr?“

„Ja. Was gefällt dir daran nicht?“, erkundigte Margot sich. „Die alte Dame braucht für vier Wochen eine Vertretung für ihre Gesellschafterin, die Urlaub machen will. Wo liegt für dich das Problem, wenn du dort einfach als Margot Trant auftauchst?“

„Für dich ist das natürlich kein Problem“, gab Meg ironisch zurück. „Es spielt auch gar keine Rolle, dass wir uns überhaupt nicht ähnlich sehen!“

Margot zuckte die Schultern. „Ich bin blond, und du bist brünett.“ Geringschätzig musterte sie Megs braunes Haar. „Das kann man leicht ändern. Alles andere ist egal, denn meine Tante kann kaum noch sehen. Deshalb braucht sie ja jemanden, der ihr hilft. Sie wird dich nur verschwommen wahrnehmen.“

„So etwas habe ich mir schon immer gewünscht“, entgegnete Meg spöttisch.

„Komm schon, Meg.“ Margots Stimme klang scharf. „Du könntest es ohne Weiteres tun. Dieser antiquarische Buchladen, in dem du jetzt noch arbeitest, macht Ende der Woche endgültig zu. Dann bist du sowieso arbeitslos. Und dass ich hier nicht weg kann, liegt doch auf der Hand.“

„Warum kannst du denn nicht weg?“, wandte Meg ein. „Ich dachte, im Parlament sei bald Sommerpause. Steven würde dich bestimmt gehen lassen.“

„Wahrscheinlich schon, wenn ich ihn fragen würde.“ Margots Miene wirkte plötzlich angespannt. „Aber er ist endlich soweit, dass er Corinne um die Scheidung bitten will. Deshalb kann ich nicht ausgerechnet jetzt wegfahren.“

„Ach ja“, meinte Meg nun Sie fand es nicht richtig, was ihre Stiefschwester tat. Seit Margot für Steven Curtess, einen jungen Abgeordneten, der aussichtsreicher Kandidat für einen Ministerposten war, als Sekretärin arbeitete, hatte sie zielstrebig darauf hingearbeitet, dass er sich scheiden ließ.

„Außerdem hat meine Patentante kein Recht, mich aus heiterem Himmel zu sich zu zitieren“, fuhr Margot verdrießlich fort. „Meine Güte, als ich sie das letzte Mal sah, war ich neun Jahre alt.“

„Ich wunderte mich schon, warum du sie nie erwähnt hast.“ Margot zuckte die Schultern. „Sie ist eigentlich meine Großtante – Dad war ihr Lieblingsneffe, deshalb hat man mich nach ihr benannt. Wir alle drei, du, meine Tante und ich, heißen Margaret“, fuhr sie triumphierend fort. „Das trifft sich gut, nicht wahr?“

„Ja, erstaunlich.“ Meg schüttelte den Kopf. „Aber es ändert nichts. Am besten schreibst du ihr, dass du hier unabkömmlich bist.“

„Nein. Das wäre eine große Dummheit“, lehnte Margot bissig ab. „Sie hat keine Kinder und auch sonst keine Verwandten. Die Aussicht, ein Schloss im Languedoc zu erben, kann ich nicht einfach in den Wind setzen. Deshalb will ich es mir mit ihr nicht verderben.“ Plötzlich lächelte sie Meg an. „Du siehst, du musst unbedingt für mich hinfahren.“

„Unter keinen Umständen.“ Meg biss sich auf die Lippe. „Das würde man uns sowieso nicht abnehmen, einmal ganz abgesehen davon, dass ich das Ganze für unmoralisch halte.“

„Natürlich nimmt man uns das ab. Margot Trant soll kommen, und eine Margot Trant wird pünktlich dort erscheinen. Außerdem kannst du viel besser mit langweiligen alten Damen umgehen als ich. Du musst sie mir warmhalten. Dafür werde ich dir ewig dankbar sein.“

„Das ist natürlich genau das, was ich brauche“, entgegnete Meg gleichmütig und schob den Stuhl zurück. „Du bist wirklich unmöglich, Margot. Mit deinen schmutzigen Angelegenheiten will ich nichts zu tun haben.“

„Oh, willst du weg?“ Margot betrachtete einen kleinen Fleck auf einem ihrer lackierten Fingernägel. „Ich dachte, der Buchladen hätte mittwochs immer geschlossen.“

„Hat er auch. Aber wie jeden Mittwoch gehe ich auch heute zu Nanny Turner.“

„Natürlich, in ihr kleines niedliches Cottage – oder sollte ich besser unser Cottage sagen?“

Meg zögerte kurz und runzelte dann die Stirn. „Nanny hat ein lebenslanges Wohnrecht in Brydons Cottage“, sagte sie schließlich. „Mein Vater hat das vor seinem Tod klar und deutlich bestimmt.“

„Ja, aber nicht schriftlich, meine Liebe. Sie hat also keinen Rechtsanspruch darauf. Zufällig hat sich Mummy vor einigen Tagen mit dieser Sache befasst. Freunde von ihr, die Nestors, suchen ein Wochenendhaus, und Brydons wäre für sie geradezu ideal.“

Meg schaute sie ungläubig an. „Meinst du das etwa ernst? Nanny hängt doch so sehr an dem Cottage.“

„Darauf wette ich“, gab Margot gehässig zurück. „Es lässt sich gut darin leben.“

„Aber wo sollte sie denn sonst wohnen?“, wollte Meg wissen. „Sie kann ja ins Sandstead-Heim gehen. Freunde von Mummy arbeiten im Sozialdienst, die würden sicher etwas für sie tun.“ Meg war schockiert. Nanny würde es nicht überleben, wenn man sie ins Heim steckte. „Sie macht doch noch alles allein, ist voller Energie und Tatendrang.“

„Gut, du hast es in der Hand.“ Margots Worte klangen unbeteiligt und endgültig. „Wenn du für mich ins Languedoc fährst, werde ich Mummy überzeugen, dass es Verrat am Andenken deines Vaters wäre, Nanny das Cottage zu kündigen.“

„Ach, du meinst, das würde deine Mutter beeindrucken?“, fragte Meg leicht ironisch.

„Ja, denn sie hat deinen Vater sehr gern gehabt. Allerdings ging ihr Nanny mit ihrer rechthaberischen Art auf die Nerven“, entgegnete Margot unbekümmert. „Außerdem habe ich momentan bei Mummy einen Stein im Brett, deshalb kann ich sie herumkriegen, wenn ich es will. Sie kann es kaum erwarten, ein Regierungsmitglied als Schwiegersohn zu bekommen.“

Was aus Corinne Curtess und den Kindern wird, ist ihr wohl völlig gleichgültig, dachte Meg bitter.

„Ich kann sie auch dazu bringen, Nanny das Wohnrecht schriftlich zu garantieren, wenn du die vier Wochen bei meiner Patentante verbringst, ohne dass sie merkt, wer du wirklich bist“, plapperte Margot unbekümmert weiter. „Ich brauche deine Hilfe, Meg. Ich muss unbedingt hier bleiben, um Druck auf Steven ausüben zu können.“

„Wenn ich mich wirklich dazu überreden lasse, dann nur Nanny zuliebe, aber bestimmt nicht, um dich in deiner Affäre mit einem verheirateten Mann zu unterstützen.“

„Oh, tu doch nicht so verdammt erhaben.“ Margot streckte sich wohlig. „Du kannst einen Monat kostenlos Urlaub in Frankreich machen. Und das mitten in der Saison. Was willst du eigentlich mehr?“ Sie lächelte selbstgefällig. „Du kannst auch heute mein Auto nehmen, um zu Nanny zu fahren. Für deinen Frankreichaufenthalt musst du in Übung bleiben.“

Meg biss die Zähne zusammen. „Ich habe noch nicht zugesagt.“ Margot lächelte hinterhältig. „Aber du wirst es tun“, stellte sie fest. „Sonst hat nämlich die arme alte Nanny bald keine Wohnung mehr.“

Obwohl ihr die ganze Sache überhaupt nicht gefiel, war Meg vierzehn Tage später auf dem Weg nach Frankreich.

Sie hatte bei ihrer Weigerung bleiben wollen. Doch als sie sah, wie glücklich Nanny Turner in dem behaglich eingerichteten Haus war und dass sie nicht die geringste Ahnung davon hatte, was ihr durch Iris Langtry und deren Freunde drohte, hatte Meg ihren Standpunkt noch einmal überdacht.

Iris war keineswegs erfreut über das, was ihre Tochter ausgeheckt hatte, akzeptierte es aber trotzdem, wenn auch widerwillig. „Margot verdient es, glücklich zu werden“, meinte Iris seufzend. „Steven ist so ein feiner Mann. Seine Frau soll sehr häuslich sein. Er braucht jedoch eine Frau, die an seiner Seite repräsentiert und ihm zuarbeitet und ihn in seiner politischen Karriere unterstützt.“

Wenn er Margot so gute Eigenschaften zuschreibt, dann ist es kein Wunder, dass das Land in so einem katastrophalen Zustand ist, dachte Meg, während sie Vorbereitungen für die unfreiwillige Reise traf. Niemand würde auf die Idee kommen, ihre Stiefschwester als häuslich zu bezeichnen.

Iris hatte darauf bestanden, Meg neu einzukleiden. So hatte die Sache wenigstens einen guten Aspekt.

„Man nimmt ja an, dass du meine Tochter Margot seist“, wehrte sie Megs Einwände ab. „Deshalb kannst du nicht in deinen alten Klamotten herumlaufen.“

Die neue Haarfarbe gefiel Meg überraschend gut. Sie hatte das braune Haar dunkelblond färben und mit Strähnen aufhellen lassen.

Sie war so beschäftigt, dass sie keine Zeit fand, traurig über das Schließen des Buchladens zu sein, in dem sie achtzehn Monate gearbeitet hatte. Der Inhaber wollte sich zur Ruhe setzen. Noch machte sie sich keine Gedanken darüber, wo sie nach dem Abenteuer Frankreich arbeiten würde. Vorerst hatte sie genug andere Probleme zu lösen.

Mr. Otway, ihr Arbeitgeber, hatte beifällig genickt, als sie ihm von der bevorstehenden Reise erzählte. „Ah, ins Languedoc, das Land der Troubadours und der Katharer“, hatte er gemeint.

„Katharer?“, erkundigte sich Meg.

„Ja, eine strenge mittelalterliche Sekte. Sie glaubten, das ganze Leben sei grundsätzlich ein Elend und eine unaufhörliche Suche nach dem Licht. Von der etablierten Kirche wurden sie natürlich als Ketzer verurteilt, und man führte den albigensischen Kreuzzug gegen sie.“

Mr. Otway rümpfte die Nase. „Es war nicht nur ein Religionskrieg. Das Languedoc bestand aus einzelnen kleinen, reichen Staaten, die vom französischen König unabhängig waren. Er hasste Raymond von Toulouse, den einflussreichsten der südfranzösischen Fürsten, und beneidete ihn um seinen Reichtum sowie um die Schönheit und die Kultur des Lebens im Süden. Die Sekte der Katharer war für ihn ein willkommener Anlass, sich gegen Raymond von Toulouse zu wenden und dessen Besitztümer an sich zu reißen. Und das alles im Namen der Kirche.“

„Das Languedoc wird Ihnen gefallen“, fuhr er freundlich fort. „Die Menschen dort sind sehr leidenschaftlich und voller Gegensätze. Fröhliches Lachen und bittere Tränen wohnen dicht beisammen, so wie auch bedingungslose Liebe und unversöhnlicher Hass.“ Er zögerte kurz. „Sie werden hellsten Sonnenschein und heftige Gewitter erleben. Die Urgewalten der Natur.“ Als er Megs besorgte Miene sah, lächelte er. „Der Aufenthalt dort wird Ihnen gut tun und Sie aus dem Alltagstrott herausholen. Sie sind viel zu jung, um sich hier zu vergraben.“

„Aber ich bin doch glücklich hier“, wehrte Meg sich.

„Nein. Sie sind zufrieden, das ist etwas ganz anderes. Ich garantiere Ihnen, mein Kind, wenn Sie aus dem Languedoc zurückkommen, sind Sie ein anderer Mensch.“ Er lachte in sich hinein. „Man wird Sie kaum wieder erkennen.“ Dabei klopfte er ihr auf die Schulter. „Zufriedenheit allein wird Ihnen dann nicht mehr genügen. Genießen Sie Ihre Zeit im warmen Süden für mich mit“, fügte er hinzu.

„Warmer Süden“ ist wohl stark untertrieben, dachte Meg, als sie im Verkehrsstau vor dem Toulouser Flughafen steckte und die Hitze immer unerträglicher wurde.

In dem Auto, das sie gemietet hatte, war es so heiß wie in einer Sauna. Und das war erst der Anfang der Fahrt nach Haut Arignac. Dort erwartete man sie erst in zwei Tagen, aber sie war früher nach Frankreich geflogen, um sich das Land noch ein wenig anzuschauen, bevor sie für vier Wochen Madame de Brissot Gesellschaft leistete.

Das gab ihr auch Gelegenheit, ihre französischen Sprachkenntnisse aufzufrischen. In der Schule war sie in Französisch die Beste gewesen. Danach hatte sie in Abendkursen ihre Sprachkenntnisse weiter vervollkommnet. Auf dem Château Haut Arignac würde sie ihr Französisch nicht anwenden können, denn aus dem Briefwechsel mit Iris wusste Margaret de Brissot, dass Margot diese Sprache nicht beherrschte.

„Das hat doch viele Vorteile“, hatte ihre Stiefschwester Megs Einwände abgetan. „Wenn dir jemand unangenehme Fragen stellt, kannst du so tun, als würdest du nichts verstehen.“

„Ich will überhaupt nicht irgendwie tun müssen“, antwortete Meg unwillig.

Sie fühlte sich ganz erbärmlich bei der unwürdigen Scharade, die sie spielen sollte. Sie würde eine ältere, sehbehinderte Frau täuschen – und weshalb? Nur um ihre rücksichtslose Stiefschwester in dem Entschluss zu unterstützen, die Ehe des Geliebten zu zerstören und dessen ahnungslose Frau und Kinder zu verletzen.

Auch die Tatsache, dass Nanny nun weiterhin in Brydons Cottage wohnen konnte, nahm Meg nichts von dem Unbehagen, das sie bei der unfreiwilligen Rolle empfand. Die verdammte Margot und ihre schmutzige Affäre, dachte Meg, während sie mit den Fingern auf das Lenkrad trommelte.

Plötzlich floss der Verkehr wieder. Meg fuhr zunächst sehr vorsichtig, weil sie sich an das Fahren auf der rechten Straßenseite erst noch gewöhnen musste. Doch sie brauchte nicht lange, bis sie sich auf die Verkehrsbedingungen eingestellt hatte. Und als sie dann feststellte, dass der Verkehr längst nicht so dicht war wie in England, fing sie an, sich zu entspannen.

Über ihr wölbte sich ein strahlendblauer Himmel. Aber je weiter sie nach Osten fuhr, desto mehr Wolken zogen am Himmel auf. Zuerst waren sie klein und sahen harmlos aus, schließlich wurde die Wolkendecke immer dichter.

Als Meg anhielt, um sich etwas zum Lunch zu kaufen, war der Himmel grau. Nachdem sie eingekauft hatte und mit den Baguettes, dem Schinken, den Pfirsichen und der Flasche Mineralwasser zum Auto zurückging, schaute sie besorgt zum Himmel.

Sie hatte vorgehabt, sich ein ruhiges Plätzchen für ein Picknick zu suchen. Absichtlich hatte sie wenig befahrene Nebenstraßen benutzt, um nicht von ungeduldigen Autofahrern bedrängt zu werden und um etwas von dem wirklichen Frankreich zu entdecken, wie sie hoffte.

Und nun sah es so aus, als würde sie auch gleich noch das französische Wetter kennenlernen, obwohl es noch sehr warm und schwül war. Vielleicht würden die so bedrohlich wirkenden Wolken aber ja auch vorüberziehen.

Doch dann fielen die ersten Regentropfen auf die Windschutzscheibe, und widerstrebend entschloss Meg sich, die Idee mit dem Picknick aufzugeben und sich eine Unterkunft für die Nacht zu suchen. In der nächsten Stadt hielt sie an und ging in das Fremdenverkehrsbüro. Dort empfahl ihr eine hilfsbereite junge Frau eine kleine Auberge, einen typisch französischen Gasthof, am Ende des Gorge du Beron, der Schlucht von Beron.

Also fuhr Meg über die kurvenreiche Landstraße in ein Tal, das eingebettet lag zwischen Felsen, die sich immer höher neben ihr auftürmten, je weiter sie fuhr. Die Straße schlängelte sich an einem relativ flachen, rasch in seinem Kiesbett dahinfließenden Fluss entlang. Das musste der Beron sein, an dessen Quelle sich die Auberge befand.

Hoffentlich ist es nicht mehr weit, dachte Meg verzagt, als es plötzlich wie aus Kübeln goss und der Regen, begleitet von Blitz und Donner, eine fast undurchdringliche Wand bildete.

Meg fluchte vor sich hin und stellte die Scheibenwischer auf die Höchstgeschwindigkeit ein, was aber wenig nützte. Der Regen prasselte mit solcher Gewalt auf das Auto, dass die Scheibenwischer nichts ausrichteten. Wegen der schlechten Sicht wagte Meg es nicht, auf der kurvenreichen Straße weiterzufahren. Deshalb bremste sie ab und fuhr den Wagen langsam so dicht wie möglich an den Straßenrand, wo ein Felsvorsprung etwas Schutz zu bieten schien.

Einen so raschen Wetterwechsel habe ich nicht erwartet, dachte sie entmutigt. Obwohl Mr. Otway sie gewarnt hatte, dass es oft heftige Gewitter im Languedoc gebe. Es war auf jeden Fall sicherer, im Auto zu bleiben, sonst würde sie womöglich noch vom Blitz getroffen.

Plötzlich war ihr kalt. Sie griff nach der Jacke auf dem Rücksitz und legte sie sich um die Schultern. Ein Blick auf den Fluss jagte ihr den nächsten Schrecken ein. Das Wasser stieg beängstigend schnell. Das mit Kieselsteinen bedeckte Flussbett war bereits überschwemmt, und das Wasser kam dem Straßenrand bedrohlich nahe. Stellenweise stand die Straße sogar schon unter Wasser.

Mit Entsetzen wurde Meg klar, dass dies ganz und gar kein guter Platz zum Unterstellen war. Doch sie musste dort bleiben, bis der Regen nachließ. Das Gewitter war jetzt direkt über ihr. Es blitzte und donnerte fast gleichzeitig. Meg hatte das Gefühl, auf eine Wasserwand zu blicken. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, erst am vereinbarten Tag anzukommen und dann am Flughafen abgeholt zu werden, wie Madame de Brissot es vorgeschlagen hatte. Auf jeden Fall wäre es der vernünftigste Weg gewesen.

Sei doch nicht so entsetzlich langweilig, ermahnte sie sich. Hast du denn gar keinen Unternehmungsgeist? In dem Augenblick wurde der Wagen so heftig hin und her geschüttelt, als wäre er von einem Windstoß erfasst worden. Sie schauderte. Als dann auch noch die Tür auf der Fahrerseite ruckartig aufflog und die kühle, feuchte Luft in den Wagen drang, schrie Meg auf.

Zunächst dachte sie, das alles sei das Werk des Sturms, doch dann erblickte sie eine dunkle vermummte Gestalt, die auf sie herabblickte, sodass Meg sich vor Schreck auf dem Sitz zusammenkauerte. Sie wollte schreien, doch vor Angst versagte ihr die Stimme.

„Sind Sie völlig verrückt?“ Die Stimme klang tief und schien vor Wut zu beben. „Wollen Sie sich umbringen? Fahren Sie den Wagen sofort von hier weg!“

Es war also kein Geist, den der Sturm heraufbeschworen hatte, sondern ein ganz normaler, aber zorniger Mann. Er sprach Französisch, und Meg antwortete ihm wie selbstverständlich in derselben Sprache. Dabei klopfte ihr das Herz bis zum Hals, vor Erleichterung und Beunruhigung zugleich.

„Was fällt Ihnen ein, mich so herumzukommandieren?“

„Offenbar kenne ich die Gegend besser als Sie“, gab er schroff zurück. „Es ist der reine Wahnsinn, bei solchem Wetter unter einem Felsvorsprung zu parken, Sie kleine Närrin. Erdrutsche sind hier keine Seltenheit. Ihr Wagen könnte darunter begraben werden und Sie mit. Verlieren Sie keine Zeit, fahren Sie sofort weiter“

Trotz seiner unwirschen Art scheint er zu wissen, wovon er redet, dachte Meg. Vielleicht sollte ich deshalb seinen arroganten und unerbetenen Rat annehmen.

„Und, was schlagen Sie vor – wo soll ich parken?“, fragte sie kühl.

„Zweihundert Meter weiter ist es sicherer. Ich zeige Ihnen den Weg. Fahren Sie hinter mir her. Und beeilen Sie sich“, fügte er grimmig hinzu.

Er schlug die Tür ihres Wagens zu und verschwand. Kurz darauf sah Meg, wie er mit seinem Wagen an ihr vorbeifuhr und vor ihr mit eingeschaltetem Warnlicht stehen blieb. Zögernd drehte sie den Schlüssel herum – aber der Motor sprang nicht an, er rührte sich nicht.

„Oh, nein!“, stöhnte Meg auf und versuchte immer wieder, den Motor anzulassen. Vergebens.

„Was ist den nun schon wieder los?“ Der vermummte und offenbar sehr temperamentvolle Kreuzritter tauchte wieder neben ihr auf.

„Was soll schon sein, Sie Witzbold! Der verdammte Motor springt nicht an“, erwiderte Meg hitzig auf Englisch und suchte nach den passenden französischen Worten, um das Ganze diplomatischer auszudrücken.

„Sie sind Engländerin?“, fragte er in perfektem Englisch. „Ich hätte es mir denken können.“

Seine Stimme klang so verächtlich, dass Meg sich ärgerte. Sie errötete bei dem Gedanken daran, wie grob sie sich in ihrer Muttersprache ausgedrückt hatte.

„Was ist los mit dem Wagen? Hat er schon vorher Probleme gemacht?“

„Dazu war noch gar keine Gelegenheit“, gab sie erschöpft Auskunft. „Ich habe den Wagen erst heute gemietet. Der Motor springt nicht an. Vielleicht sind die Zündkerzen oder der Vergaser nass geworden.“

Er murmelte etwas vor sich hin, das Meg zu ignorieren beschloss.

„Dann lassen Sie ihn hier stehen“, entschied er. Wegen des in Strömen auf sie herunterprasselnden Regens musste er ziemlich laut sprechen. „Fahren Sie mit mir.“

„Ich kann das Auto doch nicht einfach hier stehen lassen“, wehrte Meg sich. „Er gehört mir nicht. Und außerdem …“ Sie zögerte. „… kenne ich Sie ja gar nicht.“

„Wenn Sie noch lange hier herumsitzen, Mademoiselle, lernen Sie noch das Paradies kennen“, meinte er sarkastisch. „Glauben Sie mir, es ist für Sie weniger gefährlich, meine Hilfe anzunehmen, als dort zu bleiben, wo Sie jetzt sind.“

Er zögerte. „Ich kann Ihnen versichern, unter diesen Bedingungen würde es mir im Traum nicht einfallen, Sie zu vergewaltigen. Nun steigen Sie endlich aus dem Auto, sonst ertrinken wir beide noch.“

Widerwillig gehorchte Meg. Sie erschrak, als das Wasser durch die dünnen Sohlen ihrer Sandaletten drang. Meg hatte das Gefühl, durch den Fluss zu waten, so hoch war die Straße bereits überflutet. Schon nach wenigen Metern war Meg völlig durchnässt. Missmutig dachte sie darüber nach, wie Madame de Brissot wohl reagieren mochte, wenn ihre neue Gesellschafterin mit einer Lungenentzündung auf Haut Arignac ankommen würde.

Der Mann neben ihr schien ungeduldig zu werden, denn er zog sie plötzlich unter seinen Umhang, der weit genug für zwei war, und führte sie zu seinem Wagen, wobei er sie halb zog und halb trug. Dabei nahm Meg den prickelnd männlichen Duft seiner Haut wahr. Er benutzte ganz offensichtlich ein sehr exklusives Herrenparfüm.

„Danke“, stieß sie ironisch hervor, als er sie ziemlich unsanft auf den Beifahrersitz schob.

„Gern geschehen“, gab er zurück. „Wir müssen endlich von hier weg. Es war schon immer eine gefährliche Stelle.“

Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als Meg hinter sich ein dumpfes Grollen hörte, dem ein eigenartiger Lärm folgte. Sie drehte sich um. Ungläubig und entsetzt sah sie, wie ein Baum den Felsen herabstürzte und mit großem Getöse auf dem Dach des kleinen Renault landete. Dem Baum folgte eine Unmenge Geröll, das auf den Wagen und die Straße niederprasselte. Auch der Wagen des Fremden, in dem Meg wie betäubt saß, bekam noch etwas ab.

Dann wurde es plötzlich unheimlich still. Der Sturmregen ließ unvermittelt nach, so als wäre er zufrieden mit dem, was er angerichtet hatte.

2. KAPITEL

Megs Begleiter brach als erster das Schweigen.

„Sehen Sie“, stellte er ruhig fest und zuckte die Schultern. „Oh mein Gott“, flüsterte Meg kaum hörbar. „Das darf nicht wahr sein!“

Die Fahrerseite ihres Wagens war am schwersten beschädigt. Das Dach war bis auf den Sitz eingedrückt, und ein Ast hatte die Windschutzscheibe völlig zertrümmert.

Noch vor wenigen Minuten hatte sie darin gesessen – genau da. Wenn der Fremde nicht gerade noch rechtzeitig gekommen wäre und sie herausgeholt hätte … Meg dachte nicht weiter. Sie war zu entsetzt, um sich die Folgen auszudenken. Sie versuchte zu sprechen – und sich bei ihm zu bedanken, doch stattdessen brach sie in Tränen aus, was ihr schrecklich peinlich war.

Er murmelte etwas vor sich, schwang sich auf den Fahrersitz, warf den Umhang auf den Rücksitz und holte ein Päckchen Papiertaschentücher und eine kleine silberfarbene Flasche aus dem Handschuhfach.

„Hier“, sagte er kurz angebunden, während er die Flasche öffnete. „Trinken Sie.“

Es war Cognac. Meg rang nach Luft, denn der Alkohol breitete sich wie Feuer in ihrem unterkühlten Körper aus. Dann betupfte sie sich das Gesicht mit einem Papiertaschentuch. „Mein Auto“, flüsterte sie. „Mein Auto.“

„Sie haben den Wagen versichert, als Sie ihn mieteten“, erinnerte er sie. „Er lässt sich leicht ersetzen, Ihr Leben allerdings nicht.“

„Nein.“ Sie begann unkontrolliert zu zittern. Deshalb trank sie noch einen großen Schluck aus der Flasche, drängte die Tränen zurück und spürte, wie das Zittern langsam aufhörte.

„Ich glaube, jetzt haben Sie genug getrunken.“ Vorsichtig nahm er ihr die Flasche aus der Hand und lächelte.

Als sie sich wieder vollständig unter Kontrolle hatte, sagte Meg: „Meine … meine Sachen sind noch im Kofferraum. Ich … ich weiß, es ist töricht, aber …“

„Ich hole sie.“ Er nahm ihr die Autoschlüssel aus der Hand. „Nein.“ Meg hielt ihn am Arm fest. „Lassen Sie es sein. Bitte, setzen Sie sich nicht der Gefahr aus …“

„Schon in Ordnung.“ Seine Stimme klang freundlicher. Er deutete auf das Autowrack hinter ihnen. „Sehen Sie, der Kofferraum ist kaum beschädigt.“

„Aber vielleicht kommt ein weiterer Erdrutsch.“ Es blitzte immer noch am wolkenverhangenen Himmel, und in der Ferne grollte der Donner wie ein zorniger, unsichtbarer Riese. Meg stellte sich vor, wie Felsbrocken auf ihren Begleiter herabstürzten und ihn so zerschmetterten wie den Renault. Sie merkte, wie der Fremde sie anschaute. Und zum ersten Mal sah sie ihn richtig in dem trüben Licht, das im Wagen herrschte. Sie wusste, er war groß und kräftig, denn er hatte sie ja wild entschlossen aus der Gefahrenzone weggeholt. Nun erkannte sie, dass er ziemlich jung war – nicht älter als Anfang dreißig. Er hatte dichtes schwarzes Haar und eine olivfarbene Haut, und die markanten Linien seiner Nase, seines Mundes und des Kinns ließen ihn streng, fast arrogant wirken. Der Blick aus den dunklen Augen unter den dichten Wimpern wirkte unergründlich.

„Ich glaube, das Schlimmste ist vorbei.“ Er zuckte wieder die Schultern und lächelte Meg flüchtig an. „Außerdem bin ich gegen alles gefeit.“

Das nahm sie ihm ohne Weiteres ab. Trotzdem blieb sie starr und steif sitzen und wagte nicht, sich umzuschauen, als er zu ihrem Wagen ging. Sie rechnete damit, jeden Augenblick von Neuem das Geräusch herabfallender Felsbrocken und ihren entsetzten Aufschrei zu hören. Doch sie vernahm nur das Rauschen des über die Ufer getretenen Flusses und das Gezwitscher eines Vogels ganz in der Nähe, das das Ende des Gewitters verkündete.

Plötzlich fiel ihr auf, dass ihr Begleiter ziemlich lang wegblieb. Deshalb drehte sie sich schließlich doch um und sah ihn reglos und mit grimmiger Miene hinter dem Renault stehen. Vielleicht klemmt der Kofferraum und lässt sich nicht öffnen, dachte sie. Diese Annahme erwies sich jedoch als falsch, denn auf einmal bewegte der Mann sich und eilte mit den beiden Reisetaschen zurück zu dem Citroën und warf sie in den Kofferraum, wo sie dumpf aufschlugen.

Autor

Sara Craven
Sara Craven war bis zu ihrem Tod im November 2017 als Autorin für Harlequin / Mills & Boon tätig. In über 40 Jahren hat sie knapp hundert Romane verfasst. Mit mehr als 30 Millionen verkauften Büchern rund um den Globus hinterlässt sie ein fantastisches Vermächtnis. In ihren Romanen entführt sie...
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