Spanische Sonne, spanisches Glück

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Immer schwerer fällt es Leslie, sich an ihren Vorsatz zu halten, sich nicht erneut auf den aristokratischen Julio einzulassen. Nie darf sie ihm verraten, dass sie einen gemeinsamen Sohn haben. Denn Leslie ist sich sicher: Julio will nur einen Erben und nicht ihre Liebe!


  • Erscheinungstag 05.04.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733787288
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Dem Lastwagen mit der Aufschrift Gartenpflege, der vor der Villa vorfuhr, gönnte Conde Julio Valdez de Quadra nur einen flüchtigen Blick, bevor er sich wieder entspannt im Korbsessel zurücklehnte. Julio wartete darauf, dass etwas Bedeutsames geschah – wie das Auftauchen einer verführerischen Blondine zum Beispiel. Sobald er gehört hatte, seine Schwester würde von ihrem Mann betrogen, hatte Julio in Argentinien alles stehen- und liegen lassen und war nach Spanien gekommen, um einen Beweis für die Untreue seines Schwagers zu ermitteln. Das Auftauchen irgendwelcher Aushilfsgärtner war gewiss kein Indiz für Ehebruch.

Bremsen quietschten, eine Autotür wurde geöffnet, und Julio gähnte. Auf der Lauer zu liegen war eine langweilige Angelegenheit. Plötzlich wurde er jedoch hellwach, stellte das Weinglas ab und schwang die Füße vom Tisch. Den Lastwagen hatte nämlich eine Frau gefahren.

Zuerst sah Julio nur zwei zierliche Füße auf dem Trittbrett, dann ein Paar bemerkenswert langer, schlanker und wohlgeformter Beine mit seidig glatter Haut, die auf einer Skala von null bis zehn mindestens … zwölf Punkte verdienten, wie Julio lächelnd feststellte. Figur und Gesicht sind wahrscheinlich nicht annähernd so sehenswert, sagte er sich dann mit seinem üblichen Zynismus und beobachtete die Frau weiter.

Sie kletterte rückwärts aus der Fahrerkabine und zog einen langen Baumwollrock über den bewundernswerten Beinen zurecht. Schade. Immerhin gab es noch wohlgerundete Hüften zu sehen, eine auffallend schmale Taille und einen schönen geraden Rücken. Nicht übel, dachte Julio, eigentlich sogar ausgesprochen sexy.

Plötzlich kniff er die Augen zusammen. Lockiges blondes Haar fiel der Frau auf die Schultern. War das etwa die Blondine, mit der sein Schwager Santini Ehebruch beging?

Die Frau wandte sich um. Langsam ließ Julio den Blick von ihren festen Brüsten über den schlanken Hals zu ihrem Gesicht gleiten. „Bei allen Heiligen!“ Julio stöhnte ungläubig. „Ausgerechnet Leslie!“

War Leslie Santinis Geliebte? Die Beschreibung passte. Obwohl seine Schwester fast hysterisch geklungen hatte, als sie mit Julio telefonierte, war die Schilderung der Rivalin sehr präzise ausgefallen: eine Frau von ungefähr dreiundzwanzig Jahren, etwa eins siebzig groß, tolle Figur. Engländerin, blond, mit viel Sex-Appeal.

Verlangend betrachtete Julio Leslie. Sie war umwerfend schön und noch verführerischer als früher. Sie war anmutig und selbstbewusst, aus dem unbefangenen Teenager war eine sinnliche Frau geworden, mit verträumt blickenden blauen Augen und vollen, schön geschwungenen Lippen. Brennendes Begehren durchflutete Julio, als sie sich vorneigte, um ihr Aussehen im Außenspiegel zu überprüfen und dabei zufrieden lächelte. Am liebsten wäre er aufgesprungen und zu ihr geeilt, hätte sie an die Seitenwand des Wagens gedrängt und dann …

„Verdammt“, fluchte Julio leise, als er sich vorstellte, wie sein Schwager mit Leslie im Bett lag, sie umarmte, die festen Rundungen ihres Körpers unter den Händen spürte – Leslie, die so leidenschaftlich war und voll ungehemmter Lebensfreude … Langsam umfasste Conde Julio Valdez de Quadra das dünne Weinglas und zerbrach es unbeherrscht in der Hand.

„Ich hab’s geschafft, dank Santini“, jubelte Leslie, noch immer wie berauscht von ihrem Glück, obwohl es mindestens achtzehn Stunden her war, seit sie sich mit Estebán Santini getroffen hatte. Nun erst wurde ihr richtig bewusst, was Don Estebáns Versprechen für sie bedeutete: Förderung, Zukunftsaussichten und keine finanziellen Sorgen mehr.

Sie war es mittlerweile leid geworden, mehr schlecht als recht davon zu leben, Hotelgärten entlang der Costa del Sol zu pflegen. In einem engen kleinen Wohnwagen auf dem Hof des Gärtnereibetriebs mitten in Torremolinos zu hausen verursachte ihr allmählich Platzangst. Leslie hatte es satt, dass man ihr oft einfach die Tür vor der Nase zuwarf, wenn sie ihre Dienste anbot. Und ihre bisherigen Auftraggeber verabscheute sie geradezu: zugleich aalglatt höfliche und plump dreiste Hoteldirektoren, die sie mit den Blicken förmlich auszogen. Aber mit alledem war es jetzt vorbei.

Mit Santini als Gönner stand sie gleich ganz anders da, außer ihm würden weitere Kunden ihre Dienste wünschen – und sie würde sich aussuchen können, zu welchem Aristokraten oder reichen Geschäftsmann sie als Nächstes ging. Herrlich! Leslie lächelte strahlend, als sie sich ausmalte, wie begeistert ihr Sohn Tom sein würde, wenn er hörte, dass sie in ein kleines Haus auf dem Land umziehen würden. Santini hatte ihr nicht nur Arbeit angeboten, sondern auch das Gärtnerhaus, das auf seinem ausgedehnten Besitz lag.

Der Regen fiel immer dichter, fast konnte man die steile Straße nach Ronda nicht mehr sehen. Vorsichtig steuerte Leslie den mit Humus beladenen, schon ziemlich klapprigen Lastwagen bergan. Hoffentlich hielt die Rückwand der Ladefläche den Druck aus …

„Oh nein!“ Leslie stöhnte, als sie spürte, dass der Wagen plötzlich leichter wirkte. Das konnte nur eins bedeuten! Rasch hielt sie an, stieg aus und blickte starr auf den riesigen Erdhaufen, der mitten auf der Straße hinter ihrem Wagen lag.

Da Leslie eine unverbesserliche Optimistin war, sah sie sich hoffnungsvoll um. Vielleicht kam ja zufällig ein Trupp Straßenarbeiter vorbei … Doch keine Menschenseele ließ sich blicken.

„Ich muss dich aber da hinaufbringen“, sagte Leslie wütend zu dem Erdhaufen und blickte zu der alten, von Wehrmauern umschlossenen Stadt Ronda, die etwa hundert Meter weiter oben am Felshang beiderseits einer wildromantischen Schlucht lag.

„Natürlich ist weit und breit kein Mann da, wenn man mal einen braucht. Kein Märchenprinz, ja, nicht einmal einer der fleißigen sieben Zwerge. Dann muss ich es eben allein schaffen, wie immer“, meinte sie halblaut und lächelte schon wieder. Nichts konnte momentan ihre überschwänglich gute Laune trüben.

„Also los, Leslie!“, ermunterte sie sich, nahm eine Schaufel und begann, fröhlich singend, die Erde zurück auf den Laster zu werfen. Nach vier Liedern kam die Sonne hinter den Wolken hervor, und sofort wurde es heiß. Leslie geriet ins Schwitzen. Plötzlich hörte sie das Klappern von Hufen auf dem Straßenpflaster und richtete sich eifrig auf. Da kommt ja mein Prinz, sogar auf einem feurigen schwarzen Hengst, dachte sie lächelnd, als sie einen Reiter weiter unten die alte Brücke überqueren sah, die den schäumenden Fluss überspannte. „Was für ein umwerfender Anblick“, flüsterte Leslie hingerissen.

Der Mann trug die andalusische Männertracht, die das Herz jeder romantischen Frau höher schlagen ließ: eine hautenge graue Hose, darüber Reitstiefel, ein rüschenbesetztes Hemd und eine kurze graue Jacke. Die Krempe des schwarzen Huts verbarg das Gesicht so weit, dass nur eine kantige Kinnlinie zu sehen war, doch allein schon die kerzengrade Haltung des Reiters verriet Stolz, ja sogar Hochmut.

Sicher ein typisch spanischer Macho. Von dem kann ich keine Hilfe erwarten, dachte Leslie herablassend und kam wieder zur Erde zurück – im wahrsten Sinn des Wortes. Prinzen schaufelten keinen Humus. Von ihnen zu träumen war angenehm, aber sinnlos, wenn bis abends noch unzählige Dinge zu erledigen waren. Sie machte sich wieder an die Arbeit, schwer atmend und die Stirn von Schweißperlen bedeckt.

Plötzlich hörte Leslie gedämpften Hufschlag auf dem Gras neben der Straße, und eine dunkle Männerstimme fragte auf Spanisch: „Kann ich Ihnen helfen?“

Rasch blickte Leslie, ohne sich aufzurichten, nach links und sah vier Pferdebeine, darüber glänzende schwarze Stiefel.

„Kann ich helfen?“, fragte der Mann nochmals ungeduldig.

„Nein, danke“, erwiderte sie auf Spanisch und lächelte. Der und helfen? In den Sachen? „Ich könnte nämlich nicht das Geld für die Reinigung aufbringen“, fügte sie, fast unhörbar, amüsiert hinzu.

Doch plötzlich glitt der Fremde aus dem Sattel, griff sich die zweite Schaufel und begann, schwungvoll Erde auf den Lastwagen zu werfen. Offensichtlich hat mein Prinz die Muskeln von Sylvester Stallone und das gute Herz von Mutter Teresa, dachte Leslie. Bisher habe ich zwar nicht viel von spanischen Edelmännern gehalten, abgesehen von Don Estebán, aber vielleicht sollte ich nicht so voreingenommen sein, nur weil Conde Julio Valdez de Quadra ein Ungeheuer war.

„Wenn Sie unbedingt helfen wollen, halte ich Sie natürlich nicht davon ab“, sagte sie, ohne den Blick zu heben. „Danke sehr.“

„Schon gut“, erwiderte der Mann.

Verstohlen warf sie ihm gelegentlich einen Seitenblick zu, während sie einträchtig nebeneinander arbeiteten. Der Unbekannte hatte lange, kräftige Beine, deren Muskeln sich unter der engen Hose deutlich abzeichneten. Flüchtig fragte sich Leslie, wo ein spanischer Grande gelernt haben konnte, so gut mit einer Schaufel umzugehen. Dass ihr Helfer der Oberschicht angehörte, war unverkennbar. Ein Bauer würde schließlich nicht im Festtagsstaat aufs Feld reiten.

„Genug.“

„Wie bitte?“ Noch immer vornübergebeugt, blickte sie überrascht zu dem Mann. Das Haar fiel ihr über die Augen, daher konnte sie sein Gesicht nicht deutlich sehen.

„Aufhören.“

„Ich bin noch nicht fertig“, protestierte sie erstaunt.

„Doch.“ Das klang herrisch. Offensichtlich war der Fremde daran gewöhnt, dass man ihm sofort gehorchte.

Anscheinend erwartete er jedoch auch, Leslie würde sich nicht fügen, denn er nahm ihr kurzerhand die Schaufel weg und warf sie an den Straßenrand. Von wildem Thymian und Rosmarin stieg würziger Duft auf, den Leslie genießerisch einatmete.

Langsam richtete sie sich auf und strich sich mit dem Unterarm das Haar zurück. Direkt vor sich sah sie einen kräftigen gebräunten Hals im Ausschnitt des blütenweißen Rüschenhemds. Ein bemerkenswerter Kontrast …

Leslie blinzelte unwillkürlich. Der Mann war zwar hochmütig und herrisch, aber auch sehr attraktiv. „Hören Sie, Señor“, begann sie geduldig. „Von Fremden lasse ich mir nicht …“

„Das würde ich dir auch nicht raten“, sagte der Mann nachdrücklich.

Sie erschauerte. Diese Stimme kannte sie doch! Langsam wandte Leslie den Blick nach oben. Das markante Kinn kam ihr sehr vertraut vor, ebenso der schön geschwungene Mund und die fast klassische Nase mit dem leichten Buckel, wo der Knochen nach einem Bruch schief zusammengewachsen war, die dunklen Augen … „Julio!“, rief Leslie erstaunt.

„Note Eins für rasche Auffassungsgabe“, spottete er.

Nicht der Prinz war ihr also zu Hilfe gekommen, sondern das Ungeheuer persönlich. Die gute Laune verging Leslie. Ausgerechnet Julio, dachte sie ungläubig.

Plötzlich wurde ihr erschreckend bewusst, welche schwerwiegenden Folgen das zufällige Treffen haben konnte. Wenn Julio jemals von Tom erfuhr, dann … Nein, das werde ich zu verhindern wissen, schwor sie sich, bereit, ihren Sohn bis zum Äußersten zu verteidigen. Bemüht beiläufig fragte sie: „Was machst du denn hier, Julio?“

„Du wünschst wohl, ich wäre anderswo.“

Der ironische Ton stellte ihr inneres Gleichgewicht augenblicklich wieder her. „Ja, Andalusien ist nicht nach jedermanns Geschmack“, erwiderte Leslie schnippisch. „Warum fährst du nicht in die argentinische Pampa zurück und pflückst Mais?“

„Ich züchte Stiere“, verbesserte Julio gelangweilt.

„Das passt auch besser zu einem typischem Macho wie dir“, stimmte sie zu. „Bist du hier auf Urlaub?“, fuhr sie scheinbar gleichgültig fort.

„Nein, geschäftlich“, erwiderte er kühl.

Ihm Informationen zu entlocken ist ungefähr so einfach, als wollte man Wasser aus einem Stein pressen, überlegte Leslie. Sie ärgerte sich, wie kurz angebunden Julio sich ihr gegenüber verhielt. Dabei waren sie als Kinder befreundet gewesen und hatten sich später leidenschaftlich ineinander verliebt … Allerdings hatte er sie dann verlassen, und ihr Leben hatte sich dramatisch geändert. Wegen Tom, ihrem Sohn – Julios Sohn. Doch das durfte Julio niemals erfahren.

Trotzdem brauchte er nicht so kühl zu sein, als hätten sie sich lediglich einmal flüchtig auf einer Party getroffen und einige belanglose Worte gewechselt. Doch ihm hatte die Beziehung damals wahrscheinlich nicht viel bedeutet, für ihn war es nur eine leidenschaftliche Affäre mit einem unstandesgemäßen Mädchen, der Tochter des Schulgärtners, gewesen.

„Bleibst du längere Zeit in Spanien?“, fragte Leslie nun wie nebenbei, obwohl die Antwort ihr äußerst wichtig war.

„Bis ich alles erledigt habe“, erwiderte er schroff.

„Ach so. Ein langwieriges Geschäft?“, fragte sie weiter.

Julio lächelte boshaft. „Das hängt ganz davon ab. Es gibt eine Person, der ich am liebsten bei lebendigem Leib die Haut abziehen möchte, bevor ich nach Argentinien zurückkehre.“

„Das klingt ja scheußlich.“

„Scheußlich ist das richtige Wort“, bestätigte Julio kalt. „Vielleicht merkt sie aber rechtzeitig, woher der Wind weht, und läuft um ihr Leben.“

Leslie verkrampfte sich unwillkürlich. Wusste Julio etwa doch von Tom und wollte sie dafür bestrafen, dass sie seinen Sohn vor ihm geheim gehalten hatte? „Du willst dich an einer wehrlosen Frau vergreifen?“, fragte sie mit zittriger Stimme.

„Sie ist ungefähr so wehrlos wie du“, erwiderte er schroff. „Aber da ich ein gerecht denkender Mann bin, werde ich sie nur dann grün und blau prügeln, wenn sie es nachweislich verdient. Vergehen müssen angemessen bestraft werden. Meinst du nicht auch?“

„Oh doch“, antwortete Leslie betont. Du müsstest für das, was du mir angetan hast, über glühenden Kohlen geröstet werden, wenn es Gerechtigkeit auf der Welt gäbe, hätte sie am liebsten gesagt. „Oft straft jedoch das Leben über kurz oder lang …“

„So lange kann ich nicht warten“, unterbrach Julio sie. „Ich finde, Vergeltung sollte man selbst üben, erbarmungslos und schnell. Nun zu dir.“

Ihre Hände wurden kalt und feucht. Er weiß tatsächlich von Tom, dachte sie in panischer Angst. „Vergeltung?“ Sie schluckte krampfhaft. „Schnell und …“ Verwirrt verstummte Leslie, plötzlich völlig verängstigt.

„Erbarmungslos“, ergänzte er. „Warum erschreckt dich das? Fühlst du dich in irgendeiner Hinsicht schuldig?“

„Nein, ich versuche nur herauszufinden, was genau du meinst“, erwiderte Leslie, um Zeit zu gewinnen.

„Ich habe nur zwei völlig unzusammenhängende Bemerkungen zufällig nacheinander gemacht. Ich werde dir helfen, auch den Rest Erde wegzuräumen“, erklärte Julio. „Setz dich da auf die Mauer, während ich die Arbeit beende.“

„Früher habe ich mich vielleicht von dir herumkommandieren lassen, aber jetzt nicht mehr. Ich entscheide selbst, wann ich eine Pause mache“, erwiderte Leslie widerspenstig.

„Aber du schwitzt doch schon.“

Das war so unverblümt und unhöflich, dass ihr die Worte fehlten. Manchmal hatte sie sich ein Wiedersehen mit Julio in allen Einzelheiten so ausgemalt: Sie – in einem hinreißend verführerischen Abendkleid – würde Julio in einem Ballsaal kühl zunicken, sich bei ihrem umwerfend attraktiven Begleiter einhaken und einfach weitergehen … Und da stand sie nun vor Julio, lehmverschmiert und schweißbedeckt!

„Natürlich schwitze ich. Immerhin habe ich Tonnen von Erde auf den Lastwagen geschaufelt“, fauchte sie, wischte sich mit dem Unterarm über die feuchte Stirn und rieb sich die Hände an den schmutzigen Shorts ab. „Was erwartest du unter diesen Umständen?“

Herablassend betrachtete er sie von Kopf bis Fuß. „Etwas mehr Zurückhaltung fürs Erste.“

„Und was soll ich deiner Meinung nach zurückhalten?“

Julio seufzte und blickte betont auf ihr T-Shirt, das sich, noch feucht vom Regen, eng an ihre Brüste schmiegte. „Den Sex-Appeal, Leslie“, meinte er kritisch und ließ langsam den Blick über ihre nackten Beine gleiten und wieder zurück zu ihren Brüsten. Ein prickelnder Schauer, wie sie ihn seit Jahren nicht gespürt hatte, überlief sie. „Du solltest dich nicht so aufreizend anziehen. Schließlich sind wir hier nicht am Strand von Marbella, sondern im andalusischen Hinterland, wo man noch auf Sitte und Anstand hält. Wenn du hier in engen T-Shirts und knappen Shorts herumläufst, könntest du Schwierigkeiten bekommen.“

Dir macht es allerdings sichtlich Spaß, mich zu mustern, dachte sie rebellisch. Aufreizend, pah! Shorts und T-Shirts waren einfach das Praktischste bei dieser Hitze.

„Mein Flamencokleid und die Spitzenmantilla sind gerade in der Wäsche“, erklärte Leslie schnippisch, und er verzog missbilligend das Gesicht. „Ach, Julio, schau doch nicht so entsetzt drein“, rief sie gereizt. „Du benimmst dich wie ein viktorianischer Ehemann, der seine Frau tadelt, weil sie beim Einsteigen in die Kutsche zufällig die Knöchel gezeigt hat, und der sich anschließend ins Bordell begibt. Da ich bei dieser Hitze schwer arbeiten muss, trage ich luftige Sachen.“ Plötzlich schienen ihre großen blauen Augen Funken zu sprühen. „Und wenn dir nicht gefällt, was du siehst, dann schau mich nicht dauernd an.“

„So viel nackte Haut und ein so enges T-Shirt fesseln unwillkürlich den Blick“, meinte er.

Leslie trat einen Schritt zurück und verschränkte schützend die Arme vor den Brüsten. Julio war offensichtlich hochanständig, ja sogar spießig geworden. Erstaunlich, wie die Ehe ihn verwandelt hatte.

Oder lag es etwa daran, dass er meinte, die Mutter seines Sohns müsse in knöchellangen Röcken und hochgeschlossenen Blusen herumlaufen? Nein, er kann unmöglich von Tom wissen, beruhigte Leslie sich, sonst hätte er mich inzwischen „grün und blau geprügelt“ oder mir sogar „die Haut bei lebendigem Leib abgezogen“, wie er vorhin gesagt hat. Leslie atmete tief durch und entspannte sich wieder.

Julio sah sie weiterhin von oben herab an. Wahrscheinlich wollte er sie daran erinnern, dass ihr Vater nur ein Gärtner gewesen war, seiner hingegen ein Conde aus uraltem spanischem Adelsgeschlecht. Seit Jahrhunderten arbeiten die de Quadras an der Perfektionierung des Hochmuts, dachte Leslie ironisch, und Julio beherrscht ihn in Vollendung. Plötzlich musste sie lachen.

„Ich hoffe, ich habe nichts Komisches gesagt“, bemerkte er kalt.

„Keine Angst, das passiert dir schon nicht“, beruhigte sie ihn. „Ich dachte mir nur, wie komisch wir beide nebeneinander aussehen: du in deiner Tracht, wie der Held aus Carmen – und ich in meinen spärlichen Fetzen. Der Feudalherr und seine Leibeigene.“

Um seine Lippen zuckte es. „Da du vermutlich nichts zum Anziehen dabeihast, was das Anstandsgefühl der braven Bürger von Ronda weniger schockiert, schlage ich vor, dass du dich in die Sonne setzt und das T-Shirt wenigstens trocknen lässt“, meinte Julio überheblich.

„Sehe ich tatsächlich so aufreizend aus?“, fragte sie verlegen.

„Du wusstest noch nie, wo du die Grenze ziehen musst.“ Er runzelte die Stirn. „Das liegt wahrscheinlich an deinem gesellschaftlichen Hintergrund. Bei der bemerkenswert freien Erziehung, die du genossen hast …“

„Untersteh dich, meinen Vater zu kritisieren“, unterbrach sie ihn gekränkt. Dass sich plötzlich ihr Minderwertigkeitskomplex meldete, machte sie wütend. Selbstsichere, kultivierte und vor allem gebildete Menschen hatten leider manchmal noch immer diese Wirkung auf sie, denn sie hatte nur die Grundschule und einige Abendkurse besucht.

Zornig verteidigte Leslie nun ihren Vater, den sie innig geliebt hatte. „Dad wollte, dass ich glücklich und ungebunden aufwachse. Er hat mir so viel Wunderbares und Nützliches nahe gebracht, was ich aus Büchern nie gelernt hätte. Außerdem hat er großen Wert auf Höflichkeit, Rücksichtnahme und gute Manieren gelegt, was wichtiger ist als übertrieben verfeinertes Benehmen. Na gut, ich weiß nicht, welchen Wein man zu Schokoladenpudding trinkt und wie man einen Bischof korrekt anspricht. Aber ‚Ein gütig’ Herz zählt mehr als Adelskronen‘, falls du das Zitat kennst“, endete sie kriegerisch.

„Werd doch nicht gleich so heftig“, wies Julio sie kalt zurecht. „Ich wollte nur auf den Unterschied zur strengen Erziehung spanischer Mädchen verweisen. Jedenfalls scheinst du dir nicht bewusst zu sein, wie verführerisch dein Körper und dein Verhalten sind und wie viel Selbstbeherrschung das einem Mann abverlangt. Jetzt setz dich endlich dort auf die Mauer und kühl dich ab“, befahl er heiser.

Leslie hatte eigentlich nichts dagegen, sich hinzusetzen, denn plötzlich zitterten ihr die Knie. Von der Anstrengung und Hitze, redete sie sich ein. Nicht deswegen, weil Julio hier ist, so überwältigend attraktiv wie früher, und weil ich Angst habe, dass er womöglich mein Geheimnis entdeckt.

„Wenn du für dein Pfadfinderabzeichen noch eine gute Tat tun musst, bitte“, meinte sie betont unbekümmert, doch ihre Stimme klang zittrig. Leslie stützte die Hände auf die Mauer und atmete tief durch, um sich zu beruhigen.

„Warte, ich helfe dir.“ Julio umfasste ihre schmale Taille, was ihm Vergnügen zu bereiten schien.

Beunruhigt sah Leslie ihn an. „Lass mich sofort los!“, fauchte sie.

„Du atmest stoßweise“, stellte er fest, ohne sie loszulassen.

Das stimmte. „Ja, ich schwitze, ich schnappe nach Luft, ich trage knappe Kleidung. Dir entgeht wirklich nichts an mir“, sagte sie schroff.

„Jede Einzelheit an dir fasziniert mich ja auch“, gab er zu und hob sie so mühelos hoch, als wäre sie federleicht.

Ein erregendes Gefühl durchzuckte sie. Befangen legte sie die Hände leicht auf Julios Schultern, während sie in sein vertrautes Gesicht blickte, das sie einmal so sehr geliebt hatte.

Er zog sie in seinen Bann, wie damals. Kein anderer Mann hatte ihre Sinne so betören können wie Julio. Eine Berührung, ein Blick, ein leises Wort von ihm genügte, und sie war bereit, allen Widerstand aufzugeben.

Inzwischen war Julio verheiratet, doch das änderte nichts an Leslies Empfindungen. Sie schämte sich, weil ihre Vernunft ihre Gefühle nicht beherrschte, und doch wollte sie den erregenden Moment in seinen Armen auskosten. Ihr Herz klopfte heftig wie bei einer drohenden Gefahr.

„Ich bin nur außer Atem, weil …“ Verzweifelt suchte Leslie nach einer Ausrede. „Du weißt ja, wie das ist, wenn man die Nacht durchgetanzt hat und am nächsten Tag arbeiten muss.“ Das sollte so klingen, als hätte sie zahllose Verehrer und würde ständig auf Partys gehen. Julio durfte nicht eine Minute lang glauben, dass er ihr noch irgendetwas bedeutete.

Sein Gesicht wirkte wie aus Granit gemeißelt. „Das erklärt es.“ Er machte eine Pause, bevor er bedeutungsvoll hinzufügte: „Ja, davon werden einem auch die Knie schwach, stimmt’s?“

Sie hoffte, dass er das Tanzen meinte, doch sein spöttisches Lächeln ließ sie vermuten, dass er auf Sex anspielte. „Bei mir eher die Füße. Vom zu vielen Tanzen tun mir die Hühneraugen weh“, sagte sie so ernsthaft wie möglich, um weitere erotische Anspielungen zu verhindern.

„Du hattest noch nie Hühneraugen.“ Julio drückte Leslie kurz an sich. „Ich erinnere mich genau, dass du perfekt geformte Füße hast, weil du als Kind immer barfuß gegangen bist.“

Kurz spürte sie die Wärme seines Körpers durch den dünnen Stoff des T-Shirts, dann setzte Julio sie sanft auf die Mauer, an der sie sich wie eine Ertrinkende festklammerte. Erinnerungen überfielen sie, die sie verzweifelt zu verdrängen versuchte: Julio, der ihre Füße gestreichelt und zärtlich jeden einzelnen Zeh geküsst hatte …

Unwillkürlich stöhnte sie auf.

„Fühlst du dich nicht wohl?“, erkundigte sich Julio besorgt und fühlte ihr die Stirn.

„Ich fühle mich großartig“, behauptete Leslie und schob seine Hand weg.

„Du hast laut gestöhnt.“

„Ja, schon. Die Steine sind sehr heiß“, erklärte sie schroff.

Er sah sie bedeutungsvoll an. „Übrigens, wie ich von früher her weiß, hast du viel Ausdauer. Das muss ja eine tolle Nacht gewesen sein, wenn dir jetzt noch die Knie zittern.“

Erstaunt über seinen wütenden Ton, blickte sie Julio in die Augen, die so kalt und fern wie die schneebedeckten Gipfel der Sierra Nevada wirkten.

Unvermittelt wandte er sich um, griff sich die Schaufel und arbeitete weiter.

2. KAPITEL

Während Julio unermüdlich schaufelte, sah Leslie ihm zu und überlegte, wie sie unauffällig die Frage stellen könnte, wo er hier wohnte.

Dass er sich nicht danach erkundigt hatte, wie es ihr ging und was sie in Spanien machte, bedrückte sie. „Ist deine Frau auch hier?“, fragte sie bemüht beiläufig.

„Nein.“ Das klang schroff. „Warum fragst du?“

„Ach, ich wollte nur höflich Konversation machen.“

„Mit dir rede ich nicht über Elvira.“

„Oh.“ Sie biss sich auf die Lippe. „Na gut, dein Privatleben geht mich nichts an. Aber du schuldest mir noch eine Erklärung, warum du mich damals so … so …“ Kurz presste sie die Lippen zusammen, um sich ihre stürmischen Gefühlen nicht anmerken zu lassen. „Ohne ein einziges Wort hast du mich verlassen. Das Nächste, was ich von dir hörte, war, dass du eine reiche Erbin geheiratet hast.“

Julio richtete sich kerzengerade auf und umfasste die Schaufel so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten. „Ich glaube nicht, dass du alle Einzelheiten darüber hören möchtest.“

„Doch, denn sonst kann ich keinen endgültigen Schlussstrich unter unsere Beziehung machen“, erwiderte Leslie leise. „Wann hast du Elvira eigentlich kennengelernt?“

„Als sie ein Baby war.“

„Du hast sie aber nie erwähnt“, bemerkte sie.

„Hätte ich dir von all meinen entfernten Verwandten erzählen sollen?“, fragte er sarkastisch.

„Hast du aus Pflichtbewusstsein geheiratet, Julio – oder aus Liebe?“

„Sowohl als auch“, antwortete er niederschmetternd und machte sich wieder an die Arbeit.

Die ungeschminkte Wahrheit tat Leslie weh. Es war also eine arrangierte Ehe, wie zwischen zwei Königskindern, die in der Wiege miteinander verlobt werden, überlegte sie betrübt. Julio liebte Elvira trotzdem, hatte sie wahrscheinlich schon immer geliebt … und mit ihr, Leslie, nur eine Affäre im Sinn gehabt. Für ihn, den hochmütigen Aristokraten, war eine Gärtnerstochter sowieso ein Niemand, und da sie nicht zählte, hatte er mit ruhigem Gewissen Elvira geheiratet. Dieser Schuft!

Aber trotz allem ein sehr begehrenswerter Schuft, dachte Leslie, während sie ihn beobachtete.

Autor

Sara Wood
Sara Wood wurde in England geboren. An ihre Kindheit hat sie wundervolle Erinnerungen. Ihre Eltern waren zwar arm, gaben ihr jedoch das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit. Ihr Vater kannte seine Eltern nicht, deshalb war er so glücklich über seine eigene Familie. Die Geburtstagsfeiern, die er gestaltete, waren sensationell: Er...
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