Spiel, Kuss & Sieg

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Spielt ihr Jugendschwarm Alejandro D’Arienzo nur mit ihr?, fragt Tamsin sich verletzt. Die junge Designerin ist mit dem attraktiven Milliardär nach Argentinien gejettet, um Trikots für sein Poloteam zu entwerfen. Doch plötzlich versucht er sie lustvoll zu verführen. Eine gefährliche Herausforderung für Tamsin, die mehr denn je Alejandros Liebe gewinnen will. Doch der scheint vor allem eins zu wollen: Rache, weil ein heißer Flirt mit Tamsin ihn vor acht Jahren fast die Sportlerkarriere kostete. Denn so sinnlich er sie berührt, die magischen drei Worte sagt er nicht …


  • Erscheinungstag 15.11.2009
  • Bandnummer 1896
  • ISBN / Artikelnummer 9783862954353
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Den Lippenstift in der einen, die Zeitschrift mit dem aufgeschlagenen Artikel „Wie verführe ich den Mann meiner Träume?“ in der anderen Hand, posierte Tamsin vor dem Spiegel.

Subtil, so war dort zu lesen, ist nur ein anderes Wort für Versagen. Trotzdem erkannte sie die Gestalt, die ihr mit den dunkel geschminkten Lidern, den stark betonten Wangenknochen und dem Schmollmund aus dem Spiegel entgegenblickte, kaum als sich selbst.

Aber genau das war ja gut, oder? Drei Jahre hatte sie Alejandro D’Arienzo aus der Ferne angehimmelt. Über ein „Hallo“, so war ihr nun klar geworden, würde sie ohne drastische Maßnahmen nicht hinauskommen.

Es klopfte leise, und Serena steckte ihren blonden Lockenkopf zur Tür herein. „Tam, ich warte schon seit einer Ewigkeit …“ Abrupt verstummte sie. „Oh, mein Gott. Was, zur Hölle, hast du mit dir gemacht?“

Tamsin wedelte mit der Zeitschrift in Richtung ihrer Schwester. „Hier steht, dass man nichts dem Zufall überlassen darf.“

Langsam betrat Serena das Zimmer. „Wo hast du nur dieses Kleid her? Es ist komplett durchsichtig!“

„Ich habe nur das für den Abschlussball etwas modifiziert, mehr nicht“, verteidigte Tamsin sich.

„Das ist dein Ballkleid?“, fragte Serena entsetzt. „Verdammt, Tamsin, wenn Mama das herausfindet, flippt sie total aus. Du hast es nicht modifiziert, du hast es geschlachtet!“

Schulterzuckend vollführte Tamsin eine unbekümmerte Drehung. „Ach ja? Ich habe nur den Überrock entfernt, das ist alles.“

„Das ist alles?“

„Gut, den Petticoat habe ich auch ein bisschen gekürzt. So sieht es viel besser aus, findest du nicht?“

„Auf jeden Fall sieht es anders aus“, gab Serena zu. Das halterlose Oberteil aus Spitze, das zu dem knöchellangen Rock noch recht züchtig ausgesehen hatte, wirkte in der Kombination mit den schwarzen Netzstrümpfen und dem knappen schwarzen Jäckchen eher verrucht und lasterhaft.

„Gut“, sagte Tamsin mit fester Stimme. „Denn heute Abend will ich nicht die Tochter des Trainers sein, die gerade aus dem Internat heimgekommen ist und noch nie geküsst wurde. Heute Abend will ich …“ Sie unterbrach sich und las aus dem Artikel vor: „Mysteriös und gleichzeitig direkt, weltgewandt und zugleich sexy sein.“

Von unten drang gedämpftes Lachen zu ihnen hinauf, Stimmen waren zu hören, leise Musik fand ihren Weg in den ersten Stock von Harcourt Manor. Die Party, auf der die Aufstellung der offiziellen englischen Rugbynationalmannschaft verkündet werden sollte, war bereits in vollem Gange. Irgendwo musste auch Alejandro sein. Allein das Wissen, dass er sich im selben Gebäude befand, zauberte ein flaues Gefühl in Tamsins Magen und beschleunigte ihren Herzschlag.

„Sei vorsichtig, Tammy“, warnte ihre Schwester sie. „Alejandro ist atemberaubend, aber er ist auch …“

Sie verstummte und ließ, als suche sie nach den richtigen Worten, den Blick über die vielen Bilder schweifen, mit denen die Wände von Tamsins Zimmer plakatiert waren. Die meisten waren aus den Sportseiten von Zeitungen ausgeschnitten oder stammten aus alten Programmheften von Rugbyspielen. Alle zeigten Alejandro D’Arienzo. Serena erschauerte. Atemberaubend attraktiv, ja, aber auch skrupellos und kalt.

„Was? Außerhalb meiner Liga? Du glaubst, es wird nicht funktionieren?“, fragte Tamsin. Ein Hauch Verzweiflung hatte sich in ihre Stimme geschlichen. „Denkst du, er will mich nicht?“

Serena schaute ihre Schwester an. Tamsins grüne Augen leuchteten, als würden sie durch ein inneres Licht erhellt. Ihre Wangen waren vor Nervosität und Aufregung gerötet.

„Das ist es nicht. Natürlich will er dich.“ Sie seufzte. „Genau das bereitet mir ja Sorgen.“

Über dem majestätischen Kamin in der Eingangshalle von Harcourt Manor hing das Porträt eines Calthorpe aus dem siebzehnten Jahrhundert. Auf seinen blassen Lippen lag ein selbstgefälliges Lächeln, im Hintergrund waren Galeonen auf einem stürmischen Meer zu sehen. Darüber zog sich auf einem Banner der auffällige Schriftzug: Gott blies, und sie waren besiegt.

Alejandro D’Arienzo spürte, wie sich ein spöttischer Ausdruck auf sein Gesicht legte, als er in die kalten Augen von Henry Calthorpes Vorfahren schaute. Zwischen den beiden Männern bestand keinerlei Ähnlichkeit – abgesehen von ihrem gemeinsamen Hass auf die Spanier. Alejandro erinnerte sich an die Geschichten, die sein Vater ihm in Argentinien erzählte, als er noch ein Kind war. Ihre Ahnen hatten sich nämlich unter den ersten conquistadores befunden, die von Spanien aus in die Neue Welt gesegelt waren.

Seine Teamkameraden standen in Gruppen zusammen, lachten und tranken mit den Funktionären der Rugby Football Union und den wenigen Journalisten, die es geschafft hatten, einen Platz auf der Gästeliste zu ergattern. Dazwischen schwirrten flirtend einige blonde schlanke Rugby-Groupies umher.

Henry Calthorpe, der Trainer des englischen Rugbyteams hatte eine große Show daraus gemacht, die neue Nationalmannschaft in seinem prächtigen Landhaus vorzustellen. So sollte gezeigt werden, dass alle ein Team, eine Einheit, eine Familie waren. Ein höhnisches Grinsen schlich sich auf Alejandros Lippen.

Harcourt Manor wirkte, als sei es nur zu dem Zweck entworfen worden, um ihn, Alejandro, daran zu erinnern, wie sehr er in Wirklichkeit eine Außenseiterrolle einnahm. Und er war sich verdammt sicher, dass genau das Henry Calthorpes Absicht war.

Anfangs hatte er noch geglaubt, er sei übersensibel. Doch mittlerweile ließ sich die offene Feindseligkeit des Trainers ihm gegenüber nicht mehr leugnen. Alejandro spielte besser denn je – zumindest zu gut, um ihn grundlos aus dem Team zu werfen. Dennoch wollte Calthorpe ihn feuern. Er wartete nur darauf, dass Alejandro einen Fehler beging.

Alejandro hoffte nur, dass Calthorpe ein geduldiger Mann war. Denn er hatte nicht vor, ihm diesen Gefallen zu tun.

Er leerte sein Champagnerglas in einem Zug und stellte es auf einer besonders wertvoll aussehenden antiken Truhe ab. Im ganzen Raum gab es keinen Menschen, mit dem er sich hätte unterhalten wollen.

Die jungen Frauen glichen einander wie ein Ei dem anderen. Gespräche mit ihnen drehten sich immer nur um Leute, die sie kannten und von denen sie annahmen, dass auch Alejandro sie kannte. Oft genug hatten Partys wie diese damit geendet, dass er mit einer Blondine ins Bett gegangen war, nur damit sie endlich den Mund hielt.

Heute Abend jedoch erschien ihm selbst das zu mühsam. Auf einmal überwältigte ihn das Bedürfnis nach frischer Luft.

Und dann sah er sie.

Den Kopf leicht gesenkt, stand sie auf der Türschwelle, eine Hand an den Rahmen gelegt, als müsste sie sich festhalten. Die Geste verlieh ihr eine Aura von Schüchternheit und Unsicherheit, die in krassem Gegensatz zu ihrem kurzen schwarzen Kleid und den sehr hohen Absätzen stand. Doch die Details ihrer Kleiderwahl entgingen ihm. Es waren ihre Augen, die ihn in ihren Bann zogen.

Sie waren wunderschön – grün, mandelförmig, ein wenig schräg stehend. Aber auch das waren nur Nebensächlichkeiten. Was ihm schier den Atem raubte, war die Intensität ihres Blickes.

Unwillkürlich verlangsamten sich seine Schritte, je näher er ihr kam. Ihr Blick blieb fest auf ihn gerichtet.

„Du gehst schon?“

Ihre Stimme klang zögernd, die Worte zwischen Frage und Feststellung. Er lächelte träge.

„Das halte ich für das Beste.“

Aus der Nähe sah er, dass sie jünger war, als er angenommen hatte. Sie zitterte ein wenig.

„Nein“, erwiderte sie bestimmt. „Bitte, geh nicht.“

Interesse flackerte in ihm auf, plötzlich und heiß. Sie schaute ihn unter dunkel getuschten langen Wimpern hervor fast flehend an.

„Warum nicht?“

Ohne ihn aus den Augen zu lassen, griff sie nach seiner Hand und machte einen Schritt rückwärts. Die Berührung sandte ein Kribbeln seinen Arm entlang.

„Weil ich es will.“ Sie lächelte schüchtern. „Ich will, dass du bleibst.“

1. KAPITEL

Sechs Jahre später.

Sich nach dem Abpfiff gegen die Wand des Spielertunnels in Twickenham zu lehnen, fühlte sich ein bisschen so an, als sei man im Bauch einer gigantischen Bestie gefangen, die zudem noch höllische Schmerzen litt. Tamsin hatte es nicht über sich gebracht, sich das Spiel anzusehen, aber der Lärm der Zuschauer verriet ihr auch so, dass England gerade eine haushohe Niederlage erlitten hatte.

Nicht, dass es Tamsin interessierte. Das Team hätte gegen eine Schar aufgeweckte Sechsjährige verlieren können – solange sie dabei gut aussahen!

Sie atmete zitternd aus und stieß sich von der Wand ab. Ihre Knie fühlten sich weich an, ihre Beine wollten sie kaum tragen. Jetzt war der Moment gekommen, in dem sie herausfinden musste, ob sich die Arbeit der letzten Monate – und die panische Schadensbegrenzung der vergangenen achtzehn Stunden – bezahlt gemacht hatte.

Wie eine Schlafwandlerin bewegte sie sich auf den Ausgang des Tunnels zu und blickte in das große Stadion, das sich wie eine Arena für Gladiatoren vor ihr erstreckte. Mit gesenkten Köpfen und hängenden Schultern kam ihr das englische Team entgegen. Ängstlich schaute Tamsin von einem Spieler zum nächsten. Sie verschwendete keinen Gedanken an die niedergeschlagenen Mienen, sondern empfand nur ungeheure Erleichterung.

Die Spieler mochten keine Glanzleistung erbracht haben, aber ihre Trikots hatten sich glänzend geschlagen. Und soweit es Tamsin, Designerin der neuen Trikots, anging, war das alles, was zählte. Bislang hatte sie allerlei gehässige Kommentare einstecken müssen, was für ein Zufall es doch sei, dass der prestigeträchtige Auftrag ausgerechnet bei der Tochter des neuen RFU-Vorsitzenden gelandet sei. Jeder Fehler grenzte also an geschäftlichen Selbstmord.

Sie fuhr mit der Hand durch die kurzen platinblonden Haare und rieb sich die müden Augen. Deshalb durften die Probleme, die gestern bei der Produktion der Trikots aufgetreten waren, auch nie publik werden.

Am Eingang des Tunnels traf sie der harte Ostwind mit voller Wucht. Selbst der lange Wintermantel, den sie über dem dünnen Cocktailkleid trug, hielt die Kälte nicht ab. Gestern Abend hatte sie die Wohltätigkeitsveranstaltung früh verlassen und war sofort in die Fabrik gefahren. Daher war ihr keine Zeit mehr geblieben, sich zu Hause umzuziehen. Zehn Stunden, diverse Hilfeanrufe bei Serena und Unmengen schwarzer Kaffee später war sie in Besitz von exakt der Anzahl Trikots, die auf dem Feld benötigt wurden – das ganze Spiel hindurch hatte sie gebetet, dass es keine Auswechslungen geben würde. Erst allmählich atmete sie wieder leichter.

Das Gefühl hielt ungefähr zehn Sekunden.

Dann umfing sie namenloses Entsetzen. Tamsin schaute zur Leinwand am südlichen Ende des Stadions. Alle Luft wurde aus ihren Lungen gepresst und durch etwas ähnlich Tödliches wie Napalm ersetzt.

Er.

Deswegen hatte England also verloren.

Alejandro D’Arienzo war zurück. Und diesmal spielte er im Team der Gegner.

Tamsin klopfte das Herz bis zum Hals. Wie oft hatte sie in den vergangenen sechs Jahren schon geglaubt, Alejandro zu sehen? Wie oft hatte sie sich auf der Straße nach einem großen dunkelhaarigen Mann umgedreht, um ihn noch einmal zu betrachten? Wie oft hatte sie schon geglaubt, sein markantes Profil in einem schnittigen Sportwagen gesehen zu haben – nur um dann herbe Enttäuschung und gleichzeitig extreme Erleichterung zu empfinden, als ihr klar wurde, dass sie einen weit weniger charismatischen Fremden anstarrte?

Doch beim Anblick des übergroßen Bildes auf der Leinwand, des muskulösen Körpers, der breiten Schultern wusste sie, dass ihr kein Aufschub mehr vergönnt war.

Die Zuschauer brachen in spontanen Jubel aus, als die Kamera näher heranzoomte, und sein ernstes Gesicht unter dem Schriftzug Man of the Match erschien. Er trug noch den Mundschutz, der die Sinnlichkeit seiner vollen Lippen zusätzlich betonte. Eine Sekunde lang blickte er direkt in die Kamera.

Es fühlte sich an, als würde er sie ansehen.

Tamsin wollte den Blick abwenden, doch ein beinahe masochistischer Wesenszug zwang sie, hilflos den Bildschirm anzustarren. Plötzlich war sie wieder achtzehn, ängstlich und aufgeregt, als ihre Blicke sich in Harcourt Manor begegnet waren und Alejandro auf sie zugegangen war …

Die englischen Spieler hatten sich auf beiden Seiten des Tunnels aufgestellt und zollten dem gegnerischen Team klatschend Beifall. Auf einmal scherte Ben Saunders, einer der jüngeren englischen Spieler, aus der Reihe aus und begann, zurück aufs Spielfeld zu gehen. Wie betäubt verfolgte Tamsin, wie er sein Trikot über den Kopf zog und es Alejandro in einer sportlichen Geste des Respekts entgegenhielt.

Eine Sekunde rührte sich der stolze Argentinier nicht. Angespanntes Schweigen senkte sich über das Stadion. Es war, als hielten alle den Atem an, um zu sehen, ob Alejandro D’Arienzo, vormals Star der englischen Mannschaft, das Trikot annehmen würde.

Und dann brach abermals lautstarker Jubel aus, als Alejandro den Saum seines eigenen Trikots fasste und es langsam auszog. Auf den Leinwänden erschien Zentimeter für Zentimeter sein muskulöser, bronzefarbener Bauch. Und dann, während er das Trikot über seinen Kopf zog, schrie und lärmte das Publikum vor Begeisterung, als die tätowierte Sonne – das Symbol Argentiniens – über seinem Herzen zum Vorschein kam.

Nur undeutlich war Tamsin sich bewusst, dass sie die Hände so fest zu Fäusten geballt hatte, dass sich die Nägel schmerzhaft in die Handflächen gruben. Angewidert wandte sie sich ab.

Sicher, Alejandro D’Arienzo war atemberaubend attraktiv. Darüber brauchte man nicht zu diskutieren. Aber er war auch der kälteste und arroganteste Mistkerl, der je gelebt hatte. Nur blieben die meisten Menschen von dem Unglück verschont, beide Seiten von ihm kennenzulernen.

Sie nicht. Und sie trug immer noch die Narben dieser Begegnung. Warum also drehte sie sich wieder um und starrte ihn wie ein schwärmender Teenanger an, während er über das Spielfeld ging und dabei das englische Trikot überstreifte? Die Zuschauerränge hatten sich in ein Meer aus weißen und roten Fahnen verwandelt. Das Publikum jubelte begeistert, als es seinen unvergessenen Helden wieder im Trikot der englischen Mannschaft sah.

Und plötzlich traf es sie wie ein Blitz.

In einem englischen Trikot.

Alejandro D’Arienzo in einem englischen Trikot.

In einem kostbaren, in letzter Minute fertig gewordenen englischen Trikot, bezahlt mit Blut, Schweiß und Tränen. In einem Trikot, das sie unter gar keinen Umständen verlieren durfte.

„Nein!“

Tamsin machte einen Satz vorwärts, ihre Zehn-Zentimeter-Absätze sanken tief im matschigen Spielfeld ein. Verzweifelt versuchte sie, die Menge aus Journalisten, Trainern, Betreuern und Groupies zu durchqueren und den Eingang zum Tunnel zu erreichen, bevor Alejandro in den Katakomben unter dem Stadion verschwand.

„Bitte, ich muss …“

Es war, als sei sie unsichtbar. In dem Moment, in dem Alejandro das Spielfeld verließ, umringten ihn die Journalisten. Tamsin wurde abgedrängt und fand sich schließlich weit abseits der Wand aus Körpern wieder. In ihrem Kopf hämmerte nur ein Gedanke: Das Trikot, ich muss das Trikot zurückbekommen, sonst …

Sie unternahm noch einen Versuch, sich durch die Menge zu quetschen. Jemand hielt sie an ihrem Mantel fest, doch die Panik verlieh ihr ungeahnte Kräfte, und sie riss sich los.

In diesem Augenblick beendete Alejandro das Interview mit den Journalisten und bewegte sich in Richtung des Tunneleingangs. Tamsin stolperte, weil die Menschentraube sich mit ihm bewegte. Gerade, als sie glaubte, zu fallen, wurde sie von starken Armen gepackt.

„Tamsin! Vorsicht, mein Liebling.“ Es war Matt Fitzpatrick, die englische Nummer fünf. Er grinste gutmütig, wobei er ihr eine frische Zahnlücke präsentierte. „Stimmt’s, oder hab ich recht? Als du mein grandioses Tor in der ersten Halbzeit gesehen hast, ist dir endlich klar geworden, dass du ohne mich nicht mehr leben kannst.“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich … ich brauche …“ Ihre Stimme glich einem atemlosen Krächzen. Panisch schaute sie sich um und sah Alejandro soeben im Tunneleingang verschwinden. „Ihn“, flüsterte sie heiser.

Matt zuckte die Schultern und seufzte theatralisch. „Ich verstehe. Da kann man wohl nichts machen.“ Und damit hob er sie in seine muskulösen Arme und, bevor sie noch protestieren konnte, marschierte er lässig durch die Menschenmenge. „D’Arienzo!“

Ein entsetztes Geräusch entrang sich ihrer Kehle. „Matt, nicht!“, rief sie und wand sich in seinen Armen. Der Mantel rutschte von ihren Schultern, der ohnehin schon kurze Rock ihres Cocktailkleides entblößte auf einmal ziemlich viel Bein. Aber es war zu spät. Wie in Zeitlupe beobachtete sie, wie Alejandro stehen blieb.

Sich umdrehte.

Sie ansah.

Und dann, ohne das geringste Interesse oder Wiedererkennen zu zeigen, Matt fragend anschaute.

„Ja?“

„Jemand will dich“, erwiderte Matt grinsend und setzte Tamsin

auf dem Boden ab.

Rasch senkte sie den Kopf. Auf einmal fühlte sie sich, als bestehe ihr Blut zu fünf Teilen aus Wodka. Gleichzeitig empfand sie wahnsinnige Erleichterung. Er erkannte sie nicht. Natürlich nicht – damals war ihr Haar länger gewesen, dunkler. Und sie viel jünger.

Und sie hatte ihm absolut nichts bedeutet.

Das war sehr gut. Die Demütigung, mit ihm sprechen zu müssen, wenn er sich an die Nacht erinnert hätte, hätte sie kaum ertragen können. Ein angeborener Selbsterhaltungstrieb befahl ihr, bloß nicht den Kopf zu heben und dem Mann in die Augen zu sehen, der ihre Welt in tausend Scherben hatte zersplittern lassen und dann ohne einen Kratzer gegangen war.

Oh, verflixt, ihr Selbsterhaltungstrieb hatte nicht mit der Wirkung des Anblicks seiner muskulösen Beine gerechnet. „Wirklich?“, sagte er ruhig. „Was könnte denn Lady Tamsin Calthorpe wohl mit mir wollen?“

Adrenalin schoss durch ihre Adern, und sie hob den Kopf. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen, doch seine Augen waren kalt und finster.

Tapfer zwang sie sich, seinem Blick standzuhalten. Also erinnerte er sich doch. Trotzdem besaß er den Nerv, sie anzuschauen, als habe sie etwas falsch gemacht. Was denn, zum Beispiel? Nicht attraktiv genug gewesen zu sein? Die Lippen fest zusammengepresst, drängte sie die Frage zurück, die sie sich selbst ungefähr eine Millionen Male gestellt hatte. Stattdessen sagte sie: „Nicht dich. Das Trikot. Könntest du es bitte ausziehen?“

In sein Gesicht zu schauen, war eine einzige Qual. Dabei hätte sie daran gewöhnt sein sollen. Hatte sie es nicht schon so oft in ihren Träumen gesehen?

„Oje“, sagte er. „Wie lange ist es her? Fünf Jahre? Und anscheinend hat sich rein gar nichts geändert.“

Tamsin schluckte. „Sechs“, fuhr sie ihn an und hätte sich am liebsten gleich auf die Zunge gebissen. Nun wusste er, dass ihr die Begegnung wichtig war. „Ich habe keine Ahnung, was du meinst. Ich finde, es hat sich vieles geändert.“

Ich bin zum Beispiel nicht mehr so naiv zu glauben, dass das Gesicht eines Engels und der Körper eines Gottes einen oberflächlichen, gefühllosen Mistkerl in einen Helden verwandelt.

„Ach, wirklich?“ Er streckte die Hand aus und strich eine vorwitzige Haarsträhne hinter ihr Ohr zurück. „Nun, da ist natürlich das hier, aber ich spreche nicht über Äußerlichkeiten. Mich interessiert mehr, was unter der Oberfläche liegt.“

Hitze breitete sich tief in ihrem Inneren aus, als er seinen Blick über ihren Körper wandern ließ, das Cocktailkleid aus schwarzem Satin unter dem dicken Mantel musterte und dann die lehmverschmierten High Heels, die sehr offensichtlich verkündeten, dass sie die Nacht nicht zu Hause verbracht hatte.

„Ich bin sicher, deine Aufforderung, das Trikot auszuziehen, besitzt normalerweise eine überaus hohe Erfolgsquote – vor allem weil dein Daddy mittlerweile eine so hohe Position in der RFU innehat. Mich beeindruckt das allerdings leider überhaupt nicht. All das habe ich hinter mir gelassen … Aber das weißt du ja selbst am besten, oder?“

Sie würde nicht wanken, würde nicht seiner Stimme, seiner Berührung oder seiner Frage oder sonst etwas erliegen. Stattdessen blickte sie über seine Schulter hinweg die Tunnelwand an und erwiderte gelangweilt: „Was auch immer. Ich möchte nur das Trikot zurück, bitte.“

Wortlos, als wäge er seine Optionen ab, trat Alejandro noch einen Schritt auf sie zu. Die anderen Spieler schlenderten an ihnen vorbei und erfüllten den Tunnel mit Rufen und dem Geklapper ihrer Stollenschuhe. Doch nichts davon nahm Tamsin wahr. Ihre Fassade begann zu bröckeln. Alejandros körperliche Nähe erfüllte ihre Sinne. In ihrem Bewusstsein war nur noch Platz für die breiten Schultern, die Brustmuskeln, die sich unter dem eng geschnittenen Trikot abzeichneten, dem Geruch von feuchtem Gras und Lehm und Schweiß, der von ihm ausging.

„Da bin ich mir sicher“, sagte er nachdenklich. „Das Letzte, was dein Vater will, ist, mich wieder in einem englischen Trikot zu sehen. Immerhin hat er vor sechs Jahren alles daran gesetzt, mich aus meinem zu vertreiben.“ Damit wandte er sich ab und ging.

„Warte!“

Wütend hastete Tamsin ihm nach. Kaum war sie seiner Nähe entkommen, konnte sie auch wieder klar denken. Sie überholte ihn und baute sich auf der Schwelle zur Kabine des Gästeteams auf.

„Das Trikot, Alejandro.“

Ein gefährliches Funkeln erschien in seinen Augen. Einen Moment fragte sie sich, ob er sie einfach beiseite drängen würde. Dann schien er sich anders zu entscheiden. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie gedacht, ein gewisser Sinn für Takt halte ihn zurück. Aber das war ja lächerlich. Schließlich hatte sie am eigenen Leib erfahren müssen, dass er nicht einen Funken Anstand besaß.

Er blieb stehen und machte eine kapitulierende Geste. „Na gut, dann nimm es.“

Verstohlen schaute Tamsin sich um. Im Tunnel war es jetzt leerer, nur einige Journalisten und Kameraleute standen außerhalb des Presseraums. „Ich? Soll es dir ausziehen? Lass den Unsinn, das kann ich nicht.“

Wieder zuckte Alejandro leicht die Schultern und ließ die Hände sinken. „Ich denke, wir beide wissen, dass du es kannst, schließlich hast du es schon einmal getan. Aber wenn du nicht willst …“

Er kam näher, woraufhin sie automatisch zur Seite wich. „An

scheinend ist es doch nicht so wichtig.“

„Ist es.“

Alejandro griff nach der Türklinke. Ohne zu wissen, was sie tat, legte sie eine Hand auf seinen Arm und hielt ihn zurück.

Es war, als hätte sie einen Blitz berührt. Grellweiße Energie loderte ihren Arm empor und explodierte in ihrem Inneren. Wie konnte das sein, dass nicht ein einziges Mal in sechs Jahren sie dieses Gefühl bei einem anderen Mann überkommen hatte – selbst, wenn sie es gewollt hatte?

Er wandte sich um, sodass er nun mit dem Rücken zur Tür stand. „Okay. Wenn es dir so viel bedeutet, nimm es dir.“

Ihr wurde klar, dass er sie herausforderte. Und Tamsin Calthorpe war keine Frau, die einer Herausforderung widerstehen konnte. Tu es einfach, befahl sie sich. Du bist jetzt ein großes Mädchen, kein unbeholfener Teenager mehr. Zeig ihm, dass du keine Angst vor ihm hast!

Rasch, damit er nicht sah, wie sehr ihre Hände zitterten, fasste sie nach dem Saum und zog ihn nach oben. Alejandro rührte sich keinen Zentimeter, er sah sie nur spöttisch an. „Du genießt das, oder?“, fauchte sie ihn an.

„So sanft von einer wunderschönen Frau ausgezogen zu werden?“, fragte er mit ironischem Unterton. „Wer würde das nicht?“

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um das Trikot über seinen zu Kopf ziehen. Ihr Atem ging stoßweise; es kostete sie jeden Funken Selbstbeherrschung, nichts von der Erregung preiszugeben, die die Nähe zu seinem überwältigend männlichen Körper in ihr weckte. Plötzlich lehnte er sich gegen die Tür, die unvermittelt aufschwang, sodass Tamsin mit einem überraschten Aufschrei gegen seine Brust taumelte.

Begeisterte Rufe und Pfiffe schallten ihr aus der Kabine entgegen. Tamsin erstarrte. Immer noch hielt sie den Saum, des mittlerweile bis zur Brust hochgeschobenen Trikots in Händen. Verflixt! Sie ahnte, was für ein Bild sie so bot.

Genau wie es Alejandro beabsichtigt hatte.

„Sag mir nicht, dass es dir keinen Spaß macht“, murmelte er amüsiert.

Tamsin trat einen Schritt zurück. Ein Gefühl von unheimlicher

Ruhe überkam sie. Sie spürte, wie sich ein gönnerhaftes Lächeln auf ihren Lippen ausbreitete, als sie den Saum zwischen Daumen und Zeigefinger fasste und langsam wieder über Alejandros Bauch zog.

„Zieh dich wieder an, Alejandro“, tadelte sie von oben herab. „Ich weiß gar nicht, was das soll!“

Mit einem letzten mitleidigen Blick auf Alejandro wandte sie sich um und marschierte davon. Das Gefühl von Triumph und Euphorie hielt so lange an, bis die Kabinentür ins Schloss fiel. Dann sackte sie zitternd gegen die Wand.

Plötzlich schien ihr das Trikot das Geringste ihrer Probleme zu sein.

Die amüsierten Rufe seiner Teamkameraden ignorierend, zog Alejandro das Trikot über den Kopf und warf es verächtlich auf die Bank. Er griff nach einem Handtuch und ging in den angrenzenden Duschraum hinüber. Dank der Begegnung mit der Hohepriesterin von Verführung und Verrat empfand er nicht die übliche Erschöpfung, die ihn normalerweise nach einem Spiel überkam. Seine Gedanken rasten, pures Adrenalin pulsierte durch seine Adern.

Adrenalin und weit weniger angemessene Hormone.

In dem weiß gekachelten Duschraum waren sechs Badewannen mit eiskaltem Wasser aufgebaut. Tests hatten ergeben, dass ein Bad im kalten Wasser unmittelbar nach einem Spiel das Verletzungsrisiko erheblich minderte und der Körper sich schneller regenerierte. Trotzdem war die Maßnahme unter den Spielern nicht sonderlich beliebt.

In einer der Wannen saß Dean Randall und zitterte vor Kälte. „Willkommen im Spa von Twickenham“, scherzte er zähneklappernd. „Wenn ich du wäre, hätte ich das Trikot angelassen. Einen großen Unterschied macht es zwar nicht, aber immer noch besser als gar nichts.“

Autor

India Grey
<p>India Grey liebte schon als kleines Mädchen romantische Liebesgeschichten. Mit 13 Jahren schrieb sie deshalb das erste Mal an den englischen Verlag Mills &amp; Boon, um die Writer's Guidelines anzufordern. Wie einen Schatz hütete sie diese in den nächsten zehn Jahren, begann zu studieren … und nahm sich jedes Jahr...
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