Spiel nicht mit meiner Liebe!

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Griechische Sonne und weiße Strände - Ann ist machtlos gegen die Gefühle, die der schwerreiche Nikos in ihr weckt. Sie gibt sich ihm hin, doch sogar nach einer leidenschaftlichen Nacht hat sie noch Zweifel: Kann sie dem Mann vertrauen, der ihr das Liebste genommen hat?


  • Erscheinungstag 20.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710965
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Der Privatjet durchschnitt die winterliche Nacht Richtung Norden. Finster starrte der einsame Passagier durch das kleine Fenster in die Dunkelheit. Er wirkte nachdenklich, als ob er sich in Erinnerungen verlieren würde.

Zwei Jungen, sorglos, glücklich.

Brüder, die glaubten, alle Zeit der Welt zu haben.

Doch für einen war die Zeit bereits abgelaufen.

Ein scharfer Schmerz durchfuhr den Mann.

Andreas! Mein Bruder!

Aber Andreas war gegangen, für immer. Er hatte eine weinende Mutter und einen leidgeprüften Bruder zurückgelassen.

Und ein wundervolles Geschenk des Trostes …

Entschieden klingelte es an der Tür. Ann, die eben dabei war, das Chaos in der Küche zu beseitigen, warf einen Blick zu der Wiege, um sich zu vergewissern, dass Ari von dem Lärm nicht aufgewacht war. Dann lief sie zur Tür und schob sich dabei ein paar wirre Haarsträhnen aus dem Gesicht. Wer in aller Welt wollte denn um diese Uhrzeit etwas von ihr?

Doch kaum hatte sie die Tür geöffnet, wusste sie es. Groß und dunkel stand er da, mit versteinerter Miene. Am Bordstein parkte eine teure Limousine mit Chauffeur, die so gar nicht in dieses heruntergekommene Viertel passte.

„Miss Turner?“

Seine Stimme war tief, mit leichtem Akzent. Und sie klang kalt, hart.

Ann nickte knapp, während plötzlich Angst in ihr aufstieg.

„Ich heiße Nikos Theakis“, erklärte er. „Ich bin wegen des Jungen gekommen.“

Nikos Theakis. Der Mann, den sie am meisten auf der Welt hasste.

Wie erstarrt stand sie da, als er an ihr vorbei den engen Flur betrat und mit abfälligem Blick die ärmliche Einrichtung musterte. „Wo ist er?“

Anns Gedanken überschlugen sich, während sie nichts anderes tun konnte als ihn anzustarren. Einen großen schlanken Mann, gekleidet in einen edlen Designeranzug, das schwarze Haar streng zurückgekämmt. Sein Gesicht faszinierte sie, auch wenn es nicht so sein sollte.

Tiefdunkle Augen, eine aristokratische Nase, hohe Wangenknochen und ein wohlgeformter, sinnlicher Mund.

Sie schluckte. Wie kam sie nur darauf, diesen Mann so anzustarren? Als ob er nicht der wäre, als der er sich vorgestellt hatte.

Nikos Theakis – reich, mächtig, arrogant und rücksichtslos. Der Mann, der das Leben ihrer Schwester zerstört hatte.

Ann wusste, dass es so war, denn ihre Schwester hatte es ihr oft genug erzählt.

Carla war immer ein Sonnenschein gewesen, bezaubernd und sprühend vor Leben. Partys waren ihre Welt. Doch eines Tages war es vorbei damit gewesen. Und Carla hatte in Anns beengtem Apartment Unterschlupf gesucht, weil sie nicht wusste, wo sie sonst bleiben sollte. Verzweifelt und allein.

„Er hat gesagt, dass er verrückt nach mir ist. Jetzt bin ich schwanger, und er will mich nicht heiraten. Ich weiß genau, warum nicht.“ Tiefer Schmerz verzerrte ihre schönen Züge. „Wegen seines Bruders, dem allmächtigen Nikos Theakis. Er hat mich angesehen, als sei ich der letzte Dreck!“

Schockiert hatte Ann zugehört und versucht, sie zu beruhigen, indem sie erklärte, dass der Kindsvater sie finanziell unterstützen müsse …

„Ich will aber, dass Andreas mich heiratet!“

Die folgenden Monate waren nicht einfach gewesen. Carla war in eine bedrückende Lethargie versunken und hatte Ann verboten, mit dem Kindsvater Kontakt aufzunehmen, auch nicht, um zumindest den Unterhalt zu regeln.

„Andreas weiß, wo ich bin“, hatte sie teilnahmslos erklärt.

Doch Andreas war nicht gekommen, und auf Carlas ohnehin schwierige Schwangerschaft folgte eine noch schwierigere Geburt, nach der sie in eine postnatale Depression verfiel, die Ann auf das ablehnende Verhalten des Kindsvaters zurückführte. Ihr selbst war nun die Aufgabe zugefallen, sich um den kleinen Ari zu kümmern, denn Carla, die zu dem Baby scheinbar keine Bindung aufgebaut hatte, versank immer tiefer in ihrer Depression.

Die Heilung, als sie dann endlich kam, verlief dramatisch. Ein Klopfen an der Tür – ein junger Mann, hübsch, aber angespannt und unsicher.

„Ich bin Andreas Theakis“, sagte er zu Ann.

Mehr war nicht notwendig gewesen für Carla, um ihm überglücklich in die Arme zu sinken. Jetzt würde sich ihr Leben ändern, so hatte sie geglaubt. Die Wirklichkeit sah jedoch weniger romantisch aus, als Ann sich für ihre Schwester erhofft hatte. Denn Andreas wollte einen Vaterschaftstest machen lassen.

„Ich muss meinem Bruder einen Beweis liefern“, erklärte er Ann mit ängstlicher Stimme. Doch Carla war siegesgewiss.

„Ari sieht doch haargenau wie Andreas aus! Und jetzt bekommt der allmächtige Nikos Theakis seine Quittung! Andreas hat versprochen, mich zu heiraten, weil er seinen Sohn bei sich haben will. Und sein verdammter Bruder kann nichts dagegen tun!“

Verbittert hatte Ann sich gefragt, ob Carla mit ihrer siegesgewissen Haltung das Schicksal herausgefordert hatte. Denn es hatte nicht der Niedertracht eines Nikos Theakis bedurft, um seinen Bruder von der Hochzeit mit ihrer Schwester abzubringen. Ein unbedachter Augenblick auf den unbekannten Straßen Englands in einem schnellen Mietwagen und ein falsche Entscheidung von Andreas hatten ihr Carla genommen.

Zwei Leben waren ausgelöscht worden.

Ann war an diesem Tag mit dem kleinen Ari zu Hause geblieben. Auf einen Schlag war er zum Vollwaisen geworden.

Das Grauen und die überwältigende Trauer würde Ann nie vergessen. Andreas’ Leichnam war nach Griechenland überführt worden. Und da sich niemand aus dessen Familie hatte blicken lassen, hatte Ann mit der Beerdigung ihrer Schwester allein dagestanden. Genauso wie mit dem kleinen Ari, der nun niemanden auf der Welt mehr hatte außer ihr. Sie hatte auch nicht versucht, mit Andreas’ Familie Kontakt aufzunehmen, da diese deutlich gemacht hatte, dass Carla unerwünscht war – so wie ihr Kind.

Ari war Anns Ein und Alles, ihr Trost in dem unendlichen Meer der Trauer. Trauer um ihre Schwester und den Mann, den sie unbedingt hatte heiraten wollen. Wut auf seinen Bruder, der sie davon abgehalten hatte. Der Bruder, der nun in ihrem Flur stand und sie mit seinem Blick durchbohrte.

Und der Ari haben wollte.

Als Nikos keine Antwort bekam, ging er durch den engen Flur zu der Küche, die am Ende lag. Seine Züge verhärteten sich, als er das Chaos dort bemerkte. Der Abwasch türmte sich in der Spüle, und auf dem Tisch mit der billigen Plastikdecke standen noch die Überreste des Frühstücks. Was seinen Blick jedoch besonders anzog, war die Wiege. Langsam ging er hin und schaute hinein. Andreas’ Sohn! Wie ein hell strahlendes Wunder inmitten des dunklen Albtraums. Überwältigt starrte er auf das schlafende Baby und streckte langsam die Hand nach ihm aus.

„Fassen Sie ihn nicht an!“ Der schrille Ton ließ ihn innehalten. Überrascht drehte er sich um.

Ann Turner stand in der Tür und umklammerte mit einer Hand den Türpfosten. Nikos zog die Brauen hoch. Glaubte diese Frau, dass er den Jungen auf der Stelle mitnehmen würde? Nein, er würde zurückkommen, wenn alle Papiere unterzeichnet waren und er ein passendes Kindermädchen engagiert hatte, um dann für einen friedlichen Umzug seines Neffen zu sorgen. Heute war er nur gekommen, weil es ihn gedrängt hatte, mit eigenen Augen dieses Kind zu sehen, dass der einzige Trost war, seit Andreas’ Tod wie eine dunkle Wolke über der Familie Theakis hing.

Für einen Moment schweifte sein Blick zu der Gestalt in der Tür. Sie passte in diese Wohnung, mit ihrer schäbigen Kleidung, den zerzausten Haaren, die sie achtlos zusammengebunden hatte, und den Flecken vom Babybrei auf dem formlosen T-Shirt. Es hätte keinen größeren Unterschied zwischen ihr und der Frau geben können, die ihre geldgierigen Klauen nach seinem Bruder ausgestreckt hatte. Carla Turner war ein schillernder Paradiesvogel gewesen. Seine Schwester hingegen wirkte wie ein dürrer Spatz aus der Gosse.

Doch es war ihm egal, wie Ann Turner aussah, nur das Baby, das in ihrer Obhut war, interessierte ihn.

Inzwischen stand sie neben der Tür. „Ich möchte, dass Sie gehen, Mr. Theakis. Ich habe Ihnen nichts zu sagen, und ich will nicht, dass sie Ari stören.“ Ihr Ton war scharf, feindselig.

Schweigend starrte er sie an, und Ann spürte, dass sie rot anlief. Sie bemühte sich um Haltung, da sie den Schock über sein plötzliches Erscheinen immer noch nicht verkraftet hatte. Schließlich kam er auf sie zu, ohne ein Wort zu sagen. Schnell trat sie zur Seite, als er an ihr vorbei auf die Eingangstür zuging. Ihre Erleichterung währte nicht lange, denn statt ihre Wohnung zu verlassen, betrat er das kleine Wohnzimmer neben dem Eingang.

Mit klopfendem Herzen eilte sie hinter ihm her. „Ich hatte Sie gebeten zu gehen, Mr. Theakis …“, begann sie, wurde jedoch unterbrochen, da er entschieden seine Hand hob, als hätte sie eine unpassende Bemerkung gemacht.

„Ich bin lediglich gekommen, um mir das Kind anzusehen und um Sie darüber zu informieren, welche Vorkehrungen getroffen wurden, um ihn nach Hause zu holen.“

Entgeistert starrte Ann ihn an. „Hier ist sein Zuhause.“

Missbilligend warf Nikos Theakis einen Blick auf das durchgesessene Sofa, den abgewetzten Teppich und die verblichenen Vorhänge. „Das hier, Miss Turner“, er sah sie an, als wäre sie Ungeziefer, „ist kein Zuhause. Es ist eine Bruchbude.“

Ann errötete noch tiefer. Armut war kein Verbrechen! Aber Nikos Theakis war offenbar ganz anderer Meinung. Als sie seinen eindringlichen Blick spürte, wurde sie sich augenblicklich ihrer schäbigen Erscheinung und der ungewaschenen Haare bewusst. Wütend wandte sie den Blick ab. Was spielte es schon für eine Rolle, wie sie aussah? Oder er? Dieser Mann, der gerade seine Absicht kundgetan hatte, dass er ihr das Baby wegnehmen wollte, das sie mehr als alles andere auf der Welt liebte.

Plötzlich erhob er wieder die Stimme. „Aber wie könnte es auch anders sein?“, meinte er ruhig. „Es ist sicher nicht leicht, plötzlich ein unwillkommenes Baby aufgebürdet zu bekommen. Welche junge Frau in Ihrem Alter möchte das schon?“

Mit seinen besänftigenden Worten erreichte er nur das pure Gegenteil. Instinktiv wallte Zorn in Ann auf. Sicher, es war bestimmt nicht einfach für sie, doch Ann hatte Ari noch nie als Last empfunden.

„Also werde ich Sie von dieser ungewollten Bürde befreien, Miss Turner“, fuhr Nikos Theakis in dem gleichen arroganten Ton fort, „und Sie können wieder das müßige Leben eines jungen und sorgenfreien Mädchens führen.“

Sie unterdrückte die Wut, die seine überheblichen Worte in ihr hatte aufsteigen lassen, und versuchte, gefasst zu klingen.

„Sie haben Ari doch von Anfang an abgelehnt“, schoss sie zurück. „Woher dann die plötzliche Sorge um ihn?“

Nikos’ Blick verfinsterte sich. „Weil ich vom Labor die DNA-Ergebnisse bekommen habe. Ich weiß jetzt, dass er tatsächlich der Sohn meines Bruders ist.“

„Das hat meine Schwester von Anfang an gesagt“, betonte Ann scharf.

Verächtlich kräuselte er die Lippen. „Denken Sie etwa, dass ich einer Hure glaube?“

Ann wurde blass. „Reden Sie nicht so von Carla!“, verteidigte sie ihre Schwester zornig.

„Ihre Schwester hat mit jedem Mann geschlafen, der reich genug war, ihr den Lebensstil zu bieten, für den sie sich auf der Straße verkauft hat. Natürlich habe ich meinen Bruder da aufgefordert nachzuprüfen, ob das Kind von ihm war.“

„Meine Schwester ist tot!“

„Genau wie mein Bruder. Dank ihr.“ Seine Stimme klang eiskalt. „Und jetzt gibt es nur einen Menschen, der wichtig ist – mein Neffe. Deshalb werde ich ihn mit nach Griechenland nehmen. Damit er das Leben führen kann, das sein Vater sich für ihn gewünscht hätte. Dem können Sie doch sicher nichts entgegenhalten, Miss Turner.“

Auch wenn es vernünftig klang, wollte Ann nicht so schnell aufgeben. „Natürlich widerspreche ich! Haben Sie etwa die Absicht, Ari selbst aufzuziehen, Mr. Theakis?“, sagte sie verächtlich. „Oder wollen Sie ihn einem Kindermädchen überlassen?“

Blitze schossen aus seinen dunklen Augen, und Ann durchfuhr grimmige Befriedigung. Er mag es nicht, wenn man ihn herausfordert!

„Ari wird im Haus meiner Familie leben. Sicher, mit einem professionellen Kindermädchen, aber vor allem mit meiner Mutter.“ Ein Anflug von Wehmut schwang nun in seiner Stimme mit. „Muss ich Ihnen wirklich sagen, wie verzweifelt meine Mutter sich nach dem einzigen Trost sehnt, der ihr nach dem Tod ihres Sohnes geblieben ist? Sie trauert entsetzlich, Miss Turner.“

Gegen ihren Willen spürte Ann, dass sich ihre Kehle zusammenzog.

„Wenn sie ihn besuchen will, ist sie jederzeit herzlich willkommen …“, begann sie, doch Nikos Theakis schnitt ihr das Wort ab.

„Wie großzügig von Ihnen. Aber lassen Sie uns zum Wesentlichen kommen“, fuhr er in scharfem Ton fort.

Wieder durchbohrte er sie mit seinem Blick, doch diesmal lag keine Missbilligung darin. Vielmehr zeigte er den gleichen Ausdruck wie eben, als er ihre Schwester eine Hure genannt hatte.

„Sie haben mir das bestätigt, was ich ohnehin von Ihnen erwartete habe“, fuhr er mit harter Stimme fort. „Also, welchen Preis fordern Sie für den Jungen? Ich weiß, dass er hoch sein muss – der Preis ihrer Schwester war die Hochzeit mit meinem Bruder. Sie hingegen wollen vermutlich nur Bares.“

Ungläubig starrte Ann Nikos Theakis an, während der seine Hand in seine Jackentasche schob und ein in Leder gebundenes Scheckbuch und einen Füllfederhalter herauszog. Schnell füllte er mit prägnanter Handschrift den Scheck aus, ehe er ihn auf den Tisch legte. Ihr Blick kehrte zu ihm zurück, doch sie konnte in seiner Miene nicht lesen. „Ich feilsche nie um das, was ich will, Miss Turner“, informierte er sie mit Nachdruck. „Dies ist mein erstes und letztes Angebot. Ich biete Ihnen eine Million Pfund für meinen Neffen. Machen Sie damit, was Sie wollen.“

Verständnislos sah sie ihn an. Das konnte nicht wahr sein. Dieses Stück Papier auf dem Tisch vor ihr konnte kein Scheck über eine Million Pfund sein – für ein Kind. Immer noch starrte sie auf den Scheck, als Nikos Theakis mit seinen Ausführungen fortfuhr.

„Mein Neffe“, sagte er und seine Stimme hatte nun einen weicheren Klang, „wird eine wunderschöne Kindheit haben. Meine Mutter ist eine sehr liebevolle Frau und wird ihren Enkel in ihr Herz schließen. Er wird bei ihr in Griechenland in unserer Villa auf meiner Privatinsel leben, und es wird ihm an nichts fehlen.“ Er schenkte ihr ein kühles Lächeln. „Wie Sie sehen, können Sie das Geld also reinen Gewissens annehmen.“

Ann vernahm seine schrecklichen Worte, ohne sie richtig zu begreifen. Nichts konnte sie erfassen, außer diesem Stück Papier auf dem Tisch.

Ungeheuerlich! Abscheulich!

Der Druck in ihrer Brust schien sie fast zu zerreißen. Erst als er zur Tür ging, konnte sie endlich den Blick von dem Papier abwenden.

„Ich komme am Wochenende zurück“, verkündete er. „Dann werde ich alle nötigen Papiere dabeihaben, und Sie werden mir meinen Neffen überlassen.“ Der harte Unterton kehrte in seine Stimme zurück. „An Ihre Bezahlung ist noch eine Bedingung geknüpft: Jeglicher Kontakt zu meinem Neffen ist in Zukunft untersagt – denn der Kontakt zu den Verwandten seiner verstorbenen Mutter wird ihm nicht guttun. Und noch eins: Meine Mutter hat mich gebeten, Ihnen einen Brief von ihr zu geben. Sie weiß nichts von dem verkommenen Leben Ihrer Schwester oder Ihren ärmlichen Verhältnissen.“ Er zog einen verschlossenen Umschlag aus seiner Jackentasche und legte ihn neben den Scheck. „Sie sollten diesen Brief auf keinen Fall beantworten. Und Sie sollten auch nicht versuchen, den Scheck jetzt schon einzulösen. Das Geld wird erst ausgezahlt, wenn ich meinen Neffen habe.“

Damit verließ er den Raum. Noch immer benommen hörte Ann, wie wenig später eine Autotür zuschlug und ein Motor aufheulte. Ungläubig und voller Abscheu ging ihr Blick zurück zu dem Scheck, ehe er langsam zu dem Brief weiterwanderte. Gedankenverloren nahm sie ihn vom Tisch und öffnete ihn. Ihr wurde das Herz schwer, als sie Sophia Theakis’ Zeilen las.

Sie können sich nicht vorstellen, wie glücklich ich war, als Nikos mir von Andreas’ Sohn erzählte. Ich hatte das Gefühl, dass meine Gebete erhört worden waren. Es wäre ein Segen für mich, diesem Kind, das so einen tragischen Verlust erleiden musste, ein liebevolles Heim schenken zu dürfen. Sollten Sie es, trotz der Trauer über den Verlust Ihrer Schwester, über Ihr Herz bringen, mir diesen Wunsch zu erfüllen, werde ich Ihnen auf ewig dankbar sein. Wir werden ihn achten und lieben, sein Leben lang.

Bitte vergeben Sie einer Frau, die ihren Sohn verloren hat, diesen selbstsüchtigen Wunsch, ihr Enkelkind aufzuziehen. Aber Sie sind jung und haben noch Ihr ganzes Leben vor sich.

Aus jedem Satz sprach Hoffnung und tiefe Trauer. Anns Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Was sollte sie nur tun? Was wäre das Beste für Ari? Würde bei seiner Großmutter tatsächlich ein richtiges Zuhause voller Liebe auf ihn warten? Wäre das ein besseres Zuhause, als sie es ihm bieten konnte, oder wäre es nur luxuriöser. Ein Kind brauchte vor allem Liebe und emotionale Sicherheit, viel mehr als materielle Absicherung.

Ein Schatten legte sich über Anns Gesicht, als sie daran dachte, dass Carla ihr früher diese emotionale Sicherheit gegeben hatte. Und sie hatte sich an ihre ältere Schwester geklammert, die einzige Konstante in einer sonst unsicheren Welt, nachdem ihre Mutter gestorben war. Würde es tatsächlich das Beste für ihren Neffen sein, wenn er bei seiner Großmutter aufwuchs? Ein schmerzhafter Stich durchfuhr sie, denn sie kannte die Antwort bereits.

Andraes hätte dies sicherlich gewollt, denn er hatte während der kurzen Zeit, die sie ihn kannte, oft voller Liebe von seiner Mutter gesprochen. Und er hatte Ann erzählt, dass seine Mutter Carla sicher willkommen heißen und ihr Kind mit offenen Armen empfangen würde.

Und Carla? Was hätte sie gewollt? Auch auf diese Frage kannte Ann die Antwort. Carla hatte ihr kurzes Leben damit verbracht, zu Geld zu kommen, das für sie gleichbedeutend mit Glück war. Sie hätte viel darum gegeben, dass ihr Sohn seinen Platz im Clan der Theakis finden würde.

Wie kann ich Carlas Sohn das vorenthalten, was sie sich so sehr für ihn gewünscht hat?

Ann liebte den Kleinen über alles. Aber sie wusste, dass es jetzt an der Zeit war, eine Entscheidung zu treffen, solange er noch keine emotionale Bindung zu ihr aufgebaut hatte. Und sie wusste auch, dass die Zeit für sie gekommen war, stark zu sein und ihn seiner Großmutter zu überlassen, bei der er geachtet, geliebt und finanziell abgesichert aufwachsen würde.

So wie es jedem Kind zustehen sollte.

Und es gab noch einen Grund, warum sie Ari seiner Großmutter anvertrauen sollte. Diesen Grund konnte sie nicht einfach beiseiteschieben, denn Nikos Theakis’ ungeheuerliches Angebot machte es ihr unmöglich, darüber hinwegzusehen.

Eine Million Pfund. So viel Geld. Wie könnte sie da überhaupt Nein sagen?

Ein paar Tage später stand Nikos Theakis wieder in dem kleinen Wohnzimmer in Anns Apartment und beobachtete mit unbewegter Miene, wie Ann die Papiere unterschrieb, die ihr die Vormundschaft seines Neffen entzogen. Als sie das letzte Blatt unterzeichnet hatte und zitternd aufstand, spiegelte sich jedoch Befriedigung auf seinen Zügen.

Ann zuckte zusammen, während sein Rechtsanwalt die Papiere nahm und in seine Aktentasche schob. An der Tür stand ein junges Kindermädchen, das Ari auf dem Arm hielt. Für einen Moment war Ann so von Trauer überwältigt, dass sie mitgerissen wurde von dem Verlangen, ihr den Kleinen zu entreißen. Sie durfte ihn nicht gehen lassen, um keinen Preis! Doch es war zu spät. Das Kindermädchen warf ihr ein letztes, mitfühlendes Lächeln zu, ehe es sich zur Tür wandte, gefolgt von dem Anwalt.

Nikos hingegen blieb in der Tür stehen, während Ann mit leichenblassem Gesicht die Lehne ihres Stuhls umklammerte. Einen Augenblick runzelte er die Stirn, dann wurde seine Miene wieder undurchdringlich.

„Sie können Ihren Scheck jetzt einlösen, Miss Turner“, sagte er leise, jedes Wort wie ein Peitschenhieb.

Doch seine Verachtung drang nicht zu ihr durch. Sie hörte nichts als den stummen Schrei in ihrem Kopf, der ihr die Unmöglichkeit ihres Tuns vorhielt.

Und diese Stimme verfolgte sie, all die Jahre, die nun vor ihr lagen.

1. KAPITEL

Vier Jahre später …

In dem bekannten Spielwarengeschäft in London wimmelte es nur so von Kindern und deren Eltern. Ann bahnte sich ihren Weg und sah sich um. Das meiste Spielzeug war viel zu teuer, doch ein paar Dinge brachten sie auf glänzende Ideen. Es war seltsam, wieder in England zu sein. Seit sie Nikos Theakis’ Scheck angenommen und ihm Ari dafür überlassen hatte, war sie nicht oft in London gewesen.

Vier Jahre waren inzwischen vergangen, und trotzdem quälte sie immer noch ihr schlechtes Gewissen. Oh Carla, habe ich wirklich das Richtige getan? Sag mir, dass Ari geliebt wird und glücklich ist.

Nichts anderes war wichtig, nur dass er eine wunderschöne Kindheit hatte. Und dass er in einer Familie aufwuchs, die ihn liebte und ihm Wohlstand im Überfluss bot. Nicht alle Kinder konnten sich so glücklich schätzen.

Verzweifelt zwang sie sich, ihre trüben Gedanken zu verdrängen. An nichts anderes sollte sie denken, und trotzdem seufzte sie schwer, als sie weiterging. Denn mit ihrer Rückkehr nach England kamen auch all ihre Erinnerungen an Ari zurück. Würde sie ihn überhaupt noch wiedererkennen? Von all den Auflagen, die Nikos Theakis ihr gemacht hatte, war es für sie am schwersten zu ertragen, keinen Kontakt mehr zu Ari haben zu dürfen. Aber das war eben der Preis, den sie hatte zahlen müssen.

Plötzlich hörte sie eine Stimme von der anderen Seite des Ganges und blieb wie angewurzelt stehen.

„Ari, mein Liebling, wir sind in England. Also denk daran, Englisch zu sprechen.“

Wie in Zeitlupe drehte Ann sich um. Ein kleines Stück von ihr entfernt sah sie eine riesige Spielzeugeisenbahn, vor der sich die Kinder drängten. Ihr Blick fiel auf einen kleinen Jungen, der zwischen zwei Frauen stand. Alle drei hatten ihr den Rücken zugekehrt.

„Den Zug da kauft Onkel Nikki mir“, hörte sie eine hohe Kinderstimme.

Autor

Julia James
<p>Julia James lebt in England. Als Teenager las sie die Bücher von Mills &amp; Boon und kam zum ersten Mal in Berührung mit Georgette Heyer und Daphne du Maurier. Seitdem ist sie ihnen verfallen. Sie liebt die englische Countryside mit ihren Cottages und altehrwürdigen Schlössern aus den unterschiedlichsten historischen Perioden...
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