Stolzes Herz und heiße Küsse

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Flammendrotes Haar, tiefgrüne Augen und ein Temperament, das heißes Verlangen in Sebastian Fitzpatrick, Duke of Brabourne, weckt. Doch er muss dieser sinnlichen Versuchung widerstehen! Denn nur ein dramatischer Zwischenfall hat die süße junge Juliet in sein Stadtpalais geführt. Niemand darf erfahren, dass die unschuldige Schönheit aus gutem Haus unter seinem Dach lebt. Aber trotz aller Diskretion brodelt die Gerüchteküche. Londons gute Gesellschaft ist schockiert: Es gibt nur eine Möglichkeit Juliets Ruf zu retten - wird Sebastian sie zu seiner Herzogin machen?


  • Erscheinungstag 28.02.2008
  • Bandnummer 6
  • ISBN / Artikelnummer 9783863499747
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL
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Die Morgensonne funkelte gerade erst durch das dichte Blätterdach. Um diese frühe Stunde lag der Green Park noch verwaist, nicht einmal Dienstboten waren unterwegs.

„Miss Juliet, das können Sie einfach nicht machen“, mahnte Ferguson streng, die morgendliche Stille durchbrechend.

Juliet Smythe-Clyde spähte zwischen ihren zimtbraunen Wimpern zu ihm auf und wackelte in den viel zu großen Husarenstiefeln – sie stammten aus dem Schrank ihres jüngeren Bruders – mit den Zehen. Dann stampfte sie mit dem Fuß auf, damit der Absatz besser saß. „Lieber so, als dass Papa gegen den teuflischen Duke kämpft.“

Dem großen, dürren Kutscher sträubte sich der prächtige Backenbart. „Der Herr ist erwachsen. Sie aber sind noch ein junges Ding und sollten seinen Streit nicht für ihn ausfechten.“

„Genug jetzt“, sagte Juliet und schlüpfte aus dem Rock, der ihrem Bruder wie angegossen saß und an ihr wie ein viel zu weiter Morgenmantel herumschlackerte. „Hier, nehmen Sie das, und legen Sie es sorgfältig zusammen. Harry bekommt einen Anfall, wenn wir seinen Rock zerknittern.“

Ferguson schnaubte, legte den Rock aber vorsichtig auf den Sitz der klapprigen Kutsche. Hobson, der Butler, ebenso rundlich wie majestätisch, reichte seiner jungen Herrin einen Kasten mit zwei Duellpistolen. Juliet griff nach der unteren Waffe.

„Die ist schon fix und fertig geladen, Miss“, sagte Hob-son, „hab mich selbst drum gekümmert.“

Aus Trotz nahm Juliet die andere Pistole.

„Die ist auch geladen“, sagte Hobson und gestattete sich ein wissendes Lächeln, das allerdings bald verlosch. „Halten Sie inne, Miss Juliet, solange es noch geht.“

Ferguson stellte sich neben seinem Kollegen auf. Trotz ihrer ungleichen Stellung in der Dienstbotenhierarchie hatten die beiden sich rasch miteinander angefreundet. „Dasselbe sag ich ihr doch auch die ganze Zeit, seit diese Geschichte angefangen hat. Aber sie will einfach nicht hören.“

„Ich muss es einfach tun“, sagte Juliet. Ihr brach die Stimme, als die Furcht, die sie die ganze Zeit unterdrückt hatte, außer Kontrolle zu geraten drohte. „Jemand muss Papa doch vor seiner neuesten Torheit bewahren.“

„Herrje, Kindchen, dieser Jemand sollten doch aber nicht Sie sein!“, erwiderte Ferguson, der vor Zorn und Sorge in seinen heimischen Dialekt verfiel. „Sie haben dem Herrn nicht eingeblasen, dass er dieses Weib heiraten soll!“

„Ich habe Mama aber versprochen, mich um Papa zu kümmern“, flüsterte sie. Ihr krampfte sich der Magen zusammen, als sie an den letzten Wunsch ihrer Mutter dachte. Mama war vor knapp einem Jahr gestorben, doch Juliet erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen.

Mama hatte auf dem Ruhebett im Morgenzimmer gelegen, und die bleiche Sonne hatte ihren eingefallenen Wangen eine trügerische Röte verliehen. Die Krankheit hatte sie unter ständigen Schmerzen aufgezehrt, sodass Juliet insgeheim froh war, als das Ende kam. Sie konnte es nicht ertragen, ihre geliebte Mama so leiden zu sehen.

Als Mama sie zu sich gewinkt hatte und sie bat, sich um Papa – ihren unbeständigen, verantwortungslosen Papa – zu kümmern, hatte Juliet es ihr versprochen. Sie hätte alles getan, um Mamas Leiden zu lindern. Alles. Und schließlich musste sich ja jemand um Papa kümmern, wenn Mama einmal nicht mehr war. Das war jedem klar.

Sie seufzte. Sie hatte Papa nicht davon abhalten können, Mrs. Winters zu heiraten, aber sie konnte nun verhindern, dass er sein Leben wegen dieser Frau wegwarf. Bestimmt würde nicht einmal der Duke of Brabourne einen jungen Mann erschießen, der für den ursprünglichen Duellgegner nur eingesprungen war – oder?

Außerdem war der Duke im Unrecht. Nicht sie oder Papa. Der Duke war derjenige, der die Gattin eines anderen verführt hatte. Nachdem er schon im Unrecht war, sollte er auch in die Luft feuern. Das wäre das einzig Ehrenhafte.

Juliet straffte die Schultern und sah am Lauf der Pistole entlang. Dadurch, dass sie auf dem Land aufgewachsen war, hatte sie doch einiges gelernt. Sie schoss wirklich ausgezeichnet, obwohl Brabourne mit der Pistole ebenso tödlich sein sollte wie mit dem Degen, und genauso kaltherzig.

Da hörte sie das Getrappel von Pferdehufen. In einiger Entfernung von ihrem Trüppchen hielten drei Männer unter einer großen Eiche. Sie trugen modische Reitröcke, enge Breeches und glänzende Husarenstiefel, und auf dem Kopf thronten verwegen ihre Kastorhüte. Sie kannte alle drei vom Hörensagen, einen vom Sehen.

Vor vier Tagen hatte sie in Männerkleidung Lord Ravensford, einen von Brabournes Sekundanten, spät in der Nacht aufgesucht, um ihm mitzuteilen, dass sie ihre Pläne ändern müssten. Das Duell müsse vorverlegt werden. Seine Lordschaft, höchst überrascht davon, dass ihn ein so grüner Junge unaufgefordert besuchte, hatte die Änderung ohne Einwände hingenommen, obwohl er die Brauen während der ganzen Unterhaltung in einer Miene ironischer Belustigung hochgezogen hatte.

Die beiden anderen Männer hatte sie noch nie gesehen. Lord Perth galt als Windhund, der tat, wonach ihm der Sinn stand, ohne sich um die Regeln der vornehmen Gesellschaft zu kümmern. Sie nahm an, dass er derjenige war, der neben dem rothaarigen Lord Ravensford stand. Sie waren in etwa gleich groß. Allerdings hatte sie wenig Interesse an den beiden, da sie nicht ihre Duellgegner waren.

Der Dritte im Bunde sprang mit einer drahtigen Eleganz zu Boden, die von Kraft kündete. Sie hatte gehört, dass der Duke nicht nur ein Lebemann war, sondern auch ein herausragender Sportsmann. Er war groß und schlank, und als er seinen Mantel und seinen marineblauen Rock abgelegt hatte, erkannte sie, wie breit die Schultern in dem reinweißen Hemd waren und wie schmal die Hüften in den eng sitzenden Reithosen. Sein Haar war so schwarz, wie sein Herz sein sollte, wie manche behaupteten. Seine Nase war schmal und aristokratisch. Und seine Augen waren angeblich tiefblau, das Erbe eines irischen Ahnen.

Ein Schauder lief ihr den Rücken hinab – das Gefühl erinnerte an Angst, war aber etwas viel Köstlicheres. Sie wandte sich ab.

Tief atmete sie die kalte Luft ein und wischte sich die feuchten Hände an den Reithosen ab. Einen langen Moment starrte sie ins Leere und fragte sich, ob sie das Zusammentreffen überleben würde. Eine solche Schwäche hatte sie sich bis jetzt nicht zugestanden. Auch jetzt unterdrückte sie sie rasch wieder.

Lord Ravensford kam auf sie zu.

Die Morgensonne glänzte auf seinem Haar, so dasses aussah wie ein frisch geprägter Penny. In seinen Augen lag ein Zwinkern, und in seinem kantigen Kinn entdeckte sie ein Grübchen. Er war ein prächtiger Mann.

„Na, Bürschchen, wo ist Smythe-Clyde? Sie sagten doch, dass er das Duell vorverlegen wollte.“

Juliet spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. „Er …“ Sie zwang sich, mehr Kraft in ihre Stimme zu legen. „Er ist krank. Zu krank, um aufzustehen. Aber die Ehre gebietet es, dass er auf Brabourne trifft. Daher trete ich als sein Sekundant für ihn an.“ Trotzig sah sie Ravensford an.

Der blickte von ihr zu den Dienstboten. Seine Worte klangen eine Spur missbilligend. „Wo ist der andere Sekundant? Und wo ist der Wundarzt?“

„Einen anderen Sekundanten gibt es nicht, und Ferguson …“, sie wies auf den Kutscher, „… taugt durchaus zum Wundarzt.“

„Dubiose Sache.“ Ravensford sah Juliet misstrauisch an. „Sie sind doch nur ein Junge. Es besteht nicht die geringste Chance, dass Brabourne sich mit Ihnen schlagen wird. Wenn Smythe-Clyde zu feige ist, die Angelegenheit durchzustehen, soll er die Schande eben hinnehmen.“

Juliet presste die Hände zusammen. „Ich versichere Ihnen, Mylord, dass mein … dass Smythe-Clyde keine Angst hat, dem Duke entgegenzutreten. Er ist krank. Aber anstatt die Angelegenheit nun in die Länge zu ziehen, bin ich ermächtigt, mich an Smythe-Clydes Stelle mit dem Duke zu duellieren.“

Ravensford schüttelte den Kopf. „Ich werde Ihre Worte weitergeben, aber ich bezweifle, dass sie etwas ausrichten werden.“

Ohne weitere Diskussion kehrte der Earl um. Juliet sank in sich zusammen.

„Genau wie es sein sollte“, sagte Hobson befriedigt. „Nicht mal der größte Schurke von ganz England würde einem grünen Jungen auf dem Feld der Ehre gegenübertre-ten. Vor allem, wenn der Streit einen anderen betrifft.“

Juliet hatte von Anfang an gewusst, dass die ganze Sache an den Haaren herbeigezerrt war und vermutlich scheitern würde, aber sie hatte den Versuch wagen müssen. Auch jetzt noch, als sie Ravensford mit dem Duke reden sah, der nun zu ihr herüberblickte, musste sie unbedingt etwas unternehmen. Papa plante nach wie vor, dem Duke am ursprünglichen Termin in zwei Tagen entgegenzutreten. Papa dann davon abzuhalten, sich auf den Weg hierher zu machen, war die nächste Hürde, die es zu nehmen galt – nach dem Duell. Eins nach dem anderen, sagte sie sich immer. Man konnte alles erreichen, solange man nur immer einen Schritt nach dem anderen tat.

Selbst aus dieser Entfernung konnte Juliet erkennen, wie sich die Miene des Dukes verfinsterte. Die schwache Brise trug die Worte zu ihr herüber.

„Smythe-Clyde ist ein Feigling, und ich weigere mich, mit seinem Vertreter vorlieb zu nehmen.“

Panik überkam Juliet, als der Duke sich von Ravensford abwandte und nach dem Rock griff, den er eben erst abgelegt hatte. Sie packte eine der Duellpistolen, zielte und feuerte. Laut hallte der Schuss durch den friedlichen Morgen. Von der Eiche direkt neben Brabourne hagelte es Späne. Ihr Gegner fuhr zu ihr herum.

Juliet erstarrte – ob ihres eigenen Wagemuts und weil der Schuss so knapp vorbeigegangen war. Sie konnte ihre wie gelähmten Glieder auch dann nicht rühren, als der Duke auf sie zuzugehen begann. Mit dem Teil ihres Gehirns, der noch zu funktionieren schien, bemerkte sie seine geschmeidige Kraft. Kaum einen Fuß von ihr entfernt baute er sich auf und musterte sie mit den kältesten blauen Augen, die sie je gesehen hatte. Sie erbebte.

„Entweder sind Sie ein ausgezeichneter Schütze oder ein Glückspilz. Ich weiß nicht, wer Sie sind oder warum Sie sich bemüßigt fühlen, für Smythe-Clyde einzutreten, aber das Duell ist nun zu einer persönlichen Angelegenheit zwischen Ihnen und mir geworden. Was zwischen uns auch geschehen mag, berührt die andere Sache nicht im Geringsten. Verstehen Sie mich?“

Seine Stimme war so hart wie seine Miene, und doch löste der tiefe Ton etwas in ihr aus, was man nur als aufregend bezeichnen konnte. Sie würde doch bestimmt nicht dem legendären Charme dieses berüchtigten Frauenhelden erliegen? Es galt, ihn so schwer zu verwunden, dass er sich mit Papa nicht mehr duellieren konnte, und nicht, zu seinen Füßen in Ohnmacht zu sinken.

Sie reckte das Kinn noch höher. „Ich verstehe Sie vollkommen.“

„Gut. Perth besorgt einen Wundarzt. Wir warten ihre Ankunft ab, bevor wir fortfahren.“

Panik überkam Juliet. Ein Wundarzt wäre durchaus willkommen, wenn der Duke verletzt werden würde, doch wenn es sie träfe, wäre ein Wundarzt eine einzige Katastrophe.

„Wir brauchen keinen Knochenflicker, Euer Gnaden.“

Er verzog die Lippen zu einem Lächeln, das alles andere als freundlich war, mit Juliets Atmung jedoch unaussprechliche Dinge auslöste. „Sie werden einen brauchen, darauf können Sie sich verlassen.“

Sie wurde bleich. „D… dann kann Ferguson das übernehmen. Er ist besser als alle Ärzte, die man in London finden kann.“

Brabourne blickte zu dem Dienstboten und dann wieder zu Juliet. „Ihr Kutscher.“

Sie nickte.

„Auf Ihre Verantwortung.“

Er schritt davon, ehe Juliet etwas erwidern konnte. Sie starrte ihm nach. Er bewegte sich mit einer eleganten Lässigkeit, die von seinen Schultern bis zu seinen schmalen Hüften zu fließen schien. Sie begann allmählich zu begreifen, warum ihre Stiefmutter ihm erlegen war. Selbst sie, die sie trotz ihrer dreiundzwanzig Jahre noch unschuldig war, könnte ihm nur schwer widerstehen, wenn er ihr nachstellen sollte. Nicht dass das wahrscheinlich wäre. Nicht in tausend Jahren. Vor dem heutigen Tag nicht, und danach erst recht nicht. Trotzdem war an ihm etwas unglaublich Attraktives.

„Miss Juliet“, unterbrach Hobson ihren lächerlichen Gedankengang, „am besten nehmen Sie die Pistole, die ich Ihnen zuerst empfohlen habe. Es bringt Unglück, wenn man eine Pistole nimmt, die schon abgefeuert wurde.“

„Und ich brauche alles Glück der Welt“, murmelte sie.

Ferguson trat vor. „Also, wissen Sie noch, was ich gesagt hab?“

Sie nickte. „Wir stehen uns gegenüber, kehren uns den Rücken zu und gehen zwanzig Schritt. Dann drehen wir uns um und feuern.“

Sie nickte wieder. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie wollte die Zähne zusammenbeißen, wollte wegrennen. Ihr Magen verkrampfte sich, und wenn sie vor dem Aufbruch etwas gegessen hätte, hätte sie es jetzt erbrochen. Ob es Männern genauso erging? Brabourne bestimmt nicht.

„Jetzt, Miss Juliet“, sagte Hobson leise.

Sie warf ihm einen Blick zu und sah die Sorge in seinem Gesicht. Daraufhin zitterten ihre Hände noch mehr.

Den Kutscher blickte sie gar nicht erst an, da sie in seinen Augen nur dieselbe Angst entdecken würde. Da war es besser, kühn voranzuschreiten und dem Schicksal entgegenzutreten.

Die Pistole in der Hand, ging Juliet auf den Duke zu.

Sein schwarzes Haar war zu einer Zopffrisur gebunden, die nicht länger der Mode entsprach, aber er folgte ja auch seinen eigenen Gesetzen. Eine Strähne hatte sich gelöst, was er jedoch ignorierte. Er konzentrierte sich ganz auf sie.

Vorhin hatte sie nur die überwältigende Kraft wahrgenommen, die er ausstrahlte – nun entdeckte sie Details. Seine Brauen wölbten sich elegant über indigoblauen Augen. Ein Strahlenkranz von Fältchen sprach von langen Nächten und einem zügellosen Lebenswandel. Der frühmorgendliche Bartschatten zeichnete sich schwarz gegen sein bleiches Gesicht ab. Die feste Linie um sein Kinn strafte die entspannte Haltung seiner Schultern Lügen.

Er nickte ihr knapp zu, und sie wusste, dass nun die Zeit gekommen war, sich umzudrehen und auszuschreiten. Eins, zwei … neunzehn, zwanzig.

Juliet wirbelte herum und riss gleichzeitig den Arm hoch. Schwer und fremd lag die Pistole in ihrer Hand. Trotz ihrer Übung, trotz ihrer Entschlossenheit zögerte sie. Zu planen, auf einen Mann zu schießen, war eine Sache. Es auch zu tun war etwas ganz anderes.

Derartige Vorbehalte waren Brabourne fremd.

Ein Schuss peitschte durch die stille Luft. Juliet war einen Augenblick überrascht und verspürte dann einen entsetzlichen Schmerz in der rechten Schulter. Sie sank zu Boden, und die Pistole fiel ihr aus der kraftlosen Hand.

Er hatte sie getroffen.

Sie fasste sich mit der linken Hand an die Wunde. Die Finger wurden klebrig, und der metallische Geruch von Blut stieg ihr in die Nase. Sie spürte, wie sie das Bewusstsein verlor, und fragte sich, ob sie wohl sterben werde.

„Na, na.“ Ferguson kniete sich neben ihr auf den Boden und wedelte ihr mit dem Riechsalz unter der Nase herum. „Jetzt ist nicht der rechte Zeitpunkt, um in Ohnmacht zu fallen.“

Juliet nickte schwach. „Nein. Ich bin noch nie ohnmächtig geworden. Da werde ich es jetzt auch nicht.“

„Braves Mädchen“, lobte Ferguson, der nun vorsichtig die Wunde betastete.

Brennender Schmerz durchfuhr Juliet. „Au – das hat aber wehgetan“, keuchte sie.

Ferguson knurrte: „Wird Ihnen noch ärger wehtun. Die Kugel steckt zwischen Knochen und Muskel. Die muss raus. Sie werden ’ne ganze Weile außer Gefecht sein.“

Sie blickte ihn an. Seine Worte hatte sie verstanden, auch ihre Bedeutung, aber sie wollte ihm nicht glauben. „Wie soll ich das vor Papa verbergen? Ich kann ja nicht mal einen einzigen Tag allein auf meinem Zimmer bleiben. Er braucht mich doch. Und die Dienstboten sind auch auf mich angewiesen.“

Hobson hockte sich auf ihrer anderen Seite nieder. „Daran hätten Sie denken sollen, bevor Sie sich in diese hirnverbrannte Eskapade stürzten, Miss.“

„Ich dachte doch, er würde in die Luft feuern“, sagte sie leise und zuckte zusammen, als Ferguson sich noch weiter vorantastete. „Er …“ Sie keuchte auf, als ein neuerlicher Schmerz sie durchzuckte. „Er ist es doch, der im Unrecht ist, nicht Papa. Und ich auch nicht.“

Dunkle Flecken tanzten ihr vor Augen. „Das Riechsalz“, flüsterte sie.

Die beiden Dienstboten tauschten einen Blick. Besser, sie würde ohnmächtig. Dann spürte sie die Schmerzen nicht.

„Ist er ernstlich verletzt?“, erkundigte sich der Duke of Brabourne, der in einiger Entfernung stehen geblieben war und sie beobachtete. „Wenn der Junge sich nicht ganz zu mir herumgedreht hätte, sondern mir nur seine Schmalseite geboten hätte, hätte ihn die Kugel wahrscheinlich nur am Oberarm gestreift. Ich wollte ihn nicht erschießen.“

„Vielen Dank, Euer Gnaden“, sagte Hobson, der sich weiterhin ganz auf Juliet konzentrierte.

„Danken Sie mir nicht für etwas, was ich allein meinetwegen tat. Wenn der Junge stirbt, muss ich auf den Kontinent fliehen. Das käme mir im Augenblick nicht zupass.“

Ferguson schnaubte empört.

„Sie haben vollkommen recht“, sagte Brabourne. „Also, wie steht es um ihn?“

„Er hat eine Menge Blut verloren, und ich weiß nicht, ob ich die Kugel da rauskriege. Die Blutung kann ich wohl stoppen.“

Ravensford trat ebenfalls näher und sah auf die Gestalt hinunter. „Dann schaffen Sie den Jungen am besten nach Hause. Wir schicken Ihnen den Wundarzt dann nach.“

Juliet hörte die Männer wie durch einen langen Tunnel sprechen, doch als die Rede auf ihr Zuhause kam, zwang sie sich, die Augen aufzuschlagen. „Ka… kann nicht heim. Kein Arzt. Keiner soll’s wissen.“

Bei ihren Bemühungen, sich verständlich zu machen, wurde ihr noch schwindliger. Sie versuchte sich aufzusetzen, doch es wollte ihr nicht gelingen.

„Kein Grund zur Aufregung, mein Junge“, sagte Ferguson. Er presste einen behelfsmäßigen Verband auf die Wunde, um die Blutung zu stoppen.

„Was meint er damit, dass er nicht heimkann?“, fragte Ravensford.

Hobson, der zur Kutsche gegangen war, um das Laudanum zu holen, das er für den Notfall eingepackt hatte, kehrte zurück und sagte: „Genau das, was er gesagt hat. Der Junge kann nicht nach Hause.“

Brabourne warf dem Butler einen Blick zu. „Sie belieben wohl zu scherzen! Was muss das für eine Familie sein, wenn der Junge nicht heimkehren kann!“

Gelassen erwiderte Hobson den Blick des Dukes. „Der junge Herr kann in dieser Verfassung nicht ins Stadthaus der Familie gebracht werden. Wir werden ihn auf den Landsitz bringen.“

Juliet umklammerte die Hand des Butlers fester. „Man muss mich so verbinden, dass keiner etwas merkt. Ich kann nicht länger von zu Hause wegbleiben. Das wissen Sie doch.“

Ferguson, der allmählich die Geduld verlor, sagte: „Sie werden tun, was man Ihnen sagt.“

Juliet runzelte die Stirn. „Ich tue, was ich tun muss.“

„Wie weit ist der Landsitz denn entfernt?“, erkundigte sich Brabourne.

„Eine halbe Tagesreise, Euer Gnaden“, erwiderte Hobson.

„Das ist ja viel zu weit, Brabourne“, sagte Ravensford leise.„Jetzt sieht die Wunde nicht tödlich aus, aber andauernder Blutverlust könnte sich noch als fatal erweisen.“ Er sah seinem Freund in die Augen. „Das kannst du dir nicht leisten. Es ist erst ein halbes Jahr her, dass du Williams im Kampf beinah mit dem Degen durchbohrt hättest. Prinny wird keine Nachsicht mehr mit dir haben, wenn der Junge stirbt.“

Brabourne strich sich über die Stirn. „Sie müssen den Jungen in sein Londoner Haus bringen. Es bleibt Ihnen ja gar nichts anderes übrig.“

Ferguson hielt einen Augenblick inne in seiner Verarztung und sah zum Duke auf. „Das werde ich nicht tun, Euer Gnaden. Der Junge hat nämlich recht: Keiner darf erfahren, was passiert ist.“

Brabourne sah den Dienstboten scharf an und fragte sanft: „Sie widersprechen mir?“

Ferguson schluckte hart. „Ja, Euer Gnaden, genau das.“

„Und Sie?“ Brabourne durchbohrte Hobson mit seinem Blick.

Der rotbäckige Butler wurde blass. „Ich muss Ferguson zustimmen, Euer Gnaden.“

Brabourne sah zu Ravensford. Der zuckte die Achseln.

„Was ist das Geheimnis dieses Jungen?“, begehrte der Duke zu wissen.

Die beiden Dienstboten sahen sich an, und dann verbeugte sich Hobson vor dem Duke. „Keiner außer uns weiß, dass der junge Herr heute auf Sie getroffen ist. Lord Smythe-Clyde hat noch immer vor, sich in zwei Tagen mit Ihnen zu duellieren. Der Junge hat gehofft, dass Sie, wenn Sie heute mit ihm kämpfen, die Angelegenheit für erledigt betrachten und sich nicht zum Duell mit Seiner Lordschaft einfinden.“

„Wie dumm von ihm.“ Brabourne schüttelte den Kopf.

„Schlecht beraten“, murmelte Ravensford.

Juliet stöhnte – vor Schmerz, und weil ihr Plan enthüllt worden war und er sich, laut ausgesprochen, reichlich dürftig anhörte. Prompt richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit wieder auf sie.

„Es reicht“, sagte Ferguson. „Hobson, helfen Sie mir mal, den jungen Herrn in die Kutsche zu tragen. Wir müssen uns sputen, wenn wir ihn nach Richmond bringen wollen, bevor er noch mehr Blut verliert.“

„Ravensford?“ Brabourne sah zu seinem Freund.

Ravensford hob eine gepflegte Hand, wie um einen Schlag abzuwehren. „Kommt nicht infrage, Brabourne. Nirgendwo steht geschrieben, dass es zu den Pflichten eines Sekundanten gehört, den verwundeten Kontrahenten bei sich aufzunehmen.“

Brabournes Lippen wurden schmal, doch dann lächelte er. „Du hast recht, Ravensford, wie immer. Ich werde mich wohl oder übel um eine Unterkunft für den Jungen bemühen müssen, wenn ich nicht will, dass er uns wegstirbt. Seine Dienstboten haben aus irregeleiteter Loyalität offensichtlich einen törichten Entschluss gefasst.“ Er wandte sich an die Männer, die den Jüngling gerade in die Kutsche hievten. „Bringen Sie den Jungen in mein Stadthaus.“ Dann warf er seinem Freund einen boshaften Blick zu. „Lord Ravensford wird den Wundarzt dann zu mir schicken.“

Ravensford verbeugte sich spöttisch. Die beiden Dienstboten tauschten einen entsetzten Blick. Ihr Schützling lag schlaff in den Kissen – Juliet war in Ohnmacht gefallen, als sie sie hochhoben.

„Haben Sie daran schon wieder etwas auszusetzen?“, fragte Brabourne überaus hochmütig.

Ferguson kletterte wieder aus der Kutsche und verbeugte sich vor dem Duke.„Nein, nein, Euer Gnaden. Wenn Sie mir die Adresse geben, fahren wir umgehend dorthin. Aber einen Wundarzt brauchen wir nicht. Ein sauberes Messer, heißes Wasser und viel Verbandszeug sind genug.“

„Bevor Sie die Hilfe ablehnen, sollten Sie sicher sein, dass Sie sie nicht brauchen“, versetzte Brabourne ruhig. „Ich habe nicht die Absicht, den Jungen sterben zu lassen.“

„Ich auch nicht, Euer Gnaden.“ Ferguson hielt die Stellung, auch wenn ihm dabei so unwohl war, dass er die Hände rang.

„Dann folgen Sie mir“, befahl Brabourne.

Ein paar Minuten später trabten er, Ravensford und Perth unter den Bäumen dahin. Die Kutsche rumpelte hinterdrein.

„Hoffentlich bereust du nicht eines Tages, was du heute getan hast“, sagte Ravensford.

„Das hoffe ich auch, mein Freund.“ Brabourne blickte über die Schulter zurück. „Das hoffe ich auch.“

2. KAPITEL
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Sebastian FitzPatrick, Duke of Brabourne, starrte stirnrunzelnd auf seinen unwillkommenen Gast hinab. Die milchweiße Haut des Jungen war voll zimtbrauner Sommersprossen. An die gerundeten Wangen und an die hohe Stirn schmiegte sich das wirre Haar, das so rot war wie ein Sonnenuntergang. Um die Augen lag eine gewisse Anspannung, als litte der Jüngling auch im Schlaf noch unter Schmerzen. Vermutlich traf das auch zu. Es hatte Zeit und beträchtliche Mühe gekostet, die Kugel zu entfernen, und der Junge hatte dabei eine beträchtliche Menge Blut verloren. Es würde eine Weile dauern, bis er wieder bei Kräften war.

Hinter Brabourne ruckte ein Stuhl. „Kann ich behilflich sein, Euer Gnaden?“

Brabourne sah zu dem Kutscher hinüber, der vorhin noch zu dösen schien. Ferguson hieß er. „Hat Ihr Herr das Bewusstsein wiedererlangt?“

„Nein, Euer Gnaden.“

„Haben Sie etwas gegessen oder ein bisschen geschlafen?“

„Nein, Euer Gnaden.“

„Dann tun Sie das bitte.“

„Verzeihung, Euer Gnaden, aber ich muss bei meinem Herrn bleiben.“

„Das kann auch einer meiner Dienstboten tun. Gehen Sie nun.“ Brabourne sah den Jungen wieder forschend an.

Er war gertenschlank und roch schwach nach Flieder – ein ungewöhnlicher Duft bei einem Mann. Die vollen granatapfelroten Lippen verliehen ihm fast etwas Mädchenhaftes. Und doch war ihm der Jüngling im Duell entgegengetreten, hatte sein Leben um eines anderen willen aufs Spiel gesetzt. Er selbst würde das nicht tun, und er war sicher, dass er auch sonst niemand kannte, der das tun würde, mit einigen wenigen Ausnahmen – Ravensford und Perth. Vielleicht lag darin die Faszination begründet, die der Junge auf ihn ausübte und deretwegen er nun hier stand und auf ihn hinabblickte. Er streckte die Hand aus, um die Stirn des Jünglings zu berühren.

Der Diener räusperte sich.

Brabourne ließ die Hand sinken. „Sind Sie immer noch nicht fort?“, fragte er, ohne sich umzudrehen.

„Ich kann meinen Schützling nicht allein lassen … Euer Gnaden.“

Gereizt erwiderte Brabourne: „Ich habe doch schon gesagt, dass einer meiner Diener bei ihm wachen wird.“

Der Kutscher gab ein ersticktes Geräusch von sich. „Bitte um Verzeihung, Euer Gnaden, aber ich kann den Herrn niemand anvertrauen, den ich nicht kenne.“

Brabourne senkte die Stimme zu einem samtigen Flüstern. „Für einen Dienstboten sind sie sehr störrisch und vorlaut.“ Der Kutscher hielt die Stellung, senkte allerdings ehrerbietig den Blick. „Dann bleibe eben ich bei Ihrem Schützling. Das sollte Ihnen doch bestimmt genügen.“ In der nachfolgenden Stille hörte Brabourne, wie der Mann schluckte.

„Ich muss bei ihm bleiben.“

„Befürchten Sie, dass ich Ihrem kostbaren Schützling etwas antun könnte? Ich habe jede Menge Laster, aber es gehört nicht zu meinen Gepflogenheiten, junge Männer zu belästigen, das versichere ich Ihnen.“

Ferguson erbleichte, erwiderte jedoch, so unbehaglich er sich auch fühlte: „Die Vergnügungen von Euer Gnaden sind mir wohlbekannt.“

Plötzlich verlor der Duke die Geduld. Er fuhr herum. „Raus mit Ihnen! Und immer noch zögerte der Diener. Brabourne fragte sich, was für ein Dienstherr der Junge wohl war, dass er bei seinen Angestellten eine solch treue Ergebenheit hervorrief. „Wenn Sie nicht gehen, lasse ich Sie gewaltsam aus dem Raum werfen. Sobald Ihr Herr erwacht, will ich unter vier Augen mit ihm sprechen. Bis dahin bleibe ich bei ihm, und meine Haushälterin wird uns versorgen, falls nötig. Ich will genauso wenig, dass er stirbt, wie Sie.“

Der Dienstbote rührte sich immer noch nicht von der Stelle. Brabourne trat zum Kamin und griff nach dem samtenen Glockenstrang, der über dem Sims hing.

„Ferguson …“, drang eine schwache Stimme vom Bett, „tun Sie, was er sagt. Ich komme schon zurecht.“

„Mit einem wie Seine Gnaden lasse ich Sie nicht allein.“

Diese Ergebenheit war wirklich überaus interessant, aber der Duke war nicht gerade berühmt für seine Geduld. „Raus mit Ihnen, bevor ich meinen Entschluss in die Tat umsetze und Sie von meinen Lakaien aus dem Zimmer werfen lasse.“

Der Junge kämpfte sich auf, und der Dienstbote eilte an seine Seite. „Nein, das sollten Sie nicht tun.“ Der Kutscher umsorgte ihn wie eine Gluckhenne.

„Gehen Sie“, sagte der Junge. „Wenn der Duke mir etwas tun wollte, hätte er …“ Er atmete mühsam, seine Wangen wurden rot und dann bleich. „Er hätte mich gleich erschossen.“

„Sie wissen doch, warum ich bleiben muss“, murmelte Ferguson.

Brabourne verfügte über ein ausgezeichnetes Gehör, sagte aber nichts. Irgendetwas stimmte hier nicht, und allmählich ging ihm auf, was es wohl sein mochte. Als der Junge die knotige Hand des Dieners tätschelte, fiel ihm auf, wie zart sein Handgelenk doch war. Er verzog die Lippen. Er war ein Narr, dass er es nicht schon früher erraten hatte, aber die Tapferkeit seines Gegners hatte ihn getäuscht.

Der Junge flüsterte: „Du machst ihn nur noch misstrauischer, wenn du weiter darauf beharrst.“ Dann hob er die Stimme und sagte: „Geh jetzt. Du kannst zurückkommen, wenn Seine Gnaden mit mir gesprochen hat. Bitte.“

Ferguson warf dem Duke einen drohenden Blick zu, tat aber wie geheißen. Die Tür schloss sich hinter ihm mit einem energischen Knall.

Brabourne bemerkte die dunklen Ringe unter den goldgefleckten grünen Augen des Mädchens – denn um ein solches handelte es sich. Jetzt, da er es erkannt hatte, war es eigentlich offensichtlich. Er war ein Frauenkenner, und als solcher erkannte er sofort, dass ihre dichten zimtbraunen Wimpern eine Kurtisane vor Neid erblassen ließen. Ebenso die üppigen dunkelroten Locken, die ihren Kopf wie Flammen umgaben. Einen Augenblick fragte er sich, ob ihr Temperament ihrem Haar wohl entsprach. Es könnte interessant sein, das herauszufinden. Allerdings nicht jetzt.

„Warum geben Sie sich als Junge aus?“, fragte er ohne lange Vorreden.

Sie wurde noch bleicher, doch ihre Stimme war trotzig. „Ihnen hat es vor lauter Ausschweifungen den Verstand vernebelt, Euer Gnaden.“

Er lächelte langsam, ließ den Blick kühn über ihre Gestalt wandern, entzückt von ihrem Mut. „Im Moment nicht. Jetzt, wo ich mich von Ihrer Kleidung … und von Ihren Taten nicht länger täuschen lasse, ist es offensichtlich, dass Sie eine Frau sind.“ Er ignorierte ihr verächtliches Schnauben. „Vermutlich haben Sie sich die Brüste eingebunden und die Kleidung eines männlichen Anverwandten ausgeliehen. Aus der Tatsache, dass ich bisher nicht gezwungen war, Ihre Bekanntschaft zu machen, schließe ich, dass Sie noch nicht in die Gesellschaft eingeführt worden sind, obwohl Sie sprechen und sich bewegen, als stammten Sie aus den ersten Kreisen. Ich nehme an, dass Sie Ihr Leben bisher auf dem Land verbracht haben und erst kürzlich nach London gekommen sind.“

Sie starrte ihn ausdruckslos an. Einen langen Augenblick dachte Brabourne, sie würde ihr wahres Geschlecht auch weiterhin verleugnen. Mit einem erschöpften Seufzen sank sie dann jedoch ins Kissen zurück. „Aber wie …? Sie haben doch vorher nicht geahnt …?“

Brabourne lächelte, ein echtes Lächeln, das seine harten Züge weicher erscheinen ließ. Er griff nach der Hand, die ihm am nächsten war, merkte dann jedoch, dass dies ja ihre verletzte Seite war, und reichte über sie hinweg. Er erwischte ihre Hand gerade noch, bevor sie sie unter die Bettdecke stecken konnte.

Über ihr lehnend, zog er ihre Hand zu sich herüber, allerdings nicht so nah, dass sie die verletzte Schulter hätte belasten müssen. Er drehte ihre Hand um.

„Ihre Haut ist samtweich und makellos. Ihre Nägel sind kurz geschnitten, aber gut gepflegt. Ihre Haut war nie der Sonne ausgesetzt, die sie hätte gerben oder bräunen können.“ Dann untersuchte er ihre Finger einen nach dem anderen. „Schlank und elegant. Die Hände einer Dame. Und gewiss keine Männerhand.“

Aus dem angeborenen Bedürfnis heraus, andere zu bezaubern und für sich einzunehmen, das einen so erfolgreichen Frauenhelden aus ihm machte, führte er ihre Hand an die Lippen. Sie entriss sie ihm, als hätte er sie gebissen. Er ließ sie los.

„Warum haben Sie sich mit mir duelliert?“

Offen begegnete sie seinem Blick, obwohl sie vor Erschöpfung sichtlich zusammensank. „Ich musste es tun. Jemand musste Ihnen doch entgegentreten.“ Ihre Stimme war schwach, aber entschlossen.

Ihre Heftigkeit erschreckte ihn ein wenig. „Mir entgegentreten?“

Die Hand auf ihrer verwundeten Seite lag schlaff auf dem Bett. Mit der anderen umklammerte sie das feine Leintuch. „Sie sind ein Wüstling und ein gefährlicher, zügelloser Mann, dessen Machtposition es ihm erlaubt, zu tun und zu lassen, was er will.“

Ein Funken Bewunderung glomm in seinen Augen auf, nur um von einem Gefühl gelöscht zu werden, von dem Brabourne schon vor langer Zeit beschlossen hatte, dass es ihn nicht leiten sollte. Sie sagte nur die Wahrheit. „Na und? Da bin ich keineswegs der Einzige.“

„Ich weiß“, murmelte sie. „Aber Sie sind der Einzige, der mit meiner Familie in Berührung kam.“

„Ah“, sagte er milde, nachdem er sich wieder unter Kontrolle hatte, „Ihre Familie. In welchem Verhältnis stehen Sie zu Smythe-Clyde? Ist er Ihr Onkel oder Ihr Vetter? Ihr Vater?“

Ihr Teint, den er für milchweiß gehalten hatte, wurde nun so durchscheinend klar wie Mondlicht. Mit der passenden Garderobe wäre sie eine Schönheit – zwar eine sehr ungewöhnliche, aber doch eine Schönheit. Schöne Frauen zogen ihn an – eine Zeit lang.

Sie wandte sich von ihm ab. Ihr Busen hob und senkte sich erregt. „Das geht Sie nichts an.“

„Ihr Liebhaber vielleicht?“

Sie fuhr zurück, und in ihrer Miene zeigte sich so großer Zorn, dass sein Interesse an ihr wuchs. Wenn man alles bekommen konnte, was man wollte, war eine solche Herausforderung nicht zu verachten. Vor allem eine mit solchen Möglichkeiten.

„Sie sind ja pervers!“, flüsterte sie.

Er zog den nächstbesten Stuhl ans Bett heran und lümmelte sich darauf. „Nein, nur neugierig.“

Fasziniert beobachtete er, wie sie abwechselnd rot und blass wurde. Sie presste die Lippen zusammen, bis sie nur noch ein schmaler Strich waren, und öffnete sie dann wieder, wie eine Rose, die von der Sonne erwärmt wird.

Sie seufzte. „Es geht Sie nichts an, und ich bin zu müde, um mich noch länger mit Ihnen herumzustreiten.“

An den Linien um ihre Augen und ihren Mund erkannte er, dass sie die Wahrheit sagte. „Das hier ist ein köstliches Spiel, meine Süße, aber Sie haben recht, im Augenblick sind Sie dem nicht gewachsen.“

Ihre Miene verkrampfte sich, und Wangen und Kinn verspannten sich. Aber sie erwiderte nichts.

Er betrachtete sie noch eine Weile. „Ich kann jederzeit Erkundigungen über die Smythe-Clydes einziehen. Seien Sie versichert, dass mein Sekretär ohne Mühe mehr herausfinden kann.“

Sie versteifte sich. „Warum tun Sie das?“

„Weil Sie ein Rätsel sind und Rätsel dazu da sind, gelöst zu werden.“

„Ein Rätsel. Etwas, das Sie unterhält, kein menschliches Wesen.“

Er nickte, um anzudeuten, dass dieser Schlag gesessen hatte. „Genau. In welchem Verhältnis stehen Sie zu Smythe-Clyde?“

Sie hob das Kinn. „Er ist mein Vater. Lassen Sie mich jetzt endlich in Ruhe?“

Die Antwort fiel anders aus, als sie erwartet hatte. „Fürs Erste.“

Das Mädchen war nicht nur unvernünftig, es war auch leichtsinnig. Als die Tochter eines Barons wäre sie völlig ruiniert, wenn sich ihre Eskapade herumspräche. Wohlerzogene junge Damen wussten nicht einmal, dass es Duelle gab, geschweige denn nahmen sie an einem teil. Schlimmer noch, wenn die vornehme Gesellschaft Wind davon bekam, dass sie sich in seinem Haus aufhielt, in einem seiner Betten, würde sie ihn zu zwingen suchen, sie zu heiraten. Das Mädel musste verschwinden.

Lange Momente vergingen, während sie sich in die Augen sahen. Die Uhr auf dem Kaminsims schlug acht. Ein Klopfen an der Tür bot eine Unterbrechung.

Er erhob sich mit geschmeidiger Eleganz und ging zu den geschlossenen Fenstervorhängen, bevor er „Herein“, sagte.

Erleichtert sank Juliet in sich zusammen, als Ferguson mit einem Tablett eintrat. Erschöpfung, Schmerzen und Angst machten ihr schwer zu schaffen. Was würde Brabourne nun tun, da er wusste, dass sie eine Frau war? Würde er ihr Geheimnis in alle Welt hinausposaunen?

Sie sah zu ihm hinüber, nur um zu entdecken, dass er sie mit einer grüblerischen Intensität beobachtete, die nicht im Mindesten dazu angetan war, ihre angespannten Nerven zu beruhigen. Er war schon für den Abend umgekleidet. Vielleicht wollte er zu Almack’s, obwohl sie bezweifelte, dass er diesen überaus ehrwürdigen Heiratsmarkt frequentierte. Wahrscheinlich plante er, in einen seiner Clubs zu gehen, bevor er sich auf ein Schäferstündchen mit einer seiner zahllosen Geliebten einließ. Diesmal wäre es zumindest nicht ihre Stiefmutter.

Allerdings musste sie zugeben, dass er der schönste Mann war, den sie je gesehen hatte. Der hervorragend geschnittene schwarze Frackrock betonte seine breiten Schultern. Die schwarzen Kniehosen schmiegten sich an seine schmalen Hüften, während die weißen Strümpfe makellose Waden zur Geltung brachten. Sein Krawattentuch war zu einem Brabourne-Soirée geschlungen, wie sie vermutete, ein Stil, den ihr jüngerer Bruder trotz beständigen Strebens immer noch nicht hatte nachahmen können. Doch Brabournes Eleganz war nichts im Vergleich zu dem Mann selbst.

Er war einfach atemberaubend. Aber wahrscheinlich lag es nur an ihrer Verletzung, dass ihr die Luft knapp wurde, wie sie sich versicherte. Das unmodern lange Haar hing ihm schimmernd wie ein Rabenflügel über den Kragen und wippte bei jedem Schritt, den er tat. Seine Augen waren strahlend blau und durchdringend. Zu durchdringend, dachte sie errötend, als es sie heiß überlief. Und dann sein Mund. Solche Lippen hatte sie bisher nur im Marmorgesicht eines griechischen Gottes gesehen. Seine männliche Schönheit – ein anderes Wort gab es dafür einfach nicht – wurde nur von dem Ausdruck gelangweilter Ausschweifung beeinträchtigt, der um seine Augen und den Mund spielte.

Sie war überaus dankbar dafür, dass er sich nicht für sie interessierte, denn sie glaubte nicht, dass sie ihm hätte widerstehen können, wenn er sie gewollt hätte. Daher wäre es für alle Beteiligten am besten, wenn sie das Haus auf der Stelle verließ. Ferguson würde sich schon darum kümmern. Er hätte sie gleich zum Landsitz ihres Vaters bringen sollen.

„Hier, junger Herr“, sagte Ferguson und stellte das Tablett auf dem Tisch neben dem Bett ab.

Bei dem Duft nach Hühnersuppe lief Juliet das Wasser im Mund zusammen. Sie versuchte sich aufzurichten, fiel jedoch kraftlos in die Kissen zurück. Vor Anstrengung klang ihre Stimme ganz dünn. „Es besteht kein Grund mehr zur Täuschung, Ferguson. Seine Gnaden weiß, dass ich eine Frau bin.“

Ferguson, der gerade einen Löffel Suppe an Juliets Mund führen wollte, hielt mitten in der Bewegung inne und warf dem Duke einen drohenden Blick zu.

„Keine Sorge“, versetzte der Duke schleppend, „ich werde mich nicht dazu hinreißen lassen, ihr Gewalt anzutun. Aber Sie sorgen besser dafür, dass niemand sonst die Maskerade durchschaut.“ Seine Augen glänzten boshaft auf. „Ich kann nicht alle meine Dienstboten unter Kontrolle behalten.“

„Ja, Euer Gnaden“, sagte Ferguson und blickte stirnrunzelnd auf Juliet hinab. „Ich bringe das Mädchen fort von hier, bevor auch nur irgendwer was merkt.“

„Das wäre am besten“, sagte ihr Gastgeber wider Willen und ging zur Tür. Einmal wandte er sich noch zu ihr um, dann verließ er den Raum. Leise fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.

Die Anspannung, von der Juliet gar nichts bemerkt hatte, verließ sie, und sie sank noch tiefer in das weiche Federbett. „Sobald ich gegessen habe, müssen wir weg von hier.“

Ferguson nickte. „Hobson kommt jeden Augenblick vorbei, um sich nach Ihnen zu erkundigen, Kindchen. Während er da ist, hole ich die Kutsche.“

Zärtlich stützte er sie mit den weichen Kissen und half ihr, die Suppe zu löffeln. Juliet war froh über seine Hilfe, da sie die Hand nicht ruhig halten konnte. Als sie fertig war, sank ihr Kopf nach hinten.

„Ich bin so müde, Ferguson. Ich glaube, ich will ein bisschen schlafen. Wecken Sie mich, wenn Hobson da ist.“

„Ja, Kindchen.“ Er goss eine großzügig bemessene Dosis Laudanum in ein Glas und fügte Wasser hinzu, um den bitteren Geschmack der Medizin zu mildern. „Nehmen Sie das. Es hilft Ihnen beim Einschlafen, und es lindert die Schmerzen.“

Juliet lächelte schwach. „Zum Einschlafen bräuchte ich es nicht, aber es wäre schön, weniger Schmerzen zu haben.“ Mit einer Grimasse schluckte sie den Trunk.

Autor

Georgina Devon
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